Was lange währt von Tea_Kaiba (... wird damit noch lange nicht gut - Anzu x Seto) ================================================================================ Kapitel 7: Von hier an blind ---------------------------- Danke an 7Nine für den Link, der mich praktisch gezwungen hat, das Lied doch noch anzuhören. :D http://www.youtube.com/watch?v=2KAcShfgq54 Zwischen zwei Fragen In der Lücke zwischen zwei Tagen Blieb Nichts mehr zu sagen Kein Leid mehr zu beklagen und ich Nahm den Wagen Und ging vor ihm in die Knie Ich sagte: Ich weiß nicht weiter War ich noch nie War ich noch nie Ich und der Wagen Und der Bienenschwarm im Magen Und die Straße, die zu schlagen war Wir haben uns vertragen, aber Vor zwei Tagen Ging der Wagen in die Knie Er sagte: Ich weiß nicht weiter War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Von hier an blind Von hier an Ich und mein Magen Und der Kopf in meinem Kragen gingen Blind getragen von zwei Füßen Die nichts sagen Außer: Gib dich geschlagen Und geh endlich in die Knie Ich sagte: Ich weiß nicht weiter War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Von hier an blind Von hier an Und keine tausend Meter draußen vor dem Tor Erklang ein Brausen und es sang ein Männerchor Dann war Stille und dazwischen und davor Setzte die Pause neue Flausen in mein Ohr Und ich Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Von hier an blind Von hier an Jetzt erst mal eine Dusche. Halt, nein, zuerst etwas zu trinken. Anzu versuchte, die Blicke der anderen Tänzerinnen zu ignorieren, die sie wie immer in den letzten Wochen misstrauisch beäugten, miteinander tuschelten und sich abrupt wegdrehten, wenn sie vorbei ging. Wann würden sie endlich aufhören, sie zu schneiden, weil diese dumme Sache mit dem Kuss passiert war und sich Justin daraufhin von ihr getrennt hatte? Man musste fairerweise zugeben, dass sie alle keine Ahnung hatten, was wirklich geschehen war, und es wohl wirklich so aussah, als hätte Anzu sich Seto mehr oder weniger an den Hals geworfen, sobald sich die Chance dazu ergab. Aber hatte sie irgendeiner persönlich einen Grund gegeben, sie nicht mehr zu mögen? Hatte sie auch nur einen zweiten Hinweis geliefert, sie könnte ein Verhältnis mit Seto haben – ganz davon abgesehen, dass es ihre Sache wäre, wenn dem so wäre? Ging es irgendjemanden etwas an, mit wem sie oder Justin zusammen waren? Nein. Die traurige Tatsache allerdings war, dass die meisten der anderen Mädchen schon einige Zeit länger hinter ihrem Trainer herwaren als „die Neue“ überhaupt mit ihnen tanzte, und dass sie sich nur damit abgefunden hatten, dass Anzu ihn bekommen hatte, weil sie ihn offenbar glücklich machte. Dass sie ihn nun hatte fallen lassen – so jedenfalls sah es ja in ihren Augen aus – konnte ihr keine verzeihen. Anzu wickelte sich in ihr Handtuch und wollte gerade in der Dusche verschwinden, als sich die Tür öffnete und mindestens fünf Mädchen, die gerade ohne Oberteil herumgestanden hatten, anfingen zu kreischen und gleich darauf hysterisch zu kichern. Justin ignorierte sie. „Anzu, Telefon für dich.“ Sie sah ihn genervt an. „Wer immer es auch ist, sag ihm bitte, dass ich erst duschen will, bevor ich für irgendwelche Gespräche zur Verfügung stehe.“ Justin packte sie unsanft am Arm und zog sie auf den Flur. „Komm gefälligst mit, ich habe keine Lust, meine Telfonrechnung in astronomische Höhen wachsen zu lassen, nur weil dein Sinn für Hygiene das erfordert! Was glaubst du eigentlich, wie viel ein Überseegespräch nach Japan kostet? Denkst du, das Krankenhaus bezahlt das, nur weil sie dir irgendwas mitteilen wollen?