Narben der Liebe von BluejayPrime (Tintenherz) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Für Sandra, die beste Freundin aller Zeiten und meine ständige Inspiration. Erstes Buch: Der Feuertänzer Staubfinger wusste, dass er sterben würde. Er wusste es von dem Augenblick an, an dem er Basta vor sich auf dem Weg sah, Basta, mit dem Messer in seiner Hand, und dem üblichen weißen Hemd, noch bevor er Bastas Gesichtsausdruck sah – nicht, dass Bastas Gesicht je etwas gutes verhieß, jedenfalls nicht für Spielleute. Er musste nicht erst das Rascheln hinter sich im Gebüsch hören, um zu wissen, dass ihm der Rückweg nun ebenso abgeschnitten war wie Basta den Waldpfad vor ihm versperrte. Es war ein Fehler gewesen, allein nach Ombra zurückkehren zu wollen, nach dem, was gestern auf dem Marktplatz gewesen war, ein Fehler, nicht auf den Schwarzen Prinzen und den Rest der Spielleute zu warten, ein Fehler, heute früh allein zu Roxanes Hof zu gehen. Ein Fehler, für den er nun mit dem Leben bezahlen würde. „Na, Feuerfresser?“ Basta sprach leise – er fürchtete wohl, dass noch mehr Spielleute in der Nähe waren, die Staubfinger zu Hilfe eilen konnten. Er wusste ja nicht, dass ihr Lager noch gut zwei Meilen entfernt war. Zwei Meilen nur… Zwei Meilen, im Wald, mit ein paar wütenden Feuerfingern auf den Fersen, war eine lange Strecke. Nein, es würde keine Hilfe kommen. Staubfinger war allein. „Ich nehme an, du kommst gerade vom Hof deiner Freundin.“ Unwillkürlich machte Staubfinger einen Schritt zurück, als Basta auf ihn zukam, und stieß gegen einen der Feuerfinger hinter sich. Gwin auf seiner Schulter fauchte leise und drohend. Ohne große Mühe packte einer der Feuerfinger – war es Cockerell? Die Namen von Capricorns Männern konnte er sich ohnehin nicht alle merken – den keckernden Marder am Nackenfell. Gwin fauchte und zappelte; mit einem Aufschrei ließ der Mann ihn fallen – auf seiner Hand zeigte sich eine blutig-rote Bissspur. Unwillkürlich musste Staubfinger grinsen. Ein Faustschlag traf seine Wange, so heftig, dass er stürzte, und dass für einen Augenblick Sterne vor seinen Augen tanzten. Er schmeckte Blut, konnte jedoch, als er behutsam mit der Zungenspitze nachprüfte, keine lockeren Zähne feststellen. Basta packte ihn unsanft am Kragen und stellte ihn wieder auf die Beine, seine Spießgesellen hielten die Arme des Feuerspuckers fest. Noch immer tanzten Sterne vor seinen Augen, als Bastas Faust ihn in den Magen traf und ihm erneut die Luft aus den Lungen trieb. Einer der beiden Feuerfinger packte Staubfingers Haar, riss ihm den Kopf ins Genick und hielt ihn fest. Staubfinger hielt den Atem an. Hatte man wohl noch Zeit, die Klinge zu spüren, bevor der Tod eintrat? Natürlich hatte man das; Basta verstand sich darauf, den Tod eines Mannes hinauszuzögern, wenn er es wollte. Roxane… Sie würde ihn verfluchen – eine Frau hatte ohnehin nicht viel zu melden, aber eine schwangere verwitwete Spielfrau war vogelfrei, oder schlimmeres. Erneut schien die Angst ihm die Kehle zuzuschnüren – nicht nur um sich selbst, auch um Roxane… Wieder ein Schlag ins Gesicht; mit einem hässlichen Knacken spürte er, wie seine Nase nachgab. Warmes Blut lief über sein Gesicht, er spürte es auf seinen Lippen; es hinterließ einen seltsam-salzigen, vertrauten Nachgeschmack. „Wir werden ihr einen kleinen Besuch abstatten, wenn wir hier fertig sind, Feuerfresser. Sie wird es bitter bereuen, dass sie mich zurückgewiesen hat, das kannst du sicherlich vorstellen, oder?“ Nicht antworten, Staubfinger., befahl er sich selbst, Nicht antworten, das macht ihn nur wütend… Leider war es schwer, gelassen zu bleiben, während man fast skalpiert wurde und einem das eigene Blut über das Gesicht lief und aufs Hemd tropfte. „Vielleicht sollten wir ihn mitnehmen? Ich würde zu gern sein Gesicht sehen, wenn seine geliebte Hure um sein jämmerliches Leben bettelt.“ Unwillkürlich spannten sich die Muskeln an seinen Oberarmen – nichts, was man tun sollte, wenn einem gerade die Arme auf den Rücken gedreht wurden – und Staubfinger stöhnte auf, als es ihm fast die Schultern aus den Gelenken riss, als Cockerell härter zugriff, um ihn festzuhalten. „Mach ihn fertig, Basta, und dann lass uns von hier verschwinden. Ich hab‘ keine Lust, dem Schwarzen Prinzen und seinem Bären über den Weg zu laufen, und das verdammte Mardervieh hat sich auch schon in die Büsche geschlagen.“, erklang die Stimme eines der beiden Männer neben seinem Ohr. Gwin. Tapferer, schlauer Gwin. Er würde sicher allein zum Lager finden, und wenn er dort ohne Staubfinger auftauchte, würde der Schwarze Prinz wohl begreifen, dass es Probleme gab. Was nichts daran änderte, dass er dann zwei Meilen im Wald überbrücken musste, und in der Zeit hatte Basta ihm, Staubfinger, wohl schon die Kehle durchgeschnitten. Andererseits, wenn es ihm gelang, Basta in ein Gespräch zu verwickeln… „Und wie genau… stellst du dir deine Rache vor, hm? Glaubst du, du kommst ungeschehen davon, wenn du zwei Spielleute umbringst? Der Schwarze Prinz wird-“ „Halt deine vorlaute Zunge im Zaum, sonst schneide ich sie dir heraus.“, zischte Basta und legte ihm die flache Seite der Klinge unters Kinn, „Mal sehen, wie du dann mit dem Feuer sprichst!“ Nicht darauf hören, weiterreden. Zeit schinden. „Wer weiß, vielleicht beleidigst du das Feuer ja, wenn du mich tötest. Vielleicht bringt es Unglück. Du hast kein Amulett, das dich vor dem Feuer schützt, oder?“ Beim Ausdruck in Bastas Augen wurde ihm angst und bange. Zwei Meilen, Staubfinger, zwei Meilen… „Hast du schon vergessen, wie sich Flammen auf der Haut anfühlen? Ich könnte es dir nochmal zeigen, nur zur Erinnerung-“ Der wahnsinnige Hass in Bastas Augen wich einem süffisanten Lächeln; ein Ausdruck, der Staubfinger überhaupt nicht gefiel. „Wie willst du das Feuer herbeirufen, wenn du deine Finger dazu nicht benutzen kannst?“ Für einen Augenblick nahm die Angst ihm den Atem. Basta war durchaus im Stande dazu, ihn zum Krüppel zu schlagen oder zu verstümmeln, und ein Spielmann, der seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte, war meistens nicht einmal mehr seinen Kameraden etwas wert. Erst letzten Winter hatte ein Jongleur, der früher einmal mit ihnen durch die Lande gezogen war, sich in einem Schneesturm verirrt, und binnen einer Woche waren seine Fingerkuppen schwarz geworden und abgefallen. Nun musste der Ärmste sich sein Essen im Ombra erbetteln, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er verhungern würde. „Ich sehe, es hat dir die Sprache verschlagen, Feuerfresser.“, stellte Basta erfreut fest. Er wandte sich an Cockerell und den anderen, dessen Gesicht Staubfinger noch immer nicht gesehen hatte. „Brecht ihm die Finger.“ „Nein!“ In Staubfingers Stimme schwang blanke Panik mit. „Nein, bitte-“ Es raschelte und knackte im Gebüsch neben ihnen und ein weiterer von Bastas Spießgesellen tauchte neben ihnen auf. „Wir haben keine Zeit, Basta, der verfluchte Marder ist zum Lager zurückgelaufen, und die sind jetzt auf der Suche nach Staubfinger. Was immer du mit ihm vorhast, beeil dich, denn mit dem Schwarzen Prinzen und seinem Bären leg‘ ich mich nicht an!“ Basta knurrte unwillig und wandte sich wieder Staubfinger zu. „Also gut, das muss warten. Aber ich bin nicht hierher gekommen, um nun unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, dessen kannst du dir sicher sein, Feuerfresser. Halt ihn gut fest.“, sagte er in Cockerells Richtung, „Dass er mir nicht verschwindet, klar?“ Staubfinger schluckte. Er hörte, wie die Klinge von Bastas Messer aus dem Futteraal glitt – sie hörte sich sehr lang an. Roxane… „Wir werden sehen, wie sehr dich die kleine Schlampe wirklich liebt.“, zischte Basta. Sein Pfefferminzatem strich Staubfinger über das Gesicht, unwillkürlich versuchte er, den Kopf beiseite zu drehen. Es misslang. Basta war flink mit dem Messer, sicherlich, aber im Augenblick brauchte er sich nicht zu beeilen. Er hatte alle Zeit der Welt. Man sagt, dass der menschliche Körper bei schweren Verletzungen Adrenalin ausschüttet, sodass dem Verletzten hinterher die Szenerie nur noch schemenhaft, wenn überhaupt, bewusst ist. Tatsache war, dass dieser Augenblick Staubfinger noch Jahre später in unzähligen Alpträumen heimsuchte, vollkommen detailliert und schonungslos. Nacht für Nacht fuhr er schreiend aus dem Schlaf, weil er die Klinge von Bastas Messer im Gesicht spürte. Er roch seinen Pfefferminzatem, spürte Cockerells Griff schmerzhaft an seinen Schultern, hörte das Lachen der beiden anderen Feuerfinger und seine eigenen Schreie, wie die Klinge Haut und Fleisch zerteilte. Er verlor nicht das Bewusstsein, so sehr er sich auch danach sehnte, nein. Erst, als Cockerells Griff sich lockerte, Basta die blutige Klinge seines Messers achtlos an Staubfingers Hemd abwischte und sich dann hastig mit den Feuerfingern davon machte, als er die Rufe der Spielleute, die sich auf die Suche nach ihm gemacht hatten, bereits hören konnte, als er wimmernd und zusammengekauert auf dem Waldboden lag, die Hände auf das Gesicht gepresst, wurde ihm endlich schwarz vor Augen. Kapitel 1: Begehrt ------------------ Das einzige, was Staubfinger wahrnahm, waren die Flammen. Sie wirbelten um seine Hände, umschmeichelten seinen Oberkörper, ohne ihn jedoch zu verbrennen, und entlockten seinem Publikum, das aus allen Alters- und Berufsklassen stammte und sich vor der kleinen Plattform, auf der er stand, drängte, begeisterte „Aah“s und „Ooh“s. Staubfinger grinste, wisperte ein paar letzte Worte und brachte die Flammen zum Erlöschen. Er verbeugte sich und warf einer Kaufmannstochter von etwa vierzehn Jahren, die in einer der vordersten Reihen stand und ihn fasziniert anstarrte, eine Kusshand zu, während von allen Seiten Münzen in den Korb fielen, den er an der Seite aufgestellt hatte. Suchend glitt sein Blick über den Marktplatz, und schließlich entdeckte er den Schwarzen Prinzen nur wenige Meter entfernt, neben sich den Bären, und bei ihnen… Er streifte sich sein Hemd über und machte sich auf den Weg durch die Menge zu Roxane, nachdem er das Geld aus dem Korb sicher in einem Beutel hatte verschwinden lassen, den er wie üblich unter seinem Hemd trug, doch noch bevor er sie erreicht hatte, trat ihm jemand in den Weg. Ein Eisklumpen senkte sich in Staubfingers Magen hinab, als habe ihn eine Faust getroffen, als er Basta erkannte. Basta, Capricorns treuester Diener, unter dessen Führung schon diverse Dörfer wie dieses hier in Flammen aufgegangen waren. Basta, der sich soeben mit einem Grinsen auf dem Gesicht, das Staubfinger ganz und gar nicht gefiel, an Roxane wandte. „Sieh an, es gibt also auch hübsche Spielfrauen. Ach nein, du bist ja diese Bäuerin, dir gehört der Hof südöstlich von Ombra, richtig?“ „Ja.“ Roxanes Stimme klang ruhig und kühl, doch gänzlich ließ sich die Angst nicht aus ihren Augen verbannen. Staubfinger sah, wie ihr Blick nervös über die Gesichter der Menschen um sie herum wanderte. Schließlich entdeckte sie ihn und wirkte gleich ein wenig entspannter. „Hab‘ davon gehört… he, so ein Bauernhof ist ’ne verdammt riskante Sache, wenn da mal ein Feuer ausbricht…“ Roxanes Augen wurden schmal, doch sie sagte nichts. Staubfinger biss die Zähne zusammen. „Was hältst du davon, stattdessen in Capricorns Unterschlupf zu wohnen? Capricorn kann dich vor Brandstiftern beschützen, weißt du, und außerdem ist da alles aus solidem Stein, so leicht bricht da kein Feuer aus, und die Verpflegung ist auch nicht die schlechteste… he, stell dir das mal vor, wir beide, allein im Wald…“ „Nein, danke.