Schattenherz von Uki-kun ================================================================================ Prolog: Licht ------------- Das was man im Allgemeinen als Leben bezeichnet, ist nicht das was ich darunter verstehe. Es ist nicht das, was wir darunter verstehen. Und so ganz unter uns gesagt, wenn ich, wie in jener Nacht dort stand und das schwarze Wasser unter mir betrachtete überkam mich das Bedürfnis auf das Brückengeländer zu klettern und zu springen. Ich wollte in seine Tiefen fallen und nie wieder daraus emporsteigen. Ich wollte, dass die Kälte mich umfing und sich meine Lungen mit Wasser füllten und mein Dasein sich in Dunkelheit tauchte. Doch alles in allem war ich zu feige dafür. Ich stand nur da und betrachtete die schwarze, wabernde Flüssigkeit zu meinen Füßen. Es war kalt in dieser Novembernacht. Der feuchte Wind blies mir das Haar aus dem Gesicht. Ich sah auf zum Himmel und blickte in die Sterne. Der Mond war hinter einer dicken Wolke verschwunden. Ich ging immer nachts hinaus um den Mond zu sehen. Er war das einzige, das mich davon abhielt in völliger Dunkelheit zu versinken. Mir…Uns gehörte nur die Nacht. Wir hatten sie zu unserem Jagdrevier gemacht. Ich spürte wie ein leiser, vor Ironie triefender Seufzer meine Kehle verließ. Doch ich würde nicht klein bei geben. Hier stehen bleiben würde ich. Bis die Wolke den Mond, mein Lebenselixier wieder freigab. Ich musste den Mond sehen. Ich musste das Licht sehen. Meine Zunge tastete über meine schmerzenden Fangzähne. Ich verharrte schon viel zu lang auf der Brücke. Mein Körper brauchte seine Nahrung. Eine Ratte krabbelte über den Bürgersteig. Die Biester wissen, dass sie viel zu schmutzig dazu sind, als dass sie etwas von uns zu befürchten hätten. Außerdem fällt für sie auf den nächtlichen Raubzügen gelegentlich etwas ab. Mein Blick glitt über das vor Nässe und Schmutz glänzende Tier, herauf zu der Straßenlaterne. Mücken irrten um das Licht herum. Meine Augen zog es weiter nach oben. Die Wolke hatte sich verzogen und gab den Blick auf Luna frei. Ich betrachtete den beschienenen Himmelskörper erschöpft und biss die schmerzenden Kiefer zusammen. Meine Beine setzten sich, wie von selbst in Bewegung. Meine Augen brannten in der kalten Luft. Mein Gesicht war Taub aber meine Zähne wurden immer heißer. Meine Eingeweide zogen sich schmerzlich zusammen und mein Herz verlangsamte den Schlag bis aufs äußerste. Ich hatte schrecklichen Durst. Das Töten von Menschen ist für Vampire wie das Schlachten von Vieh für Menschen. Wir sind Parasiten, die sich vom Leben der Lebendigen nähren. Das heißt jedoch nicht, dass uns das nicht mit Abscheu erfüllt. In dem Moment, in dem ich meine Fangzähne in die Halsschlagader eines Menschen schlage, weiß ich alles über ihn. Ich kenne seine tiefsten Wünsche und Ängste. Das ist unser Fluch. Das und die Abhängigkeit. Das Blut ist eine Droge. Jeder Vampir, der das bestreitet ist ein Lügner. Es lindert unseren Schmerz. Wir sind verflucht. Von dem Moment unserer Geburt, sind wir zum Abschuss frei gegeben. Wir haben keine Rechte und keine Pflichten. Doch so hat jeder das Recht uns zu töten wenn ihm der Sinn danach steht. Unsere Art wurde über die Jahrhunderte beinahe zu Tode gehetzt. Die Stadt war noch immer von Leben erfüllt. Um mich herum glitzerten Leuchtreklamen und in Schaufenstern wurden die neusten Modetrends angepriesen. Ich wand mich beinahe besinnungslos vor Hunger durch die Menschenmassen, die sich durch die Dunkelheit drängten. Die Kälte umhüllte meinen Körper. Sie kroch durch die Nähte meiner Kleidung und ließ mich erzittern. Um mich herum wimmelte es von potenziellen Mitternachtsdrinks. Ich konnte spüren, wie das Blut in ihren Adern pochte und wie ich beinahe die Kontrolle über mich verlor. Ich nahm nichts mehr wahr… mein Blick und mein Gespür waren getrübt. Alles was ich sah und roch, war das Blut um mich herum, bis mich endlich jemand aus der Menge riss und gegen eine Wand in einer Seitengasse schleuderte. Der Körper vor mir war warm und versprühte einen bekannten Geruch. Meine Beine gaben nach. Ich rutschte die Wand herunter auf den Boden. Meine Augen hatten sich geschlossen. Das Rascheln von Kleidung verriet mir, dass sich mein Entführer zu mir herunter gehockt hatte. Ich hatte zu lange mit dem Trinken gewartet. Musste ich nun den Preis dafür bezahlen? Eine warme Hand legte sich auf meine Wange. „Dante… was machst du nur für Sachen?“, flüsterte eine sanfte Stimme direkt an meinem Ohr. Ich erkannte die Stimme und brachte ein schwaches Lächeln hervor. „Samuel…“, hauchte ich kaum bei Verstand. Der Warme pulsierende Körper hob mich hoch, auf seine Arme. Samuel duftete nach menschlichem Blut. Er musste gerade erst getrunken haben. Meine Gier überwältigte mich. Ich legte die Lippen an seinen Hals, während er mich trug. Doch ich war zu schwach um zuzubeißen. „Warum quälst du dich immer selbst so?“, fragte seine ruhige besonnene Stimme. Ich schwieg, zu schwach einen Laut von mir zu geben. Vor meinem inneren Auge schwappte das Wasser, an die Uferböschung. Es regnete auf mich hernieder und umgab mich. Als ich mein Bewusstsein wieder einigermaßen wiedererlang hatte, lag ich mit einer Wärmflasche im Arm in einem Bett, unter einer dicken Decke. Die Decke roch nach Samuel. Ich schlang sie um meinen immer noch eiskalten Körper und erhob mich schwerfällig. Ich kannte diese Wohnung nur zu gut. Ich hatte hier drei Jahre meines unsterblichen Lebens verbracht. Wie ein Kind, von einem Albtraum erwacht, wankte ich durch die Wohnung, in die Küche und stellte mich vor die Theke. Samuel holte eine Tüte aus dem Kühlschrank. „Was ist da drin?“, fragte ich mit grausig brüchiger Stimme. Mein alter Freund schwieg und holte zwei Katzenkadaver aus dem Plastikbeutel. Ich schauderte. Er hatte ihnen den Hals rasiert, damit ich keine Katzenhaare im Mund hatte wenn ich sie aussaugte. „Sie sind seit einer Stunde tot… hier trink“. Samuel war hinter mich getreten und hatte die Katzen vor mich gelegt. Er legte die Arme um mich und ich lehnte mich zurück während ich trank. Mein Körper wurde wieder warm. Als ich mich gesättigt genug fühlte, legte ich den zweiten Katzenkörper beiseite und den Kopf in den Nacken. Voller Genugtuung spürte ich, wie Samuel bedächtig die Blutreste von meinen Lippen leckte. Ich schloss die Augen und genoss was er tat. Ich hob meine Hand und streichelte über seine Wange. Die noch immer um mich geschlungene Decke, rutschte hinab. Ich schlang meine Arme um Samuels Körper und ließ ihn mich Küssen. Ich wünschte dieser Moment würde ewig währen. Ich wünschte mich in die Vergangenheit zurück, als wir diese Wohnung unser Nest nannten und sie als Liebende teilten. …Aber was war schon für die Ewigkeit bestimmt?... Kapitel 1: Allein ----------------- 1 Allein Es sollte bis zum nächsten Morgen dauern, bis ich wieder meine Augen aufschlug. Mein Herz raste und ich konnte kaum Atmen, so sehr schmerzte Samuels Anblick. Ganz ruhig und schlafend. Samuel war einer, der ältesten Vampire, die ich kannte. Er hatte Cesars Kreuzzüge miterlebt, als kleiner Junge. Er hatte immer gesagt, dass diese Stadt sein Ruhelager werden würde. Vorsichtig rutschte ich näher an ihn heran und streichelte über seine Wange. Doch er erwachte nicht. Er war eiskalt. „Samuel“, hauchte ich gegen seinen Hals und schlang die Arme um den Leichnam neben mir. Zärtlich streich ich die Decke über seiner Brust zur Seite. Pflock… Bevor er mich in der Stadt aufgegabelt hatte, musste er einen Kampf mit einem Vampirjäger gehabt haben. Mein Herz brannte. Ich erkannte die Wunde ganz eindeutig. Die modernen Vampirjäger benutzen eine neue Methode. Sie nennen diese Vorrichtung, die sie benutzen Amors Pfeil. Es ist ein Eisenpflock, den sie uns in die Brust jagen. Wenn der Wärmesensor aktiviert ist, injiziert uns das Ding Weihwasser. Direkt ins Herz. Es dauert in der Regel 24 Stunden. Dann ist der entsprechende Vampir tot. Nach weiteren drei Stunden löst er sich in Asche auf. Alles in meiner Sicht färbte sich rosa. Meine Hände glitten über Samuels Wange und über seinen Hals. Ich schmiegte mich an ihn, in der Hoffnung, er schlage die Augen wieder auf und klärte alles, als einen üblen Scherz auf. Heiße, rote Tropfen glitten über meine Wangen und tropften auf die Brust meines Liebsten. Er musste gewusst haben, dass er sterben würde. Und er hatte mich noch einmal sehen wollen. Es hatte genauso sein sollen, wie es jetzt war. Er hatte neben mir schlafend sterben wollen… Den Körper noch hitzig, von dem, was vor geschehen war. Meinen Geschmack auf den Lippen, meinen Duft in der Nase. Wenn Vampire sich trennten, dann nicht weil sie einander nicht mehr liebten. Wir lieben ewig und mit ganzer Seele. Samuels Wohnung lag gegenüber einer katholischen Grundschule, deren Glocke gerade zum Unterricht läutete, als ich Sam den letzten Kuss auf die Lippen hauchte und er zu Staub zerfiel. Mein Herz brach. Doch so war der Lauf der Zeit. So war das ewige Leben. Man wurde verlassen. Jeden Tag aufs Neue. Ich nahm die Kette an mich, die auf dem Kissen neben mir lag. Es war jene Kette, die ich Samuel einst geschenkt hatte. Sie hatte einen kleinen Kreuzanhänger, um den sich Blumenranken wanden. Auf der Wendeseite war eine kleine verschnörkelte Gravur. Ich küsste das Kreuz und betrachtete es. Ich lächelte bei dem Gedanken, dass Samuel die Kette immer getragen hatte. Selbst jetzt, nachdem wir schon lange kein Paar mehr gewesen waren. Ich las die Gravur; Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt. Das Zitat stammte von Einstein. Sam war begeistert von Mathematik und Physik gewesen. Darum hatte ich diesen Spruch gewählt und nicht unserer beiden Initialen oder Ähnliches. Ich hatte gewusst, dass wir früher oder später auseinander gehen mussten. Auch wenn unsere Liebe nicht verloschen war. Sie ist etwas, das wir in unserem Herzen mit uns herumtragen. Manchmal wird sie von anderer Liebe überschattet, ganz ähnlich wie bei Menschen. Doch wenn zwei Vampire einmal zu einander gefunden haben, verlischt die Zuneigung nie ganz. Ich nahm das Betttuch von der Matratze, öffnete das Fenster und schüttete es aus. Das ist unsere Bestimmung. Wenn wir sterben, trägt uns der Wind davon. Ich tat das Gleiche mit dem Bezug des Kissens und der Decke. Meine blutigen Tränen rannen nun meinen Hals herunter als ich nun die Vorhänge wieder zuzog. Ich legte mich ins Bett und beschmierte achtlos die Wäsche mit roten Tropfen. Bis zu meiner eigenen Wohnung, musste ich ein ganzes Stück zu Fuß zurücklegen. Es war inzwischen wieder Nacht und ich sah in den klaren schwarzen Himmel hinauf. Der Mond leuchtete trübe meinen Weg. Ich lächelte hinauf. Ein sanfter Windstoß trieb mich vorwärts. Ich bewohnte ein kleines Zweizimmer Apartment. Die Küche mündete direkt ins Wohnzimmer. Vielleicht sollte ich zuerst etwas fernsehen um auf andere Gedanken zu kommen. Doch mein erster Weg führte ins Bad. Ich betrachtete mein Spiegelbild. Ich hatte mir zwar das Gesicht gewaschen, aber meine Augen waren immer noch blutunterlaufen und wirkten irgendwie entzündet. Mein blondes zerzaustes Haar hatte ich zu einem zugegebener maßen unordentlichen Zopf gebunden. Ich beschloss diese Nacht und den folgenden Tag zu verschlafen, um den Schmerz zu lindern, den Samuel mir hinterlassen hatte. Ich ertrug es nicht, wach zu sein. Ich ließ mich, ohne mich umgezogen zu haben, auf mein Nachtlager fallen. Mein Bett fühlte sich warm und einladend an. Es zog mich zu sich, hüllte mich ein in die weichen Daunen und behütete mich. Ich fiel in einen Tranceartigen Schlaf. Kapitel 2: Raus aus dem Vogelkäfig! ----------------------------------- 2 Raus aus dem Vogelkäfig! Die Dämmerung verschlang die Farben des Gartens vor dem Laubenfenster. An den Grashalmen hatte sich eine dünne Eisschicht gebildet, die der Rasenfläche etwas Gespenstisches verlieh. Sophie betrachtete das alte Fenster mit dem undichten Rahmen. Ein seichter Windzug strich ihr um den Hals. „Es wird jetzt richtig kalt nachts.“, stellte sie fest. Ihre braunen Augen wanderten durch den kleinen Raum zu ihrem Gesprächspartner. Der junge Mann lag auf der Couch am anderen Ende. „Gut kombiniert Watson.“, erwiderte er mit hochgezogener Augenbraue. Sein Blick wanderte ebenfalls zum Fenster. Sophie schmunzelte verächtlich und wickelte sich ihren Schal um den Hals. „Beweg deinen Hintern von der Couch, sonst kommen wir nie los.“, kommandierte sie den Werwolf von seinem Ruhelager fort. Vittorio seufzte ergeben und setzte sich in Bewegung. In der Laube hielt man es ohne Jacke nicht aus. Vittorio war sogar halbwegs froh darüber, endlich an einen wärmeren Ort zu kommen. Sophie hatte auf dem Campus einen Flyer bekommen. Das war nichts Neues. Aber die Leute, die ihn verfasst hatten gaben eine Adresse an, an der man angeblich auf Gleichgesinnte treffen sollte. Mit anderen Worten: Einen Treffpunkt für Werwölfe, Vampire, Hexen und andere andersartige Zeitgenossen. Dem mussten die beiden natürlich nachgehen. Sophie hatte die Hexerei von ihrer Großmutter geerbt. Vittorio, das Werwolfgen von seinem Vater. Ergeben trottete er hinter seiner Sandkastenfreundin her. Die U-Bahn war etwa anderthalb Kilometer von Vittorios Garten entfernt. In der Station roch es nach verschüttetem Bier und Urin. Beinahe unerträglich für eine sensible Werwolfsnase. Sophie seufzte leise als sich ihr Begleiter das Rot-Schwarze Pali über die Nase zog. „Sag mir, wenn du eine Gasmaske brauchst Lupo“. Sophie liebte es ihn aufzuziehen. Aber das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Zu Vittorios Glück, kam die Bahn nach wenigen Minuten und sie wurden von dem ätzenden Gestank befreit. „Meinst du wir finden da wirklich Leute wie uns?“, fragte die Hexe ruhig als sie schon einige Minuten allein im Abteil saßen. Vittorio zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Hellseher. Aber falls nicht, haben wir wohl eine interessante Fetischbar gefunden“, grinste er unbedarft. Sophie schwieg und senkte den Kopf. Vittorio wusste, was sie sich davon erhoffte. Seine Freundin kämpfte schon seit langem für die Rechte, die ihnen aberkannt wurden. Die Hexen und Hexer hatten es gut. Sie genossen jenen Luxus, den die Menschen ihr Eigen nannten. Aber Tiermenschen und Vampire hatten laut der zuständigen Regierungsbehörte, nicht einmal ein wirkliches Recht auf Leben. Sophie hasste Ungerechtigkeit. „Schau nicht so. Wir gehen doch feiern!“, versuchte der Wolf die Hexe aufzumuntern und blinzelte unschuldig. Die Bahn ratterte und fuhr unaufhaltsam weiter. Sie stiegen an der angegebenen Haltestelle aus. „Witterst du schon was?“, fragte Sophie. „Haha“ „Ich meine es ernst.“ „Achso?“, Vittorio lachte leise. Er nickte in die Richtung, in der er etwas spürte. „Aber hier auf dem Zettel ist eine andere Richtung angegeben.“ Die Hexe hielt ihn am Ärmel der grünen Jacke fest. „Vertrau mir“, der Wolf ging unbeirrt weiter. „Ich vertraue keinen Männern, die glauben, dass sie wissen wo sie lang müssen, obwohl sie noch nie da waren.