Goodbye, alte Erinnerungen von Norrsken (One-Shot Sammlung) ================================================================================ Ballett ------- Ein tiefer Seufzer entwich der jungen Rose. Auf ihrer Stirn haben sich kindliche Fältchen gebildet, ihre Augenbrauen waren tief ins Gesicht gezogen und der kleine Mund zu einem Schmollen verzogen. Gut das ihre Mutter grade nicht schaute, sonst dürfte sich Rose sicher etwas anhören. Schließlich gab es keinen Grund dafür solch ein Gesicht zu ziehen – nein! Rose sollte nicht so viel auf die Worte ihres Vaters geben und sich einfach mal darauf einlassen, genau. Es würde ihr sicher Spaß machen, wenn sie dem Ganzen eine Chance geben würde. Das behauptete ihre Mutter zumindest die ganze Zeit. Bestätigen konnte Rose das allerdings nicht. Ja, ihr Vater hatte schon im Voraus gesagt, dass es eine bescheuerte Idee war, sie zu so etwas zu überreden, aber Rose teilte diese Meinung erst, nachdem sie sich das eine Stunde lang angesehen hatte. Er hatte definitiv recht gehabt! Zumindest sah sie das so. Hermione Weasley sah es anders. Es war schwer gegen ihre Mutter zu argumentieren. Rose fand einfach nicht die richtigen Worte, dass Hermione sie verstand. Verstand, dass sie von Ballett nichts hielt. Dass Dominique, ihre ein Jahr ältere Cousine, ebenfalls den Ballettunterricht besuchte, war nur ein schwacher Trost. Es machte ihr offensichtlich nicht nur Spaß, nein, sie war auch gut darin. Bei Dominique sahen die Übungen richtig elegant aus. Rose dagegen fühlte sie so, wie ihre Tante Fleur sie einmal im Scherz betitelt hatte - wie ›ein Troll im Porzellanladen‹. Vermutlich hatte Hermione sich erhofft, dass sie ein bisschen graziler würde. Dass sie, statt den Jungs eins auf die Nase zu geben, ein bisschen ruhiger würde. Da sich Rose nicht gegen ihre Mutter behaupten konnte, ließ sie die Ballettstunden über sich ergehen. Nicht aber ohne ab und an zu versuchen, sich davor zu drücken. Ihre kläglichen Versuche, eine Krankheit vorzutäuschen, hatte Hermione zumeist durchschaut. Die Versuche, sich wirklich was einzufangen, waren nur selten von Erfolg gekrönt – blöde Gesundheitsmännchen! Dieses Mal hatte sie sich etwas anderes überlegt. Energisch hatte Rose ihren Vater darum bemüht, dass ihre gute Freundin Alice, sie über Nacht besuchen kann. Die beiden Mädchen waren gute Freundinnen und sahen sich bei vielen Gelegenheiten, aber für einen Übernachtungsbesuch war immer eine gewisse Überredungskunst nötig. Aber bei Ronald Weasley war das etwas einfacher als bei Hermione Weasley. »Rose, komm, es geht zum Ballett«, hatte Hermione ihre Tochter erinnert. Diese stellte sich an den oberen Absatz der Treppe und rief hinab: »Aber Mummy, Alice ist zu Besuch!« Verwirrt war die Mutter an den unteren Absatz getreten und schaute zu ihrer Tochter rauf. Sie war kurz zuvor erst von der Arbeit im Ministerium gekommen und hatte deshalb überhaupt noch nicht mitbekommen, dass sich ein Gast im Haus aufhielt. Zudem hatte ihr Mann wohl auch vergessen, ihr davon zu erzählen. »Rose, du weißt, dass du alle zwei Wochen Ballett hast.« Der Blick, mit dem Hermione ihre Tochter bedacht, bedeutete nichts Gutes. Sie ahnte, dass das Mädchen, sich etwas dabei gedacht hatte, den Besuch auf heute zu legen. »Tut mir leid, ich hab gedacht, ich hätte erst nächste Woche wieder«, log Rose unsicher. Ihre Hände begannen an ihrem Oberteil zu ziehen. Alice, die sich noch im Zimmer aufgehalten hatte, kam nun auch an die Treppe, um besser das Geschehen mitzubekommen. »Guten Tag, Mrs Weasley«, begrüßte sie die Mutter ihrer Freundin, die sogleich ein Lächeln aufsetzte und zurück grüßte. »Hallo, Alice-Schätzchen. Wie geht es deinen Eltern?