Was lange währt von Tea_Kaiba (... wird damit noch lange nicht gut - Anzu x Seto) ================================================================================ Kapitel 8: Patchwork -------------------- Auch das Schicksal und die Angst kommt über Nacht ich bin traurig gerade hab ich noch gelacht und an sowas Schönes gedacht Auch die Sehnsucht und das Glück kommt über Nacht ich will lieben auch wenn man dabei Fehler macht ich hab mir das nicht ausgedacht Wunder geschehn ich hab's gesehn es gibt so Vieles was wir nicht verstehn Wunder geschehn ich war dabei wir dürfen nicht nur an das glauben was wir sehn Immer weiter immer weiter gradeaus nicht verzweifeln denn da holt dich niemand raus komm steh selber wieder auf Wunder geschehn ich hab's gesehn es gibt so Vieles was wir nicht verstehn Wunder geschehn ich war dabei wir dürfen nicht nur an das glauben was wir sehn Was auch passiert ich bleibe hier mmh ich geh den ganzen langen Weg mit dir was auch passiert Wunder geschehn Wunder geschehn Wunder geschehn ("Wunder geschehn" von Nena) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Guten Morgen, Miss.“ Oh. Naja. Irgendwie bezweifelte Anzu, dass sie gerade aussah wie eine „Miss“. Aber wahrscheinlich war das einfach die Art, wie Roland gewöhnt war, junge Frauen anzusprechen. „Guten Morgen. Hab ich irgendwas verpasst?“ Sie trat höflich zur Seite und bedeutete ihm, hereinzukommen, obwohl sie sich in ihrem Kuriboh-Pyjama zunehmend albern vorkam. Roland ignorierte sowohl die Einladung als auch den Pyjama. „Kaiba-sama hat mich beauftragt, Ihnen beim Umzug zu helfen und die Villa zu zeigen.“, erklärte er taktvoll. Aha. Ja, richtig, sie hatte „Kaiba-sama“ ja versprochen, bei ihm einzuziehen. Gestern abend, da musste sie wohl schon im Halbschlaf gewesen sein. „Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.“ Verlegen lächelte Anzu ihr Gegenüber an. „Ich werde mich mal schnell umziehen und dann meinen Koffer packen.“ Das Meiste war ja glücklicherweise noch in den Kisten, in denen es aus Amerika gekommen war. „Wollen Sie vielleicht so lange im Wohnzimmer warten?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich warte im Wagen. Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe mit den Kisten brauchen.“ Komischer Typ. Wie konnte man nur gleichzeitig so nett und so distanziert sein? So schnell, wie sie gedacht hatte, ging das alles doch nicht. Zwar hatte sich Anzu schnell gewaschen und in eine nicht mehr ganz neue Jeans und ein robustes T-Shirt geworfen – immerhin wollte sie ja in den Sachen arbeiten können –, aber sie hatte in den letzten Wochen doch mehr ihrer Habseligkeiten hier verstreut, als sich einfach in einen Koffer stecken liess. Also zuerst die Kleider in eine Reisetasche, zusammen mit ein paar Büchern, die sie gerade las oder bald lesen wollte. Dann kamen die Fotos dran – eines von ihrem Vater und ihr auf irgendeinem Rummel, da musste sie etwa fünf gewesen sein. Schnappschüsse ihrer ersten kleinen Tanzerfolge. Ein Familienfoto. Eines, auf dem sie zusammen mit ihren besten Freunden zu sehen war, aufgenommen auf einer Klassenfahrt. Weitere Fotos von Yugi, Joey, Tris und ein paar anderen Freunden. Erst jetzt, wo sie all diese Erinnerungen in einer grossen Handtasche zu verstauen versuchte, fiel