Town Breaker von Sternenhirte ================================================================================ Kapitel 1: Prologue and Chapter One ----------------------------------- Prolog Town-Breaker Ein tristes Zeitalter Lasst euch eins gesagt sein: Ich habe nicht die Absicht hier über fliegende Autos, Roboter und irgendwelche Raumschiffe, die mit Lichtgeschwindigkeit durchs All sausen, ohne dass sich die Reisende bewusst sind, dass all ihre Freunde und Verwandte bei der Rückkehr gestorben sind, zu berichten. In dieser Geschichte geht es darum, dass sich die Welt so verändert hat, dass sie im Jahre 3225 dem 19. Jahrhundert gleicht. Schon vor einigen Jahren hat die Menschheit den Höhepunkt des Fortschritts erreicht und entwickelte sich seither langsam zurück. Alles fing mit dem Mangel des Erdöls an. Die Ölkrise machte sich schon im 21. Jahrhundert deutlich bemerkbar, nur war dies erst der Anfang. Über die Jahre, ach was sage ich, die Jahrhunderte hinweg entwickelte sich alles, um es zu verdeutlichen: nach oben und dann wieder nach unten. Menschen, die abhängig von ihrem Auto oder Motorrad waren, fuhren auf den Straßen und bezahlten Unmengen an Geld. Auch Busse und Flugzeuge mussten mit Öl versorgt werden, sie waren ebenfalls ein Grund für den Mangel des schwarzen Goldes. Die Preise schossen gewaltig in die Höhe, was Besorgnis einer kommenden Inflation in Deutschland bei den Leuten weckte. Schon bald wurden alle gewohnten Transportmittel gegen altbewährte Fahrzeuge eingetauscht. Kutschen, Fahrräder und Dampfmaschinen waren nun wieder unterwegs. Nur die Armee behielt einige Panzer und Treibstoff sorgfältig auf, damit, bei Drohung eines Krieges, das Land verteidigt werden konnte. Dies ist aber auch nur ein kleines Beispiel der Veränderung und es würde Seiten kosten hier auch noch andere Folgen zu beschreiben. Nur, wie es immer in solchen Geschichten kommt, wollen die Menschen das was sie nicht haben können. Dieser Schwund der Technik schmerzte viele und es wurden Wege gesucht um alles wieder rückgängig zu machen. Um die Menschheit wieder auf ihren Höhepunkt zu treiben. Um sich den Luxus, den sie verloren hatten wieder anzueignen. Doch, nun genug der langen Vorrede, lasst uns mit der Geschichte der Town-Breaker beginnen. Kapitel I Town-Breaker Ankunft Der Regen rann über die Dächer, auf die Straße herab. Der Dreck des Tages floss durch die allerkleinste Gasse und die Fahrt einer Kutsche durch eine Pfütze ließ die Ratten eine kalte Dusche erfahren. Die kleinen Tiere rannten quiekend zur anderen Straßenseite und verschwanden unter einer Brücke, in einem schwarzen Loch. Durch eine Lücke zwischen den Wolken erreichte das sanfte Mondlicht die Abfälle der Obdachlosen und unter einer Zeitung bewegte sich für einen Augenblick eine große Gestalt. Weiter ab der Nebenstraßen, auf der Hauptsraße, erhellten Gaslampen die Einkaufspassage an der Spree. Kaum jemand war an diesem Abend auf der Straße unterwegs. Ab und zu fuhr vereinzelt eine Kutsch durch den Matsch. Am Berliner Bahnhof Zoo, fuhr gerade eine alte pr.T 13, Baureihe 92.5, ein. Die alte Dampflok hielt mit quietschenden Rädern und eine dunkle Wolke verteilte sich über dem Schornstein, als sie wieder anfuhr. Ein Mädchen war ausgestiegen. Ja, es war ein Mädchen, wobei sie auf den ersten Blick wie ein Junge aussah. Sie trug eine Schirmmütze auf den kurzen, sich leicht wellenden, blonden Haaren. Ein kariertes Halstuch verdeckte einen großen Teil ihres Jankers* unter dem ein weißes, bauchfreies T-Shirt heraus schaute. Die kurze Hose war mit einem Gürtel und Hosenträgern, die sich ebenfalls unter dem Janker verloren, gesichert. Um auch noch den Rest des Oberkörpers zu verdecken trug das Mädchen ein schwarzes, dünnes Shirt unter ihrer Kleidung. Rot-gelbe Ringelsocken lagen bis zu den Knien auf den zerschrammten Beinen. Feste Schuhe ließen kein Ausrutschen zu. Das Gesicht des Mädchens hob sich. Auf ihrer Nase klebte ein Pflaster. Ihr Gesicht war rot vor Wut. Sie nahm ihre Fahrkarte, warf sie auf den Boden und trat solange darauf herum, bis sie nur noch aus Schlamm und Dreck bestand. Sie griff in die rechte Jackentasche, dann in die andere. Ihre Hände begannen zu zittern, als sie nun auch in den Hosentaschen suchte. Sie fand nichts. „Nein, nein! Das darf doch nicht wahr sein!“, schrie sie. Dieser verdammte Dreckskerl. Reichte es ihm nicht schon ihre Dokumente zu stehlen? Jetzt war auch noch ihr ganzes hart verdientes Geld futsch. Das Mädchen ballte die in fingerlosen, grünen Handschuhen steckenden Hände. Einen kurzen Moment lang verspürte sie den Drang zu schreien und zu weinen, doch sie hielt sich zurück. Aus dem Augenwinkel konnte sie Daniel, einen Jungen, den sie während der Fahrt hier her kennen gelernt hatte, sehen. Er stand einige hundert Meter von ihr entfernt und schaute mitleidig zu ihr herüber. Er sah sich kurz um und kam auf das Mädchen zu. „Hör mal Sally…“, begann er, doch das Mädchen unterbrach ihn mit erhobener Hand: „Lass es einfach, ja? Geh ich brauch dein Mitleid nicht.“ „Hör zu, es ist doch nicht so schlimm…“ „Nicht so schlimm?! Sag mal hast du sie noch alle? Du kannst leicht reden, dir wurde ja nichts gestohlen und wenn dann nur winzige 5 Deutsche Reichsmark**. Also geh zu deinem Pater und predige den zu, aber um Himmelswillen, lass mich in Ruhe!“, nun schrie Sally aus vollem Hals. Sie ließ ihre Wut an Daniel aus, obwohl sie wusste, dass er nichts für ihre Misere konnte. Sie selbst, sie ganz alleine war daran Schuld. Sie drehte ihm den Rücken zu und ging. Vielleicht fand sie den Dieb. Hinter ihr hörte sie Daniel noch etwas von wegen „Herr nimm es ihr nicht übel. Ihr Herz ist rein“, murmeln. Doch sie interessierte das Geschwafel dieses Möchtegern-Geistlichen keinen Meter. Sie stapfte auf die Straße. Überall kamen und gingen Leute. Sie umarmten sich zum Gruß und zum Abschied, gaben sich die Hand und gingen, ob allein oder zusammen. Sally stellte sich auf ihre Zehnspitzen um den Überblick zu bekommen. Er musste hier doch ausgestiegen sein. Ihr Blick schweifte über die Menschenmenge. Zuerst dachte sie den Mann gefunden zu haben, der ihre Wertpapiere gestohlen hatte, doch sie hatte sich vertan und wurde von gehetzten Menschen schroff zur Seite geschoben. Als das Mädchen ihr Gleichgewicht wiedererlangt hatte, stellte sie sich wieder auf. Und da! Da, war der Mistkäfer, ja! Der Dieb! Das war er sicherlich! Den grünen Zylinder würde sie nie vergessen. Der hässliche Plüschkatzenkopf an seiner Krempe hatte sie die ganze Fahrt über blöd angestarrt und ihr wäre fast das Blut in den Adern gefroren. Sally rannte los. Sie drängelte sich durch die Menschenmenge und verlor dabei den Mann aus den Augen. Sie fluchte leise und schlug sich in die Hände. Menschen umgaben sie. Zu viele. Sie sah sich noch einmal um, doch keine Spur war mehr von dem Fremden, der sich als ein gewisser Cornelius von Hohenstein vorgestellt hatte, zu sehen. Auch Daniel konnte sie nicht mehr ausmachen. Sally fühlte sich plötzlich ganz alleine. Ein bedrückendes Gefühl legte sich auf das Herz des Kindes. Das Mädchen fühlte sich plötzlich wie Emil, aus Erich Kästners ‚Emil und die Detektive’. Ein altes Buch. Sie hatte es noch nie in den Händen gehalten, doch im Heim hatte sie oft von der Geschichte gehört. Sie erinnerte sich genau an die Handlung. Einige der älteren Frauen im Heim hatten sich die Geschichte öfters erzählt. Und nun. Nun wusste Sally wie sich Emil gefühlt hatte. Alleine. Ganz alleine in einer großen, fremden Stadt. Emil hatte das Gefühl gehabt seine Mutter enttäuscht zu haben und Sally hatte ihre Eltern enttäuscht. Wobei, eigentlich stimmte das nicht so ganz. Ihre Eltern waren schon lange tot und sie war hier um ihr Erbe abzuholen. Ich war fünf Jahre als sie starben, erinnerte sie sich. Sie kam in ein mit Kindern überfülltes Heim. Mit ungefähr sieben Jahren, nach den wohl schlimmsten zwei Jahren ihres Lebens, wurde sie endlich