Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten von Linchan (Erstes Buch) ================================================================================ Kapitel 3: Aduria ----------------- Leyya Lyra war Heilerin und Mutter dreier Kinder – wobei Simu nicht ihr leiblicher Sohn war, was sie bisweilen aber völlig vergaß. Er war immer bei ihnen gewesen... sie konnte sich gar nicht mehr an die Zeit erinnern, bevor Simu gekommen war. Nur den Tag seiner Ankunft würde sie nie vergessen... nicht das flehende, verzweifelte Gesicht des fremden Mannes, der ihr das Kleinkind in die Arme gedrückt hatte. Danach war er verschwunden und niemand hatte ihn je wieder gesehen. Einerseits wünschte sie sich, dass Simu eines Tages die Wahrheit herausfände über seine Herkunft, dass er herausfände, was damals geschehen war und wer seine richtigen Eltern waren. Andererseits fürchtete sie sich davor, ihn dann zu verlieren... er war doch ihr Sohn. Sie wollte, dass er das blieb... Sie schalt sich eine egoistische Mimose, während sie am Vormittag in der Küche saß und Teig für Brot knetete. Es war nicht ihr Recht, Kinder behalten zu wollen. Erst recht nicht, wenn sie nicht ihrem Leib entsprungen waren. Dabei war es doch schon so schwer, sich von ihrem wirklichen Kindern loszusagen... Karana würde bald siebzehn werden, wenn der Mond der Stürme kam. Er war schon seit über einem Jahr ein erwachsener Mann... seit er das Blutritual bekommen hatte, das ihn dazu gemacht hatte. Und seit er von seiner Magielehre in Janami zurückgekehrt war, entfernte er sich immer weiter von ihr, so hatte sie das Gefühl. Und es schmerzte sie, wenn sie daran dachte, dass er eines Tages heiraten und seine eigene Familie gründen würde... und von ihr wegziehen würde. „Du bist dumm, Leyya.“, hatte Puran sie getadelt, wenn sie ihm nachts ihr Leid geklagt hatte, „Alle Kinder werden erwachsen. Aber deine Kinder werden sie trotzdem bleiben. Meine Mutter hat sich auch sehr schwer damit getan, als ich plötzlich nicht mehr ihr kleiner Junge war, der an ihrem Rockzipfel hing, aber so ist der Lauf der Dinge. Karana wird dich immer Mutti nennen, auch mit dreißig noch, und an seiner kindlichen Liebe zu uns wird das überhaupt nichts ändern. Also sei tapfer, ich muss es doch auch sein.“ Recht hatte er ja... er hatte doch immer recht. Er war der Herr der Geister, der Vorstand des höchsten Rates der Schwarzmagier, er war einer der angesehensten und einflussreichsten Männer in ganz Kisara, wenn nicht sogar im ganzen Zentrum. Und dennoch fiel es ihr schwer, sich von ihren Kindern zu lösen. Und sie fürchtete den Tag, an dem ihre kleine Tochter ihre erste Blutung bekäme, was sie dann unweigerlich folgend zur erwachsenen Frau machen würde. Neisa war spät dran... sie war bereits vierzehn. So groß schon und dennoch noch immer ein Kind in ihren Augen. „Mutti?“ Die Frau hob erschrocken den Kopf, als sie die Stimme ihrer hübschen Tochter vernahm, die in die Küche lugte. „Wir werden jetzt aufbrechen nach Aduria. Simu und das Lianermädchen begleiten uns, er will sie zum Lianerdorf bringen. Brauchen die auch was von der Salbe, wenn ich schon da bin?“ Leyya blinzelte verwirrt und brauchte einen Moment, um die Information zu begreifen. „Ach, das Lianerdorf – ja, na ja, schaden wird es ihnen nicht, geh mit Simu und frage nach, wie es aussieht mit den Vorräten. Was ist mit Tayson?“ „Der kommt natürlich mit, als ob der sich die Chance entgehen ließe.“, lachte Neisa, „Karana kommt auch mit, eigentlich wollte er mich vor Taysons Anmachen beschützen, aber dank Simu ist das jetzt eigentlich überflüssig, was genau der will, weiß ich also auch nicht... er meinte, irgendwas geht im Westen vor sich, in Senjo drüben. Und da Zaria direkt an der Grenze liegt, denkt er, er wird da schlauer.“ „Du meinst die Unruhen in Kamien?“, fragte die Mutter erschrocken, „Lieber Himmel, das habe ich gar nicht bedacht. Vielleicht solltet ihr besser nicht nach Zaria gehen... es ist wirklich ganz schön dicht an Senjo... ich weiß ja nicht, was da vor sich geht, aber Chitra hat erzählt, dass sie ziemlich gewalttätig werden da drüben, es klingt gefährlich.“ Neisa hob abwehrend die Hände. „Ich weiß nichts, wie gesagt. Frag Karana, irgendetwas hat Niarih ihm erzählt. Und es muss etwas Schlimmes gewesen sein, immerhin hält es ihn um diese Tageszeit vom Schlafen ab, und du weißt ja, was er für ein Langschläfer ist. Mach dir keine Sorgen, Mutti. Wir werden schon heil zurückkehren.