Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten von Linchan (Erstes Buch) ================================================================================ Kapitel 7: Die Launen der Himmelsgeister ---------------------------------------- Leyya Lyra brachte Tee in die Stube, als Karana eine Weile weg war. Die anderen saßen verwirrt und schweigsam auf der Couch und teilweise auch auf dem Boden um den kleinen Stubentisch herum. Neisa beobachtete die Frau aus Fann mit einem unwohlen Gefühl, während die seelenruhig ihren Tee trank und offenbar mit Karanas Verschwinden ihre Sprache verloren hatte. Was war das gewesen? Sie waren von den Geister zu etwas erwählt worden? Warum sie? Zu was genau eigentlich? Was sollte der Unfug? So fragte die blonde Heilerin sich verdrossen und rührte ihren Tee nicht an. Sie saß zwischen der Fannerin und Eneela auf der Couch; letztere hatte sich endlich von ihrem Schock erholt und kauerte wie ein Häufchen Elend in der Ecke des Sofas, ohne jemanden eines Blickes zu würdigen. Neisa wurde das Gefühl nicht los, dass Karana die Lianerin besonders ängstigte, warum auch immer. Er konnte anstrengend sein, aber Angst hatte sie keine vor ihm... er war ihr Bruder. Und er würde ihr niemals ein Haar krümmen... jedem, nur ihr nicht. Der Himmel grollte, während Neisa ihre Teetasse in die Hände nahm und apathisch herum drehte, ohne zu trinken. Sie konnte nicht trinken... ihr Kopf schmerzte und alles, was geschah, verwirrte sie extrem. „Wir werden noch heute aufbrechen nach Yiara.“, sagte ihre Mutter gerade, die sich neben Tayson und Simu auf den Boden vor den Tisch hockte. Sie war nervös... was ihr Vater wohl zu seiner Frau gesagt hatte, bevor er gegangen war? Neisa beunruhigte der Gedanke, dass ihr Vater einfach so schnell weg gemusst hatte... sie mochte es nicht, lange ohne ihn zu sein. „Wir werden bei Tante Alona unterkommen... wir müssen weit weg von hier, falls die aus Kamien wirklich herkommen... im Norden sind wir sicher.“ „Was?“, fragte Neisa tonlos und Simu sah sie über den Tisch hinweg kurz an. „Das ist eine gute Idee. - Tayson, was ist mit dir? Du solltest heim nach Gemi gehen und deine Mutter auch warnen.“ „Hmpf, ihr glaubt echt, die kommen und spießen uns hier auf...? Ich meine, vielleicht wollten sie es nur den Lianern zeigen, in Senjo hassen sie Lianer...“ Simu sagte erst nichts. „Also, ich bin ziemlich davon überzeugt, dass sie nicht nur aus Spaß hier so einen Krawall machen... du hast doch gesehen, wie die abgegangen sind im Dorf unten. Wir sollten das ernst nehmen... erst recht, wenn es wirklich Zoras Derran war, der das Himmelsfeuer gerufen und die Erde beben gelassen hat.“ Tayson zog nur eine Braue hoch und Neisa zischte, jetzt doch etwas Tee trinkend. Zoras, ja... Karanas einziger ernst zu nehmender Rivale in der Schulzeit war er gewesen, was die Macht der Magie anging. Es stieß ihr noch jetzt übel auf, an ihn zu denken im Zusammenhang mit dem Angriff auf das Dorf. „Zoras macht das nicht.“, behauptete sie dumpf und erntete darauf bohrende Blicke, vor allem von Tayson, der dann blöd lachte. „Ähm, hallo? Wenn einer, dann der... der jähzornige Kampfzwerg ist ja wohl durchaus fähig dazu...“ „Ja, aber das ist nicht seine Art.“, protestierte die Heilerin grimmig, „Wir alle kennen Zoras als Lorons Schlägerjungen, aber er würde nicht wahllos irgendwelche Menschen töten! Da sind verdammt noch mal Leute gestorben, das könnt ihr nicht einfach einem etwas verzogenen Mutterkindchen in die Schuhe schieben, weil ihr euch in der Schulzeit nicht gemocht habt...“ Sie trank hastig etwas Tee und sah dabei zu der Frau aus Fann, die sie jetzt grübelnd musterte und ihren Blick dann zu Tayson wandte. Jener brummte gerade. „Ah ja. Und woher... bist du dir da so sicher, Neisa? Seit wann bist du denn so dicke mit Zoras Derran? Ausgerechnet?