“ Anzu fühlte sich, als würde ihr das Blut aus dem Gesicht gesogen. Wem konnte da etwas passiert sein? Ihren Eltern? Yugi? Aber halt, da würde man wohl kaum zuerst sie anrufen. Sondern seinen Grossvater. „Krankenhaus?“ wiederholte sie nervös. „Ja, jetzt geh endlich ran!“ Er schob sie in sein Büro und wies ungeduldig auf das Telefon, bevor er sie alleine liess. So viel Takt erhielt sich sogar Justin noch aufrecht, obwohl sein Benehmen gegenüber Anzu ansonsten in letzter Zeit zu wünschen übrig liess. Was sie sogar verstehen konnte. „Ja?“ meldete sie sich schliesslich in zittrigem Japanisch. „Justin, ich brauche ein paar Tage Urlaub. Und könntest du mir ausnahmsweise meine Gage schon heute auszahlen? Ich weiss, sie ist erst in ein paar Tagen fällig, aber...“ Anzu versichterte sich, dass ihr Handtuch noch richtig sass, und sah ihren Trainer und Exfreund flehend an. „Ich weiss nicht, was du vor hast, Anzu, aber ich kann dich hier auf keinen Fall entbehren und wenn du Geld brauchst, musst du eben deine Bank fragen, wo ist da das Problem?“ Justin schien überhaupt nicht gewillt, mit sich diskutieren zu lassen. Hatten sie ihm denn gar nichts gesagt? Wie war das möglich, sie hatten ihm doch erklären müssen, warum sie sie so dringend sprechen wollten. Andererseits war Justins Japanisch nicht das beste, eigentlich konnte er nur ein paar Brocken, und wer konnte schon wissen, wie gut die Krankenschwester, die angerufen hatte, Englisch sprach? Müde liess sich Anzu auf einen Stuhl sinken, der hier hinter den Kulissen eher verloren in der Gegend herumstand. „Du verstehst nicht. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wirklich dringend wäre. Meine Cousine und ihr Mann hatten einen Autounfall. Sie sind beide tot, Justin!“ sie musste sich anstrengen, damit sich ihre Stimme an dieser Stelle nicht überschlug. „Nur ihr kleiner Sohn hat überlebt, aber er ist schwer verletzt und braucht dringend eine Bluttransfusion, und zwar von mir, ich habe die selbe Blutgruppe.“ Justin sah einen Moment lang wirklich aus, als würde er sie bemitleiden, dann antwortete er: „Das tut mir leid, Anzu. Aber die Beerdigung wird ja erst in ein paar Tagen sein? Natürlich kannst du dann fliegen, allerdings erst, wenn die Tournee vorbei ist. Es wird doch wohl in Japan noch andere Menschen mit deiner Blutgruppe geben!“ Anzu sprang auf. „Stell dich nicht so dumm, Justin! Je näher der Spender mit ihm verwandt ist, desto grösser die Chance, dass sein Körper das Blut auch annimmt! Ausserdem...“ Sie schluckte die panischen Tränen herunter, die in ihrer Kehle aufstiegen, „Ausserdem haben seine Eltern und ich schon bei seiner Geburt festgelegt, dass ich mich um ihn kümmere, wenn ihnen etwas passieren sollte. Ich MUSS dort hin!“ Ungeduldig wischte Justin ihre Argumente zur Seite. „Vergiss es, Anzu. In fünf Tagen kannst du fliegen, das ist mein letztes Wort. Und versuch gar nicht erst, weiter auf die Tränendrüse zu drücken, davon werde ich mich nämlich nicht beeindruchen lassen.“ Hasserfüllt starrte Anzu ihn an. „Ist das die Art, wie du dich an mir rächen willst? Das ist einfach krank, Justin! Das hier hat mit uns überhaupt nichts zu tun, aber wir wissen doch beide, dass du jeder anderen aus dem Team in so einem Fall Urlaub gegeben hättest!“ Er hatte tatsächlich die Nerven, ein sarkastisches Lächeln aufzusetzen. „Mag sein. Aber alle anderen haben mir bisher auch keinen Grund gegeben, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln.“ Sie hielt es nicht mehr aus. Mit einem frustrierten Aufschrei stürzte Anzu nach draussen. Buchstäblich in die Arme von Seto, der sie verdutzt anstarrte. Er nutzte die Chance und drüchte sie kurz an sich. „Ich will mich ja nun wirklich nicht über die Begrüssung beschweren, aber woher dieser Sinneswandel?“ Anzu riss sich los. „Oh Seto, verschwinde, dich kann ich nun wirklich nicht brauchen!“ Hatte sie sich am Telefon nicht deutlich genug ausgedrückt? Hatte es nicht gereicht, dass sie seine Mails gelöscht und seine Blumensendungen allesamt abgewiesen hatte? Musste er jetzt auch noch hier auftauchen, gerade, wo sie wirklich viel Wichtigeres im Kopf hatte? Wenigstens schien er jetzt endlich begriffen zu haben, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was ist los?“ fragte er, plötzlich ernst geworden. „Was geht dich das an?“ fauchte sie und rannte davon, in Richtung der Umkleidekabinen, obwohl ihr nicht klar war, was es bringen sollte, sich wieder anzuziehen. Fliegen konnte sie ja doch nicht. Nicht, dass Justins Verbot sie gross gekümmert hätte, aber sie hatte kein Geld für ein Flugticket, und man würde ihr wohl kaum eins schenken, nur weil sie am Flughafen ihre kleine Geschichte zum Besten gab. Der gekachelte Raum war inzwischen leer, auch die Duschen lagen wie ausgestorben da. Mechanisch, mit tränennassem Gesicht zog sich Anzu ihre Jeans und das frische T-Shirt über, ohne sich darum zu kümmern, dass ihr Körper nach einigen Stunden Vorstellung immer noch vor Schweiss klebte. Schluchzend sank sie schliesslich auf einer der Bänke zusammen und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Leise, fast vorsichtig klopfte Seto an die Tür, hinter der Anzu verschwunden war. Nachdem kein Protest ertönte, schob er sie langsam auf und betrat den Raum. Betreten musterte er Anzu, die ihn anscheinend noch gar nicht bemerkt hatte, so sehr war sie in Tränen aufgelöst. Er war für sowas nicht geschaffen. Wie sollte er sie trösten, wo er damit überhaupt keine Erfahrung hatte? Trotzdem setzte er sich nach kurzem Überlegen neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Was ist passiert?“ wiederholte er, diesmal behutsamer. Es war nicht einfach, zwischen den Schluchzern auszumachen, was Anzu ihm mitzuteilen versuchte. Aber er hatte genug verstanden, um zu wissen, was zu tun war. Ohne ein Wort stand er auf und ging nach draussen, um zu telephonieren. „Zieh das an.“ War das erste, was sie von Seto hörte, nachdem er in die Gardarobe zurückgekommen war. Anzu sah auf und stellte fest, dass er ihr ihren Mantel vor die Nase hielt. „Wozu?“ Schniefend zog sie die Nase hoch. „Ich komme doch hier sowieso nicht weg.“ Seto zog sie von ihrem Sitz hoch und drückte ihr den Mantel in die Hand. „Sei nicht albern, natürlich tust du das. Und zwar in genau –“ er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Einer halben Stunde. Jetzt beeil dich, sogar ich kann den Flugplan nicht endlos durcheinander bringen.“ Verwirrt folgte sie ihm nach draussen, wo er sie ohne Umstände in seinen Wagen schob. „Was hast du gemacht?“ brachte sie schliesslich heraus. Er schmunzelte nur und stieg ebenfalls ein. „Keine Zeit jetzt, Roland anzurufen.“ Erklärte er auf ihren erstaunten Blick hin, weil er selber fuhr. „Ich habe den Flughafen angerufen und ihnen gesagt, sie sollen meinen Privatjet fertig machen, weil ich in einer halben Stunde nach Japan zurück muss. Ich hoffe, du bist nicht klaustrophobisch, besonders gross ist das Cockpit nämlich nicht. Aber da Roland ja erst mal hier bleibt, kannst du seinen Platz haben.