“ Sie lächelte, ehe sie ihre Mutter zum Abschied umarmte und wieder hinaus eilte, um gemeinsam mit Tayson, Simu und dem Lianermädchen schon mal das Haus zu verlassen. Leyya war ganz fasziniert von der kleinen Beschwörerin gewesen, die sie am Morgen von ihrem Ziehsohn vorgestellt bekommen hatte. Obwohl das Lianerdorf nicht weit von Lorana entfernt war, bekam man fast nie welche zu Gesicht. Die Lianer blieben nach der großen Sklaventreiberei vor einigen Jahren lieber unter sich und hatten ungern Kontakt mit anderen Menschen. Obwohl die Jagd auf Lianer auf Tharr inzwischen vom König verboten worden war, gab es immer noch genug Hass auf das Beschwörervolk, vor allem hier in der Nähe von Senjo. Senjo galt insgesamt als das Land mit der größten Feindseligkeit Lianern gegenüber – dabei hatten sie nie etwas Böses getan in Leyyas Augen. Seit Jahrhunderten und immer wieder war das Volk geächtet und verfolgt worden, ihr eigentümliches Aussehen machte es ihnen unmöglich, getarnt zu leben. Gespenstervolk nannte man sie, Bestienrufer. Und egal, wohin sie gekommen waren, waren sie garantiert auf Feinde gestoßen, bis sie sich einmal aufgerafft hatten, für ihre Rechte zu kämpfen. Die Bürgerkriege waren vor allem hier im Westen des Zentrums hart gewesen, hatte Leyya gehört, und es hatte noch mehr Hass und letztlich die Versklavung und Vertreibung nach Ghia mit sich gebracht. Eigentlich waren die Lianer wirklich die größten Opfer der modernen Welt. Aus dem Augenwinkel sah die Heilerin den großen Hund an der Küche vorbei aus dem Haus rennen, und sie rief ihren ältesten Sohn, der dem zottigen Tier höchstwahrscheinlich zu folgen gedachte. Als Karana zu ihr kam, knetete sie ihren Teig weiter und versuchte, nicht weiter an die Lianer zu denken. „Was hat Niarih zu dir gesagt?“, fragte sie, „Was ist im Westen? Denkst du wirklich, ihr könnt da sicher hin gelangen? Ich mache mir Sorgen, Karana.“ Zu ihrer Verblüffung warf er einen Blick hinaus, ehe er sich zu ihr neben den Hocker hockte und ein ernstes Gesicht machte. Er ähnelte seinem Vater mehr denn je, wenn er so schaute, und unwillkürlich vergrub die kleine Heilerin ihre zierlichen Finger in ihrem rohen Teig. Oh, sie vermisste ihren Mann immer so, wenn er so lange in Vialla war... „Hör mir zu.“, sagte ihr Sohn dann dumpf, „Ich weiß nicht, was passiert, aber ich habe ein ungutes Gefühl. Es ist der Himmel... ich spüre seinen Zorn, kann ihn aber nicht zuordnen. Und die Erde... ich spüre ihr Zittern unter meinen Füßen, ganz leicht, aber es ist da, wenn ich still halte. Die Geister sind nervös und bringen mich schon seit gestern um meine Ruhe. Niarih hat gesagt... die armseligen Sterblichen kommen und jagen Lorana zum Himmelsdonner.“ „Du meinst, die Vandalen aus dem Westen?“ „Was immer passiert, es kommen keine rosigen Zeiten auf uns zu. Dhimorien ist an Ela-Ri gefallen, schon vergessen? Letztlich ist es egal, ob der Zorn der Geister aus dem Süden oder dem Westen kommen wird... kommen wird er, da bin ich sicher. Vielleicht solltest du zu Sagals gehen, bis Vati zurückkommt, ich lasse dich ungern alleine hier.“ Sie lächelte. „Ach, Karana... du bist tapfer. Ich passe schon auf mich auf, keine Sorge. Pass du lieber auf deine Geschwister auf. Vor allem auf Neisa.“ Jetzt wich sein ernstes Gesicht einem flüchtigen Grinsen und er erhob sich, beugte sich herab und küsste sie zum Abschied auf den Kopf. „Du hast mein Wort, Mutti. Wenn jemand Neisa etwas antun will...“ Leyya hob verblüfft den Kopf, als seine Stimme sich veränderte. Sie schauderte, als er ihr seine ungewöhnlichen Eckzähne zeigte, als würde er sie auffressen wollen, dabei galt diese bedrohliche Geste mit größter Wahrscheinlichkeit nicht ihr. „Dann bringe ich den eigenhändig um.“ Das Wetter war trübe an jenem Tag, als die kleine Gruppe gemeinsam Lorana in Richtung Südwesten verließ, um in die Region Aduria zu gelangen. Es war keine besonders dicht besiedelte Region. Die Kreisstadt Egatsop war nicht mal annähernd groß genug für eine Stadt – nicht mal eine Kleinstadt. Und das Dorf Zaria an der Grenze zu Senjo war noch kleiner als Egatsop. Karana ging mit dem Hund am Schluss der Gruppe und beobachtete das Lianermädchen von hinten, während sie marschierten. Aar sprang vom Weg ab und jagte Schmetterlinge und Libellen wie ein Kind, dabei hatte Karana den Hund schon seit einigen Jahren. Der Schamane konnte seinem sonst geliebten Bruder Hund gerade keine Aufmerksamkeit schenken. Er angelte aus seiner Hosentasche eine zerknautschte Zigarette, um sie sich gedankenverloren anzustecken und dabei die weißlichen Haare der Lianerin zu betrachten, die während sie ging auf und ab