adoptiert. Ihre neue Familie war wunderbar. Auch wenn sie in ärmeren Verhältnissen leben musste, spürte sie bei ihnen endlich was ‚Liebe’ bedeutete. Jetzt, nach fünf Jahren, hatte sie den Brief bekommen: Sehr geehrte Sally Wintersee. Wir bedauern zu tiefst Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihre Eltern bei einem Überfall am 13. April diesen Jahres gestorben sind. Es liegt uns ein Testament vor, dass Ihnen ein Wert von 40.000 Deutsche Reichsmark zusteht. Daher möchten wir Sie bitten sich bis zum 14. Juni 3225 im Berliner Rathaus zu melden. Hochachtungsvoll, Der Berliner Magistrat Der Regen strömte aus den Wolken und klatschte auf Sallys Mütze, doch sie ignorierte ihn. Ihre Adoptiveltern konnten nicht mitkommen. Leider. Erstens, hatten sie gerade genug Geld um Sally alleine losziehen zu lassen. Zweitens, war Sallys Mutter in Erwartung eines Babys. Dieser Gedanke zeichnete ein Lächeln auf das traurige Gesicht des Mädchens. Sie freute sich. Mit dem Erbe könnte sie dann die ganze Familie ein Leben lang versorgen. Sally hatte keine Ahnung woher ihre Eltern soviel Geld hatten, aber um ehrlich zu sein, es interessierte sie wenig. Sie waren ein Teil ihrer Vergangenheit, mit der das zwölf jährige Mädchen endlich abschließen wollte. Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie hatte etwas gehört. Um sie herum erstreckte sich eine dunkle, leere Gasse. An den Wänden der Häuser standen überfüllte Mülltonnen und der Müll lag meist daneben am Rand der Straße. Die Häuser hatten an dieser Seite nur wenig Fenster und aus einem Hinterausgang kamen die Geräusche einer überfüllten Bar. Sally musste wohl gedankenverloren in der Gegend umhergeirrt sein. Das Rauschen des Regens mischte sich mit den Geräuschen der Stadt, die durch den Wind hier in die Gasse getragen wurden. Sally spitzte die Ohren und lauschte in die Dunkelheit. Da! Da war es schon wieder. Es hörte sich an wie… Sally konzentrierte sich. Es klang wie Hundegebell und Schreie! Das Mädchen sah die Gasse hinunter und ein Kind bog um eine Ecke. Es war ein Mädchen. Sie kam auf Sally zu gerannt und schrie auf, als sie über eine am Boden liegende Flasche stolperte und zu Boden fiel. Zwei Hunde denen Schaum aus den Lefzen quoll kamen in einem rasanten Tempo auf die beiden Kinder zu. Sally trat aus dem Schatten der Hauswand, griff ins Westenfutter ihres Jankers und zog eine Pistole hervor. Sie zielte und schoss. *Eine Art kurze Jacke ** Die EU hatte sich aufgelöst und jedes Land nahm seine alte Währung wieder an. Kapitel 2: Chapter Two ---------------------- Kapitel II Town-Breaker Die Fremde Eigentlich wollte Sally es nicht, doch als sie das auf dem Boden zusammengekauerte Mädchen sah, legte sie einen eiskalten Blick an den Tag. Eigentlich sollte dieser Blick den beiden Hunden gellten, die nun tot in der Gasse lagen. Sally schaute wieder vor ihre Füße auf das am Boden liegende Mädchen. Sie hatte die Hände über den pechschwarzen Haaren zusammengeschlagen und zitterte. „Hey, hör auf dich tot zu stellen. So sehr kann keine Leiche zittern.“, lachte Sally. Ganz behutsam und vorsichtig schaute das Mädchen auf. Sally trat einen Schritt zurück. Diese Augen. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Sie spiegelten Leid und Elend wider. Noch größeres, als ihre Augen erzählen konnten. Die Augen des Mädchens waren umrandet von einem schwarzen Schatten, scheinbar hatte sie lange nicht mehr geschlafen und in der Iris schimmerte es eigenartig. Sie unterschied sich kaum von der Pupille. Ihre Augen waren vor Angst geweitet und hafteten an Sallys Waffe. Diese bemerkte den Blick und lies die Pistole wieder unter ihrem Janker verschwinden. Nun schaute das Mädchen in Sallys Gesicht und diese fühlte einen eigenartigen Klotz im Magen. Dennoch reichte sie dem Mädchen ihre Hand. „Die Köter hatten sowieso die Tollwut.“ Mit einem Nicken deutete sie auf die zwei Kadaver. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tu dir nichts. Nun nimm schon. Ich hab nicht den ganzen Tag zeit.“ Die Schwarzhaarige nahm zögernd Sallys Hand entgegen und stand auf. Ihre Beine zitterten. Sally musterte das Mädchen. Sie trug einen braunen Mantel über einem gelben Kleid unter dem eine braune Hose hervorlugte. Ihre Schuhe waren wohl einmal weiß gewesen. „W…wer bist du? Du hast mir mein Leben gerettet.“, stotterte das verängstigte Mädchen. „Mein Name ist Sally Wintersee, wie heißt du?“ „Kira, Kira Licht.“ „Was ist?“, Sally schaute sich um. Sie wurde von Kira merkwürdig gemustert. „Du heißt wirklich Sally? Wie ein Mädchen?“ „Ich bin ein Mädchen, klar?!“ Kira schaute verwundert drein. Nach einigen Minuten nahm sie stillschweigend zur Kenntnis, dass sie sich geirrt hatte. „Du weißt nicht zufällig wo ich heute günstig übernachten kann, oder? Es wird schon dunkel.“, stellte Kira fest und schaute Sally fragend an. „Ja, natürlich weiß ich da was. Kannst ja auf der Straße schlafen, oder du suchst dir ein leer stehendes Haus, so wie ich.“ Kira verzog das Gesicht. „Ist jedenfalls angenehmer, als der Asphalt. Außerdem-“ „Moment, Moment. Das ist jetzt nicht dein Ernst oder?“ Kira zitterte nicht mehr, sie hatte die Hände in die Seiten gestemmt und schaute Sally misstrauisch an. Diese verschränkte die Arme und schaute weg. „Hast du etwa genug Geld um dir was Eigenes zu mieten? Oder zu kaufen. Ich würde meine paar Kröten lieber für ein wenig Essen aufheben.“ Kira dachte nach. Sie hatte tatsächlich nicht so viel Geld bei sich. Sie war überstürzt verschwunden. Was sollte sie tun? Sie entschloss sich mit Sally zusammen ein altes, verlassenes Haus zu suchen, damit sie wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte. Die beiden Mädchen schlenderten los. Immer die dunkle Gasse entlang, bis zu einer belebteren Straße. Kira schaute geradeaus. Sie dachte nach, doch dann bemerkte sie, dass sich Sally merkwürdig verhielt. Es sah so aus als würde sie sich ein Opfer suchen, aber was wollte sie tun? Kira sah interessiert zu, als sich Sally fallen lies. Sie machte das recht überzeugend, fast wäre sie selbst losgesprungen und hätte ihr aufgeholfen. Kira machte einige Schritte weiter halt und schaute zu. „Autsch!“, rief Sally, als sie sich auf den Asphalt fallen lies. Sie begann zu schluchzen. Eine ältere Dame kam angelaufen. „Ohje, armes Mädchen. Komm ich helfe dir auf.“ Mit sichtlicher Anstrengung half die alte Frau dem Mädchen sicher auf die Beine. „Geht es dir gut meine Kleine? Ja? Gut, pass ab jetzt aber besser auf wohin du trittst. Versprochen?“ Sally nickte. Sie schaute scheu zu Boden. Kira beobachtete angestrengt. Die alte Dame lief mit gekrümmten Rücken davon. Was sollte das denn? Sally kam mit gesengtem Kopf auf sie zu. Ein verschmitztes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, auch wenn ihre Augen von ihren Haaren verdeckt wurden, sah Kira eindeutig den lächelnden Mund. Die beiden Mädchen schauten noch einmal zurück zu der alten Frau. Sie stand gerade an einem Obststand und kramte in ihrer Tasche. Plötzlich fühlte Kira einen Ruck an ihrem Arm. „Los, lauf.“, flüsterte Sally. Die beiden Mädchen rannten, so schnell sie konnten davon. Hinter ihnen das Fluchen der alten Dame und die Schreie der umherstehenden. Um eine Ecke, in eine Gasse. Über die Straße. An einigen zerfallenen Häusern vorbei. In eine weitere Gasse. Kira verlor allmählich den Überblick wohin sie gerade liefen. Ihre Beine wurden schwer, sie konnte kaum mehr laufen. „Sind wir bald da?“, japste sie. „Weiß ich nicht. Aber das da vorne sieht doch ganz gut aus.