Sein Meister von Vanillaspirit (Winterwichteln 2012/2013) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Missmutig stocherte Soul in seinem Frühstück herum, schob das Spiegelei über den Teller und vermied jeglichen Blick auf das andere Tischende. Er ahnte, dass Maka ihn beobachte, entweder fragend oder genervt von dem mangelnden Respekt gegenüber ihrer Kochkunst. Letztendlich schob er den Teller beiseite. Er wusste mittlerweile ziemlich genau, wie es schmeckte, so genau, dass er bereits voraussehen konnte, an welche Stelle sich jedes einzelne, verfluchte Atom davon in seinem Körper festsetzen würde. Das Ei war am linken Rand leicht verbrannt und am rechten noch etwas zu glibberig. Für die Suppe hatte sie etwas zu wenig Misopaste genommen und den Reis so früh in die Schale gefüllt, dass die obere Schicht bereits drei Grad zu kalt war. Es war nun wirklich nicht nötig alles noch einmal zu essen, nur um auf die gleichen Ergebnisse zu kommen. Laut schabten die Stuhlbeine über den Boden, als er sich vom Tisch erhob. Sein Blick fiel auf ihre rechte Hand, die verkrampft die Essstäbchen umklammerte und in seinem Kopf spielten sich die Optionen durch. Noch ein falsches Wort, eine unbedachte Geste und die Stäbchen würden zerbrechen. Er kannte das Bild kleinster, lackierter Splitter auf dem Küchentisch bereits, genauso wie er die Wuttränen in ihren Augen kannte. Sogar wie seine eigenen Hände das Frühstück an die Wand warfen und Eigelb langsam die Tapete herunterfloss. Er kannte auch ihr zufriedenes Gesicht, wenn er alles aufaß und sie lobte. Nichts davon hatte jemals etwas ändern können, also konnte er auch genau so gut Schadenbegrenzung versuchen. "Danke, aber irgendwie fehlt mir heute der rechte Appetit." Er bemerkte Makas besorgten Blick in seinem Rücken, sogar, als er seine Zimmertür längst geschlossen hatte. Wenn man Zeit genug hatte, sprangen einen Unwichtigkeiten an, wie tollwütige Eichhörnchen und man bekam diese nicht mehr aus seinem Kopf. Soul versuchte seine Blicke nicht zu sehr durch den Klassenraum schweifen zu lassen. Irgendwo stieß er doch wieder auf eine Nichtigkeit, die ihn geradezu anschrie. Er hatte Zeit genug gehabt sie alle kennen zu lernen, diese Winzigkeiten, die für jeden anderen zu banal waren auch nur einen Fünkchen Lebenszeit damit zu vergeuden. So war beispielsweise die Tafeloberfläche ungleichmäßig. In der linken, oberen Ecke, knapp unter dem Holzrahmen gab es eine kleine Delle, die durch die schwarze Farbe kaum auffiel, aber wenn man genau hinsah, konnte man den Schatten sehen, dort, wo die Vertiefung eine Lücke mit der Fassung bildete. Immerhin war dies besser als die anderen Entdeckungen. Kim hatte ein winziges Muttermal an ihrem Hals und ein weiteres hinter dem Ohr. Sie hatte ihn Stalker genannt, als er es angestarrt hatte und über alle Maßen überreagiert. So beobachtenswert war sie nun wirklich nicht, aber als Soul jede einzelne Holzmaserung der Tische, jeden Farbriss in der Wand und jeden Schatten im Raum bereits genauestens studiert und in seinem Geist katalogisiert hatte, war er dazu übergegangen seine Mitschüler zu beobachten. Ox hatte die Nacht schlecht geschlafen. Unter seinen Augen zeichneten sich tiefdunkle Ringe ab, seine Haut war blass und er konnte kaum das Gähnen hinter seinem Buch verbergen. Soul begann in Gedanken zu zählen. Gleich würde Kim an dem Jungen mit der außergewöhnlichen Frisur vorbeigehen, wie zufällig ihre Haare hinter ein Ohr streichen, obwohl diese viel zu kurz waren, und dabei ihr Muttermal freilegen. Ihre Blicke würden sich kreuzen, flüchtig, weil das Mädchen in gespielter Arroganz sofort alles andere interessanter finden würde und Ox würde seufzen, sich in sein Buch vergraben und es am Ende des Unterrichts dann doch im Raum vergessen. Soul schloss seine Augen. Er hatte diese Szene bereits so oft gesehen, dass er wusste, wie jede einzelne Kleiderfalte, jedes winzige Haare und jedes noch so unbedeutende