Anzu auf, wie viele Fotos sie an ihren Wänden hängen hatte, und nicht bei einem konnte sie sich entschliessen, es hier zu lassen. Aufnahmen von Chihiro, alleine, mit ihren Mann und einmal mit dem winzigen Kaito auf dem Arm, als der derade ein paar Tage alt war. Sogar von den Kaiba-Brüdern war eine dabei, Mokuba breit grinsend in seinem allerliebsten Streifenpullover, Seto mit der üblichen Ihr-könnt-mir-alle-nichts-Miene. Sie stutzte und starrte eine Weile auf das Foto in ihren Händen, weil es sie an etwas zu erinnern schien, es fiel ihr nur nicht gleich ein, an was. Natürlich! Sie stopfte das Doppelportrait ungeduldig in die Tasche und war mit ein paar Schritten am Bett. Tatsächlich, als sie die Matratze hochhob, fing sich das einfallende Licht in einer Hochglanzaufnahme von Seto. Das Bild hatte sie auf ihrer Abschlussfahrt aufgenommen, heimlich, denn wenn Seto davon gewusst hätte, hätte er wahrscheinlich darauf bestanden, dass es vernichtet wurde, so harmlos es auch war, und ihre Freunde hätten sie nur endlos damit aufgezogen. Anzu zog es aus seinem Versteck und setzte sich damit auf das Bett. Im Grunde war nichts zu sehen ausser Setos Gesicht in Grossaufnahme, fast Lebensgrösse, ungewöhnlich ruhig und entspannt, sogar ein kaum sichtbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Nur die Augen waren nicht erkennbar, sondern geschlossen. Meine Güte, sie war so nah heran gegangen, dass man sogar das Blut durch Setos Lider schimmern sah. Halb amüsiert über sich selbst, halb sentimental strich sie mit dem Zeigefinger darüber, zog ihn aber sofort zurück, als ihr wieder einfiel, wie oft sie das Abends getan hatte, als sie noch so in Seto verliebt gewesen war. In der ersten Wut über seine simple Abfuhr war das Bild dann wohl unter der Matratze liegen geblieben, als sie nach Amerika ging. Nach kurzem Überlegen entschloss sie sicht, es in einen Rahmen zu stecken und mitzunehmen. Seto würde sich nicht mehr darüber aufregen, sie würde viel zu beschäftigt sein, um sich wieder irgenwelchen kitschigen Schmachtereien hinzugeben, aber immerhin, sie waren Freunde, oder? Und es war ein schönes Foto. Nachdem sie alle Sachen eingepackt hatte, die sie mitnehmen wollte, und entschieden hatte, welche der Kisten vorerst noch hierbleiben sollten – viele waren es nicht geworden –, fiel Anzus Blick auf ihre alten Kuscheltiere, die immer noch auf dem Schrank sassen, eingestaubt, aber sonst nicht weiter verändert. Sie würde eines für Kaito mitnehmen. Der hatte zwar sicher seine eigenen, aber ein weiterer Kamerad konnte im Moment nicht schaden. Sie holte alle von ihrem Altersruhesitz zurück und breitete sie auf dem Bett aus. Als erstes fiel ihr der brombeerfarbige Bär auf, ihr allererstes Kuscheltier. Ja, der musste mit, aber irgendwie konnte sie sich nicht so ganz entschliessen, ihn zu verschenken. Nein. Anzu steckte den Teddy in ihre übervolle Reisetasche und musterte die auf dem Bett verbliebenen Tiere. Die grosse Schlange jedenfalls war nichts, die würde Kaito eher erschrecken als trösten. Anzu hatte sie selber nie so richtig gemocht. Einige andere waren so abgerieben oder sogar irgendwo gerissen, dass sie sie nicht mehr verschenken wollte. Blieb eigentlich nur noch... ja, das kleine Eichhörnchen würde genau den Zweck