Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 19: Am Hof des Zaren ---------------------------- um 1600 Die Smutnoje Wremja, die Zeit der Wirren, war geprägt von Aufständen und Unruhen, die im Reich herrschten. Jahrelange Machtkämpfe um den Thron schwächten das Land. Wirtschaftliche und soziale Krisen stürzten das Zarenreich ins Unglück. Ernten missglückten, die Menschen starben am Hungertod, viele kamen durch Raubmord ums Leben. Gauner lebten unter den Adeligen. Die Adelsopposition stellte sich gegen den durch ein Semskij Sobor, eine Nationalversammlung, gewählten Zaren, bezichtigte ihn des Mordes am jüngsten Sohn des Zaren und rechtmäßigen Nachfolger des Throns, Dmitrij. Obwohl dieser im Alter von 9 Jahren unter ungeklärten Umständen verstorben war, hielt sich im Volk hartnäckig der Glaube, Dmitrij lebe noch. Die Gerüchte über das wundersame Überleben des Zarewitsch brachte viele Gauner dazu, hinterhältige Pläne zu schmieden. Sie gaben sich als Dmitrij aus, um den rechtmäßigen Titel des Zaren und den Thron an sich zu reißen. Niemand traute niemandem und keiner, der noch etwas auf sein Leben hielt, ging unbewaffnet aus dem Haus. Zwei düstere Gestalten huschten durch die schmutzigen Straßen, eingehüllt in unauffällige Mäntel, die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen. Einzig die Stiefel ließen darauf schließen, dass sie nicht aus ärmlichen Verhältnissen stammten. Ihr Ziel war das Herz Moskaus und somit der Palast des Zaren und unter keinen Umständen durfte ihnen jemand folgen. In einer dunklen, engen Gasse hielten sie abrupt inne. Aufmerksam schauten sie sich um, ob sie auch alleine waren. „Ruf Suzaku zu dir“, flüsterte Rei und zog einen Umschlag aus seinem Mantel, „sie muss diesen Brief zum zweiten Berater des Zaren bringen.“ Kai schaute in die Höhe, wo weit über ihnen der stolze Phönix seine Runden drehte und die Situation scharf im Auge behielt, um in Falle eines Übergriffs oder Verfolgern die beiden Wächter warnen zu können. Nun stieß sie mit einem kräftigen Flügelschlag kometenartig gen Boden, einen feinen Feuerschweif hinter sich herziehend. Erst kurz über ihren Köpfen breitete Suzaku die Flügel aus, um vor ihnen in der Luft abzubremsen und auf Kais geschützten Arm zu landen. Rei band ihr mit einer feinen Schnur den Brief um den Hals, fasste ihr dann kurz mit zwei Fingern an die Stirn. „Flieg nun!“ Kai hob den Arm in die Höhe, sodass Suzaku die Flügel wieder ausbreiten und sich funkensprühend in die Lüfte erheben konnte. Er schaute ihr nach, während Rei nochmals die kleine Gasse hoch und runter blickte um sicher zu gehen, dass sie niemand beobachtete. Kai war versucht ihn zu fragen, wie Suzaku diesen Berater denn finden solle, doch im Hinterkopf hörte er Reis Stimme, die leise widerhallte und davon sprach, dass Wächtertiere andere Wächter finden konnten und er vermutete, dass auch Reis Berührung an Suzakus Stirn etwas damit zu tun hatte. Doch er hatte keine Zeit darüber nachzudenken, denn Rei wollte nicht länger in der Gasse verharren. Sich im Schatten haltend, huschten sie weiter durch die dreckigen Straßen, während Suzaku den Kreml bereits erreicht hatte und im Sturzflug auf ein Fenster zuschoss, um auf dem Sims zu landen und mit dem Schnabel gegen das Glas zu klopfen. Der Mann, der hinter der Scheibe an einem Tisch saß, stirnrunzelnd eine Akte überflog, hob ruckartig den Kopf. Seine Augen blitzten eisig auf, als er sah, was da draußen auf dem Fenstersims saß. Er erhob sich rasch und öffnete die hohen Fensterflügel. „Soso, hat Rei also den Wächter des Feuers endlich gefunden und ihn auch noch mitgenommen. Wie dreist. Ich bin gespannt, zu was er fähig ist und kann nur hoffen, dass er sich nicht als Verlierer entpuppt.“ Suzaku kreischte beleidigt, raschelte mit den Flügeln und funkelte ihn mit roten Augen zornig an, doch der Berater hob nur beschwichtigend die Hand und winkte ab. „Lass gut sein. Zeig mir den Brief.