Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 9: Aufbruch ins Ungewisse --------------------------------- Sämtliche Vorbereitungen waren getroffen. Die warmen Schlafsäcke und die Decken wurden zusammen und das Zelt separat zu Bündeln geschnürt, die sie auf dem Rücken tragen konnten. Sie wussten nicht, wie lange ihre Reise dauern würde, weswegen sie Proviant für zwei Tage eingepackt hatten. Im Notfall konnten sie immer noch umkehren. Die Antarktis taugliche Kleidung wollten sie erst auf der heiligen Lichtung anziehen, war es doch vorher noch zu früh. Kai war froh, dass sie dank dieses verzauberten Ortes durch den Raum reisen konnten, so mussten sie nicht in halsbrecherischen Aktionen das Meer überqueren und außerdem waren sie nicht länger als wenige Augenblicke unterwegs. Einen Haken hatte es allerdings. Rei war noch nie dort und wusste somit nicht, wo sie ankommen würden. Der Ausgang des Labyrinths konnte sich irgendwo befinden. Wie Rei ihm aber erklärte, war das nicht weiter schlimm und immerhin sei der Zufall, von Rei lieber Schicksal genannt, auf ihrer Seite, da in der Antarktis gerade Frühling war. „Der Südpol befindet sich auf der anderen Hälfte der Erdkugel“, erklärte er Kai halbwegs verständlich mit ausführlichen Handbewegungen, „und weil die Achse der Erde schief ist, gibt es Jahreszeiten. Allerdings sind sie auf der jeweils anderen Hemisphäre gegensätzlich. Das heißt, da wir hier bereits Herbst haben, ist dort Frühling.“ Kai verstand nicht ganz, wieso das von Belang sein sollte. „Ganz einfach. Im antarktischen Winter herrscht die ewige Nacht. Die Sonne geht praktisch nie auf. Der ewige Tag kommt nun immer näher. Wir werden also längere Tage als Nächte erleben. Alleine der Gedanke an eine ewige Nacht lässt mich erschaudern.“ Wie zur Bestätigung schlang er fest die Arme um den eigenen Oberkörper. Kai sah ihn staunend an. „Rei, wieso weißt du so viel? Ich habe noch nie in meinem Leben von all den Dingen etwas gehört. Wir wussten nicht einmal, dass es so etwas Ähnliches wie die Antarktis gibt, oder dass die Erde schief steht. Wie kommt es, dass du davon Bescheid weißt?“ Der Chinese sah ihn ernst an. Daran hatte er gar nicht gedacht. Er winkte ab. „Keine Sorge, das kannst du gar nicht wissen. Schließlich wird die Antarktis erst in etwa 2400 Jahren entdeckt.“ Kais Augen weiteten sich geschockt und mit einem Ausruf des Entsetzens starrte er Rei an. „Bitte was?“ Durch das Gebrüll zuckte er heftig zusammen. Ihm fiel auf, dass er wohl besser nichts weiter mehr sagen sollte, er machte es nur schlimmer und die ganze Situation für Kai unverständlicher. Dementsprechend verwirrt blickte er ihn an, die Gesichtszüge waren ihm komplett entgleist. Abwehrend hob Rei die Hände und lächelte nervös. „Vergiss es! Ich werde es dir erklären, irgendwann. Aber vergiss es erst mal, bitte. Stell keine Fragen, wir haben im Moment Wichtigeres zu tun.“ Der Russe war alles andere als zufrieden. Einzig Reis flehender Blick hielt ihn davon ab ihm an die Gurgel zu springen und ihn so lange durchzuschütteln, bis er eine anständige Antwort bekam. Neben ihm kam er sich sonst schon unwissend vor. Geschehenes ließ ihn sich selbst nur noch kleiner erscheinen. „Na schön. Aber dann lass uns langsam aufbrechen.“ Kai erhob sich etwas frustriert aus der heißen Quelle und Rei tat es ihm gleich. Nach dem warmen nahrhaften Frühstück wollten sie ihre Körper zusätzlich mit einem Bad wärmen, in der Hoffnung, wenigstens etwas von der Energie speichern zu können. Langsam wurde es hell draußen. Beide zogen sich lange Kleider aus dicken Stoffen an und Rei flechtete sich sorgfältig seine Haare zu einem Zopf, den er später unter der dicken Jacke tragen würde, um ihn von der ungewöhnlich kalten Temperatur zu schützen. Sie sprachen nicht viel, während sie sich mental und körperlich auf ihre Reise vorbereiteten. Sie schmierten ihre Handrücken und die Lippen mit Fett ein, um zu verhindern, dass sie in der Antarktis aufspringen würden. Kurz bevor sie aufbrachen, gönnte sich der Chinese noch einmal einen heißen Tee. In einem Moment der Unachtsamkeit steckte Kai seinen Dolch ein. Rei musste davon nichts wissen, doch es konnte nicht schaden, eine Waffe bei sich zu haben, schließlich konnte niemand ahnen, was sie im Eisland erwartete. „Rei, wessen Idee war das mit dem Steg unter Wasser?