« »Gut! Ich soll schöne Grüße ausrichten«, erwiderte Alice und strahlte. »Mummy, können wir das Ballett nicht heute ausfallen lassen?«, brachte Rose die Unterhaltung wieder zurück aufs Thema und sah flehentlich – aber nicht zu flehentlich! – hinunter. Natürlich würde Hermione Weasley nicht sofort klein beigeben, aber Alice war nun schon hier und nicht mal Rose‘ Mutter war so hart, dass sie das kleine Mädchen nach Hause schickte, um ihre eigene Tochter zum schrecklichen Ballett zu schicken. »Du willst Dominique einfach versetzen?« Hermione versuchte ihrer Tochter ein schlechtes Gewissen einzureden und ein bisschen schaffte sie es auch. Rose biss sich auf die Unterlippe und geriet ins Grübeln, aber knickte nicht ein. Dominique würde auch ohne sie Spaß haben, da brauchte sie sich gar keine Gedanken drüber machen. Und sie sahen sich ja nicht nur beim Ballett. Alice war allerdings, um einiges leichter zu beeinflussen. Sofort zeichneten sich in dem kindlichen Gesicht Schuldgefühle ab und sie wandte sich an Rose. »Ich komm gerne mit!«, bot die kleine Longbottom ohne nachzudenken an. Das verzweifelte Gesicht ihrer Freundin verwirrte sie dementsprechend. »Das ist lieb, Alice«, flötete Hermione Weasley, »wir geben dir einfach ein paar Sachen von Rose und dann machen wir uns auf den Weg. Komm.« Sie kam die Treppe hinauf und ging mit Alice, die an ihrer Seite her hüpfte, in das Zimmer ihrer Tochter. Rose sah ihnen sprachlos nach, bevor sie sich selber in Bewegung setzte. Das war absolut nach hinten losgegangen und ihren Ärger konnte sie nur schwer verbergen. So kam es, dass sie in die Ballettschule fuhren und dort Dominique mit ihrer Mutter Fleur trafen. Dominique freute sich sehr über die Unterstützung von Alice und gab ihr bereitwillig Auskunft über alles, was sie bereits beigebracht bekommen hatten. In den braunen Augen von Alice sah Rose eine Begeisterung aufleuchten, die sich ihre Mutter sicher bei ihr wünschte. Zu mehr als einem skeptischen Blick war die kleine Weasley allerdings nicht imstande. Ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen behauptete, dass Alice nun sicher öfter mitkommen wollen würde. Hermione setzte sich zu ihrer Tochter auf die Bank, von der sie zusah wie die anderen Mädchen, darunter auch Dominique und Alice, einige Übungen machten – nur so zum Spaß. »Sieh doch, Rose«, begann sie mit einfühlsamer Stimme, »Alice macht es auch schon ganz viel Spaß. Vielleicht melden Hannah und Neville sie auch an. Dann hast du nicht nur deine Cousine, mit der du zusammen lernst.« Vermutlich sollte das ein Aufmunterungsversuch sein. Ein weiterer Versuch ihr das Ballett schmackhaft zu machen. Doch Rose konnte darüber nur frustriert aufstöhnen. »Mummy«, jammerte sie gequält, »ich mach das noch das Jahr zu Ende, aber dann will ich wirklich nicht mehr.« Zögerlich sah sie zu ihrer Mutter auf, die mit den gleichen braunen Augen zu ihr sah. Ihr Blick hatte etwas Resigniertes. »Na gut«, seufzte sie schließlich, »du hast es dann wenigstens versucht. Aber gib die das Jahr wenigstens auch Mühe und sei nicht so bockig.« Grübelnd zog Rose die Augenbrauen zusammen. »Bekomm ich dann einen Besen?«, erkundigte sie sich neugierig. Wenn sie im Anschluss einen Besen geschenkt bekommen würde, dann würde sie sich richtig Mühe mit dem Ballett geben. »Einen Besen?«, wiederholte ihre Mutter nur verwirrt, worauf Rose etwas genauer wurde. »Wenn ich dann nächstes Jahr kein Ballett mehr lerne, will ich das Tante Ginny mir Quidditch beibringt!