“ Sophie folgte ihrem Freund trotzdem. „Männern vielleicht nicht. Aber was ist mit Werwölfen?“ Vittorio blickte hinter sich und grinste wölfisch. „Punkt an dich.“, Sophie seufzte tief. Die Sonne war inzwischen gänzlich hinter dem Horizont versunken. Die Straße, die das ungleiche Paar entlang ging war nur durch vereinzelte Laternen beleuchtet. Von etwas weiter fort, hörte man die Geräusche des Stadtzentrums, das sich von ihnen aus auf der anderen Seite der Häuserblocks zu ihrer Rechten befand. „Hier.“, Vittorio bog in eine Seitenstraße ein. „Ich spüre es. Du hattest Recht. Irgendwo hier muss ein Bannkreis liegen.“, Sophie hastete voraus und blieb vor einer alten, unscheinbaren und nebenbei schlecht lackierten Hintertür stehen. „Du meinst, die haben das für Menschen unsichtbar gemacht?“, fragend blickte der Werwolf seine Gefährtin an. „Genau das meine ich.“ Sophie legte die rechte Hand gegen das Holz und schloss die Augen. Die Tür ging knarrend auf und ließ beide in einen schlecht beleuchteten Vorraum vortreten. Eine kleine, dickliche Frau mit leuchtend roten Haaren saß hinter einem merkwürdig verborgen aussehenden Holztisch. „Hallo. Na? Ihr seid neu hier huh?“, stellte sie mit einem breiten Lächeln fest, das ihre Pausbacken noch rundlicher erscheinen ließ. „Ja… ähm…sind wir hier…“. Sophie wurde gar nicht die Chance gegeben auszusprechen. „Ja, natürlich seid ihr richtig hier. Wo sonst, wenn nicht hier?“, die alte Dame machte eine geschmeidige Bewegung mit der Hand und an der Wand neben ihnen bildeten sich Risse, die bald eine weitere Tür enttarnten, welche behände aufglitt. „Viel Spaß!“, wünschte die Alte, während Vittorio und Sophie eintraten. Die Tür führte in einen kleinen Barraum, in dem sich einige Lebewesen tummelten. Sie als Menschen zu bezeichnen wäre nicht ganz korrekt gewesen. Ein Vampirpärchen saß auf einem Sofa und war … miteinander beschäftigt. Beide bluteten an verschiedenen Stellen. Verstand doch einer die Vampire. In der Bar standen einige Tische verteilt, an den Wänden Sofas und an der Bar normale Hocker. Nebenan war eine kleine Tanzfläche, von der her Musik dröhnte. „Hier halt ich’s aus!“, rief Sophie begeistert und warf sich ins Gewühl, während Vittorio sich selbst überlassen wurde, was ihm allerdings nicht besonders viel ausmachte. Nachdem ich lange genug überlegt hatte, was ich nach meinem Erwachen alles tun konnte, entschied ich ins Birds Nest zu gehen und mich grundlos zu betrinken. Ich bin knappe 1,60 groß, was bedeutet, dass mein Körper nicht allzu viel Alkohol verträgt. Ich saß an der Bar und starrte auf meinen Blut-Wodka-Mix. Von der Tanzfläche schallte unpassender Weise ein Cover von Who wants to love forever. Während sich die Pärchen aneinander schmiegten und irgendetwas taten von dem ich nichts wissen wollte, suhlte ich mich in meinem Selbstmitleid und meiner Einsamkeit. „Who dares to love forever, when love must die…“ , grummelte ich säuerlich, die derzeitige Liedzeile mit. Wenige Sekunden später realisierte ich, in meinem benommenen Zustand, dass jemand neben mir Platz genommen hatte. Er bestellte irgendwas. Ich kann es nicht genau erklären. Aber wenn ich etwas getrunken habe, wächst in mir der Drang Schutz suchen zu müssen. Ich bin allein nicht lebensfähig glaube ich manchmal. Ich wandte den Kopf und betrachtete meinen neuen Sitznachbarn. Ich witterte Werwolf. „Hi“, sagte ich zurückhaltend und senkte den Blick zaghaft. Ich war nie sonderlich gut darin, mich jemandem anzunähern. Aber heute Abend wollte ich nur jemanden, der mit mir sprach. „Hey! Was geht?“, grinste mein Gegenüber. „Der Nervenkitzel hält sich in Grenzen“, erwiderte ich und musste kurz lächeln, wobei ich völlig absichtslos meine Fangzähne entblößte. Langsam bekam die Situation etwas Lächerliches. So stützte ich den Kopf auf die Hand und blinzelte hinüber zur Tanzfläche. „Ich bin zum ersten Mal hier. Eine Freundin von mir hat an der Uni, so einen Wisch aufgegabelt auf dem stand, dass es die Bar hier gibt. Aber die Adresse…“ Ich musste aufgrund, der Erklärungen meines Gesprächspartners leise kichern. „Das ist Absicht, damit Menschen nicht in der Gasse rumwuseln. Jemand, der hier her gehört spürt wo er hin muss.“ Mein trüber Blick blieb auf dem Werwolf hängen. „Mein Name ist Dante.“, sagte ich dann und nippte an meinem Drink. „Vittorio Sanchez!“, freute sich der Wolf. Wenn er verwandelt gewesen wäre, hätte er wohl mit dem Schwanz gewedelt. Werwölfe waren schon interessante Kreaturen. Dennoch glitten meine benebelten Gedanken, immer und immer wieder zu Samuel. Wir waren so oft zusammen hier gewesen. Wie oft hatten wir zu jenen Vampirpaaren gezählt, die auf einem der Sofas saßen und damit beschäftigt waren einander zu …arg! Ich warf einen verbitterten Blick auf die Tanzfläche. Ich verengte die Augen wütend und stand auf. Ehrlich gesagt, verstand ich nicht, wo diese auf einmal aufkochende Wut gegen mich selbst her kam. Ich knallte das Geld auf den Tresen und fuhr mir durchs Haar. Ich muss völlig durcheinander gewirkt haben. Vielleicht war ich auch sauer auf Samuel. Er hatte es ausgenutzt, dass ich schwach gewesen war. So wie immer. Er hatte mich mit einem einzigen Kuss in die Knie gezwungen… mich in sein Bett geschleift. Ohne mich verabschiedet zu haben fand ich mich auf der Straße wieder. Ich lehnte an der Wand neben der Eingangstür … Ich konnte nicht mehr an mich halten. Ich rannte weiter fort von den Häusern und sank schließlich, die Hände seitlich an den Kopf gepresst, auf die Knie und schrie. Ich schrie Samuels Namen und verfluchte ihn. Er hatte mich verführt, meine Schutzmauern eingerissen und mich dann allein gelassen. Es war mir egal ob er wirklich die Schuld trug. Ich war allein. Ich schlug meine Hände auf den Asphalt, bis sie bluteten. „Darf ich wissen was das wird?“, fragte eine sanfte Stimme hinter mir und ich fuhr herum. „Warum bist du… Vittorio?“ Was wollte er von mir? Er war mir gefolgt. Warum folgte man einem Vampir, den man erst fünf Minuten kannte? Ich verstand das alles nicht. Die Welt um mich herum begann sich zu drehen. Kapitel 3: Raus aus dem Vogelkäfig II ------------------------------------- Die Welt drehte und drehte und drehte sich. Wie ich vielleicht bereits erwähnt hatte, vertrug ich nicht besonders viel Alkohol. Erschwerend hinzu, kam die Tatsache, dass sich in meinem Magen keine Grundlage befand, was vielleicht der Grund dafür war, dass Vampire ziemlich einfach ab zufüllen sind. Mir war speiübel... Ich presste mir meine Hand auf den Mund würgte zunächst trocken. Vittorio hatte sich indes neben mich gehockt und mir eine Hand auf den Rücken gelegt. „Alles in Ordnung?“, stellte er mir die wohl rethorischste Frage, die einem in diesem Moment wohl einfallen konnte. Ich atmete ein paar Mal tief durch und schluckte den säuerlichen Geschmack herunter, der sich in meinem Mund breit gemacht hatte. Ich schüttelte Vittorios Hand ab und kämpfte mich auf die Beine. Ich wollte, meiner Sucht nach Schutz und Liebe zum Trotz, nicht einmal, dass dieser Fremde mir hoch half. Ich wollte mich nicht mehr selbst abhängig von Anderen machen. Ich fuhr mir fahrig durchs Haar und gab ein unverständliches Grummeln von mir, woraufhin mich meine neue Bekanntschaft fragend ansah. „Ich...mache gerade eine Trennung durch“, gab ich ich zu und lächelte nicht unbedingt überzeugend. Vittorio bot mir einen Arm an und brachte mich wieder ins Innere der Bar. Die Hexe am Eingang musterte mich mitleidig. Ich hasse Hexen. „Ich verderbe dir den Abend“, mutmaßte ich, als der junge Wolf mir einen Becher mich warmem Blut in die Hand drückte, den ich nur zu gern entgegennahm. Wir saßen in einer kleinen Sitzgruppe. „Würde es dir helfen über deinen … Ex-Partner herzuziehen? Mir hilft das immer“, schlug er vor und bedachte mich mit einem aufmunternden Lächeln. Ich hatte nicht die Absicht mich mit ihm über meine gescheiterte Beziehung zu sprechen und über Sam, so wütend er mich auch damit gemacht hatte, einfach zu sterben, herzuziehen war das letzte, was ich im Sinn hatte. Aber andererseits hatte ich auch jedes Recht wütend zu sein. „Er ist einfach gegangen“, kam es mir schließlich über die Lippen. „Mehr gibt es darüber nicht zu sagen.“ Vittorio seufzte und versuchte mir Anteilname vorzugaukeln. Ich war ihm dankbar für diese nicht ganz ernstgemeinte Geste und lächelte. Ich trank von dem noch warmen, frischen Blut und schauderte wohlig dabei. „Was macht deine Freundin so?“, lenkte ich unser Gespräch fort von mir und Sam. „Wicca“, sagte Vittorio knapp und nickte zur Tanzfläche. „Ich vermute sie hat ziemlich viel Spaß hier.“ Ich lachte leise und fühlte ein neues Gefühl in mir hochkochen. Etwas, das in mir geschlummert zu haben schien und jetzt sein Recht forderte an die Oberfläche zu dringen. Ich fühlte mich frei auf eine Art, die mir bisher völlig fremd gewesen war. Ich begann zu verstehen, warum viele meiner Brüder und Schwestern dieses Leben, das mir immer ein Fluch gewesen war als Segen betrachteten. Entgegen aller Vermutungen gibt es unter uns tiefgläubige Individuen. Das Weihwasser, das für uns einem Gift gleich ist, ist nicht tödlich weil es geweiht worden ist, sondern weil gewitzte Vampirjäger ihm Mariannenkraut beimischen, deren chemische Bestandteile uns den Tod bringen. Sie nennen es Weihwasser, weil sie uns als unheilig und dreckig betrachten. Ich fühlte mich so frei, weil so bitter es war, Sams Tod mir die Möglichkeit gab noch einmal von vorn zu beginnen. Denn so liebevoll er mich stets behandelt hatte, so hatte ich mich ihm immer weit unterlegen gefühlt. Sam war nicht mehr. Aber mich gab es noch und ich hatte die Chance weiter zu leben. Ich leerte den Becher und fühlte mich sofort ein wenig besser. Vittorio, der nichts von meinem inneren Monolog mitbekommen hatte, hatte ein niedliches junges Ding an der Bar in Augenschein genommen. „Vittorio? Sei achtsam. Es sind Jäger in der Stadt und die Kleine da habe ich noch nie gesehen, hier“, warnte ich den Werwolf aber er winkte ab. Ich zog die Brauen hoch, blickte in meinen Becher und schwenkte den letzten Rest darin, bevor ich ihn herunter kippte. Meine Augen folgten wachsam dem Werwolf, der nun aufstand und sich auf seine persönliche Jagd begab. Das Schummrige Licht, in der Bar, schmeichelte jedem Wesen der Nacht. Vielleicht bereute er bei Tageslicht, was er sich hier angelacht hatte. Er hatte sein Ziel erreicht und flirtete eine Spur zu offensiv, für meinen Geschmack, mit ihr. Mir drängte sich die Vermutung auf, dass er schon sehr bald bereuen würde, was oder wen er sich da angelacht hatte, wenn sie ihm das Messer, dass sie hinter ihrem Rücken aus dem Gürtel zog, ins Herz rammte. Ich sprang auf und tat zu meinem persönlichen Bedauern etwas, das ich noch nie getan hatte. Ich mischte mich in fremde Angelegenheiten ein. Wenn man ein Vampir ist, hat man einige wirklich angenehme Fähigkeiten. Man kann sich zum Beispiel so lautlos bewegen, wie eine Katze. Das hatte ich getan und schnappte der jungen Dame das Messer weg. Noch während ich es ihr entzog, fühlte ich, dass das eine wirkliche dumme Idee gewesen war. Sie wirbelte herum und griff augenblicklich nach der Waffe. Vittorio, auf der anderen Seite, der Frau, starrte mich fassungslos an. Ein Blick der eigentlich seiner potentiellen Mörderin hätte gelten sollen, wenn man mich fragte. Sie fauchte wütend und jetzt erst bemerkte ich, dass sie eine ziemlich gut gemachte Perücke trug. „Gütiger Himmel!“, stieß ich aus und starrte den kleinen Schlangenkopf an, der sich unter ihrem Haaransatz hervor kämpfte und neugierig schaute, was der Tumult um ihn herum zu bedeuten hatte. Ich hatte das Messer fest umklammert und kniff die Augen zusammen. Die Bar war inzwischen so brechend voll, dass niemand unser kleines Menage a trois mitbekommen hatte. Ich fluchte und tat das Einzige, was mir einfiel. Ich schrie: „MEDUSA!“ Leider war meine Stimme noch nie sehr kräftig und kaum in der Lage die Musik zu übertönen. Ich traute mich nicht die Augen zu öffnen, bis ich spürte, dass mir nichts geschah und dann begann die Medusa vor mir an zu schreien und zu kreischen. Ohne es zu wollen öffnete ich die Augen und sah verblüfft, dass Vittorio ihr, die ihren verbunden hatte. Er hatte ihr von hinten sein Halstuch um die Augen gelegt und es auf einem mir unbegreiflichen Weg geschafft ihre Handgelenke festzuhalten. Mein angeschlagener Kreislauf, atmete dankbar auf, als ich mich an der Theke abstützte. Endlich hatte die Security geschaltet. Und auch der Rest der Bar, bis auf ein Vampirpärchen, das noch immer auf einem der Sofas zu Gange war, war aufgefallen, was hier gerade vor sich ging. Der Sicherheitsmann war ein großgewachsener, Troll, der vermutlich unter einer Brücke lebte und zum Frühstück drei Jungfrauen verschlang. Er grunzte und schnappte sich die wild gewordene Dämonin. Während er sie hinaus brachte bestellte ich beim Barkeeper einen doppelten Vodka ohne Blut. Vittorio schnaufte und sank neben mir auf einen Hocker. „Du wolltest nicht auf mich hören“, sagte ich und nahm mein Getränk entgegen. Ich kippte es herunter und machte mir keine Gedanken, dass ich eigentlich schon genug hatte. Vittorio schüttelte den Kopf und legte mir eine warme Hand auf die Schulter. „Danke, Mann!“ Ich musste lachen. „Ich hab mir fast in die Hose gepisst“, gab ich zu und legte das Messer auf den Tisch, das ich noch immer in der Hand hatte. Eine Frau kam zu uns. Ich vermutete, dass sie die Freundin war, von der mir meine Bekanntschaft erzählt hatte. „Was war denn da los!?“, sagte sie atemlos und betrachtete Vittorio als wollte sie sicherstellen, dass ihm nicht ein Ohr abgefallen war, vor Aufregung. Ich war inzwischen bei meinem nächsten Drink und konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel sich nach oben zogen. Die beiden würden es irgendwann noch selbst begreifen. Ich brauchte nichts dazu zu sagen. „Dante, oh Sophie, das is Dante, Dante, das ist Sophie“, stellte er uns vor und ich gab ihr höflich die Hand. „Dante hat mich eben gerettet. Ich hab da diese Süße gesehen und... das war ne Dämonen, die ….