erfüllen, zu dem sie es haben wollte. Schnell staubte Anzu es ab und verstaute es neben dem Bären in der Tasche. Jetzt endlich war sie fertig. Sie hielten auf dem kiesbestreuten Hof, und als Anzu ausstieg, merkte sie, dass die Steinchen, die da unter ihren Schuhen knirschten, tatsächlich sorgfältig mit einem Rechen geglättet waren. Meine Güte, sie hatte das immer für ein Klischee gehalten. Fast ein wenig drohend erhob sich die graue Fassade über ihr. Anscheinend hatte Gozaburo europäisch wirken wollen, als er dieses Haus hatte bauen lassen, und es einem alten englischen Herrenhaus nachempfunden. Nur die Kirschbäume passten nicht so ganz ins Bild. Aber vielleicht waren die ja auch neueren Datums. Roland hatte gerade ein paar Angestellte angewiesen, das Gepäck auszuladen, und kam jetzt auf sie zu. „Machen wir zuerst einen kleinen Rundgang, bevor ich Ihnen Ihre Räumlichkeiten zeige.“, schlug er vor, in einem Ton, der deutlich zeigte, dass das keine Frage und auch kein Angebot seinerseits war, so nett er es auch ausdrücken mochte. Anzu wagte trotzdem einen Protest: „Das ist doch wirklich nicht nötig. Ich werde schliesslich nur vorübergehend hier wohnen, und ich habe auch nicht vor, mich gross im Haupthaus aufzuhalten.“ Setos Sekretär lächelte nur, sie hätte es fast ungläubig nennen wollen, aber dazu war es zu höflich. Ohne weiter darauf einzugehen ging er zur Eingangstür, die sich trotz der ausladenden Stufen davor im Vergleich zum Haus fast zwergenhaft ausnahm. Widerwillig folgte Anzu. Als allerdings die erste Verlegenheit verflogen war, die vor allem aufgekommen war, als Roland sie der Haushälterin als „neue Mitbewohnerin“ vorstellte, genoss sie die Führung beinahe. Im Erdgeschoss hielten sie sich nur kurz auf, da hier, wie Roland erklärte, hauptsächlich die Räume lagen, in denen nur die Bediensteten zu tun hatten – Küche, Waschraum, einige Abstellräume und so weiter. Dann stiegen sie in den Keller, wo sich vor Anzus staunenden Augen eine komplette Wellnesslandschaft mit Schwimmbad, Whirlpool, Sauna, Massageliegen, Dampfbad und Wintergarten auftat. Letzterer liess durch die riesigen Fenster den Garten erkennen, der offensichtlich so weit abfiel, dass man ihn hier zu ebener Erde betreten konnte. „Nun sagen Sie mir nicht, dass zum Personal auch ausgebildete Masseurinnen gehören.“, brachte sie gerade noch so heraus, um wenigstens nicht völlig stumm und dumm herumzustehen. Roland schmunzelte. „Nein, die müssen schon im Vorab bestellt werden. Aber die Räumlichkeiten hier werden sowieso kaum noch benutzt, mit Ausnahme des Schwimmbads, und des kleinen Trainingsraums hier drüben.“ Er öffnete eine weitere Tür und gab den Blick frei auf einen ebenfalls zum Garten blickenden Raum, ausgestattet mit Laufband, Trainingsrad, Boxsack und einer mit dünnen Futons gepolsterten Ecke. An einer Wand hingen Bambusschwerter. Anzu fragte sich, wer hier wohl trainierte, aber sie hatte den Verdacht, dass es nicht Mokuba war. Danach war der erste Stock an der Reihe. „Hier befinden sich so gut wie alle Privaträume der Familie Kaiba.