wippten. Am Morgen vor dem Aufbruch hatten sie die Lianerin neu eingekleidet, weil ihre eigenen Kleider schmutzig und zum Teil zerrissen gewesen waren. Seine Mutter hatte versprochen, sie zu waschen und zu nähen, und wenn Eneela im Lianerdorf blieb, konnte einer aus der Familie ihr eines Tages ihre Kleidung vorbei bringen, es war ja nicht so weit. Jetzt trug sie Kleidung von Neisa – Neisa war zwar kleiner als Eneela, aber die Lianerin war zierlicher, deswegen passte sie gut in die Sachen. Während Karana sie so betrachtete, fiel ihm auf, dass sie wirklich ungewöhnlich dünn war; sie konnte nicht besonders viel zu essen bekommen haben, wo immer sie vorher gewesen war. Simus Bericht darüber, dass er sie im Straßengraben in ein stinkendes, angepisstes Fell gewickelt gefunden hatte, zeugten auch nicht gerade von einer wohlhabenden Herkunft. Sie war von Ghia nach Tharr gekommen mit der Raumfähre, hatte der Schamane sich sagen lassen. Das war ungewöhnlich; auf der Ghia waren die Beschwörer seines Wissens ausschließlich Sklaven der reichen Leute, sie konnten nicht frei herumlaufen oder mal eben nach Tharr fliegen. „Großartig.“, sagte er brummend zu sich selbst, „Wenn sie weggelaufen ist, wird sie vielleicht von ihrem Herrn verfolgt. Vielleicht ist sie es ihm nicht wert, dann haben wir Glück, aber wenn nicht... Ärger mit einem ghianischen Sklaventreiber können wir jetzt gerade so gar nicht gebrauchen.“ Er hütete sich, es laut auszusprechen, und beobachtete stattdessen weiter Eneela, die sich in alle Richtungen umsah und fasziniert die Landschaft betrachtete. „Der Himmel ist grün...“, hörte er sie zu Simu sagen, ganz beeindruckt, und er verkniff sich ein Grinsen. Das fiel ihr aber früh auf... „Auf Ghia ist er blau...“ Ihre Stimme war glockenhell und sie klang jedes Mal, wenn sie sprach so unsicher und panisch, dass Karana das Gefühl bekam, sie hätte Angst vor ihnen. Eigentlich sprach sie nur mit Simu. Selten mit Neisa – mit ihm oder Tayson wechselte sie kein Wort. Ein Jammer, sie war hübsch... wobei, eigentlich war sie ihm zu dünn. Und sie hatte kaum den Ansatz von Brüsten – selbst Neisa oder seine Mutter hatten da mehr, und die waren beide nicht besonders gut bestückt in dem Punkt. „Du Lüstling denkst schon wieder nur an das eine, sobald du eine unbekannte Frau ansiehst!“, wurde er plötzlich getadelt und er fuhr zischend herum, um seiner kleinen Schwester ins Gesicht zu sehen. Augenscheinlich hatte sie Tayson entfliehen wollen, der sie zu schwafelte, und hatte sich deswegen zurückfallen lassen. „Was?“, empörte der Bruder sich auch gleich, „Sie ist nicht Simus Freundin, hat er selbst gesagt!“ „Das erlaubt dir noch lange nicht, sie so anzustarren.“ „Himmel, keine Sorge, sie ist nicht mein Typ.“, brummte er, „Die hat ja kaum Fleisch auf den Rippen.“ Neisa sah ebenfalls nach vorne zu Eneela, ehe sie wissend lächelte und ihn verschmitzt von der Seite anlinste. „Nein, schon klar. Dein Typ hat größere Brüste. Und am besten schwarze, lange Haare mit Federschmuck.“ Er zuckte, als sie so sprach, und brummte dann abermals. Wie konnte sie es wagen...? „Sprich nicht von ihr, du dumme Gans.“ „Warum nicht?“, flötete Neisa, sich keiner Schuld bewusst, „Oder bricht es dir das Herz, wenn ich ihren Namen in den Mund nehme? Saidah?“ Karana schenkte ihr einen bösen Blick, der leider nicht lange genug böse blieb, um überzeugend zu sein. „Verarsche mich nicht, Schwester, ich meine es ernst. Saidah ist weit weg, sie ist in Janami. Ich bin über sie hinweg, es gibt andere Frauen.“ „Welche, die erreichbarer sind als die Königin der Kondorgeister, die einzige Überlebende des mächtigen Chimalis-Clans, ja.“, entgegnete seine Schwester, „Unser Vater heißt deine Schwärmerei für sie auch nicht sonderlich gut, wie du weißt. Immerhin ist sie seine Kollegin im Geisterjägerrat, es wäre schon komisch, wenn seine Kollegin seinen Sohn heiratete.“ „Ich sagte doch, ich bin über sie hinweg. Wenn ich sie jemals wiedersehe, dann an dem Tage, an dem ich wie Vati in den Rat eintrete. Und dieser Tag ist noch etwas hin, fürchte ich. Ist ja nicht so, dass da jeder Depp reinkommt.“ „Über sie hinweg?“, lachte Neisa, „Das sehe ich aber anders... oder willst du mir erzählen, deine unzähligen Bettgespielinnen seien etwas anderes als Ablenkung von deinem ungehörigen Verlangen nach Saidah Chimalis?“ „Ich schlafe gerne mit schönen Frauen, das hat mit Saidah nichts zu tun. Und wenn sie mir eben alle zu Füßen fallen, passt es doch, ich tue ihnen den Gefallen und sie bringen mir die Erleichterung. Wo ist das Problem?