“, Sally zeigte nach vorne. Sie schien auch außer Atem zu sein. Die Mädchen blieben stehen und sahen nach vorne. Vor ihnen erstreckte sich eine alte Lagerhalle. Sie war riesig und ein Schild vor dem Eingang zeigte in verwischten Lettern: Acht__g! Ke_n off_nes Feu_r! Brand_gef__r! Darunter war auch nur noch undeutlich das chemische Zeichen für ‚Feuer’ zu sehen. Sally schob die Eisentür beiseite und trat in einen kleinen Vorhof. Überall wucherte Unkraut und die Hecken sahen aus als seien sie seit Jahren nicht mehr geschnitten worden. Auf dem Weg zur Eingangstür schaute sie immer wieder in der Gegend herum, als fühlte sie sich beobachtet. Kira wunderte das ein wenig, aber sie hatte schon bemerkt, dass Sally nicht alle Tassen im Schrank hatte. Bestielt einfach so eine arme alte Oma, wie skrupellos! Hinter der Tür kam man direkt in eine große Halle. Hier wurde wohl vor langer Zeit mal irgendetwas hergestellt. Es roch eigenartig. Von der Halle aus führte eine kleine Tür in einen zwielichtigen Gang. An der Decke hing eine Glühbirne, die nur noch leicht vor sich hinflimmerte, wenn man den Lichtschalter betätigte. Von dem Gang aus zweigten sich noch weitere Türen ab, doch Kira und Sally blieben in der Halle. Die Fenster waren teilweise zerbrochen und mit Holzbrettern zugenagelt. Leicht kam nun das Licht des nun aufgegangenen Mondes herein. Die beiden Mädchen machten es sich an einer Wand gemütlich. Kira hatte etwas Essen bei sich. Am nächsten Morgen wollten sie einkaufen. Sally lehnte sich an die Wand. Kira saß aufrecht und kaute ihr Brot. „Was führt dich eigentlich nach Berlin?“, fragte sie, als sie geschluckt hatte. „Mich, nun ja. Meine Eltern sind schon lange gestorben und ich wollte eigentlich mein Erbe abholen. Doch leider wurde ich ausgeraubt. Da war so ein Kerl in der Bahn und der hat mir meine Papiere geklaut. Dauert eine Weile alles zu erzählen.“ „Kein Problem wir habe zeit. Erzähl.“ Sally starrte an die Decke der Halle, dann begann sie. Kapitel 3: Chapter Three ------------------------ Kapitel III Town-Breaker Sally Der Bahnsteig war an diesem Sonntagmorgen ziemlich überfüllt. Überall drängelten sich die Menschen an die Bahnsteige um endlich aus ihrer Stadt zu entfliehen und wo anders ihr Leben neu anzufangen, oder ihre Verwandten zu besuchen. Die erste Dampflokomotive fuhr schon ein. Das Menschengedränge wurde immer stärker. Die Menschen schoben und quetschten sich zu der Maschine und eine Männerstimme rief: „Achtung auf dem Gleis, die Lokomotive nach Berlin fährt los! Die Lokomotive nach Berlin fährt los!“ Das Gefährt setzte sich langsam in Bewegung, hier und da winkten Taschentücher aus den Wagenfenstern und Familienmitglieder und Freunde standen auf dem Bahnsteig und winkten ebenfalls mit Tüchern hinterher. Auf den Gängen des Zuges liefen nun die Menschen durch die verschiedenen Abteile, auf der Suche nach einem geeigneten Sitzplatz. Es war nicht allzu sicher, wenn man in einem Gang stand, man sollte sich einen Platz suchen, wenn man nicht durch den halben Zug geworfen werden wollte. In einem der Abteile saßen zwei Männer. Sie unterhielten sich über Außenpolitik. Plötzlich wurde die Wagentür aufgezogen und die Männer unterbrachen ihr Gespräch um zu schauen wer sie störte. Ein Mädchen mit kurzen, widerspenstigen Haaren, die zur Hälfte unter einer Kappe versteckt waren, stand in der Tür. Es schien als überlege sie, denn sie sah sich um. Sie sah in den Gang und bewegte sich dann langsam in das Abteil der Herren, nachdem sie diese sorgfältig gemustert hatte. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ist hier noch frei?“ Die beiden Männer schauten sich kurz an und nickten dann. Das Mädchen setzte sich neben den Herren in Fahrtrichtung. Er rückte kein bisschen zur Seite, sodass sie sich neben ihn quetschen musste. Ihren kleinen Rucksack, den sie auf ihrem Rücken getragen hatte, stellte das Mädchen auf ihren Schoß, dann blickte sie ihren Gegenüber an. „Es tut mir Leid wenn ich der Herren Gespräch unterbrochen habe, aber es gab leider keinen anderen Platz an den ich mich hätte setzen können. Reden sie nur weiter.“ Die beiden Herren schauten sich ein weiteres Mal an und begannen wieder zu sprechen. Das Mädchen wurde während der holprigen Fahrt immer wieder hin- und hergeschüttelt. Sie entschuldigte sich jedes Mal, wenn sie in den Mann neben sich viel. Dieser ignorierte ihre Entschuldigungen, bis er und sein Freund sich erhoben, weil sie aussteigen mussten. Die Männer nahmen ihre Hüte von der Ablage und gingen auf den Gang, ohne sich zu verabschieden. Als sie sich aus dem Zug begeben hatten rutschte das Mädchen ans Fenster. „Pah! Was für Hundsköpfe! Gibt es denn keinen Anstand mehr auf dieser Welt?“, sagte sie zu sich selbst. Sie schaute aus dem Fenster und sah kleine Städtchen vorbeiziehen. Sie nahm ihren Rucksack und kramte noch einmal den Brief heraus, wegen dem sie auf dem Weg nach Berlin war. Sie las sich das Schreiben des Magistrats durch. Für das Couvert hatte sie keinen Platz in der Hosentasche, in der auch ihr Geld verstaut war, also schob sie es wieder in ihren Rucksack. Sally schaute auf die Plätze, die sich ihr gegenüber befanden. Niemand saß dort und das ganze Abteil gehörte ihr. Sie sah wieder nach draußen. Bald würde die Lock die nächste Haltestelle erreichen und vielleicht würden dann auch wieder Leute zu ihr einsteigen. Dann wäre sie jedenfalls nicht mehr alleine. Plötzlich wurde Sally nach vorne und dann wieder in ihren Sitz geschleudert. Die Bahn hatte zu bremsen begonnen. Das Mädchen hielt sich die Ohren zu, denn es folgte ein ohrenbetäubendes Quietschen, als die Bremsen versuchten den Zug zu halten. Eisen rieb an Eisen und die Menschen am Bahnsteig konnten kleine Funken sprühen sehen. Dann stand der Zug still. Sally schaute aus dem Fenster, um abzuschätzen wie viele Menschen einsteigen würden. Es waren nur wenige. Das Mädchen verlies das Abteil um sich ein wenig die Füße auf dem Gang zu vertreten. Ihren Rucksack verstaute sie vorher auf der Hutablage. Plötzlich vernahm sie von draußen laute Rufe. Neugierig schaute sie aus dem Fenster des Ganges. Ein Junge, vielleicht zwei Jahre älter als sie selbst, stürmte auf den Zug zu. Er rief Dinge wie: „Bitte wartet!“ und „Fahren sie bitte nicht weg!“ Doch der Schaffner hatte die Maschine schon in Bewegung gesetzt und ein lauter Pfiff ertönte, als der Dampf der Lock über die Wagen hinweg rollte. Sally starrte nach draußen. Der Zug war noch recht langsam und der Junge rannte nun mit seinem Koffer neben ihm her. Sally lief so schnell sie konnte zur nächsten Tür. Sie lies sich nicht leicht öffnen, und das Mädchen strengte sich noch mehr an. Sie wusste, jede Sekunde wurde der Zug schneller und kam dem Ende des Bahnsteiges näher. Sog und rüttelte heftig an der Eisentür, dann hatte sie es endlich geschafft. Sie riss die Tür beiseite und rief: „Hierher! Wirf mir den Koffer zu! Dann nimm meine Hand und spring rein!“ Der Junge schaute sie verwirrt an, fasste sich aber schnell wieder und warf Sally den Koffer entgegen. Fast hätte ihn das Mädchen fallen lassen. Sie schob das Gepäckstück beiseite und schaute in die Fahrtrichtung. Der Zug war schneller geworden und es waren nur noch knapp zweihundert Meter bis der Bahnsteig endete. Drei Minuten, länger hatten sie nicht Zeit. Sie legte sich auf den Boden und streckte ihren Arm aus der Tür. Der Junge beschleunigte mit aller Kraft und kam näher heran. Er selbst streckte ebenfalls seine Hand aus, dann ergriff er die schwitzige Hand des Mädchens, rutschte aber wieder ab. Sally dachte nach, dann nahm sie das Tuch, das sie immer um ihren Hals trug und wickelte es in windeseile um ihre Hand. Nun klappte es. Knapp fünfzig Meter vor dem Ende des Bahnsteiges zog Sally den Jungen nach oben in den Zug. Dieser hielt sich so schnell wie möglich an einer Eisenstange fest, denn er wusste, dass das Mädchen ihn nicht mehr lange hätte halten können. Er brach keuchend vor seinem Koffer zusammen. Sally kniete sich neben den Fremden um zu sehen wie es ihm ging. Dieser stemmte sich vom Boden hoch auf die Beine und hielt sich an einer Halterung im inneren der Bahn fest. Sally stand ebenfalls auf. „Danke. Alleine hätte ich das nie geschafft.