“ Sie schnaufte und fuhr zu ihm herum. „Hast du eine Klatsche?!“, keifte sie aufgebracht und hätte fast ihre Tasse nach ihm geworfen, da war es ihre Mutter, die eingriff. „Lasst den Unsinn! Himmel, haben wir keine anderen Probleme, Neisa? - Tayson, du solltest wirklich heim gehen, ihr könnt gerne mit uns nach Yiara kommen, deine Mutter und du. Aber wir sollten jetzt das Wichtigste zusammenpacken und... ach, Himmel, wo steckt denn Karana so lange? Kann der mal wiederkommen?“ Sie jammerte unglücklich und Neisa ließ sich ergrimmt wieder zurück ins Sofa fallen, die Tasse abstellend und sich unruhig durch die Haare fahrend. Dann zeigte sie auf die Seherin. „Sprich, Frau!“, verlangte sie kaltherzig und mit einer Autorität, die sie offenbar von ihrem Politikervater geerbt haben musste, „Was hast du gemeint vorhin damit, dass wir auserwählt seien? Wir alle? Und wieso sollen wir die Zerstörung von Khad-Arza verhindern?“ „Vermutlich, weil es sich in einer zerstörten Welt schlecht leben lässt.“, war Simus Antwort, ehe die Blonde sprechen konnte, und Neisa murrte. „Danke für die Information...“ Zum Glück setzte die Seherin sich jetzt aufrecht hin, stellte die leere Teetasse weg und sah Neisa einen Moment ins Gesicht. „Es ist, wie ich gesagt habe. Sieben sind auserwählt. Hier sind einige dieser Sieben versammelt.“ „Wir sind fünf.“, bemerkte Tayson klug und die Seherin grinste. „Du bist eine der Sieben, Neisa. Und Eneela Kaniy gehört ebenfalls dazu, genau wie Simu. Und der, der raus gerannt ist. Das heißt, vier der Sieben sind bereits versammelt... es war Wille der Geister, dass ihr euch begegnet.“ „Halt, Moment, und ich?“, wollte Tayson empört wissen und pustete sich ein paar wirre, schwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die Frau aus Fann beäugte ihn nachdenklich und dachte offenbar angestrengt nach. „Hmm... nein, du nicht. Ich dachte zuerst, aber beim näheren Hinsehen, nein.“ „Wie jetzt?“, stöhnte der junge Mann beleidigt, „Warum nicht?“ „Weil du den Intelligenzquotienten eines gekochten Hühnchens hast...“, machte Simu kleinlaut, wurde von Tayson aber ignoriert. Die Seherin schnaubte. „Das ist keine Vereinigung für Leute, die zufällig in der Gegend sind, ich kann das nicht beantworten, du Honk! Verdammt, jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen wollte!“ Neisa verzog das Gesicht und verschränkte die Arme. „Dabei, uns zu erklären, was genau das jetzt bedeutet und was wir denn machen können, um die Welt zu retten... zu siebt.“ Die Seherin jammerte. „Ja, das weiß ich ja eben nicht mehr! Dieser Horst da hat alles vermasselt!“ Sie zeigte auf Tayson und er schnaufte. „Eben war es noch da! - Himmel, wo bin ich hier noch mal?“ „Ist ja grausam, kann man dagegen etwas tun?“, wunderte Simu sich an seine Mutter gewandt, die nur die Schultern zusammenzog. „Jedenfalls fürchte ich, wenn sie ihr Gedächtnis nicht bald wieder hat, müssen wir sie mit nach Yiara nehmen, wenn wir erfahren wollen, was sie zu sagen hat...“ Mittag war schon vorüber, als Karana zurück nach Lorana kehrte. Es war bewölkt und aus dem Himmel kam ein dumpfes, unheilschwangeres Grollen, als er auf der Dorfstraße stehen blieb und hinauf starrte. Die Geister waren launisch... es geschahen schlimme Dinge. Dinge, die er nicht beeinflussen konnte, und das wurmte ihn. Die Bauern aus Senjo saßen ihnen jetzt im Nacken und würden vermutlich mit der Tür ins Haus fallen – und er hatte keine Ahnung, was er machen konnte, um sie aufzuhalten, ohne dabei ganz Thalurien zu sprengen. Und vielleicht sollte er das einfach tun...? „Ach, das ist doch hirnverbrannt!“, schimpfte er und griff sich fluchend an den schmerzenden Schädel. Die Geister kicherten in seinem Kopf und er verfluchte sie ebenfalls für ihre Schadenfreude. „Mit Feuer und dem Zorn des Himmels werden sie Lorana zum Himmelsdonner jagen... die armseligen Sterblichen.