“ Grummelnd zog er die Hosenbeine hoch und balancierte auf Zehenspitzen durch das Wasser, vorsichtig darauf bedacht, den Stoff nicht nass zu machen. Am Ufer angekommen hockte er sich auf den Boden und trocknete seine Füße, zog sich dann die Schuhe wieder an, die er tragen musste. Auch Rei streifte gerade seine Socken über. „Meine. Ich gebe zu, dass es vor allem im Winter sehr unglücklich sein kann.“ Er lächelte entschuldigend und seine Naivität eingestehend. Als er seine Idee umgesetzt hatte, dachte er nicht daran, dass es im Winter aufgrund der Kälte problematisch werden könnte. Zum Umbauen fehlte ihm allerdings die Lust, sowie Zeit. Kai murrte etwas Unverständliches vor sich hin, das Rei nicht verstand. „Ach komm schon, hör auf zu jammern“, neckte er den Russen, der ihm darauf einen bösen Blick zuwarf. „Ich weiß ja nicht wie du es siehst, aber ich mag keine nassen Füße, wenn es kalt ist.“ Rei schmollte. Er war noch jung, als er diesen Tempel erbaute. Jugendliche in diesem Alter dachten normalerweise an andere Dinge. Eingeschnappt packte er sein Bündel und stapfte durch den Wald. Hastig erhob sich Kai und schnappte sich seine Sachen, um dem Chinesen zu folgen. Immerhin war er diesen Weg erst einmal gegangen und da hatte er anderes im Kopf gehabt. „Rei, warte, es war doch nicht so gemeint. Sei nicht böse auf mich“, rief er ihm nach. Kai stolperte über die hinter Farnen versteckten Steine und versuchte, mit Rei mitzuhalten. Byakko war schon nicht mehr zu sehen, er war allen voran gegangen und wartete bereits vor dem Eingang der Höhle. Bevor Rei sie jedoch betreten konnte, wurde er von Kai am Arm zurückgehalten. Verwundert bemerkte er seinen ernsten Blick. „Rei, wenn wir auf der Lichtung sind, ich will nicht, dass du meine Gedanken liest. Bitte“, fügte er noch an, um ihm zu zeigen, dass er es wirklich so meinte. Blinzelnd schaute der Heiler ihn an, bevor er nickte. „In Ordnung, ich akzeptiere deine Privatsphäre.“ Einen Dank murmelnd stahl sich der Russe an ihm vorbei, Rei blickte ihm fragend nach. Er wunderte sich, ob er etwas zu verbergen hatte. Es machte ihn neugierig, was es sein mochte, wenn es ihm so wichtig war. Doch dann zuckte er mit den Schultern und folgte Kai und Byakko in die Höhle. Kai erschauderte, als er durch den stabil wirkenden Felsen in den Gang des Labyrinths stieg. Er mochte es überhaupt nicht und die Nackenhaare legten sich erst wieder, als sie auf die heilige Lichtung traten. Umgehend wurde Kais Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt, das aussah wie ein hölzernes Gefährt ohne Räder, mit einer flachen Ablage. Rei ging darauf zu, legte sein Bündel ab und begann unverzüglich, sich die warmen Kleider über seine eigenen anzuziehen. Kai wusste, dass sie sich beeilen mussten und tat es ihm gleich. „Den Schlitten nehmen wir auch mit. So kommen wir schneller vorwärts und müssen das Gepäck nicht die ganze Zeit am Rücken tragen. Byakko ist stark genug um uns zu ziehen“, erklärte Rei, was es mit dem Gestell auf sich hatte und der Tiger brummte zustimmend. Im Versteckten warf er dem Russen neugierige Blicke zu. Es interessierte ihn schon ziemlich, wieso Kai ihn gebeten hatte, seine Gedanken nicht zu lesen. Ihm fiel nicht ein, was der kühle Krieger vor ihm zu verbergen haben könnte. Er unterdrückte aber das Bedürfnis, auch nur kurz in ihm zu lesen. „Hilf mir mal“, bat er ihn um Hilfe, den Holzschlitten hochzuheben. Hastig warf Kai sein Bündel auf den Rücken und zusammen hievten sie ihn auf die Schultern, um mit ihm durch