“, sagte der Junge und musterte seine Retterin. Zusammen zogen die beiden Kinder die Wagentür wieder zu und gingen zu Sallys Abteil. Ein Mann hatte sich einen Platz genommen und saß am Fenster, den Zylinder tief in sein Gesicht gezogen. Sally warf einen Blick auf die Hutablage. Ihr Rucksack lag noch da. Sie warf sich auf den Platz, an dem sie vorher gesessen hatte, direkt dem schlafenden Mann gegenüber. Ihr Begleiter setzte sich neben den Fremden, nachdem er seinen Koffer unter der Bank verstaut hatte. Er trug eine Kutte, wie sie normalerweise immer nur Pfarrer oder ihre Lehrlinge trugen. Für einige Minuten sagte niemand ein Wort. Nur das leise Atmen des Schlafenden war zu hören. Sally betrachtete mit Ekel den sie durchdringend anstarrenden Plüschkatzenkopf, der an der Krempe des Zylinders befestigt war. „Wie heißt du?“, durchbrach der Junge die Stille. „Sally, und du?“ „Mein Name ist Daniel. Dieser Name soll mich immer daran erinnern, dass Gott der Richter über uns Menschen ist.“, er schaute zum Fenster hinaus. Sein Blick schweifte über die Landschaft. Etwas Trauriges lag in seinem Blick. Dann bemerkte er Sallys Blick, der an seiner Kutte haftete. „Oh, ja. Tut mir Leid, das habe ich dir noch nicht gesagt.“, er lächelte. „Ich bin in einem Kloster aufgewachsen. Pater Benedict fand mich eines Tages vor seiner Tür und hat mich aufgezogen.“ Sally hielt nicht viel von Geistlichen, aber dieser Junge war anders. „Wohin musst du denn fahren?“, fragte Daniel. „Berlin“ „Oh, da muss ich ebenfalls hin. Ich habe gehört, da gibt es ein riesiges Archiv in der Humboldt Universität. Vielleicht finde ich Informationen über meine Eltern. Sie…“ Er brach ab. Sallys Gesicht zeigte eine Art Verwunderung, die mit Wut gespickt war. „Was hast du denn? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Jetzt war das Fass übergelaufen. „Etwas Falsches gesagt?“, rote Wut brannte auf Sallys Gesicht. Sie atmete einmal tief durch und fuhr mit bebender Stimme fort: „Ich verstehe dich einfach nicht. Was interessieren dich deine Eltern denn noch? Sie haben dich ausgesetzt -einfach weggeworfen.“ Daniels Kopf sank und er starrte auf seine Beine. Er wusste wann es besser war jemanden sich abreagieren zu lassen. „Auch ich wurde ausgesetzt. Meine Eltern hatten keine Verwendung für mich. Nur wegen ihnen kam ich ins Heim und musste dort schlimme Jahre erleben und außerdem -“ „Aber du musst es auch so sehen.“, unterbrach sie der Mann, der ihr gegenüber saß. Er war aufgewacht und seine klaren blauen Augen sahen sie an. Das Licht brach sich in seiner Brille. Seine blonden Haare waren mit einem Haarband zusammengebunden und hingen glatt über seinen Rücken. Er rieb sich das Kinn, an dem kurze Barthaare hingen, als er fortfuhr: „Ist es dir denn nicht lieber leben zu können, als sterben zu müssen, weil deine Eltern dich nicht versorgen können? Hast du es mal aus dieser Sicht versucht. Nein. Das dachte ich mir schon. Es tut mir Leid, dass ich mich in euer Gespräch eingemischt habe, ich bitte um Verzeihung.“ Der Herr lüftete seinen Hut und neigte seinen Kopf. Sally wurde noch roter. Nein, aus dieser Sicht hatte sie es noch nicht betrachtet, aber dennoch, ihr tat der Tod ihrer Eltern nicht im geringsten Leid. Sie starrte wieder zu Fenster hinaus. Der Herr neigte seinen Kopf zur Seite und fragte Daniel, ohne die Augen von Sally zu lassen: „Sag mal, ist deine Schwester immer so schlecht gelaunt?“ „Ähm sie ist nicht meine Schwester. Ich kenne sie auch nur seit kurzem“, kam die Antwort im Flüsterton. Natürlich konnte Sally das Gespräch verstehen, doch sie tat so als interessiere sie sich lieber für die Landschaft. „Darf ich wissen wie ihr heißt? Nur reine Neugier.“, er lächelte. „Mein Name ist Cornelius von Hohenstein. Wissenschaftler müsst ihr wissen.“ Sally hatte kein Interesser mehr an der Landschaft und wand sich an Cornelius. „Das ist Daniel und mein Name ist Sally Wintersee.“ Daniel nickte. „Wir wollen beide nach Berlin.“ Für einen kurzen Moment zuckte der Mundwinkel des Herren, als er den Namen des Mädchens hörte, seine Gesichtszüge verfinsterten sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann sagte er lächelnd: „Oh Berlin, ja wunderschön. Ich persönlich würde euch die Humboldt Universität ans Herz legen, wie du schon gesagt hast Daniel, sie verfügt über ein riesiges Archiv mit alten Zeitungsartikeln und allerhand anderen Büchern und Ausschnitten der vergangenen Jahre.“ Sein Blick haftete an Sally, als er leise hinzufügte: „Der perfekte Ort um etwas zu finden wonach man schon lange sucht.“ Von Hohenstein öffnete seine Tasche und nahm eine Flasche heraus, aus der er einen Schluck trank. „Ach es geht doch nicht über einen Schluck hausgemachten Whiskey.“ Er schaute die Kinder an. Sally starrte mit großen Augen zurück. „Habt ihr durst?“ „Wir trinken doch keinen Whiskey!“, antwortete das Mädchen empört auf diese sinnlose Frage. Ihre Augen verengten sich. Aus irgendeinem Grund wusste sie nicht was sie von diesem Herren halten sollte, und dennoch war ihr Hals schon seit einer ganzen Weile trocken. „Ich wollte euch doch keinen Whiskey anbieten, junges Fräulein. Ich habe ebenfalls Wasser dabei. Wenn ihr möchtet?“ Sally und Daniel wechselten einen Blick. Sally ergriff das Wort. „Ja, das hört sich doch schon besser an.“ Cornelius lächelte und suchte eine zweite Flasche aus seiner Tasche, dann reichte er sie dem Mädchen. Sally trank einen Schluck und gab das Gefäß an Daniel weiter, der ebenfalls einen großen Schluck tat. „Danke.“, sagte er und übergab das Wasser wieder seinem Besitzer. „Gern geschehen. Tut mir Leid aber nun, schlaft schön.“, sein Blick verschwamm vor Sallys Augen als das Mädchen einschlief. Auch Daniel nickte weg. „So war das. Als ich dann aufwachte stieg er gerade aus. Mein Rucksack war weg und ich sprang so schnell ich konnte aus dem Zug. Dann habe ich ihn aus den Augen verloren. Und wie siehst bei dir aus?“ Kira legte sich auf den Boden, den Kopf auf ihren Rucksack. „Ich bin hier, weil ich meine Eltern kennen lernen möchte. Meine wahren Eltern.“ Sally schaute verwirrt. „Wurdest du adoptiert?“ „Ja, leider.“ „Wieso ‚leider’? So schlimm?“ „Schlimm ist gar kein Ausdruck. Es war die Hölle. Weißt du, ich wurde in ein Heim gebracht und als ich dann adoptiert wurde, war ich zunächst sehr glücklich. Doch nach einer Weile merkte ich, dass ich nichts weiter als ein Spielzeug sein sollte. Nach zwei Jahren bekam meine Herrin, ich möchte hier nicht mehr von Mutter sprechen, ein eigenes Kind. Von diesem Tag an sollte sich mein ganzes Leben verändern. Ich wurde zum Spielzeug. Zu einer Sache, die man einfach wegschmeißt, wenn sie langweilig geworden ist. Ich musste den Haushalt regeln, damit die Eltern zeit für ihr Kind hatten. Ich musste mir alles, einfach alles gefallen lassen. Mir wurde immer wieder erzählt meine Eltern seien tot, doch dann, letzte Woche, fand ich ein Schreiben was dies widerlegte. Ich beschloss zu flüchten. Ich fand heraus, dass meine Eltern hier wohnen und schon war ich weg vom Fenster. Wahrscheinlich sind schon die Typen von meinen ‚Eltern’ hinter mir her. Zwielichtige Kerle, die mir sogar meine Beine brechen würden, damit ich nicht mehr entwischen kann. Huch was schaust du denn so? Stimmt was nicht? Hey.“ Sally starrte zu Boden. Sie musste gerade an ihre kleine Familie denken. Ihre Mutter bekam doch auch ein eigenes Kind, wie sollte das dann bei ihr laufen? Unerwartete Ängste stiegen in ihr hoch. Was sollte sie machen? War es sinnvoll wieder nach Hause zu gehen? „Nein, es ist nichts. Schon gut.“, sagte sie. Ihr Stimme zitterte leicht. „Hm, na dann. Lass uns schlafen, ja?