Was lange währt von Tea_Kaiba (... wird damit noch lange nicht gut - Anzu x Seto) ================================================================================ Kapitel 1: Die Kunst, sich in einer Minute emotional zu ruinieren ----------------------------------------------------------------- „Hey. Du bist ja doch gekommen.“ Zweifellos die überflüssigste Begrüßung aller Zeiten. Natürlich war er gekommen, sonst stände er wohl kaum hier und würde sich den Schnee vom Mantel klopfen. „Mokuba hat mir wiederholt versichert, dass ich nicht genügend Freunde habe, um einen davon ohne Abschiedsparty gehen zu lassen.“ Wobei er selbst die Version bevorzugte, in der er einfach nichts Besseres zu tun hatte und wenigstens einmal im Leben so einer Einladung nachkommen konnte. Immerhin hatten sie inzwischen alle ihren Abschluss und es würden nicht mehr viele Gelegenheiten kommen. „Wie auch immer. Schön, dass du da bist.“ Das war neu. Keine halb spöttische, halb gut gelaunte Antwort, keine schnippische Frechheit? Anscheinend schlug sogar Anzu der bevorstehende Abschied von Domino zu Gemüte, wenn sie nicht einmal für ihn eine schlagfertige Parade auf Lager hatte. Es konnte ja schlecht sein, dass die Stimmung allgemein so schlecht war und er sich hier deshalb kaum entspannter fühlen wollte als in seinem Arbeitszimmer – eher im Gegenteil –, schliesslich schienen sich alle Anderen wunderbar zu amüsieren. Also blieb es wohl einfach bei der Tatsache, dass Seto Kaiba nicht für Parties geschaffen war. Vielleicht noch weniger, als sich in diesem Raum kaum mehr als zehn von bestimmt fünfzig Personen befanden, die er kannte – wenn es darum ging, wie viele er davon auch leiden konnte, reduzierte sich die Zahl auf nicht mehr als drei. Kein Wunder also, dass er sich schon nach der ersten Viertelstunde allein in einer Sofaecke wiedergefunden hatte. „Warum kommst du nicht zu uns? Wir könnten noch Verstärkung brauchen.“ Er schnaubte. War es nicht genug, dass diese Frau ihn dazu gebracht hatte, mit seinen Prinzipien zu brechen und auf einer (post-)High School Party zu erscheinen? Öffentlich blamieren würde er sich nun nicht auch noch nicht einmal – Korrektur, ganz besonders nicht – für Anzu Mazaki. „Beim Singstar? Nein, danke. Da ziehe ich das hier doch vor.“ Ein Wunder, dass sie nicht protestierte. Das war doch sonst eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Stattdessen liess sie sich nur neben ihn fallen und schnappte sich eine Schüssel Popcorn vom Tisch nebenan. „Gut, dann leiste ich dir eben Gesellschaft. Singen werde ich wohl noch genug können in den nächsten Monaten.“ Ach ja. Hatte er das verdrängt, oder warum musste er sich jetzt unsanft daran erinnern lassen, dass Anzu morgen ins Flugzeug nach Amerika steigen würde, um eine Schauspielausbildung anzufangen, die sie zu einem nicht unerheblichen Teil mit den Ersparnissen aus jahrelangen Ferienjobs in seiner Firma finanzieren würde? Ach was, unsanft. Er konnte sich eben auch nicht jedes unwichtige Detail merken, das war alles. „War das alles, was du wolltest?“ Sie hasste den kurzen Moment, in dem ihr Herz bei dieser wie üblich gelangweilt-spöttischen Frage aussetzte. Himmel, es war doch nicht so schwer, jetzt endlich zu sagen, was ihr schon seit Wochen auf der Zunge brannte, immerhin war sie nicht zum ersten Mal verliebt. Und sie konnte sich doch sicher sein, dass er sie auch irgendwie mochte, sonst wäre er schliesslich nicht hier. Ausserdem, egal, wie seine Antwort ausfallen würde, wäre sie doch in ein paar Stunden sowieso weg und bräuchte ihn wer weiss wie lange nicht mehr zu sehen, vielleicht nie mehr, es konnte schliesslich keiner erwarten, dass Seto Kaiba sich damit beschäftigte, alte Freundschaften aufrecht zu erhalten. Sie nahm ihren ganyen Mut zusammen und sprudelte in einem Atemzug alles heraus, wofür sie sich doch einmal eine so sorgfältige Rede zurecht gelegt hatte. „Nein ich dachte eigentlich, es wäre besser, dir noch zu sagen, dass du mir viel bedeutest, bevor ich gehe. Ich denke, ich habe mich in dich verliebt.