Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 1: Erstes Buch: Der letzte überlebende Krieger ------------------------------------------------------ Um 600 b.c. Seine Augen, so hieß es, seien die Augen des Teufels. Gefährlich blitzten sie bei jedem Schwerthieb, bei jedem abgeschlagenen Kopf rot auf. Niemand konnte es mit ihm aufnehmen, noch nie hatte jemand ihn besiegt. Doch nun war er am Ende seiner Kräfte. Die Schlacht hatte ihn geschwächt. Schwer atmend ließ er das Schwert fallen, riss sich die Rüstung vom Leib. Er ließ den schmerzenden Kopf nach hinten fallen und mit von Blut, Schweiß und Staub verdrecktem Gesicht blickte er in den grauen Himmel. Über mehrere Kilometer zog sich das Schlachtfeld hinweg, übersät mit Leichen, die aufeinandergeschichtet herumlagen, ohne Köpfe, ohne Arme, einen steckenden Pfeil in der Brust. Es war ein Grab. Für hunderttausende von Männern. Fünf Jahrzehnte lang durchschnitten Schwerter Körper, durchbohrten Pfeile Fleisch und Muskel, fielen tote, verletzte, verstümmelte Körper mit einem dumpfen Aufprall, der vom Kriegsgebrüll übertönt wurde, auf den staubigen Boden. Ein halbes Jahrhundert lang bekämpfte sich Mann gegen Mann. Ein halbes Jahrhundert lang floss Blut. Jetzt war es vorbei. Und niemand hatte überlebt. Niemand außer ihm. Er schwankte, fiel erschöpft auf die Knie und blieb reglos liegen. Er wollte das nicht mehr sehen. Er wollte einfach nur die Augen schließen und vergessen. Es mussten Stunden vergangen sein, als am Horizont eine kleine Gruppe Geistlicher erschien und sich langsam dem Ort des Grauens näherte. Aus der Ferne hatten sie die Schlacht beobachtet und noch bestand ein kleiner Schimmer der Hoffnung, dass jemand überlebt hatte. Jeden einzelnen drehten sie um, um den einen Überlebenden zu finden und die Sonne wanderte weit über den Himmel, näherte sich bereits dem flimmernden Horizont, bis sie an seinen mit Dreck, Wunden, Entzündungen und Prellungen übersäten Körper traten. Er war bewusstlos und atmete nur schwach; doch er lebte. Notbedürftig versorgt wurde er in einen Tempel gebracht, der tief und versteckt in einer Schlucht lag, verborgen hinter Felsen und dürren Bäumen. Die Geistlichen brachten den erschöpften Krieger zu ihrem Heiler, der wortlos das getrocknete Blut vom geschundenen Körper und sorgfältig die Wunden auswusch, diese mit einer heilenden Kräutersalbe bestrich und verband. Mehrere Tage rührte der tapfere junge Mann sich nicht, trug einen inneren Kampf aus, doch solange er atmete, war noch nichts verloren. Nach fünf Tagen öffnete er matt die Augen. Jemand machte sich an seinem Oberschenkel zu schaffen und obwohl er noch nicht ganz klar sah und seine Glieder wie Feuer brannten, schreckte er auf und packte beide Handgelenke des Heilers. Er mochte es nicht, berührt zu werden. „Oh, du bist wach“, sprach der Heiler sanft und versuchte, sich loszumachen. „Wo bin ich?“ Trotz des trockenen Mundes klang die Frage harsch und befehlend. Die Augen verengten sich zu blutrot funkelnden Schlitzen und sein Griff um die Handgelenke wurde noch fester. Er starrte den Heiler an, konnte jedoch die Augen nicht sehen, da eine Kapuze ihm tief ins Gesicht hing. Der Krieger knurrte ungeduldig. Doch sein Gegenüber blieb ruhig. „Lass mich los, dann erzähle ich es dir.“ „Unmöglich“, raunte er, nachdem er den Worten des Heilers gelauscht hatte, stand ein wenig wackelig auf und griff nach seinen Klamotten, die auf einem Hocker lagen. Er zog sich die schmutzigen und blutverkrusteten Kleider an und verschwand ohne einen weiteren Blick aus der Tür. Der Heiler blieb ruhig sitzen und schüttelte den Kopf. Er wusste, dass es eine verwirrende Situation für ihn sein musste. Er würde ihm die Zeit geben, die er brauchen würde. Doch erstmals musste er wieder zu Kräften kommen. Er erhob sich, holte eine Schale kalten Wassers und folgte ihm. Der Krieger unterdessen irrte durch die Gänge. Als er einen der Geistlichen entdeckte, packte er diesen grob am Arm und forderte, ihm den Ausgang zu zeigen. Keine Reaktion. Etwas lauter fragte er versucht höflich, wo der Ausgang sei, weil er dachte, dass er vielleicht schwerhörig war. „Er wird dir nicht antworten, auch wenn du ihn anbrüllst.