“ Sie verdrehte die Augen. „Vergiss Saidah.“, war alles, was sie noch dazu sagen wollte, „Sie ist nichts für dich. Die Geister haben nicht dafür gesorgt, dass ihr eine gemeinsame Zukunft habt.“ „Falsch.“, antwortete Karana monoton, „Die Geister waren es, die uns zusammengeführt haben. Die Geister haben entschieden, dass sie meine Lehrmeisterin wird. Und dass sie mich zum Mann macht. Ihr könnt sagen, was ihr wollt... aber wenn die Geister von Himmel und Erde nicht wollten, dass wir uns vereinen, würde ich das Band nicht spüren, das mich auf ewig an sie binden wird. Sie ist eine Geisterjägerin, eine mächtige Magierin und eines Königs würdig, an dessen Seite sie liegen sollte.“ Darauf kicherte seine Schwester nur diabolisch. „Ah. Und da ist das Problem. Du bist kein König, sondern bloß ein verblendeter Prinz.“ Sie brachten die von Neisa hergestellte Salbe in die kleinen Dörfer von Aduria und brauchten so natürlich etwas länger als nötig, um Zaria zu erreichen. Das Lianerdorf lag knapp südlich von Zaria. Weil Neisa noch nach Egatsop wollte und somit ebenfalls noch etwas südlicher musste, gingen sie gemeinsam durch das Grenzdorf zu dem Ort, der allein den Beschwörer vorbehalten war. Es war bereits Nachmittag, als der hohe Zaun des Dorfes in Sicht kam. „Es ist nicht so, dass wo anders keine Lianer leben dürfen.“, erklärte Simu Eneela, während sie auf das Dorf zuhielten, „Aber sie sind eben gerne unter sich hier und wollen mit den anderen Menschen möglichst wenig zu tun haben. Das hier ist natürlich nicht der einzige Ort auf Tharr, an dem es Lianer gibt, aber das einzige Dorf, in dem wirklich ausschließlich euer Volk wohnt. Keiner, der kein Lianer ist, wohnt hier.“ Das bleiche Mädchen nickte zögernd und er sah, wie nervös sie auf das Dorf starrte, dem sie sich näherten. „Wen suchst du noch mal hier?“, wollte Tayson wissen, der zusammen mit Karana und Neisa hinter den beiden ging. Eneela fuhr zusammen und wandte sich schüchtern zu ihm um. „I-ich... einen Mann namens Dak Kaniy... meinen Vater, Herr.“ Tayson lachte. „Jetzt hör doch mal auf, uns alle im Plural anzusprechen, Karana steigt sowas schnell zu Kopf, er bildet sich doch so schon genug auf seine Abstammung ein... so als Sohn des größten Magiers der Welt ist das auch kein Wunder.“ „Vati ist nicht der beste Magier der Welt, er ist nur der Kopf des Geisterjägerrates!“, machte Neisa, „Das ist nicht zwingend dasselbe. Wenn, dann ist er höchstens der größte Magier des Zentrums. Aber sicher auch das nicht unbedingt.“ „Wie auch immer, er ist ein verdammt hohes Tier...“ „Na siehst du, Tayson, dann ist es doch berechtigt, uns im Plural anzusprechen.“, feixte Karana und stieß ihn an, „Los, auf die Knie mit dir, du Wurm.“ Simu verdrehte vorne die Augen. „Höre nicht auf die, Eneela.“, riet er ihr, „Ja, sie sind immer so. Einfach nicht beachten.“ Die Lianerin nickte nur zögerlich mit dem Kopf – dann erreichten sie den Eingang des Lianerdorfes und wurden angehalten von einem Wachposten, der bewaffnet davor stand. Simu wunderte sich. Waffen waren so untypisch für die so friedlichen Beschwörer... „Halt!“, rief der Wächter und versperrte ihnen mit seinem Speer den Eingang, „Wer seid ihr und was begehrt ihr? Unbefugten ist der Zutritt verboten, das hier ist kein Museum zum Besichtigen.“ „Sachte, mein Freund, das haben wir auch nicht angenommen.“, war Karanas patzige Antwort, „Jetzt halt mal deine Zunge fest und sei nicht so frech.“ „Karana!“, empörte Simu sich, „Das ist nicht sehr diplomatisch!“ Er verneigte sich vor dem weißhäutigen, blonden Wachmann. „Mein Name ist Simu Lyra. Das hinter mir sind meine Geschwister und ein Freund von uns – dies hier ist Eneela. Sie sucht ihren Vater, dürfen wir reinkommen? Meine Schwester ist überdies Heilerin, sie hat Salben, die ihr vielleicht gebrauchen könnt.“ Eneela spähte scheu an dem Wachmann, der die Gruppe misstrauisch musterte, vorbei ins Dorf. Sein Blick verharrte auf dem Hund, der brav neben Karana saß und mit dem Schwanz wedelte. „Was ist das da?“, fragte er und zeigte mit der Waffe auf den Hund. Karana zog eine Braue hoch. „Ich würde sagen, das ist ein Hund.“ „Wieso geht mit euch ein wildes Tier?“ „Er ist mein Bruder, er gehorcht meinem Willen.“, war Karanas Antwort, und Simu wusste, dass der grimmige Tonfall, den sein Bruder gerade aufsetzte, alles nur schlimmer machte. Dieser Idiot, konnte er nicht einfach höflich sein? Wieso musste er immer im falschesten Moment beweisen, dass er besserer Herkunft war als die meisten anderen, die er so traf? Das dachte der Lianer sich wohl auch, er schnaubte. „Das Vieh bleibt draußen und du am besten gleich mit. Wilde Raubtiere sind hier nicht erwünscht. Habt ihr Waffen dabei? Dann legt sie bitte ab, ihr bekommt sie zurück, wenn ihr geht.