“ Was für eine Art Geständnis war DAS denn nun gewesen? Hatte man jemals schon so etwas Ungeschicktes und Unromantisches gehört? Ausserdem hatte sie es so schnell gesagt, dass es ein wahres Wunder der Anatomie war, wie in der kurzen Zeit ihre Wangen so heiss hatten werden können. Komm schon, das kannst du besser. Warum bitte war er jetzt enttäuscht? Es konnte ihm doch im Grunde egal sein, nach welcher Ansage er sie abblitzen lassen musste. Und irgendwie hatte er doch gewusst, dass das hatte kommen müssen. Verliebt. Lächerlich. Wo sie doch genau wusste, dass er damit nichts zu tun haben wollte. Und selbst wenn, wäre er dann so verrückt, sein Herz ausgerechnet auf ein Mädchen zu setzen, das im Stande war, nach New York abzuhauen? Wer konnte da schon wissen, was als nächstes kam? Und wenn er überhaupt an irgendeine Art von Liebe glaubte, dann an eine, die mit Vertrauen und Verlässlichkeit zu tun hatte. Nicht mit einem Flug um die halbe Welt. Warum brauchte er dann jetzt so lange, um zu antworten? Weil er sie aus irgendeinem bescheuerten Grund mochte, freundschaftlich, versteht sich, und nicht lächerlich machen wollte, wie er das mit jeder anderen „Verehrerin“ getan hätte. „Schön, aber wir wissen doch beide, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, oder?“ brachte er schliesslich hervor, sensibel wie immer. Diesmal allerdings fiel ihm selbst auf, dass der Ton hier nicht ganz angebracht gewesen war, also schob er etwas ungeschickt hinterher: „Im Übrigen will ich ja nicht daran Schuld sein, wenn du dir deine Karriere durch eine komplizierte Fernbeziehung zu nichte machst.“ Das war nun offensichtlich nicht das gewesen, was Anzu irgendwie getröstet hätte, denn sie schenkte ihm nur ein verrutschtes Grinsen und stand auf. „Ähm... gut, das stimmt wahrscheinlich. Amüsier dich noch schön und... machs gut und so. Ich denke nicht, dass wir uns noch mal sehen.“ Tapfer war sie ja, das musste er ihr lassen. Und sie konnte wirklich absolut nichts dafür, dass er so wenig Talent dafür hatte, eine unangenehme Tatsache in angenehme Worte zu kleiden. Seto liess also stumm ihre Umarmung über sich ergehen, von der er sich wahrscheinlich nicht nur einbildete, dass sie einen Tick länger dauerte als die, die ihre restlichen Freunde morgen am Flughafen bekommen würden, und sah ihr dann hinterher, wie sie den Raum durchqueerte, um einen federnten Schritt bemüht, der allerdings nicht so ganz gelingen wollte. „Noch was zu trinken, irgendjemand?“ Jedes andere Mädchen hätte sich an ihrer Stelle – mit gutem Recht – erst mal irgendwo eingeschlossen und die Augen ausgeweint, aber nicht Anzu. Ihr war die Rolle des Cheerleaders schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sich sogar jetzt einfach wieder ihrer Party widmen konnte, ohne irgendjemanden ahnen zu lassen, dass sie grade eine schwere Enttäuschung hatte wegstecken müssen. Einen Moment lang vergass Seto sogar, dass er selbst dafür der Grund gewesen war, und wurde zum bewundernden – und einzigen bewussten – Zuschauer ihrer Darbietung. Schauspielerei lag Anzu im Blut, keine Frage. Und obwohl er früher dafür nur Verachtung übrig gehabt hatte, musste er inzwischen zugeben, dass ihre