“, erklärte Roland völlig ruhig, als wäre es kein bisschen lächerlich, von den beiden Brüdern als einer ganzen Familie zu reden, als würde die Villa von einem richtigen Clan bewohnt. Aber Anzu dachte nicht daran, ihn darauf hinzuweisen, die beeindruckende Umgebung hielt sie davon ab. Also sprach Roland ungehindert weiter: „Die Treppe, die wir eben heraufgekommen sind, ist die Haupttreppe. Es gibt noch eine weitere am Ende dieses Ganges, aber sie wird nur von den Angestellten benutzt, vor allem von denjenigen, die in der Villa wohnen und im zweiten Stock ihre Zimmer haben – das sind die Haushälterin, zwei Zimmermädchen und der Butler.“ Der Impuls, zu fragen, wofür ein Butler denn nun wirklich gut war, war stark, aber Anzu hielt sich zurück. Trotzdem, sie konnte sich schlecht vorstellen, dass sich einer der Kaiba-Brüder beim Essen alles anreichen liess, also wozu ein Butler? Roland schien ihre Verwirrung zu bemerken und erklärte: „Er kümmert sich hauptsächlich um den Weinkeller und darum, dass die Aussenanlagen richtig betreut werden. Ausserdem organisiert er ab und an kleinere Gesellschaften für Kaiba-samas Geschäftspartner. Wir bezeichnen ihn nur als Butler, in Ermangelung einer besseren Bezeichnung.“ Aha. Weiter gings, den linken Gang hinunter. Einige Gästezimmer besichtigten sie nur flüchtig, dann öffnete Roland kurz eine Tür, hinter der Bücherregale und ein Schreibtisch sichtbar wurden. „Das Arbeitszimmer von Kaiba-sama.“, erklärte er knapp, schloss die Tür aber gleich wieder. „Abgeschlossen ist es selten, aber trotzdem dürfen die Angestellten es nicht ohne Aufforderung betreten, und ich würde Ihnen raten, es genauso zu halten. Wenigstens vorläufig.“ Wenigstens vorläufig? Was dachte er denn, wie lange sie hier leben würde? Doch allerhöchstens ein Jahr! Aber Anzus Stimme schien irgendwie eingerostet, seit sie hier von allen Seiten vom Luxus erdrückt wurde, also antwortete sie wieder nichts. An das Arbeitszimmer schlossen sich ein kleines Fernsehzimmer, das so aussah, als würde es nie benutzt, und Mokubas Zimmer an. Letzteres blieb natürlich geschlossen. Anzu nahm an, dass sie es irgendwann kennen lernen würde, aber so lange war das Mokubas Privatsache. „Bleibt nur noch das Schlafzimmer von Kaiba-sama.“ Roland wies auf die Tür an der Stirnseite des Ganges. „Aber das kann ich Ihnen selbstverständlich nicht zeigen.“ Wieder dieses gut getarnte Schmunzeln. Ging er etwa davon aus, dass sie das Schlafzimmer unbedingt sehen wollte? Na danke. „Natürlich nicht.“ Kühl wandte sich Anzu wieder um und ging den Gang zurück. „Was ist auf der anderen Seite?“ Roland hatte keinerlei Schwierigkeiten, ihr zu folgen. Mit ein paar Schritten, kaum grösser und kein bisschen hastiger als die seiner normalen Gangart, war er wieder neben ihr. „Ein paar weitere unbenutzte Räume, offiziell Gästezimmer, obwohl selten Gäste in die Villa kommen, geschweige denn hier übernachten.“ Inzwischen waren sie an ihrem Ausgangspunkt angelangt und betraten nun den rechten Gang, der etwas kürzer schien als der schier endlose linke. „Ausserdem das Esszimmer.