“ Karana schnappte nach Luft – plötzlich wusste er, wo er hin musste. Er wurde schneller, als er durch das Dorf hetzte, um zum Anwesen der Sagals zu kommen, während Niarihs apathische Worte noch durch seinen Kopf spukten. Er wusste nicht, warum seine Füße ihn nach dem ganzen Weg von Aduria hierher noch immer tragen konnten, warum sein Verstand überhaupt noch arbeitete bei dem Überfluss an Informationen, die es gegeben hatte... am liebsten wollte er sich irgendwo hinlegen und schlafen. Aber etwas in ihm trieb ihn dazu, weiter zu rennen, weiter zu denken... eine grauenhafte, innere Wut in ihm, ein Zorn auf die Geister, die es wagten, sich derartig über sie alle hinwegsetzen zu wollen... Niarih kam ihm bereits entgegen, als er das Anwesen ihrer Eltern erreichte; wie immer musste sie vorher gewusst haben, dass er kommen würde. Der Hund rannte die junge Frau beinahe um und bellte sie fröhlich an, aber weder seinem Herren noch der Telepathin war nach Lachen zumute. „Karana!“, keuchte sie, „Du bist zurück... ich habe dich gesehen in den Feuern von Aduria...“ „Du Elende!“, zischte er sie an, „Du... hast gewusst, sie würden angreifen, oder nicht?! Du hast es gesehen und du hast gewusst, was sein würde... sie werden her kommen, oder? Sieh mich an, Niarih, du verd-...“ Er wurde unterbrochen, als sie zurückwich und ihn mit einem kurzen Telekineseschlag zurückstieß. „Reiß dich am Riemen, junger Mann, ich habe nichts von dem gewusst, was passiert!“, machte sie, „Jetzt wissen wir, dass sie kommen werden, die Leute aus Kamien... aber nicht genau, wann. Mein Großvater hat mit dem Dorfoberhaupt gesprochen, wir müssen die Gegend verlassen, wenn wir können... dein Vater ist ja schon nach Taiduhr, um mit dem Senat zu sprechen, mehr können wir im Moment nicht tun...“ „Wieso habt ihr das nicht vorher gewusst?“, brummte er verblüfft, „Ihr seid doch hier die Sagals, ihr habt überall Spione und Kontakte, warum wusste niemand rechtzeitig Bescheid von euch?“ Jetzt etwas ruhiger musterte er sie und sah, wie sie verwirrt die blauen Augen weitete und unsicher den Kopf wegdrehte. Sie wusste es wirklich nicht... er sah Menschen an, wenn sie logen. Und Niarih war insgesamt auch nie eine Lügnerin gewesen. Deswegen hasste sie es ja auch, ihren Vater nicht Vater nennen zu können... Besagter Vater, offiziell Großvater, tauchte in diesem Moment hinter Karana auf und erschreckte den Jüngeren fast zu Tode, indem er plötzlich sprach. „Vermutlich deswegen, weil die Geister gerade extrem launisch sind und Unheil über das Land bringen wollen... in Form von schwarzen Vögeln, die kamen und einer ganzen Reihe meiner Außenposten den Garaus gemacht haben, wie ich inzwischen weiß. Wenn die Geister mich tatsächlich verfluchen wollen, ist es ein verdammt mächtiger Fluch, den sie sprechen... der ganze Reihen meiner Verwandtschaft entweder getötet oder erblinden lassen hat.“ Die Botschaft schlug ein wie ein Blitz und Karana fuhr zu dem Mann herum, Niarih hinter sich schiebend, als wäre er ein Feind. Dasan Sagal musterte ihn mit seinem scharfen, misstrauischen Blick, der den jungen Mann normalerweise sehr beunruhigte – es fühlte sich immer an, als wüsste der Alte ganz genau, was er mit seiner Tochter trieb... und es wäre skandalös, würde das jemand erfahren. Er konnte es gar nicht wissen, tröstete Karana sich dann immer, sonst hätte er längst etwas unternommen gehabt. Auf seinen Stock gestützt und das hinkende Bein etwas abgespreizt verlagerte der Kopf des Sagal-Clans sein Gewicht murrend etwas zur Seite. „Was?“, machte Karana, „Ganze Reihen von Leuten? W-wie denn das?