Detail dabei aussehen würde. Gelangweilt von der Situation breitete er sich noch etwas mehr auf dem Tisch aus und ignorierte das Getuschel, einige Plätze weiter, das sein sonderbar asoziales Verhalten heute morgen zum Thema hatte. Reflexartig hob Soul seinen Unterarm über den Kopf. Stumpfer Schmerz pochte kurz in der Elle auf, aber immer noch besser als die ersten Male, als sein Kopf getroffen wurde. Müde drehte er seinen Kopf, nur um einem breiten Grinsen zu begegnen. "Oi, schlafen kannst du auch zu Hause", erklärte Black Star, während er breitbeinig auf dem Tisch hinter ihm stand und die Hände in die Hüften stemmte. "Lass mich in Ruhe!" Selbst missmutige Worte konnten das Selbstbewusstsein des Assassinen nicht erschüttern. "Jetzt sei nicht so eine trübe Tasse", forderte er Soul gut gelaunt auf. Dieser versuchte aufzuzählen, wie oft er danach mit Black Star versuchte ein Gespräch über die Situation zu führen, wie er oft er ihn bat das zu tun, wofür er selber scheinbar nicht in der Lage war, doch immer wieder scheiterte es. Black Star war zu unberechenbar und waghalsig und Maka sah sich selber als zu reif, um auf ihn auch nur ansatzweise zu hören. Beide waren zu stur, um so etwas wie Rückzug auch nur in Erwähnung zu ziehen. Soul blinzelte. Er war so in seine Erinnerungen versunken gewesen, dass er erst jetzt bemerkte, wie der andere Junge ihn interessiert beobachtete. In die Hocke gegangen, legte Black Star seinen Kopf schief und machte den Eindruck eines Fünfjährigen der hochgradig von dem Geschehenen eingenommen eine Ameisenstraße beobachtete, bevor er die Lupe zückte und Feuergott spielte. Soul wich vor dem ausgestreckten Finger aus. Er wusste bereits, der dieser dazu gedacht war die Konsistenz seines rechten Augapfels zu prüfen, was verdammt unangenehm gewesen war und auch immer wieder sein würde. "Hast du was?", fragte der Junge fast schon besorgt. "Schlecht geschlafen? Was falsches gegessen?" "Es ist nichts." Soul presste die Worte genervt zwischen geschlossenen Zähnen hindurch. Durchaus eine neue Reaktion, die er zuvor noch nicht versucht hatte. Er erntete einen weiteren interessierten Blick und konnte beobachten, wie Black Star zu denken versuchte. Mit nachdenklichen Brummlauten drehte er seinen Kopf, blickte zu Maka, die verärgert zurückstarrte, dann wieder zu Soul. Es folgte ein lautes "Aha!" zusammen mit einer geballten Faust die triumphierend in der anderen Handfläche landete. "Maka hat deine besonderen Magazine gefunden." Soul versuchte die nächsten Minuten nicht abzuspeichern, vermerkte sich jedoch innerlich es beim nächsten Mal nicht in diese Szenerie auslaufen zu lassen. Makas eisiger Blick durchschnitt die Luft und er spürte, wie sich etwas in seinen Eingeweiden zusammen zog. Ihr zu erklären, dass es solche Magazine höchstens in Black Stars Fantasie gab, weil er irgendwann, irgendwo mal gehört hatte, so etwas würde zu einem Teenager dazugehören, ganz egal, wie viel er damit anfangen konnte, war wohl vergebens. Flüchtig registrierte er im Augenwinkel Makas knallrotes Gesicht, sogar die Ohren leuchteten purpurn und ihre Zahnreihen fletschten gefährlich übereinander. Soul hatte Schwierigkeiten Maka durch die Schulflure zu folgen. So steif ihre Bewegungen vor Wut auch waren, so schnell war sie dadurch. Kurz flackerte der Gedanke durch sein Hirn, sie einfach niederzustrecken und danach Black Star zu erschlagen, aber er wusste bereits, dass dies keine Option war. Er konnte sie nicht ausschalten, nicht ohne größeren Schaden an ihr anzurichten, was außer Frage stand und mit Minimaleinsatz würde er ihre Wut nur noch weiter vergrößern. Das andere Problem war die momentan vorherrschende Disharmonie. Tsubaki war nicht schnell genug gewesen Black Star vom Tisch zu ziehen und ihm den Mund zuzuhalten. Je mehr dieser Idiot davon reden konnte, dass Männer Magazine mit echten Frauen und echt viel Oberweite brauchen, desto flammender wurde der Zorn in Makas