“ Kira schloss die Augen. Man konnte immer noch ihre schwarzen Augenringe sehen. Sally empfand Mitleid. Nachdem sie sich noch einmal umgesehen hatte zog sie ihre Kappe ins Gesicht und schloss die Augen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Kapitel 4: Chapter Four ----------------------- Kapitel IV Town-Breaker Kinderbande Sally konnte lange Zeit nicht einschlafen. Sie horchte in die Dunkelheit. Etwas bewegte sich im Gestrüpp und sie wollte nicht glauben, dass es ein Tier war. Dann. Sie richtete sich auf, Kira schlief schon tief und fest. Sally horchte noch genauer hin. Langsam tat sie einige Schritte Richtung Tür. Sie suchte in der tiefen Schwärze nach einer Holzlatte und stellte sich in Angriffsstellung. Sie warf einen kurzen Blick nach Hinten. Kira konnte man nicht sehen, nur leise Atmen hören. Das war aber kein Grund zur Sorge. Sally konzentrierte sich wieder auf die Geräusche. Nun waren es eindeutig Stimmen. Sie kamen näher. Dann begann die Tür zu quietschen und wurde aufgeschoben. Vier Gestallten traten ein. Leichter Mondschein lies sie von der Umgebung abheben. „Wer ist da?“, eine Jungenstimme. Sally presste sich noch näher an die Wand. Sie konnte nicht feststellen wie alt er war, also hieß es vorsichtig sein. Sollte sie Kira wecken? „Du siehst Gespenster Jack. Hab doch gesagt hier ist keiner.“, eine Mädchenstimme. Sie war sanft und klang ein wenig eitel. Die anderen zwei Gestallten hatten noch nicht gesprochen. Wer waren diese Kerle? Urplötzlich entflammte ein Licht. Ohne Vorwarnung. Ohne Geräusch. Es entstand in der Luft. Sally schirmte sich die Augen gegen den hellen Strahl ab und Kira wachte auf. Sie schrie. Die anderen beiden Gestallten stürmten wie auf Kommando los. Sally hatte sich noch nicht an das helle Licht gewöhnt und sie konnte noch nicht richtig sehen, aber die Gestalt, die auf sie zukam war ein Junge. Er nahm ihre Arme und verdrehte sie auf ihrem Rucken. Es schmerzte so sehr, dass das Mädchen vor Schmerz fast aufgeschrieen hätte. Sie wand sich, konnte dem festen Griff aber nicht entkommen. Je mehr sie sich wehrte, desto fester wurde sie gehalten. Kira wurde von der anderen Gestallt, einem Mädchen, in die Mangel genommen. Sie hatte die langen schwarze Haare in der Hand und hielt Kiras Kopf zurück, sodass diese anfing zu schluchzen. „Na wer hatte denn jetzt recht?“, es kam es überheblich von dem Jungen namens Jack. „Jaja. Du hattest Recht. Wer seid ihr? Was macht ihr hier?“ Die eben noch so sanfte Stimme des Mädchens wurde nun barsch. Das Licht erfüllte den ganzen Raum und Sally sah nun alle Personen ganz deutlich vor sich. Es waren Kinder, zwischen zwölf und dreizehn Jahren. „Hör auf zu Flennen, bin nicht so weich wie du denkst, Süße.“ Kira rollten die Tränen über ihr angsterfülltes Gesicht. „Lass doch mal ein wenig lockerer! Siehst du nicht, dass du ihr wehtust?!“, rief Sally ans andere Ende der Halle. „Halt du mal deine kleine Klappe und beantworte Emi ihre Frage.“ Emi, so hieß das hübsche Mädchen mit der zuckersüßen Stimme also. Auf ihren langen blonden Haaren thronte eine Fliegermütze, wofür sie die auch immer brauchte. Sie hatte einen Schal um ihren Hals geschlungen unter dem eine weiße Bluse herauslugte. Sie trug eine Jeans und Chucks. Ihre Haltung lies darauf schließen, dass sie immer ihren Willen bekam. Sie kam auf Sally zugelaufen. „Na willst du etwa nicht antworten?“ „Erst wenn ihr uns loslasst. Autsch!“ Emi hatte mit der Linken ausgeholt und Sally eine Ohrfeige gegeben. „Damit ihr abhauen könnt oder was?“, sagte sie hochnäsig und richtete sich zur vollen Größe auf. „Nein wir werden nicht abhauen! Ah!“ Und da saß auch schon die zweite Ohrfeige. „Was soll das? Beantworte meine Fragen und wir lassen euch eventuelle laufen. Also, wer seid ihr, was wollt ihr und wieso seit ihr hier?“ Sally spürte wie ihr das verdrängte Blut wieder in die Wange schoss. Das gab dann einen wunderschönen blauen Fleck. „Antworte!“ „Mein Name ist Sally Wintersee, ich bin wegen dem Erbe meiner verstorbenen Eltern hier und ich bin hier weil ich ein Dach über dem Kopf haben möchte, solange die Sache noch nicht über den Tisch ist. Zufrieden?“ Einen Moment lang herrschte Stille. Der Griff um Sallys Arme wurde lockerer. „Du bist ein Mädchen?“ Sally lies den Kopf hängen. Das durfte doch alles nicht war sein. Was für Vollidioten! Es ist unglaublich. Warum war sie nur so gestraft? Natürlich konnte dieses Aussehen, auch gute Seiten haben, aber auf die Dauer nervte es dennoch, wenn die Leute sie beim erwähnen ihres Namens so schräg ansahen. Arme Sally, dachte Kira. Doch im kurzen Moment der Verwirrung sah sie ihre Chance. Der Griff an ihren Haaren hatte sich gelockert und sie lief los. Das Mädchen das sie festgehalten hatte blickte verwirrt in ihre leere Hand und schrie dann, man solle die Fliehende festhalten. Der Junge, der Sally festhielt ließ sie los und Sally griff in ihren Janker. Sie fühlte schon den Lauf der Waffe, doch dann entschied sie sich um. „Was machst du da Sally, zieh das Ding. Los!“ Nein Kira, dachte Sally bei sich. Diese Kinder waren genauso wie sie. Sie hatten kein Zuhause und lebten auf der Straße. Jack sah ziemlich klug aus, mit seiner Brille auf der Nase und die anderen drei sahen nicht schwach aus, bis auf Emi, aber sie konnte als guter Lockvogel dienen. Und plötzlich kam ihr der Gedanke. Warum war sie nicht früher darauf gekommen. Sie erinnerte sich an die Zeitung, die der Mann in der Bahn gelesen hatte. „Nein Kira. Diese Kinder mussten das gleiche Schicksal erleiden wie wir. Wir sollten ihnen nicht übel nehmen, dass sie misstrauisch sind. Bitte lasst uns los, Town-Breaker.“ Stille breitete sich aus. Jack schaute in die Runde. Dann nickte er. Der Junge und das Mädchen gingen zu ihren Freunden. „Du hast Grips, Sally. Ihr habt unsere Fragen beantwortet. Der Vollständigkeit halber wollen wir uns auch vorstellen. Ich bin Jack Cardan, auch Jack das Hirn genannt. Die Schönheit neben mir, das ist Emily Komp, auch Emi die Schöne.“ Er legte den Arm um Emily, dann zeigte er auf die anderen beiden Mitglieder. „Das sind Christoph und Anika Schmied, auch Chris-Twin der Raufer und Ani-Twin die Diebin, unsere Zwillinge.“ Sally schien sich in ihrer Vermutung bestätigt, auch wenn Jack nicht zugestimmt hatte. Er hatte nichts dazu gesagt, nur das sie ‚Grips’ hatte und das reichte ihr. Kapitel 5: Chapter Fife ----------------------- Kapitel V Town-Breaker Schmied Helle, weiße Gewitterwolken türmten sich am Horizont auf. Erst als sie näher kamen wurden sie immer dunkler. Ein Sturm zog heran und die Leute hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert. Ab und zu sah man noch einen Besucher der Stadt, Schutz in einem Haus suchen. Ein einsamer Wanderer kam an ein blau gestrichenes Haus und klingelte sturm. Er schaute über die Schulter und sah schon einige Blitze aus den nun pechschwarzen Wolken züngeln. Er wandte sich wieder der Tür zu und klopfte mit seiner Faust so fest er konnte an das Holz. „Bitte machen sie doch auf!“, rief er und die Angst in seiner Stimme war nicht zu überhören. Fast hätte er aufgegeben und wäre weggegangen, da hörte er Schritte und drehte sich der Straße entgegen. Ein Mann mit Zylinder rannte auf das blaue Haus zu und zückte im Rennen einen Schlüssel. „Mieses Wetter nicht war?“, wandte er sich an den Mann vor der Tür. „Ist das ihr Haus? Kann ich mit hineinkommen? Ich bitte sie!“, flehte der Fremde. Der Mann mit Zylinder musterte sein Gegenüber. Eigentlich sah er gar nicht so übel aus. Nach einigen Sekunden, die von Donnern und Blitzen begleitet wurden, schloss der Herr mit Zylinder die Tür auf und lies den Fremden mit eintreten. Regen setzte ein als die Männer die Tür schlossen. „Anika, Christoph! Ich bin wieder da!“ Der Fremde schaute sich um. Anika, Christoph? War also doch jemand da gewesen. Ärger kam in ihm auf, doch als er die Zehnjährigen auf der Treppe stehen sah konnte er verstehen, dass sie nicht aufmachen durften. Der Herr des Hauses begrüßte seine Kinder, es waren Zwillinge, dann wandte er sich dem Fremden zu, der wie angewurzelt im Flur stand: „Ich hänge ihre Jacke auf, wenn sie möchten.