“ Karana lachte verblüfft auf. „Verstehe ich das gerade richtig, alle anderen dürfen rein und nur ich nicht, weil ich einen Hund habe?“ „Eins und eins zusammenzählen kannst du, das ist schon mal was.“, entgegnete der Wächter sarkastisch und Karana schnaubte. „Ach, dabei hätte Aar als Tier so gut in euer Dorf gepasst, immerhin seid ihr doch die geschützte Tierart von Kisara.“ Ehe die Situation eskalieren konnte, setzte Simu sich als Schlichter ein. „Karana, bitte!“, zischte er, „Nimm es bitte einfach hin, ja? Lass es einfach gut sein und halt deinen Mund! Wir werden doch nicht lange brauchen und was willst du überhaupt da drinnen?“ Darauf hatte sein erboster Bruder keine Antwort, aber er fletschte grantig seine spitzen Eckzähne wie ein geiferndes Raubtier, was dem Blonden einen Schauer über den Rücken jagte. Er sah aus dem Augenwinkel Eneela noch mehr erbleichen und ihm fiel ein, wie sie am Vorabend erwähnt hatte, sie fürchtete Karanas komische Zähne... er fragte sich, wieso eigentlich. Ja, sie sahen wirklich eigenartig aus, aber eigentlich waren sie kein Grund zur Furcht. Simu drehte sich wieder dem Wächter zu. Er trug einen kleinen Dolch bei sich, den er dem Wachmann vertrauensvoll gab. Die anderen waren unbewaffnet und wurden – nach gründlicher Musterung und auch Durchsuchung von Neisas Tasche mit den Salben – darauf ins Dorf gelassen. Karana blieb mit dem Hund empört draußen stehen und verschränkte die Arme. „Ist gut, ich schleiche dann solange sinnlos um das Dorf herum, während ihr euch amüsiert!“, hörte Simu ihn noch rufen, und er seufzte kurz. „Viel Spaß dann, ihr Pfeifen! So eine Demütigung, na wartet, ihr Bleichgesichter, ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt!“ So sprach er und sein Bruder sah ihn samt Aar davon stampfen, vermutlich am Zaun entlang. „Ist das wirklich in Ordnung, ihn da zu lassen?“, fragte Eneela scheu und sah sich nervös um auf dem Marktplatz, auf dem sie jetzt landeten. „Ich meine, er scheint wirklich wütend zu sein...“ „Er ist jetzt die beleidigte Leberwurst, aber das gibt sich schon wieder.“, meinte Neisa, „Tayson, du hättest ruhig zur Gesellschaft bei ihm bleiben können, du hast hier auch gar nichts verloren, du Penner!“ „Ich kann dich doch nicht alleine hier rein lassen.“, grinste der Schwarzhaarige und sie verdrehte die Augen. „Gut, und was jetzt, Simu, du großer Reiseführer?“ Simu beantwortete die Frage, indem er vorsichtig einen Passanten aufhielt und sich höflich verneigte, ehe er ihn ansprach. „Verzeihung, wir suchen die Apotheke. Und wir sind auf der Suche nach einem Lianer namens Dak Kaniy... wisst Ihr zufällig, wo wir ihn finden oder wen wir sonst fragen könnten?“ Der Einwohner des Dorfes zeigte nach Westen. „Die Apotheke liegt dort – zwei Häuser weiter ist der Sitz des Dorfoberhauptes. Der Vorsteher wird euch sicher weiterhelfen... also, ich kenne zumindest keinen Dak Kaniy.“ Die Nachricht war schon mal ernüchternd – das Dorf war klein, an sich müsste jeder jeden kennen, dachte Simu sich stirnrunzelnd, als sie in der Apotheke im Westen des Dorfes die Salben verkauften. Die junge Frau, die dort arbeitete, war sehr angetan von Neisas Medizin und schien im Vergleich zum Rest des Dorfes nicht so feindselig gestimmt zu sein. Im Gegensatz zu den Schamanen konnten Lianer nicht mit Magie heilen. Sie konnten nur die Bestien beschwören, die sogenannten Lians, elementare Monster, die dann ihrem Willen gehorchten. Demzufolge war Medizin bei ihnen auch nötiger als bei den Schamanen, die sich – Heiler natürlich besser und Schwarzmagier weniger gut – alle zumindest leichte Wunden mit einem einfachen Heilzauber selbst entfernen konnten. Und die Heiler der Schamanen waren im Herstellen von Medizin, was eigentlich gar nichts mit Zaubern zu tun hatte, größten teils besser als menschliche Apotheker, von daher waren Neisa und ihre Mutter in der Provinz immer gefragt und anerkannt. Der Besuch beim Dorfoberhaupt war dann die letzte Station im Lianerdorf. Das Haus des Vorstehers war weder sonderlich groß noch schön, es war ein bescheidenes Holzhaus wie alle anderen im Dorf. Das ganze Dorf war simpel hergerichtet; die Atmosphäre war gedrückt, während die kleine Gruppe durch die Straßen ging. Passanten warfen ihnen als eindeutigen Nichtlianern schräge, misstrauische Blicke zu. Es schien nicht oft vorzukommen, dass Fremde im Dorf waren... vermutlich wurden sie auch nur grummelnd geduldet, weil sie eine Lianerin bei sich hatten. Simu verübelte den Beschwörern ihre Feindseligkeit nicht mal. Sie waren Jahrhunderte lang diskriminiert, gejagt und geschlachtet worden, es war kein Wunder, dass sie die Menschen und auch die Schamanen im Allgemeinen nicht besonders leiden konnten. Der Vorsteher des Dorfes war kein besonders auffälliger Mann. Er war weder sehr groß noch sehr klein, weder auffallend hübsch noch hässlich. Aber viel zu sagen hatte er nicht. „Dak Kaniy, sagt ihr? Den Namen habe ich noch nie zuvor gehört, fürchte ich. Hier in meinem Dorf lebt jedenfalls niemand unter diesem Namen.