« Zum Geburtstag -------------- Hell schien die Sonne auf die schrägen Dächer der Winkelgasse, wodurch sich starke Schatten über den grob gepflasterten Weg zogen. Es war Mitte Mai, weshalb das Treiben aus der kleinen Einkaufsstraße für Zauberer mäßig war. Bis auf die alltäglichen Erledigungen in der Apotheke oder ein Besuch in der Buchhandlung, gab es kaum einen Grund für Zauberer sich zu dieser Zeit in der Winkelgasse aufzuhalten. Für Rose Weasley war dieser Tag jedoch kein gewöhnlicher wie für all die anderen, denn an diesem Maitag war sie elf Jahre alt geworden. Es war ihr elfter Geburtstag und somit ein wirklich besonderer Tag für kleine Hexen und Zauberer. Bald – das stand außer Frage – würde eine Eule im Hause Weasley eintreffen, mit einem Brief für das kleine Mädchen. Eine Einladung, aus Hogwarts, dass sie, Rose Weasley, ab September das renommierte Internat für junge Hexen und Zauberer besuchen durfte, um in verschiedenen Künsten der Magie unterrichtet zu werden. Auf diesen besagten Brief wartete das Mädchen schon eine gefühlte Ewigkeit, denn nach nichts sehnte sie sich mehr, als zu lernen ihre Fähigkeiten zu verbessern, seit dem sie das erste Mal das Bad unter Wasser gesetzt hatte, indem sie einen Schauer beim Baden auslöste. Doch für den Augenblick waren für Rose alle Gedanken an Hogwarts vergessen. Denn an diesem Tag, ihrem elften Geburtstag, würde sich für sie ein noch viel sehnlicherer Wunsch erfüllen. An der Hand ihrer Mutter, Hermione Weasley, hüpfte sie leichtfüßig durch die Winkelgasse. Die Bitte von Hermione, anständig zu laufen, ignorierte das Mädchen. Sie war viel zu aufgeregt und musste der angesammelten Energie auf irgendeiner Weise Luft machen. Hermione konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, als sie endlich vor der Tür ihres Zieles standen. Wenn sie ehrlich war konnte die ehemalige Granger besser mit ihrer Tochter umgehen, wenn sie ruhig ins Lesen vertieft war oder ernsthafte Fragen stellte. Das kleine Energiebündel konnte nur ihr Vater im Griff behalten. »Gut, Rosie. Du musst dich jetzt wirklich etwas beruhigen und vor allem Stillhalten können.« »Okay, Mummy.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen stand Rose augenblicklich still, wie zur Säule erstarrt, da. Zufrieden über das schnelle Verständnis ihrer Tochter nickte Hermione und öffnete die Tür zum Laden, woraufhin ein helles Glöckchen im hinteren Teil des Geschäfts erklang. In freudiger Erwartung huschten die haselnussbraunen Augen von Rose die Wände entlang über die vielen schmalen Schachteln, die fein säuberlich bis zur Decke getürmt waren. Für einen Augenblick versuchte die kleine Weasley sie zu zählen, kam aber schnell zu dem Schluss, dass sie damit sicher noch bis in die nächste Woche beschäftigt sein würde. Sicher waren es über Tausend Schachteln. Vielleicht sogar Millionen oder gar Unendlich. Aus dem hinteren Teil des Ladens trat ein kleiner Mann hervor. Er war alt, das erkannte Rose an dem schneeweißen Haaren und tiefen Falten. Auf seiner Nase trug er eine dicke Brille und betrachtete die Kundschaft durch halbmondförmige Gläser. »Hallo, Mr. Olivander«, grüßte Hermione den Ladenbesitzer mit einem freundlichen Lächeln. Die silbernen Augen des Mannes, die wie Monde zu leuchten schienen, richteten ihre Aufmerksamkeit auf die erwachsene Frau. »Ah«, ein wissendes Lächeln schlich sich auf die schmalen Lippen, »Hermione Granger – nein – inzwischen natürlich Weasley. Weinrebe. Zehndreiviertel Zoll.« Bestätigend mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen nickte die Angesprochene. Die ehemalige Gryffindor kannte diese Eigenart des Zauberstabherstellers schon und hegte eine gewisse Faszination für diese. Für Rose war das alles ganz neu. Auch, wenn sie von der Familie schon viel erzählt bekommen hatte, war es doch etwas anderes, es selbst zu erleben. Mit großen Kinderaugen starrte sie den bemerkenswerten Mann an, bis er sich ihr zuwandte. »Wir würden gerne für meine Tochter einen geeigneten Zauberstab bei ihnen kaufen, Mr. Olivander. Als Geschenk zum elften Geburtstag.