“ Roxane verzog das Gesicht. Basta knurrte leise. „Ah, du bist dir wohl zu fein für uns? Oder glaubst du, du brauchst keinen Schutz, weil du schon einen Beschützer hast?“ Unwillkürlich flackerte Roxanes Blick zu Staubfinger hinüber. Basta folgte ihrem Blick und grinste. „Ah, der Feuerfresser? Natürlich, er kennt sich schließlich mit sowas aus.“ Der verachtende Blick, mit dem Basta ihn maß, ließ Staubfinger einen Schauder über den Rücken laufen, doch er trat neben Roxane, nahm ihre Hand und drückte diese leicht. „Ich schätze, du solltest jetzt verschwinden.“, sagte der Schwarze Prinz von der Seite, „Capricorns Männer sind in diesem Teil des Landes nicht gern gesehen, weißt du?“ Basta setzte zu einer Bemerkung an, die vermutlich mehrere Beleidigungen und diverse Gewaltfantasien beinhaltete, verkniff sie sich jedoch, als der Bär sich drohend hinter dem Schwarzen Prinzen aufrichtete und ein leises Grollen von sich gab. „Wir sehen uns.“, sagte Basta mit einem Unterton, der Staubfinger ganz und gar nicht gefiel, „Wir sehen uns, Feuerfresser, keine Sorge.“ Feuer. Feuer, das in ihm brannte. Es war nicht wie das Feuer, mit dem er auftrat, nein. Dieses Feuer verschlang ihn. Es zog sich durch seinen Körper, loderte in jeder Faser. Es fraß ihn auf. Es leckte an seinem Oberkörper, seinem Gesicht. Er würde sterben. Staubfinger sehnte sich den Tod herbei. Bitte, macht, dass es aufhört, schickt mir die Weißen Frauen, bitte… „Staubfinger.“, wisperte eine Stimme, „Staubfinger, um Gottes Willen…“ Das waren nicht die Weißen Frauen. Er kannte diese Stimme, und er kannte auch die Hand, die ihm sanft und liebevoll das blutverklebte Haar aus der Stirn strich. Angenehme Kühle blieb zurück – und der Schmerz. Mit einem erstickten Aufstöhnen versuchte er, den Kopf beiseite zu drehen. Es gelang ihm nicht, stattdessen riss die plötzliche Bewegung die kaum verheilten Wunden auf seinem Gesicht wieder auf. Er war sich nicht ganz sicher, ob er geschrien hatte, aber der sanfte Druck auf seine Hand verstärkte sich. „Pscht.“, wisperte Roxane, „Ist ja gut, Staubfinger. Ich bin hier.“ Sie hielt seine Hand fest, ganz fest, als fürchtete sie, ihn zu verlieren, wenn sie ihn losließ. „Wer hat dir das angetan, Staubfinger? War es Basta?“ „Natürlich.“ Der Schwarze Prinz nahm neben Roxane Platz und warf einen besorgten Blick auf Staubfinger, der wieder reglos dalag. „Scheint so, als wären wir gerade noch rechtzeitig gekommen.“, murmelte er. „Ich weiß es nicht.“ Roxane biss sich auf die Lippen. „Ich… er hat hohes Fieber, Prinz. Ich weiß nicht, ob er das überlebt, w-wenn er keinen Bader bekommt….“ „Kein Bader in Ombra wird ihn behandeln, und die wenigstens Dörfer haben ihren eigenen Bader… und wenn wir in der Natternburg nach einem Arzt suchen, sind wir gehängt, bevor wir überhaupt einen gefunden haben. Was ist mit der Nessel?“ „Sie hat mir bereits recht klar zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht um die Spielleute schert, und dass sie nicht allzu viel von uns hält.“ Roxane seufzte tief. „Es gibt einen Bader in der Nähe der Natternburg. Man sagt, er schickt niemanden fort, ob Spielmann oder nicht, und er verlangt nicht allzu viel Geld.“ Etwas weiches rollte sich neben Staubfinger zusammen, er spürte Gwins buschigen Schwanz an seiner Hand. „Gwin vermisst seinen Herrn, hm?“ Der Schwarze Prinz grinste leicht und kraulte das Nackenfell des Marders. „Da ist er nicht der einzige.“, murmelte Roxane. Der Prinz sah zu ihr. „Ihr solltet nicht hier bleiben. Falls Basta vorhatte ihn umzubringen – was ich nicht bezweifle – kommt er höchstwahrscheinlich her, um sein Werk zu vollenden und seine Drohung wahrzumachen. Ich kann euch schlecht eine Truppe Spielmänner zum Schutz dalassen.“ Roxane, die Staubfingers Hand noch immer fest umklammerte, berührte behutsam die Schläfe des Feuerspuckers mit den Fingerspitzen. „Ich kann meinen Hof nicht verlassen.“, sagte sie leise, „Basta würde ihn niederbrennen. Der Hof ist alles, was ich habe, Prinz.“ Der Schwarze Prinz seufzte leise. „Nun gut, ich werde sehen, wie weit wir unsere Abreise noch hinauszögern können, aber viel Zeit bleibt uns nicht. Denkst du, du kannst dich allein um Staubfinger kümmern, vielleicht mit der Hilfe von ein paar der anderen Frauen?“ „Ich weiß es nicht.“ Roxane schloss für einen Augenblick die Augen und atmete tief durch. „Ich weiß es wirklich nicht, Prinz.“ Kapitel 2: Beraubt ------------------ „Staubfinger?“ Roxane nahm neben ihm Platz und strich ihm über den Handrücken. „Kannst du mich hören?“ Er bewegte sich schwach, sie konnte ihn leise stöhnen hören, als seine aufgesprungenen Lippen zuckten. „Pscht.“ Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. „Nicht reden, ja?“ Staubfinger antwortete nicht, doch der Druck auf ihre Hand verstärkte sich unmerklich. „Ich muss die Verletzungen säubern.“, fuhr Roxane leise fort, „Damit sie sich nicht noch mehr entzünden.“ Staubfingers Druck auf ihre Hand erhöhte sich unmerklich; er gab sein Einverständnis. „Also gut.“, murmelte Roxane, „Abgekochtes Wasser, Weißdornlösung und Alkohol für die Schnitte… fangen wir mit dem Wasser an.“ Sie griff nach einem der Tücher, die sie bereitgelegt hatte, und schob ihre freie linke Hand wieder unter Staubfingers. „Drück, so fest du willst.“, sagte sie leise und machte sich daran, Staubfingers Gesicht von Schmutz und getrocknetem Blut zu befreien, möglichst, ohne dabei die Wunden auf seinem Gesicht zu berühren. Es wurde für sie beide eine Tortur. Staubfinger zuckte und biss sich die Lippen blutig, wenn sie sein Gesicht nur berührte, und Roxane tat ihr bestes, um ihn zu schonen, doch es gelang ihr kaum. Als sie fertig war, hatte sich das Tuch in ihrer Hand dunkelrot gefärbt und die Hand, die sie Staubfinger überlassen hatte, war rot angelaufen. Sie beugte sich vor und küsste ihn behutsam auf die Lippen. Einem plötzlichen Impuls folgend blieb sie neben ihm liegen, den Kopf an seiner Schulter, und strich ihm behutsam mit einer Hand über die Brust. Staubfinger blinzelte schwach, starrte aus fiebrig-glänzenden, halb geschlossenen Augen zur Decke. „Es tut mir so leid.“ Sie war sich nicht sicher, ob er sie überhaupt verstand, doch sie sprach trotzdem weiter. „Wenn ich Basta nicht abgewiesen hätte, dann hätte er dir das nicht angetan…“ „Wenn ich… auf dich gehört hätte…“ Seine Stimme war so leise, dass sie ihn kaum verstand. „…dann hätte er das… auch nicht…“ „Aber gefunden hätte ich ihn trotzdem, egal, ob du dann daneben stehst oder wer auch immer.“ Roxane fuhr zusammen. Mit einer Bewegung stand sie neben dem Bett. „Verschwinde aus meinem Haus!“, fauchte sie, „Sofort!“ Basta grinste, zog sein Messer hervor und fuhr mit dem Daumen prüfend über die Klinge. „Und wenn nicht, was willst du dann tun, mich ohrfeigen?“ Verdammt! Roxane verschränkte die Arme – mehr, um dafür zu sorgen, dass ihre Finger nicht mehr zitterten, als um sich zu schützen. Basta war sicherlich nicht allein, und sie konnte weder kämpfen noch – Die Lampe. Auf einem Tisch neben der Eingangstür, direkt neben Basta, flackerte ein Windlicht, eine kleine Lampe, die sie gerade benutzt hatte. Hinter sich konnte sie Staubfingers Stimme hören, so leise, dass sie ihn kaum hören konnte, und Basta tat es mit Sicherheit nicht – aber würde das Feuer ihn hören? Basta machte ein paar Schritte nach vorn, auf Roxane zu, die unwillkürlich ein Stück zurückwich. „Na, wie geht es denn dem Feuerfresser?“ „Nicht besonders.“ Nervös fuhr sich Roxane mit der Zungenspitze über die Lippen. Die Flamme der Kerze flackerte leicht, einige Funken stoben auseinander, erloschen jedoch recht bald wieder. Staubfinger redete noch immer kaum hörbar ohne Unterlass auf die Flammen ein, doch sie gehorchten nur träge; er war zu schwach und zu weit entfernt… „Ja, das dachte ich mir auch schon.“ Ein weiterer Schritt auf Roxane zu, sie wich erneut zurück und stieß gegen Staubfingers Lager. „Falls du allein gekommen bist, Basta, kann ich dir versichern, dass du diesen Ort nicht lebend verlassen wirst.“ Irrte sie sich oder war ihre Angst so deutlich in ihrer Stimme zu spüren? „Der Schwarze Prinz ist ganz hier in der Nähe, und wenn er dich hier findet, dann…“ „Ich bitte dich.“ Basta gähnte demonstrativ. „Der Schwarze Prinz hat sein Lager etwas entfernt von hier im Wald, das weiß ich, und er ist genau dort, und nirgendwo sonst. Abgesehen davon bin ich nicht allein gekommen – Cockerell und der Schlitzer warten draußen. Und sie sind nicht die einzigen.“ Ruckartig packte er ihre Schulter, riss sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Mund, das Messer an ihren Rücken gedrückt. Roxane knurrte leise – und biss ihm mit aller Kraft auf die Unterlippe. Basta stieß einen unterdrückten Fluch aus und schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Mit einem leisen Aufschrei ging Roxane zu Boden, stellte jedoch von dort aus erfreut fest, dass Bastas Unterlippe blutete. Er packte sie im Genick wie ein Kaninchen und zerrte sie hoch. „Weißt du, was ich für gewöhnlich mit Frauen tue, die mich zurückweisen?“, zischte er, seine Lippen dicht neben ihrem Ohr. „Du schreibst ihnen Gedichte?“, riet Roxane und zappelte in seinem Griff, es gelang ihr jedoch nicht, sich zu befreien. Sie konnte Bastas Hände auf ihrem Rücken spüren, er legte einen Arm um sie und hielt sie fest, während die andere Hand recht zielstrebig über ihren Körper glitt. „Wenn du mich noch einmal beißt, breche ich dir jeden Knochen, und deinem Feuerfresser ebenfalls!“, zischte er. Sie spürte seinen Atem im Genick und wusste jetzt schon, dass sie für den Rest ihres Lebens nie wieder Minze riechen können würde, ohne an diesen Augenblick zu denken. Noch einmal mobilisierte sie all ihre Kräfte, riss ihren Arm los und griff nach dem Windlicht auf dem Tisch, um Basta dieses mit aller Kraft gegen den Kopf zu schlagen. Sie traf; Bastas Griff lockerte sich und sie befreite sich von ihm. Wütend schlug Basta mit der Hand auf die kleinen blauen Flammen, die an seinem Ärmel leckten. In seiner Hand blitzte sein Messer auf und er setzte dazu an, sich auf sie zu stürzen, doch bevor er eine Bewegung machen konnte, nahmen die Flammen an seinem Ärmel schlagartig Gestalt an. Hinter Basta konnte Roxane Staubfinger erkennen, der irgendwie auf die Beine gekommen war und seine verbliebene Kraft dazu nutzte, die Flammen an Bastas Mantel höher wachsen zu lassen und Capricorns Stellvertreter gleichzeitig so gut er konnte zusammenzuschlagen. Basta schrie auf, als die Flammen an seinem Körper empor wanderten und hastig wandte Roxane den Blick ab und griff nach Staubfingers Hand. „Raus hier! Staubfinger, hörst du mich?