“, er stammelte hastig alles runter und ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Ich bewegte meine Schulter ein wenig. Ich fühlte mich verspannt. Trotz dem Funken Mut, der in mir aufgekommen war, überwog die Sehnsucht, nach der Person, mit der ich die letzten Jahre verbracht hatte. Ich stand auf und bezahlte die letzten Drinks. Während sich Vittorio noch in Ausschweifenden Erklärungen verlor, kritzelte ich ihm meine Nummer auf einen Zettel, um den ich den Barkeeper gebeten hatte. Ich gab ihm den Stift wieder und schob ihn Vittorio zu. Kurz überlegte ich das Messer der Medusa in der Bar zu lassen, steckte es aber doch unauffällig ein. Es war meine persönliche Trophäe, die ich mir an meinem ersten Tag außerhalb des Vogelkäfigs erstritten hatte. Ich rief ein Taxi und fuhr nicht nach Hause, sondern in unser Nest. Ich tat das, was jemand tun musste. Ich packte seine Sachen in Umzugskartons, die er im Keller aufbewahrt hatte und suchte wichtige Unterlagen zusammen. Ich setzte ein Kündigungsschreiben auf, dass ich morgen noch einmal neu verfassen würde, weil meinem benebelten Kopf das Denken sehr schwer fiel. Ein paar Dinge,an denen ich sehr hing, packte ich in einen besonderen Karton, den ich mit zu mir nehmen würde. Die anderen Sachen, die mein Herz bereit war herzugeben würde die Heilsarmee bekommen. Nachdem ich alles aufgeräumt hatte nahm ich auf einer der Kisten Platz und verbarg das Gesicht in meinen Händen. Die Sonne tötet uns nicht wirklich. Aber wenn wir zu lange Sonnenlicht ausgesetzt sind, bekommen wir schreckliche Migräne und müssen uns übergeben. In meinem Fall war aber nicht die Sonne schuld. Ich hatte die Nacht im Bad verbracht und nun dämmerte es. Meine Gedanken waren schwer wie Blei. Aber ich fragte mich, was meine Aufgabe, in diesem einsamen Leben werden würde. Ich las mir das unverständliche Gekrakel durch, das halb auf kyrillisch verfasst worden war. Ich lachte leise über mich selbst. Ich zerknüllte das Schreiben und setzte ein Neues auf. Nachdem ich die letzte Blutkonserve aus dem Kühlschrank genommen und vernichtet hatte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich trug einen dicken Pullover von Sam und hatte mir die Kapuze ins Gesicht gezogen. Außerdem hatte ich mir eine seiner Sonnenbrillen aufgesetzt. Den Karton mit meinen Sachen, trug ich bis zum nächsten Briefkasten, wo ich das Kündigungsschreiben einwarf. Zur Räumung der Wohnung beauftragte ich einen Anwalt. Ich legte alles in seine Hände und zog mich in meine Wohnung zurück. Sams Pullover hatte ich noch immer an. Er begleitete mich in mein Bett und umgab mich ein letztes Mal mit Samuels wunderbarem Duft. Es war das einzige Kleidungsstück, das ich mitgenommen hatte um mir selbst die Chance zu geben, mit dem Schmerz und dem Verlust abzuschließen. Zumindest irgendwann. Kapitel 4: Schluss mit lustig ----------------------------- Die nächsten Wochen geschah... nichts. Nichts nennenswertes jedenfalls. Sie gaben mir Zeit ein wenig Kraft zu tanken und zur Ruhe zu kommen. Ich schlief sehr lange und gönnte mir mehr Blut als gewöhnlich. Ich vermisste Sam noch immer, ganz schrecklich, aber das würde sich vermutlich nie ganz legen. Ich fand mich allmählich damit ab, allein zu sein und auf mich gestellt. Ich fand eine Art sehr instabile Balance, die es mir erlaubte mein Leben weiterzuführen und dennoch in Andacht an Sam zu verharren. Die Wohnung war geräumt. Es gab nun keinen Ort mehr, der mich emotional mehr ruinieren konnte, als ich es ertragen hätte. Ein oder zweimal war ich sogar in die Kirche gegangen und hatte um auf ganz sicher zu gehen, den Herrn gebeten, falls es ihn denn gab, Samuel sein Seelenheil zu schenken. Man wusste ja nie. Gestern Abend hatte mich Vittorios Anruf geweckt. Er hatte mich gefragt ob ich ihn und Sophie ins Birds Nest begleiten wollte. Doch ich wollte nicht. Den Dolch, den ich der Medusa abgenommen hatte, trage ich seit diesem Vorfall bei mir. Ich habe ihn in einer unscheinbaren Schutzhülle und es mag albern klingen, aber mit ihm fühle ich mich ein bisschen sicherer, draußen. Mit den Wochen, in denen es langsam Winter wurde, fand ich die Idee eines Jenseits, in dem unsere Seele ein unbeschwertes Dasein fristen kann sehr tröstlich. Ich entschied mich daran zu glauben. Ich redete mir ein, Sam irgendwann, wenn ich dieses Leben zu ende gelebt hatte, wieder zusehen. Ich würde ihm all diese Dinge sagen, die noch gesagt werden mussten, ihm eine Ohrfeige verpassen und einen neuen Versuch starten, glücklich mit ihm zu sein. Aber dieses Kapitel musste warten, solange ich auf der Erde wandelte. Wie bereits erwähnt. Die nächsten Wochen geschah nichts. Genau genommen geschah auch an jenem Abend, an dem etwas geschah nicht direkt etwas. Aber es war der Stein des Anstoßes für eine ganze Menge unschöner Ereignisse. Ich saß in meinem Sessel und trank Intstantblut. Ein sehr vampirfreundlicher Chemiker hatte es erfunden und es war seit ein paar Jahren auf dem Markt. Wenn man so will ist es das blutige Äquivalent zu Fünfminutenterrinen. Ich sah die Lokalnachrichten während ich auf meine Lieblingssoap wartete. Aber was ich da hörte, ließ mir das Blut auf dem weg in meine Speiseröhre gefrieren. „-So rückt der Bürgermeisterkandidat Emerald Fletcher, unseren übernatürlichen Mitbürgern mit einer Reihe von Sanktionierungen auf den Leib. Er verspricht sichere Straßen bei Nacht und eine Entrechtung von jenen, die das Gesetz verletzen. So will er ein Ausgangsverbot für Vampire, ab 20:00 verhängen und Zuschüsse, für jene, die auf das neue Instantblut umsteigen“, erklärte die Nachrichtensprecherin. Ich schnaufte unschlüssig, was ich von alldem halten sollte. „Seine Befürworter sprechen von lange notwendigen Maßnahmen, zur Bekämpfung der gefährlichen menschenähnlichen Mitbürger.“ Ich starrte die Nachrichtentante ungläubig an und brauchte einige Sekunden um zu verdauen, was sie da gerade gesagt hatte. „Hast dir einen guten Zeitpunkt ausgesucht um zu gehen. Es scheint ungemütlich zu werden“, erklärte ich Sam, der nicht mehr da war. Ich stand auf, stellte den noch halbvollen Becher mit dem Chemiezeug auf den Tisch und schaltete den Fernseher aus. Hastig zog ich mich an und nahm auch das Messer mit mir. Es dämmerte bereits. Heute war Vollmond und ich würde jemanden warnen müssen. Vittorio bereitete sich gerade darauf vor, sich zu verwandeln. Er war kein unkontrollierbarer Berserker, wenn er seinen Wolfskörper an nahm. Und genau genommen war es auch ein anmutiger Wolf zu dem er wurde. Er war mehr eine Art Hulk mit schwarzem Fell, Schnäuzchen, Wolfsohren und einem Schweif. Sicher, er hatte das Bedürfnis zu jagen und zu toben, wenn es soweit war, aber er griff nie jemanden an und war im Blutrausch. Ganz im Gegenteil sogar. Er hatte sich ausgezogen und saß inmitten seines Zimmers um zu meditieren. Das Studentenwohnheim besaß eine Reihe von Einzel- und Doppelzimmern. Vittorio hatte dank den Beziehungen seines Vaters eines für sich allein bekommen. Sophie teilte sich ein Zimmer mit einem Mädchen, dass sie regelmäßig hinaus warf um mit jemandem den Beischlaf auszuüben. Vittorio würde weiterhin so hier sitzenbleiben. Er würde sich entspannen und sich sein Mantra aufsagen, bis der Vollmond aufging und er sich ganz von allein verwandelte. Ich erreichte den Campus als die Sonne gerade hinterm Horizont verschwunden war und meine Maskerade lange unnötig war. Ich hatte Die Kapuze abgenommen und die Sonnenbrille in meiner Tasche verstaut. Es war wirklich eisig geworden. Ich hatte mich dick in einen Wollschal und einen Wintermantel gepackt. Es dauerte nicht mehr lange und ich würde meine sibirische Mütze wieder brauchen. Peinlich eigentlich wenn man bedenkt, dass ich in Russland aufgewachsen bin. Aber ich verdanke es meiner Unsterblichkeit, dass ich so schnell friere... der Unsterblichkeit und meiner wirklich zierlichen Statur. Ich betrat die Eingangshalle des Wohnkomplexes für Studenten und nahm wohlwollend die Wärme zur Kenntnis, die mir entgegenschlug. Sophie hatte mich in den letzten Wochen einmal angerufen und herzlich eingeladen. An jenem Abend war mir nicht danach gewesen aber ich hoffte, dass diese Einladung immer noch galt. Ich zog mir Mantel und Schal aus, um nicht gleich wieder zu frieren wenn ich wieder in die Kälte ging. Hie und da huschten ein paar Studenten an mir vorbei, nahmen aber kaum Notiz von mir. Vermutlich hielten sie mich für einen der Ihren. Es gab einige Korridore, die mit Buchstaben versehen waren. Der Korridor, in dem Sophie ihr Zimmer bezogen hatte, trug die Bezeichnung D. Ich suchte und fand also Korridor D und fand schließlich auch ihre Zimmernummer. Doch mir öffnete nicht Sophie, sondern ein fremdes Mädchen. „Hallo, Ich suche Sophie“, sagte ich und musterte das Blondgelockte Engelein, das vermutlich einen weniger engelsgleichen Charakter besaß. Kaugummi kauend sah sie mich an. „Eh, die is schon vor 'ner Stunde in die Bibliothek gegangen. Lernt wohl da“, erklärte sie mir. Ich nickte höflich und mir fiel auf, dass ich keinen Schimmer hatte, was Sophie und Vittorio überhaupt studierten. „Kannst du mir sagen, wo die Bibliothek ist?“, fragte ich das Engelchen und gab mir Mühe den spitzen Unterton nicht zu sehr hören zu lassen. Sie wirkte als belief sich ihr literarischer Grundsatz auf die Boulevardpresse. Aber immerhin hatte sie erkannt, dass man in einer Bibliothek lernte. Gut gemacht, Mäuschen, sagte ein älterer Arzt, in meinem Kopf, der aus einer Comedyserie stammte, deren Wiederholungen ich oft nachts sah, wenn ich nicht schlafen konnte. „Was willst du denn von Sophie?“, grinste sie dann und ich stöhnte innerlich auf. Verglichen mit einem Menschen bin ich wirklich alt. Aber einige meiner Fähigkeiten als Vampir, hatte ich nie so recht in den Griff bekommen. Da gibt es etwas, das ähnlich auf Menschen wirkt, wie eine Lampe auf Mücken. Nur, dass ich im übertragenen Sinne hier die Mücke bin. Einige Menschen sind besonders anfällig dafür. Sie verfallen mir völlig und es wäre ein Leichtes, sie so einfach auszutrinken. Doch ein Narr, der hier von Magie spricht. Vermutlich sind es eher irgendwelche Pheromone. Bin ich nämlich ganz frisch geduscht, funktioniert dieser Trick nie. Engelchen schien also einer dieser Menschen zu sein, die auf mich flogen. Ich lächelte und wandte mich zum Gehen. „Na, ich werde die Bibliothek schon finden. Ich bezweifle eh, dass du sie betreten hast“, erklärte ich gutmütig und seufzte mitleidig, als ich begriff, dass sie mir voller Hingabe den Hals entgegenstreckte. Ein verlockendes Angebot. Aber keines, das ich jetzt annehmen konnte. Ich ging und warf mir den Mantel wieder über. Heute war, trotz der mutmaßlichen Hiobsbotschaft aus dem Fernsehen, einer meiner besseren Tage. Ich fragte einen Studenten, der an mir vorbei joggte nach dem Weg und er gab mir bereitwillig auf der Stelle weiter hüpfend Auskunft. Ich mag Bibliotheken wirklich gern. Der Geruch von alten Büchern hat etwas Tröstliches an sich. Sowieso kann ich diesem neumodischen Einrichtungsstil á la Ikea nichts abgewinnen. Ich mag es rustikal und altmodisch. Designerkram ist nichts für mich. Ebenso wenig wie moderne Kunst und Energiesparlampen. Sophie saß ganz in der Nähe des Eingangs, an einem kleinen Tisch und war in dicke, ziemlich alt aussehenden Bücher vertieft. Wobei auch neue Büchern in Büchereien und Bibliotheken schneller alterten, ob der groben Behandlung durch einige Schüler. Ich ging zu ihrem Tisch und blieb stehen. Ich wartete ab, bis sie mich wahrnahm. Es dauerte nicht sehr lange. Aber sie erschrak dabei. Vielleicht war ich gerade dabei meine sadistische Ader zu entdecken, aber ich freute mich darüber. „Was tust du denn hier?“, fragte sie verblüfft und ich tat als hätte sie mich gekränkt. „Hallo, danke es freut mich auch sehr dich zu sehen“, säuselte ich theatralisch. Die Aufseherin der Bücherhalle war schon lange gegangen und so war es den Schülern durchaus möglich, leise Gespräche zu führen. „Ja, sorry, hi und was tust du hier?“, wollte sie wissen. „Hast du die Nachrichten gesehen?“,fragte ich sie im Gegenzug. „Nein... ich war die ganze Zeit hier. Ich hab ende der Woche ein Kolloquium.“ „Nun, dennoch wird dir nicht entgangen sein, dass derzeit der Wahlkampf in vollem Gange ist?“ „Ja klar... Aber was ist denn nun?“ „Fletcher. Das ist.“ „Fletcher? Dieser abgedrehte Typ, der uns... der die Anderen vergraulen will?“ „Nicht vergraulen. Entrechten.“ Sie starrte mich einige Sekunden fassungslos an. „Damit kommt er nicht durch!“, sagte sie schließlich entschlossen. „Es sind schon ganz andere Witzfiguren, mit ganz anderen Dingen durchgekommen, Liebes. Das weißt du, wenn du auf der gleichen Erde aufgewachsen bist, wie ich“, sagte ich und fügte hinzu: „Und ich weiß es sogar noch ein bisschen besser.“ Sie schluckte und begann ihre Sachen zusammen zu packen. „Vittorio ist stolz auf das, was er ist. Er hält sich hier zwar bedeckt. Aber ich denke nicht, dass er sich ein Leben lang verstecken wird. Er kann aufbrausend sein und ist leichte Beute für solche... Leute.“ Sie legte die Bücher auf einen kleinen Rollwagen und nahm ihre Notizen. „Ich möchte, dass du mit mir ins Birds Nest kommst“, verkündete ich, ohne auf ihre Äußerung einzugehen und war selbst beinahe schockiert von meiner plötzlichen Unternehmungslust. „Was hast du vor?“ „Ich lasse mich nicht länger verarschen. Wenn die anfangen Pläne gegen uns zu schmieden, fangen wir an, uns zu verteidigen. Ich kenne keinen besseren Ort für einen Kriegsrat“, erklärte ich Sophie. Ich war durchaus zufrieden mit mir. Samuel wäre stolz gewesen auf mich. Wir machten uns auf den Weg ins Birds Nest und ich begrüßte, die dicke Hexe am Eingang freundlicher als sonst. Ich hätte mir keinen besseren Tag aussuchen können. Heute, war Karaoke Abend. Sophie, die mich nicht gut kannte, vermutete wohl, ich hatte mir diesen Tag aufgrund ausgeklügelter Überlegungen ausgesucht. Natürlich hatte ich das nicht. Ich war mehr der Typ für Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Ersteinmal setzten wir uns an die Bar und ich bestellte uns etwas zu Trinken. Auf der kleinen Bühne stand gerade ein Dämon, der aussah wie ein Mensch, der jedoch anstelle der Augen zwei blutende, klaffende Löcher hatte. Er sag oder quietschte, besser gesagt Highway to hell. Heute bediente uns ein Barkeeper, den ich kannte. Er war ein Hexer und sein Name war George. Er kam aus Texas und hatte etwas von einem Cowboy. „Hey George“, sagte ich, als er mich sah. Es war noch sehr früh. Die Bar war noch nicht halb so voll, wie sie es sein konnte. Also beschloss ich warten und meinen Auftritt hin zulegen, wenn genügend Leute dort waren. Der Cowboy-Hexer-Barkeeper stellte uns unsere Drinks hin und bedachte mich mit einem mitleidvollen Lächeln. „Geht aufs Haus.“ Ich rollte mit den Augen. „Spar dir dein Mitleid. Die Drinks, nehme ich aber an.“ George blinzelte. Anscheinend hatte er den Haufen Elend erwartet, der ich noch vor ein paar Wochen gewesen war. Diesen Triumph gönnte ich dem Schicksal und auch George nicht. Ich nippte an meinem Giftgrünen Gebräu und stellte Sophie vor, bevor ich fortfuhr. „Trag mich für die Bühne ein. Halb zehn bitte.“ George sah mich verwundert an. „Du willst singen?“ Ich winkte ab. „Ich habe etwas zu sagen. Das geht alle etwas an.“ Sophie, neben mir, war ganz offensichtlich ziemlich beeindruckt oder verängstigt über mein plötzlich aufkeimendes Selbstbewusstsein. Es fühlte sich auch für mich eigenartig an. Aber langsam tat es richtig gut, auf mich gestellt zu sein. Mich beweisen zu müssen. Auch wenn da natürlich immer noch Sam, der in meinem Kopf herum geisterte. Aber ich nahm zum ersten Mal mein Leben allein in die Hand und tat etwas, anstatt vor mich hin zu leben. Leider muss ich zugeben mich auch das eine oder andere Mal bei dem Gedanken erwischt zu haben, nicht vielleicht doch mein Glück herauszufordern und mich von Armors Pfeil töten zu lassen. George verstand mich offensichtlich nicht, aber er trug mich ein. Er lächelte Sophie an und gab die Liste an einen Kollegen weiter. „Kann ich dich denn dazu bringen, etwas zu singen?