« Euphorisch nickte das junge Mädchen bei den Worten ihrer Mutter. In ihrer Brust schlug ihr Herz vor freudiger Erwartung so heftig, dass sie schon fürchtete es könnte herausspringen. Sie wollte nicht mehr warten. »Aber natürlich. Ja, das sollte kein Problem sein. Wir finden sicher einen geeigneten. Ich habe noch für jeden Kunden, einen hervorragenden Zauberstab gefunden. Sie leisten alle zuverlässige Arbeit, aber natürlich müssen wir erst einmal den finden, der zu der jungen Miss passt. Schauen wir mal.« Rose beobachtete gespannt, wie Mr. Olivanders ein Maßband hervorholte. »Welche ist denn ihre Zauberhand?« Im ersten Moment davon überrumpelt selbst von dem alten Ladenbesitzer angesprochen worden zu sein, schnappte die kleine Weasley hörbar nach Luft, bevor sie zu einer Antwort ansetze. »Rechts! Ich schreib mit rechts.« Das Maßband begann seine Arbeit zu vollrichten, und Rose war schon oft gemessen worden. Von ihren Großmüttern und auch ihrer Tante Fleur, wenn sie Kleider für sie nähen wollten. Das Messen nun war allerdings sehr viel anders. Die Maße ihres Armes und ihrer Elle zu nehmen konnte das Mädchen noch nachvollziehen, aber wozu von Ohr zu Ohr und der Abstand ihrer Nasenlöcher beitragen sollte war ihr ein Rätsel. Mit den zusammengetragenen Maßen wandte Mr. Olivander sich schließlich den vielen Schachteln an der Wand zu und schien sich über seine Wahl sorgfältig Gedanken zu machen. Die haselnussbraunen Augen von Rose folgten jeder seiner Bewegungen besonders aber den Händen, wie sie über die Seiten der kleinen Kartons strichen. Ihre eigenen kleinen Hände waren zu Fäusten geballt und sie spürte, wie ihre Handflächen langsam feucht wurden. Sie wollte sich entspannen, aber die Aufregung beherrschte ihren Körper. Endlich hatte Mr. Olivander sich entschieden und zog eine zwischen den vielen Schachteln hervor. Darin befand sich ein graziler Stab aus dunklem Holz. »Ulme und Drachenherzfaser, elf Zoll, recht flexibel.« Der alte Ladenbesitzer legte Rose den verzierten Stab in die Hand und wartete. Fasziniert starrte das Mädchen auf das Zauberwerkzeug und rührte sich nicht. Es brauchte einen Moment, dass sie sich erinnerte, den Zauberstab zu testen. Zaghaft hob sie ihre Hand, fing den ermutigenden Blick ihrer Mutter auf, wodurch sie das Holz mit sehr viel Schwung schnippen ließ. Mr. Olivander schüttelte den Kopf und nahm den Zauberstab gleich wieder an sich. Der nächste Stab, den er der kleinen Weasley reichte war aus einem sehr viel helleren Holz gemacht. »Hier. Weißbuche und Einhornhaar, zehn Zoll, federt etwas.« Nicht mehr so ehrfürchtig wie beim ersten Mal nahm Rose den Zauberstab entgegen und schwang ihn gleich. Es passierte nichts, sie spürte nichts, was sie sich etwas lächerlich vorkommen ließ. Unsicher blickte sie ihre Mutter an, die aber weiterhin bloß zuversichtlich lächelte. Auch der Zauberstabhersteller bemerkte den unsicheren Blick des Mädchens. Er nahm den Stab wieder an sich und sprach zu Rose: »Nur keine Sorge. Wir finden schon den geeigneten. Für die einen braucht es länger, bei den anderen geht es sehr schnell.« Tief in Gedanken versunken drehte sich Mr. Olivander wieder den Schachteln zu. Rose starrte ihn dabei unbewusst an und war schrecklich gespannt. Es brauchte einige Minuten bevor er einen neuen Stab hervorholte, um ihn ihr zu reichen. »Das eben war noch nicht ganz das wahre, aber mit diesem könnte es schon viel besser gehen. Zeder und Einhornhaar, zehndreiviertel Zoll, relativ geschmeidig.