“ Erschrocken ließ er den Arm des Geistlichen los, der sich daraufhin verneigte und aus dem Staub machte. „Und sie mögen es gar nicht, berührt zu werden.“ „Wer seid ihr?“ Der Krieger hatte so viele Fragen. Doch der Andere reichte ihm nur die Schale Wasser, die er sofort leerte und forderte ihn dann auf, ihm zu folgen. „Dass wir nicht von hier sind hast du bestimmt schon bemerkt“, begann er zu sprechen, „die Geistlichen hier sind Mönche aus China, sie haben dem Sprechen abgeschworen, um ihre anderen Sinne zu schärfen.“ Der chinesische junge Mann legte die Hände an die Kapuze, die sein Gesicht verdeckt hatte und zog sie runter. Sofort ergoss sich langes schwarzes Haar über seine Schultern. Die Augen leuchteten ihm honiggelb entgegen und hielten seinen Blick gefangen. Beinahe seinen Verstand. „Ich bin Heiler und sie helfen mir. Nun, ich zwinge dich nicht, hier zu bleiben, aber bedenke, niemand weiß, dass du überhaupt noch am leben bist. Ich bitte dich lediglich, deinen Körper wieder zu Kräften kommen zu lassen. Außerdem nehme ich an, dass du dich weit weg von zu Hause befindest. Es wäre unklug, in deinem Zustand aufzubrechen.“ Mittlerweile waren sie draußen angelangt und stehen geblieben. Der Krieger sah sich um. Der Tempel war umgeben von einem Hof, in dem Dattelpalmen standen und Wasser plätscherte. Hinter den Mauern jedoch erstreckte sich eine weite Einöde aus Gestein und Sand und einigen vertrockneten Sträuchern. Die Sonne prallte erbarmungslos ihre Hitze auf alles, was sich dazwischen befand. Einen Weg durch dieses Land zu finden, war so gut wie unmöglich. Zudem wusste er nicht einmal, wo er sich überhaupt befand. Seufzend wandte er sich um und hastete dem Heiler hinterher, der bereits wieder in den Tempel verschwunden war. In der großen Eingangshalle holte er ihn auf. „Warte, Heiler! Ich bleibe hier. Vorerst“, betonte er letzteres stark. „Gut, dann lass mich zuerst deine Wunden pflegen, du hast mich vorhin unterbrochen.“ Zurück im Zimmer, zog der Krieger seine zerrissene Hose und das Hemd wieder aus und setzte sich auf das Lager, auf dem er zuvor gelegen hatte. Er ließ es geschehen, dass der Heiler die klaffenden Wunden gründlich auswusch. Es waren nicht die schlimmsten Verletzungen, die er sich in seinem Leben bereits zugetragen hatte. „Du kannst dich waschen gehen, aber bleib nicht zu lange im Wasser, das ist nicht gut für solch eine Verletzung. Danach kommst du zurück. Rechts, dann dritte Tür links.“ Einen Dank murmelnd verließ der Krieger das Zimmer, um den beschriebenen Raum ausfindig zu machen, der sich als geräumiges Bad entpuppte. Eine große Wanne war in den Boden eingelassen, Wasser füllte sie bereits plätschernd. Es duftete frisch nach Lavendel und Minze. Er entledigte sich seiner Unterhose und ließ sich seufzend hineingleiten. Das heiße Wasser wärmte seine Knochen und linderte das Brennen seiner überstrapazierten Muskeln. Während er sich im wohltuenden Nass entspannte, schweiften seine Gedanken ab. Der Krieger war tatsächlich sehr weit weg von zu Hause. In einem Land, das er weder kannte, noch Bedeutung für ihn hatte. Er kämpfte einzig und allein, um seinem Vaterland einen Dienst zu erweisen und der bestand darin, Land zu erobern. Als ob der Herrscher nicht schon genug Land besäße, strebte er offensichtlich nach der ganzen Welt. Es sah ganz danach aus, als ob seine Armee diesmal nicht erfolgreich gewesen war. Und wenn in einigen Tagen die Botschaft den Herrscher erreichte, würde auch er selbst als gefallen gelten. Er starrte die Decke an, und während er darüber nachdachte, musste er feststellen, dass es ihm egal war, nicht mehr nach Hause zu gehen. Dort hatte er nichts. Keine Familie, keine richtigen Freunde. Kein richtiges Zuhause. Heimat gab es schon lange nicht mehr für ihn. Seit er als Kind das erste Mal eine Waffe in Händen hielt, lebte er einzig und allein für den Krieg. Seine Gedanken schweiften zum Heiler und den Geistlichen, die ihn gerettet hatten. Sie kamen aus dem großen Reich der Mitte und befanden sich dementsprechend noch weiter von ihrem Heimatland weg. Er fragte sich, was sie an solch einem Ort machten. Dieses Land war tot, nicht fruchtbar, hatte nichts zu bieten. Er schüttelte den Kopf. Das viele Denken verwirrte ihn. Neben sich auf dem Boden entdeckte er eine Schale mit halbfester und eine Flasche