“ Besagtes Zimmer entpuppte sich eher als so etwas wie ein Speisesaal, wobei die eine Hälfte leer war bis auf ein paar Topfpalmen und Gemälde an den Wänden – bestimmt alles Originale. Die andere Hälfte beherbergte einige Kommoden und Vitrinen, durch deren Glas man teures Porzellan- und Silbergeschirr schimmern sah, einen Wandschrank, dessen unterer Teil wohl weiteres Geschirr beherbergte, während der obere als Aufbewahrungsort für diverse Liköre und Spirituosen diente, und einen Esstisch, der in dem riesigen Raum fast winzig aussah. Allerdings war er trotz seines soliden Aussehens eindeutig ausziehbar, und konnte bei Bedarf sicher in eine lange Tafel verwandelt werden. Der blank polierte Boden reizte Anzu, auszuprobieren, ob sie darauf rutschen konnte. Als sie es verstohlen versuchte – sie war davon ausgegangen, dass Roland ihr den Rücken zudrehte –, erntete sie ein Lachen. „Da haben Sie eines der Lieblingshobbies von Mokuba-sama entdeckt.“, lautete der einzige Kommentar. Anzu war froh, dass Roland ihr ihr kindisches Getue nicht weiter übel zu nehmen schien, und folgte ihm schnell, um die beiden Wohnzimmer und noch einige unbewohnte Räume anzuschauen. Huh. Diese Führung war anstrengender gewesen, als sie gedacht hatte. Das hatte wohl auch Roland bemerkt, denn er zeigte ihr nur noch kurz den Weg um die Ecke ins Nebengebäude, wo ihre kleine Wohnung sich befand, und die Treppe, die zu dem kleinen Hintereingang führte, den Anzu und Kaito benutzen würden. Danach liess er sie alleine, in ihren Räumen würde sie sich ja sicherlich selbst zurecht finden. Vorerst jedenfalls hatte sie gar nicht vor, sich gross „zurecht zu finden“, sie wollte sich nur ein bisschen ausruhen. Trotz ihrer Müdigkeit neugierig, öffnete sie die Tür zu ihrer Wohnung – und merkte als erstes, dass Seto sich natürlich nicht an ihre Bitte gehalten hatte, das Herrichten ihr zu überlassen. Die Rolläden waren geöffnet, genau wie die Fensterläden, überall war Staub gewischt und gesaugt worden, und auf dem kleinen Esstisch stand sogar eine Vase mit einem frischen Kirschzweig. Anzu sank auf einen der Stühle und bemerkte die beiden Notizen, die unter der Vase festgeklemmt waren. Die eine war nicht unbedingt kindlich, aber jedenfalls bunt verziert und verkündete: „Hey Anzu! Schön, dass du da bist! Und toll, dass du und Kaito bei uns wohnen wollt. Ich kann dich leider nicht persönlich in Empfang nehmen, Schule. :-( Aber wir werden uns ja noch ein paar mal sehen. Auf gute Nachbarschaft und so Mokuba“ Die zweite Nachricht war nüchterner, in Setos geübter, schlanker Handschrift auf einer schlichten, aber teuer aussehenden weissen Karte verfasst: „Willkommen bei uns, Anzu. Fühl dich wie zu Hause, das gilt natürlich auch für Kaito, wenn er erst einmal hier ist. Richtet euch ein, wie es euch gefällt, wenn ihr irgendwelche Hilfe braucht, stehen Roland und der Butler euch zur Verfügung. Sag nur bitte bescheid, bevor du irgendwelche Wände durchbrechen lässt, ansonsten steht es dir frei, zu tun, was dir gefällt. Grüsse Seto“ Anzu steckte die Karten lächelnd weg, nahm sich aber vor, sie aufzuheben. Man wurde schliesslich nicht überall so nett empfangen. Eine Weile lang blieb sie einfach sitzen und ruhte sich aus, während ihre Gedanken schon damit beschäftigt waren, sich auszumalen, wie die nächsten Wochen wohl werden würden. „Anzu, wann kommen Mama und Papa wieder?“ Hatte sie ihm jemals versprochen, dass das der Fall sein würde? Anzu hoffte nicht, dass sie sich schon jetzt unglaubwürdig gemacht hatte. Aber sie konnte sich eigentlich nicht daran erinnern. „Sie sind tot, oder?