« Rose nahm den Zauberstab in die Hand und fühlte wie eine angenehme Kühle ihren Körper durchströmte. Als tauchte sie in Wasser ein. Mit einem sanften Schlenker traten schimmernde Seifenblasen aus der Spitze des Zauberstabes und Rose begann unwillkürlich darüber zu strahlen. Mr. Olivander schien das Mädchen ab da mit ganz anderen Augen zu sehen, als sie seinen Blick auffing. Ein wissendes Lächeln lag auf seinen Lippen. »Nun. Mit dem Ergebnis können wir sehr zufrieden sein. Ja, dieser hier scheint für sie gemacht zu sein, Miss Weasley. Ein wirklich guter Stab. Natürlich sind sie alle gut, aber Zedernholz-Zauberstäbe haben ihre ganz besonderen Vorlieben bei ihren Besitzern.« »Vorlieben?«, hakte Rose naiv nach, die nicht ganz verstand, worauf der alte Mann hinaus wollte. Dieser führte aber gerne für seine kleine Kundin weiter aus: »Ja, wissen sie. Zedernholz-Zauberstäbe wählen zumeist Hexen und Zauberer mit Charakterstärke und einer besonders ausgeprägten Loyalität. Und um ihre Liebenden zu beschützen können sie zu furchterregenden Gegnern werden. Ich bin sehr gespannt, was ihnen die Zukunft bringen wird, Miss Weasley.« Mit großen Kinderaugen sah die Elfjährige den Zauberstabhersteller an. Die silbernen Augen schienen sie, nun, da der Zauberstab sie erwählt hatte, durchleuchten zu können und bis auf ihr Innerstes zu analysieren. Dass sich über den Zauberstab so viel über den Zauberer sagen ließ erstaunte Rose und sie hielt das magische Holz achtungsvoll in den Händen. Sie wollte keinen anderen mehr. Dies war ihr Zauberstab. Aus Zeder, mit Einhornhaar, zehndreiviertel Zoll und relativ geschmeidig. Am Gleis 9¾ ----------- Die große Uhr über der Ankunftstafel zeigte halb elf, als die kleine Familie mit eleganten Schritten über den Bahnsteig von Gleis neun und zehn schwebte. Leute, die ihren Weg kreuzten, reckten immer mal wieder ihre Hälse, als wäre gerade jemand Außergewöhnliches an ihnen vorbei gelaufen. Und in gewisser Weise stimmte dies auch, denn diese Familie konnte mit Recht von sich behaupten anders – besonders – zu sein. Mit lobenswert gerader Haltung, ohne einen Blick auf die umstehenden Passanten, führte Scorpius Malfoy seinen Vater und seine Mutter über den Bahnsteig zur Absperrung, von der er wusste, dass sie ihre Tür zum Gleis neundreiviertel war. In einem unbeobachteten Moment spürte der blonde Junge die Hand seines Vaters im Rücken, was für ihn das Zeichen war, dass er die Grenze überwinden konnte. Mit Schwung schob er seinen Gepäckwagen auf den Kontrollschalter und die Absperrung zu und man sollte meinen, er würde dagegen prallen, doch stattdessen glitt er hindurch wie durch einen seidenen Schleier. Auf der anderen Seite drang ein lautes Zischen an das Ohr des Jungen und Dampfschwaden krochen über den von der Außenwelt abgeschirmten Bahnsteig. Eine lange rote Dampflok stand wie jedes Jahr bereit, seine Insassen nach Hogwarts zu fahren und dieses Jahr zum ersten Mal auch Scorpius Malfoy. Er war bereits schon öfter am Gleis neundreiviertel gewesen, um seinen Cousin und seine Cousine zu verabschieden oder abzuholen. Kazran und Aurora Greengrass besuchten die berühmte Zaubererschule schon seit ein paar Jahren und trotzdem, obwohl ihm das alles schon bekannt war, tobte in ihm ein Sturm. Sein Magen rebellierte, was Scorpius jedoch nur wenig Sorgen machte und gab sich alle Mühe, seine Aufregung zu überspielen. Die Eltern des jungen Malfoys kamen hinter ihm durch den Zugang zum Gleis. Draco fing den Blick seines Sohnes auf und konnte in den kindlichen Augen, die seinen so ähnelten, die Unruhe des Jungen spüren, auch wenn er sich so gefasst gab. Wie selbstverständlich, ganz einfach legte er ihm schützend den Arm um die Schulter und führte ihn weiter über den Bahnsteig. »Komm, wir schauen, ob wir Daphne finden.