eines der zahlreichen Pforten zu stapfen. Es war nicht gerade einfach, ihn durch den langen Gang, geschweige denn ihn irgendwie durch den instabilen Felsen zu wuchten. Sofort trieb ihnen die kalte Luft Tränen in die Augen. Die Höhle, in der sie sich befanden, war vereist. Kais Nase begann zu tropfen und er schniefte. Rei schnürte bereits die Lederbänder um Byakkos Brustkorb und spannte ihn auf diese Weise vor den Schlitten ein, den er gleich hinter sich herziehen würde, und schmiss sein und Kais Bündel auf die Ablage. Dann stellte er sich selbst darauf und hielt sich an der hüfthohen Halterung fest. Auffordernd sah er Kai an, der ihm mit laufender Nase zusah. „Komm, du musst dich hinter mich stellen.“ Kai machte einen Schritt auf die etwas erhöhte Ablage und platzierte sich hinter ihn, wusste aber nicht genau, was er machen sollte. Rei schmunzelte und packte, so gut es mit den dicken Handschuhen ging, Kais Arme und zog daran. Unerwartet wurde er gegen Reis Rücken gepresst. Etwas überfordert blickte er in Reis grinsendes Gesicht. „Hast du etwa Berührungsängste, Kai?“, neckte er. Da er aber gleich seine Kapuze über den Kopf zog, sie fest zusammenschnürte und seine Aufmerksamkeit Byakko zuwandte, um ihn anzutreiben, bemerkte er nicht die Röte, die sich über Kais Wangen legte und die bestimmt nicht wegen der Kälte kam. Denn trotz der dicken, mit Fell gefütterten Kleider konnte er Reis Wärme an sich fühlen. Er spürte, wie er tief einatmete. „Los geht es“, flüsterte er sich selbst ermutigend. Mit einem Ruck fuhr der Schlitten an. Kai hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und klammerte sich um Reis Taille an der Halterung fest. Kaum hatten sie die Höhle verlassen, kniffen sie die Augen fest zusammen. Die Sonne strahlte hell und aggressiv spiegelte sie sich in den endlosen Weiten aus Eis und Schnee und blendete sie. Zudem klatschte die Luft noch kälter in ihr Gesicht als zuvor in der Höhle. Kai vergrub sich im Leder von Reis Jacke. Doch der lehnte sich ein wenig nach hinten und streckte die Arme in die Luft. „Willkommen in Antarktika!“, sagte er laut und konnte es selbst fast nicht glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatten. Kai murrte unglücklich. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die eintönig weiße Landschaft. Immer mehr konnte er erkennen, dass um sie herum außer einigen Eisblöcken sich nichts vom Horizont abhob. Da war nur unberührter Schnee auf Eis. Und das einzige Geräusch war das Knarren der Kufen darauf. Lange fuhren sie quer durch die weiße Einöde. Sie redeten nicht, diesmal allerdings gezwungenermaßen, denn jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachten, hatten sie das Gefühl, dass sich ihre Lungen vereisten. Die Fahrtluft jagte ihnen Tränen in die Augen und die Kälte reizte ihre Haut, die nach kurzer Zeit gerötet war. An Kais Nasenspitze fror das Kondenswasser seines Atems zu einem kleinen Eisklümpchen und dabei war er derjenige, der hinter Rei Windschatten hatte. Der Chinese war den Umständen schutzlos ausgeliefert. Doch er hatte sich stur nach vorne gewandt und rührte sich nicht. Kai legte eine Hand auf seinen Arm und brachte ihn nach kurzem dazu, sich zu ihm umzudrehen. Unglaublich, dass er es auch noch schaffte zu lächeln. „Wie machst du das?“, fragte Kai zähneklappernd. Rei drehte sich zwischen seinen Armen zu ihm um. „Durch die Meditation befindet sich mein Geist im Gleichgewicht mit meinem Körper. Äußerliche Einflüsse sind nur halb so schlimm. Im Zustand der Meditation kann ich sie sogar kaum spüren.“ „Das ist alles?“ Kai konnte es kaum fassen. „Das ist alles“, bestätigte Rei mit einem Grinsen und drehte sich wieder nach vorne, „allerdings muss ich mich besonders gut konzentrieren können.“ Er konnte Kai hinter sich leise fluchen hören und schmunzelte höchst amüsiert in den flauschigen Kragen seiner Felljacke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)