“ Der Feuerspucker konnte sich sichtlich kaum auf den Beinen halten, Blut lief ihm über das Gesicht und Roxane musste einen Arm um ihn legen und ihn stützen, doch sie erreichten die Tür des kleinen Hauses, bevor Basta es tat, und gerade, als Staubfinger draußen die Kräfte verließen und er wieder zu Boden sackte, ging der hintere Teil des Hauses in Flammen auf. Später konnte Roxane nicht sagen, wie lange sie beide eng umschlungen auf dem Waldboden gehockt hatten oder wie sie dahin gelangt waren. Sie erinnerte sich dunkel, Staubfinger hoch- und hinüber in den Wald gezerrt zu haben, in den Wald, in der Hoffnung, dass Capricorns Männer vorläufig zu beschäftigt damit waren, Basta zu retten, als sich um sie zu kümmern, doch weit waren sie nicht gekommen; es war ein Wunder, dass Staubfinger sich überhaupt so lange hatte auf den Beinen halten können, und auch ihre Beine hatten ihr den Dienst verweigert. Schließlich waren sie beide, am ganzen Körper zitternd, auf dem Waldboden sitzen geblieben. Staubfingers Schläfe ruhte an ihrer Schulter, sein Blut tropfte auf ihr Hemd hinunter und er hatte die Arme um ihre Hüfte gelegt, drückte sie an sich, als fürchtete er, dass sie verschwand, wenn er sie losließ, während sie noch immer am ganzen Körper zitternd seine Schultern festhielt, bemüht, Bastas Hände aus ihrem Kopf zu verdrängen, die sie noch immer überall spürte. „Es tut mir leid.“, wisperte Staubfinger, immer und immer wieder, „Es tut mir leid, Roxane, es tut mir leid, so leid, ich hab‘ auf Basta gezielt, nicht auf das Haus, nur auf Basta, es tut mir leid…“ „Ich weiß.“ Behutsam strich sie ihm über den Hinterkopf, wiederholte ihre Worte in demselben monotonen Singsang. „Ich weiß es doch, Staubfinger. Es war nicht deine Schuld.“ Kapitel 3: Bewacht ------------------ Roxane war sich durchaus im Klaren darüber, was sie für einen Anblick bieten musste. Ihr Kleid war von Basta zerfetzt worden und außerdem über und über mit Staubfingers Blut verschmiert, außerdem klatschnass vom Regen, der im Laufe der Nacht eingesetzt hatte, und es war kein Wunder, dass dem Schwarzen Prinzen die Augen aus dem Kopf fielen, als sie im frühen Morgen, als sie sich endlich getraut hatte, Staubfinger kurzzeitig allein zu lassen und sich auf den Weg ins Lager der Spielleute zu machen, vor ihm auftauchte, dreckbespritzt und offenbar mehr tot als lebendig. So brauchte sie ihn auch nicht allzu lange davon zu überzeugen, sie zu begleiten, und der Prinz folgte ihr zusammen mit Wolkentänzer, einem weiteren Freund Staubfingers, und half ihr dabei, Staubfinger im Lager der Spielleute unterzubringen und ein neues Kleid für sie zu organisieren. Der Regen hatte Staubfinger ganz und gar nicht gut getan, ebenso wenig wie nahezu durchwachte Nacht im Wald. Er reagierte nicht, als Roxane ihm half, auf einem Lager in einem der Zelte Platz zu nehmen, und als Roxane besorgt über seine Stirn strich, stellte sie fest, dass das Fieber erneut gestiegen war. Und jetzt hatte sie weder Desinfektionsmittel noch die Kräuter von ihrem Hof, mit denen sie ihn behandeln konnte… Kein Zweifel, Staubfinger musste zu einem Bader, und das schnell. „Prinz?“ Roxane nahm draußen vor dem Zelt neben ihm Platz. „Wann werdet ihr weiterziehen?“ Der Prinz lächelte schwach. „Sobald wie möglich, wenn ihr mit uns reist. Der Schleierkauz wird sich freuen, Staubfinger einmal wiederzusehen… wenn er es sich auch sicher unter anderen Umständen erhofft hat.“ „Wie lange werden wir brauchen?“ „Drei bis vier Tage sicherlich. Der Regen hat die Straßen aufgeweicht und wir werden einen Karren oder vergleichbares für Staubfinger brauchen… ich glaube nicht, dass er sich auf den Beinen halten kann, oder?“ Roxane schüttelte den Kopf. Sie spürte, wie der Gedanke an Staubfinger ihr Tränen in die Augen steigen ließ. Immer, wenn sie auch nur blinzelte, sah sie gleich wieder dieses schreckliche Bild vor sich, Staubfinger, wie er schreiend und wimmernd auf dem Waldboden lag, zusammengekauert wie ein Kind, die Hände aufs Gesicht gepresst, das Blut, das zwischen seinen Fingern hervor sickerte… „He.“ Der Prinz klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Er kommt schon wieder auf die Beine.“ „Das hoffe ich.“, sagte Roxane leise. Der Prinz sah sie einen Augenblick lang besorgt an. „Und wie geht es dir…?“ „Hm?“ Roxane sah zu ihm. „Es geht mir gut. Denke ich. Glaube ich. Wie auch immer. Ja, es geht mir gut.“ Mit diesen Worten drehte sie sich rasch um und verschwand zurück ins Zelt. Die sorgenvollen Blicke des Prinzen folgten ihr. „Du willst mir also sagen, dass es vieren meiner besten Leute nicht gelungen ist, einen ohnehin schon verletzten Feuerspucker und eine hilflose Bäuerin zu töten?“ Wenn Blicke hätten töten können, wäre wohl jeder von Capricorns Männern auf der Stelle zu Staub zerfallen. „Nein, ihr lasst euch auch noch von ihnen derart übel zurichten, dass Basta nun ein paar Tage außer Gefecht gesetzt sein wird, und beide euch entkommen, mit nichts als einer Kerze und einem Marder!“ Capricorn hatte leise begonnen, inzwischen schrie er Cockerell allerdings fast an. Der Angesprochene wünschte sich seinerseits nichts weiter, als wie der besagte Marder in einem Loch verschwinden zu können. „Der Marder beißt.“, warf Flachnase vorsichtig ein, was ihm einen weiteren lodernden Blick von Capricorn eintrug. Capricorn atmete tief durch. „Nun gut. Basta führt einen Privatkrieg gegen diesen Feuerspucker, sei’s drum, aber die Frau hat uns öffentlich bloßgestellt, und das ist ihr Todesurteil. Findet sie, egal, wo sie sich verkriecht, habt ihr verstanden? Tötet sie, alle beide, und ebenso jeden, der das zu verhindern sucht!“ „Sie stehen unter dem Schutz des Schwarzen Prinzen.“, erwiderte Cockerell vorsichtig, doch er verstummte schlagartig, als Capricorns Blick ihn traf. Als Roxane das Zelt betrat, war Staubfinger bei Bewusstsein. Er blinzelte, als er ihre Schritte hörte, es gelang ihm jedoch nicht, die Augen vollständig zu öffnen. „Ich… hab‘ dich draußen mit dem Prinzen reden hören.“, murmelte er, als sie sich neben ihn setzte. „So?“ Roxane legte ihm prüfend eine Hand auf die Stirn. Staubfinger stöhnte leise, stieß sie jedoch nicht weg. Nein, das Fieber war nicht gesunken… „Es… geht dir nicht gut… oder…?“ „Besser als dir jedenfalls.“ Ungeachtet seines verhaltenen Protestes beugte sie sich vor und küsste ihn auf den Mund. „Du hörst keine Weißen Frauen mehr?“ „Manchmal.“ Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer, aber solange er mit ihr redete, kam er wenigstens nicht auf die Idee, den Weißen Frauen zu antworten. „Wenn ich… allein bin…“ „Dann lass‘ ich dich nicht mehr allein.“ Sie griff nach seiner Hand und fuhr prüfend mit dem Daumen über die Fingerknöchel. „Immerhin hast du dir an Bastas Kiefer nicht die Hand gebrochen…“ Staubfingers Mundwinkel zuckten, doch er bemühte sich, sein Gesicht nicht zu sehr zu bewegen. „Glaubst du… er ist tot…?“ „Nein.“, sagte Roxane leise. Sie hielt inne und drückte seine Hand leicht. „Er war nicht allein da, und Cockerell und der Rest werden ihm zu Hilfe geeilt sein.“ „Schade.“, murmelte Staubfinger. „Du hast gehört, wohin wir dich bringen werden, oder…?“ „Hmh.“ Unter halb geschlossenen Augenlidern sah er zu ihr auf. „Du… siehst hübsch aus… weißt du das? Minas Kleid steht dir gut…“ Nun musste sie doch lachen, leise und während ihr Staubfingers halbherziger Versuch, sie aufzumuntern, erneut Tränen in die Augen steigen ließ. Sie spürte kaum, wie sie über ihr Gesicht liefen, bis Staubfinger ihr behutsam über die Wange strich. „Hey…“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, als er sie mit für jemanden in seinem Zustand erstaunlicher Kraft neben sich zog. „Nicht weinen.“, wisperte er, „Ich bin ja hier…“ „Ich weiß.“ Ihre Stimme klang seltsam erstickt, als sie die Wange gegen sein Hemd drückte. „Lass mich nicht allein, hörst du, Staubfinger?“ Er lächelte schwach. „Werd‘ ich nicht.“, murmelte er, „Und wenn doch… dann find‘ ich einen Weg zurück. Versprochen.“ Behutsam wanderten seine Finger durch ihr Haar. Roxane griff nach seiner Hand und drückte sie. Staubfinger lächelte schwach, sagte jedoch nichts. Schon bald wurden seine Atemzüge ruhiger und gleichmäßiger; er war eingeschlafen. Es hatte wieder zu regnen begonnen, sie konnte die Tropfen vereinzelt auf das Zeltdach fallen hören und die Stimmen der Spielleute draußen im Lager. Staubfinger murmelte etwas leises, unverständliches, wachte jedoch nicht auf, als Gwin auf die Liege kletterte und sich auf der Brust seines Herrn zusammenrollte. Roxane seufzte leise und drückte Staubfingers Hand etwas fester. Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie daran zurückdachte, wie sie bei den Spielleuten gelebt hatte. Sie war als Kind zu ihnen gekommen, nachdem ihre Eltern mitsamt dem Rest ihres Dorfes von Capricorns Männern getötet worden waren, und vom ersten Tag an hatte sie nichts als Ärger mit einem gewissen rothaarigen Jungen gehabt. Für ihn war sie anfangs nur ein Eindringling in die Welt der Spielleute gewesen, jemand, der nicht zu ihnen gehörte und immer ein Außenseiter bleiben würde… „Was kannst du?“ „Was?“ Sie drehte sich zu dem Jungen um, der sich hinter ihr aufgebaut hatte. Er war fast einen Kopf kleiner als sie und gut zwei Jahre jünger, vielleicht acht oder neun Jahre alt, doch unter einem zerzausten rotblonden Haarschopf funkelte er sie an, als habe sie ihn tödlich beleidigt. „Was-du-kannst.“, wiederholte er in schulmeisterlichem Tonfall, „Singen, tanzen, jonglieren? Wenn du zu uns gehören willst, musst du uns auch helfen, Geld zu verdienen. Also, was kannst du?“ „Ich… ich weiß nicht. Und überhaupt, was geht dich das an? Du stehst doch auch nicht mit den Erwachsenen auf dem Marktplatz!“ „Ich könnte aber, wenn ich wollte.“ „Ach, wirklich? Was kannst du denn dann tolles?“ „Ich werde ein Feuerspucker.“ Ungewollt musste das Mädchen lachen. „Was? Du?“ „Ich.“, bekräftigte ihr Gegenüber, „Ich werde ein Feuerspucker. Der beste.“ Langsam gelang es ihr, ihren Gegenüber einzuordnen. „He, bist du nicht der, der sich gestern beinahe in Brand gesteckt hat bei dem Versuch, das Lagerfeuer zu löschen, indem er es anzischt?“ „Ich hab‘ es nicht angezischt!“ Er stemmte die Hände in die Hüften und bemühte sich, den Rest seiner angeknacksten Würde aufrechtzuerhalten. „Ich kann mit dem Feuer sprechen. Die Feuerelfen haben es mir beigebracht.“ „So?“ Misstrauisch musterte Roxane den Jungen vor sich. „Ich dachte, Feuerelfen richten einen übel zu, wenn man in die Nähe ihrer Nester kommt.“ „Mich nicht!“ „Und warum das?“ „Weil… weil ich das so will.“ „Ah.“ Richtig, der arme Junge hatte neulich wegen ebenjenen Hirngespinstes zwei Wochen im Krankenzelt verbracht. „Warum schleppst du dieses Rattenvieh mit dir herum?“, ging sie ihrerseits zum Gegenangriff über. Die Augen des Jungen wurden schmal wie Schlitze. „Das ist ein Marder!“ „Es sieht aber aus wie eine Ratte.“ „Weil er noch klein ist!“ „Es ist eine Ratte.“ „Ein Marder! Da, er hat zwei Hörner.“ „Marder haben keine Hörner.“ „Dieser schon! Er ist keine Ratte, er heißt Gwin.“ „Ratten können auch Gwin heißen.“ „Er ist aber ein Marder!