Gesicht. Unter normalen Umständen hätte er Maka schmollen lassen, bis sie sich wieder eingekriegt hatte. Es war ohnehin zwecklos gegen ihre Sturheit anzukämpfen, aber dieses Mal lief ihm die Zeit davon. "Maka! Verdammt, bleib stehen!" Wie zu erwarten ignorierte sie ihn. In ihrer Wut war sie gnadenlos und fühlte sich mehr als wohl in ihrer Opferrolle. Vielleicht sollte er sie einfach einsperren und dieses Mal in Ketten legen, damit sie garantiert nicht ausbrechen konnte. Zornflammender Ehrgeiz ließ ihn schneller laufen und umgestoßene Mitschüler ignorieren. Mit ausgestreckter Hand bekam er Maka schließlich doch zu fassen und zog sie an ihrem Ellenbogen zurück. Ihr entwich ein protestierender und erschreckter Laut, als sie zurückstolperte. Nach Luft schnappend richtete Soul sich zu voller Größe auf, das Mädchen immer noch festhaltend. "Weißt du wie uncool das ist?", tadelte er mit zusammengekniffenen Brauen. "Fangen ist was für Grundschüler." Verwirrung huschte über Makas Gesicht, bevor sich wieder eine wütende Fassade darüber legte. "Was?" Energisch schüttelte sie seine Hand ab. "Was redest du da für Blödsinn?" Für einen kurzen Moment hatte er selber vergessen, worauf er hinaus wollte. Unsicher wandte er den Blick von ihrem Gesicht ab und beobachtete ihren Körper. Sie wirkte angespannt, aber das tat sie eigentlich immer. Ihr kurvenloser, unweiblicher Körper mit den viel zu langen Beinen. Viel zu drahtig für ein Mädchen ihren Alters und immer angespannt wie eine Bogensehne vor dem Pfeilschuss. Ihre Hände in die Hüften gestemmt, beugte sie sich vor. Sumpfgrüne Augen, die immer fokussiert und verärgert wirkten. Diese dürre Hülle, angefüllt mit Ehrgeiz, Wut und Unmengen an Unsicherheit. Er streckte die Hand nach ihr aus und umfasste ihr Handgelenk. Körperwärme strömte durch den Stoff ihres Handschuhs. Sein Griff verstärkte sich. "Lass uns ausgehen!" Sein Augen ließen von ihrem Körper ab und wandten sich wieder ihrem Gesicht zu. Wieder sah er dieses Wechselspiel aus Verwirrung und Zorn. Seine Finger schlangen sich fester um ihr Gelenk, als er sie zerren spüren konnte. "Wovon redest du da?" Er hatte nicht erwartet, dass sie sich noch weiter verkrampfen konnte. "Lass uns die Schule schwänzen und ausgehen!", wiederholte er und spürte den bitteren Geschmack seines eigenen Flehens auf der Zunge. Er fühlte sich erbärmlich. Maka versuchte erneut ihren Arm zu befreien, stieß sich dieses Mal sogar mit der anderen Hand von ihm ab. "Spinnst du? Was ist heute los mit dir?" Soul unterdrückte ein Lachen. Mit freudlosem Lächeln schaute er zu, wie das Mädchen sich unter seinem Griff wand. Als er sie losließ, stolperte sie und landete unsanft auf ihrem Hintern. Entsetzt starrte sie ihn an. Ihre Frage war berechtigt gewesen, aber was sollte er ihr antworten? Dieser Tag war verkorkst und die falschen Entscheidungen längst getroffen. "Black Star hat nur einen Haufen Müll geredet", versuchte er sich in Deeskalation. Kurz zuckte es durch seinen Körper, letztendlich hielt er sich dann doch zurück seiner Partnerin aufzuhelfen. Sie noch einmal ungefragt zu berühren war mit Sicherheit das Letzte was sie jetzt wollte. "Das weiß ich", erklärte sie, während sie sich möglichen Staub abklopfte. "Ich war schon oft in deinem Zimmer, da wäre mir das wohl aufgefallen." Fast beiläufig richtete sie ihre Zöpfe. "Das ändert aber nichts an deinem Gesamtverhalten heute. Du bist unausstehlich und abweisend." "Lass uns ausgehen!" Maka hielt in ihrer Bewegung inne. Langsam sanken ihre Hände von ihrem zweiten Zopf herunter und ihr forschender Blick huschte über sein Gesicht. Er wirkte als stünde er kurz vor dem Platzen und nirgends entdeckte sie Anzeichen eines dummen Scherzes. Tiefste Entschlossenheit glimmte in seinen Augen. "Das schon wieder?" Ihre Worte unterstrichen ihren Unwillen in diesen idiotischen Plan einzustimmen. "Wir haben Unterricht", stellte sie fest, "das ist wichtiger." Ein spöttischer Laut zischte