“ Autsch. Wer hatte ihm das gesagt? Andererseits wunderte sich Anzu nicht sonderlich, dass Kaito bescheid wusste. Immerhin hatte er auch in diesem Auto gesessen. Sie setzte sich auf eine Bank, an der sie gerade vorbei gekommen waren, und zog ihn neben sich. „Ja, Kaito, das sind sie.“ Er zeigte keine Regung, aber die Spannung in seinem kleinen Körper verdichtete sich und sein Gesichtsausdruck war viel zu ernst für einen Vierjährigen. „Wohne ich jetzt bei dir?“ Komisch, dass er ihr so vertraute. Dabei hatte er sie doch in den letzten Jahren nur dann und wann gesehen. „Ja, das heisst, genau genommen, wohnen wir beide bei einem Freund von mir. Aber keine Angst, wir werden unsere Ruhe haben, und wir werden es uns so schön machen, wie es eben geht.“ In einem schwachen Versuch, ihn zu trösten, zog Anzu Kaito in ihre Arme und er liess es ohne Fragen geschehen. Ein paar Mal spührte sie, wie er schluckte, aber als sie ihn schliesslich wieder losliess, war sein Gesicht genauso trocken und gefasst wie zuvor, keine Träne in Sicht. Tapferer kleiner Mann. „Komm.“ Anzu stand auf und hielt ihm lächelnd die Hand entgegen. „Gehen wir deine Sachen holen. Und dann sehen wir uns unser neues Zuhause an.“ Zufrieden sahen die beiden Bastler sich im Zimmer um. Kaito hatte die meisten seiner Möbel mitgebracht, so dass das Schlafzimmer inzwischen gut ausgestattet war. An der Südwand standen sein Kinderbett und eine Kommode mit seinen Sachen, Anzu hatte das bereits vorhandene Bett und ihr Nachttischchen an die daran anschliessende Wand geschoben, und gegenüber von Kaitos Sachen stand ein Kleiderschrank, der sich ebenfalls schon im Zimmer befunden hatte, zusammen mit einem Regal mit Kaitos Spielsachen. Der Schreibtisch, den ihm sein Vater schon voller Vorfreude auf das erste Schuljahr gekauft hatte, hatte an der vierten Wand Platz gefunden. Aus ein paar langen Vorhängen mit Giraffenmuster war mit Hilfe der vom Butler zur Verfügung gestellten Werkzeuge eine Art Betthimmel geworden, den Kaito zur Not auch schliessen konnte, wenn er alleine sein wollte, und am Kopfende des kleinen Bettes beherbergte ein Wandbord die wichtigsten Kuscheltiere, ein grosses gerahmtes Foto von Kaito und seinen Eltern, und eine Nachttischlampe. Anzus Bilder waren ebenfalls aufgehängt worden, und alles in allem sah der Raum schon sehr wohnlich aus. Draussen war es schon seit einiger Zeit dunkel. „So, ich schlage vor, du gehst jetzt erst mal ins Bett. Und morgen gehen wir zusammen in den Kindergarten, damit du deine Freunde endlich wieder siehst, einverstanden?“ Kaito schien sich auf einmal wieder daran zu erinnern, dass das hier nicht nur ein nettes Spiel mit Anzu war, sondern dass sie wirklich zusammen leben würden. Er sah etwas enttäuscht aus, nickte aber. Also wartete Anzu, bis er sich im Bad die Zähne geputzt und umgezogen hatte, dann setzte sie sich noch eine Weile an sein Bett und löste ihr Versprechen ein, ihm jeden Abend etwas vorzulesen. „Gute Nacht, Kleiner.