“ Etwas unsanft zog er ihr den Brief vom Hals und riss den Umschlag auf. Während er die wenigen Worte las, zog sich seine linke Augenbraue in die Höhe und sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte er sich abrupt um und verließ das Zimmer, um mit schnellen Schritten den Innenhof zu überschreiten. Rei und Kai währenddessen schlugen sich durch dichtes Gestrüpp näher an die Mauer heran, die den Palast umgab und eine geheime Tür beherbergte, die sie mitten in den Hof hineinführen würde. Doch sie war aus Sicherheitsgründen abgeschlossen und nur der zweite Berater des Zaren besaß den Schlüssel. Denn nur er wusste davon. Die Tür quietschte laut und Rei und Kai sahen sich zwei eiskalten Augen gegenüber, die sie von oben herab betrachteten. „Du solltest endlich anständig Russisch lernen, Rei“, begrüßte er den Heiler mit ebenso kalter Stimme. „Es erfüllt mich ebenfalls mit Freude, dich wiederzusehen, Yuriy“, gab Rei trocken in brüchigem Russisch zurück und zeigte auf Kai, „das ist Kai, der Wächter des Feuers, wie du vielleicht schon bemerkt hast.“ „In der Tat“, sprach Yuriy in überheblichem Ton und musterte ihn von Kopf bis Fuss mit abschätzigem Blick. „Kai, das ist Yuriy, der Wächter des Eises.“ „Wie passend“, nahm er zur Kenntnis und schaute ihm direkt in die Augen, hielt dem eisigen Blick stand, der ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Feuer prallte auf Eis und Rei konnte die Spannung spüren, die die Luft zum Knistern brachte. Er räusperte sich und es dauerte noch einige Augenblicke, bis Yuriy den funkensprühenden Augenkontakt unterbrach. „Entschuldige Rei, lass uns hinein gehen, dann kannst du mir dein Anliegen vortragen. Folgt mir. Rasch.“ Er nahm keine Rücksicht auf die beiden Wächter, die sich versteckt halten mussten und schritt mit seinen langen Beinen mitten über den Hof. Yuriy war sehr stolz. Mit seinen jungen Jahren hatte er es bereits zum zweiten Berater des Zaren geschafft und er selbst war überzeugt davon, dass er bereits die Stelle des ersten Beraters angetreten hätte, wären die Umstände im Zarenreich nicht gerade so kompliziert und seiner Meinung nach überflüssig. Er ordnete sich nicht gerne unter. Ein Grund, weshalb er Mühe hatte, sich unter den Chinesen zu stellen und dessen Anweisungen anzunehmen. Er hielt sich für einen Führer und Herrscher. Seine Intelligenz und Fähigkeiten, Leute zu seinen Vorteilen zu manipulieren oder Strategien auszudenken, war einer der Gründe, weshalb er es bereits so weit geschafft hatte. Seine Macht als Wächter machte er sich in brenzligen Situationen gerne zu Nutzen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was das für Auswirkungen haben könnte. Doch nie, niemals würde er diese Macht ausnutzen. Rei wusste das und doch fiel es ihm schwer, sich mit dem eiskalten Russen anzufreunden oder ihm zu vertrauen. Gerade wollte Rei zu seinen Erklärungen ansetzen, weshalb er hier war, als es an der dunklen, hölzernen Tür klopfte. „Schnell, hinter den Schreibtisch und kein Laut“, flüsterte Yuriy harsch und deutete mit der Hand auf den massiven fast schwarzen Schreibtisch, hinter dem sie Schutz finden konnten. „Herein“, rief er dann gelangweilt und lehnte sich im rot gepolsterten Sessel weit nach hinten, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Hinein trat ein eher schmächtiger Knabe, der offensichtlich sehr von Yuriy eingeschüchtert war. Er klammerte sich am Saum seines Hemdes fest, als wäre es ein rettendes Seil. Er atmete heftig. „Was denn nun?“, fragte Yuriy ungeduldig. Der Junge zuckte zusammen und entschuldigte sich verbeugend. Rei warf Yuriy einen bösen Blick zu, der diesen jedoch geflissentlich ignorierte. „Herr Ivanov, ich soll Ihnen ausrichten, dass die Vorbereitungen für heute Abend verzögert wurden und“, sprach er leise und vermied es dabei, Yuriy in die Augen zu sehen, als er jedoch genau von diesem unterbrochen wurde. „Wie bitte? Was soll das bedeuten, verzögert?