durch seine zusammengebissenen Zähne. Herausgefordert durch ihr Auftreten übernahm sein rebellisches Wesen wieder die Kontrolle. Bis auf wenige Zentimeter näherte er sich ihrem Gesicht, eine Braue höhnisch angehoben. "Sei doch nicht immer so eine verbissene Streberin." Sie blinzelte, ballte ihre Hände zu Fäusten und schlug zu. Grinsend wich er aus, indem er seinen Oberkörper zurückbeugte. Überraschung zeichnete sich in ihrem Blick ab, als ihre Faust ins Leere schlug. "Ich möchte nur, dass du heute nicht von meiner Seite weichst." Der Ernst in seinen Worten ließ sie fast taumeln. Unfähig die Situation zu begreifen, starrte sie ihn einfach nur fragend an. "Was ist los mit dir?" Sein Blick wich ihr aus. Um Worte ringend, rieb er sich den Nacken. Maka konnte seine Scham und seinen Unwillen fast greifen. Er war nicht bereit ihr zu antworten. Es lag nicht in seiner Natur um Hilfe zu bitten oder Dinge zu erklären, die ihn selber in ein schwaches Licht rücken konnten. Er war so verdammt stur. Soul trat einen Schritt zurück. Er kannte diese Situation bereits und er wusste, dass es von hier keinen anderen Weg geben würde. Er konnte alles tun, er hatte bereits alles getan; sie eingesperrt, sie angebrüllt, gefleht, gebettelt, gedroht, seine Liebe gestanden, zum Teufel, er hatte sie sogar niedergeschlagen. Frustriert strich er sich durch die Haare, suchte nach irgendetwas neuem, was er sagen oder tun sollte. Er verstand nicht, warum es immer in Streit enden musste. Warum waren sie überhaupt Partner geworden? Dieses Mädchen war so unglaublich verbohrt und misstrauisch. Jeder Versuch sie zu überzeugen endete in Streit. Er wusste dies bereits und sah doch nur wieder hilflos mit zu, wie das Schicksalsrad sich zu drehen begann und unaufhörlich auf das unvermeidliche Ende zusteuerte. "Tust du es nicht, wird was Schlimmes geschehen." Es fühlte sich kratzig in seiner Kehle an, unangenehm viel zu groß für seinen Hals. Er würgte die Worte nahezu hervor, leise und viel zu tief. Maka schnaubte unwillig. Er musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie ihm nicht glaubte. Sie schreckte nicht zurück, als er sich ihr wieder näherte und seine Hände auf ihre Schultern fallen ließ. Er wirkte entschlossen, vor allem, ihr nichts näheres zu sagen. "Vertrau mir einfach!" Ihr Verstand wiegte die Ernsthaftigkeit seiner Worte mit den möglichen Konsequenzen ab. Es war ein ungewohnter und mehr als unangenehmer Umstand. Er verlangte so viel ohne etwas dafür zu geben. Sie vertraute ihm, aber nicht auf diese halbherzige Weise. Lächelnd legte sie ihre Hand auf seine, löste die Finger von ihrem Mantelstoff und schob sie herunter. "Es wird schon nichts passieren." Sie wiederholte es bei seiner anderen Hand, hielt diese jedoch fest und drückte sie leicht. "Solange wir zusammen sind, wird schon nichts passieren." Soul blieb ruhig. Bedauernd schaute er sie an und hielt ihre Hand noch etwas länger. Nur einen kleinen Moment länger ihre Nähe spüren. "Maka?" "MAKA!" Angewidert starrte Soul auf sein Spiegelei. Er spürte noch immer feucht-warme Klebrigkeit in seinem Gesicht und die Übelkeit vom süßlichen Geruch. Maka lächelte über den Tisch hinweg. Es wankte leicht, als sie ihre Suppenschale zum Mund führte und feststellen musste, dass sie zu wenig Miso benutzt hatte. Soul hielt seinen Arm über den Kopf. "Oi, schlafen kannst du auch zu Hause." Black Star war noch viel zu eingenommen von sich selber, um die Bewegungen kommen zu sehen. Soul ergriff seinen Arm, stemmte eine Hand in seinen Bauch und schleuderte ihn mit einem Wurf quer über den Tisch. Die Verwirrung war zu groß, um den Schmerz zu registrieren. Black Star lag auf seinem Rücken und starrte zu den Bänken hoch. Die Blicke seiner Klassenkameraden lagen auf ihm, die meisten entsetzt oder belustigt. "Nicht heute", erklärte Soul und Black Star konnte schwören, dass dessen Aura dunkel aufflammte. Umständlich rappelte der Assassine sich auf, zog