“ Anzu war zu benommen, um zu antworten. Sie sprach auch nicht weiter, als sie schliesslich am Flughafen aus dem Wagen stiegen und nach drinnen rannten, denn fünfundzwanzig ihrer dreissig Minuten waren bereits verstrichen. Seto war es, der das Schweigen brach, aber da waren sie schon eine ganze Weile in der Luft und er hatte per Handy Roland über seine geänderten Pläne informiert. „Wie kommt es, dass ausgerechnet du für diesen Jungen verantwortlich bist? Du bist ziemlich jung dafür.“ Anzu fand es etwas seltsam, mit seinem Rücken zu reden, denn sie sass ja hinter ihm, aber es machte die Sache auch wesentlich einfacher. So musste sie ihm wenigstens nicht ins Gesicht sehen, jetzt, wo wieder eine Träne über ihre Wange rollte. Aber sie unterdrückte die nachkommenden schnell und antwortete so gefasst wie möglich: „Chihiro – das ist meine Cousine – war sowas wie meine grosse Schwester. Ich habe immer alles mit ihr besprochen, wenn ich nicht damit zu meinen Eltern wollte... naja, jedenfalls, ihr Mann ist Europäer. War Europäer, sollte ich sagen. Die beiden haben christlich geheiratet und ihr Kind auch taufen lassen... und Chihiro hat mich gebeten, Kaitos Taufpatin zu werden.“ Sie räusperte sich, denn ihre Stimme klang belegt. „Natürlich könnten normalerweise auch erst mal seine Grosseltern für ihn sorgen, aber Chiriros Mutter, also meine Tante, war viel älter als meine Mutter, ihre Schwester. Sie und ihr Mann sind schon vor Jahren gestorben und die Eltern von Chirios Mann leben natürlich in Europa und sind ausserdem auch schon ziemlich alt. Also haben sie mich angerufen... Ich weiss nicht, was ich machen soll. Kaito kennt mich, jedenfalls hoffe ich das, obwohl wir uns ein paar Monate nicht mehr gesehen haben und wir haben uns immer gut verstanden, aber wie soll ich ihm seine Eltern ersetzen?“ Sie war Seto dankbar, dass er dazu im Moment nichts sagte, sondern einfach schwieg. Sie sah müde aus, als sie das Krankenzimmer wieder verliess, viel zu müde. Seto widerstand dem Drang, die Arme um sie zu legen, aber zu seinem Erstaunen kam Anzu von selbst auf ihn zu und lehnte sich hilfesuchend an ihn. „Er hat keine Ahnung, was passiert ist.“ Flüsterte sie tonlos. „Die meiste Zeit schläft er sowieso, aber nachdem sie ihm die Infusion gegeben haben... ist er kurz aufgewacht. Und natürlich wollte er wissen, wo seine Eltern sind.“ Ihre letzten Kräfte schienen sie auch noch zu verlassen und sie sank auf einen der unbequemen Plastikstühle an der Wand. Seto setzte sich neben sie, hin und hergerissen zwischen einem seltsamen Schmerz beim blosen Anblick ihrer Trauer, und einem unmöglichen Glücksgefühl, weil sie ihn einmal nicht zurückstiess. Er hoffte, dass sie ihm letzteres nicht ansah und falsch deutete, jetzt, wo sie ihre tränennassen Augen endlich auf ihn richtete. Aber Anzu schien nichts dergleichen zu beschäftigen, sie sagte nur: „Danke.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiss, wie es ist, sich für jemanden verantwortlich zu fühlen.“ Mokubas Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf, wie es ausgesehen hatte, kurz nachdem sie ihre Eltern verloren hatten. Er war damals fünf gewesen. Der kleine Junge, der da drinnen zwischen Leben und Tod schwebte, war vier. Die Erinnerung verblasste wieder und er betrachtete Anzu nachdenklich. Ja, und ich weiss auch, wie es ist, sich etwas verzweifelt zu wünschen und es nicht wahrmachen zu können, fügte er in Gedanken hinzu. Für ein paar Sekunden breitete sich ein Lächeln auf Anzus abgespanntem Gesicht aus und sie sah ihn mit einem Ausdruck an, der irgendwo zwischen Bewunderung und Zuneigung schwebte. War es so gewesen, als sie ihn noch geliebt hatte? Wie hatte er das nur verspielen können? Der Gedanke durchzuckte ihn schmerzhaft, aber da war das Lächeln auch schon wieder verchwunden und Anzu sah nur noch erschöpft aus. „Würdest du... könntest du mich zu meinen Eltern fahren? Ich würde mir ein Taxi rufen, aber wir sind so überstürzt aufgebrochen, ich habe nicht mal genug Geld dabei, um den Fahrer zu bezahlen.