dauerhafte Fröhlichkeit eine Kunst für sich darstellte. Innerlich hatte sie genauso viele Kämpfe auszufechten wie jeder Andere, aber anstatt das immer offen zu zeigen, oder sich – wie Seto es nur allzu oft tat – hinter einer scheinbaren Gefühllosigkeit zu verstecken, versuchte sie, wenn nötig, die Rolle zu spielen, die ihrer Umwelt am wenigsten weh tat. Ob das für sie selbst immer das Beste war, wagte Seto zu bezweifeln, aber es war ganz bestimmt eine beachtliche Leistung. Kapitel 2: FROM: iheartny@yahoo.com [with love] ----------------------------------------------- FROM: iheartny@yahoo.com TO: juniorpharaoh@yahoo.com; mr_motorcycle@hotmail.com; ghostwriter@hotmail.com; kingofdices@dungeondicemonsters.com; harpies_sister@femaleduelist.jp; se-chan333@kawaii.jp; watchyourdata@yahoo.com; thegreatpretender@hotmail.com; CEOinspe@kc.com; kaiba-seto@kc.com SUBJECT: Endlich angekommen Hey Leute! Ja, ich habs tatsächlich geschafft – ich bin gelandet.  Fliegen ist schrecklich (lacht nicht, ihr zwei Angeber da drüben, nicht jeder hat ein weltumspannendes Unternehmen zu leiten und einen Privatjet zur Verfügung!), aber ich habs ja glücklicher Weise hinter mir. Die Internatsküche ist nicht grade traumhaft, aber ich werd damit leben können - ich bin immerhin in New York, wo es im Notfall tausende von Schnellimbissen gibt! ;) Mein Zimmer teile ich mit einem stillen Wasser namens Alice, die zwar nett ist, aber nicht besonders viel von sich gibt, ich werde also eher nicht in wilde Campusparties verwickelt werden. ^^ Ansonsten kann ich im Moment nichts weiter sagen als: WOW! ICH KANN NICHT GLAUBEN, DASS ICH ENDLICH HIER BIN!!!!!! Lasst bald was von euch hören, ich vermisse euch alle schrecklich. Bis dann Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: juniorpharaoh@yahoo.com TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: RE: Endlich angekommen Hi Anzu, Gut, von dir zu hören. Hoffentlich hast du kein zu grosses Heimweh, aber dazu bleibt dir wahrscheinlich gar keine Zeit, oder? Hier ist alles beim Alten, ausser dass es ein bisschen schwer ist, sich daran zu gewöhnen, dass du auf der anderen Seite des Ozeans wohnst.  Joey und Tris zeigen eindeutige Entzugserscheinungen, seit ihnen dein positiver Einfluss abgeht. Aber erzähl, wie ist New York? Ist alles so, wie dus dir vorgestellt hast? Hast du ausser deiner Mitbewohnerin schon Leute kennen gelernt? Was macht der Unterricht, habt ihr schon angefangen? Hast du schon irgendwas besichtigt? Schreib bald Yugi ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: kaiba-seto@kc.com TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: Werd nicht frech Anzu, Ich werde äusserst ungern Angeber genannt, also spar dir das in Zukunft. Vielleicht möchtest du ja gerne mal meine Arbeit machen, wenn dir das Fliegen so gut gefällt. (Im Übrigen: Schlucken hilft gegen den Druck in den Ohren.) Seltsam, dass du überhaupt noch Zeit hast, Massenmails zu verschicken, wo du doch im Lernstress stecken solltest. Mit freundlichen Grüssen Seto Kaiba c/o Kaiba Corp. 78978 Main Street 6789 Domino Japan Tel.: (00 81) (98 98 9) 56 78 90 Fax: (00 81) (98 98 9) 56 78 91 ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: harpies_sister@femaleduelist.jp TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: RE: Endlich angekommen Anzu, Anzu, Du bist immer noch viel zu brav. Dabei hätte ich wirkich gedacht, dass dir New York ein bisschen Feuer unter dem Hintern macht. Miniröcke sind ja schön und gut, aber wenn du sie weiterhin blos in der Schule trägst, lernst du nie einen Typen kennen, der es wert ist. Also wenn schon keine