“, fragte er sie und lehnte sich ein wenig zu ihr. Sie grinste und hielt seinem Blick stand. „Wenn du mitmachst und ich vorher noch mindestens einen Drink bekomme“ , forderte sie und klang dabei nicht halb so unverschämt, wie ihrer Wortwahl entsprochen hätte. George gefiel ihre offene Art, augenscheinlich und ich ließ die beiden ungestört flirten. Die Stunde meiner Rede rückte näher und ich musste mir ein wenig Mut antrinken um nicht doch noch Reißaus zu nehmen. Sophie bremste mich allerdings rechtzeitig, damit ich noch klare Worte formulieren konnte. Ich ging auf die Bühne und fühlte mich dort ganz und gar nicht wohl. Ich kannte viele der Leute in der Bar. Und was noch viel schlimmer war, sie kannten mich. Sie kannten mich als jemanden, der nie den Mund aufmachte und der eigentlich immer nur das Anhängsel seiner besseren Hälfte gewesen war. Aber heute war der Tag, an dem sich das ändern sollte. Mein Mund war schrecklich trocken, als ich ihn öffnete um etwas zu sagen. Außerdem wurde mein Gesicht schrecklich heiß. „Also, Hallo, mein Name ist Dante.“ Und noch während ich es aussprach fühlte ich, dass es sich anders anhörte als ich es beabsichtigt hatte. Ich fühlte mich, als blamierte ich mich ganz fürchterlich. Das Mikrophon war viel zu hoch für mich eingestellt und ich musste es herunterschrauben, sodass es ganz eigenartige Geräusche von sich gab, als ich es tiefer stellte. „Vermutlich habe ich mich immer noch weniger blamiert als wenn ich gesungen hätte“,nuschelte ich ein wenig zu dicht am Mikro, sodass die Leute, die mich bisher eher skeptisch beäugt hatten eher amüsiert betrachteten. Ich musste selbst schmunzeln und fasste ein wenig mehr Vertrauen in mich. „Leute, ich habe heute fern gesehen und was ich da gesehen habe, hat mir ganz und gar nicht gefallen. Es ist wegen diesem Emerald Fletcher“, erklärte ich und ließ meine Augen durch den Saal wandern. „Und?“, sagte eine junge Vampirin in einem wirklich ätzenden Tonfall. Ich bedachte sie mit einem strafenden Blick. „Das ist der Mann, der vor ein paar Jahren, in diesen Drogenskandal verwickelt war und sich freigekauft hat“, erklärte ihr, ihr Begleiter, der wohl besser verstanden hatte, worum es ging. „Allerdings wird er nur verdächtigt. Sein Pharmaunternehmen hatte, wie vielleicht der eine oder andere noch weiß, neue Medikamente an Wendigowelpen getestet“, ergänzte ich die Worte des Mannes. Für alle die, die dem Irrglauben aufgesessen sind, Wendigos seien Gestaltwandler und Dämonen, deren Geister auch menschliche Körper heimsuchen und sie zu ihres Gleichen machen können. Hier ein kleiner Exkurs. Die wirklichen Wendigos, sind in der tat primitive Dämonen, die inzwischen nur noch in den Wäldern Kanadas beheimatet sind. Sie haben dickes Fell, sehr lange Arme und scharfe Krallen und Fangzähne. Sie können nicht sprechen und leben auf Bäumen. Ihre Vorliebe für Fleisch hat ihnen den Ruf eingebracht Menschenfresser zu sein. Doch das ist nicht ganz richtig. Sie ernähren sich nämlich von jeder Sorte Fleisch. Allerdings nur von wirklich Lebendigem. Sam und ich hatten einmal das Vergnügen einen Wendigo zu treffen, als wir auf dem Weg zum Eisangeln waren. Er war nicht an uns interessiert. Auf jeden Fall, sieht so ein Wendigo sehr beeindruckend aus. Langes, schwarzes Fell, Spitze Zähne, lange Krallen und ein Gesicht, das ein wenig an einen Gorilla erinnert, der sich mit einem Wasserschwein gepaart hat. Genaugenommen sind sie auch nicht besonders helle. Das Einzige, was sie zu Dämonen macht, ist die Art ihrer Fortbewegung. Sie können auf den dünnsten Tannen sitzen und biegen diese nicht. Außerdem sind sie in der Lage ihren Geist vom Körper loszumachen und so ihre Beute auszukundschaften, ohne dass diese es merkt. Nun sind solche Wendigos auch sehr gesellig und paaren sich, mit wirklich grauenhaften Lauten und totaler Inbrunst, alle drei Monate. Wendigowelpen sind noch sehr klein, wenn sie zur Welt kommen. Höchstens vierzig Zentimeter lang, wobei ein ausgewachsener Dämon dieser Gattung zwei bis drei Meter misst. Wie Fletcher an diese kleinen Dinger gekommen ist, weiß ich nicht. Die Tatsache, dass er sie in seinen Besitz gebracht hat ist aber auch schon schlimm genug. Es tat mir ein bisschen Leid, die Stimmung so zum Kippen gebracht zu haben, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Leute sonst dazu bringen sollte mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ich schluckte und sah in die Runde. „Fletcher will die, die gegen die neuen Gesetze verstoßen, wenn es soweit ist, entrechten. Ich brauche niemandem zu erklären was das bedeutet?“ Eine wirklich strahlend schöne, junge Frau stand auf. Ich roch, dass es eine Sirene war. Ihre Stimme glich einem Singsang und sogar ich musste mich zusammenreißen, um ihr nicht zu verfallen. Ihr langes goldenes Haar hatte sie sich über die lnke Schulter gekämmt und strich nun nervös mit den Fingern hindurch. „Vielleicht wird er ja gar nicht Bürgermeister. Vielleicht müssen wir uns gar keine Sorgen machen“, sagte sie mit so sorgenvoller Miene, dass sie ihre eigenen Worte Lügen strafte. „Die Normalsterblichen mögen uns nicht besonders“, erwiderte ich ruhig und machte das Mikro von der Halterung los. Ein paar Schritte machte ich nach vorn und setzte mich auf den Rand der Bühne, wobei ich immer noch in der Lage war, alles gut zu überblicken. „Auf lange Sicht bleiben uns nur zwei Möglichkeiten. Die Erste ist, sich so gut zu verstecken wie möglich und zu hoffen, dass einem niemand auf die Spur kommt“, ich machte eine kurze Pause und leckte mir über die Lippen. „Die Zweite ist, die Menschen davon zu überzeugen, dass auch wir Rechte haben. Die meisten von uns, haben doch noch nicht einmal eine Krankenversicherung“, erklärte ich schulterzuckend und sparte mir zu erwähnen, dass sowieso kein menschlicher Arzt in der Lage wäre einen der unseren zu behandeln. „Und was heißt das für uns?“, fragte die ätzende Vampirdame aus der ersten Reihe. Neben mir spürte ich auf einmal die Wärme eines anderen Körpers. Es war Sophie, die mir zur Hilfe eilte und den Rücken stärken wollte. Sie nahm mir das Mikro ab. „Warum machen wir nicht unseren eigenen, kleinen Wahlkampf? Wir lassen Flyer drucken und machen Infoveranstaltungen, damit die Leute sehen, dass wir keine Menschen zweiter Klasse sind.“ Die Leute murmelten ein wenig unwillig. Weiter hinten kletterte ein kleiner Gnom auf den Tisch und richtete seine Krawatte unter der er ein weißes Hemd mit roten Karos trug. „Soetwas hat noch nie was gebracht und wird auch niemals was bringen! Wir und die sollten unter uns bleiben!“, zeterte er. Ich sackte in mir zusammen. Viele von ihnen waren so viel älter als ich. Warum hörte niemand auf mich? „Jo, scheißen wir auf die Menschen! Wir kommen gut ohne die klar!“, sagte die ätzende Vampirin und ich sprang auf. Ich riss Sophia das Mikrophon aus der Hand. Wütend warf ich es ihr entgegen und fauchte: „Dann feiert weiter! Solange ihr noch könnt!“ Kapitel 5: Fünfzehn Minuten --------------------------- Wütend stürmte ich aus der Bar. Sophie war mir dicht auf den Fersen. „Warte!“ Doch ich dachte gar nicht daran zu warten. Ich war wütend. Wütend auf diese ignorante Meute, dass sie nicht auf das hörten was ich sagte. Allmählich verlangsamte ich meinte Schritte und ließ zu, dass Sophie mich einholte. Ich drehte mich zu ihr um und schnaufte wütend. „Was hattest du denn erwartet? Dass sie einfach so bei so'nem Zeug mitmachen? Die Meisten sind sich doch dem Ganzen noch gar nicht bewusst!“ „Es ist nett, dass du mitgekommen bist“, meinte ich und wollte mich zum Gehen abwenden. Doch Sophie legte mir eine Hand auf die Schulter und hielt mich auf. „Komm. Lassen wir den Abend nicht so enden. Ich nehme dich mit in meine Lieblingsbar.“ An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich wachte in einem fremdem Bett auf. Mein Schädel schmerzte, als wollte er gleich in alle seine Einzelteile zerspringen, mit jedem Schub des pochenden Schmerzes wogte eine abartige Übelkeit in mir auf. Ich stöhnte auf und versuchte mich zu bewegen. Wo war ich nur? Jemand war so nett gewesen die Vorhänge zu zu lassen. Nach einigen Fehlversuchen schaffte ich es mich aufzusetzen. Der Wecker verriet mir, dass es zehn nach zwölf war. Mittag. Ich war allein. Es gab nur ein Einzelbett in diesem Zimmer, einen Schreibtisch mit Laptop und stapelweise Bücher. Ich vermutete, dass ich mich im Studentenwohnheim befand. Nachdem ich mich mühsam hoch gequält hatte, wankte ich zu einer kleinen Tür. Sie stellte sich als Wandschrank heraus. Ich stöhnte. Das Zimmer hatte keine Toilette. Es blieb mir nichts anderes übrig als zu warten oder mich auf den Gang zu wagen. Ich legte keinen Wert darauf so verwahrlost herumzulaufen und stellte fest, dass ich noch immer meine Sachen von gestern trug. Das war gut. Mehr oder weniger. Nachdem ich den Wandschrank nach Handtüchern durchsucht hatte und fündig geworden war setzte ich mir die Sonnenbrille auf und huschte auf den Gang. Die Duschen zu finden war keine Kunst. Sie waren ziemlich hell also ließ ich die Sonnenbrille einfach auf. Ich borgte mir Sachen des Zimmerinhabers und stopfte meine eigenen in meine Tasche. Als ich gerade auf dem Weg aus dem Korridor war, kam mir jemand entgegen. „Hey, Schlafmütze.“ Ich sah auf und erkannte Vittorio. „Das sind meine Sachen, die du da anhast“, lachte er und begutachtete mich. „Oh, dann war das dein Zimmer. Danke...“ „Du warst ganz schön voll, gestern. Sophie hat dich zu mir gebracht. Sie hat mir von dem Auftritt erzählt und... naja, du hast mich Sparkie genannt“, erklärte er immer noch ziemlich amüsiert. Ich erwiderte das Lächeln unsicher. „Tut mir Leid. Ich-“ „Du machst eine schwere Zeit durch. Keiner ist dir böse.“ Ich mochte es nicht besonders mich hinter solchen Vorwänden zu verstecken. Aber Vittorio hatte Recht. Ich war wirklich etwas neben der Spur. So machte ich mich auf den Weg nach Hause und nahm mir vor, in der nächsten Zeit die Finger vom Alkohol zu lassen. Ich hatte noch etwas von dem widerlichen Instantzeug und würgte es hinunter. Nachdem ich einige Stunden geschlafen hatte, und die Sonne ihren kurzen Besuch wieder beendet hatte, kam ich wieder auf die Beine. Es hielt mich nicht mehr in der Wohnung. Nach einer weiteren Portion Pulverblut, dessen rote Pigmente es wahrscheinlich nur roter Bete zu verdanken hatte, wagte ich mich auf die Straße. Große Lust ins Birds Nest zu gehen verspürte ich nicht, zumal ich mir ja geschworen hatte nichts zu trinken. Ich fühlte mich einsam. Es waren noch viele Menschen auf den Straßen und ich erwog sogar, meine Fähigkeiten einzusetzen um einen davon in mein Schlafzimmer zu locken. Aber so tief war ich dann doch noch nicht gesunken. Auch wenn dieser Gedanke von Stunde zu Stunde, die ich durch die Straßen strich tröstlicher erschien. Ich verfluchte mich als ich mich in einer Bar wiederfand. Ich war wirklich so tief gesunken. Es dauerte eine Weile, bis ich jemanden fand, der meinen Blick erwiderte. Er war groß, trug einen Anzug und war wohl nach der Arbeit hergekommen. Er hatte schwarzes Haar und ebenso dunkle Augen. Ich fühlte mich gut, als er sich neben mich setzte. Wir unterhielten uns über belangloses Zeug und ich stellte mich ziemlich ungeschickt an. Wir flirteten und es war uns beiden ziemlich schnell klar, worauf das hinauslaufen würde. Naja, eigentlich war es mir nicht ganz so klar wie ihm. Er stellte sich mir mit dem Namen Lloyd vor. Lloyd war wirklich sehr zuvorkommend. Er hielt mir die Tür auf. Natürlich verriet ich meine Grundsätze nochmal und trank. Wir nahmen uns ein Taxi. Mein benebeltes Hirn freute sich wahnsinnig, war es doch eine Gelegenheit mich an Sam zu rächen, der mir die Gelegenheit verwehrt hatte ihn zu retten. Es fühlte sich eigenartig an, das mit jemand anderem als Sam zu tun. Er drückte mich gegen die Wand und schälte mich aus meinen Sachen. Ich fühlte seinen warmen Atem, der nach Bourbon und Wein roch. Das was ich fühlte, war ein jämmerlicher Abklatsch, von dem was ich mich Samuel gefühlt hatte. Aber es tröstete mich für den Moment darüber hinweg, dass eine leere Wohnung auf mich wartete. Es gelang mir nicht ganz meinen Schmerz zu vergessen. Dennoch machte Lloyd es mir leicht mich gehen zu lassen. Ich sank in die Laken. Sie waren kalt und rochen fremd. Doch der warme Körper über mir ließ mich, mich wieder wohler in meiner Haut fühlen. Ich hatte angst, dass er meine Fangzähne entdeckte, während er mich küsste. Aber er zuckte nicht zurück. Vielleicht hatte er nichts davon mitbekommen oder er überspielte seine Überraschung gut. Ich genoss die Nähe und seine raue Stimme. Ich war berauscht von Alkohol und der Aufregung. Es tat so gut begehrt zu werden. Es war so einfach gewesen Lloyd für mich zu gewinnen. Beinahe zu einfach. Ich ließ zu in seinen Armen einzuschlafen, wachte jedoch allein auf. Ich lächelte als Lloyd zurückkam und wollte ihn etwas fragen als er näher kam. Das Licht des Vollmonds spielte sich auf etwas, das er in der Hand hatte. Mir wurde eiskalt und ich sprang auf. „Ich verschwinde.... I-ist gut, aber das hättest du mir auch netter sagen können“, stammelte ich, während ich versuchte meine Sachen wieder zu finden. „Nimm's mir nich krumm“, antwortete Lloyd unterkühlt. Ich hatte endlich meine Hose gefunden und zog sie hastig an. „Is schon gut, ich hab doch nichts getan!“, versuchte ich mich irgendwie zu retten. „Und ich habe meine Quote noch nicht erfüllt diesen Monat“, antwortete Lloyd in einem Tonfall, der mich an einen Staubsaugervertreter erinnerte. „Quote!?“ Lloyed nickte. Er hatte das gleiche Drecksding in der Hand, das Samuel getötet hatte. „Das Jagen ist illegal!“, fauchte ich nun langsam erbost. „Nicht mehr lange!“, erklärte mir mein Gegenüber freundlich und stürzte sich auf mich. Ich schaffte es gerade noch mich unter seiner tödlichen Umarmung hinweg zu ducken und taumelte aus dem Zimmer. Ich knallte ihm die Tür vor der Nase zu und zog einen Esszimmerstuhl heran, um ihn unter die Klinke zu schieben. Eilig schlüpfte ich in meine Schuhe und nahm mir meine Jacke vom Haken. Wie vom Wendigo gebissen ergriff ich die Flucht. Auf der Straße angekommen, rannte ich wie ein Wahnsinniger. Es hatte zu schneien begonnen. Da ich nicht so genau wusste, in welcher Ecke der Stadt ich mich befand, suchte ich mir ein Taxi. Nach Hause zu fahren war keine Option, da ich keine Ahnung hatte, ob aus irgendwelchen Gründen Vampirjäger auf mich warteten. Also ließ ich den Taxifahrer zum Campus fahren um Schutz bei Vittorio zu suchen. Da ich ja am Mittag aus seinem Zimmer gekommen war, wusste ich wo ich es wiederfand. Ein großer Werwolf öffnete mir verstohlen die Tür, zerrte mich herein und machte hastig die Tür hinter mir wieder zu. Ich klagte ihm mein Leid und er Pfiff anerkennend. So lernte ich heute zwei neue Dinge, geh nicht mit Fremden ins Bett und Werwölfe können pfeifen. Als Vittorio mich am Morgen zu meiner Wohnung begleitete, fanden wir keine Hinweise darauf, dass sich jemand fremdes darin aufgehalten hatte. Ich sank müde auf einen Sessel und bat Vittorio mich allein zu lassen. Heute war kein guter Tag gewesen. Im selben Moment, in dem ich in meiner Wohnung zusammenbrach, einen Stuhl zertrümmerte und diverse Teller gegen die Wand schleuderte, bekam Lloyd Jackson einen Anruf. Er hob ab, während ich auf den Boden meiner Küche sank und das Chaos begutachtete, das ich veranstaltet hatte und meldete sich mit: „Jackson?