“ Eneela machte ein enttäuschtes Gesicht. „Aber... aber wo ist er denn dann? Irgendwo muss er doch sein, ich meine... er war nicht bei den anderen, dort, wo ich aufgewachsen bin...“ Ihre Stimme erstickte beinahe in Tränen und Simu, Neisa und Tayson sahen sich bestürzt an. Der Vorsteher seufzte. „Es tut mir leid, Mädchen. Und es... es mag ungehobelt klingen, aber bist du denn sicher, dass dein Vater überhaupt noch lebt? Oder dass er wirklich hier auf Tharr ist, und nicht auf Ghia?“ Das junge Mädchen schrak hoch und unterdrückte hilflos ein Schluchzen. „I-ich... ich weiß nicht genau, Herr... aber... aber wenn er auf Ghia wäre, wäre ich ihm doch begegnet. Und wenn er tot wäre, hätte man mir das doch gesagt...“ „Bist du dir sicher?“, hakte der Dorfvorsteher stirnrunzelnd nach, „Warst du eine Sklavin auf Ghia?“ Sie zögerte mit der Antwort, auf die Simu auch gespannt war – wobei es ihn wirklich verblüfft hätte, wenn sie verneint hätte, so war er auch nicht sonderlich überrascht, als sie zögerlich nickte. „Wohl in ziemlich feinem Haus, wenn es da, wo du gewesen bist, viele von uns gab.“, orakelte der Lianer vor ihnen mit hochgezogenen Brauen und Eneela senkte den Kopf, ehe sie etwas tat, was Simu sie bisher nicht tun gesehen hatte. Sie zischte hasserfüllt. „Das kann man so sagen, ja. Und ich möchte niemals wieder dorthin zurück!“ „Himmel, Kind, natürlich willst du das nicht!“, rief der Mann verblüfft, „Du bist hier in meinem Dorf natürlich willkommen. Der Schneider hat ein Zimmer, das er dir geben könnte, und eine Gehilfin kann er auch immer gebrauchen, glaube ich. Aber wenn du weiterziehen und deinen Vater suchen möchtest, ist das natürlich deine Sache. Ich würde mir, so leid es mir tut das sagen zu müssen, allerdings nicht allzu viele Hoffnungen machen...“ Sie wurden unterbrochen, weil plötzlich lautes Poltern ertönte und ein dünner, kleiner Mann herein gerannt kam, wild die Tür aufreißend und brüllend. „Herr! Dieses verdammte Mistgör, meine Hühner! Sie hat schon wieder eins meiner Hühner geklaut, ich schnappe mir meine Armbrust und erledige sie, verdammt noch mal! Diese elende, unwürdige kleine Kröte, ich habe es von Anfang an gesagt!“ „Himmel noch mal!“, rief der Vorsteher, „Beruhige dich doch! Was ist mit deinen Hühnern?“ „Es fehlt eins, schon wieder! Ich habe diesen Mond bereits drei Hühner verloren! Ich habe sie noch gesehen, sie ist flink wie ein Wiesel durch das Loch im Zaun gekrochen, ich habe es genau gesehen! Das nächste Mal erschieße ich sie!“ „Das ist aber nicht sehr ethisch.“, warf Neisa ein und der Mann in der Tür fauchte sie an. „Ist es etwa ethisch, anderen die Hühner zu stehlen?! Und das geht seit Jahren so! Nicht nur Hühner, alles mögliche andere muss dran glauben! Und die Löcher im Zaun werden dauernd repariert, nichts hilft, sie findet immer wieder ein neues! Es ist zum Haare ausreißen! Kann sie nicht mal ein anderes Dorf überfallen?!“ „Einen Moment noch, ich komme sofort zu dir.“, sagte der Vorsteher dazu, „Wir sollten uns tatsächlich endlich mal etwas einfallen lassen für diese nervige Göre... vergib mir. Aber erschossen wird niemand!“ Grummelnd zog sich der kleine Mann zurück und die Gäste sahen einander verblüfft an. „Ist das ein Mensch, der all das Zeug stiehlt?“, fragte Neisa dann, und der Vorsteher seufzte, ehe er nickte. „Ein Mädchen. Sie hat einst hier gelebt mit ihren Eltern. Ihre Mutter war Lianerin, aber ihr Vater ist keiner. Vor vielen Jahren starb die Mutter und daher gab es keine Verbindung mehr zwischen den beiden und unserem Dorf. Und sie waren unheimlich... alle beide. Die Dorfbewohner haben so lange protestiert, bis ich sie rausgeworfen habe, aber inzwischen bereue ich es, denn seitdem haben wir hier nur Ärger. Ich weiß gar nicht, ob der Vater noch lebt, es ist immer nur die Kleine, die hier Unruhe stiftet. Ein Jammer, mir tut das Kind leid. Wieso sucht sie sich nicht einfach eine Arbeit und verdient ihre Nahrung ehrlich, statt sie zu stehlen?