“ „So, wie ich gesagt habe, es waren Vögel. Manche hatten Glück und ihnen wurden bloß die Augen ausgehackt. In den Grenzdörfern und überall dort, wo die Punkte waren, an denen wir früher etwas davon hätten erfahren können. Ich weiß noch nicht mit Sicherheit, wer es gewesen ist, aber ich werde ihn in die Finger bekommen und dann werde ich sein Schicksal besiegeln. Soll der arme Wicht nur glauben, nur weil ich alt und ein Krüppel mit nur einem funktionierenden Bein bin, sei ich leicht zu töten. Wenn sie kommen aus Kamien, schicke ich sie zum Himmelsdonner. Geh, Karana, um meine Enkelin kümmere ich mich schon selbst.“ Er ging an dem Schwarzmagier vorbei zu seiner heimlichen Tochter, um ihr über die blonden Haare zu streicheln. „Geh ins Haus, rasch. Wir wissen nicht, wann sie kommen, und wenn sie es tun, wird es ungemütlich werden, Niarih.“ Das Mädchen nickte und warf im Hineingehen einen letzten Blick auf Karana, der ihr seufzend nachblickte und sich zu einem Lächeln zwang. Er hatte sie gern... er wünschte, ihr Vater wäre jetzt nicht da und er könnte mit in ihr Zimmer kommen, um sie zu lieben. Er vermisste es... er hatte schon mehr als einen Tag lang bei keiner einzigen Frau gelegen, fiel ihm dazu ein, und er dachte flüchtig an das diebische Mädchen aus dem Lianerdorf, das er getroffen hatte – das Mädchen, das wie Saidah aussah und auch in etwa ein ähnliches Verlangen in ihm ausgelöst hatte. Ach, was dachte er da? Dafür war gar keine Zeit... „Herr...“, sprach er dann langsam, als Dasan Sagal ebenfalls schon im Begriff war, zurück ins Anwesen zu gehen, und der alte Mann drehte den Kopf und schenkte Karana einen wissenden Blick. Der junge Mann wusste sehr gut, dass Sagal ein begabter Telepath war, er konnte vermutlich seine Gedanken lesen und wusste, was er fragen wollte, bevor er es selbst tat. Ihm waren Leute, die so viel wussten, irgendwie unheimlich... aber der Vorteil an ihnen war, dass sie einem Fragen beantworten konnten. „Herr, bei uns ist eine Frau aus Fann, zumindest behauptet sie das. Gibt es Blondinen in Fann? Das wusste ich gar nicht.“ Sagal seufzte und drehte sich ganz zu ihm herum. „Du meinst die Seherin vom Stamm der Yalla, die dein Vater mitgebracht hat. Sie kommt tatsächlich aus Fann; gerade weil sie so untypisch für eine Fannerin aussieht, ist sie die Seherin. Es war eine seltsame Laune der Geister, ihr blonde Haare und quasi violette Augen zu verschaffen in ihrem Geburtsort. Aber seltsame Launen der Geister und eigentümliches Aussehen kennzeichnen... ja oft die Mächtigsten.“ Während er sprach, fixierte er den Jüngeren eingehend und Karana wusste tief in seinem Inneren, dass der Mann an seine spitzen Eckzähne dachte, die auch ziemlich eigentümlich waren. „Ich bin etwas verwirrt wegen etwas, das sie gesagt hat... sie sprach von Sieben, die auserwählt seien, Khad-Arza vor dem Untergang zu retten. Und sie... meinte mich. Unter anderem, meine ich.“ „Als ich einmal in Fann war vor vielen Jahren, habe ich dort auch mit Leuten gesprochen, die etwas Ähnliches erwähnten. Sie sagten, es gäbe eine Legende, die die Geister von Himmel und Erde einst unter die Menschen brachten, in der von Sieben Geisterkindern die Rede war; es hieß, sie sollten kommen, wenn das Ende der Welt käme, und ihr Erscheinen würde das Schicksal des Dreiweltenbündnisses besiegeln. Wenn sie jetzt wieder davon sprechen... heißt das wohl, dass das Ende der Welt jetzt tatsächlich kommt.“ „Hat diese Legende zufällig auch gesagt, warum wir und wie wir das machen sollen?“ „Ist es wirklich das, was dich am meisten besorgt, Karana?“, war die dumpfe Antwort, „Der Wille der Geister ist oft unvorhersehbar und eigenartig. Du als Schwarzmagier und begabter Junge müsstest das... eigentlich wissen.“ Karana senkte bitter den Kopf und sagte eine Weile nichts; Sagal war schon dabei, sich abzuwenden, als der Jüngere es auch tat und sprach. „Nein... am meisten wundert mich, dass ein Teil meines Geistes irgendwie schon immer gewusst hat, dass es einmal so kommen würde. Und es wurmt mich tierisch, dass mein ganzes Leben von Beginn an darauf ausgerichtet ist, dass ich vor den Geistern krieche und als ihr Söldner fungieren soll.