Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 20: Das Herz des Windes ------------------------------- um 1000 Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ das frische Gras grün leuchten und die in Blüte stehenden Kirschblütenbäume schimmerten ihr zartes Rosa. Nichts als melodisches Vogelgezwitscher und leichte Schritte auf hellem Kies waren zu hören. Keine Worte durchdrangen die harmonische Stille und nur das feine Rauschen des Windes bewegte die ruhige Szenerie, wirbelte durch die Kirschbäume und trug deren Blütenblätter hoch in den Frühlingshimmel. Ein süßlicher Geruch stieg Rei in die Nase und mit einem sanften Lächeln sog er die frische Luft tief in die Lungen. Ein Seufzer entrann seiner Kehle, als er die Augen kurz schloss, einzig um den Moment in seinem vollendeten Sein zu genießen. Kai schlenderte mit lockeren Schritten neben ihm her, seine Gesichtszüge waren entspannt und er fühlte sich ausgeruht und nahezu glücklich. Es war nicht die Zeit zur Hast und niemand durfte solch eine Harmonie durch Eile stören, auch nicht zwei Reisende, die der Muße nicht nachgeben dürften. Ein kleiner Bach zerschnitt den geschlängelten Kiesweg, der jedoch seinen Weg unbeirrt über eine gewölbte Brücke weiterführte, dem Schicksal trotzend. „Wie überaus kitschig“, merkte Kai leise grinsend an und zog spottend einen Mundwinkel nach oben. „Ja“, seufzte Rei und verzog den Mund ebenfalls zu einem süffisanten Lächeln, „so wie die Japaner es lieben.“ Ihre Blicke trafen sich nicht, beide blickten nach vorne, versunken in ihren Tagträumen von letzter Nacht. Die Küsse, die sie austauschten, hatten so vieles verändert. Und doch war Rei nicht bereit, sich ihm hinzugeben, nicht solange ihre Mission so unmittelbar bevor stand und sie all ihre Kräfte brauchen würden. Er glaubte nicht, dass es sie stärker machen würde, wenn sie ihre Gefühle zuließen. Kai wusste das und er hatte ihm versprochen, ihn zu nichts zu drängen und Rei war ihm sehr dankbar dafür. Die Allee auf der sie Schritten, löste sich in einem Park auf und gewährte ihnen die Sicht auf einen großen, gepflegten, bunten Garten, angeordneten Steinen und einen kleinen Wasserfall, offensichtlich künstlich angelegt. Mitten auf dem grünen Rasen stand ein Junger Mann in weißem Kimono und zusammengebundenen schwarzen Haaren in einer Pose der traditionellen japanischen Schwertkampfkunst, das Schwert schimmerte bläulich und scharf. Lautlos glitt er in eine andere Position, seine Bewegungen, sein Atem, sein Herzschlag dem Pulsieren der Erde unter seinen nackten Füßen angepasst. Erst als sie in einige wenige Schritte Abstand vor ihm hielten, brachte er seine Glieder in aufrechten Stand, das Schwert unter den Ellbogen geklemmt, den Kopf gen Boden geneigt, die Hände zusammengefaltet. Er verneigte sich, wie es der japanische Brauch verlangte. „Was für eine überaus große Freude, dich wiederzusehen, Rei“, sprach er in jugendlich brüchiger Stimme, blickte auf und schaute ihn strahlend an, „ach, komm her, lass dich in die Arme schließen!“, und ohne weitere Vorwarnung schlang er die Arme um Rei und drückte ihn an sich, sein Lachen hallte über den Garten und ließ einen kleinen Vogel, der bis soeben sein fröhliches Lied sang, auf seinem Ast erschrocken verstummen. „Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, kleiner Takao“, lachte Rei, worauf er sich einen Stoß in die Rippen einfing. „Ich bin nicht klein“, giftete der Japaner zurück, seine Aufmerksamkeit allerdings galt bereits Kai, der etwas hinter Rei stand, „wer ist denn das?“, fragte er neugierig. „Kai Hiwatari“, antwortete der Krieger kurz angebunden. „Du bist Schwertkämpfer?