“ Seto erhob sich und reichte ihr die Hand, denn irgendwie sah sie so aus, als könnte sie beim Aufstehen Hilfe gebrauchen. „Natürlich. Komm.“ Sie liess sich aufhelfen, machte aber keine Anstalten, seine Hand loszulassen. Erst nach ein paar Schritten in Richtung Ausgang schien ihr aufzugehen, was sie da gerade tat und wie das für das Klinikpersonal aussehen musste, das sie sowieso schon die ganze Zeit interessiert beobachtete, weil es schliesslich nicht besonders oft vorkam, dass Seto Kaiba überforderten Verwandten am Krankenbett seelischen Beistand gab. Sie drückte seine Hand noch einmal kurz und liess sie dann los. Er schien auf einmal immer da zu sein. Wenn Anzu im Krankenhaus war, schaute Seto vorbei, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Abends rief er an, um zu hören, ob Kaitos Zustand Fortschritte machte. Und als sie einige Tage später mit ihren Eltern am Grab von Chihiro und deren Mann stand, war es nicht die Schulter ihrer Mutter, an der sie sich schliesslich ausweinte – denn die hing ihrerseits an der von Anzus Vater -, sondern die von Seto. Ein Gerücht nach dem anderen lief durch die Presse, anfangs hatten einige Blätter in ihrer Sensationslust wohl sogar gehofft, der tragische Verlust, den Anzu wegstecken musste und bei deren Bewältigung ihr Seto offenbar zu helfen versuchte, hinge mit dem Tod einer ihrer berühmten Freunde zusammen. Das war zwar schnell aus der Welt geschafft, aber Schweigen kehrte damit noch lange nicht ein in den Blätterwald der Dominoer Klatschspalten. Anzu war es egal. Kaum, dass sie überhaupt darauf achtete, wenn ihr verweintes Gesicht neben Seto einmal wieder die Titelseiten schmückte, von wo sie sowieso bald wieder verdrängt wurde, denn wie oft kann man das selbe, aus dem selben Grund trauernde Mädchen als Sensation verkaufen, selbst wenn sie sich dabei auf Seto Kaiba stützt? Sie wusste nur, dass seine Gegenwart ihr gut tat, dass sie wenigstens ein wenig ruhiger wurde, wenn er sie festhielt, und nachdem der erste Schmerz ein wenig abgeklungen war, wurde ihr auch klar, was das bedeutete. Es war schliesslich nicht so, dass Seto weniger arbeitete. Er kratzte sich seine freien Minuten zusammen und arbeitete Nachts, wenn er sich tagsüber Zeit für sie nahm. Langsam, zuerst erschrocken, dann mit einem Gefühl, als sei das alles unvermeidbar gewesen, merkte sie, dass sie nicht nur dankbar war, wenn sie daran dachte. Aber war es nicht verständlich, dass sie nach jemandem suchte, der ihr Halt gab? „Was willst du jetzt machen?“ Anzu hatte die letzte Viertelstunde damit verbracht, Taschentücher zu zerzupfen und zu zerknüllen. Es dauerte eine Weile, bis sie Seto antwortete. „Naja, einen neuen Job suchen, schätze ich.“ Darauf war er auch schon selbst gekommen. „Ja, aber wo? Hier, in Domino? Oder willst du zurück in die Staaten?“ Sie sassen in der Küche von Anzus Eltern, die längst aufgehört hatten, sich über den prominenten Besuch zu wundern, den ihre Tochter jetzt öfter bekam. „Sei nicht albern.