“ Er war nervös; es lag nicht nur daran, dass er jetzt nicht zu Niarih konnte, obwohl er sich, als er auf dem Weg nach Hause abermals an sie dachte, wirklich wünschte, er könnte sie besuchen wie vor ein paar Tagen, wie er es hin und wieder tat, wenn ihre Eltern nicht daheim waren. Viel nervöser machten ihn die Gedanken an das unmittelbar vergangene und das, was ihnen bevorstand – wenn die Rüpel aus Kamien wirklich nach Lorana kamen? Wer wusste, wie viele Dörfer sie inzwischen schon platt gemacht hatten? Die Geister warnten ihn vor dem unguten Gefühl, das ihn überkam, als er seine Schritte wieder beschleunigte – er wäre beinahe in die Seherin aus Fann hinein gerannt, die plötzlich, als er gerade an seinem Elternhaus ankam, vor seiner Nase auftauchte; gerade noch konnte er bremsen und zischte sie an. „Was stehst du mir im Weg, Frau?! Hast du als Seherin etwa nicht gewusst, dass ich komme?“ Ihre Antwort war nicht ganz das, was er erwartet hatte. „Moment, dich kenne ich, dich habe ich schon mal gesehen. Ich weiß nur nicht, wo...“ Karana starrte sie einen Moment lang an. „Moment – natürlich hast du das, du warst gerade in unserer Stube. Ich bin Karana Lyra!“ „Tatsächlich? Nein, doch nicht wirklich Lyra? Ich hab schon mal einen Lyra getroffen, aber das war in Vialla im Senat des Königs. Das warst du aber nicht...? Obwohl, du siehst ihm ähnlich.“ „Ja, das war mein Vater, den du da getroffen hast...“ Er zog die Stirn in Falten – was war denn mit der auf einmal? Er sah ihr skeptisch ins Gesicht. „Hast du das etwa wirklich vergessen?“ „Ach.“, machte sie amüsiert, „Das passiert oft, ich vergesse plötzlich einfach alles, was ich wichtiges im Kopf haben sollte! Nein, aber als ich sagte, ich hätte dich schon mal gesehen, dachte ich eigentlich an was anderes... ich hab mal von dir geträumt.“ Er seufzte und musterte sie, während sie plötzlich begann, grummelnd auf ihrer eigenen Sprache zu murmeln und offenbar nachzudenken. Für die Jahreszeit war sie wirklich erstaunlich wenig bekleidet – sie trug nicht mal Schuhe und das Bisschen, das sie trug, bedeckte nur gerade so das Nötigste ihres Körpers. Er beobachtete argwöhnisch, wie sie sich die blonden Locken raufte und ungehalten fluchte, bis sie ihm plötzlich wieder aus großen Augen ins Gesicht starrte. „Ich weiß es!“, johlte sie dann, „Du bist der Führer der Schicksalskinder, da habe ich dich gesehen!“ Er musterte sie einen weiteren Moment, ehe er leise seufzte. „Wenn du doch so gut sehen kannst – gehorchen dir die Geister? Haben sie dir gesagt, ob die Leute aus Kamien kommen?“ Auf ihr hübsches Gesicht schlich sich ein diabolisches Lächeln, als er an ihr herunter blickte und schließlich wieder ihre Augen fixierte. Mit einem Mal war ihre Vergesslichkeit dahin – er sah an ihren Augen, wie sie sich Schlag auf Schlag veränderte. „Wenn Lorana brennt, wirst du es sein, der kriecht, Karana Lyra... wenn die Geier des Todes aus dem Schatten kommen und dir die Augen aus picken.“ Er starrte ihr nach, als sie an ihm vorbei schritt und ins Dorf marschierte, und mit einem Keuchen folgte Karana ihr letztlich und holte sie am westlichen Rand des Dorfes ein, wo sie hinter den Häusern des Tischlers und des Bäckers abgeschottet von der Dorfstraße waren. Der Hund war ins Haus gerannt und seinem Herrchen nicht weiter gefolgt. „Warte!“, zischte er und packte ihren nackten Oberarm, ehe er sie gegen den hölzernen, hohen Zaun stieß und verhinderte, dass sie weglief, „Was redest du, Weib?!“ Ihr Blick bohrte sich bis in die Tiefen seiner Seele, so fühlte es sich an, und das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde breiter. „So ärgerlich...? Zügele deinen Zorn, Karana... nicht ich bin es, die dich wirklich wütend macht.