“ Sein Anrufer war ein ganz besonderer Mann. Es war der Mann, wegen dem ich mich so schrecklich blamiert hatte. Emerald Fletcher. Lloyd setzte sich auf sein Bett und gab zu, es vergeigt zu haben. Er gestand sich selbst ein, mit seinem Opfer zu schlafen sein Koordinationsvermögen einschränkte und bekam keine Bonuszahlung von Mister Fletcher. So stand er auf und holte sich ein Glas Wasser aus der Küche. Als er zurückkehrte fand er etwas, das sein Gast verloren hatte. Es war eine Kette mit einem silbernen Anhänger. Er ließ sie baumeln und betrachtete das Kreuz daran. Florale Verzierungen waren nie sein Fall gewesen. Allerdings wunderte ihn, dass die kleine Ratte, denn nichts anderes waren wir anderen für ihn, dergleichen mit sich herumtrug. Vielleicht gehörte es aber auch zur Tarnung. Sein Fund brachte ihn zum Nachdenken. Denn er hatte die Gravur entdeckt und las sie sich leise vor: „Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt.“ Er fand das war ein wirklich eigenartiges Zitat. Doch Lloyd zweifelte an jenem Abend für ein paar Atemzüge daran, was er tat. Dass er vielleicht für Geld Menschen tötete und nicht, wie er bisher immer behauptet hatte Ungeziefer beseitigte. Der Vampir, den er heute Nacht mit nach Hause gebracht hatte, hatte sich nicht benommen wie ein Monstrum... Hastig schüttelte er den Kopf und nahm sich eine Schachtel Zigaretten um sich damit vor den Fernseher zu setzen. Ich hatte das Chaos, Chaos sein lassen und mich bis zum Abend aufs Ohr gelegt. Als ich aufwachte fühlte ich mich matt und unwohl in meiner Haut. Ich musste an die letzte Nacht denken. Es war bereits kurz nach sechs und ich hatte kaum noch Pulverblut im Haus, was mich dazu brachte aufzustehen. Ich brauchte dieses Zeug jeden Tag mindestens zwei Mal wenn ich mich auf den Beinen halten wollte. Es sättigte zwar, war jedoch nicht im Mindesten so nahrhaft wie richtiges Blut. Ich betrat meine Wohnküche und besah mir den Scherbenhaufen und die Teile des Stuhls. Ein erschöpftes Lächeln umspielte meine blassen, brüchigen Lippen. Hätte meine manifestierte Psyche neben diesem Haufen Schutt gelegen, hätte es keinen allzu großen Unterschied gemacht. Widerwillig machte ich mich daran die Versinnbildlichung meines gestrigen Nervenzusammenbruchs aufzusammeln und Ordnung zu machen. Zum ersten Mal traute ich mich zu der Kiste mit Erinnerungsstücken, die ich aus Sams Wohnung mitgenommen hatte. Ich strich über die raue Pappe und öffnete sie langsam. Gestern hatte ich mit einem wildfremden Mann geschlafen, der mich danach hatte ermorden wollen. Für einige Sekunden fragte ich mich warum ich davongelaufen war. Ich fasste mir an die Brust, zu der Kette, die - … Sie war nicht mehr da. Ich riss die Augen auf und dann durchfuhr es mich. Hastig stellte ich die Wohnung auf den Kopf. Doch ich fand nichts. Vermutlich war der Verschluss aufgegangen als ich mich meiner Liebelei hingegeben hatte. Ich sank gegen eine Wand und rutschte daran herunter. Das konnte nicht wahr sein. Ich wusste, dass ich sie in der Bar noch um den Hals getragen hatte, weil ich in meiner Nervosität daran herum gespielt hatte. Vorerst hatte ich mir vorgenommen nichts Dummes anzustellen. In der Drogerie packte ich allerlei unnütze Dinge in meinen Einkaufswagen. Schwimmkerzen, Duftstäbchen mit Öl, Kondome, die eigentlich gar nicht so unnütz waren und zwei große Dosen mit Instantblut, die gleich neben Kalziumdrinks für Bodybuilder standen. Mein Durst machte mich halb wahnsinnig. Wie gern hätte ich endlich einmal wieder richtiges Blut gekostet. Mit einem Schlag kam mir meine falsch verstandene Schuld und die Tage an denen ich freiwillig gehungert hatte vor, wie ein ganz anderes, lang vergangenes Leben. Dinge wie diese konnte ich mir nun nicht mehr erlauben. Samuel war nicht mehr da, um auf mich zu achten und wenn ich zu unvorsichtig war und womöglich einen Passanten anfiel, war es aus mit mir. Bei diesem Gedankengang wurde mir auch bewusst, dass ich mein Leben nicht so sehr verabscheute, wie ich gelegentlich vorgab. Als ich zur Kasse schritt bemerkte ich jemanden im Gang neben mir, dessen Geruch mir so in der Nase brannte wie Reinigungsbenzin. Ich blieb stehen und betrachtete den Mann, der gerade den Text auf einer Flasche Rasierschaum durchlas. Meine Mundwinkel zuckten amüsiert. Lloyd. Die Welt war klein. Hier im Store, konnte er keine Szene machen und mich angreifen. Denn noch griff für mich das Jagdverbot. Zwar konnte das schon morgen vorbei sein, aber für heute Nacht war ich hier sicher. Ich schob meinen Wagen an den Rand eines Gangs und ging auf Lloyd zu. Ich hatte keine besondere Furcht vor ihm, wenngleich meine Hände kalt wurden. Aber ich hatte Fragen. „Hallo Lloyd, so sieht man sich wieder“, sagte ich möglichst selbstsicher und pustete mir eine unangenehm kitzelnde blonde Strähne aus dem Gesicht. Lloyd blickte auf, wie vom Donner gerührt. „Du...“, sagte er nur und starrte mich an. Seine linke Hand zuckte in Richtung seiner Tasche, aber ich schüttelte den Kopf. „Du wirst dich doch nicht selbst in Schwierigkeiten bringen.“ Ich wunderte mich selbst über die Festigkeit meiner Stimme. „Es ist komisch. Wie kann jemand wie du, der sich so viel Mühe gibt es seinem Partner recht zu machen und..“ Ich wagte mich einen Schritt weiter zu ihm heran, um ihm die Rasierschaumflasche aus der Hand zu nehmen und sie zurück ins Regal zu stellen. „Du warst wirklich wundervoll zu mir. Wie konntest du nur so etwas versuchen?“ Ich gab mir keine Mühe, den Vorwurf in meiner Stimme zu verbergen, zumal ich mir ziemlich sicher war, dass Lloyd egal war, was ich zu ihm sagte. Doch etwas in seinem Blick flackerte. Es war keine Reue. Ich verstand nicht, was in ihm vor ging. Doch er betrachtete mich auf eine Art, die so zerrissen war, dass ich mich fragte, wie lang er es schaffte meiner Gegenwart stand zu halten, ohne sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, die ihn innerlich auseinanderzubrechen schienen. „Du bist ein Vampir“, sagte er und klang für einen Moment als benutzte er mein Wesen als Entschuldigung für seine Tat. „Wann ist es dir aufgefallen? Oder hattest du mich schon länger im Visier?“, fragte ich, bekam jedoch keine Antwort. Lloyd sah sich um und ging sicher, dass wir allein waren. Er griff in seine Tasche und ich zuckte zusammen. Doch er hielt mich mit der anderen Hand so fest, dass es mir nicht möglich war ihm auch nur im Geringsten auszuweichen. Seine Hand glitt an meinem Arm hinunter zu meiner Hand. Er legte mir etwas hinein. Es war warm, weil Lloyd es mit seinem Körper gewärmt hatte. Ich sah hinunter. Es war meine Kette. Mein Blick fing wieder den des Jägers ein und wir verharrten einige Sekunden, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit. Ich war fassungslos und ihm schien es nicht anders zu gehen. Meine Augen ließen von ihm ab und ich schloss meine Hand. „Der Verschluss scheint kaputt zu sein...“ „Warum hattest du sie dabei. Hattest du erwartet mich hier zu treffen, Lloyd?“ Offensichtlich hatte ihn diese Frage überrumpelt und jetzt wo ich ihn mir genauer angesehen hatte, wurde mir klar, dass er nicht geschlafen haben konnte, seit wir uns getrennt hatten. Ich konnte mir das nicht genau erklären, aber auf eigenartige Weise fühlte ich, dass uns am heutigen Tage etwas verbunden hatte. Vielleicht war es nur das Band, das Jäger und Gejagten verbindet. Aber vielleicht war es... „Was wirst du tun, wenn wir gleich beide hier raus kommen?“, fragte ich und vermied es ihn anzusehen. Stattdessen tat ich etwas, das ganz und gar nicht mir selbst glich. Ich hatte eine Hand ausgestreckt und glättete seinen Schal. Ich strich den Kragen seines Trenchcoats glatt und spürte, dass sein Atemrhythmus sich verändert hatte. Er holte einige Male Luft um etwas zu sagen, bekam aber keinen Laut heraus. Ich ließ von ihm ab und traute mich dann ihn anzusehen. Wir kannten uns keinen Deut, und doch war da irgendetwas. „Ich gebe dir zehn Minuten Vorsprung, wenn du aus dem Laden raus bist“, sagte er rau und ich war immer noch so nah, dass ich den Minzbonbon riechen konnte, den er gerade im Mund hatte. „Fünfzehn“, sagte ich und lächelte, ohne ihm in die Augen zu sehen. „Fünfzehn“, erwiderte er und klang wieder, wie zu dem Moment als er mich schwach gemacht hatte. Ich nickte und wollte vorschlagen dass wir doch diese Nacht noch hier verbringen konnten und dass er am Tage keine Chance hatte mich zu töten. „Pass auf dich auf“, sagte ich jedoch stattdessen. Ich konnte ihn leise lachen hören, doch erwidern tat er nichts. Ich drehte mich um, ging zu meinem Wagen, entriss ihn der Angestellten, die ihn für herrenlos gehalten hatte und hastete damit zur Kasse, wo ich hastig zahlte und dann fluchtartig den Laden verließ. Ich hatte angst, dass Lloyd auf die Idee kam mir nach Hause zu folgen. So schlug ich ein paar Haken. Ich hatte ihn einmal an der gegenüberliegenden Straßenseite gesehen und war in den nächsten Bus gesprungen. Ich löste ein Ticket und setzte mich ganz nach hinten. Bevor ich mich nach Hause traute, fuhr ich die halbe Nacht hin und her. Kapitel 6: Nordwärts -------------------- In der Politik geht es nur selten um persönliche Anliegen. Gelegentlich jedoch schafft es ein Politiker an die Spitze, der für seine persönlichen Ziele eintritt. Leider ist das nicht immer der Bevölkerung seines Herrschaftsgebiets dienlich. Emerald Fletcher war kein böser Mensch. Er vertrat nur die Ansicht, dass die Menschheit beschützt werden musste. Vor den Wesen, die man schon so gut wie an den Rand der Gesellschaft gedrängt hatte. Im November wurde er zum Bürgermeister gewählt. Ich hatte mir die Liveübertragung mit Vittorio, Sophia und George in meinem bescheidenen Heim angesehen und sackte in mir zusammen als wir zusahen wie Fletcher seinen Sieg feierte. Es waren drei Wochen seit meinem Treffen im Drug-Store vergangen und ich konnte mir nur im Entferntesten vorstellen wie sehr sich Lloyd und seine Kollegen gerade freuten. Die Jagd war so gut wie legal und keiner von uns traute sich etwas zu sagen. Fletchers Gegnerin hatte ihm nichts entgegen zu setzen gehabt. Ich saß eine Weile da und dachte nach, während George sich langsam fasste und für uns alle noch etwas zu Trinken holte. Ich verneinte die Frage auf Blut in meinem Drink. Ich starrte Fletcher an. Er war ein gutaussehender Mann für jemanden in seinem Alter und außerordentlich charismatisch. Neben ihm standen seine Bodyguards. Allesamt Schränke und vermutlich ausgebildete Killer. Sophie neben mir legte mir eine Hand auf die Schulter. „Wir können immer noch die Stadt verlassen“, sagte sie beschwichtigend. Ich drehte mich zu ihr und lächelte schwach. „Wenn Fletcher das kriegt was er will, zieht bald der ganze Staat nach. Dann vielleicht das ganze Land.“ Draußen auf der Straße hörte ich die Meute feiern. Ich würde meine Freunde nicht gehen lassen. Fletchers Anhängern in die Hände zu fallen, wäre Selbstmord gewesen. Mein Telefon klingelte. Ich entschuldigte mich, stand auf und nahm den Hörer von der Station. „Mh?“, machte ich und ging ins Schlafzimmer. „Bist du zuhause?“ Ich ließ beinahe das Telefon fallen. Es war Lloyd. „Augenscheinlich“, zischte ich. Er würde gleich hier aufschlagen. Aber wie sollten wir hier herauskommen!? „Macht die Lichter aus und verschwindet“, sagte er hastig. „Was!? Bist du wahnsinnig???“ „Die haben diese Dämonenbar auseinandergenommen und jemand hat deine Adresse ausgeplaudert. Haut ab!“ Ich war starr vor Schreck und Angst. Sollte ich ihm glauben? Lockte er mich in eine Falle? War das Zeichen, dass ich das Licht löschte das Zeichen, dass er seinen Kollegen gab, damit sie uns abfangen konnten? „Ich glaube dir kein Wort!“, fauchte ich in den Hörer. Lloyd am anderen Ende seufzte. „Ich werde dabei sein. Lauft weg“ Ich schluckte und polterte ins Wohnzimmer. „Raus aus der Wohnung!“, rief ich und erntete fragende Blicke. „Das war ein Bekannter. Die haben das Birds Nest auseinander genommen und jetzt sind sie auf dem Weg hierher! Jemand hat uns verpfiffen!“, erklärte ich und packte hastig ein paar Sachen in eine Reisetasche. Während ich eilig packte, löschte ich das Licht. „Scheiße!!!“, rief George und sprang über den Tresen in den Wohnbereich. Wir schafften es gerade noch zum Auto. Ich starrte von der Rückbank aus, durch die abgedunkelten Fenster, auf die Straße, zu dem Van der gerade vor meinem Wohnblock hielt. Lloyd hatte uns allen das Leben gerettet. Während wir fuhren unterhielten sich meine Freunde, doch ich hörte nicht zu. Angestrengt dachte ich an seinen Blick im Drug Store. Es war so surreal. Wir hatten uns bisher zweimal gesehen und hatten drei mal miteinander gesprochen. Aber dennoch spürte ich diese Verbindung zu ihm. Während wir die Stadt verließen um in einem Motel Unterschlupf zu suchen, nahmen Lloyd und seine Kollegen meine Wohnung auseinander. Lloyd hatte die Kiste gefunden und schob sie unauffällig in eine Ecke. Er beteiligte sich nicht zwangsläufig an an der Verwüstung. Er betrat mein Schlafzimmer und betrachtete das Bild mit dem schwarzen Rahmen. Er nahm es langsam hoch und betrachtete den Mann darauf. Es war Samuel. Sein Blick entrückte für eine kurze zeit doch dann schüttelte er den Kopf. Denn es war seine Hand gewesen, die diesen Vampir niedergestreckt hatte. Der Vampir, der ihm gedankt hatte, dass ihm diese Art des Todes die Möglichkeit gab, noch etwas zu regeln. So war Samuel gewesen. Lloyd schluckte. Er stellte das Bild respektvoll wieder ab und riss ein paar Schubladen auf, ohne sie zu durchwühlen. „Die Glühbirne hier is noch warm!“, schrie jemand aus einem anderen Ende der Wohnung. Lloyd, der Vampirjäger begriff an jenem Abend, dass sie hier Menschen jagten. Zumindest hielt er mich für einen Menschen. Und er nahm sich vor, mich zu beschützen. Ich ziehe solche Männer an, scheint es. „Dann hat irgendein Bastard sie gewarnt!“, knurrte Lloyd zurück und stieß wieder zu seinen Mitarbeitern. Susannah's Bed and Breakfast, war nicht so schmutzig, wie ich gedacht hatte. Wir bekamen ein Zimmer mit vier Einzelbetten. Es roch etwas muffig, erfüllte aber seinen Zweck. „Ich halte den Rest der Nacht Wache.“, sagte ich und setzte mich auf ein Bett, nahe der Tür. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher als mit Lloyd zu sprechen. Aber dieser Wunsch blieb mir vorerst verwehrt. Ich hatte so viel Fragen an ihn. „Ich glaube nicht, dass irgendwer von uns jetzt in der Lage ist zu schlafen“, sagte Vittorio. Ich zuckte mit den Schultern, wusste aber, dass sie spätestens gegen Morgen einschlafen würden. Ich behielt Recht und fühlte mich selbst nicht müde. Insgeheim hoffte ich, dass der Jäger sich auch meine Handynummer gekrallt hatte und ließ das Mobiltelefon, mit ausgeschaltetem Ton auf dem Bett neben mir liegen. Doch ich wartete vergeblich. Ich war mit meinen Gedanken allein. Als die Sonne über den Horizont krabbelte, schien sie, gedämpft durch die Vorhänge ins Zimmer und weckte auch mich. Erschöpft war ich irgendwann eingeschlafen ohne es zu merken, wachte nun aber noch vor den anderen auf. Ich setzte mir meine Sonnenbrille auf und öffnete die Vorhänge. Sophia quengelte und George schnarchte. Die beiden lagen im gleichen Bett, dicht aneinander gedrückt. Ich hatte mich vielleicht doch getäuscht und Vittorio und Sophie waren mehr Geschwister als ein Paar. Sophie hatte das Gesicht, nachdem die Sonne sie geärgert hatte an Georges Brust vergraben und er rieb die Nase in ihrem Haar. Ich lächelte. Es war ein wirklich schönes Bild. Vittorio lag auf seinem Bett und schlief genauso fest wie die beiden. Der Himmel war so unschuldig und duldete stumm die Gräueltaten seiner Kinder. Der Parkplatz unter unserem Fenster war spärlich besucht.Kein reges Treiben. Und so fiel mir der schwarze Ford sofort auf, der in die Einfahrt bog. Hastig trat ich vom Fenster zurück. Dennoch von Neugier gepackt versteckte ich mich hinter einem Vorhang. Lloyd stieg aus dem Wagen. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Hastig zog ich mir Schuhe an und verließ das Zimmer. Ich rannte die knarrenden Treppen hinab und auf den Parkplatz, wo Lloyd gerade auf den Weg zum Eingang war. Ich war gut einen Kopf kleiner als er, weshalb das Aufsehen, aufgrund der aufgehenden Sonne wirklich mühsam war. Als er mich sah, hastete er auf mich zu und zog mich hastig ins Gebäude. Er roch nach Nikotin und Seife. Eine seltsame Mischung. Ich hielt ihn an der Jacke fest. „Was... was zum Henker war das gestern?“, fuhr ich ihn an und verfluchte mich dafür, ihn so zu behandeln. Er antwortete nicht und sah sich um. „Gut, dass es dir gut geht“, sagte er und wirkte ehrlich dabei. Ich zog ihn hastig an mich, nicht wissend, was ich damit bezwecken wollte. „Danke“, sagte ich und lächelte ungeschickt. „Wir verdanken dir das Leben.“ „Dante,“, sagte er und seine Stimme, die meinen Namen sagte machte mir ganz weiche Knie. Seine warme, raue Hand legte sich auf meine Wange und fuhr rasch auf meine Schulter. Ich fühlte mich wohl in Lloyds Nähe und das war nicht gut. Er beugte sich zu mir und ich schob ihn vorsichtig wieder von mir. Es war sicher ein lustiges Schauspiel, wie wir beide nicht genau wussten, was wir wollten. Er leckte sich über die Lippen und fuhr sich durch das kurze, schwarze Haar. Ich atmete tief ein und aus. Irgendwie eisten wir uns voneinander los und Lloyd führte mich zu seinem Wagen. „Ich habe etwas für euch“, erklärte er und öffnete den Kofferraum. Ich konnte mir ein anerkennendes Pfeifen nicht verkneifen. Der Stauraum war voller Waffen. Mein Blick glitt zu Lloyd. „Du willst uns Waffen geben?“, fragte ich ungläubig. Er nickte. „Es wird übel werden in der nächsten Zeit. Ich... denke es ist besser, wenn ihr euch verteidigen könnt.“ „Du bringst dich damit in Teufelsküche. Ich kann das nicht annehmen.“ Lloyd hatte offensichtlich nicht mit meinem Protest gerechnet. Er schloss den Kofferraum und lehnte sich dagegen. Er schüttelte den Kopf und zündete sich eine Zigarette an. Allmählich begann ich zu frösteln. Er zog sich seine Jacke aus und legte sie mir um. Er rauchte seine Zigarette und dachte nach. Ich traute mich ein wenig weiter und lehnte mich an. Das Morgenlicht war angenehm in unserem Rücken und ich genoss, dass er bei mir war. „Rauch nicht so viel...“, meinte ich und streichelte ihm über den Oberschenkel. Allmählich verstand sowohl er als auch ich, dass es zwischen uns eine Chemie gab, die weit stärker war als die Kluft, die mich von den Menschen trennte. Ich verdrängte das schlechte Gewissen, dass ich wegen Sam zu bekommen begann. Es war erst grob zwei Monate her, dass ich ihn verloren hatte... und natürlich trauerte ich weiter um ihn. Ich hatte auch nicht vor Lloyd zu heiraten. Aber seine Gegenwart tat mir wirklich gut. Der holprige Start war fast vergessen und ich war mir nicht sicher, ob ich mich nicht auch mit ihm verbunden gefühlt hätte, wenn Sam noch am Leben gewesen wäre. „Bleibst du zum Frühstück? Ich würde meinen Freunden gern den Mann vorstellen, der uns gerettet hat.“ Doch Lloyd schien nicht sehr viel davon zu halten. Er blies den Rauch aus der Nase und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Zeit.“ Mich erstaunte es, dass er, seit ich wusste wer er war und umgekehrt, so wortkarg geworden war. Ich legte einen Arm um seine Taille. Er legte mir seinen um die Schultern und ich lehnte mich nun richtig an. Plötzlich zuckte er zusammen und sprang von mir weg. Er fummelte sein Handy aus der Hosentasche und nahm ab. „Ja? Ja ich war beim Motel. War 'ne falsche Fährte.“ Ich starrte ihn fassungslos an. Gerade wurde mir klar, dass er schon zum zweiten Mal meinen Hintern gerettet hatte und das in nicht einmal vierundzwanzig Stunden. Er lamentierte noch ein paar Sekunden am Telefon hin und her, bis er seinen Anrufer abwürgte und das Handy hastig in seine Jackentasche stopfte. Ich zog seine Jacke enger um meine Schultern und überlegte mir sie nicht mehr herzugeben. Sie duftete nach Sicherheit. Jedoch hatte ich mir geschworen auf eigenen Beinen zu stehen und mich nicht mehr abhängig zu machen. Andererseits hätte man mir wohl schon lange das Licht aus gepustet, wäre dieser Mann nicht gewesen. Lloyd kam wieder zu mir und öffnete den Kofferraum wieder. Er drückte mir eine Waffe in die eine und einen Taser in die andere Hand. Ich sah ihn an. „Wie sieht meine Wohnung aus?“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. „Nicht sehr wohnlich“, erklärte er und blickte mich aber fast liebevoll an. „Hör zu, kleiner Vampir... Dieses Land beginnt gerade eine Hexenjagd und ich werde nicht immer da sein um dich im letzten Moment aus der Schusslinie zu zerren. Ihr müsst hier noch heute weg. Am Besten brecht ihr sofort auf.“ Ich nickte und zog mir die Jacke aus um sie ihrem rechtmäßigen Besitzer wieder zu geben. Er nahm sie und zog sie selbst an. „Fahrt nach Kanada“, sagte Lloyd, trat ein letztes Mal zu mir und nahm mich in den Arm. Das war eine sehr angenehme Geste, die viel Vertrautes hatte. Ich wurde in der Tat schwach und ließ es zu. Langsam löste ich mich von ihm. „Kanada.“, wiederholte und ahnte, dass ich Lloyd für eine sehr lange Zeit nicht ,mehr sehen würde. Ich hatte Recht. Uns trennten ungefähr 8 Stunden fahrt von der kanadischen Grenze. Nachdem ich vor den anderen mit der Geschichte zwischen Lloyd und mir ausgepackt hatte, hatten sie gezögert, bis ich ihnen die Waffen gezeigt hatte. Ich behielt die Pistole und die zwei Ersatzmagazine bei mir und Sophie bekam den Taser. Keiner von ihnen hatte ein Wort mit mir gewechselt seit vor getankt hatten und losgefahren waren. Völlig überstürzt. Ich bin der Meinung sie gaben mir die Schuld an unserer Flucht. Ich saß mit Vittorio hinten und wir schwiegen uns an. Ich hatte noch nichts zu mir genommen und schrecklichen Durst, sagte aber aus Trotz kein Wort. „Hey Jungs, lasst uns irgendwo anhalten. Ich sterbe vor Hunger“, durchbrach Sophie nach einer Weile die Stille und George, der fuhr machte ein zustimmendes Geräusch. „Es wäre schön, wenn es da auch was für Leute wie mich gäbe“, warf ich ein und wurde mit Schweigen gestraft. Sie waren mir ernstlich böse und ich verstand das wirklich gut. Leider bot sich erst nach einer viel zu langen Zeit die Gelegenheit den Highway zu verlassen und bei einer Burger King Filliale einzukehren. Die angrenzende Tankstelle samt Mini Supermarkt waren geschlossen und ich seufzte unwillig. George verpasste mir einen Klaps auf den Hinterkopf. „Lass uns was Essen, dann versorgen wir dich schon!“, wies er mich in die Schranken. Er hatte ja Recht. Aber auch das nervte mich. Ich war müde und hatte Hunger. Wir betraten den Laden, der wie alle seine Geschwister nach Frittenfett stank. Wohlwollend erklärte ich mich bereit uns schon einmal einen Tisch zu suchen. Da außer uns nur ein fetter Trucker zu Gast war, stellte diese Aufgabe keine sonderlich große Herausforderung dar. So setzte ich mich an einen Tisch und wartete auf meine Freunde, die alsbald mit einem üppigen Mahl serviert und Pappe und Papier. Nett wie Sophia war, hatte sie mir einen Becher Kaffee aus der kleinen Coffee and Cake Station mitgebracht. Ich lächelte, schüttete ein Tütchen Zucker hinein und rührte um. Wenigstens war Kaffee warm. Das tat meinem ausgekühlten und leicht unterversorgten Körper wirklich gut. Meine Gefährten stopften sich voll. „Wir sollten noch was mitnehmen. Vielleicht Kuchen oder so“, sagte Vittorio, nachdem er seinen zweiten Burger verschlungen hatte. Ich schmunzelte und lehnte mich zurück. Unser Tisch befand sich am Fenster mit Blick auf eine freie Parkfläche, die man aufgrund von Bauarbeiten wohl abgesperrt hatte. Da es im Begriff war wirklich Winter zu werden und die Tage kürzer wurden, war die Sonne gerade hinterm Horizont versunken. Die Welt war getaucht in Dämmerlicht. Aufgrund eines Staus hatten wir noch rund 4 Stunden Fahrt vor uns. Mein Blick glitt über die Baustelle, auf der sich Gestalten bewegten. Ich stieß Vittorio, unterm Tisch an. Er saß mir gegenüber am Fenster. Er starrte erst mich an und dann aus dem Fenster. „Da arbeiten Leute im Dunkeln?“, mampfte er den nächsten Burger in sich hinein. Ich verdrehte die Augen. „Ohne Licht?“, setzte ich nach und nun beugte sich George über den Tisch. „Die bewegen sich eigenartig“, nuschelte er und spannte sich sichtlich an. „Los, verschwinden wir!“, sagte er und wir alle wollten seinen Plan nur zu gern in die Tat umsetzen, doch die Tür glitt auf und wir erstarrten. „Fuck...“, fluchte George. Er war aufgesprungen und die Luft um ihn herum begann zu flirren. Was da gerade durch die Tür herein wankte hatte auf dieser Welt nichts mehr verloren und stank nach Tod. Das wahre Leben besitzt leider keine Special Effects, weshalb Lloyds Magie nur ein flirren in der Luft war, wie das über einem Grillfeuer. Wir standen auf und sogar der Trucker hatte seinen massigen Körper von seinem Sitz gehievt. Sie kamen rein und zwar nicht nur ein paar, sondern sie scharten sich geradezu vor dem Eingang. Ich weiß nicht viel über Zombies. Sie fressen Fleisch und übertragen eine Reihe von Krankheiten, aufgrund der Bakterien, in ihren Mündern und in ihrem Speichel. Sie kommen nur heraus, wenn ein Nekromant sie beschwört. Im Regelfall. Ein solch massenhaftes Auftreten war nicht nur mir ein Rätsel. Lloyd feuerte ihnen eine geballte Ladung Energie entgegen und warf damit zwei von den Füßen. Doch es kamen immer mehr hinein. Die Mitarbeiter kreischten und rannten ins innere des Ladens. Vermutlich zum Notausgang. Die Untoten stöhnten voller Pein und öffneten dabei ihre Münder, schwarze Löcher, aus denen schwarzes Blut und Eiter tropften. Ihre Unstillbare Gier nach lebendem Fleisch trieb sie uns entgegen. Ich riss die Pistole aus meinem Gürtel und entsicherte sie. Mein erster Schuss ging daneben und durchbohrte einen Tisch. Der zweite traf einen der Zombies in den Kopf, doch das brachte ihn nicht zum Stehen. Ich fluchte. „Los, hauen wir ab!“, rief Vittorio und sprang schon über den Tresen mit den Kassen. Der dicke Trucker humpelte ihm nach und dann tat George etwas, dass uns zwar Zeit verschaffte, mich aber an der Wertigkeit seiner Gesellschaft zweifeln ließ. Er packte den Trucker, der gar nicht wusste, wie ihm geschah und warf ihn den Zombies zum Fraß vor. Ich konnte nicht hinsehen und schob Sophie, die schrie und dem armen Mann helfen wollte, weiter hinter den Tresen zum Notausgang für das Personal. George hatte einfach so ein Menschenleben geopfert und das war nicht gut. Es gab keine Zeugen. Aber das war nicht gut. Wir hasteten durch die Küche und fanden die Tür. Sie stand offen und wir hatten Glück. Die Biester hatten sie noch nicht gefunden und wir konnten hinaus schlüpfen. Etwas das sie durchaus gefunden hatten, war unser Auto. Das Einzige was uns übrig blieb war uns mit einem dutzend Untoter um das Vehikel zu schlagen. Und das taten wir. Sophie hatte den Taser und setzte damit ihre Gegner außer Gefecht. Ich schlug mit den Fäusten auf die Monster ein und stach schließlich mit dem Dolch zu. Ich ließ mir von George die Schlüssel zuwerfen und schaffte es dann hinters Lenkrad. Meine Freunde stiegen ein und die letzten Zombies fuhr ich einfach über den Haufen. Ich raste wie ein Wahnsinniger und bemerkte erst nach zwei Meilen, dass meine Nase wirklich ziemlich blutete und ich musste rechts ran fahren. Ich hatte nicht viel abbekommen aber mein Körper war an seinem Limit, weil ich die letzten Wochen nur von Instantblut gelebt hatte. Das war sein Weg mich abzubremsen. Vittorio, nahm mich wieder zu sich auf den Rücksitz und ließ mich ein paar Schlucke von ihm trinken, auch wenn er mich schlagen musste, damit ich endlich losließ. Das warme Blut tat gut, auch wenn ich noch immer Hungrig war, gab ich mich damit zufrieden. Ich legte mich auf den Rücksitz, mit dem Kopf auf sein Bein und schloss meine Augen. Ich war müde. So unendlich müde und ich wollte, dass Lloyd jetzt bei uns war. Während ich schlief hörte ich nichts von der Unterhaltung, die die anderen führten und dass Sophia, George Vorwürfe machte, ob seiner Tat. „Was hatte ich denn für eine Wahl?“, fragte der Hexer ruhig und tat das eine oder andere Mal einen Blick in den Rückspiegel. „Vielleicht hätten wir es auch so geschafft!“, war die Antwort der Hexe. „Dann wärst du lieber nur vielleicht noch am Leben?“ George war nicht besonders erpicht darauf seine moralischen Werte vor den beiden Jüngeren zu erklären und so verfiel man wieder in finsteres Schweigen, bis der Hexer das Radio anmachte. Wir gerieten in einen weiteren Stau und mussten dann eine Umleitung fahren, was uns fast weitere zwei Stunden kostete und so erreichten wir die Grenze erst am späten Abend. Dichter Schneefall hieß uns Willkommen. Wir gerieten in keine Grenzkontrolle und so schafften wir es uns schnell eine Raststätte zu suchen. Es war wieder ein Bed and Breakfast, in dem wir unterkamen. Wir bekamen diesmal zwei getrennte Zimmer mit je einem Doppelbett. Ich teilte mir das Zimmer mit Sophie, die nicht in Georges Nähe sein wollte. Ich zog die Vorhänge zu und sah in die Minibar. Zufrieden entnahm ich ihr eine Konserve, mit Schweineblut. Das war zwar ziemlich teuer, aber im Moment war mir alles Recht. Ich schüttete es in einen Becher und trank es in wenigen Zügen. „Dieser Lloyd scheint einen Narren an dir gefressen zu haben“, meinte Sophie leise. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett. Ich lachte leise und stellte den Becher auf die Kommode. „Scheint so... Wir haben einen Narren aneinander gefressen“, gab ich schließlich zu. Sophie nickte knapp. „Wir sollten aufpassen. Nicht, dass er uns doch in die Scheiße reitet“, sagte sie dann und musterte mich mit einem Blick, den ich nicht ganz einzuschätzen wusste. „Du bist sehr verletzlich, weil du ja gerade erst deinen Partner verloren hast... aber du solltest ihm nicht so schnell vertrauen.