“ Der Fremde nickte und entledigte sich seiner Jacke. Er schaute sich noch einmal im Haus um. Es waren einige wertvolle Dinge zu sehen, wie die teure Kuckucksuhr an der Wand im Flur. Einige goldene Bilderrahmen zierten die Kommode im Wohnzimmer. Darin waren Fotos von den Kindern und einer jungen Frau. Sie war hübsch. Die Mutter? Sonst war alles in diesem Haus dem dritten Stand zuzuordnen. Der Fremde wandte sich an die Kinder. Er kniete sich vor sie, um auf gleicher Ebene zu sein, dann sagte er freundlich: „Hallo ihr beiden. Ihr müsst Anika und Christoph sein, nicht war? Mein Name ist Karlos.“ Anika legte den Kopf zur Seite und starrte Karlos direkt in die Augen, als sie im mystischen Ton sagte: „Sie sind ein böser Mensch. Ich sehe es in ihren Augen. Sie bringen nur Unglück mit sich.“ Das Mädchen starrte weiter, als sich ihr Bruder vor sie schob. Karlos warf ihr einen bösen Blick zu. „Aber was soll das denn Anika? Du bist ziemlich frech, ab auf dein Zimmer, junges Fräulein.“ Ihr Vater war wiedergekommen. Er zeigte mit seinem Zeigefinger die Treppe hinauf. Anika drehte sich auf dem Absatz um und stapfte die Treppe hoch. Ihr Bruder folgte ihr. „Aber das mach doch nichts. Es sind doch noch Kinder. Sicherlich hat es Anika nicht so gemeint.“, hörten die beiden Kinder Karlos mit falschem Verständnis sagen. Christoph sah noch einmal über die Schulter und sah das aufgesetzte Lächeln im Gesicht des Mannes. Nun wissen wir alle, dass Kinder oft mehr sehen als Erwachsene, die Zwillinge sahen in dem Fremden den Teufel. Warum hatte ihr Vater diesen Kerl nur hereingelassen? Donner grollte. Sebastian Schmied, so hieß der Vater der Kinder, und Karlos verschwanden in der Küche. Im Kinderzimmer setzten sich die Zwillinge auf den Boden und begannen ‚4-Gewinnt’ zu spielen. „Eines der ältesten Spiele der Welt, es gibt es schon seit hunderten von Jahren“, hatte ihnen ihr Vater einmal erzählt. „Das Gewitter ist schon ziemlich nah. Der Regen strömt durch die Gassen.“, bemerkte Christoph mit einem Blick aus dem Fenster, dann warf er einen gelben Stein in das Spielgitter. Anika warf einen roten hinterher. Dann starrte sie ebenfalls aus dem Fenster. „Hast du es auch gesehen, Bruderherz? Seine Augen. Dieses rote Glänzen.“, ein Zittern durchfuhr das Mädchen. „Dieser Mann ist böse, Chris. Da bin ich mir ganz sicher.“ Christoph nickte. „Ja, das ist er. Mir gefällt es gar nicht, dass Vater dort unten mit diesem Kerl zusammen sitzt.“ „Warum hat Vater ihn nur herein gelassen?“, fragte das Mädchen und stand auf. Christoph nahm das Spiel und packte es weg. „Wahrscheinlich ist er noch verwirrt wegen Mutter. Es hat ihn ziemlich mitgenommen.“ Sie traten in den Flur im ersten Stock und wandten sich zur Treppe. „Ja, daran liegt es wohl.“, flüsterte Anika. Sie starrte an die Decke und versuchte sofort die grauenhaften Bilder wieder aus ihrem Kopf zu bekommen. Als ihr Vater ihre tote Mutter gefunden hatte war er zusammengebrochen und hatte ein Trauma erlitten. Allen Anschein nach hatte sie sich umgebracht, warum wusste keiner. Christoph wurde immer noch schlecht, wenn er daran dachte. Anika war schon auf der Treppe und er ging ihr hinterher. Die Treppe hatte insgesamt fünfzehn Stufen. Von der zehnten aus konnte man in die Küche schauen. Herr Schmied und Karlos unterhielten sich immer noch, doch plötzlich sank das Klima des Gespräches drastisch. Karlos Stimme wurde bitterkalt und die von Herrn Schmied schon fast verzweifelt. Das Gewitter war nun direkt über der Stadt. Die Kinder hörten es aus der Küche scheppern und schauten neugierig übers Geländer. Sie sahen ihren Vater an der Anrichte stehen. Karlos dicht vor ihm. Plötzlich hob er den Arm und Christoph hielt Anika die Augen zu. Fast hätte der Donner und das Rauschen des Regens den Schuss überspielt, als wolle er den Kindern das Grauen nicht noch näher bringen, als es schon war. Chris stand wie versteinert auf der Stufe und starrte zur Küche. Sein Ärmel wurde warm und nass, als Anika zu weinen begann. Karlos bewegte sich langsam. Er starrte die Kinder an und grinste wie Luzifer höchst persönlich. Was nun geschah erschien langsam, wie in Zeitlupe. Chris griff seine Schwester am Arm und zog sie die Treppe hinauf. Karlos kam aus der Küche und lief den Kindern mit gezückter Waffe hinterher. Anikas Beine waren schwer. Sie konnte kaum einen Schritt tun. Der Schock saß tief, bei beiden Kindern. Christoph warf die Zimmertür zu und schloss ab. Sein Herz raste vor Adrenalin, als er die Tür des Schranks zuzog. Die Kinder kauerten sich dich aneinander in die Wäsche. Anika schluchzte in Christophs Rücken. Er versuchte einen Blick durchs Schlüsselloch zu erhaschen. Die Treppe knarrte und die Tür wurde aufgebrochen. Karlos stand im Zimmer. Blitze erhellten den Raum und die schwarze Silhouette mit glänzend weißen Zähnen war zu sehen. Ein weiterer Blitz erhellte den Raum und flutete den Schrank mit einem Licht, das weiß wie Schnee war. Das Schluchzen von Anika war nun nicht mehr als ein leises Nebengeräusch in der donnernden Sturmkulisse. „Kommt raus Kinder.“, hörten sie Karlos, mit einer Stimme sagen, die jedem Tier das Fell über die Ohren gezogen hätte. „Ich will euch nichts tun. Euch zu töten wäre viel zu schade. Wenn ihr macht was ich möchte, dann lass ich euch gehen.“ Christoph hielt den Atem an und auch Anikas Schluchzen war verklungen. Beide waren mucksmäuschenstill. Karlos schaute unters Bett. Nichts. Er schaute aus dem Fenster. Ausgeschlossen, es war viel zu hoch um hinauszuklettern. Er drehte sich langsam dem Eichenholzschrank im Raum zu. Als er nach der Tür greifen wollte gleißte ein Blitz. Heller als alle anderen an diesem Tag. Karlos schaute zum Fenster, dann zur Decke. Seine Haare wurden schlagartig weiß und sein Herz blieb stehen, als der Blitz durch das Fenster schoss und in sein Opfer traf. Kleine Blitze züngelten am Boden entlang und tanzten durchs Zimmer, als ein zweiter Blitz das Haus Feuer fangen lies. Eine unerträgliche Hitze ergoss sich im Raum. Die beiden Kinder stemmten sich mit dem linken Arm gegen die Tür um sie zu öffnen. Sie konnten sich weder drehen noch richtig bewegen. Das Feuer zügelte am Schrank empor und der Donner erstickte die Schreie der Kinder. Mit hämmern und Schlagen gelang es ihnen die Tür des Schranks aufzubrechen. Die Kräfte verließen die Kinder und sie stolperten die Treppe nach unten. Die glühende Hitze wurde unerträglich. Zusammen klappten sie auf der Straße zusammen. Das Gewitter legte sich. Der Sturm war vorbei. Nur noch schwach waren die Rufe der Helfer zu hören. Die Ohnmacht nahm den Schmerz. Die Kinder sollten ihr Leben lang gezeichnet von diesem Tag sein. Bei beiden weisen noch heute eindeutige Brandwunden an den linken Körperhälften auf den unvergesslichen Tag hin. Kapitel 6: Chapter Six ---------------------- Kapitel VI Town-Breaker Cardan-Komp Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Es war einer der heißesten Tage in diesem Jahr. Emily war gerade auf dem Weg nach Hause. Sie lief durch enge Gassen und über volle Straßen. Seit kurzem achtete sie genau auf den Verkehr. Erst letzte Woche wäre sie fast von einer Kutsche überfahren worden! Der Kutscher hatte aber vor lauter Schreck vergessen wütend zu sein. Nun schaute Emily brav nach Rechts und nach Links. Als nichts kam, rannte sie über die Straße. Sie lief durch einen alten Hochhauskomplex. Die steinernen Giganten reichten noch bis in den Himmel. Doch überall sah man die Zeichen der Zeit. Mörtel bröckelte von der Fassade einiger Häuser und bei manchen war schon das Stahlgerüst zu sehen. Sie schaute in den Himmel, denn so hoch reichten diese Gebäude. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie waren ihre Vorgänger nur auf eine so absurde Idee gekommen? Hohe Häuser die die Wolken berührten. Was für ein Schwachsinn! Das Mädchen senkte den Blick und lief weiter. Die letzten Meter bis zu ihrer Haustür hüpfte sie freudestrahlend. Bald hatte sie Geburtstag. Dann würde sie 10 Jahre alt werden. Ihre Mutter öffnete die Tür und führte Emily in die Küche. Ein Tag wie jeder andere folgte. Als Emily die Augen öffnete spürte sie den Knebel im Mund. Sie versuchte sich zu bewegen, doch ihre Arme und Beine waren gefesselt. Sie blinzelte und versuchte sich zu erinnern. Ihr Kopf dröhnte als sie es tat. Am Abend. Kurz vor Ladenschluss. Ihre Mutter hatte sie noch einmal einkaufen geschickt. Die Sonne war langsam untergegangen und in einer dunklen Gasse hatte Emily jemand einen Schlag auf den Kopf versetzt. Sie war sofort zusammengeklappt und vor ihren Augen wurde alles Schwarz. Nun schaute sie sich um. Es war dunkel und sie hörte leises Geflüster und Atmen. Plötzlich flutete grelles Sonnenlicht Emilies Umgebung und sie presste die Augen zusammen. Als sie sie langsam öffnete konnte sie erst verschwommen, dann immer genauer, die Gestalten von anderen Kindern sehen. Es waren alles Mädchen. Zwei machten sich an ihren Fesseln zu schaffen und nahmen Emily den Knebel aus ihrem Mund. „Was? Wo?“, stotterte das verängstigte Kind. Die Kinder um sie herum starrten sie ängstlich an. Eines von ihnen schüttelte nur den Kopf und Emilies Augen füllten sich mit Tränen. „Wo bin ich? Ich will nach hause.“, schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie war in einem Wagen, in einem Zugabteil. Es ratterte, als die alte Dampflok über die Schienen schrammte. Ein Mädchen setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. Seine Stimme war leise und schwach. „Schon gut. Du bist nicht alleine. Beruhig dich.“ Emily schüttelte es. Sie wollte nur noch nach hause. Was war geschehen? Wo wurde sie hingebracht? Ihr Kopf dröhnte und die Tränen rannen wie ein Fluss über ihr weißes Gesicht. Die Sonne war verschwunden, der Zug war wieder in einem Tunnel. Nach einer Weile, Emily vermochte nicht zu sagen wie lange sie schon gefahren war, hielt der Wagen mit quietschenden Rädern. Emily hatte sich gefasst und weinte nicht mehr. Die anderen Kinder schauten scheu in der Gegend umher. Sie wussten selbst nicht wohin sie gebracht wurden. Von draußen klangen Geräusche und Stimmen herein. Ein Mann zog die Tür des Wagens auf und brachte etwas Brot. Er schaute in die Runde, zog ein Mädchen mit blonden Haaren heraus und schloss die Tür wieder, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Mit einem lauten Knarren fuhr der Zug wieder an. Noch dreimal hielt der Zug und es stiegen Mädchen aus. Emily hatte sich in die hinterste Ecke des Wagens verkrochen. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was sollte sie tun, wenn sie nun herausgezerrt wurde? Was sollte sie tun. Der Zug hielt ein weiteres Mal und der Mann kam wieder herein. Geradewegs kam er auf Emily zugelaufen. Sie spürte wie sie die Angst wieder übermannte und versuchte nicht zu zittern, als sie auf die Beine gezogen wurde. Der Griff des Mannes war fest. Sie konnte sich nicht entwinden. Der Bahnhof, auf den sie kam war nicht groß. Hier fuhren nie Personenzüge an oder ab. Hier wurden Materialien, Lebensmittel und Ware gelagert. Überall standen Kisten und der Geruch von Fisch und Gemüse drang an Emilies Nase. Überall liefen Menschen umher. Karren standen überall. Sie wurden beladen und weggefahren. Es herrschte geschäftiges Treiben an diesem Morgen. Die große Bahnhofsuhr verriet die derzeitige Uhrzeit. Es war sechs Uhr morgens. Die Schläge einer nahe gelegenen Turmuhr drangen durch die dünnen Wände und die Geräuschkulisse im innern des Bahnhofs. Emily lief dem Mann hinterher. Er hielt sie immer noch an ihrem Arm fest und das Mädchen spürte wie langsam das Blut aus ihm wich. Sie spürte keinen Schmerz. Ihre Angst schien sie gegen jegliche Empfindungen zu schützen. Aus dem Augenwinkel sah sie einen Jungen. Er hob eine Kiste mit Obst auf einen Karren. Langsam bewegte das Mädchen stumm die Lippen. „Hilf mir“ Der Junge starrte die Fremde an. Es schien als hätte er ihren Hilferuf verstanden. Schnell griff er nach einer Tomate und warf sie dem Mann an den Kopf. Ruckartig drehte dieser sich um und, zu Emilies Glück, lies er das Mädchen los und ehe er es sich versah war sie auch schon auf dem Weg zum Ausgang der Halle. Der Junge grinste den Hünen, der ihm einen bösen Blick zuwarf nur frech an und begann wieder seiner Arbeit nachzugehen. Emily sah über ihre Schulter. Sie wurde nicht verfolgt. Sie verlangsamte ihren Schritt und lief durch eine lange Gasse. Sie schien im Industriegelände angelangt zu sein. Überall ragten lange Schornsteine in den Himmel. Hinter einem Zaun bellte ein Hund und fletschte die Zähne, als er das Mädchen bemerkte. Emily zuckte zusammen und rannte weiter. Ihre Kleidung war zerschlissen und ihre Augen schmerzten. Die Sonne ging auf. Der rote Schimmer tauchte die Umgebung in einem leichten roten Glanz. Emilie stand da. Sie wusste nicht weiter. An einer Hauswand ließ sie sich nieder und begann in ihre Hände zu schluchzen. Als sie bemerkte, dass sich jemand vor sie gestellt hatte schaute sie ängstlich auf. Ein Junge stand vor ihr und hielt ihr seine Hand entgegen. Emily nahm an. Sie wurde auf die Beine gezogen. Sie schaute sich um, denn die Straße füllte sich mit Kindern. Der Junge lächelte. „Willkommen bei den Town-Breakern“, sagte er. Kapitel 7: Chapter Seven ------------------------ Kapitel VII Town-Breaker Der Magistrat “So war das.”, beendete Emilie ihre Geschichte. „Mich hast du aber freundlicherweise nur am Ende kurz benannt. Nun ja. Meine Geschichte ist nicht so aufregend. Ich lebe schon seit meiner Geburt auf der Straße.“, sagte Jack schulterzuckend, während er sich die Brille an seinem Hemd abwischte. Sally starrte auf ihre Füße. Immer wieder hatte sie gedacht sie hätte ein schlimmes Leben gehabt, doch nun, nun musste sie begreifen, dass sie im Gegensatz zu den anderen Kindern ein harmonisches Leben geführt hatte. Sie seufzte. „Und ihr lebt jetzt schon so lange auf der Straße und sehnt euch nicht nach euren Familie?“ Kira hatte ihre Arme vor sich verschränkt und senkte den Blick. „Also ich auf keinen Fall“, antwortete sie. Emilie dachte kurz nach. „Für mich sind die Town-Breaker zu einer Familie geworden. Du darfst jetzt aber auf keinen Fall denken, wir wären die einzigen. Unsere Leute sind über ganz Berlin verteilt. Immer wieder in kleinen Gruppen leben wir zusammen.“ Sally nickte. Jack stand auf und schaute aus einem der nicht vergitterten Fenster. „Es ist Morgen wir sollten uns langsam auf den Weg machen und was zu Essen beschaffen. Nach der langen Nacht hab ich ziemlichen Kohldampf wenn ihr mich fragt.“ Er schob sich seine Brille zurück auf die Nase und ging in Richtung Tür. Dann wandte er sich um. „Ich würde vorschlagen wir versuchen dann den Kerl zu finden der Sally ihr Geld geklaut hat. Was haltet ihr davon?“ Sally strahlte. Sie wollten ihr helfen! „Über den Lohn sprechen wir dann später.“, sagte Emily und grinste Sally frech von der Seite her an, als sie an ihr vorbei ging. Sally lächelte während die anderen lachend zum Ausgang gingen. „Ach Jack.“, begann Sally, als sie über den Weg zum Tor liefen. „Wie hast du das gestern Abend eigentlich mit dem Licht gemacht? Ich meine es fing plötzlich an zu leuchten. Ohne Vorwarnung. Ohne Funken, ohne alles.“ Jack erfreute sich an Sallys Unwissenheit. Er zog einen Stein aus der Tasche, dann nahm er einen Tropfen Spucke und tröpfelte ihn auf den Stein, der augenblicklich zu leuchten begann. „Siehst du? Der Stein und das Wasser reagieren an dem in der Luft enthaltenen Sauerstoff. Der Stein besteht nämlich aus ELEMENTXD. Ich darf ihn nur nicht zu lange in der Hand behalten, sonnst verbrenne ich mir die Finger. Der gestern war in einer Glaslampe. Fühl er ist richtig heiß geworden.“ Sally strich mit dem Finger über den leuchtenden Stein. Sie fühlte die Wärme, die ihr die Finger verbrannte. Auch Jack wurde der Stein zu heiß, er warf ihn hinter sich. Hinter ihm knisterte es. Wie vom Blitz getroffen erinnerte er sich an das Schild, das am Tor befestigt war. Sein Atem stockte, dann rief er den anderen zu sie sollten rennen. Noch während sich hinter den Kindern ein Feuer ausbreitete, sprangen diese in hohen Sätzen zum Tor hinaus auf die Straße. Als sie sich umdrehten sahen sie nur noch das ganze Gebäude brennen. Im inneren gab es einige kleine Explosionen. Dann brach das gesamte Haus in sich zusammen. Jack sammelte ärgerliche Blicke und kratzte sich verlegen am Kopf. „Tut mir wirklich leid, Leute.