“ Während sie sprach, strich sie mit der freien Hand wie zufällig über seine Brust hinab und gelangte zu seinem Gürtel, worauf er die Brauen hoch zog und herunter blickte. Die Geste war eindeutig; er fragte sich noch einen kurzen Moment, ob das eine Falle wäre, aber dann siegte das erwachende Verlangen nach der Frau vor ihm und er beugte sich herab, um ihren Hals zu küssen. „Wütend machtest du mich, wenn du jetzt weglaufen würdest.“, sagte er dann, während er die Hand hob und nach dem dünnen, seidigen Stoff angelte, der ihre üppigen Brüste bedeckte. „Oh nein, nicht doch...“, murmelte sie mit ihrem wissenden Lächeln, „Ich würde nicht wagen, den Prinzen der Geister zu entehren...“ Die Stimme, mit der sie sprach, erregte ihn. In dem Moment, in dem ihre Hände geschickt seine Hose öffneten und er sie mit einem Knurren wie dem eines wilden Tieres fester gegen den Zaun stieß, um sie ein Stück hinauf zu schieben, war er froh darum, dass Niarih keine Zeit hatte. Er war nervös... die innere Unruhe, die die Geister ihm bescherten, machte ihn ungeduldig, er hätte jetzt nicht die Ruhe, sich für Niarih viel Mühe zu geben – und sie verdiente viel Mühe. Zumindest würde er nicht wagen, sie an einem Zaun hoch zu schieben und sie im Stehen zu nehmen. Die blonde Frau schlang mit einem leise Seufzen die Beine um seinen Rumpf, als er sie unruhig gegen die hölzerne Wand presste und ihr dann mit seinen Lippen den Mund verschloss, um ihr Stöhnen zu dämpfen, als er ihr gab, was sie verlangt hatte. Er hatte keinerlei Bindung zu der Frau; eigentlich hatte er zu keiner Frau Bindung, mit der er schlief, Niarih war eine Ausnahme. Aber auch Niarih Sagal war nicht Saidah... die Seherin aus Fann war es ebenfalls nicht, stellte er enttäuscht fest, nachdem er an ihr seinen Druck erleichtert hatte und sie keuchend wieder am Zaun entlang zu Boden rutschte, während er sich aus ihr zurückzog und seine Hose wieder zuknöpfte. Es war Ablenkung vom Wesentlichen; das war Sex eigentlich immer. Er zwang sich, jetzt nicht an Saidah zu denken, während er den Kopf mürrisch nach Süden drehte. „Was glaubst du, Seherin?“, fragte er sie, „Wann kommen sie her?“ Er drehte das Gesicht wieder zu ihr und beobachtete sie, wie sie ihre spärliche Bekleidung zurecht rückte. „Warum fragst du mich? Du bist doch hier der, der mit de Geistern spricht, Sohn des Ratsvorstehers.“ Er zischte grantig. „Verarsche mich nicht, Ryanne von den Yalla. Ich kann unausstehlich werden, wenn ich wütend werde.“ Sie grinste. „Vermutlich... lass mich sehen, Karana...“ Dabei trat sie einen Schritt auf ihn zu und er reckte skeptisch den Kopf hoch, als ihre Finger nach seinen Lippen fassten. Sie schoben sie auseinander und fassten nach seinen spitzen Eckzähnen. Sofort fuhr er zurück und schob sie schnaubend zurück. „Was wird das denn?“ „Ich habe von dir geträumt, als ich noch in Fann war.“, gestand sie ihm mit einem dämonischen Lächeln, während sie die Hand wieder sinken ließ, „Von dir und deinen schicksalhaften Eckzähnen. Die Zähne des Dämons... fürchtest du dich vor dem, was dir bevorsteht?“ „Nein.“, gab er schroff zu hören, „Ich fürchte nur den Zorn der Himmelsgeister und dass sie beschließen, mir meine Gaben zu nehmen.“ „Du fürchtest dich nicht davor, dass deinem Heimatdorf oder deiner Familie etwas zustößt?“ „Nicht, solange die Geister mich nicht im Stich lassen. Und das werden sie nicht wagen.“ Auf sein Gesicht stahl sich ein triumphierendes Lächeln, als er ihr Grinsen verschwinden sah. Er mochte die Reaktionen der Leute, wenn er so redete – sie waren so unterschiedlich. Die Seherin runzelte einen kurzen Moment die Stirn, ehe sie einen Schritt rückwärts tat. „Vorsicht.“, murmelte sie, „Hüte deine Zunge, die Geister hören jedes Wort, das wir sprechen... erzürne sie besser nicht mit deiner Arroganz.