« Mit einem Nicken stimmte Scorpius den Worten seines Vaters zu und ließ seine sturmgrauen Augen aufmerksam, auch wenn betont unauffällig, über die Köpfe der Hexen und Zauberer schweifen. Einen Augenblick länger sah er zu einem Mädchen mit flammend roten Haaren, das ihm schließlich bekannt vorkam. Sie stand bei ihrer Familie und lauschte den Worten ihres Vaters, der über die Gefahren von Rennbesen einen Monolog führte. Der junge Malfoy war sich sicher, dass sie eine Freundin seiner Cousine Aurora war. Sie waren im selben Jahrgang, aber in der Nähe schien Aurora nicht zu sein, und so ließ Scorpius den Blick weiter schweifen. Er folgte seinem Vater stetig, ohne anzuhalten. Wenn sie ein bekanntes Gesicht sahen, nickte das Familienoberhaupt respektvoll und Astoria schenkte ein warmes Lächeln. Manchmal kamen Scorpius seine Eltern unglaublich gegensätzlich vor, aber im Moment fand er nicht die Zeit sich auch noch darüber den Kopf zu zerbrechen, denn es beschäftigte ihn so schon viel zu vieles. Die kleine Familie war fast bis zum Ende des langen Zuges gelaufen, als sie anhielt. Daphne und ihren beiden Kindern waren sie nicht begegnet. Ein letztes Mal sah Scorpius sich suchend um, aber vermutlich war seine Tante einfach noch nicht angekommen. Er würde warten müssen und solange konnte er sich im Zug schon einmal ein Abteil suchen und die vorerst letzte Zeit mit seinen Eltern verbringen. Der junge Malfoy hob seinen Koffer vom Wagen und verfrachtete ihn mühselig zur nächsten Waggontür. Gepäck für ein ganzes Jahr hatte ordentliches Gewicht, stellte er mit zusammengebissenen Zähnen fest und versuchte seinen Koffer die Stufen hochzuhieven. Scorpius hatte es allein schaffen wollen, doch die schmale Tür und der breite Koffer benahmen sich einfach entgegen dem, wie er es sich vorgestellt hatte und bevor er die ganze Problematik noch einmal überdenken konnte, hatte sein Vater sie ihm auch schon abgenommen. »Verabschiede dich schon mal von deiner Mutter«, sagte Draco zu dem Jungen und nickte hinter sich. Es war abzusehen, dass Astoria der Abschied von ihrem ›kleinen‹ Jungen schwerfallen würde und so kam ihr Sohn der Aufforderung ohne Umschweife nach. Scorpius sprang zurück auf den Bahnsteig und trat zu seiner Mutter heran. Mit wehmütigem Blick musterte Astoria ihr ›Ein und Alles‹ und strich ihm das blonde Haar zu Recht. »Wenn du etwas vergessen haben solltest, schreib sofort. Wir schicken es dir nach, ja?« Der junge Malfoy lächelte über diese Bemerkung, denn er war sich sicher, dass nichts liegen geblieben sein konnte. Denn seit dem Vortag war alles mehrfach überprüft worden. Bis zu ihrer Abreise vom Familiensitz hatte seine Mutter die Hauselfen mit dem Gepäck auf trapp gehalten. Darauf würde Scorpius sie jedoch nie hinweisen und so antwortete er manierlich: »Natürlich, Mutter.« Daraufhin fand sich der Elfjährige in ihren Armen wieder, die ihn fest an sie drückten. Astoria fiel es wirklich schwer ihren Sohn gehen zu lassen, aber sie musste selbstverständlich. Es warteten sieben wundervolle Schuljahre in Hogwarts und in den Ferien würde er ja Heim kommen. Weihnachten sah sie ihn schon wieder. Das musste sie sich nur immer wieder in Erinnerung rufen. Langsam lockerte Astoria die Umarmung, dass ihr Junge sich befreien konnte, und sah ihn seine sturmgrauen Augen, die denen seines Vaters so ähnlich waren. »Melde dich bitte regelmäßig.