mit flüssiger Seife. Die flüssige massierte er sich in die Haare, mit der anderen seifte er sich komplett ein und nach wenigen Minuten verließ er die wohlige Wärme des Wassers. Auf einem kleinen Tisch in der Nähe entdeckte er ein Tuch, mit welchem er sich die gröbste Feuchte aus den Haaren rubbelte und es sich schließlich um die Hüfte wickelte. Zurück beim Heiler setzte er sich erneut aufs Lager. Dieser hatte auf ihn gewartet und begann abermals wortlos, die Wunden abzutupfen, mit der grünen Kräutersalbe einzureiben und gut zu verbinden. Danach verschwand er kurz in einem Nebenraum und kam mit einer weiteren Schale in der einen und einem Stapel Stoffen in der anderen Hand zurück, legte beides auf den Tisch. „Die Salbe ist gegen Muskelbrennen. Geh bitte sparsam damit um, die Kräuter sind schwierig zu erreichen. Diese Kleider kannst du anziehen, deine alten sind zu zerfetzt und dreckig. Und da du doch bestimmt Hunger hast, werde ich ein Mahl zubereiten. Komm doch in den Speiseraum, sobald du hier fertig bist. Er befindet sich links, auf der anderen Seite der Eingangshalle zweite Tür rechts.“ Der Krieger nickte wortlos, worauf der Heiler den Raum verließ. Noch einige Zeit stand er einfach nur da und starrte auf die Tür, hinter welcher der Heiler verschwunden war. Gedanken über Gedanken kreisten in seinem Kopf. Was taten die Chinesen hier? Warum hatten sie sich die Mühe gemacht nach Überlebenden zu suchen? Was ging sie dieser Krieg überhaupt an? Fragen über Fragen. Die ganze Situation war ihm nicht ganz geheuer. Dem Heiler lag offenbar sehr viel daran, dass er gesund würde, obwohl sie sich fremd waren und dem Krieger war nicht entgangen, dass er eine Kraft ausstrahlte, die ihm vollkommen unbekannt war. Doch diese Macht ließ ihm seine Nackenhaare zu Berge stehen. Der Speiseraum war nichts weiter als ein schlicht mit einem tiefen Tisch und mehreren Kissen notdürftig eingerichtetes Zimmer. Auf dem Tisch standen bereits einige Schalen, deren Inhalt dampfte und einen würzigen Geruch verbreitete. So hungrig wie der Krieger war, ließ er sich auf eines der Kissen fallen und begann, das Essen in sich hineinzustopfen. Dabei unterschätzte er die Schärfe der Gerichte. Sein Mund schien zu verbrennen, die Augen tränten. Er hustete und wollte nach Wasser greifen, als eine Hand ihn aufhielt und eine andere ihm eine Schale mit einer weißen Flüssigkeit vor die Nase hielt. „Trink das, mit Wasser machst du es nur schlimmer.“ Der bereits rot angelaufene Krieger schüttete sich die Milch ohne weitere Aufforderung in den Rachen und keuchte. „Um Himmels Willen. Wollt Ihr mich umbringen?“ Zum ersten Mal legte sich ein amüsierter Ausdruck auf das ansonsten ernst dreinblickende Gesicht des Heilers. „Natürlich nicht, was hätte es denn dann für einen Sinn gehabt, dich zu retten?“ Er reichte ihm ein Tuch, womit er seine Stirn abwischen konnte, auf der sich ein Schweißfilm gebildet hatte. Und die Tränen aus den Augen. „Schau, du musst es mit dem Reis zusammen essen. Und iss langsam, sonst hast du gleich Magenschmerzen“, belehrte ihn der Heiler. Der junge Krieger murrte, tat dann aber wie ihm geheißen. Während er aß, saß der Chinese kniend neben ihm und trank einen Tee. Dass er spürte, wie er gemustert wurde, ließ er sich nicht anmerken. „Wie kommt es, dass du schon ein anscheinend solch fähiger Heiler bist? Du kannst doch nicht älter sein als zwanzig Jahre“, kam die unerwartete Frage. Doch der Angesprochene trank einen weiteren Schluck Tee und schaute ihm dann mit seinen tiefgründigen, geheimnisvoll glitzernden Opalen in die Augen. „Und du? Wie kommt es, dass du in deinem Alter ein solch mächtiger Krieger bist? Du scheinst mir auch nicht älter zu sein.“ Etwas verwirrt ließ er die Hand sinken, mit der er sich gerade einen weiteren Happen in den Mund schieben wollte, und blickte ihn blinzelnd an. „Das stimmt, ich bin zwanzig. Aber wie ich zu solch einem Krieger wurde, weiß ich auch nicht. Ich schien eine Begabung dafür zu haben.“ Der Heiler sah ihn aus unergründlichen Augen an. „Ein Schicksal, dem du dich nicht entziehen konntest, was? Eine Vorherbestimmung, als wäre es dir in die Wiege gelegt worden.“ Er nahm einen weiteren Schluck Tee. „Genau wie bei mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)