“, wütend erhob er sich von seinem Sessel, um die Hände auf die Tischplatte zu knallen und den Boten mit tief heruntergezogenen Augenbrauen eisig anzufunkeln. „Entschuldigen Sie, Herr“, brachte er halb erstickt hervor und verbeugte sich tief, „ich wurde über den Grund nicht unterrichtet. Ich sollte Sie lediglich bitten, in den Ballsaal zu kommen und“, doch auch da kam er nicht weiter, denn Yuriy winkte ab. „Ja ja, schon gut, ich komme gleich. Du kannst gehen.“ Der Junge verbeugte sich noch einmal zum Abschied und flüchtete dann aus dem Zimmer, noch einen kurzen ängstlichen Blick zurückwerfend. Yuriy seufzte genervt auf. „Alles muss man alleine machen, diese nichtsnutzigen Verlierer. Wartet hier“, warf er noch in den Raum, bevor er mit stolz erhobenen Hauptes aus der Türe schritt. Rei entspannte sich etwas, doch er blieb hinter dem Schreibtisch sitzen und löcherte den Holzboden mit seinen nachdenklichen Blicken. Er konnte nur warten. Warten, bis Yuriy wieder zurück war, um ihm die Perle geben und ihn schwören lassen zu können, mit ihm zu gehen, denn er wusste, wie stark der Russe war und er brauchte ihn an seiner Seite. Er brauchte alle, die er auftreiben konnte. Abneigung durfte keine Rolle spielen. Genauso wenig wie Zuneigung. Aus den Augenwinkeln musterte er Kai, der aufgestanden war und nun an der Wand lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen offenbar geschlossen. Eine Pose, die sich Kai in letzter Zeit verinnerlicht hatte, merkte Rei und atmete etwas lauter aus. „Was ist?“, fragte Kai und schaute ihn aus unergründlichen Augen an, doch Rei schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich dachte nur gerade an die Mission und den Kampf, der uns bevor steht und dass wir jeden Wächter brauchen, den wir haben können. Und“, antwortete Rei wahrheitsgemäß und schaute dabei auf seine Hände, brach dann aber ab. Eine kurze Weile sagte keiner der beiden etwas, Kai, weil er Rei sprechen lassen und nicht drängen wollte und Rei, weil er es Kai eigentlich lieber verschwiegen hätte. „Und was?“, hackte Kai schließlich doch nach, die Geduld etwas verlierend und Rei schaute auf, ihm direkt in die Augen und der Krieger konnte nicht sagen, welches der Gefühle in seinen verdunkelten Augen am stärksten leuchtete, ob es seine starke Willenskraft war, die Entschlossenheit, mit der er an seine Sache heranging, oder doch der Hoffnungsschimmer, einem Wunsch, einer Sehnsucht nachzugeben, doch seine Augen verengten sich und der Schimmer verschwand, an dessen Stelle stand nur noch Unnachgiebigkeit und Trotz. „Und dass die Ablehnung gegen einen Einzelnen nicht darüber richten darf, ob die Mission scheitert, genauso wenig wie Zuneigung.“ Der Blickkontakt riss nicht ab, auch nicht, als Kai langsam nickte. „Wie du meinst“, murmelte er und drehte sich um, schaute aus dem Fenster, hinunter in den Hof, der bis auf einen Mann, der eilig über den Platz schritt, menschenleer war. Von der Seite nahm er wahr, dass Rei sich von Boden erhob und sich neben ihn stellte, die Hände locker auf den Fenstersims gelegt. „Du bist nicht meiner Meinung“, seufzte Rei. „Nicht was die Zuneigung betrifft.“ Der Heiler schloss kurz die Augen, um kurz darauf Kai mit einem nachdenklichen Blick zu bedenken, welcher sich ihm zuwandte, mit dem Arm auf den Fenstersims abgestützt. Seine Gesichtszüge waren sehr ernst. „Rei, Zuneigung alleine entscheidet keinen Krieg. Weder mit Sieg noch mit Niederlage. Die Frage ist, was du daraus machst. Natürlich werde ich mir Sorgen machen und meine Gedanken werden neben dem Feind, den ich gerade bekämpfe, ausschließlich bei dir sein, aber ich hege ein großes Vertrauen zu dir und ich weiß, dass du stärker bist, als zu zeigst.