“ Karana lehnte grinsend den Kopf zurück und vergrub dabei die Hände in den Taschen seiner Stoffhose. „Soll ich dir was verraten, Seherin? Die Geister haben mich doch auserwählt, sagst du... bin ich dann etwa nichts Besonderes? Ich sage dir, die Geister... beneiden uns um unsere Gaben, und deswegen haben sie uns ausgewählt. Ist es nicht so? Macht mich das nicht zu ihrem Herrn?“ Ryanne der Yalla senkte das Gesicht, um seinem Blick auszuweichen, ehe sie abermals lächelte. „Aber auch ein Herrscher braucht die Loyalität seiner Generäle.“ Der Himmel grollte böse über dem Land. Die untergehende Sonne tauchte Thalurien in ein gefährliches, krankes Licht, als die Familie Lyra ihre Sachen für die Reise nach Yiara soweit gepackt hatte. Es gab nicht viel Gepäck; Leyya hatte ein paar Proviantpäckchen vorbereitet und die Wasserschläuche mit Wasser gefüllt. Jetzt flickte sie alte Wolldecken, die unterwegs zum Schutz vor der zunehmenden Kälte in der Nacht dienen sollten. Der weg hinauf in die Nordprovinz Dokahsan war weit, sie würden mehrere Tage wenn nicht Wochen dorthin brauchen zu Fuß. Simu fragte sich, während er in der Küche saß und Karanas Hund am Kopf kraulte, ob die Seherin sie nicht hinauf teleportieren könnte, wenn sie tatsächlich mitkam. Das würde jedenfalls Zeit sparen. Der Hund bellte, als der Blonde sich seufzend auf dem Stuhl zurücklehnte. Hinter ihm spülte Neisa Geschirr vom Mittagessen, während sie darüber murrte, wo Karana wohl geblieben war. Tayson versuchte, ihr zur Hand zu gehen, wurde aber immer wieder energisch von ihr abgewiesen. Simu gegenüber am Tisch saß das Lianermädchen und machte ein bedrücktes Gesicht, dabei zum Fenster starrend. „Hey, Eneela.“, sprach er sie leise an und sie fuhr richtig zusammen, als hätte er sie geschlagen, ehe sie ihn erbleichend ansah. „J-ja?“ „Ist alles in Ordnung?“ Sie nickte betrübt und verneigte sich im Sitzen ehrfürchtig vor ihm. „V-vergebt mir, Herr, i-ich war in Gedanken.“ „Hör doch endlich damit auf, mich im Plural anzusprechen.“, stöhnte er genervt, „Ich wollte dich fragen, ob du schon weißt, wohin du jetzt gehst. Wir werden Lorana heute Nacht verlassen, hier ist es zu gefährlich. Tayson kommt vermutlich mit, offenbar ist es ihm egal, was aus seinem Dorf wird...“ Er warf dabei einen skeptischen Blick auf Karanas Kumpel, der versuchte, sich der armen Neisa anzunähern. Tayson war an sich kein schlechter Mensch, das wusste der Blonde – er war nur fürchterlich simpel. Vermutlich kam ihm gar nicht in den Kopf, dass seine Mutter sterben könnte, er war einfach nicht fähig, Dinge richtig ernst zu nehmen, hatte Simu oft das Gefühl. Er kannte Tayson schon viele Jahre, sie hatten sich in der Schule als Jungen kennengelernt. Und irgendwie war seitdem weder sein Intelligenzquotient noch sein Verantwortungsbewusstsein größer geworden. Eneela antwortete und riss ihn damit zurück in die Realität. „Ich weiß es nicht genau, ehrlich gesagt... sagtet Ihr nicht, im Osten des Landes gäbe es mehr Lianer? Vielleicht finde ich dort meinen Vater...“ „Vielleicht kannst du die Seherin fragen, sie weiß sicher was über ihn!“, riet Tayson ihr unverhofft und sie blickte ihn konfus an. „Glaubt Ihr?“, wisperte sie, „Ich meine, sie kennt meinen Vater doch nicht mal...“ „Sie kann dir sicher was dazu sagen, sie ist eine Seherin.“, orakelte Neisa beim Geschirr spülen, worauf die beiden Männer sich ansahen und dann zu der Lianerin blickten. Da war etwas dran, stellte Simu erstaunt fest. „Natürlich nur, wenn sie nicht gerade ihr Gedächtnis verloren hat.“, addierte seine Schwester da schon und Eneela seufzte deprimiert. „Aber... a-aber mein Vater ist auch gerade mein kleinstes Problem, ich... mir tun diese Leute aus dem Dorf so leid... sie mussten sterben, weil... weil... wieso überhaupt?! Wie können Menschen so etwas Grausames tun?!