“ Und in der Art war das Gespräch dann weitergegangen, bis sie von einem der erwachsenen Spielleute zum Spüldienst verdonnert worden war und sich ihr neuer Bekannter mitsamt seinem Marder davongemacht hatte. Roxane warf dem jungen Mann auf der Liege neben sich einen zärtlichen Blick zu. Ja, ein vorlautes Mundwerk hatte er schon immer gehabt, und schon damals war Gwin sein ständiger Begleiter gewesen… Zwischen ihnen hatte es immer wieder kleinere Scharmützel gegeben; kaum, dass er das Feuer einigermaßen beherrscht hatte, hatte er es dazu benutzt, ihr das Kleid oder die Haare anzusengen, und anschließend hatte sie ihn zum Dank in den Fluss geschubst oder ihm Brennnesseln unters Hemd gesteckt. Regelmäßig waren sie natürlich beide erwischt und in verschiedene Zelte verbannt worden, damit sie kein Unheil mehr stiften konnten, aber ihre Balgereien waren nie so weit gegangen, als dass sie dem anderen wirklichen Schaden hatten zufügen wollen. Schlagartig weniger geworden waren ihre Streitereien erst, als sie zusammen mit den Erwachsenen zum ersten Mal auf dem Marktplatz gestanden hatte. Damals war sie sechzehn gewesen. Staubfinger wartete schon auf sie, am Rand des kleinen Dorfes. Das tat er öfters; meistens zusammen mit dem dunkelhäutigen Jungen, der ihm auf Schritt und Tritt folgte; doch diesmal war er allein. „He, Roxane!“ Sie ignorierte ihn und ging weiter – die Sonne ging bereits unter, und sie wollte vor Einbruch der Dunkelheit zurück im Lager sein. „Roxane, warte!“ Mit wenigen Schritten hatte er zu ihr aufgeholt und hielt ihren Arm fest. Sie blieb stehen. „Was ist denn?“ Staubfinger fuhr sich nervös mit einer Hand durchs Haar; er trug es seit neuestem länger, vermutlich, weil ihm eines der Mädchen im Lager gesagt hatte, dass es verwegener aussah. Mädchen – noch so ein ständiger Streitpunkt zwischen ihnen. Erst letzte Woche hatte sie ihn mit Alisa erwischt, einer der Seiltänzerinnen, und die Woche davor, das wusste sie ganz genau, hatte er sich mit einer anderen herumgetrieben, bis ihr Vater ihm eine Tracht Prügel verabreicht hatte. „Ich war heute auf dem Marktplatz.“ „Ah, und jetzt willst du mich wegen meiner Stimme aufziehen?“ Gwin, der wie üblich auf Staubfingers Schulter hockte, keckerte leise. Unwillkürlich verzog Roxane leicht das Gesicht. „Nein, nein… ich meine, was ich dir sagen wollte, das war wirklich gut… ich meine, ich weiß nicht, ob du das gemerkt hast, aber die Leute waren ganz… ganz fasziniert von dir, weißt du?“ Roxane verdrehte die Augen. „Auf den Trick fall‘ ich nicht herein, ich war furchtbar, und das weiß ich selbst, also such dir eines der anderen Mädchen aus dem Lager dafür.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte gehen. „Ich fand’s gut.“, sagte er leise. Verdutzt blieb sie stehen. „Was?“ Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Ich fand’s echt gut.“, wiederholte er vorsichtig, „Wirklich.“ „Oh.“ Verwirrt sah sie ihn an. „Ach so.“ Ach so?! Der meistbegehrteste Junge im Lager machte ihr ein Kompliment, und alles, was ihr dazu einfiel war „Ach so“?! „Ich… dachte, ich sag‘ dir das einfach mal.“, sagte er vorsichtig. „Das ist nett von dir.“, erwiderte sie ebenso vorsichtig. Eine Weile herrschte Schweigen, wortlos gingen sie nebeneinander her durch den Wald, zum Lager. Als sie schließlich bei den ersten Zelten angekommen waren, wandte Staubfinger sich noch einmal ihr zu. „Ich fänd’s gut, wenn du ab jetzt öfter singen würdest. Auf dem Marktplatz, meine ich.“, fügte er rasch hinzu. Sie lächelte leicht. „Mal sehen.“ „Okay.“ „Gute Nacht.“ „Gute Nacht, Staubfinger.“ Mit diesen Worten küsste sie ihn, einem plötzlichen Impuls folgend, auf die Wange, und verschwand ins Zelt. Staubfinger blieb vollkommen verwirrt stehen und starrte ihr nach. Kapitel 4: Berührt ------------------ Es dauerte lange, bis Staubfinger Roxane fand. Einerseits, weil sich in ihm noch immer etwas dagegen sträubte, ihr nachzulaufen wie ein Hund. Andererseits, weil er nicht wusste, was genau er ihr überhaupt sagen wollte. „He, weißt du, ich hab‘ dich ja gestern singen gehört, du hast echt ‘ne tolle Stimme und hübsch bist du auch, heiraten wir?“ So ein Unsinn! Ohrfeigen würde sie ihn. Oder auslachen, und das war noch schlimmer. Abgesehen davon konnte er sich überhaupt nicht vorstellen, sie zu heiraten, ebensowenig, wie er sich vorstellen konnte, sein ganzes Leben an ein und demselben Ort zu verbringen. Er würde überhaupt nicht heiraten. Aber eine Person, mit der er sein ganzes Leben zubringen wollte, die gab es… Roxane hatte sich zum Fluss zurückgezogen, als er sie fand. Hierher kam sie oft zum Nachdenken, das wusste er, und er war kurz davor, sich auf dem Fuße wieder umzudrehen, als ihm einfiel, dass sie vermutlich im Augenblick nicht den geringsten Wert auf Gesellschaft legte. Andererseits – er hatte nicht den Tag damit zugebracht, nach ihr zu suchen, um jetzt unverrichteter Dinge wieder zu verschwinden. Eine Weile stand er stumm da und beobachtete sie. Es war bereits dunkel, durch die Bäume hindurch konnte er die Fackeln des Lagers sehen. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser; das einzige, was zu hören war, waren die Geräusche der Bäume und das Rauschen des Wassers. „Du kannst dich ruhig setzen, ich beiß‘ dich nicht.“ Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er gemeint war. Himmel, hatte sie etwa die ganze Zeit gewusst, dass er hier war?! Er nahm so hastig neben ihr Platz, dass er beinahe ausrutschte und kopfüber in den Fluss fiel. „Ich… ich wollte dich nicht stören.“ Nicht? Nicht? Warum war er denn dann hier, verdammt?! „Tust du nicht.“, murmelte sie. Stille breitete sich aus. Nervös fuhr Staubfinger sich durchs Haar. „Roxane… gestern Abend, da…“ „Ein Versehen.“, sagte sie, etwas zu hastig für seinen Geschmack. Noch immer sah sie ihn nicht an, starrte weiter zur Seite. Wieder herrschte Stille. „Ich hab‘ an meine Eltern gedacht.“, sagte sie plötzlich leise. Nun sah sie ihn an und erschrocken stellte er fest, dass ihre Wangen feucht schimmerten. Hastig sah sie wieder beiseite und er widerstand mit Mühe dem Impuls, sie in den Arm zu nehmen. „Erinnerst du dich an deine Eltern, Staubfinger?“, fragte sie schließlich leise. Er schüttelte schwach den Kopf. „Kaum. Ich meine, bei Spielleuten kümmert sich ohnehin immer die ganze Gruppe um die Kinder… ich weiß nicht, ob meine Eltern noch leben oder nicht.“ Roxane lächelte schwach. „Ich schätze, das ist besser, als die eigenen Eltern definitiv tot zu wissen, oder?“ „Ich weiß nicht.“, murmelte Staubfinger, „Da hat man wenigstens Gewissheit, oder?“ Noch immer starrte Roxane auf das Wasser zu ihren Füßen hinunter. Ihre Schultern zuckten leicht. „Ja, das… das stimmt wohl.“ Staubfinger nahm den Rest seines Mutes zusammen und umarmte sie. Sie versteifte sich kurz, legte dann jedoch den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. „Staubfinger…?“, fragte sie leise, die Wange an seine Schulter gelehnt. „Hmh?“ „Warum bist du hierher gekommen?“ „Ich hab‘ dich gesucht.“ Es war erstaunlich, wie leicht ihm diese Worte auf einmal über die Lippen kamen. „Ich hab‘ mir Sorgen um dich gemacht, weil du den ganzen Tag nicht im Lager warst… ich dachte mir, nicht, dass dich die Gepanzerten erwischt haben oder was weiß ich.“ Sie lächelte schwach. „Sorgen um mich…? Das ist nett von dir. Sind die Gepanzerten denn schon so nahe?“ „In letzter Zeit wurden immer wieder kleinere Trupps von ihnen hier gesichtet. Und wie wir wissen, verhaftet der Natternkopf Spielleute gerne einfach von der Straße weg, nur, weil er Lust hat, mal wieder jemanden aufzuhängen.“ „Verstehe.“, murmelte Roxane, „Da kann ich mich ja glücklich schätzen, dass du hier bist.“ Er wusste nicht ganz, wieviel Ernst nun in ihren Worten steckte oder nicht. „Hast du schon immer bei den Spielleuten gelebt?“ „Schon immer.“, antwortete Staubfinger mit einem leichten Grinsen, „Mein ganzes Leben lang.“ Roxane sah zu ihm auf. „Hattest du denn nie das Bedürfnis, sowas wie ein festes Zuhause zu haben? Einen Ort, meine ich, zu dem du jederzeit zurückkehren kannst?“ Staubfinger schüttelte leicht den Kopf. „Nie. Ich meine, das ist doch auf Dauer langweilig, oder?“ Roxane öffnete den Mund, um zu antworten, doch im selben Augenblick war vom Lager her ein gellender Schrei zu hören. „Die Gepanzerten! Lauft um euer Leben!“ „Wie lange ist er schon in diesem Zustand?“ Die Stimme des Schleierkauzes drang durch den Nebel in Staubfingers Kopf. „Seit gut einer Woche. Capricorns Männer haben ihn übel zugerichtet.“ Roxane klang ruhig und gefasst, wer sie nicht gut kannte, hätte denken können, dass sie tatsächlich so unbeteiligt wie möglich sprach. Nur, wer genau hinhörte, nahm das leichte Zittern ihrer Stimme wahr. „Er hat hohes Fieber, aber es gibt keinen Bader, der ihn behandeln würde, außer Euch.“ „Ich weiß.“ Jemand strich ihm das Haar aus dem Gesicht. „Staubfinger, hörst du mich?“ „Ja.“, murmelte er. Bei jedem Wort durchzuckte erneut ein scharfer Schmerz die Verletzungen in seinem Gesicht und Staubfinger stöhnte leise. „Hier, trink das.“ Der Schleierkauz setzte ihm einen Becher an die Lippen. „Das ist eine Mischung aus Wein und Bilsenkraut; danach wirst du schlafen, und zwar eine ganze Weile lang.“ Das fruchtige Aroma des Weins stieg Staubfinger in die Nase; mit einiger Mühe nahm er ein paar Schlucke. „Gut so.“ Roxane nahm wieder neben ihm Platz, nahm seine Hand in ihre Hände und drückte sie leicht. „Bleib bei ihm.“, konnte er die Stimme des Schleierkauzes hören, „Ich bin bald zurück.“ Schritte entfernten sich, doch als die Tür des Raumes zufiel, war Staubfinger bereits in einen tiefen, traumlosen Schlaf hinübergeglitten. Kapitel 5: Verlassen -------------------- „Himmel!“ Mit einem Satz war Staubfinger auf den Beinen, Roxane neben sich. „Beeil dich!“ Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich, auf das Lager zu, dessen Lichter im Dunklen wild flackerten, doch noch bevor sie die Grenze der Lichtung erreicht hatten, ragte eine Gestalt im silbrig blitzenden Kettenhemd vor ihnen auf. „Was haben wir denn da – zwei Spielmannstäubchen allein im Wald?“ Der Blick des Gepanzerten glitt über Staubfinger, der sich tapfer vor Roxane stellte, und blieb an letzterer hängen. „Und so ein hübsches Täubchen ist dabei!“ Er hob seine Fackel etwas höher und die Flammen spiegelten sich bedrohlich auf seinem Schwert. „Geh beiseite, Junge, ich will mir deine Freundin etwas näher anschauen.“ „Und wenn ich es nicht tue?“ Staubfingers Stimme klang wesentlich mutiger als er sich fühlte. Roxane klammerte sich schmerzhaft fest an seine Hand; vom Lager aus waren Lärm und die Schreie der Spielleute zu hören. Großer Gott, die Soldaten töten sie alle… „Dann muss ich dir leider ziemlich wehtun, denke ich.“, grinste der Soldat und hob sein Schwert. Hilfe., dachte Staubfinger, Hilf mir, irgendwer, bitte… Und das Wunder geschah. Die Fackel in der Hand des Soldaten loderte hoch auf, schlagartig griffen die Flammen auf seine Hände über, sein triumphierendes Grinsen wandelte sich zu einer Maske fassungslosen Entsetzens – „Schnell!“ Staubfinger zog an Roxanes Arm, und endlich löste sich auch ihre Erstarrung; sie eilten weiter, ohne auf die Schreie des brennenden Soldaten zu achten, doch gleich am Rand des Lagers wartete der nächste Schock. Horden von gepanzerten Soldaten – zu Pferd und zu Fuß – trieben die Spielleute zusammen, ein Großteil der Gaukler lag bereits erschlagen oder zumindest schwer verwundet am Boden, die meisten Zelte standen lichterloh in Flammen. „He, ihr da!