“ Er schüttelte bedauernd den Kopf, dann wandte er sich wieder an Eneela. „Tut mir leid, Mädchen. Ich kann leider nichts für dich tun, was deinen Vater angeht. In der Provinz Noheema gibt es auch noch ein paar von uns, aber sonst ist mir kein Ort bekannt, an dem explizit viele Lianer leben. Bist du auf Ghia geboren worden?“ Eneela nickte unglücklich. „Und was ist mit deiner Mutter, wenn ich fragen darf? Ist sie auf Ghia?“ Wieder ein zögerliches Nicken. „Sie... war da, bis vor kurzem zumindest. Sie ist... ist... leider jetzt tot.“ Bedrücktes Schweigen. Der Vorsteher neigte den Kopf. „Vergib mir, ich hätte nicht so forsch fragen sollen... das tut mir aufrichtig leid.“ „Alles, was sie mir gesagt hat, ist, dass sie und mein Vater einst auf Tharr gelebt haben... bis sie nach Ghia gejagt wurden. Sie hat mir nie von ihm erzählt... kein einziges Wort. Ich... habe ihn niemals gesehen, ich dachte... vielleicht ist er entkommen und zurück nach Tharr geflohen, deswegen...“ „So leid es mir tut.“, sagte der Dorfvorsteher, „Was du erzählst, klingt doch eher danach, dass auch er tot ist. Ich kenne deinen Vater nicht, aber würde ein liebevoller Vater seine Familie im Stich lassen und alleine fliehen?“ „Wobei das ja ein Grund sein könnte, wieso die Mutter ihn nie wieder erwähnt hat, vielleicht hat er sie sitzen lassen.“, meinte Tayson verdutzt. Eneela schrumpfte zitternd in sich zusammen, ihre weißen Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie den Kopf tief senkte. „Nein, das glaube ich nicht...“, wisperte sie, „Wenn sie ihn jemals erwähnt hat, wenn sie von Tharr sprach... war sie glücklich. Sie wirkte nicht so, als... spräche sie über einen Schuft, der sie verraten hat.“ Das Dorfoberhaupt schüttelte abermals den Kopf. „Ich fürchte wirklich, du musst... dich mit dem Gedanken anfreunden, dass dein Vater nicht mehr lebt. Also, hier zumindest ist nie ein Dak Kaniy gewesen, solange dieses Dorf steht. Es tut mir leid, Mädchen... ich kann wirklich nichts für dich tun außer dir anzubieten, bei uns zu bleiben.“ Er warf hektisch einen Blick auf die drei anderen, „Ähm, das Angebot gilt aber nur für sie, das versteht ihr, oder? Wir sind schließlich ein Lianerdorf...“ „Natürlich, wir hatten auch nicht vor, zu bleiben.“, meinte Simu dazu und neigte höflich den Kopf. „Dann... sollten wir jetzt vielleicht gehen.“ Er sorgte sich um seinen Bruder den sie beleidigt draußen hatten warten lassen. Karana war zwar aus dem Alter heraus, wegen allem, das ihm nicht passte, schmollend davon zu laufen, aber ein ungutes Gefühl hatte der junge Mann dennoch. Und es betraf nicht allein Karana, stellte er stirnrunzelnd fest, als sie das Haus wieder verlassen hatten und in den Sonnenuntergang sahen. Es war spät geworden... „Gut, Eneela.“, brach Tayson dann fröhlich die Stille, „Das ist doch schon mal was.“ „Was ist was?!“, fauchte Neisa ihn an, „Wir sind nicht schlauer als vorher, du Honk!“ „Wo ist Karana?“, murmelte Simu, der zum Eingang spähte, an dem nur der Wächter zu sehen war. Nun, vielleicht hockte Karana neben dem Tor am Zaun... Eneela unterbrach ihn, die sich plötzlich auf den Boden hockte und zu weinen begann. Die drei anderen sahen sich ratlos an und Tayson verstand gar nichts mehr. „Was ist denn?“, wunderte er sich taktlos und Neisa trat ihm für seine Dämlichkeit auf den Fuß. „Dass du singend ums Feuer tanzen würdest, wenn du hören musst, dein Vater ist wahrscheinlich tot, ist mir klar!“, sagte sie dabei spöttisch, worauf der Mann keine Antwort hatte. „Dein Gefühlsvermögen passt ja auch in einen Babyschuh!“ Die Heilerin hockte sich neben Eneela und versuchte, sie zu beruhigen, ihr eine Hand auf den Rücken legend. Eneela sprach, oder versuchte es, zwischen den Schluchzern war es nicht einfach, sie zu verstehen. „D-der Witz ist, es ist... nicht mal richtig überraschend für mich, ich... habe doch geahnt, dass es so ist... es... ich... ich weiß nur gar nicht, wo ich jetzt hin soll... w-was, wenn er doch noch irgendwo lebt, ich kann doch nicht einfach hier bleiben und ihn vergessen...“ „Dann geh nach Noheema, wie der Alte gesagt hat.“, schlug Simu ihr vor, sich auch herab beugend, während Tayson verhalten darüber meckerte, er wäre total einfühlsam und es würde nur niemand merken. „Wenn du magst, gebe ich dir eine Landkarte, dann findest du den Weg bestimmt. Jetzt weine doch nicht gleich...