“ „Das sind keine Menschen, das sind Rammler aus Kamien.“, schnaubte Tayson und Neisa addierte ein pikiertes Zischen. Die Lianerin senkte bedrückt den Kopf. „Und... und, was ist, wenn die Frau aus Fann recht hatte? Wenn wir wirklich... zu etwas auserwählt sind?“ „Das kann jeder erzählen.“, schnaubte Tayson, „Die Drogen will ich auch, die die nimmt.“ Simu fuhr zu ihm herum und brummte. „War ja klar, dass du dich aufregst. Kannst du, verdammt, nicht einmal ernst sein?“ „Dann sag mir, wieso ihr alle und nicht ich!“, empörte der Schwarzhaarige sich, „Gerade du, Simu! Karana und Neisa sind Zauberer und die da kann beschwören! Aber du bist genauso ein verdammter, langweiliger Nichtmagier wie ich! Was hat er, was ich nicht habe, Neisa?“ Neisa sah ihn blöd an. „Ein Gehirn?“ Simu ignorierte das folgende Gespräch, während er wieder auf Eneela sah und dabei an anderes dachte. Ja, er war nur ein Mensch... dachte er jedenfalls. Er hatte seine Eltern oft mit Ahnungen überrascht, die sich später als korrekt erwiesen hatten, er schien seit seiner Kindheit eine Art sechsten Sinn zu besitzen, wie ihn die Schamanen ebenfalls hatten. Aber dass er ein Schamane oder auch nur ein halber war, hatte Leyya Lyra längst ausgeschlossen; sie als Heilerin war fähig, seine Gene zu identifizieren, oder sie wäre es, wäre er ein Magier. Aber da sie nichts gefunden hatte, konnte er keiner sein. Zaubern konnte er auch nicht und hatte es auch nie probiert... aber Tayson hatte recht, warum gehörte er dann zu einer so komischen Truppe, die auserwählt war, um die Welt zu retten? Vielleicht gerade, weil er kein Magier war... „Komm doch mit uns, Eneela.“, hörte er da seine Schwester sagen und hob den Kopf wieder, worauf auch die Lianerin hoch schreckte. „W-was?“, fiepte sie panisch. Neisa zog die Brauen hoch. „Du solltest mit uns nach Yiara kommen. Meine Tante hat ein großes Haus, da kannst du auch schlafen. Wenn das Schicksal uns zusammengeführt hat, wäre es vielleicht dumm, die Geister zu erzürnen, indem wir uns trennen... natürlich nur, wenn du magst.“ Eneela errötete und neigte hastig den Kopf. „I-ich danke Euch, Herrin... ich weiß gar nicht, wie ich Euch für alles danken soll... ohne Euch wäre ich verloren...“ Ehe sie wieder damit beginnen konnte, sich unterwürfig zu bedanken und für ihre Ohnmacht zu entschuldigen, spürte Simu seinen seltsamen sechsten Sinn plötzlich Alarm schlagen. Er konnte das Gefühl nicht genau beschrieben, er wusste nur, dass etwas Schlechtes kam – einen Moment später ertönte draußen ein lautes Donnern und aus dem Dorf erklangen laute Schreie der Panik. „Die Bauern aus Kamien!“, schrie jemand, „Sie greifen Lorana an! Schlagt Alarm!“ Neisa schrie und Simu sprang sofort vom Stuhl auf in dem Moment, in dem auch seine Mutter mit dem Gepäck in den Flur eilte. „Um Himmels Willen!“, keuchte sie, „Sie sind schon hier?! Und wo ist Karana?!“ „Und die Frau aus Fann?“, stöhnte Tayson, dann wurde er von Neisa am Arm gepackt und aus der Küche gestoßen. „Raus aus dem Haus!“, schrie sie aufgebracht, „Sofort raus hier, Mutti auch! Wir müssen hier raus! Verdammt, bewegt euch doch! Wo ist Karana, Himmel noch mal?!“ Simu keuchte, während er geistesgegenwärtig Eneela am Arm packte und sie gemeinsam aus dem Haus der Lyras stolperten, hinaus auf die Straße. Aar bellte alarmiert und um sie herum ertönten Schreie von Dorfbewohnern, in dem Moment, in dem Simu die Welt zum zweiten Mal brennen sah. Als er den Kopf nach Süden wandte, stand das Dorf in Flammen – und hinter dem Feuer erklang das Getöse der heran nahenden Reiter aus Kamien, die kamen, um ihnen allen den Schatten zu bringen. _______________________________________ haha. Inhaltloses Baka-Kapitel xD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)