“ Die Stimme eines der Soldaten riss Staubfinger aus dem lähmenden Entsetzen, das ihn angesichts dieses Anblicks befallen hatte. „Stehen bleiben!“ „Lauf, Roxane! In den Wald!“ Blinde Panik schwang in seiner Stimme mit, doch weit kamen sie beide nicht. Schon nach wenigen Schritten hatten die Gepanzerten sie eingeholt. Das letzte, was Staubfinger sah, war eine kettenbehandschuhte Faust, die auf seine Schläfe zuraste. Als Staubfinger aufwachte, war Roxane da. Sie lehnte im Türrahmen, gekleidet in einen der schlichten Baumwollkittel, die für gewöhnlich die Helfer des Schleierkauzes trugen, das Haar offen, und beobachtete ihn. Als sie sah, dass er die Augen öffnete, lächelte sie leicht und nahm neben ihm auf dem Bett Platz. „Hey.“ Sanft strich sie ihm das Haar aus dem Gesicht. „Wie geht’s dir?“ „Ging mir schon schlechter.“, murmelte Staubfinger. Roxane lächelte schwach. „Das freut mich.“, sagte sie leise. Staubfinger sah zu Roxane auf. „Wir… dürfen nicht allzu lange hierbleiben.“, murmelte er, „Ab und an kommen die Soldaten des Natternkopfes hierher, und die haben was gegen Spielleute…“ „Ich weiß.“ Roxane grinste schwach, doch es wirkte nicht im Geringsten glücklich. „Wie könnte ich das je vergessen?“ Es war stockfinster, und irgendwo tropfte Wasser. Das war das erste, was Staubfinger registrierte, gleich nach einem bohrenden Schmerz in seinem Kopf. Als er versuchte, sich aufzurichten, tanzten bunte Lichtpunkte vor seinen Augen, und er sank mit einem leisen Stöhnen zurück. „Bleib besser noch etwas liegen, Staubfinger.“, erklang die Stimme des Schwarzen Prinzen zu seiner rechten, „Du hast ziemlich was eingesteckt.“ „Das weiß ich selbst.“, murmelte Staubfinger, „Was ist mit Roxane? Und den anderen?“ „Es geht mir gut.“ Roxanes Stimme zitterte, und das wohl nicht nur, weil es im Kerker des Natternkopfes eiskalt war. „Wolkentänzer, Lina und ein paar andere sind hier. Was mit dem Rest ist, weiß ich nicht.“ „Hervorragend.“ Staubfinger blinzelte und richtete sich auf. „Und wo genau sind wir?“ „Im Kerker des Natternkopfes, wo sonst?“, knurrte der Schwarze Prinz, „So, wie ich das verstanden habe, ist dem Natternkopf dank eines untreuen Schreibers die Hälfte seiner Staatskasse davongekommen, und nun versucht man, das uns in die Schuhe zu schieben, weil man den wahren Schuldigen nicht zu fassen bekommt.“ „Was?!“ Staubfinger riss die Augen auf. „Der Natternkopf kann nicht auf seine Angestellten aufpassen und wir kriegen den Ärger dafür?!“ „Schrei noch lauter!“, zischte der Prinz, „Damit sie dich gleich aufhängen! Nein, ich denke nicht, dass es nur damit zu tun hat… übrigens, stimmt es, dass du einen seiner Soldaten in Flammen hast aufgehen lassen?“ Beim Gedanken an die schrecklichen Sekunden im Wald lief Staubfinger ein Schauder über den Rücken. „Ja, ich… glaube schon. Ja.“ „Das heißt, du hast es geschafft, was? Du beherrscht das Feuer?“ „Sieht so aus.“ Auch, wenn ich das lieber unter anderen Umstände herausgefunden hätte., fügte Staubfinger gedanklich hinzu. „Der Junge hat einen der Soldaten des Natternkopfes auf dem Gewissen!“ Die Stimme eines älteren Spielmannes, den Staubfinger nur flüchtig kannte, erklang aus dem Halbdunkeln. „Da nützt ihm sein Feuer auch nichts mehr, dafür knüpfen sie ihn auf!“ „Red keinen Unsinn!“, fauchte Roxane, ehe Staubfinger etwas antworten konnte, „Er hat versucht, euch zu helfen, und er hat mehr Soldaten des Natternkopfes getötet als du, du solltest stolz auf ihn sein!“ Roxane drehte sich zu ihm um. „Mach dir keine Sorgen, Staubfinger.“, sagte sie leise, „Ich lass‘ nicht zu, dass sie dich aufhängen.“ Staubfinger grinste schwach. „Oh, danke.“ „He!“ Die Stimme eines der Gepanzerten schallte durch den Kerker. „Wer von euch ist Staubfinger? Der Natternkopf will ihn sehen!“ „Es heilt nicht wirklich.“ Roxane schüttelte stumm den Kopf und nahm neben dem Schleierkauz Platz. Der Bader warf ihr einen kurzen Blick zu. „Staubfinger braucht einen besseren Arzt als ich es bin.“ „Aber es gibt keinen! Keinen, den wir in Ombra oder auf der Natternburg aufsuchen könnten!“ „Es gibt die Feen.“ „Feen?“ Roxane verzog das Gesicht. „Sicher, Staubfinger befreit immer wieder welche auf dem Marktplatz von Ombra…“ „Launische kleine Biester, aber sie mögen Staubfinger, so weit ich weiß. Außerdem schulden sie ihm etwas, und das vergessen Feen nicht so schnell. Sie werden seine Verletzungen schneller und zuverlässiger heilen, als ich es vermag.“ Irgendetwas im Tonfall des Baders machte Roxane stutzig. Die Sorge um Staubfinger war zweifellos echt, aber es wirkte vielmehr, als wolle er sie beide so schnell wie möglich von hier fortschaffen… Ihre Ahnung bestätigte sich, als der Schleierkauz sich vorbeugte und leise weitersprach. „Roxane, ihr habt zwar nicht gesagt, woher Staubfingers Verletzungen stammen, und ich habe nicht gefragt, aber ich erkenne die Spuren eines sicher geführten Messers, wenn ich sie sehe. Und es geht das Gerücht um, Capricorn habe einen Trupp seiner Männer unter Bastas Führung ausgeschickt, um einen Spielmann und seine Geliebte zu töten, die ihn aufs höchste beleidigt haben.“ Roxane spürte, wie es ihr kalt über den Rücken lief. „Wie lange werden sie brauchen, um uns zu finden?“ „Ich weiß es nicht, aber sicherlich nicht lange. Staubfinger ist keine unauffällige Erscheinung, und du auch nicht, wenn ich das sagen darf. Ihr müsst fliehen, und das schnell.“ Roxanes Kehle schien wie ausgedörrt. „Und wohin?“ „Ich weiß es nicht, aber hier seid ihr auf keinen Fall sicher.“ Kapitel 6: In der Falle ----------------------- „Staubfinger? Glaubst du, dass du aufstehen kannst…?“ Staubfinger grinste schwach. „Wenn ich nein sage, würde das was nützen?“ „Nein.“ Roxane lächelte schwach, beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Versuch es, bitte. Wir gehen nicht weit.“ „Was hast du denn vor…?“ Roxane beugte sich vor und küsste ihn behutsam auf die Stirn. „Wir werden zu den Feen gehen.“, sagte sie leise, „Damit sie sich um dein Gesicht kümmern.“ Ein Funke von Staubfingers früherem Humor blitzte in seinen Augen auf. „Feen, hm? Ich weiß, du magst sie nicht besonders… steht es denn so schlimm um mich?“ Roxane lächelte schwach. „Sagen wir, es könnte besser sein.“, sagte sie leise und nahm seine Hand, „Tragen kann ich dich aber nicht, fürchte ich…“ „Du sollst dich auch nicht anstrengen.“ Staubfingers freie Handwanderte zielstrebig über ihren Oberschenkel und blieb auf ihrem Bauch liegen, der inzwischen die sanfte Wölbung einer Schwangeren im vierten Monat angenommen hatte. Roxane legte ihre Hand über seine. „Staubfinger…?“ „Hmh?“ „Ich liebe dich.“ „Ich weiß.“ Er versuchte sich in einem Lächeln; es misslang kläglich. Behutsam strich Roxane ihm mit den Fingerspitzen über den Oberkörper, fuhr die Linie seines Brustbeins nach und strich zärtlich über seine Kehle. Staubfinger schloss mit einem leisen behaglichen Seufzen die Augen. „Wenn du willst, dass wir beide heute noch aus diesem Zimmer kommen, solltest du damit aufhören… Meine Mimik ist zwar gerade nicht die beste, aber andere Teile meines Körpers sind durchaus unbeschädigt.“ Roxanes Fingerspitzen verharrten an Staubfingers Kinn. „Darf ich?“, fragte sie leise. „Ich bitte darum.“, murmelte Staubfinger. Vorsichtig wanderten Roxanes Fingerspitzen über Staubfingers Gesicht, Lippen, Augenbrauen und den Nasenrücken – hier zuckte Staubfinger leicht, ließ sie jedoch gewähren – , bis hin zu den Wunden auf seinen Wangen. Der Schleierkauz hatte sie genäht, so gut es ihm möglich gewesen war. Behutsam fuhr Roxane eine der Nähte mit der Spitze ihres Zeigefingers nach. Staubfinger zuckte erneut, sagte jedoch nichts. Eine Weile herrschte Stille. „Roxane…?“, fragte Staubfinger schließlich leise, und ohne die Augen zu öffnen, „Ist es schlimm?“ „Was?“ Verdutzt sah sie ihn an – es dauerte eine Weile, bis sie begriff, was er meinte. Staubfinger öffnete die Augen wieder und sah sie an. „Versteh‘ mich nicht falsch, bitte.“, sagte er leise, „Ich bin nicht eitel – jedenfalls nicht allzu sehr…“ Er grinste schwach, allerdings nicht im geringsten humorvoll. „Ich meine, ich hab‘ keinen Spiegel gesehen, seit… das passiert ist, ich krieg‘ nur mit, wie es sich anfühlt, und wenn es nur halb so aussieht, wie es sich anfühlt, dann könnte ich es gut verstehen, wenn du…“ „Staubfinger.“ Roxane legte ihm einen Finger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sie nahm neben ihm auf dem Bett Platz und schloss ihn in die Arme. „Ich liebe dich.“, sagte sie sanft, „Und es ist mir egal, wie du aussiehst, hast du verstanden? Nichts kann etwas an meinen Gefühlen für dich ändern, und Basta und sein Messer schon gar nicht. Und nein, ich finde nicht, dass es schlimm ist.“ Staubfinger lächelte schwach und legte die Stirn an ihre Schulter. „Danke.“, sagte er leise. „Man hat mir gesagt, du hättest einen meiner Soldaten in Flammen aufgehen lassen, mit nichts mehr als deinen Händen.“ Der Natternkopf drehte den Silberkelch in seiner Hand prüfend und wandte sich dann Staubfinger zu, der, flankiert von zweien seiner Soldaten, vor seinem Tisch stand. „Es gibt Leute, die sehr viel Interesse an derartigen Fähigkeiten haben.“ „Nein, wirklich.“, murmelte Staubfinger. Er konnte sich gut vorstellen, wen der Natternkopf meinte – diese Bande von Verrückten, die nur zum Spaß Dörfer niederbrannte und ganze Familien auslöschte, die Roxanes Eltern getötet hatten… „Capricorn wünscht jemanden wie dich sicher in seinen Diensten.“ „Nur über meine Leiche.“, murmelte Staubfinger und bereute es sofort. „So?“ Der Natternkopf hob die Augenbrauen. „Das lässt sich einrichten… sag mir, Junge, wie alt bist du? Zwölf? Dreizehn?“ „Vierzehn.“, knurrte Staubfinger. „Hm.“ Der Natternkopf erhob sich. „Vierzehn, so. Und schon bereit, für einen Haufen verlauster Spielleute zu sterben?“ Staubfinger zog es vor, darauf nicht zu antworten. „Dir ist natürlich klar, dass der Mord an einem meiner Soldaten mit dem Tod bestraft wird.“, fuhr der Fürst fort, ging langsam um den Tisch herum und blieb dicht vor Staubfinger stehen, „Du willst doch nicht sterben, oder, Junge?“ Staubfinger ließ sich mit einem leisen Stöhnen auf einem Baumstumpf nieder und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, hockte Roxane besorgt vor ihm. „Geht es…?“ Staubfinger nickte schwach. „Geht schon.“, murmelte er Roxane seufzte leise und strich ihm über die Stirn. „Staubfinger, wir dürfen nicht hier bleiben.“, sagte sie leise, „Wir haben höchstwahrscheinlich Capricorns Männer schon auf unserer Spur…“ „Ich weiß.“ Staubfinger grinste schwach, stellte sich jedoch wieder auf die Beine. „Scheint so, als würde Basta sich mächtig ärgern, hm?“ „Das kannst du laut sagen.“ Roxane küsste ihn auf die Wange und nahm seine Hand. „Glaubst du, wir können uns wieder den Spielleuten anschließen?“ „Das ausgerechnet aus deinem Mund…?“ Staubfinger hob Gwin hoch, der versuchte, an seinem Bein empor zu klettern, und setzte ihn auf einen umgestürzten Baum. „Ich weiß nicht.“, fuhr er leise fort, „Ich meine, natürlich würden sie uns beide mit Kusshand aufnehmen, aber Capricorn würde keinen Halt vor ihnen machen. Und die Spielleute haben einem Angriff relativ wenig entgegen zu setzen…“ „Das liegt daran, dass ihr keine Waffen tragen dürft. Zu Recht, wie ich finde, ihr benutzt sie ja doch nicht.