seine Beine an und blieb im Schneidersitz auf dem Boden. Fluchend rieb er sich den Hinterkopf. Das würde garantiert eine gewaltige Beule geben, dabei hatte er nicht einmal etwas angestellt. Soul fluchte laut und zog sich missbilligende Blicke von Spirit Albarn zu. Der Junge würdigte ihn keines Blickes. Es war nicht so, dass er Probleme mit der Todessense hatte, aber der ältere Mann hatte ihm gegenüber nur zwei Formen des Umgangs. Die erträglichere war Makas Vater, der seine Tochter unversehrt um Punkt Neun Uhr wieder zu Hause wissen wollte. Die andere war Makas Versagervater, der einen gewissen Neid darauf hatte, dass seine Tochter einem frechen, ungehobeltem Jungen mehr vertraute, als ihrem eigenen Blut. Ihr Verhältnis war nicht das Schlechteste, was daran lag, dass Soul es tunlichst vermied sich mehr als nötig in die fragwürdige Beziehung von Spirit und Maka einzumischen, dennoch behagte es ihm nicht, dass ausgerechnet jener nun dafür zuständig sein sollte eine Strafe für 'Souls respektlosem und gewaltbereitem Auftreten gegenüber anderen Schülern' zu finden. Spirit seufzte und das Bedauern darin schien sich fast zu manifestieren, um mit dem Finger auf Soul zu zeigen und lauthals zu lachen. "Also", begann der Ältere, "möchtest du mir den Grund erzählen oder soll ich mir selber einen ausdenken?" Verbissen schwieg der Schüler und starrte betont ins Leere. Spirit war stark, ohne Frage und sehr wahrscheinlich auch jemand, der helfen, der mitkämpfen konnte, aber er war noch immer Spirit. "Hey! Ich rede mit dir." Er hatte es noch nie versucht, aber vielleicht war es einen Versuch wert. "Maka!" Mach dir keine Sorgen. Ich werde meine kleine Maka beschützen. Spirits aufmunternde Worte hallten noch in Souls Ohren nach. Sie klangen wie Hohn, während der größere Teil seines Bewusstseins erfüllt war von dem Bild sickernden Blutes und dem stechenden Geruchs verbrannter Haare. Irgendwo im Hintergrund hörte er Spirits Stimme - ein hilfloses Stammeln und Schluchzen. "Maka?", hörte er sich selber, als ob er erneut die Bestätigung seines Versagens benötigte. Sein Verstand gefror in dem ihn umgebenden Nebel aus Wahnsinn und Kampfgeräuschen. Ausdruckslos goss Soul die dünne Suppe über das Ei. Es machte ohnehin keinen Unterschied, was für Konsequenzen sich daraus ergaben. Flüssigkeit schwappte über den Tellerrand und überflutete den Tisch, als Maka wütend ihre Hände auf die Platte schlug. Sie schimpfte laut, aber ihre Worte verloren sich. Müde richtete Soul seinen Blick auf sie. Ihr Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzerrt. Er versuchte sich zu erinnern, wie ihr Lächeln aussah, aber bekam kein Bild zustande. Er wunderte sich, ob sie überhaupt lächeln konnte. Sie wirkte wütend. Sie wirkte eigentlich immer wütend. Genervt riss sie sich aus Souls Griff an ihrem Oberarm. "Reiß dich zusammen!", zischte sie ungehalten und streckte ihre Hand auffordernd nach ihm aus. Soul schluckte einen Kommentar herunter. Sein Blick huschte kurz von ihr weg zu diesem Ding, dieser Kreatur, die sich dem Wahnsinn für etwas mehr Macht hingegeben hatte und klebte sich schließlich auf Makas Hand. Er zögerte. Um ihn herum bemerkte er die Bewegungen der anderen. Entschlossen zu siegen griffen sie immer wieder an, während er und Maka nur dastanden. Ihre Hand streckte sich ihm ungeduldig weiter entgegen. Er wollte würgen. Kalter Reis, Misosuppe, Spiegelei - nacheinander stopfte er alles in sich hinein. Es schmeckte metallisch und roch süßlich. Ihre Hand griff nach seiner, während ihre Aufmerksamkeit vollends beim Gegner lag. Das Letzte was er hörte, waren seine Freunde, bevor er sich verwandelte. Flüchtig ließ er seinen Blick über ihr Profil streifen. Irgendwer schrie. Etwas durchschnitt die Luft, den Nebel und seinen Verstand. Blut und Fleisch spritzte. Er ignorierte ihren Blick, als er die Stäbchen in die Reisschale steckte. Alles sank zu Boden, viel langsamer als es eigentlich sein sollte: ihr