“ Er spürte wie ihm das Blut in den Kopf schoss. So etwas war ihm noch nie passiert. Emily stöhnte. „Und wo sollen wir jetzt übernachten?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Ach wir werden schon wieder etwas Neues finden.“ Zusammen machten sich die Kinder auf den Weg ins Stadtinnere. In einem kleinen Kaffee in Potsdam saß ein Mann. Er trug einen seltsamen Hut. Er war wie ein Zylinder geschnitten, war giftgrün und hatte einen grauen Plüschkatzenkopf an der Krempe befestigt. Die blauen Augen des Mannes spiegelten sich im Kaffee wider. Er hob den Kopf und das Licht brach sich in seiner Brille. Die blonden, zu einem Zopf gebundenen Haare fielen ihm über die Schultern. Er hob seine Hand und winkte eine Bedienung zu sich. „Etwas Milch bitte noch.“, sagte er in einem seltsamen ruhigen Ton. Die Bedienung nickte ihm zu, lief los und kam nach einer Weile wieder. Der Herr bedanke sich, als die Milch auf dem Tisch stand, dann kramte er einige Papiere aus seiner Tasche, strich sich den Pony aus der Stirn und begutachtete sie. Diese Sally soll ein ziemlich großes Erbe antreten, dachte er bei sich, als er den Brief des Magistrats las. Sein Blick verfinsterte sich. Es war gut, dass er nun diese Papiere hatte. Was würde aus dem Mädchen werden, wenn der Magistrat herausfand, dass sie die Tochter der Wintersees war? Nach einem tiefen Seufzer packte er die Papiere wieder in seine Tasche und bezahlte, um sich dann auf den Weg zu seiner Herberge zu machen. Er warf sich seinen Umhang um und zog den Zylinder tief ins Gesicht. Unterwegs schaute er sich einige Male um. Er hatte das Gefühl er werde beobachtet. Hinter einer Mauer, die kaum größer war als ein Meter, kauerte ein Junge. Er starrte dem Fremden hinterher. Sollte er ihm folgen? Er überlegte es sich und lief zu seinem Lehrmeister zurück, um sich für einige Tage freistellen zu lassen. Nachdem die Kinder etwas zu essen geklaut hatten und sich über den weiteren Plan, wie Sally an ihr Erbe kommen konnte Gedanken gemacht hatten, hatten sie die Idee bekommen, dass Sally die gestohlenen Dokumente eventuell gar nicht brauchen würde. Sally war ganz und gar nicht davon überzeugt, doch die anderen hatten sie dazu gedrängt. Einen Versuch sei es wert, hatten sie ihr erklärt und nun stand Sally in der großen Eingangshalle des Magistrats. Sie fühlte sich klein und unbedeutend, als ihr Blick an den hohen Wänden entlang glitt. Überall hingen Bilder von Männern. Sie kannte sie nicht, doch sie schienen einstmals wichtig gewesen zu sein. Sie tat einige Schritte weiter in den Saal. Es gab einige Anmeldestellen, an denen Schlangen von Menschen standen. Hinter jeder stand eine junge Frau, oder ein junger Mann, die versuchten dem Besucher zu helfen. Sally hatte das Gefühl in einem Puppenhaus zu stehen. Die Angestellten lächelten allesamt. Es erschien alles so unecht. In ihren zerschlissenen Klamotten zog das Mädchen schnell die Aufmerksamkeit auf sich. Ein Herr kam auf sie zugelaufen. Er stellte sich vor das junge Mädchen und diese schaute zu ihm hinauf. „Wie kann ihnen geholfen werden, junger Herr?“ Sally spürte Wut in sich aufbrodeln, doch sie lies den Angestellten in seinem Irrglauben. Was interessierte sie es was der Mann von ihr dachte. „Ich- ich sollte mich melden, um mein Erbe anzutreten. Mein Name ist Wintersee.“ Der Mann nickte. Auch er lächelte aus vollen Zügen. „Bitte folgt mir“, sagte er und drehte sich um. Sally lief ihm nach. Sie gingen durch die große Halle und betraten einen langen hellen Flur. Jede Wand war übersäht mit Bildern. Zwischen denen Türen in verschiedene Arbeitszimmer führten. Am Ende des Ganges wurde nun eine große Eichenholztür sichtbar. Der Mann öffnete sie und hielt sie für Sally auf, nachdem er sie angekündigt hatte. Fas Mädchen trat in ein riesiges Arbeitszimmer. Die Wände waren so hoch wie die in der Eingangshalle. An einer Wand standen ein großer Kamin und daneben ein Bücherregal. Auf der anderen Seite des Zimmers prangte ein mächtiger Schrank mit Glastüren, der ebenfalls vollgestellt war mit Büchern. Sie waren alt, aber in gutem Zustand. Sally durchquerte den Raum. Ein Mann saß hinter seinem Holzschreibtisch und schaute zu ihr auf. Er zeigte auf den Stuhl, der vor dem Pult stand und Sally setzte sich. Niemand sagte etwas. Der Mann suchte in seinen Unterlagen und durchbrach schließlich die Stille. „So, du bist also Sally Wintersee?”, fragte er mit einem abschätzenden Blick. Sally nickte schüchtern. Sie fühlte sich unwohl, auch wenn das Zimmer groß und hell, verziert mit einigen Zimmerpflanzen war, so fühlte sie sich bedrängt und unwohl. „Ja. Die bin ich. Aber ich muss ihnen sagen, mir wurden meine Unterlagen und das Ladungsschreiben gestohlen und-„ Der Blick des Mannes, Herrn Mints so hieß es auf seinem Namensschild das auf dem Schreibtisch stand, verfinsterte sich und sein Tonfall wurde unhöflich. „Und wie soll ich dir das glauben? Ich meine Sally Wintersee soll eine große Summe erben, wie soll ich dir da einfach so glauben, du seiest Sally?“ Sally zuckte mit den Schultern, wie sie es gesagt hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass sie das Erbe nicht ohne Unterlagen erhalten könne. Sie stand auf. „Ich kann ihr fehlendes Vertrauen verstehen, also gehe ich wieder.“ Mit diesen Worten drehte sich das Mädchen um und verlies den Raum. Als sie auf die Straße trat atmete sie tief durch. Der Mann, der Sally zu Herrn Mints gebracht hatte trat in dessen Büro. „Was soll ich tun.“ Diesmal lächelte er nicht. Mints lehnte sich zurück. Er schaute auf seinen Pult. „Folgen sie ihr. Wenn sie wirklich die Tochter der Wintersees ist, wird es besser sein, sie nicht aus den Augen zu lassen. Noch wissen wir nichts Genaueres. Behalten sie sie im Auge- ich brauche Beweise. Das wäre es, Hillington.“ Hillington neigte seinen Kopf und deutete eine Verbeugung an, dann trat er aus dem Zimmer und widmete sich seiner Aufgabe. Mints starrte aus seinem Fenster. Er sah das Mädchen zu anderen Kindern gehen. Straßenkinder. Abschaum in seinen Augen. Wenn sie wirklich dieses Kind war, dann sollten sie schnellstens etwas unternehmen. Die Lage war brennslich. Mints schlug auf den Tisch. Er spürte den Schmerz in seiner Hand und ballte sie zu einer Faust. Es war alles genau geplant gewesen. Jetzt war er unsicher. Wäre alles so gelaufen wie er es gewollt hatte, dann würde er nun nicht zweifeln müssen und hätte das Mädchen längst in seiner Gewalt. Dann könnte er endlich sein Ziel verfolgen. „Wie ich gesagt habe. Sie wollen mir mein Erbe nicht geben.“ Sally schaute in die Runde. „Aber irgendwie musst du doch an dein Geld kommen oder?“, fragte Kira. Jack dachte nach. Sein Gehirn arbeitete wieder einmal auf hochturen. Auch die anderen schauten nachdenklich drein. Sally wartete ab. „Wir sollten erst einmal herausfinden wie der Mann heißen könnte, der dir deine Unterlagen geklaut hat.“, meldete sich Ani-Twin zu Wort. „Wie er heißt weiß ich!“ Sallys Augen glänzten. „Er hat sich mir als ein gewisser Cornelius von Hohenstein vorgestellt.“ Jack schaute Sally missmutig an. „Ja, aber meinst du denn, der hat dir die Wahrheit gesagt?“ „Wieso nicht? Vielleicht gibt es diesen Hohenstein ja wirklich und wenn nicht, dann haben wir Pech und können eben wieder von Vorne anfangen.“, schlug Emilie vor. Sally nickte zögerlich. Genau davor hatte sie Angst. Nun klammerte sie sich wieder an einen dünnen Faden, der sie ein Stück weiter ziehen konnte, doch wenn dieser riss, so musste sie einen neuen finden. Doch wie sollte sie das anstellen. Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Möglich, aber langwierig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)