“ Basta klappte sein Messer auseinander und machte einen Schritt auf Staubfinger zu, der nach Roxanes Hand griff. „Und offenbar lernt ihr ja auch nicht, wie man im Wald Spuren verwischt, oder?“ Roxanes Druck auf seine Hand verstärkte sich, als Staubfinger sie mit sanfter Gewalt ein Stück hinter sich schob. „Ich hoffe übrigens nicht, dass ihr mich für so dumm haltet, allein gekommen zu sein…“ „Nein, wie kämen wir dazu.“, murmelte Staubfinger. Hier gab es nicht zufällig irgendwo Feuer in der Nähe oder dergleichen? „Kein Feuer.“, wisperte Roxane, „Kein Feuer und wir haben keine Waffen…“ „Ich weiß.“ Staubfinger wagte nicht, die Lippen zu bewegen, um Basta nicht darauf aufmerksam zu machen, doch Roxane hatte ihn verstanden. Sie schluckte; die Fingernägel ihrer freien Hand krallten sich schmerzhaft in seine Schulter. Sie zitterte. Basta nickte leicht und offensichtlich hocherfreut. „Und allein unterwegs seid ihr auch noch… wie nett. Cockerell, Schlitzer, Flachnase, haltet sie fest. Den Feuerfresser können wir dem Schatten vorwerfen, und das Mädchen…“ Basta schnalzte mit der Zunge. „Für sie fällt uns sicherlich auch noch irgendein Verwendungszweck ein, nicht wahr?“ Das Grinsen auf Bastas Gesicht zeigte deutlich, wie er sich diesen Verwendungszweck vorstellte. „Nein!“ Roxanes Stimme zitterte, doch als sie hinter Staubfinger hervortrat, reckte sie tapfer das Kinn. „Was muss ich tun, damit ihr ihn laufen lasst?“ Basta zog einen Mundwinkel hoch. „Sieh an, das sind ja ganz neue Töne… da muss er dir aber mächtig den Kopf verdreht haben.“ „Roxane!“, zischte Staubfinger, „Falls du das vorhast, was ich denke, dann vergiss es! Das lasse ich nicht zu!“ Roxane drehte sich zu ihm um; sie lächelte schwach, jedoch ohne einen Hauch von Freude darin. „Staubfinger…?“ Flüchtig berührten ihre Lippen die seinen, bevor sie hastig einen Schritt von ihm zurücktrat. „Ich lasse mich von dir nicht aufhalten.“, sagte sie leise. Basta verdrehte die Augen. „Ihr zwei seid ja so romantisch… leider hat mich Capricorn beauftragt, euch beide so schnell wie möglich beiseite zu schaffen. Was für eine Verschwendung.“ „Basta!“ Roxanes Stimme klang nahezu hysterisch. „Basta, bitte…“ Genüsslich ließ Basta den Blick über sie schweifen, doch bevor er antworten konnte, mischte Cockerell sich ein. „Wir haben jetzt keine Zeit für sowas, Basta. Lass uns den Schatten rufen, damit er uns den Jungen vom Hals schafft, dann haben wir das schon mal erledigt…“ Basta verzog das Gesicht, nickte jedoch. „Also gut, also gut… aber den Schatten ruft ihr, mit sowas befass‘ ich mich nicht.“ Cockerell verdrehte die Augen. „Dein verdammter Aberglaube wird dich noch ins Grab bringen.“ „Red keinen Unsinn, fesselt sie, damit sie nicht verschwinden.“ Kapitel 7: Licht und Dunkelheit ------------------------------- „Staubfinger?“ Roxanes Stimme war kaum mehr als ein ersticktes Wispern; sie klammerte sich an ihn, so gut ihr das mit gefesselten Händen möglich war. „Staubfinger, ich lasse nicht zu, dass sie dir etwas antun! Ich lasse es nicht zu!“ Staubfinger hatte dafür nicht mehr als ein müdes Lächeln übrig. Erneut überlief ein Schauder Roxanes Körper, doch leider hatte Basta Staubfinger die Hände auf den Rücken gefesselt, sodass er sie nicht in den Arm nehmen konnte. „Das lasse ich nicht zu.“, wiederholte sie tonlos und drückte die Wange an sein Hemd. Staubfinger warf einen Blick zu Cockerell und Flachnase hinüber, die damit beschäftigt waren, Asche auf dem Boden zu verstreuen und obskure Worte vor sich hinzumurmeln, was von Basta argwöhnisch beobachtet wurde. „Dass ihr mir nichts falsch macht, kapiert?“, knurrte Capricorns Stellvertreter, „Er soll nur den Jungen fressen, nichts weiter!“ Roxane sah zu Staubfinger auf. Er war kreidebleich, was wohl nicht nur an seinen Verletzungen lag, bemühte sich jedoch um einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck, als sie ihn ansah. Es gelang ihm nur beschränkt. „Äußerst beruhigend.“, murmelte Staubfinger. „Na also!“ Zufrieden begutachtete Cockerell, wie die Asche langsam aber sicher Gestalt annahm. „Also gut, lasst uns von hier verschwinden, bevor er uns zum Nachtisch verspeist!“ Basta packte Roxanes Arm und riss sie von Staubfinger herunter. „Bringt sie zu den Pferden, ich komme nach, aber vorher…“ Er warf Staubfinger einen unheilverkündenden Blick zu. Roxane wurde kreidebleich, Cockerell packte sie jedoch und zerrte sie mit sich, in den Wald hinein, fort von der Lichtung. Staubfinger fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Willst du mich erst noch ein bisschen zusammenschlagen oder so?“ „So ungefähr.“ In Bastas Hand blitzte sein Messer auf; hinter ihm nahm der Schatten endgültig Gestalt an, rührte sich jedoch nicht. Anscheinend wählte er gerade sein Opfer. „He, Basta?“ „Hmh?“ Der Angesprochene fuhr wie üblich prüfend mit dem Daumen über die Klinge seines Messers. „Kannst du eigentlich von da aus meine Handfesseln sehen?“ „Was?“ Ehrlich verwirrt sah Basta ihn an. „Ich hab‘ sie aufgekriegt.“, fügte Staubfinger hinzu. Mit einer Schnelligkeit, die er sich selbst nicht zugetraut hätte, war er auf den Beinen und hämmerte Basta mit aller Kraft die Faust an die Schläfe. Mit einem leisen Stöhnen sank Basta auf die Knie; das Messer glitt ihm aus der Hand und verschwand im trockenen Gras, doch er erholte sich erstaunlich schnell – kaum dass Staubfinger zwei Schritte getan hatte, kam er wieder auf die Beine, packte ihn am Kragen und riss ihn zu Boden. „Spielchen willst du? Das kannst du haben!“, zischte Basta, setzte Staubfinger ein Knie auf die Brust und drückte ihm mit der freien Hand die Kehle zu. Staubfinger schnappte nach Luft; seine Hände tasteten blind umher und stießen gegen etwas hartes – Bastas Messer! Seine Finger schlossen sich um den Griff, doch bevor er sich zur Wehr setzen konnte, ließ ein Grollen sie beide erstarren. Von Basta vernahm Staubfinger ein leises, aber aus tiefster Seele stammendes „Scheiße“. Ausnahmsweise stimmte er mit ihm voll und ganz überein. Rasch nutzte er Bastas Ablenkung, schleuderte ihn von sich herunter und rannte um sein Leben. Erst am Rand der Lichtung blieb er stehen und drehte sich um. Basta stand immer noch dort, umklammerte sein Messer, und starrte den Schatten an, wie das Kaninchen vor der sprichwörtlichen Schlange. Staubfinger verdrehte die Augen. Er mochte als Spielmann aufgewachsen sein, unter Bedingungen, die wohl nicht immer optimal gewesen waren, und die ihn vieles gekostet hatten, aber eins war er nicht – jemand, der einen anderen Menschen kaltblütig dem Tod überließ. Selbst, wenn es sich um Basta handelte. Später würde er sich oft fragen – und nicht selten verfluchen – , was ihn zu dieser Wahnsinnstat getrieben hatte. Im Augenblick allerdings dachte er überhaupt nicht nach, sondern griff kurzerhand nach einem der Feuersteine, die Cockerell und die anderen zurückgelassen hatten. Wenigen Handbewegungen nur, und schon sprühten Funken auf das trockene Gras hinunter, das im Nu Feuer fing, ein paar Worte nur, und die Flammen loderten hell auf. Womit ließ sich ein Schattenwesen besser bezwingen als mit Feuer und Licht? „Basta!“ Mit wenigen raschen Schritten stand Staubfinger neben ihm, packte den Arm seines Erzfeindes und riss ihn zu Boden, während der Schatten wütend nach ihnen schlug, sie jedoch verfehlte. „Beweg dich, Mann!“ Basta starrte ihn an wie eine Erscheinung, doch wenigstens gehorchte er, ließ sich von Staubfinger mitzerren, auf die Flammenwand hinter ihnen zu, die dank der warmen Sommerluft und des trockenen Grases bereits meterhoch loderte. „W-Was hast du vor?!“ Bastas Stimme klang wie die eines kleinen Mädchens, an dessen Arm ein Grashüpfer emporkrabbelte. „Bist du verrückt?! Du hast uns den Rückweg ver-“ „Mund halten!“ Staubfinger verengte die Augen leicht. Hinter ihnen knurrte und fauchte der Schatten, doch offenbar hatte Staubfinger recht gehabt – das Licht schreckte ihn ab, er konnte sie nicht wirklich sehen. „Los, spring da durch.“ „Hast du den Verstand verloren?!“ „Das Feuer tut uns nichts, ich mache mir wesentlich mehr Sorgen um den Schatten!“, fauchte Staubfinger, „Und jetzt spring oder bleib hier, verdammt!“ Noch immer starrte Basta wie versteinert auf die wirbelnden Flammen, während die Hitze Staubfinger fast den Atem nahm – und nicht nur die Hitze. Staubfinger stöhnte leise. Kurzerhand packte er Bastas Schulter und stieß ihn nach vorn, durch die Flammen hindurch, auf die andere Seite der Flammenwand, wo sie beide auf dem Boden landeten. Hastig packte Staubfinger Basta am Kragen und schlug mit der freien Hand auf die Flammen ein, die an seinem Hemd leckten, dann wandte er sich den Flammen zu, hinter denen der Schatten verschwunden war. Ein paar rasche Worte, und die sengende Hitze verschwand. Übrig blieb nichts als Asche. Kapitel 8: Entkommen -------------------- Lauf., befahl sich Staubfinger selbst, Einfach weiter, achte nicht auf die Soldaten, lauf… Die Soldaten des Natternkopfes zu überwältigen war einfach gewesen, selbst für ihn. Gerade für ihn – immerhin hatten die Soldaten eine Heidenangst davor, dass sie das Schicksal ihres Kameraden erleiden konnten, und es hatten Fackeln an den Wänden gehangen… Nicht, dass die Soldaten ihn hätten fürchten müssen. Noch immer wurde ihm übel, wenn er an die Schreie des Mannes dachte, den er getötet hatte. Roxanes Eltern waren auch durch das Feuer gestorben… Das Herz klopfte Staubfinger bis zum Hals, als er sich in eine dunkle Ecke in dem Gang, der zu den Kerkern führte, sinken ließ. Er hatte kaum Ahnung, wo er sich gerade befand, aber Roxane und die anderen waren zweifellos hier unten, und er würde die Burg nicht ohne sie verlassen. „Schlaukopf.“, murmelte er, „Und wie willst du bitte an den Wachen vorbeikommen?“ Etwas warmes, weiches stieß gegen seine Hand. Staubfinger fuhr zusammen, erkannte dann im Halbdunkeln jedoch struppiges Fell und einen buschigen Schwanz. „Gwin!“, wisperte Staubfinger und strich seinem Marder über den Kopf, „Wie kommst du denn hierher?“ Gwin gab ein leises Fauchen von sich und ließ sich auf der Schulter seines Herrn nieder, wo er sich zusammenrollte. „Hm…“ Nachdenklich fuhr Staubfinger dem Marder über das Fell. Ein Ablenkungsmanöver vielleicht? Ein streunender Marder… „Gwin?“ Der Marder sah aus glänzenden schwarzen Knopfaugen zu ihm auf. „Alter Junge, du musst mir einen Gefallen tun.“ Staubfinger war sich sicher, nur ein paar Minuten lang bewusstlos gewesen zu sein. Seine Knie hatten nachgegeben, nachdem er das Feuer gelöscht hatte, und er musste auf dem Waldboden zusammengesunken sein, denn als er die Augen aufschlug, sah er den Himmel über sich, oder besser gesagt, das, was die Baumkronen an Himmel durchblitzen ließen. Überall in der Luft hing Rauch, und es dauerte eine Weile, bis sein Kopf wieder klar genug war, um sich an die Geschehnisse zu erinnern. Basta. Der Schatten. Er hatte Basta das Leben gerettet… „Weißdornlösung.“ „Was?“ Sein Kopf schoss hoch und er sah zu Basta, der in einiger Entfernung an einem Baum lehnte, noch immer kreidebleich, und mit seinem Messer herumspielte. „Weißdornlösung.“, wiederholte er, klappte sein Messer zusammen und ließ es wieder in seiner Tasche verschwinden, „Auf die Schnitte. Gegen Entzündungen.