Collegeparties (sowieso für Kleinkinder), dann such dir gefälligst eine andere Gelegenheit! Ich will dich hier nicht als Jungfrau zurück bekommen, verstanden? Und jetzt weg vom Computer, auf in den Cityjungle! Mai ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: thegreatpretender@hotmail.com TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: RE: Endlich angekommen heyho anzu, grüss die freiheitsstatue und den starbucks deines vertrauens! ich hoffe mal, die amis machen dir nicht zu sehr zu schaffen. hast du wenigstens hübsche mittänzerinnen? immerhin muss mann ja wissen, ob es sich lohnt, dich zu besuchen. in der theorie, nachdem wir in der praxis sowieso alle blank sind. tu nichts, was ich nicht auch tun würde joey ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: iheartny@yahoo.com TO: thegreatpretender@hotmail.com SUBJECT: AW:RE: Endlich angekommen Tja Joey, Den „Starbucks meines Vertrauens” hab ich leider noch nicht gefunden und für die Freiheitsstatue hatte ich bisher echt keine Zeit, aber ich werd bei Gelegenheit dran denken. Die „Amis“ sind fast alle ziemlich nett, naja, Idioten gibts eben überall. Aber hey, es ist mal eine nette Abwechslung, sich nicht ständig verbeugen zu müssen. ;) Obwohl hier alle zu glauben scheinen, dass wir den ganzen Tag nichts anderes tun zu Hause. Das, und Fotos schiessen. Versteht sich. Und spiel dich nicht so auf, du hättest wahrscheinlich nicht mal den Mumm, die Mädchen hier anzumachen, du bekommst ja schon bei Mai alleine weiche Knie. :D Grüsse Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: iheartny@yahoo.com TO: juniorpharaoh@yahoo.com SUBJECT: AW:RE: Endlich angekommen Hi Yugi, Ja, Heimweh ist tatsächlich heftig! Aber ich habe ja zum Glück jede Menge Möglichkeiten, mich abzulenken, und meine neuen Mitschülerinnen sind alle supernett. Kennengelernt habe ich bis jetzt nur die aus meiner „Klasse“ (was ein bisschen relativ ist, weil es hier so viele Einzel- und Gemischtstunden gibt), aber von denen sind mir fast alle sympathisch. Naja, ein paar Zicken finden sich wohl in jeder Gruppe Mädchen. Ob es so ist, wie ichs mir vorgestellt habe? Keine Ahnung, ich glaube, ich hatte überhaupt keine richtige Vorstellung. Bis vor ein paar Wochen konnte ich ja kaum glauben, dass ich wirklich hier her komme. Der Unterricht hat vorgestern angefangen, deshalb hatte ich auch noch nicht viel Zeit, mir irgendwas anzuschauen. Die ersten Tage gingen ja fürs Einziehen und erst mal die nähere Umgebung kennenlernen drauf. Aber ich werde das so bald wie möglich nachholen! Wobei „so bald wie möglich“ ziemlich relativ ist, im Moment bin ich nämlich jeden Nachmittag so müde, dass ich erst mal zwei Stunden schlafe, und dann gibt es ja noch Berge von Hausaufgaben zu erledigen. Aber was beschwere ich mich hier eigentlich, ich bin auf einer der besten Schulen gelandet, die es gibt, und sollte lieber dankbar sein, dass die mich überhaupt aufgenommen haben! Alles Liebe Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: iheartny@yahoo.com TO: harpies_sister@femaleduelist.jp SUBJECT: AW:RE: Endlich angekommen Ach Mai, Mach dir mal keine Sorgen. Ich werde schon noch früh genug erwachsen, obwohl ich irgendwie denke, dass wir darunter nicht das Selbe verstehen. Und von „Typen, die es wert sind“, habe ich erst mal genug, danke vielmals. Grüsse aus NY Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: iheartny@yahoo.com TO: kaiba-seto@kc.com SUBJECT: Welcher normale Mensch schaut bitte auf den Betreff??? Herzallerliebster Seto, Vergiss es, ich werde dich weiterhin nennen, wie es mir passt, und wenn dir das nicht recht