“ Mich trafen diese Worte aber ich wusste, dass es stimmte, was sie sagte. „Ich glaube ich habe ihm zu denken gegeben.“, sagte ich sehr leise und sank auf einen Holzstuhl, vor einem sehr kleinen Schreibtisch. „Es scheint er ist auf unserer Seite.“ Ich fühlte mich unbehaglich. Ich zweifelte an mir und dachte an Lloyd. Lloyd war gerade dabei sich zusammenflicken zu lassen. Die Krankenschwester verband seine genähte Wunde und er verzog keine Miene. Die Ungewissheit ließ ihn halb wahnsinnig werden. Dieser Vampir hatte ihn um den Finger gewickelt und er begann ihn zu vermissen. Er begann mich zu vermissen. Gerade hatten sie eine inszenierte Zombieplage eingedämmt, von der Lloyd genau wusste, dass Fletcher sie als Vorwand benutzen würde, um das letzte Gesetz zu verabschieden. Einer seiner Kollegen hatte das durchsickern lassen. Lloyd hatte eine ziemlich fiese Schnittwunde abbekommen als er in einen Glastisch gefallen war. Müde wünschte er sich meine Nähe, wie ich mir die seine. Er wollte den Fremden bei sich haben, der ihm dieses Gefühl gegeben hatte... dieses eigenartige Gefühl. Er stand auf und verließ das Zimmer. Es befand sich in Fletchers neuer Kommandozentrale und der Korridor den der Jäger jetzt hinunterging bestand aus improvisierten Krankenzimmern für seine Männer und Frauen. Lloyd nahm sein Handy aus der Tasche, auf dem meine Handynummer nicht verzeichnet war. Er schaltete ein wenig daran herum und steckte es dann wieder ein. Von heute auf Morgen waren Unruhen in den Straßen ausgebrochen und die Zombieinvasion machte alles nicht besser. Er war noch einmal in meiner Wohnung gewesen und hatte ein paar meiner wichtigsten Sachen unter einigen Dielen versteckt. Und er hatte auch Sams Photo versprochen, von nun an ein guter Mensch zu sein. Lloyd ließ sich von einem Taxi nach Hause fahren und warf sich dort mit Kleidung auf sein Bett. Er war genauso erschöpft wie wir. Kapitel 7: Es war einmal im Winterwald -------------------------------------- Es vergingen einige Tage, voller Schnee und Eis. Wir waren an unser Motel gefesselt und verfolgten die Ereignisse in der Stadt, aus der wir geflohen hatten, auf dem Fernseher. Zwar waren die Randalierer aus den Straßen verschwunden, was jedoch nichts zu bedeuten hatte. Ich sorgte mich, sagte aber nichts. Hätte ich gewusst, was gerade vor sich ging, wäre ich vermutlich sofort zurück gereist. Lloyd lag auf einem Dach, im Schneeregen und kniff ein Auge zusammen, während das andere durch das Zielfernrohr einer Waffe schaute. Er war zugegebener Maßen ein mittelmäßiger Heckenschütze. Aber es ging hier nicht um einen Kopfschuss. Es ging lediglich um einen Peilsender. Mit viel Glück, wenn man es so nennen wollte, hatten sie heute Nacht die Chance ein ganzes Nest voller Vampire auszuräuchern. Er verharrte jetzt seit gut zwei Stunden auf seinem Aussichtspunkt. Langsam kroch die Kälte unter die Plane, unter der er lag, und unter die vier Kleidungsschichten. Der Vampirjäger hatte in den letzten Tagen so viele Leben ausgelöscht, wie lange nicht mehr. Er hatte Familien ausgelöscht, auseinander gerissen und Paare entzweit. Trotz aller Mühe nichts davon nahe an sich heran zu lassen, verfolgten ihn seine Taten immer weiter und immer heftiger. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es in seinem Headset zu rumoren und rascheln begann. „Lloyd... Er ist auf 1 Uhr...“ „Alles klar, over and out...“, nuschelte Lloyd, visierte sein Opfer an und schoss den Sender in seine Kleidung, auf dass er ihn und seine Kollegen zu seinesgleichen führen würde. Lloyd fühlte sich taub. Er war sich der Grausamkeit seines Tuns durchaus bewusst. Aber was nützte es ihm und dem kleinen Vampir, den er beschützen wollte, wenn er gezwungen war um sein Leben zu rennen. Mit steifen Gliedern begann er seine Sachen zusammen zu packen und fummelte seinen Tablet-Pc aus dem Rucksack, den er neben sich unter gebracht hatte. Ein kleiner, roter Punkt kroch langsam über eine Karte von Google Maps. Der Sender funktionierte. Er schaltete sein Headset auf „Senden“. „Habt ihr ihn? … Ja, ich mache mich auf den Weg.“ Er schnallte sich sein Equipment, sicher verstaut auf den Rücken und machte sich auf den Weg, herunter von dem Gebäude. Er patschte durchs Treppenhaus und fühlte sich seltsam ungelenk. Er war steif gefroren, ob der stetig fallenden Temperaturen. Er verbrachte den Großteil seiner Zeit auf der Straße, in diesem Mistwetter und langsam kam es ihm so vor, als wollte man ihn davon abhalten nach zu denken. Er verließ das Gebäude und zog sich seine Kapuze tief ins Gesicht. Er war so müde. Zwanzig Stunden hielt ihn seine Arbeit nun bereits auf den Beinen. Gerade kämpfte er mit seinem toten Punkt. Um keine unangenehme Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, hatte Lloyd keinen weiteren Versuch unternommen Kontakt mit mir aufzunehmen, wenngleich es ihm wohl keinerlei Probleme breitet hätte mich aufzustöbern. Immerhin war das sein Job und er machte ihn gut. Hinter dem Haus stand ein Dienstwagen. Lloyd warf seine Tasche in den Kofferraum und klemmte sich hinters Lenkrad um nur kurz darauf loszufahren. An einer roten Ampel rieb er sich die Augen. Er musste dringend schlafen, aber davon schien sein Vorgesetzter nicht viel zu halten. Kurz kam ihm der Gedanke,was wäre, wenn man ihn auf diese Weise aus dem Weg schaffen wollte. Übermüdeter Angestellter, fährt mit Firmenwagen in eine Mauer. Kein Einzelfall. Aber diese Idee kam Ihm schnell reichlich paranoid und lächerlich vor. So nahm er sich vor, sich lieber auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Sie sammelten sich an der Downstream Terrace. Ein großer Parkplatz vor einer lehrstehenden Shoppingmall. Als Lloyd ankam, waren seine Kollegen bereits versammelt. Er stieg aus und konnte gerade noch verhindern über seine eigenen Füße zu stolpern. Seine Konzentration litt über alle Maßen. Er straffte seine verspannten Schultern und schritt mit erhobenem Kopf zu seinen Kumpanen. „Hey, Jack!“, begrüßte man Lloyd, der nur ein mattes Lächeln erwiderte. „Können wir einfach loslegen? Ich würde mich gern endlich hinhauen“, sagte er schließlich. Laut den Informationen, die dieser Operation zugrunde lagen, lebte ihr Zielobjekt in einer Wohngemeinschaft mit vier anderen Vampiren. Lloyd sträubte sich mit jeder Faser seines Körpers noch jemanden umzubringen. Aber es war unabwendbar, auch wenn ihm der schreckliche Gedanke kam, niemals einen Weg zu finden, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, und vielleicht auch mich, Dante, niemals wieder zu sehen. „Es ist zuhause“, sagte ein kleiner Mann, der einer Bulldogge nicht unähnlich war. „Es?“, erwiderte Lloyd und konnte sich nicht dagegen wehren, die Oberlippe angewidert hochzuziehen. „Ja... dieses Pack! Los, Jungs wir mischen diese Scheißhausratten auf!“, blubberte die Bulldogge und buffte Lloyd in die Seite. Lloyd schnaufte ungehalten und ging zu seinem Wagen. „Grant. Du fährst mit mir“, rief er zu einem anderen Kollegen, der gleich herüber geeilt kam. Er war noch nicht sehr lang dabei, war aber sehr engagiert. Er trug eine schwarze Wollmütze und sah noch ziemlich trocken aus. Lloyd quälte sich auf den Beifahrersitz. „Du fährt, Kleiner“, knurrte er leise. Grant, blinzelte verwirrt, strahlte dann aber wie ein kleiner Junge bei seinem ersten Baseballspiel. Er schwang sich hinters Steuer und startete den Wagen. Lloyd holte sein Tablet wieder heraus, das er zwischenzeitlich im Handschuhfach verstaut hatte. Der rote Punkt stand still. „Armer Teufel...“, entwich es ihm nachdenklich und ziemlich frustriert. Grant wandte den Blick nicht von der Straße ab, runzelte aber die Stirn. „Warum?“, fragte er irritiert. Lloyd schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen, weil ihm davon schwindelig zu werden begann. Er hasste die Welt in der er lebte. Er hasste das System, für das er arbeitete. „Sir? Wenn ich mir die Freiheit erlauben darf... Sie... scheinen nicht sehr... zufrieden zu sein“, schlussfolgerte Grant, der sich anscheinend zum Meisterdetektiv ernannt hatte. Lloyd, der gerade in einen Sekundenschlaf gefallen war und den irgendwie nicht mehr recht warm werden wollte, blinzelte müde und entnervt in Grants Richtung. „Kleiner, wir sind nichts anderes als legale Söldner für Menschen, die nichts verbrochen haben. Warum, glaubst du , sollte ich zufrieden mit mir und der Welt sein?“, zischte er und realisierte erst wenige Sekunden später, dass er vielleicht einen fatalen Fehler begangen hatte. „Wie meinen Sie das, Sir?“, fragte Grant noch irritierter. „Die sind eine Bedrohung für uns. Das ist der Grund, warum jemand etwas unternehmen muss!“, plapperte Grant seine Stellenbeschreibung nach und Lloyd fühlte wütenden Wahnsinn in sich hochkochen. „Vergiss es... ich hab seit über 20 Stunden nicht geschlafen... Ich will nur das hier hinter mich bringen und diesen Tag enden lassen.“ Hoffentlich hatte er die Kurve gekriegt und Grant kaufte ihm ab, was er gerade gesagt hatte. Zumindest war die Sache mit dem Schlaf nicht gelogen gewesen. Sie hielten einige Blocks vor ihrem Ziel und schlichen allesamt sternförmig auf das Haus zu. Es war ein Mehrfamilienhaus mit insgesamt sechs Parteien. Sie öffneten die Tür und Lloyd trat als erster ein. Er hörte gedämpfte Stimmen in der Wohnung. Ein Mann und eine Frau, die unbefangen miteinander plauderten, nicht ahnend, dass sie und ihre Freunde gleich abgeschlachtet würden wie Schweine. Lloyd sah zu Grant und der Bulldogge, die den Rammbock hielten. Er schluckte und atmete einige Male tief durch. Dann gab er das Zeichen. Was nun geschah, geschah losgelöst von Zeit und Raum. Alles schien in Zeitlupe zu passieren. Lloyd schlug die Frau nieder. Ein Becher fiel ihr aus der Hand und Blut spritzte an die Wand zu ihrer Rechten. Lloyd sah, wie Grant auf einen Jungen eindrosch, der kaum aussah wie sechzehn. Ihm wurde übel. Er konnte das nicht mehr. In einer Kurzschlussreaktion riss Lloyd seine Waffe hoch. Er zielte nicht auf die Vampire, sondern auf einen seiner Kollegen. „Genug!“ Doch dann klickte etwas neben seinem Kopf. Der Älteste der Truppe stand hinter ihm und hielt ihm eine Waffe an die Schläfe. „Wir haben erwartet, dass du einknickst“, brummte er. „Leg die Waffe weg Lloyd.“ Lloyd warf die Pistole auf den Boden. Er fragte sich, was ich mit ihm angestellt hatte. Ich hatte seine Moralvorstellungen umgeworfen in einer einzigen Nacht. Diese Vorstellung gefällt mir aus irgendeinem Grund ziemlich gut. Man fesselte seine Hände und band sie ihm auf den Rücken. Er wurde hastig von seinem Kollegen nach draußen geführt und in einen Wagen geworfen. „Glaubst du, wir sind völlig verblödet?“, knurrte der Ältere und schaute auf die Rückbank, auf der Lloyd sich gerade langsam aufsetzte. In einer ziemlich unbequemen Position, zudem. „Was meinst du?“, fragte Lloyd und bemühte sich unwissend zu klingen. Der Mann am Steuer lachte leise. Lloyd kannte ihn nur unter dem Namen Turner. Ob das sein richtiger Name war, konnte er, aber vermutlich auch kein anderer aus der Gruppe genau sagen. „Deine kleine Liebelei... hat dir ganz schön den Kopf verdreht die kleine Tunte. Für so einen hab ich dich gar nich gehalten“, verkündete Turner. Lloyd schnaufte leise und sah aus dem Fenster. Für so einen hatte er ihn also nicht gehalten. Interessant. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst“, antwortete er kühl. Turner jedoch war nicht so einfach von der Fährte abzubringen. Er lachte trocken. „Hast ihn und seine Freunde gedeckt und uns ganz schön auflaufen lassen, du alter Verräter.“ Lloyd wurde eiskalt... Jedenfalls noch kälter, als er ihm eh schon war. Turner fuhr ziemlich schnell und hektisch. Er schlängelte sich durch den dichten Feierabendverkehr und so dauerte es nicht lange, bis sie an ihrem Ziel ankamen. Es war der Privatwohnsitz von Fletcher und Lloyd war alles andere als erfreut, vermutlich gleich das Zeitliche zu segnen. Denn es gab nichts Schlimmeres, für diese Art von Bruderschaft, als einen Verräter. Wenn er nicht gleich vor ein Erschießungskommando gestellt wurde, dass ihn bald aussehen ließ wie einen löchrigen Käselaib, dann würden sie ihn foltern, bis er unseren Aufenthaltsort verriet und ihn dann umbringen. Turner führte ihn zur Haustür und klingelte. Ein Schrank von einem Mann öffnete ihnen die Tür. Er trug einen Anzug und ein Headset. Seine Haare waren an den Seiten abrasiert und die verbliebenen auf seinem Kopf schmierig nach hinten gegelt. Er knurrte nur leise und schob sie beide ins Innere des Hauses. Lloyd wurde mehr oder weniger liebevoll vorne weg bugsiert. Er musste sich ziemlich zusammen nehmen um nicht in rüden Protest zu verfallen, hatte sich aber einigermaßen im Griff und gab sich mit einem leisen Fluchen zufrieden. Natürlich mussten sie sich gedulden bis ihre Eminenz sich die Ehre gab zu ihnen herab zu steigen. Turner stand mit stolz geschweller Brust neben ihm. Da hatte er aber auch einen tollen Fang gemacht! Jemand wurde zu Fletcher geschickt. Während sie warteten wandte sich Lloyd an Turner und zog die Brauen hoch. „Du hättest mich vorhin einfach erschießen können, ohne dass es jemanden gestört hätte. Was genau bringt es dir also mich hier vorzuführen... Oh, Moment... ich versteh schon.“ Turner lachte. „Immerhin hast du deinen Humor nicht verloren“, sagte Turner, mit dem eindeutigen Verdacht, dass diese Worte Lloyd aufmuntern würden. Dieser rollte nur mit den Augen, nachdem er sich wieder abgewandt hatte. Die ganze Zeit hatte er den Raum nach einem möglichen Fluchtweg abgesucht, doch keinen gefunden. Er hatte den Eindruck an jedem Weg, in der großen Empfangshalle, bis hin zu der schweren Eichenholztreppe, den er hätte nutzen können um wenigstens Haken zu schlagen, stand einer von Fletchers Schlägern. Er würde auf eine bessere Gelegenheit warten müssen, auch wenn es dann vielleicht schon zu spät war. Er wollte sich die Chance auf eine Erfolgreiche Flucht nicht verderben, wie gering diese auch ausfallen mochte. Das Warten hatte ein Ende. Er hörte eine Tür und Stimmen. Dann sah er Fletcher, begleitet von gleich vier riesigen Kerlen, die selbst Lloyd noch um einiges überragten. Lloyd stellte sich gerade hin und versuchte möglichst viel von seiner Würde zu bewahren. Seine Arme und Handgelenke hatten zu schmerzen begonnen und strahlten langsam in seine Schultern, zu seiner Brust. Die Fesseln saßen stramm und unangenehm. Aber Lloyd hatte schon viel schlimmere Schmerzen ertragen, besser machte es die Situation allerdings nicht. Fletcher lächelte süffisant und breitete die Arme zu einer ausladenden Geste aus, während er auf Lloyd und Turner zuschritt. „Jackson... Turner... was verschafft mir denn die Ehre?“, fragte er und zog die Stirn kraus, wobei das falsche Lächeln nicht aus seinem Gesicht wich. Turner ergriff das Wort: „Er hat uns verraten. Hat einem Vampir und seinen kleinen Freunden den Rücken frei gehalten und vorhin seine Kollegen bedroht.