Zopfgummi, Haare und ihr zerschlagener Körper. Er wagte nicht hinzusehen, nicht in ihr Gesicht zu sehen oder dem, was davon noch übrig war. Es tat weh. Sein Körper war kaum fähig Luft in seine Lungen zu lassen, alles war verkrampft und er spürte unsägliche Übelkeit. Der Drang zu schreien blieb ihm im Halse stecken und die Hitze seiner eigenen Tränen sammelte sich in seinen Augen. Verzweiflung, Selbsthass, Wut und Trauer vermischten sich, bis nur noch Dunkelheit in seinem Kopf blieb. Irgendwo, ganz entfernt in seinem Geist spürte er, wie ein Teil von ihm lachte. Er lachte über den aberwitzigen Gedanken, dass es irgendwann nicht mehr so schlimm sein würde. Kriechend kehrte sein Bewusstsein zurück, machte ihn darauf aufmerksam, dass Blut und lange blonde Haare an seinen Händen und der Kleidung klebte und er jetzt gefälligst aufschauen müsse. Die Scherben sammelten sich in seinem Kopf zusammen und erinnerten ihn daran, dass er diese wabbernde Transparenz bereits kannte. Eine Art Luftblase, die im Zeitfluss schwamm und Blick auf die vergangenen Ereignisse zuließ. Wie bei einem pawlowschen Reflex beruhigte sich seine Atmung schlagartig, als er Maka sehen konnte. Rückwärtslaufend, stoppend und wieder von vorn beginnend. Es war ein faszinierender Anblick sie mit sich selber zu sehen, einen Blick auf die Perspektive erhalten zu dürfen, die sonst anderen vorbehalten war. Es wirkte fast, als würde sie mit seinem Sensenselbst tanzen, so intim und nur ihnen beiden vorbehalten. "Wie ich sehe, hast du es wieder nicht geschafft." Schwerfällig ließ Soul von dem Zeitbild ab und drehte seinen Kopf zur Stimme. Ein Schatten, welcher den Eindruck machte, schon immer dagewesen zu sein. Auch jetzt konnte Soul keine Einzelheiten erkennen, lediglich tiefe Schwärze mit menschlichen Umrissen. Soul richtete sich auf. Auf keinen Fall wollte er Schwäche zeigen. "Wie oft war das jetzt?" Die Stimme war frei von Hohn, lediglich neugierig, forschend und auch nicht darauf aus zu tadeln, dennoch biss sich Soul auf die Unterlippe. "Warum zeigst du mir das immer wieder?" "Damit du es änderst." Soul wusste nicht, wie er reagieren sollte. Immer wieder die gleichen Fragen und stets die gleichen Antworten. Er hatte alles versucht und war jedesmal bereit erneut einen Pakt mit diesem, was auch immer es war, einzugehen. Nichts änderte sich, außer der Erkenntnis, dass der letzte Tag stets versaut war. "Willst du aufgeben?" Die Neugier war verschwunden und etwas wie Amüsement schwang in den Worten mit. Fahrig strich Soul sich durch die Haare. Er wusste keine Antwort die ihn selber zufriedenstellen würde. Vielleicht sollte er diesen Pakt noch einmal eingehen und dem letzten Tag eine Bedeutung zukommen lassen, anstatt verzweifelt um das Unabwendbare zu kämpfen.. "Ah", Soul konnte die gehobene Augenbraue fast schon heraushören, "so ist das also." Der Schatten rückte näher und zum ersten Mal nahm Soul sich die Zeit ihn eingehender zu betrachten. Er war größer als er und die flackernde Kontur ließ immer wieder Teile erkennen, die so etwas wie ein Déjà-vu hervorriefen. "Du weißt doch selber, dass du das nicht kannst." Es war die Wahrheit, nonchalant ausgesprochen, als wäre sie nicht der unbezwingbare Felsen, vor dem er jetzt stand. Er wusste selber, dass er immer wieder versuchen würde das Schicksal zu ändern und die Illusion, dass er eine Wahl hatte, dass er auch anders handeln könnte und danach irgendwie weiterleben würde, reine Dummheit war. "Ich habe alles versucht", redete der letzte Teil von ihm, der noch widerstrebte. "Du denkst zu einfach gestrickt." Wieder war der Schatten ein Stück näher gerückt und das Flackern verkleinerte sich. "Du hast alles geändert, was DU ändern kannst." Soul wirkte ratlos. "Hast du schon einmal davon gehört, dass jede noch so winzige Entscheidung eine neue Realität begründet?" Der Schatten zog sich ein Stück weit zurück. "Jedes Mal, wenn wir eine Entscheidung treffen, bildet