“, stellte Takao mit einem Blick auf Kais Langschwert fest, worauf dieser nickte. „Ich fordere dich zu einem Kampf heraus!“ Der kleine Japaner hatte sich vor Kai aufgebaut und starrte ihm mit übermütiger Angriffslust in die Augen. Kai zog eine Augenbraue in die Höhe und Rei stöhnte auf, musste dann aber lachen. „Man soll nicht mit dem Feuer spielen“, versuchte Kai Takao mit kalter Stimme zur Vernunft zu bringen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Wächter des Feuers? Ich werde dich besiegen!“, war sich dieser jedoch sicher und lachte frech. Kais Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen. „Ich nehme deine Herausforderung an“, knurrte er und reckte sein Kinn. „Takao, lass gut sein, dies ist ein wirklich ungünstiger Zeitpunkt.“ Rei mochte es gar nicht, wenn Takao seine Fähigkeiten so zur Schau stellen musste, doch auch Kai schien einem kleinen Machtaustausch nicht abgeneigt, hatte er doch lange keinen anderen Gegner mehr gehabt als Rei und dieser kämpfte nun mal nicht mit dem Schwert. „Ein kleiner Kampf kann nicht schaden, Rei“, wies er ihn zurück. Takao nickte eifrig und stellte sich grinsend in Angriffsposition. „Es wird nicht lange dauern, versprochen“, versuchte er Rei noch zu besänftigen, seines Sieges bereits sicher, doch dieser verdrehte lediglich die Augen. „Na schön, dann tut, was ihr nicht lassen könnt.“ Er entfernte sich einige Schritte, während Kai so stehen blieb, wie er war und darauf wartete, dass der Japaner angriff. Er war sich sicher, dass der Jungsporn ohne groß zu überlegen angreifen würde und wartete, die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt, bereit zu ziehen. Takao griff an. Er war schnell und wilde Entschlossenheit funkelte in seinen Augen, als er das Schwert hob, um es direkt auf Kai niedersausen zu lassen. Doch dieser hatte von Rei einige Tricks gelernt, dass man zum Sieg nicht unbedingt eine Waffe brauchte, und nur mit einem kleinen Schritt wich er Schwert und Mann aus. Takao, überrascht, dass Kai nicht abblockte, krachte zu Boden. Mit großen Augen schaute er auf und bemerkte die Schwertspitze, die kurz vor seiner Nase in der Luft schwebte. „Ich sagte doch, dass du nicht mit dem Feuer spielen sollst“, sagte er ruhig und steckte das Schwert zurück in die Scheide. Takao rappelte sich auf. „Ich will eine Revanche!“, rief er entrüstet, doch Kai schritt zu Rei zurück, den zappelnden Japaner ignorierend. Der Heiler lächelte ihn süffisant an. „Ich bin stolz auf dich, du scheinst viel gelernt zu haben.“ „Vom Besten“, antwortete Kai und grinste sein schräges Grinsen. Takao hatte sich zu ihnen gesellt und schmollte. „Na schön, ich werde dich bei Gelegenheit erneut herausfordern und dann werde ich dich besiegen! Ich habe dich halt etwas unterschätzt, wird nicht wieder vorkommen, verlass dich drauf!“, versprach er großspurig und in seinen Augen funkelte sein steinharter Wille, „aber nun lasst uns hinein gehen, Großvater wird sich freuen, dich zu sehen, Rei.“ Großvater freute sich tatsächlich so sehr, dass er aus dem Redeschwall fast nicht mehr hinauskam. Er servierte Tee und Essen, da er der Meinung war, dass Rei dünner aussah als das Letzte mal, als er ihn gesehen hatte, was allerdings schon sehr lange her war und Großvater bekanntlich gerne etwas mehr an den Rippen junger Männer sah, sein Neffe war Beweis genug. Also schlugen sie sich die Bäuche voll, bis Großvater auf ein Thema zu sprechen kam, das Rei weit mehr interessierte als die Gespräche zuvor um ihren Alltag. „Takao hat sehr gute Fortschritte gemacht in seiner neuen Technik, ich hätte es selber nicht gedacht, aber er ist richtig gut geworden. Nicht wahr, Junge?