“ Neisa sah ihn hilflos an, während sie die aufgelöste Lianerin zu beruhigen versuchte, und Simus Lächeln erstarb, als er sich wieder aufrichtete und den Kopf zur Seite drehte. Warum machte er diesem armen Geschöpf Hoffnung? Er selbst suchte doch seit Jahren nach seinen Eltern... oder Hinweisen auf sie... und hatte noch nicht mal den Hauch einer Spur gefunden, egal, wohin er gelangt war. Er glaubte nicht wirklich daran, dass ihr Vater noch irgendwo lebte... wieso sollte er nach Tharr zurückgekehrt sein, wenn er mit der Mutter gemeinsam nach Ghia getrieben worden war? „Möchtest du lieber noch einmal mit uns kommen, Eneela?“, bot Neisa ihr da an, „Wir haben genug Platz für einen Gast. Du kannst dich ausruhen und dir in Ruhe überlegen, was du als nächstes tun möchtest... nach Noheema kommt jeder. Sagals haben überall Verwandte sitzen, über die bekommst du überall eine Unterkunft, und mein Vater hat Kollegen, die aus Noheema kommen, die helfen bestimmt auch gern. Jetzt hör auf zu weinen, wir gehen erst mal wieder heim. Es wird Zeit für das Abendessen!“ Eneela wischte sich hilflos über die hellen Augen. „A-aber... ich kann das nicht annehmen, Herrin! Ihr... Ihr alle wart so gut zu mir, ich verdiene das gar nicht... ich komme mir so elend und nutzlos vor, Ihr... helft mir so sehr und es gibt nichts, mit dem ich Euch entlohnen könnte.“ Tayson hüstelte im Hintergrund und Simu verdrehte die Augen. „Denk nicht mal dran, mein Freund.“, warnte er ihn eindringlich, während die Mädchen sich erhoben. Eneela schien nicht begriffen zu haben, worum es ging, das war auch besser so. Zu der Lianerin gewandt setzte er ein freches Grinsen auf. „Na ja, wie gesagt, geschützte Tierart. Der König würde uns lynchen, wenn wir dich einfach auf der Straße verrecken ließen.“ Es war Neisa, die ihn aus seinen Worten riss und ihn heftig am Arm packte. „Um Himmels Willen, Simu!“, schrie sie dabei erbleichend und alle fuhren herum, als sie aufgeregt nach Westen deutete – und die riesigen Rauchschwaden, die dort zu sehen waren. „D-der Wald!“, fiepte Neisa, „Der ganze Wald muss in Flammen stehen!“ Der Blonde riss keuchend die Augen auf, in dem Moment, als eine Alarmglocke im Dorf läutete und plötzlich aus den Häusern die Lianer gestürzt kamen, panisch schreiend und umher rennend. „Feuer!“, schrien sie, „Es brennt in den Wäldern!“ „W-wie kommt das denn, so trocken war es doch gar nicht!“, machte Tayson, doch Neisa fing schon hysterisch zu schreien und zu wimmern an, während Simu erneut keuchte. „Das ist kein natürlicher Waldbrand...“, stammelte er, „Das sind Menschen, die uns angreifen!“ Er wechselte einen Blick mit Tayson, dem jetzt offenbar ein Licht aufging, während im Westen die Flammen züngelten und sie dumpf in der Ferne das Grölen von vielen, vielen Männern hören konnten. Kriegern... oder vielleicht eher armseligen Sterblichen. „Verflucht, das sind sicher die Verrückten aus Kamien!“, stieß der Schwarzhaarige hervor, „N-nichts wie raus hier, bevor die uns alle nieder rennen! Ich hab die gesehen in Koraggh, das waren hunderte! Vielleicht tausend, das waren Massen!“ Neisa schrie vor Angst, als aus dem Himmel plötzlich ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte – ein Krachen, das keinesfalls ein natürlicher Donner war und das ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Simu zerrte an seiner Schwester, die heftig atmend gen Westen starrte in dem Moment, in dem eine gewaltige Wand aus loderndem Feuer die westliche Seite des Zauns komplett zerschmetterte und der wilden Armee der Bauern den Weg ins Dorf frei gab. „Wir müssen hier weg, verdammt!“, rief Tayson erneut, „Wir können die nicht mit Fäusten erschlagen, die haben Mistgabeln! Und Pferde und – ohne Karanas Zauber sind wir doppelt verloren!“ Damit packte er schon Eneela, die wie festgewachsen da stand und offenbar versteinert war, um sie mit sich zum Ausgang zu zerren. „Das ist der Zorn der Himmelsgeister!“, wisperte Neisa fassungslos, während sie sich an Simus Arm krallte und noch immer wie hypnotisiert nach Westen starrte, als wartete sie auf etwas Bestimmtes. Simu packte sie, um Tayson zu folgen – der Trottel vom Dienst hatte ausnahmsweise mal recht, sie hatten hier nichts mehr verloren. „Das ist kein Himmelszorn, Neisa.“, zischte er nur mit einem letzten Blick auf das gigantische, lodernde Feuer, das das in Panik geratende Dorf ergriff, „Das ist Zoras, ich gehe jede Wette ein.“ _______________________ *lustlos* Irgendwie ist es gammlig, oder? Ist es gammlig? Nichts passiert! Eneela fängt schon wieder an mich zu nerven mit ihrem Geflenne, wird Zeit dass Loron kommt xDD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)