sich eine Parallelität in der wir uns anders entschieden haben." Soul versuchte zu lauschen, bemerkte aber lediglich, dass sich etwas in der Stimmlage geändert hatte. Das humorvolle war einem kratzigen, älter wirkenden Ton gewichen. "Stell dir eine Welt vor, in der man sich dafür entschieden hat niemals die Höhle zu verlassen oder in der man sich gegen die Eroberung des römischen Reiches entschied." Etwas änderte sich im Flackern und Soul meinte zu sehen, wie sich zwei Arme ausbreiteten. "Es gibt unendlich viele Parallelitäten. Welche in denen es keine Hexen gibt und die Akademie nur eine ganz normale Schule ist." Wieder änderte sich etwas und der Junge hatte das Gefühl, als würde sich ein brennender Blick direkt auf ihn richten. "Weißt du, was Schicksal ist?" Es klang bitter und durchtränkt von Trauer. "Egal wie und egal wo, in jeder Welt, in der du auf Maka triffst, wirst du dich an sie binden." Soul blinzelte und neben der Verwirrung durchströmte ihn eine Mischung aus Erleichterung. Würde dies nicht auch bedeuten, dass sie in all den anderen Welten leben konnte. Es war ein schöner Gedanke, dass sie beide in irgendeinem Universum nichts anderes als ganz normale Schüler waren. "Wenn das so ist, warum versuchst du dann, diese Welt zu ändern?" "Weil ich dafür geschaffen wurde." Der Schatten kam näher, so nah, dass Soul die Kälte seiner Existenz auf der Haut spüren konnte. "Seit diesem Zeitpunkt ist mein gesamtes Dasein nur dazu da, eine Zukunft ohne Maka zu verhindern." Soul starrte in den Schatten hinein und zum ersten Mal bemerkte er innerhalb der Schwärze weitere Konturen. Ein Grinsen zeichnete sich ab, so bekannt, dass dem Jungen der Atem stockte. Bilder fluteten auf ihn ein. Eine Welt ohne Maka, tiefste Verzweiflung und die Jagd nach Macht. "Du?", hauchte er kraftlos und versuchte verzweifelt die Bilder zu verdrängen. Das Grinsen des Schatten wurde sichtbarer und die Barriere um all den Wahnsinn fallen gelassen. Wild flammte die Dunkelheit in der Zeitblase auf, verschluckte jeden Fetzen Licht und drang tief in Souls Gedanken ein. Tausende Stimmen flüsterten in seinem Kopf, wisperten ihre Geschichte, bis er es nicht mehr leugnen konnte. In jeder Welt, in der sie sich treffen würden, würden sie unabänderlich ein Band knüpfen. Er würde sein ganzes Selbst und noch viel mehr als das opfern, nur um dieses Band nicht zerreißen zu lassen. Er würde - falsch - er WIRD sich dem Wahnsinn hingeben, Freunde, Kameraden und Feinde opfern, nur um die Macht zu bekommen, seinen eigenen Egoismus und Schmerz zu stillen. "Warum?", fragte Soul hilflos in die Dunkelheit. Warum hier? Warum jetzt? Warum nicht eher? Die Stimme wanderte direkt in Souls Hirn. Ihre Vertrautheit ließ ihn das tiefere Timbre noch mehr heraushören. Dieser Moment ist wichtig, aber es ist nicht mein Moment. Schlagartig zog sich die Dunkelheit wieder zusammen, manifestierte sich zu einem neuen Schatten mit festen Konturen. Ein kalter Hauch kroch über Souls Rücken. Alles wirkte nun noch vertrauter, obwohl er den unterdrückten Wahnsinn spüren konnte. Eine große, schlanke Gestalt mit strubbeligen Haaren und einem Grinsen, das weiße Zähne blitzen ließ. Ein Negativabzug seiner selbst. "Die Entscheidung für die Entwicklung ist heute getroffen worden. Gestern gab es noch keinen Grund, warum ich existieren sollte." Es streckte die Hand aus. Der Pakt sollte erneut besiegelt werden, wie oft es schon geschehen war, hatten wohl beide längst vergessen. Soul starrte darauf hinab. Er fürchtete sich und erinnerte wie bereitwillig er die ersten Male eingeschlagen hatte. Er hätte alles getan für eine Chance Maka zu retten, aber nun verließ ihn immer mehr der Mut und die Entschlossenheit. Zu oft hatte er vergeblich versucht sie zu retten, zu beschützen und von dem Kampf abzuhalten. Alles was davon blieb war ihr Gesicht - wütend, irritiert, zerstört; keine Erinnerungen an ihr Lächeln oder strahlende Augen. Er war müde. "Sag