« »Mindestens einmal die Woche«, versprach Scorpius sogleich, immer noch mit einem korrekten Lächeln auf den Lippen. Die Hand seines Vaters auf seiner Schulter verriet dem blonden Jungen, das er alles im Zug für ihn verstaut hatte. Als er zu dem Mann aufschaute, war dieser jedoch abgelenkt. Neugierig folgte der Elfjährige dem Blick von Draco und erkannte ohne Probleme die Gestalt des Nationalhelden, Harry Potter. In Begleitung seiner eigenen Familie. Scorpius beobachtete zwei Jungen, die bei dem großen Harry Potter standen und zu diskutieren schienen. Der Kleinere der Beiden schien dabei zu unterliegen und zudem sehr angespannt. Wenn der junge Malfoy raten müsste, würde er meinen, dass es auch sein erstes Jahr in Hogwarts sein würde und diese Vorstellung hatte etwas unerwartet Beruhigendes. Seine Mutter bestätigte seine Vermutung, als sie sprach: »Ihr zweiter Sohn geht dieses Jahr auch zum ersten Mal nach Hogwarts.« Dann sind die wohl Brüder, vermutete Scorpius und sah den Jungs weiter bei ihrer Diskussion zu. Der Ältere schien keine Ruhe geben zu wollen, doch achtete sein jüngerer Bruder bald kaum noch darauf und sprach stattdessen mit einem Mädchen, das sich dazu gestellt hatte. Ihr Haar war gewellt und rostrot und Scorpius vermutete, dass sie im gleichen Alter war. Bevor sich der junge Malfoy Gedanken über die Beziehung der Beiden machen konnte, spürte er die Hand seines Vaters wieder deutlich auf seiner Schulter. Die Aufmerksamkeit des Sprösslings galt vollends seinem Vorbild und er fragte sich, was dieser wohl gedacht haben könnte, als er die Familie Potter gesehen hatte. »Versprich mir, dass du dein Bestes geben wirst.« Sein Vater sah ihn mit festem Blick an. Jemand Fremdes würde ihn vielleicht als mürrisch blickend beschreiben, aber Scorpius wusste das leichte Zucken der Mundwinkel besser zu deuten. »Sicher, Vater.« Bevor Draco dazu kam, noch ein paar Worte an seinen Sohn zu richten, zog seine Frau, die Aufmerksamkeit auf sich, als sie sich einige Schritte entfernte, um ihre ältere Schwester zu begrüßen. Zu ihren Seiten standen ihre beiden Kinder, Kazran und Aurora, schon in ihren Schuluniformen gekleidet. Scorpius Blick blieb für einen Moment an dem silbernen Abzeichen, das an der Brust seines älteren Cousins glänzte, haften. Kazran war dieses Jahr zum Vertrauenschüler ernannt worden, das hatte seine Mutter beim Abendessen einmal erwähnt gehabt. Es erfüllte den jungen Malfoy mit kindlichem Stolz, dass sein Cousin ein solches Amt in Hogwarts bekleidete. Zu seinem Bedauern fing Aurora seinen bewundernden Blick auf und er versuchte so unauffällig wie möglich wegzuschauen, ohne, dass sie etwas von seinen erhitzten Wangen bemerkte. Vermutlich tat sie es trotzdem, sagte aber nichts und lächelte ihn nur liebevoll an, wie sie es immer tat. Er mochte das Lächeln seiner Cousine. Ein greller Pfiff gellte über den Bahnsteig. Es war Zeit, höchste Zeit, in den Zug zu steigen. Ein letztes Mal drückte Astoria ihren Sohn fest an sich und Scorpius glaubte, ein leichtes Schluchzen zu vernehmen. Er traute sich aber nicht länger stehen zu bleiben, um zu überprüfen, ob seine Mutter wirklich weinte. Seine Tante strich ihm durch das blonde Haar, wünschte ihm viel Spaß und sein Vater klopfte ihm kräftig auf den Rücken. Es war fast wie ein leichtes Schupsen, dass er auch ja nicht zögerte, nun zu gehen. Aurora und Kazran waren schon vorgegangen in das Abteil, welches sie sich nun zu dritt teilen würden, während Scorpius noch einmal auf den Stufen der Waggontür verharrte und sich umwandte. Sein Blick galt seinem Vater, der diesen aufmerksam erwiderte. »Du wirst stolz auf mich sein können, Vater.« Der junge Malfoy reckte stolz das Kinn und in den sturmgrauen Augen blitze der Ehrgeiz auf, der an seinen Worten keinen Zweifel zuließ. Draco betrachtete seinen Sohn in Ruhe, als hätten sie noch alle Zeit der Welt für ihren Abschied und kam nicht umhin über die Worte des Jungen zu lächeln. Ein ehrliches Lächeln. »Das bin ich jetzt schon.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)