“ „Ich weiß.“ Noch immer drehte sich alles in seinem Kopf, und als er versuchte, sich aufzurichten, wurde ihm sofort wieder schwindlig. „Roxane hat es mir gesagt.“ Seine Stimme klang seltsam in seinen Ohren, seine Zunge fühlte sich bleischwer an. Basta nickte leicht. „Verstehe.“ Staubfinger stellte sich mit einiger Mühe auf die Füße, was Basta argwöhnisch beobachtete. „Also…“ Staubfinger betrachtete seinen Erzfeind von Kopf bis Fuß. „Ich nehme an, du wirst mich jetzt umbringen?“ „Das werden wir noch sehen.“ Basta erhob sich ebenfalls. „Komm mit.“ Staubfinger seufzte leise. Nun, in seinem Zustand kam er ohnehin nicht allzu weit… Er gehorchte. „Staubfinger!“ Roxane riss sich von Cockerell los und fiel Staubfinger um den Hals. „Um Gottes Willen-“ Ihre Schultern zitterten, als sie die Wange an Staubfingers Hemd drückte, und ihr versagte die Stimme. Sie schluchzte. „…g-gedacht… w-würde dich n-nie w-wiedersehen…“, erklang es dumpf aus dem groben Stoff hervor. Basta warf den beiden einen abschätzenden Blick zu und schwang sich auf das Pferd, das Cockerell am Zügel hielt. „Die Pferde brauchen frisches Wasser.“, sagte er beiläufig und fuhr mit einer Hand über den Hals des Tieres, „Ist hier ein Hof in der Nähe?“ „Mehrere.“ Fragend sah Cockerell ihn an. „Wie weit entfernt?“ „Zwei Tage. Sollten wir nicht-“ „Capricorn legt viel Wert auf die Gesundheit seiner Pferde, nicht wahr?“, fuhr Basta fort. „Ähm… ja, sicher, aber sollten wir nicht-“ „Wir sollten diese gewährleisten, da hast du Recht.“ Basta richtete sich im Sattel auf. „Reitet nordwärts und sucht einen dieser Höfe auf, damit die Tiere versorgt werden. Auf der Stelle, na los! Unsere Freunde hier sehen nicht so aus, als würden sie sonderlich weit kommen, oder? Wir haben sie sicherlich bald wieder eingeholt.“ Basta trieb sein Pferd etwas näher zu Staubfinger, der unwillkürlich den Atem anhielt. „Ich würde sagen, damit sind wir quitt, Feuerfresser.“, sagte er leise, „Aber wenn du mir noch einmal unter die Augen kommst, bist du tot. Hast du verstanden?“ Staubfinger grinste schwach. „Verstanden.“ „He, ein Marder.“ Der Wachposten schrak hoch. „Was?!“ „Ein Marder.“, wiederholte sein Kollege und warf einen Stein nach Gwin, der auf einer Mauer hockte und fröhlich keckerte. „Jag ihn weg, der frisst uns die Hühner.“, schlug der andere vor, „Der Natternkopf will keine Marder in der Burg.“ „He, er hat zwei Hörner!“ „Was? Wieviel hast du heute schon getrunken; Marder haben keine Hörner!“ „Der schon.“ Die Wache hob ihre Fackel und spähte zu Gwin hinauf. „Schau doch selbst.“ „Da sind keine Hörner, du bist betrunken.“ „Bin ich nicht, ich schwöre dir, er hat welche!“ „Du hast schon fünf Flaschen Met geleert und du willst mir erzählen, du seiest nicht betrunken?“ „Ich bin nicht betrunken!“ Innerlich verdrehte Staubfinger die Augen, als die Wachen anfingen, darüber zu debattieren, nach wievielen Flaschen Met man als betrunken galt und nach wievielen nicht, doch immerhin gelang es ihm, unbemerkt hinter ihnen vorbei zu schlüpfen, hinein in den Kerker. „Roxane!“, zischte er, „Roxane, wo bist du?“ „Staubfinger?“ Ungläubig richtete Roxane sich hinter dem Gitter auf. „Wie kommst du denn hierher?“ „Gwin lenkt die Wachen ab und ich bin abgehauen. Seid ihr unverletzt?“ „Ja. Mehr oder weniger.“ Roxane erhob sich vollends und sah ihn an. „Ist mit dir alles in Ordnung…?“ „Geht schon. Hast du irgendwas, womit ich das Schloss aufkriege?“ „Hier.“ Die Stimme des Schwarzen Prinzen erklang, durch das Gitter hindurch drückte er ihm einen feinen Dolch in die Hand. „Die Soldaten sind blöd genug, Spielleute nicht nach Waffen zu durchsuchen, weil sie glauben, alle halten sich an die Gesetze.“ Staubfinger grinste leicht. „Gut zu wissen.“, antwortete er und öffnete das Gitter. Anschließend trat er einen Schritt beiseite, um seine Freunde vorbeizulassen. „Was ist mit dem Rest?“ Ein Schatten legte sich auf das Gesicht des Prinzen. „Tot.“, sagte er knapp. „Oh.“ Staubfinger schluckte leicht. „Oh.“, wiederholte er. Roxane sah ihn besorgt an, sagte jedoch nichts. „Hast du dir auch überlegt, wie wir hier herauskommen?“, fragte der Prinz, wohl eher, um vom Thema abzulenken. „Ähm…“ Staubfinger grinste verlegen. „Nein, ehrlich gesagt. Aber das wird schon nicht so schwierig werden, oder?“ „Abgesehen davon, dass die Burg des Natternkopfes von spitzen Felsen umrahmt ist, und dass auf ihren Mauern alles voller Soldaten ist, nein.“, höhnte einer der älteren Spielleute. Staubfinger verdrehte die Augen. „Ihr könnte ja auch hierbleiben, wenn ihr wollt.“, knurrte er, „Draußen auf dem Gang sind nur zwei Wachen, mit denen sollten wir fertig werden, und vielleicht könnten wir…“ „Zwei von uns nehmen die Rüstungen und spielen die Eskorte. Der Trick ist zwar alt, aber vielleicht funktioniert er noch. Wenn nicht, wird es zumindest für Verwirrung sorgen.“, beschloss der Prinz. Staubfinger grinste schwach. „Besser als gar nichts.“ Gwin hüpfte auf Staubfingers Schulter und stieß von dort ein leises, drohendes Fauchen aus. „Keine Sorge, kommt nicht wieder vor.“, murmelte Staubfinger, „Du musst nicht nochmal den Köder spielen, keine Sorge.“ Roxane kicherte leise, riss sich jedoch hastig zusammen, als ihr Blick auf die beiden toten Soldaten fiel. „So viel zu Schritt eins…“ Der Prinz sah prüfend zu Staubfinger. „Wir nehmen die Uniformen.“ „Äh, was?“ Staubfinger riss die Augen auf. „Glaubst du nicht, dass das etwas auffällig…“ „Keine Widerrede.“, beschloss der Prinz, „Los, zieh das an, und dann lass uns gehen.“ Staubfinger verdrehte die Augen, gehorchte jedoch. „Halt! Wer seid ihr und wo wollt ihr hin?“ Staubfinger blinzelte. Verdammt, so früh hatten sie nicht mit anderen Wachen gerechnet… „Ähm, wir bringen die Gefangenen raus in den Wald.“, improvisierte er, „Weil… der Natternkopf seine Galgen nicht schmutzig machen will, darum. Wir verscharren sie draußen im Wald und… damit hat sich’s.“ Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch. „Zwei Soldaten gegen fünfzehn Spielleute?“ „Es sind nur Spielleute… was soll schon groß passieren? Sie haben keine Waffen, und sie können keine Waffen führen.“ Der Ausdruck auf dem Gesicht seines Gegenübers wurde immer ungläubiger. „Ah.“ „Befehl des Natternkopfes.“, sagte Staubfinger vorsichtig. „Ah.“, wiederholte der Posten. Offenbar glaubte er ihnen kein Wort, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er Alarm schlug. Staubfinger zog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Dürfen wir jetzt durch, ja?“ Einen Augenblick noch herrschte gespanntes Schweigen, dann jedoch trat der Posten wortlos beiseite. „Na los, geht schon.“ Staubfinger atmet tief durch, sobald sie weit genug von dem Posten entfernt waren. Das dazu. Kapitel 9: Heilung ------------------ Ein angenehm kühler Wind strich durch den Wald und Staubfinger über das Gesicht. Roxanes Kopf ruhte an seiner Schulter, er konnte ihre Wärme spüren. Sie drückte ihn fest an sich. Er hat Feuer gelegt., sagte eine leise Stimme in seinem Kopf. Das Sirren kleiner Flügel war in der Nähe zu hören, der Wind trug ihre Stimmen herbei. Das Feuer hat den Schatten besiegt. Er ist unser Freund. Es war immer dieselbe Stimme, doch sie schien aus verschiedenen Kehlen zu stammen, sanft, zärtlich und verspielt wie die eines kleinen Mädchens. Roxanes tiefe, regelmäßige Atemzüge streiften seine Schulter. Sie schlief. Er war auf dem Marktplatz. Oft. Er hat unsere Schwestern befreit. Wir haben ihn gesehen. Er hat den Schatten vertrieben. Staubfingers Lider waren zu schwer als dass er die Augen hätte öffnen können. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, seine Stimme verweigerte ihm den Dienst. Er ist verletzt. Der Brandstifter hat ihn verletzt. Der, der das Amulett trägt. Wir haben es gesehen. Basta… Er ist schlimm verletzt. Er wird sterben. Und, immer wieder: Er ist gekommen, um uns um Hilfe zu bitten. Wir helfen keinem Sterblichen., fuhr die erste Stimme fort, Und kein Sterblicher hilft uns. Er ist anders. Er hilft uns. Auf dem Marktplatz, immer wieder. Unsere Schwestern schenken ihm das Feuer. Sanfte Finger streichelten seine Wange, erkundeten sein Gesicht. Er ist schlimm verletzt. Der Brandstifter hat ihn verletzt. Wir hassen die Brandstifter. Sie zerstören unsere Nester. Sie töten unsere Schwestern. Unsere Schwestern schenken ihm das Feuer. Das Feuer schützt ihn. Das Feuer hat den Schatten besiegt. Ein scharfer Schmerz schoss durch sein Gesicht und unwillkürlich stöhnte Staubfinger auf. Er ist schlimm verletzt. Jemand legte ihm sachte einen Finger auf die Lippen. Hab keine Angst. Wir werden euch nichts tun. Schlaf jetzt, Feuerleger. Erneut kroch die Dunkelheit vom Rand seines Bewusstseins aus auf ihn zu, drohte, ihn zu verschlingen. Ich will nicht schlafen. Roxane… Schlaf jetzt, Feuerleger., wiederholten die Feen, Schlaf tief und fest, bis der Morgen dämmert. Ehe Staubfinger sich wehren konnte, hatte die Dunkelheit ihn bereits überwältigt. „Staubfinger…?“ Roxane blinzelte und öffnete die Augen. Noch immer lag sie neben Staubfinger auf dem Waldboden, dort, wo sie vor nunmehr drei Tagen geblieben waren, nachdem Staubfinger erneut zusammengebrochen war, weil seine Beine ihn nicht mehr tragen konnte. Ihr Kopf ruhte noch immer an seiner Schulter, ihre Hand auf seiner Brust, die sich unter schwachen, regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Roxane lächelte schwach und strich ihm über die Wange. Unwillkürlich erstarrte sie. „S-Staubfinger?“ „Hm…?“ Er blinzelte verschlafen zu ihr auf. „Hey.“, murmelte er mit einem schwachen Lächeln, „Ich hab‘ etwas ziemlich seltsames geträumt, Roxane…“ „Nur geträumt?“ Behutsam strich Roxane ihm erneut über die Wange. „Staubfinger, das… das ist…“ „Was denn…?“ Er folgte ihrer Hand mit seiner – und erstarrte ebenfalls. „Oh. Kein Traum.“ „Kein Traum.“, wiederholte Roxane leise. Staubfinger sah zu ihr auf und grinste schwach. „Und…?“ „Was und?“ Fragend sah sie ihn an. „Oh, das und.“ Sie beugte sich vor und küsste ihn sanft, erst auf die Stirn, dann auf jede der drei fein geschwungenen Narben auf seinem Gesicht, und schließlich auf den Mund. „Ich liebe dich.“, sagte sie leise. Und das war ihnen Antwort genug. Kapitel 10: Zerrissen --------------------- „Daddy, Daddy, Daddy!“ Kleine bloße Füße huschten über die Wiese, zu Staubfinger hin. Es war noch früh am Morgen, kurz bevor die Sonne aufging, der Wald wurde vom Frühlingsnebel durchzogen und ein paar Vögel zwitscherten bereits in den dichten Baumkronen. Staubfingers Lieblingstageszeit, wenn die ganze Welt stillzustehen schien, kurz bevor das Leben erwachte. Er lag auf der Wiese vor dem Haus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte zu den Sternen hinauf. Brianna hockte sich neben ihn und sah ihn aus großen, blauen Kinderaugen heraus an. „Gehst du heute wieder weg, Daddy?“ Staubfinger lächelte schwach. Das war vermutlich die Frage, die auch Roxane den lieben langen Tag beschäftigte – sofern sie Briannas kleine Schwester nicht gerade genug in Atem hielt. „Du gehst doch nicht wieder weg, oder, Daddy?“ Brianna rollte sich neben ihm zusammen und kuschelte sich an ihren Vater. „Du bleibst hier, oder? Ich will nicht, dass du weggehst!