mir, was anders laufen muss!" Die Hand zuckte kurz. "Wenn ich das wüsste, wären wir nicht hier - oder?" Das Grinsen schien zu gefrieren. "Das Timing? Deine Einstellung? Dich?" Soul gab einen protestierenden Laut von sich. Mit seiner Einstellung war alles in Ordnung. Obwohl er wusste, dass er ertrinken würde, kämpfte er immer wieder gegen den gnadenlosen Zeitstrom an. Es wollte sich nur nichts ändern. Egal was er auch versuchte, das Schicksal fand immer wieder eine Möglichkeit. Er wusste nicht, ob er dies alles noch wollte und spürte, wie immer mehr von ihm von Selbstzweifel und Hoffnungslosigkeit zerfressen wurde. Er fragte sich unweigerlich sogar, ob es dies alles wert sei. Seine Stirn schlug tiefe Falten, während er sich angestrengt zu erinnern versuchte. Schließlich blitzte ein Bild auf. Leicht schief schaute sie ihn an, die grünen Augen funkelten erwartungsvoll, ihre Hand zu ihm ausgestreckt und ein aufmunterndes Lächeln. Sie war schön. Souls Körper zuckte zusammen. Seine Hand schnellte nach vorn und schlug in den Pakt ein. Kälte umspülte ihn, Dunkelheit und in der Ferne ein Licht, das sich langsam näherte. Murrend hob Soul seine Hände vors Gesicht. Das Licht war viel zu grell und Müdigkeit zerrte an seinem Körper. Mühselig kroch er aus dem Bett, blieb auf der Kante sitzen und angelte nach seiner Kleidung, die vertraut auf dem Boden lag. Durch die Tür konnte er Geräusche hören, die davon zeugten, dass Maka bereits das Frühstück vorbereitete. Er holte mehrmals tief Luft, versuchte sich vorzubereiten und machte sich auf den Weg. Frühstücksduft schwappte in sein Zimmer, als er die Tür öffnete. Maka stand am Reiskocher und füllte einer der Schale. Wenig elegant landete diese schließlich auf dem Tisch. "Maka?" Eher beiläufig wandte sie sich ihm zu und wartete auf weitere Worte. Soul rang um weitere Worte. Eingehend betrachtete er sie und spürte, wie sich ihr Körper unter seinem Blick anspannte. "Hast du etwas?", fragte sie und konnte die aufkeimende Nervosität kaum unterdrücken. Sein anhaltender Blick machte sie unruhig und nun wagte er es auch noch mysteriös zu lächeln. Vorsichtig schaute sie ihm ins Gesicht. Er wirkte seltsam und seine Augen schienen ausgezerrt und müde. "Soul?" Sein Blick wurde fester. Gelassen lehnte er sich gegen den Türrahmen und starrte sie nun offen an. Das Lächeln wurde zu einem Grinsen, in dem noch immer ein Rest Traurigkeit mitschwang. Maka fühlte sich überfordert. "Maka? Liebst du mich?" Soul wusste nicht, was ihn dazu trieb. So etwas wie Feigheit vielleicht oder Verzweiflung. Es kam ihm vor, als würde er das spielentscheidende Ass in Makas Blatt stecken. Es lag nun an ihr, ob sie gewinnen oder verlieren würden, aber er benötigte die Bestätigung, einen Grund weiterzugehen und seine eigenen Zustand zu ignorieren. Einen, wenn auch so winzigen, Hoffnungsschimmer, warum sich dies alles lohnte. Abwartend beobachtete er ihre Reaktion. Zuerst geschah nichts. Sie stand da und hielt den Reislöffel fest, plötzlich ging alles schneller, als Soul hoffen konnte. Sie blinzelte und er erwartete bereits ihren Ärger. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, bevor es rot zu glühen begann. Amüsiert und interessiert beobachtete er, wie ihre Augen sich überall hindrehten und verzweifelt versuchten einen Punkt zum Festhalten zu suchen, der möglichst nicht in seiner Nähe war. "S-soul", stammelte sie unsicher", das ist so ... so ..." Er setzte sich in Bewegung, streckte die Hand aus und nahm ihr den Löffel ab. Seine Hand strich über ihren Schopf. Sie war heiß und ihre Blicke wichen ihm noch immer aus. Er wusste, dass er in diesem Moment unfair war. "Gar nicht cool, ich weiß." Breit und einnehmend grinste er, siegessicher und bereit alles zu tun, was nötig war, um diese winzige Millisekunde, diesen winzigen Hoffnungsschimmer, der alles in die richtigen Bahnen leiten würde zu finden und zu benutzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)