Narben der Liebe von BluejayPrime (Tintenherz) ================================================================================ Kapitel 10: Zerrissen --------------------- „Daddy, Daddy, Daddy!“ Kleine bloße Füße huschten über die Wiese, zu Staubfinger hin. Es war noch früh am Morgen, kurz bevor die Sonne aufging, der Wald wurde vom Frühlingsnebel durchzogen und ein paar Vögel zwitscherten bereits in den dichten Baumkronen. Staubfingers Lieblingstageszeit, wenn die ganze Welt stillzustehen schien, kurz bevor das Leben erwachte. Er lag auf der Wiese vor dem Haus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte zu den Sternen hinauf. Brianna hockte sich neben ihn und sah ihn aus großen, blauen Kinderaugen heraus an. „Gehst du heute wieder weg, Daddy?“ Staubfinger lächelte schwach. Das war vermutlich die Frage, die auch Roxane den lieben langen Tag beschäftigte – sofern sie Briannas kleine Schwester nicht gerade genug in Atem hielt. „Du gehst doch nicht wieder weg, oder, Daddy?“ Brianna rollte sich neben ihm zusammen und kuschelte sich an ihren Vater. „Du bleibst hier, oder? Ich will nicht, dass du weggehst!“ Natürlich nicht. Er wollte es auch nicht. Aber, im Gegensatz zu Roxane, war er nicht dafür geschaffen, sein Leben an ein und demselben Ort zu verbringen… Roxane hatte das gewusst, schon immer, und sie machte ihm keine Vorwürfe, obwohl sie nicht allzu begeistert davon war. Aber sie hatte die Sicherheit, dass er immer wieder hierher zurückkehren würde, zu ihr. Zu den Kindern. Die beiden Mädchen hatten diese Sicherheit nicht. Von Roxane wusste er, dass Brianna sich jedes Mal, wenn er verschwunden war – meist, ohne sich zu verabschieden – die Augen aus dem Kopf weinte. Rosanna war noch zu klein, um zu verstehen, was er tat, und ob ihr Vater zu Hause war oder nicht. Brianna dagegen… Staubfinger stützte sich auf den Ellbogen und zog das kleine Mädchen an sich. „Noch nicht.“, sagte er leise. Brianna zupfte an seinem Hemd und verzog das kleine Gesicht. „Ich will, dass du hier bleibst, Daddy.“, sagte sie, den Blick auf den Stoff unter ihren Händen gerichtet, „Bitte, bleib.“ Staubfinger lächelte schwach und zauste ihr den rotblonden Haarschopf. „Vielleicht.“, sagte er sanft, „Vielleicht, Kleines.“ Brianna vergrub das Gesicht in seinem Hemd. „Ich hab‘ Angst, wenn du weggehst, Daddy.“ „Ich komm‘ ja wieder. Ganz bestimmt. Ich versprech’s dir.“ „Und wenn nicht?“ Mit großen Augen sah sie zu ihm auf. „Was ist, wenn die Gepanzerten dich finden? Wenn sie dich auf die Burg des Natternkopfes bringen?“ „Werden sie schon nicht.“, antwortete Staubfinger mit einem Lächeln. Insgeheim hoffte er, dass er recht hatte. Tatsächlich schienen die Spitzel des Natternkopfes in letzter Zeit überall zu sein, welche Stadt man auch betrat, man konnte sich sicher sein, am Marktplatz ein paar silberne Harnische zu sehen. Und da der Natternkopf, wie er aus sicherer Quelle wusste, mit Capricorn zusammenarbeitete… und dieser erinnerte sich bestimmt gut an einen Feuerspucker mit drei Narben im Gesicht, jawohl… „Woran denkst du, Daddy?“ „Hm?“ Staubfinger sah auf. „Nichts. Ist schon gut, Kleines.“ „So würde ich das nicht definieren.“ Staubfingers Kehle zog sich zusammen. Bei allen Feen… Brianna zog die Stupsnase kraus. „Wer ist das, Daddy?“ Bastas Gestalt löste sich aus dem Schatten, er hatte sein Messer wurfbereit in der Hand. „Niemand.“ Staubfinger war sich durchaus im Klaren darüber, wie kläglich dieser Versuch war, Brianna in Sicherheit zu wiegen. „Das ist… Brianna, geh ins Haus. Geh zu deiner Mutter. Bitte.“ „Nichts da.“ Basta hob warnend das Messer. „Die Kleine bleibt hier.“ Die Gedanken in Staubfingers Kopf überschlugen sich wild. Roxane war im Haus, sie schlief, und bei ihr war Rosanna, sie waren hilflos… Staubfinger richtete sich auf, ganz langsam. „Was willst du, Basta?“ Basta zog einen Mundwinkel hoch. „Dich töten. Was denn sonst?“ Brianna stieß einen leisen Schrei aus, sie klammerte sich an ihren Vater. Staubfinger spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Das konnte doch nicht sein… nicht jetzt, das musste ein Alptraum sein… „Nicht hier.“ Seine Stimme klang heiser und krächzend. „Nicht vor Brianna.“ „Das Mädchen bleibt hier. Soll sie sich doch ansehen, was mit Leuten geschieht, die sich Capricorn zu sehr widersetzen.“ Mit einem leisen Fauchen sprang Gwin auf Staubfingers Schulter, und Basta verzog das Gesicht. „Was denn, das verdammte Vieh lebt immer noch? Also gut, dem kann man auch abhelfen, aber vorher…“ „Der Feuerspucker bleibt am Leben.“ Zum zweiten Mal blieben Staubfinger die Worte in der Kehle stecken, als Capricorn ihn abfällig von Kopf bis Fuß musterte. „Er weiß eine Menge über das Feuer, er kann uns nützlich sein. Nehmt ihn mit.“ Brianna wimmerte leise und panisch, weigerte sich jedoch, Staubfingers Hand loszulassen. Basta machte einen Schritt nach vorn, auf Staubfinger zu, doch noch ehe er ihn erreicht hatte, glitt die Welt aus den Fugen. Staubfinger schien schlagartig den Boden unter den Füßen zu verlieren, doch Bastas Gesichtsausdruck zufolge ging es ihm nicht anders; ihre Umgebung schien sich zu drehen, bis sie vollends vor Staubfingers Augen verschwamm, ein schrilles Pfeifen gellte ihm in den Ohren, er konnte Brianna neben ihm vor Angst schreien hören, sie war das einzige, was konstant blieb, konstant neben ihm, was zur Hölle – Schlagartig herrschte Stille. Totenstille. Es war hell – bei allen Feen, war das hell! – und noch immer klammerte Brianna sich an ihn, doch die Umrisse um ihn herum blieben verschwommen, Schemen tanzten vor seinen Augen, Brianna wimmerte und schluchzte leise, und Staubfinger konnte nichts weiter tun, als sie festzuhalten, und zu hoffen, dass dieser Alptraum so schnell wie möglich ein Ende hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)