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Nostalgia - One Shots

12. Hoch in den Wolken
von  Chimi-mimi

Kapitel 7: Manchmal

Manchmal habe ich das Gefühl, ich löse mich langsam auf.

Schon wieder war der Sommer vorbei. Die Blätter färbten sich langsam bunt und wurden von den goldenen Strahlen der Herbstsonne zu Leben erweckt.
Doch Lee sah die Schönheit darin nicht, für ihn war nur das sichtbar, das da danach kam. Wenn der kalte Wind die Blätter wegblies und nur noch der kahle, dunkle Ast zurückblieb.
Mit einem leisen Seufzer sah er aus dem Fenster und betrachtete den Wald, der sich nur ein paar Meter entfernt befand. Er betrachtete die braunen Blätter, die der Wind davon trug und seufzte ein weiteres Mal.
Dann stand Lee ruckartig auf und schloss die Vorhänge. In dem Zimmer herrschte sofort die Dunkelheit, doch den Shinobi schien das nicht zu interessieren. Mit gesenktem Kopf stand er vor dem Fenster und hielt die Gardinen fest in beiden Händen.
Was war nur in letzter Zeit los mit ihm? Er hatte sich verändert.
Früher, da war es ihm egal, ob die Sonne schien oder der Himmel mit dunklen Gewitterwolken verhangen war.
Früher interessierte ihn es nicht, ob Sommer oder Winter war.
Früher hatte er nicht solche Gedanken bei dem Anblick eines Astes.
Damals war ihm noch sein Training wichtig und sein Sensei das größte Vorbild für ihn. Er eiferte ihm nach, kopierte sein Aussehen, seinen Charakter und seine Kampftechniken. Das war sein Lebensinhalt.
Doch in letzter Zeit hatte Lee einiges verändert. Er hatte schon seit Tagen das Haus nicht mehr verlassen. In der Zwischenzeit hatten viele Leute versucht ihn herauszulocken, aber er hatte das Interesse an seinem alten Leben verloren. Weder Gais flehendes Weinen noch Tsunades Befehle oder Narutos Geschrei konnten ihn aus seiner kleinen Welt herausholen.
Manchmal hatte er das Gefühl, dass sich in ihm drinnen etwas auflöste. Seine Bindung zu seinen alten Freunden da draußen, vor seiner Tür? Vielleicht auch das Bild, das die anderen immer von ihm hatten…
Seit er anfing nachzudenken, hatte er oft das Gefühl sich selbst verloren zu haben. Wer war er? Er war nicht Gai. Aber wer dann? Hatte er überhaupt eine Persönlichkeit.
Müde ließ Lee sich auf sein Bett fallen und sah nach oben, in die Dunkelheit. Ja, das war es auch, was in ihm herrscht. Finsternis, nirgends ein Licht, das ihm den Weg wies. Schon seit Tagen irrte er in seinen eigenen Gedanken herum, in einem Labyrinth, das keinen Ausgang hatte.
Doch das Schlimmste war der Auslöser dazu. Nie zuvor in seinem Leben hat er solche Gefühle gekannt. Auch wenn er seit Jahren für Sakura schwärmte, kannte er dieses Gefühl noch nicht. Dieser eine Augenblick hatte ihn so sehr verändert. Hatte ihm die Freude am Herbst, die Freude am Leben genommen.
Müde schloss Lee die Augen. Er war einfach nur noch müde, erschöpft, am Ende. Nein, er war nicht mehr der, der er früher war. Wann würden die da draußen das endlich kapieren? Seit sieben Stunden redeten sie immer wieder auf ihn. Konnten sie nicht einfach aufgeben? Unbewusst schüttelte er den Kopf. Das konnten sie nicht, das war ihm klar.
„Komm jetzt endlich raus, buschige Augenbraue!“, hörte er die Stimme von Naruto wütend durch die geschlossene Tür rufen.
Langsam schwang er erst ein Bein, dann das andere aus dem Bett und erhob sich langsam wieder. Er musterte den grünen Trainingsanzug, der achtlos auf einem Stuhl lag, entschied sich aber das schwarze Shirt und die graue Hose anzubehalten. Dieser Anzug gehörte nicht mehr zu ihm, war kein Teil mehr von ihm. Lee schlurfte durch das dunkle Zimmer, er brauchte kein Licht, fand die Tür auch so. Leise drehte er das Schloss um und öffnete dann das Tor zur anderen Welt.