“ Natürlich nicht. Er wollte es auch nicht. Aber, im Gegensatz zu Roxane, war er nicht dafür geschaffen, sein Leben an ein und demselben Ort zu verbringen… Roxane hatte das gewusst, schon immer, und sie machte ihm keine Vorwürfe, obwohl sie nicht allzu begeistert davon war. Aber sie hatte die Sicherheit, dass er immer wieder hierher zurückkehren würde, zu ihr. Zu den Kindern. Die beiden Mädchen hatten diese Sicherheit nicht. Von Roxane wusste er, dass Brianna sich jedes Mal, wenn er verschwunden war – meist, ohne sich zu verabschieden – die Augen aus dem Kopf weinte. Rosanna war noch zu klein, um zu verstehen, was er tat, und ob ihr Vater zu Hause war oder nicht. Brianna dagegen… Staubfinger stützte sich auf den Ellbogen und zog das kleine Mädchen an sich. „Noch nicht.“, sagte er leise. Brianna zupfte an seinem Hemd und verzog das kleine Gesicht. „Ich will, dass du hier bleibst, Daddy.“, sagte sie, den Blick auf den Stoff unter ihren Händen gerichtet, „Bitte, bleib.“ Staubfinger lächelte schwach und zauste ihr den rotblonden Haarschopf. „Vielleicht.“, sagte er sanft, „Vielleicht, Kleines.“ Brianna vergrub das Gesicht in seinem Hemd. „Ich hab‘ Angst, wenn du weggehst, Daddy.“ „Ich komm‘ ja wieder. Ganz bestimmt. Ich versprech’s dir.“ „Und wenn nicht?“ Mit großen Augen sah sie zu ihm auf. „Was ist, wenn die Gepanzerten dich finden? Wenn sie dich auf die Burg des Natternkopfes bringen?“ „Werden sie schon nicht.“, antwortete Staubfinger mit einem Lächeln. Insgeheim hoffte er, dass er recht hatte. Tatsächlich schienen die Spitzel des Natternkopfes in letzter Zeit überall zu sein, welche Stadt man auch betrat, man konnte sich sicher sein, am Marktplatz ein paar silberne Harnische zu sehen. Und da der Natternkopf, wie er aus sicherer Quelle wusste, mit Capricorn zusammenarbeitete… und dieser erinnerte sich bestimmt gut an einen Feuerspucker mit drei Narben im Gesicht, jawohl… „Woran denkst du, Daddy?“ „Hm?“ Staubfinger sah auf. „Nichts. Ist schon gut, Kleines.“ „So würde ich das nicht definieren.“ Staubfingers Kehle zog sich zusammen. Bei allen Feen… Brianna zog die Stupsnase kraus. „Wer ist das, Daddy?“ Bastas Gestalt löste sich aus dem Schatten, er hatte sein Messer wurfbereit in der Hand. „Niemand.“ Staubfinger war sich durchaus im Klaren darüber, wie kläglich dieser Versuch war, Brianna in Sicherheit zu wiegen. „Das ist… Brianna, geh ins Haus. Geh zu deiner Mutter. Bitte.“ „Nichts da.“ Basta hob warnend das Messer. „Die Kleine bleibt hier.“ Die Gedanken in Staubfingers Kopf überschlugen sich wild. Roxane war im Haus, sie schlief, und bei ihr war Rosanna, sie waren hilflos… Staubfinger richtete sich auf, ganz langsam. „Was willst du, Basta?“ Basta zog einen Mundwinkel hoch. „Dich töten. Was denn sonst?“ Brianna stieß einen leisen Schrei aus, sie klammerte sich an ihren Vater. Staubfinger spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Das konnte doch nicht sein… nicht jetzt, das musste ein Alptraum sein… „Nicht hier.“ Seine Stimme klang heiser und krächzend. „Nicht vor Brianna.“ „Das Mädchen bleibt hier. Soll sie sich doch ansehen, was mit Leuten geschieht, die sich Capricorn zu sehr widersetzen.“ Mit einem leisen Fauchen sprang Gwin auf Staubfingers Schulter, und Basta verzog das Gesicht. „Was denn, das verdammte Vieh lebt immer noch? Also gut, dem kann man auch abhelfen, aber vorher…“ „Der Feuerspucker bleibt am Leben.“ Zum zweiten Mal blieben Staubfinger die Worte in der Kehle stecken, als Capricorn ihn abfällig von Kopf bis Fuß musterte. „Er weiß eine Menge über das Feuer, er kann uns nützlich sein. Nehmt ihn mit.“ Brianna wimmerte leise und panisch, weigerte sich jedoch, Staubfingers Hand loszulassen. Basta machte einen Schritt nach vorn, auf Staubfinger zu, doch noch ehe er ihn erreicht hatte, glitt die Welt aus den Fugen. Staubfinger schien schlagartig den Boden unter den Füßen zu verlieren, doch Bastas Gesichtsausdruck zufolge ging es ihm nicht anders; ihre Umgebung schien sich zu drehen, bis sie vollends vor Staubfingers Augen verschwamm, ein schrilles Pfeifen gellte ihm in den Ohren, er konnte Brianna neben ihm vor Angst schreien hören, sie war das einzige, was konstant blieb, konstant neben ihm, was zur Hölle – Schlagartig herrschte Stille. Totenstille. Es war hell – bei allen Feen, war das hell! – und noch immer klammerte Brianna sich an ihn, doch die Umrisse um ihn herum blieben verschwommen, Schemen tanzten vor seinen Augen, Brianna wimmerte und schluchzte leise, und Staubfinger konnte nichts weiter tun, als sie festzuhalten, und zu hoffen, dass dieser Alptraum so schnell wie möglich ein Ende hatte. Kapitel 11: Schöne neue Welt ---------------------------- Zweites Buch: Welt hinter den Seiten „Folchart.“ Staubfinger zog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Mortimer Folchart. Zauberzunge.“ Er warf einen Blick zu dem kleinen Mädchen hinüber, etwas jünger als Brianna, das selbstvergessen auf dem Boden spielte. Brianna selbst hockte zusammengerollt auf seinem Schoß, zitterte und drückte das Gesicht in seine Halsbeuge. „Und Meggie.“ Sein Gegenüber, der den Kopf in die Hände gestützt hatte, nickte schwach. Er war jung, etwa so alt wie Staubfinger selbst, und Staubfinger hatte verdammt noch mal Angst vor ihm. Nicht nur vor ihm, sondern genau genommen vor fast allem, was ihn umgab. Glaskugeln, die von innen heraus zu leuchten schienen, ganz ohne dass man Feen hinein sperrte, wie manche Fürstenhäuser es taten, Bilder an den Wänden, so gestochen scharf, wie selbst die besten Maler des Speckfürsten es nicht fertig brachten, ganz so, als habe man die Objekte auf Papier gebannt. Bücher überall, in Schränken und Regalen, feinster Stoff, den sich kein reicher Händler hätte leisten können, auf dem Boden… Abgesehen davon war sein unfreiwilliger Gastgeber gerade eben mit Basta und Capricorn gleichzeitig fertig geworden, nur bewaffnet mit einem Schwert. Gwin keckerte leise und bedrohlich und richtete sich auf Staubfingers Schulter auf. „Das ist alles meine Schuld.“, murmelte Zauberzunge, und Staubfinger schien geneigt, ihm zuzustimmen, „Wenn ich nicht gelesen hätte, dann…“ Er hatte mehr zu sich selbst gesprochen als zu Staubfinger, doch nun sah er auf. „Du bist Staubfinger, nehme ich an…?“ Staubfinger nickte schwach. „Woher kennst du meinen Namen…?“ „Das… liegt an diesem Buch da.“ Zauberzunge schüttelte den Kopf und fuhr sich durchs Haar. „Hör zu, ich weiß, dass die Situation dir ziemlich seltsam vorkommen muss, aber ich werde mein bestes tun, um euch wieder zurückzubringen... in der Hoffnung, dass es funktioniert.“ Er sah zu Staubfinger auf. „Aber ihr könnt nicht hierbleiben.“ Sein Blick flackerte zu dem kleinen Mädchen auf dem Boden hinüber. „Ihr… ich lass‘ mir etwas einfallen. Bleibt hier. Heute Nacht. Morgen sehen wir weiter.“ Staubfinger lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schloss die Augen. „Ihr könnt auf dem Sofa schlafen.“, hatte Zauberzunge gesagt, ihm eine Decke in die Hand gedrückt und war verschwunden, wohl, um sich um seine eigene Tochter zu kümmern. Brianna indes klammerte sich immer noch an Staubfinger. Die Umgebung, in der sie beide sich befangen, musste ihr genauso fremdartig vorkommen wie ihm, vielleicht sogar noch mehr, denn sie kannte ja nichts außer Roxanes Hof… Roxane. Beim Klang ihres Namens zog sich Staubfingers Herz schmerzhaft zusammen. Wie würde sie reagieren, wenn sie aufwachte und feststellte, dass er nicht mehr da war? Vor seinem inneren Auge sah er sie vor sich, wie sie seufzte, sich das schlafzerzauste schwarze Haar zurückstrich und ihre Decke zurecht zog. Dann würde sie aufstehen, nach den Kindern sehen – und feststellen, dass Brianna ebenfalls fehlte. Bei allen Feen, es würde ihr das Herz zerreißen. Sie würde glauben, dass er sie mitgenommen hatte, zu den Spielleuten, sie würde ihn dafür hassen, seinen Namen verfluchen… „Wo sind wir, Daddy?“, murmelte Brianna. Staubfinger legte die Arme um das kleine Mädchen und zog sie an sich. „Ich weiß nicht.“, sagte er leise und küsste sie auf die Stirn, „Mach dir keine Sorgen, ich werd‘ schon auf uns aufpassen. Jetzt versuch, etwas zu schlafen, ja?“ „Schick uns zurück.“ Staubfingers Stimme klang so flehentlich, wie er sie selbst noch nie gehört hatte, und heiser vor Erschöpfung. „Ich bitte dich, Zauberzunge! Ich weiß nicht, wie du uns hierher geholt hast, aber du kannst uns sicher auf demselben Weg zurückschicken!“ Zauberzunge schüttelte müde den Kopf. „Das kann ich nicht. „Du musst!“ Es fehlte nicht viel, und Staubfinger wäre vor ihm auf die Knie gesunken. „Hör zu, ich verstehe diese Welt nicht, ich kann meiner Tochter nicht einmal etwas anständiges zu essen beschaffen, und das über vier verdammte Tage hinweg! Außerdem ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Basta uns findet! Ich bitte dich, Zauberzunge, versuch es wenigstens!“ Zauberzunges Blick flackerte über seinen Umhang, die Narben auf seinem Gesicht und blieb schließlich dort hängen. Er schüttelte schwach den Kopf. „Es tut mir leid.“, sagte er leise, „Wirklich, Staubfinger. Aber ich kann euch nicht zurückschicken.“ „Brianna?“ Staubfinger schob ein paar Äste beiseite. Ja, Wälder gab es in dieser Welt, ohne Feen zwar und längst nicht so wild und ungezähmt, wie er sie kannte, aber es gab sie, und kaum, dass er es aus der Stadt geschafft hatte, ohne von einer jener seltsamen pferdelos fahrenden Kutschen überrollt zu werden, hatte er Brianna in einem dieser Wälder untergebracht. Hier würden sie vorläufig sicher sein – hoffte er zumindest. Außerdem hatte er Gwin bei Brianna zurückgelassen, in der Hoffnung, dass die beiden aufeinander aufpassten. Als Staubfinger die Lichtung jedoch betrat, auf der er Brianna gelassen hatte, war sie leer. „Brianna!“, zischte er, „Verdammt, wo steckst du?“ „Was verloren, Feuerfresser?“ Staubfingers Magen zog sich zusammen, als er sich zu Basta umwandte. Er war allein gekommen, offenbar hatte Capricorn sich anderswo einen Unterschlupf gesucht, und er hatte Brianna bei sich. Sie regte sich nicht, und Staubfinger konnte ein paar Blutstropfen an ihrem rotblonden Haaransatz erkennen. Er biss die Zähne zusammen und zwang sich, ruhig zu bleiben. „Was hast du mit ihr angestellt?“ „Ach, die Kleine hat gekreischt und gezappelt, da musste ich sie halt ruhig stellen.“ Achtlos trat Basta über sie hinweg, auf Staubfinger zu. „Du kommst gerade von diesem Kerl, nehme ich an, der uns hierher verfrachtet hat?“ „Zauberzunge, ja.“, murmelte Staubfinger. Er rührte sich nicht von der Stelle. Brianna, Brianna, Brianna… Was, wenn sie verletzt war? Basta war nicht gerade für seine Sanftheit bekannt, und er kannte sich kaum mit Kräutern aus und hier gab es auch keine Feen, die sich ihrer hätten annehmen können… „Hast ihn angebettelt, dich zurückzubringen, nehme ich an? Hältst du es denn keine Woche aus ohne deine Feenfreunde?“ Basta umkreiste ihn, langsam und lauernd wie ein Raubtier. „Capricorn würde gern ein paar Worte mit dir wechseln. Du erinnerst dich doch, dass er einiges Interesse an deinen Feuerspielereien hegte?“ Basta blieb vor Staubfinger stehen und grinste. „Ich denke, du wirst mir schon folgen, oder, wenn ich die Kleine mitnehme?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)