“ Er hatte leise gesprochen und mit einem bitteren Unterton in der Stimme, der Rei einen Schauer den Rücken hinunterjagen ließ. Doch Rei wollte einfach nicht locker lassen. „Aber“, warf er ein. „Es würde nichts ändern, das weißt du. Meine Gedanken werden bei dir sein, genauso wie die deinen bei mir und wie wir zueinander stehen, wird unwichtig.“ Gegen Ende waren seine Züge härter geworden, seine Stimme fester und nachdrücklicher. Langsam schien er wirklich die Geduld mit dem sturen Kopf des Heilers zu verlieren. Seinen Vorsatz, Rei nicht mehr näher zu kommen, hatte er kurzerhand über Bord geworfen und so hob er eine Hand und legte sie auf Reis, doch ehe dieser reagieren konnte, hörten sie Schritte auf dem Gang und einen Augenblick später wurde die Türe schwungvoll von Yuriy aufgeschlagen. Es dauerte lange, bis Rei endlich mit Yuriy sprechen konnte. Zu beschäftigt war er damit, den geplanten Ball zu retten, der am Abend stattfinden sollte und zu dem hunderte wichtige Adelige geladen waren. Er hatte lediglich Rei und Kai passende Kleidung vorbeigebracht, damit sie sich unter das tanzende Volk mischen konnten. Besonders Rei nahm das Angebot mit Freuden an, wo Kai wenig begeistert brummend zustimmte. Doch auch er ließ sich zu einem Tänzchen herab und die aufgetakelten Frauen mit ihren bunten bauschigen Röcken fanden großen Gefallen an ihm, sei es an seiner grimmigen Art und der guten Statur oder der unmerklichen Unbeholfenheit beim Tanzen, denn er hatte große Mühe, sich davon schleichen zu können. Kurzerhand versteckte er sich hinter einem Vorhang und atmete tief aus, als er neben sich Stimmen hörte, von der er die eine besonders gut kannte. „Wenn sie anfängt zu leuchten, dann ist es soweit, dann musst du mit den andern ins Labyrinth von Raum und Zeit kommen, ich bitte dich darum. Wir brauchen dich und deine Kraft, Yuriy, und vor allem brauche ich deine Fähigkeiten als Stratege.“ Rei wusste, wie er den Russen zu bearbeiten hatte, denn dieser nickte und lächelte herablassend. „Na gut, wenn du mich so sehr brauchst, dann werde ich da sein. Aber nun entschuldige mich, ich habe den werten Damen noch einen Tanz versprochen.“ Dann war er verschwunden und Rei lehnte sich seufzend an die Wand. „Vor allem werden wir deine Hinterhältigkeit brauchen, Yuriy“, flüsterte er vor sich hin und erschrocken drehte er sich zur Seite, als Kai ihn am Arm packte und zu sich hinter den Vorhang zog. „Kai! Was zum Henker machst du hier?“, flüsterte er entsetzt. „Ich brauchte Ruhe vor den Weibern da draußen, die gehen mir gewaltig auf die Nüsse“, sagte er schulterzuckend und Rei konnte nicht anders, als zu lachen, was Kai ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Er liebte es einfach, den Heiler lachen zu sehen, so überschwänglich und sorgenlos und es ließ sein Herz hüpfen. „Verzeih“, hauchte er, bevor er Reis Arm packte um ihn zu sich zu ziehen und seine Lippen an die Reis legte. Natürlich hatte Rei über Kais Worte nachgedacht und doch versuchte er instinktiv, sich von ihm zu lösen. Etwas in ihm sträubte sich dagegen, schrie, dass es falsch war, dass er an die Mission denken musste, dass es egoistisch von ihm wäre, sich einfach so fallen zu lassen und er legte seine Hände auf Kais Schultern, um ihn wegzudrücken, doch er ließ ihn nicht. „Wieso willst du dich dagegen wehren?“, flüsterte Kai gegen Reis Lippen und der feine Luftzug ließ ihn erschaudern. „Ich weiß nicht“, antwortete Rei wahrheitsgemäß und schloss die Augen, schüttelte kaum sichtlich den Kopf. In ihm tobte ein Sturm, der heftiger war, als er ihn jemals zuvor gespürt hatte. Er hatte Angst, dass er die Mission vernachlässigen würde und doch wollte er es doch so sehr, wollte diese grob-weichen Lippen auf den seinen fühlen. Eine große Hand legte sich an seine Wange und er spürte die Hornhaut, aber nicht unangenehm, auf seinem Wangenknochen kratzen, als er sich dagegen schmiegte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)