“ Freudig klopfte er ihm auf die Schulter. Takao grinste. Rei schaute interessiert zwischen den beiden hin und her. „Dürfte ich das mal sehen?“, fragte er schließlich neugierig. Großvater nickte begeistert und Takaos Grinsen wurde noch breiter. „Natürlich, los, ihr jungen Recken, gehen wir in den Dojo.“ Im großen Raum stellte sich Takao in die Mitte und Rei, Kai und der Großvater lehnten sich an die Wand. Keine Sekunde ließen sie ihn aus den Augen, während er sein Schwert aus der Scheide zog, die Augen schloss und tief durchatmete. Sekundenlang standen alle ganz still, wagten kaum zu atmen, als sich Takaos Haare begannen zu bewegen, wie durch einen Luftzug. Gebannt beobachteten sie jede kleinste Bewegung, jede Haarsträhne, jedes Zucken der Sehne am Hals, spürten selbst, wie der Wind ihre Wangen streichelte. Spürten, wie er immer stärker wurde, sich um den jungen Japaner schlängelte, sich langsam zu einem Sturm aufbaute. Rei musste schlucken, als er die Kraft wahrnahm, die von Takao ausging. Als dieser langsam das Schwert hob, wurde der Sturm stärker und da tauchte etwas im Wind auf, wie blaue Fäden, die silbern schimmerten und als Takao mit einem lauten Angriffsschrei einen großen Ausfallschritt nach Vorne machte, die Klinge nach unten sausen ließ, brach ein Drachen aus dem Nichts hervor, schnitt die Luft um sie herum entzwei, hinterließ tiefe Kerben im Holz, das den Raum kleidete. Rei fühlte einen Schnitt an der Hand, die er instinktiv vor die Augen gehoben hatte. Kai war zu gebannt von dem Schauspiel, das sich ihnen bot. Ein blutige Linie zierte seine Wange, einige Haare fielen zu Boden, sein linkes Ohr brannte, als sich eine tiefe Kerbe in die Muschel schnitt. Es war schneller vorbei, als Rei oder Kai denken konnten. Perplex starrten sie den Jungen an, der bereits wieder breit grinsend zu ihnen hinüberschritt, sein Drache schlängelte sich um seine Schultern. „Takao, du warst großartig!“, strahlte Rei ihn an, „du hast wirklich sehr große Fortschritte gemacht, das war unglaublich.“ Kai hielt sich im Hintergrund. Was er da gesehen hatte, war in der Tat unglaublich. Plötzlich musste er sich eingestehen, dass er gegen Takao keinen Hauch einer Chance gehabt hätte, hätte dieser bei ihrem kurzen Kräftemessen vorhin diese Attacke angewandt. Soweit war er noch nicht. Es war etwas später am Nachmittag, als sie sich von Großvater verabschiedeten. Takao begleitete sie noch ein Stück, unterhielt sich aufgeregt mit Rei über seine Fähigkeit, seine Waffe mit seinem Wächtertier zu verbinden, um eine effektive Attacke ausführen zu können. Er hatte soweit trainiert, dass er diesen Zustand bereits mehrere Minuten aufrecht erhalten konnte. „Nun ja, es ist halt ziemlich kräfteraubend, aber ich krieg das noch länger hin, ich muss nur noch mehr üben!“ Rei grinste matt, als er ihm auf die Schultern klopfte. „Mach dir nicht zu viel Gedanken darüber, Kleiner, du bist jetzt schon weiter als wir alle zusammen. Sieh, die ist für dich“, Rei zog eine kleine weiße Perle aus einem kleinen Säckchen und legte sie auf Takaos ausgestreckte Hand, „wenn sie leuchtet, musst du in das Labyrinth von Raum und Zeit kommen, dann beginnt unsere Mission. In der Zwischenzeit musst du aber noch die andern holen. Du weißt, wo du sie finden kannst. Gib auch ihnen jeweils eine Perle, damit sie den Zeitpunkt nicht verpassen. Wir brauchen alle, die wir auftreiben können.“ Takao nickte, sein Blick war ernst und seine Finger fest um das kleine Säckchen geschlossen. Rei wusste, auch wenn der Japaner nicht danach aussah, wenn es um seine Freunde ging, war er zuverlässiger als bei allem anderen in seinem Leben. „Geh nach Hause, Takao, genieße die Zeit mit deinem Großvater und deinen Freunden, solange du noch kannst. Wer weiß, was uns danach erwartet.