“ Als sie sich nach kurzem Zögern über ihn beugte und einen Kuss auf seine Stirn drückte, war Kaito zu ihrer Überraschung schon eingeschlafen. Anzu zog die Vorhänge zu und streckte sich. Die Uhr sagte ihr, dass es gerade einmal halb neun war, spät für Kaito, aber sie hatte noch nicht vor, ins Bett zu gehen. Das kleine Ess- und Wohnzimmer kam ihr einsam vor, nachdem sie so lange mit ihren Eltern unter einem Dach gewohnt hatte. Und weil sie auch keine Lust hatte, zu lesen, beschloss Anzu, in den Hauptbau zu gehen und sich das Wohnzimmer genauer anzusehen. Immerhin hätte Roland sie sicherlich nicht herumgeführt, wenn sie sich dort nicht bewegen dürfte. Das Zimmer war nicht leer, wie sie erwartet hatte. Im Schein einer einzelnen Stehlampe sass Seto auf dem Sofa und las. Anzus erster Impuls war, wieder umzukehren und sich doch in ihrer kleinen Wohnung zu verkriechen, aber dann überlegte sie es sich anders und tippte leicht mit den Fingerspitzen gegen den Türrahmen. Das Geräusch war genug, um Seto aufsehen zu lassen. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich fest auf sie zu richten, dann lächelte er, nahm die Füsse vom Sofa und machte eine einladende Geste. Anzu setzte sich ihm gegenüber. „Lass dich nicht von mir stören. Ich hatte nur nichts zu tun und dachte mir... ich weiss nicht. Ich wollte einfach nicht so alleine in der Wohnung sitzen.“ Seto sah nicht so aus, als hätte er auf eine Erklärung gewartet, nahm sie aber dennoch einfach hin. „Willst du was trinken?“ Er griff nach der offenen Weinflasche, die neben seinem Glas auf dem Tisch stand. Sie hob die Schultern. „Warum nicht.“ Geschmeidig erhob sie sich wieder und nahm ein weiteres Glas aus dem Schrank, in dem sie sie hatte glänzen sehen. Schweigend schenkte Seto ihr ein und sie trank ein paar kleine Schlucke, während er seine halb liegende Ruheposition wieder einnahm, nachdem er offensichtlich entschieden hatte, dass sie nichts dagegen haben würde. Das Buch lag inzwischen unbeachtet auf dem Tisch. „Kaito ist hier?“, erkundigte er sich interessiert, aber nicht, als erwartete er irgendetwas anderes. Anzu nickte nur. „Er schläft jetzt. Er war ziemlich müde, nachdem wir den ganzen Nachmittag das Zimmer eingerichtet und seine Sachen verstaut haben.“ Als Seto lächelte, wusste sie nicht so genau, ob sich das auf Kaito bezog oder auf den kleinen Jungen, der Mokuba einmal gewesen war. Jedenfalls kannte Seto die Situation, in der sie jetzt war, ja nur zu gut. Aber Anzu war müde. Sie wollte im Moment nicht darüber philosophieren, wie es war, zu früh und auf seltsamen Wegen Mutter beziehungsweise Vater zu werden. Denn das waren sie ja irgendwie. Jeder für sich genommen. Für Anzu war das Gefühl noch neu, Seto kam damit schon über zehn Jahre lang irgenwie zurecht. Aber auf beiden ruhte die selbe Verantwortung. „Erzähl mir was von der Frau, der meine Wohnung gehört hat.“, forderte sie schliesslich, um die Stille zu brechen. Seto hob überrascht den Kopf. „Masako?“ Er drehte sein Glas zwischen den Fingern und beobachtete, wie das Licht sich in der roten Flüssigkeit brach. „Sie war wohl sowas wie meine Adoptivmutter, aber ich habe sie nie kennen gelernt. Was genau aus ihr geworden ist – ob sie krank war oder sich umgebracht hat, und Gozaburo das nur gut vertuscht hat, weiss ich nicht. Es wäre sogar möglich, dass sie immer noch irgendwo lebt, aber das glaube ich nicht, immerhin hätte sie dann Anspruch auf einen Erbanteil erheben können, nachdem Gozaburo tot war.