Geblendet schaute er in die besorgten Gesichter seiner Freunde, seines Sensei und in das der Hokage. Er sah sie schweigend an und ein Blick in seine Augen machte ihnen klar, dass er nichts hören wollte.
Ja, er wusste, dass sie da war. Musste sie nicht in der Menge suchen, brauchte nicht ihren süßen Duft um sich ihrer Anwesenheit bewusst zu werden. Sie war da.
Lee musste schlucken, wandte seine Augen in Richtung Boden und lief an den Menschen, die ihn auf ihre Art und Weise mochten, vorbei. Zum Wald. Zu den kahlen, nassen, dunklen Ästen. Zu seinen bedrückenden Gedanken. Er wollte nicht reden, sie hatten das wohl akzeptiert, denn keiner folgte ihm. Doch er konnte ihre betrübten Blicke spüren und die besorgten Gedanken fast schon hören.
Nachdenklich verließ er Konoha und blieb vor dem Wald stehen. Es wirkte ungemütlich, kalt, abweisend, aber er hatte das Gefühl, dass er dort, zwischen den Bäumen, sich selbst finden könnte.
Widerwillig lief er unter den kahlen Ästen durch, betrachtete alles aufmerksam. Bei manchen Bäumen hatte er das Gefühl, als ob sie sich auflösen würden. So wie er. Wenn die Blätter langsam verschwanden, hatte es diesen Eindruck auf ihn.
Und dann sah er sie, eine Eiche, groß, mit ausladenden Ästen, schon fast kahl. Lee setzte sich unter sie. Lehnte sich an den kühlen Baum und schloss die Augen. Er lauschte aufmerksam, hörte die Vögel, das Rauschen des Windes, das Rascheln der Blätter, Schritte…
Schritte? Etwas verwundert öffnete er seine Augen wieder und entdeckte sie. Tenten. Sie stand direkt vor ihm. Etwas verlegen, aber mehr besorgt.
„Lee, was ist denn los mit dir?“, sie sah ihn an, „Die Anderen meinten, dass ich dich in Ruhe lassen soll, aber ich möchte wissen, was mit dir los ist. Du versteckst dich seit Tagen in deinem Zimmer, redest kein Wort mit uns. Ich bin deine Freundin, ich mache mir Sorgen, ich will wissen, was mit dir los ist.“
Er betrachtete sie, ihre rehbraunen Augen, das Haar, die sanft geschwungenen Lippen und sah sofort wieder diese Szene vor sich. Leise, mit gebrochener Stimme flüsterte er: „Bitte gehe. Ich… ich werde bald zurückkommen. Aber ich brauche Zeit.“
Zuerst zögerte sie, doch dann ging sie, warf ihm einen letzten Blick über die Schultern zu, dann war sie weg.
Mit leeren Augen sah er ihr nach. Sein Blick in der Vergangenheit. Neji, Tenten, der Kuss. Das war es, was ihn so durcheinander gebracht hatte. Ihm war nie klar gewesen, wie er sehr er die Kunoichi eigentlich liebte. Doch das, was ihn am meisten durcheinander brachte, war, dass er sich für sie freute. Vielleicht war unglücklich, unglücklicher als vorher. Aber immerhin hatte sie ihre große Liebe gefunden. Lee wusste von Anfang an, dass er keine Chance bei ihr hatte. Ihr Herz gehörte schon damals Neji. Und das würde es immer tun.
Er stand auf. Ging zurück nach Konoha. Immerhin hatte er ihr versprochen zurückzukehren. Zwar hatte er sich nicht selbst gefunden, aber er wusste, was nun zu tun war. Zielstrebig lief Lee auf den Hokage-Turm zu. Er spürte immer wieder die Blicke auf sich. Wahrscheinlich wusste das ganze Dorf, was in den letzten Tagen vorgefallen war, doch es war ihm egal.
Es gab noch eine Sache zu tun.
Zügig ging er die Treppen hoch, zu Tsunades Büro, trat ohne zu Klopfen ein. Gut, sein Team war dort. Gai, Neji und Tenten. Doch Lee ignorierte sie, ihre erschrockenen Blicke und trat vor den großen Schreibtisch.
„Ich will das Team wechseln. Ich kann nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten. Es hat persönliche Gründe.“

Ich löse mich auf. Mein altes Ich verschwindet…


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