“ Anzu stand auf und füllte ihre Tasse mit heisser Schokolade aus einem Topf auf dem Herd. „Ich kann Kaito nicht auch noch seine Freunde und seinen Kindergarten wegnehmen. Natürlich werde ich hierbleiben, und zusehen, dass ich bald eine eigene Wohnung finde. Hier ist jedenfalls auf Dauer kein Platz für uns beide.“ In Setos Kopf begann es zu arbeiten. Nicht mehr berechnend, wie noch vor ein paar Wochen, als er hauptsächlich darauf aus gewesen war, Anzu für sich zu bekommen. Die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, hatte auch für ihn einiges geändert – er war mehr denn je der Meinung, dass sie die einzige Frau war, die ihn glücklich machen könnte, aber ihn trieb nicht mehr nur das blanke Verlangen, wenn er an sie dachte. Da war etwas Neues, ein Impuls, sie zu beschützen, in ihrer Nähe sein zu wollen, ja, und auch Bewunderung dafür, dass sie trotz allem die Situation irgendwie meisterte. Wenn er es bisher nicht getan hatte, dann musste er es sich spätestens jetzt eingestehen: Er liebte Anzu, wie er nie gedacht hatte, eine Frau lieben zu können. „Warum zieht ihr nicht bei uns ein?“, fragte er schliesslich, als hätte er ihr nur angeboten, sie einmal mehr in seinem Wagen irgendwo hin mitzunehmen. Anzus Kopf schnellte nach oben. „Was meinst du damit?“ Er hob unbeholfen die Schultern. „Du und Kaito. Die Villa hat so viele Zimmer... ihr müsstet niemanden sehen, wenn du das nicht willst. Die Gästezimmer sind im Haupttrakt, ihr könntet natürlich zwei davon haben, aber wenn du lieber etwas mehr Ruhe hättest, könnte ich die Zimmer herrichten lassen, in denen die Frau meines Adoptivvaters gelebt hat, nachdem es zwischen den beiden nicht mehr so lief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Was ich sagen will ist, es gibt auch Schlafzimmer in einem Seitentrakt, mit seperatem Bad und einer kleinen Küche, sogar eine eigene Hintertür ist da. Du könntest das Ganze als eure Wohnung betrachten. Dann müsstest du dir vorerst über die Miete keine Gedanken machen.“ Ungläubig starrte sie ihn an. „Seto, du spinnst. Sowas kann ich nicht annehmen.“ Mit Mühe verkniff er sich ein Lächeln. Wenn sie schon so antwortete, dann waren die Zweifel offensichtlich nicht so unüberwindbar gross. „Natürlich kannst du das. Diese Zimmer braucht niemand. Aber du brauchst eine Wohnung für dich und Kaito, und vorerst hast du keinen Job. Wie willst du also eine mieten?“ Das musste sie doch einsehen. „Anzu, ich will dafür keine Gegenleistung von dir oder so, falls du das denkst. Ich biete dir das an, weil ich dich... naja, weil ich dich mag. Und weil ich dir helfen will, weil ich weiss, in welcher schwierigen Situation du bist.“ Zum ersten Mal seit langem, wie es ihm vorkam, zeigte sich ein leichtes Lächeln auf Anzus Gesicht. „Seto Kaiba, ich wusste ja gar nicht, dass du sowas aussprechen kannst. Ich dachte immer, dagegen hättest du eine genetische Blockade.“ Als er sie verständnisslos ansah, ergänzte sie: „Dagegen, zuzugeben, dass du jemanden gern hast. Jemand anderen als deinen kleinen Bruder, meine ich.“ Seto antwortete nicht. Er wartete auf ihre Antwort, und er würde nicht riskieren, sie durch ein falsches Wort wieder umzustimmen. Aber Anzu liess sich Zeit – ganze zehn Minuten. „Na gut, einverstanden. Übermorgen kann ich Kaito aus dem Krankenhaus abholen, dann ziehen wir bei dir ein. Aber wehe, du machst dir oder deinen Angestellten irgendwelche Umstände. Staubwischen und Rolläden aufziehen kann ich selbst, also lass die Räume, wie sie jetzt sind!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)