“ Takao sah ihn skeptisch an, verstand er die letzten Worte seines Freundes nicht, doch er nickte, lächelte sie beide an und verabschiedete sich winkend. Kai starrte vor sich zu Boden. Er hatte einen Entschluss gefasst. „Ich möchte das erlernen.“ Rei seufzte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte er ihn an. „Das ist sehr schwer, Kai.“ „Ich scheue keine Herausforderung“, sagte Kai ernst. „Ich weiß, aber“, Rei brach ab. „Du glaubst nicht, dass ich das schaffe?“ Kai schien etwas verärgert, bliebt stehen uns starrte den Chinesen aus funkelnden Augen an. „Das ist es nicht. Komm, setzen wir uns hin. Dort unter dem Baum. Ich will es dir in Ruhe erklären.“ Einige Schritte entfernt von ihnen stand ein großer, verknorrter Kirschblütenbaum. Stumm setzten sie sich, lehnten sich an den Stamm. Reis Blick schweifte ab in die weite Ferne des blauen Himmels. Wenige weiße Wolken zogen vor sich hin. Mehrmals atmete er ein und wieder aus, überlegte lange, bevor er zu sprechen anfing. „Sein Wächtertier mit seiner Waffe zu verbinden ist viel schwieriger, als einfach nur das Element zu beherrschten.“ „Dem bin ich mir durchaus bewusst.“ Doch Rei schüttelte den Kopf. „Nein, du verstehst nicht. Ich kenne niemanden, der das beherrscht.“ „Was ist mit dir? Als du mein Schwert zerbrachst, war das nicht genau so?“, unterbrach ihn Kai. Rei lächelte schief. „Nein, ich beherrsche das nicht. Genug, um etwas Schaden anzurichten, aber nicht im selben Ausmaß wie Takao. Weder ich noch du, noch die anderen Wächter sind dazu im Stande.“ Kai legte die Stirn in tiefe Falten. „Was macht dich da so sicher?“, stellte er die berechtigte Frage. „Vertrauen, Kai. Tiefes, bedingungsloses Vertrauen. Das ist der Schlüssel und Takao ist der einzige, den ich kenne, der ein solches Urvertrauen in alles und jeden hegt. Das Band zwischen ihm und Seiryuu ist so stark wie kein anderes zwischen Wächter und Wächtertier. So wie ich dich kenne, vertraust du nichts und niemandem, was nach deinen Erlebnissen im Krieg nicht verwunderlich ist. Ich bezweifle, dass du selbst deinen eigenen Reihen trautest. Boris verließ sein Zuhause, aus Misstrauen in andere Menschen. Makkusus wurde vermutlich von seiner Mutter ausgesetzt, als er noch ein Baby war, er war nicht in der Lage, ein Urvertrauen überhaupt aufzubauen. Yuriy traut nur sich selbst, doch nur, weil er selbst niemandem einen Grund gibt, ihm Vertrauen zu schenken. Und wie kann einer, der sich selbst verlor, ein solches Vertrauen aufbauen? Nein, Kai, an Takaos Fähigkeiten kommen wir nicht ran. Er ist einzigartig. Von uns Wächtern ist er der einzige, der dazu imstande ist. Auch wenn er seine Eltern nicht oft sieht. Im Geiste sind sie immer bei ihm und das merkt er und gibt ihm Kraft.“ Rei verstummte und Kai blickte zu Boden. Was Rei da sagte, stimmte. Er hatte noch nie jemandem vertraut. Niemandem, außer Rei. Und selbst ihm vertraute er nicht bedingungslos. Es war etwas, was er nicht steuern konnte. Auch wenn er gerne würde, das Misstrauen in ihm hatte lange genug Zeit gehabt, alles Vertrauen zu eliminieren. Bis jetzt hatte es ihn immer geschützt. Es hatte ihn stark gemacht. Diesen Schutzschild wollte er nicht verlieren. „Was tun wir jetzt?“, fragte Kai, blickte Rei an. Etwas hatte sich zwischen sie gestellt. Er fühlte sich seltsam weit entfernt von ihm. Und er konnte dem Drang, ihn zu berühren nicht nachgeben. Die unsichtbare Wand zwischen ihnen hinderte ihn daran. Die Zähne zusammenbeißend, folgte er Reis Blick. Die kleine Wolke zog langsam weiter, unbeeindruckt. „Jetzt warten wir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)