“ Lloyd schnaufte verächtlich, war sich aber nicht sicher, was er dazu sagen sollte. Wenn er log, verstrickte er sich vielleicht in etwas, das ihn noch tiefer in sein Verderben ritt. Vielleicht konnte er aber auch Zeit gewinnen, indem er sich eine einigermaßen plausible Geschichte ausdachte. Denn wenn er die Wahrheit sagte, brachte er wieder Unschuldige Leben in Gefahr. Und soweit er wusste war man in diesem Land immer unschuldig, bis die Schuld bewiesen werden konnte, was einem andererseits aber auch nichts brachte wenn man sich zwischen Meuchelmördern und anderen korrupten Verbrechern bewegte. Kurzerhand entschloss sich Lloyd also, Fletcher eine spontane Geschichte aufzutischen. „Jackson, was sagen Sie zu diesen Anschuldigungen?“, fragte Fletcher nun kühl und musterte seinen Mitarbeiter von oben bis unten. Zu dumm nur, dass Lloyd es unter diesen Umständen nicht schaffte sich etwas auszudenken, das Fletcher ihm abgekauft hätte. So schwieg Lloyd und wurde allmählich unter den Blicken der Anwesenden reichlich nervös. Sein Blick huschte immer weder zu den freien Ecken, zu den Security Leuten und wieder zurück. Er musste hier raus. Er musste fort, aber er hatte einfach keine Chance und er wusste das. Es war gegen seine Natur sich in Situationen zu stürzen, die von vorn herein aussichtslos waren. Doch hatte da nicht jemand schon an seinen Moralvorstellungen geschraubt? Jemand, der ihm gezeigt hatte, dass er auf der falschen Seite stand? Fletcher seinerseits, stand gefährlich nahe an ihm dran und so musste er nur sein Knie empor schnellen lassen um den Bürgermeister in die seinigen zu zwingen. Sogleich stürzten sich die Schläger auf ihn. Er duckte sich unter dem ersten hinweg und rammte einem, der sich ihm in den Weg stellen wollte die Schulter in den Magen. Dass seine Hände noch immer gefesselt waren machte diese Sache nicht zwangsläufig einfacher. Er schaffte es aber sich irgendwie aus dem Knäuel von Männern zu befreien und sprintete zur Haustüre. Leider waren Türen für jemanden, der seine Hände nur sehr umständlich benutzen. So erreichte ihn einer der Kerle und riss ihn unsanft zu Boden. Er stöhnte auf, als er stürzte und sogleich waren mehrere seiner Gegner über ihm und fesselten ihn. „Bringt ihn erst einmal in den Keller“, hörte er Fletcher sorglos sagen, als sei er nur ein Karton von Partygirlanden, die verstaut werden sollten. Genauso wurde er auch verschnürt und in den Keller des Anwesens verfrachtet. Sie warfen ihn in einer Abstellkammer, in der es modrig nach fauligen Kartoffeln. Er hatte nicht erwartet, dass Fletcher zuließ, dass jemand so fahrlässig mit seinen Vorräten umging. Immerhin musste er ja am Besten wissen, dass es im Falle einer Zombieinvasion nur zu schnell zu Bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen konnte und was dann? Von schimmligen Kartoffeln konnte er nicht sehr lange leben. Lloyd stöhnte und schnaufte schwer. Man hatte ihm den Mund mit Panzertape zugeklebt und damit auch seinen restlichen Leib gefesselt. Er wand sich kurz, bei dem Versuch irgendwie aus den Fesseln zu entkommen, gab aber schnell auf und beschloss sich seine Kräfte zu sparen. Man hatte abgeschlossen und ihn hier, auf dem dreckigen, kalten Boden allein gelassen. Unweigerlich glitten seine Gedanken erneut zu der Nacht, in der er mich kennengelernt hatte. Und unweigerlich stieg tiefes Bedauern in ihm auf. Gepaart mit Zorn auf mich, war das keine gute Mischung. Aber ich war es nicht gewesen, der ihn in diese Lage gebracht hatte. Um das zu erkennen, fehlte es ihm aber im Moment an Weitsicht. Er verfluchte die Welt, sich selbst und auch mich. Er war wütend auf alle und niemanden, begann doch wieder sich in seiner Zelle herum zu werfen und schrie gedämpft durch das Band, über seinem Mund. Nach einigen Sekunden des Wahnsinns hielt er jedoch inne und seine Wut ebbte ab, in tiefe Verzweiflung. Er wollte fern von all diesen kleinen und größeren Katastrophen um ihn herum und in dieser Sekunde auch möglichst fern von allen Vampiren dieser Erde. Er lag auf dem kalten Boden. Langsam wurden seine, noch immer auf den Rücken gebundenen, Arme endgültig taub und durchzogen dennoch seinen ganzen Oberkörper mit dumpfen Schmerz. Lloyd schnaufte leise und rollte sich unter größter Anstrengung zu einem Metallregal. Es sah ziemlich wacklig aus und an den Schrauben hatte es bereits Rost angesetzt. Das einzige Licht, das in die kleine Kammer schien, kam von Gang. Wenn jemand das ausschaltete, dann saß er ganz im Dunkeln. Mühsam setzte er sich auf und lehnte sich gegen das Regal. Er versuchte in dem schalen Licht etwas zu finden, womit er das Tape aufschneiden konnte, aber er fand nichts und dann machte jemand im Gang wirklich das Licht aus. Nun saß er im Dunkeln. Hilflos und ziemlich allein. Eine bedrückende Stille umfing ihn. Lloyd schloss seine Augen. Er hasste die Dunkelheit. Er hasste diese Stille und er hasste jedes Geräusch, das ihn zusammenfahren ließ. Die Finsternis ließ ihn schwach werden. Und er hasste es schwach zu sein. Er schreckte hoch, als ein Schlüssel sich im Schloss drehte. Seine Müdigkeit hatte gesiegt und ihn nach einer gefühlten Ewigkeit einschlafen lassen. Er sah eine breitschultrige Gestalt in der offenen Türe stehen. Sie kam auf ihn zu und warf ihn sich unsanft über die rechte Schulter. Lloyd wusste nicht mehr welches seiner Körperteile ihm an Meisten weh tat. Aber es schmerzte alles zusammen unerträglich. Er wurde nicht aus dem Keller gebracht, sondern nur ein paar Türen weiter. Der Kerl, der ihn aus seinem Gefängnis geholt hatte, stellte ihn auf seine zusammengebundenen Füße und holte ein ziemlich unfreundlich aussehendes Teppichmesser aus seiner Gürteltasche. Er schnitt die Fesseln durch und riss anschließend unsanft das Stück Tape ab, das Lloyds Mund versiegelt hatte. Er winselte leise und bewegte schwerfällig seine Arme. Die Tür, vor der sie standen, wurde geöffnet und Lloyd hinein gestoßen. Fletcher, Turner und ein, ihm unbekannter Typ, der mehr Ähnlichkeit mit einem Gorilla hatte, als mit einem Menschen. „Setzen Sie sich“, sagte Fletcher freundlicher als Lloyd es im Moment ertragen konnte. Fletcher saß auf einem Stuhl, hinter einem alten Holztisch, seine Bodyguards standen hinter ihm. Auf der anderen Seite des Tisches, stand der Stuhl auf den Fletcher, Lloyd eingeladen hatte. Der Rest des Raumes, war gesäumt von Aktenschränken, mit Schubfächern. Lloyd seufzte leise und setzte sich schwerfällig auf den Stuhl und fuhr sich übers Gesicht, durchs Haar. „Sparen Sie sich ihre Bemühungen, Emerald“, sagte er leise, während er sich die Arme und Handgelenke massierte. Turner schnaufte ungehalten, war aber so klug den Mund zu halten, während Fletcher eher amüsiert zu sein schien. „Mein Junge... Sie wollen doch nicht ihre ganze Karriere wegwerfen, nur wegen so einer Geschichte...“, versuchte er beinahe väterlich auf den Vampirjäger einzureden. Lloyd allerdings zog die die Augenbrauen hoch. „Karriere!“, blaffte er verächtlich und lachte auf. So langsam vergingen ihm die guten Manieren, was aber bei der Gastfreundschaft, die hier an den Tag gelegt wurde nicht weiter verwunderlich war. Fletcher blieb ruhig und lächelte Lloyd weiterhin freundlich an. „Nun, es ist so: entweder, du kooperierst mit uns oder -“ Lloyd schnitt ihm das Wort ab. „Oder ihr tötet mich. Ich bin lieber ein Verrä-“. Nun war es Fletcher, der seinen Angestellten unterbrach. Seine Stimme hatte eine Tonlage, wie die eines Vaters, der sein bockiges Kleinkind zur Raison rufen wollte. „Oder wir drehen dich um... waschen dir dein hübsches Köpfchen und bringen dich so dazu, deine Freunde zu verraten. Warum sollten wir uns denn die Mühe machen, dich zum Sprechen zu bringen, wenn alles so einfach sein kann? Also? Sprichst du und verlässt dieses Haus als Vogelfreier? Oder müssen wir unfreundlich werden?“ Fletcher lehnte sich über den Tisch und sah ihn auf eine ekelhafte Art wohlwollend an. Lloyd verschluckte die Worte, die ihm auf der Zunge gelegen hatten. Seine Kiefer mahlten und sein Blick glitt auf seine Hände. „Wie viel Vorsprung bekomme ich?“, fragte er schließlich heiser. Fletcher lächelte zufrieden und lehnte sich wieder zurück. Lloyd glaubte zu wissen was er tat. Er hoffte, mit dem Vorsprung genug Zeit zu bekommen um uns einzuholen und rechtzeitig weg zu schaffen. Er kannte die Möglichkeiten, die Fletcher hatte und er wusste was es bedeutete, wenn er meinte, dass er ihn dazu bringen würde uns zu verraten. Gedankenkontrolle wurde schon seit Jahren bei der Army eingesetzt und stellte sowohl eine kostengünstige Methode den Willen einer Person zu brechen, als auch sie gegen ihren Willen für seine Zwecke zu benutzen. Seine Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Aber er würde es versuchen. Fletcher, der jetzt seinen Sieg ausgekostet hatte, leckte sich über die Lippen und sah ihn zufrieden an. „Das kommt drauf an, wie nützlich deine Informationen sind.“ Das war typisch, aber Lloyd konnte damit umgehen. Er nickte und brauchte einen Augenblick, bis er mit der Sprache herausrückte. Im Grunde genommen wusste er, dass sie uns früher oder später eh gefunden hätten. Er wollte die Chance nutzen, uns eine Chance zu geben, zu fliehen. Leider konnte er nicht wissen, wie schwierig sein Unterfangen werden würde. So sprach er die Worte und unterschrieb damit unser vorläufiges Todesurteil. „Sie sind in Kanada. Vermutlich nicht weit hinter der Grenze.“ Fletcher gab einen Laut von sich, der einem wohligen Schnurren glich. Turner, hinter ihm wollte gerade sein Funkgerät einschalten, als der frisch gebackene Bürgermeister die Hand hob. „Er bekommt 5 Stunden Vorsprung, von dem Augenblick an, in dem er dieses Haus verlässt.“ Während all diese Dinge geschahen, war ich in unseren Wagen gestiegen und hatte mich in der Dämmerung auf den Weg gemacht um ein paar Sachen einzukaufen. George, Vittorio und Sophie hatten mir, der ich doch ziemlich ratlos war, versprochen, dass sie sich Gedanken um unsere weitere Reise machen würden. Die Straße war reichlich vereist, was mich dazu brachte sehr vorsichtig zu fahren. Ich hörte Mumford and Sons im Radio und summte zufrieden mit, auf der Suche, nach dem nächsten Supermarkt. Die Straße war nur eine dünne Narbe in einem allumfassenden Wald. Einem von der Sorte, die einem die Macht von Mutter Natur bewusst macht und Nachts Gänsehaut verschafft. Aus jenem Wald, führte ein schmaler Forstweg, an dessen Ende ich im Vorbeifahren zwei Lichter ausmachen konnte. Ich dachte schon fast gar nicht mehr an den Weg, als ich den dumpfen Laut, der großen Tatzen hörte, und in leichten Vibrationen spürte, die das Wesen verursachte, das hinter meinem Auto über die Fahrbahn trampelte. Ich sah in den Spiegel und wollte abbremsen, als es schon aus meinem Blickfeld verschwunden war und neben mich zog. Ich wurde gerammt. Ehe ich mich versah, verlor ich die Kontrolle über das Fahrzeug und schleuderte fluchend quer über die Fahrbahn. Im Nachhinein bin ich mir ziemlich sicher, dass es entweder KingKong oder ein Wendigo gewesen sein musste. Leider war meine Schleuderpartie noch nicht das Ende. Das Auto rutschte von der glatten Fahrbahn, einen kleinen Abhang hinunter und krachte mit der Fahrerseite gegen einen Baum. Der Airback ging los und die Tür dellte sich unangenehm ein. Ich prellte mir die Schulter und mein Nacken knackte widerlich und sehr schmerzhaft. Dann war alles für einen Moment still. Sogar das Radio hatte versagt. Mühsam versuchte ich mich zu bewegen oder wenigstens an mein Handy zu kommen. Ich befand mich noch in der Nähe der Straße. Der Straße, von der ich aus nun erneut Scheinwerfer sehen konnte. Sie wurden langsamer und der fremde Wagen hielt. Kurz darauf stapfte eine dunkle Gestalt auf mich und das Wrack zu, in dem ich mich befand und dessen Scheinwerfer das Einzige war, das noch funktionierte. Ich erschrak ziemlich heftig als er einfach meine Tür öffnete, die mit einem grässlichen knarzen widersprach, sich aber dem menschlichen Bären fügte, der sie aus den Angeln gehoben hatte. In der Dunkelheit konnte ich den Mann nicht genau sehen. Seine Statur ließ aber auf einen Holzfäller schließen, der Grizzlibären in die Luft stemmte um nebenher in Form zu bleiben. Aber seine Atmung und die Grunzgeräusche, aus denen ich bruchstückhafte Fragmente seiner Stimme vernehmen konnte, ließen auf einen Raucher und Trinker schließen. „Na?“, grollte er schließlich und enttäuschte mich in seiner Schroffheit nicht. Ich schnaufte erschöpft und ließ ein paar leise Dankesworte hören, während der Mann sich über mich beugte, um mich loszuschneiden. „Solltest in ein Krankenhaus...“, schnaufte er. Ich wäre sehr angetan gewesen von einem richtigen Arzt wieder zusammengebastelt zu werden, aber es gab einige Dinge, die mich davon abhielten. „Ach, nich der Rede Wert“, nuschelte ich und versuchte mich aus dem Wagen zu quälen. Mein Schädel dröhnte und alles um mich herum drehte sich ganz plötzlich. „Ich glaub nich'!“ Der Trucker schnappte sich meinen eher zarteren und in seiner Gegenwart kaum gegenwärtigen Körper und half mir zu seinem Pick-Up zu kommen. Er lud mich auf den Beifahrersitz und startete den Motor. „Ich bin nicht Krankenversichert“, versuchte ich mich zu erklären. Der Kerl, den ich inzwischen als bärtig erkannt hatte, grunzte amüsiert. „Is schon gut. Ich nehm dich erstmal mit. Wo kommst du her?“ „New York.“, entgegnete ich leise und versuchte mich nicht zu übergeben. „Ich weiß nicht, ob sie die Nachrichten verfolgt haben aber-“ „Ist nicht auszuhalten dort, wie? Hast die Beine in die Hand genommen?“, unterbrach er mich. „Ja...“, Ich überlegte mir hastig, wie ich das Thema von mir ablenken konnte und versuchte mit meinem durchgeschüttelten Hirn, irgendwie einen Haken zu schlagen. „Ich wohne in einer nicht ganz so guten Gegend. Es gibt dort viele von diesen... naja von den Anderen.“, erklärte ich und versuchte möglichst unnahbar zu wirken. Wir führen ein kleines Stück und schließlich kamen wir an einer kleinen verschneiten Hütte an, die ihre besten Tage gesehen und längst all ihren Scharm versprüht hatte. Nur mühsam gelang es mir auszusteigen und erneut bekam ich Hilfe von meinem Retter. Durch den Unfall und die Schmerzen, war ich ganz durcheinander und merkte nicht, wie ich mein Handy im Schnee verlor. Im Inneren der kleinen Hütte war es angenehm warm und so verlangte ich zu meinem Bedauern nicht sofort danach bei meinen Freunden anzurufen. Ärgerliche Sache. Mein neuer Freund hieß Murrey. Er war in der Tat eine Art Holzfäller und verdiente sich seinen Lebensunterhalt wohl mit allerhand Gelegenheitsarbeiten. Er machte mir einen heißen Punsch aus der Tüte und ich trank, ohne nachzudenken davon. Ich wollte ihm erzählen was... was wollte ich eigentlich erzählen? Tja, ab dort setzt meine Erinnerung aus und beginnt erst wieder , als ich mich in einem muffigen Keller wiederfand. Gefesselt an ein Heizungsrohr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)