“ In der Pause, die entstand, während er wieder einen Schluck Wein nahm, richtete Seto seine Augen auf Anzu. „Jedenfalls muss sie irgendwann verschwunden sein, noch bevor Mokuba und ich hier her kamen, aber keiner der Angestellten konnte mir sagen, wann genau oder wie. Alles, was ich weiss, ist dass sie eine Schönheit gewesen sein muss, bevor sie Gozaburo kennen lernte, und dass er sie irgendwie becirct hat, ihn zu heiraten. Ein paar Jahre Ehe, ein Kind, das wars dann auch. Gozaburo wollte immer gern als Gentleman angesehen werden, aber das war er im Privatleben wohl ebenso wenig wie im Geschäftlichen. Und als ihr seine Untreue zu viel wurde, hat sie sich wohl die kleine Wohnung einrichten lassen, in der ihr jetzt wohnt. Es gab ein oder zwei alte Bilder von ihr im Haus, aber entweder die sind mit anderen Sachen auf den Speicher gewandert oder rausgeschmissen worden... ich weiss es nicht.“ Er gähnte leise. „Warum willst du das wissen?“ Ja, warum? Anzu wusste es selbst nicht so genau, sie war einfach neugierig gewesen, also machte sie eine gleichgültige Geste und leerte den Rest, der noch in ihrem Glas war – sie hatte während Setos Erzählung immer wieder kleine Schlucke getrunken. „Komisch, hier zusammen zu sitzen, findest du nicht?“ Aber schön, fügte sie in Gedanken hinzu, obwohl es so anders war als ihre früheren Treffen, sei es vor, während oder nach ihrer Zeit in Amerika. Davor waren sie lose Freunde gewesen, die sich ab und an in der Gruppe irgendwo gesehen hatten, vor allem in der Schule. Sie hatten geredet, gestritten und Anzu hatte Seto heimlich mit verliebten Augen in sich aufgesogen, wenn er nicht hinsah. Während ihrer Treffen in New York waren sie sich wenig näher gewesen, zuerst standen Anzus gebrochenes Herz und Setos Vorsicht zwischen ihnen, dann hatten sie gegenseitig ein sinnloses Spiel mit einander getrieben, gerne Zeit mit einander verbracht, aber nicht mehr. Und danach war Anzu zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihr Leben irgendwie zusammen zu puzzeln, und Seto zu sehr von dem Wunsch besessen, ihr dabei zu helfen, als dass einer sich Gedanken gemacht hätte, was genau sie einander eigentlich waren. Jetzt fragten sie sich beide danach, im Stillen. Und keiner fand so recht eine Antwort. „Eigentlich gibt es ja sogar einen Namen für das, was wir jetzt sind, weisst du.“, erklärte Seto irgendwann in dem halb schroffen Ton, der immer andeutete, dass er unsicher war. Anzu sah ihn verwundert an. „Was soll das für ein Name sein?“ Er schloss die Augen. „Patchworkfamilie.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Where do we go from here? Ich weiss es noch nicht so recht. Obwohl ich so eine vage Vision von vier (vielleicht auch nur drei, mal sehen, wie kooperativ Mokuba ist) Patchworkern in KaibaLand habe und von einem neugierigen Vierjährigen, denn irgendjemand musses ja mal aussprechen, was da zwischen den beiden desillusionierten Ersatzeltern in der Luft knistert. Zu der Sache mit Noahs Mutter bleibt mir nur noch zu sagen: Ich habe schätzungsweise zwei oder drei der Folgen gesehen, in denen es um die kaibasche Vergangenheit ging. Ich weiss nicht mal, ob sie in der Serie überhaupt jemals vorkam, geschweigedenn ihren Namen, wie sie aussieht oder sonstwas. Also wenn jemand irgendwelche Infos oder ein Bild für mich hat – lasst es mich wissen. Und ich modle das Kapitel dann noch mal entsprechend um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)