ist, musst du dir wohl eine andere e-Mail Adresse zulegen (was schwer sein dürfte bei deiner Phantasie in solchen Dingen, denn auf seto-kaiba@kc.com komme ich grade noch selber). By the way, danke für den Flugtip. Werde ich beim nächsten Mal ausprobieren. Und falls es dich wirklich interessiert, besonders viel Zeit habe ich im Moment echt nicht, aber für meine Freunde ist immer ein bisschen Platz und wenn du dich da nicht dazu rechnen lassen willst, dann tröste dich vielleicht damit, dass ich alle mal ein paar Minuten finde, wenn sogar Mr. Hat-nie-Zeit Kaiba auf meine unwürdigen Zeilen antworten kann. Grüsse Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: CEOinspe@kc.com TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: RE: Endlich angekommen Heeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeey Anzu, Tut mir so leid, dass ich dir erst jetzt antworte. Aber du kennst ja meinen Bruder, an dem Tag, an dem der keine Extraaufgaben mehr für mich hat (man muss mich ja auf meine verantwortungsvolle Aufgabe in der Firma vorbereiten, yak, yak, yak), freundet er sich mit Yugi an. Also nie. :D Das ist so cool, dass du endlich in Amerika bist, ich freu mich für dich. Hoffentlich wird alles so toll, wie du es dir ausgemalt hast! Aber sag rechtzeitig Bescheid, wenn du wieder heimkommst, damit wir unsere Profitänzerin gebührend empfangen können! Grüsse aus Domino Mokuba ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: iheartny@yahoo.com TO: CEOinspe@kc.com SUBJECT: AW:RE: Endlich angekommen :-) Mokuba, Dass ich deinen Bruder kenne, würde ich jetzt nicht grade behaupten, aber ich kanns mir vorstellen. Und bis ich eine Profitänzerin bin, dauert es noch lange, wenn ich es überhaupt jemals so weit schaffe. Aber trotzdem schön, von dir zu hören, bei uns fangen jetzt schon die ersten Prüfungen an, nach zwei Wochen, kannst du dir das vorstellen???? Ich kann also gut nachvollziehen, wies dir mit deinen Bergen von Arbeit geht. Bis bald Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: kaiba-seto@kc.com TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: Dazu ist er da, Mazaki Anzu, Ich fühle mich geehrt, dass du deine kostbare Zeit für mich opferst. Aber dein „herzallerliebster Seto“ bin ich trotzdem nicht. Im Übrigen soll meine Adresse auch gar nicht phantasievoll sein, sondern zweckmässig und seriös. Gestern kam dein kleiner blonder Freund vorbei und wollte unbedingt einen Ferienjob. Wie er es geschafft hat, damit bis in mein Büro durchzukommen, ist mir ein Rätsel, aber hartnäckig ist er ja, das muss ich ihm leider lassen. Vielleicht erklärst du ihm bei Gelegenheit mal, dass man sich für solche Dinge im Allgemeinen an die Personalabteilung wendet, ich bezweifle nämlich, dass er mir zugehört hat. Mit freundlichen Grüssen Seto Kaiba c/o Kaiba Corp. 78978 Main Street 6789 Domino Japan Tel.: (00 81) (98 98 9) 56 78 90 Fax: (00 81) (98 98 9) 56 78 91 ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: iheartny@yahoo.com TO: kaiba-seto@kc.com SUBJECT: Von mir aus Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Kaiba-sama… Aber wie gesagt, wie ich dich nenne, liegt genauso bei mir, wie es bei dir liegt, wie du mich nennst. Und dagegen, was du für mich bist, wirst du leider genauso wenig ausrichten können wie ich. Ich werds Joey bei Gelegenheit ausrichten. Aber ich kann nicht versprechen, dass er sich unter allen Umständen daran hält. Bis bald Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ FROM: kaiba-seto@kc.com TO: iheartny@yahoo.com SUBJECT: RE: Von mir aus Anzu, Komm mir bitte nicht mit solchen sentimentalen Sprüchen, und glaub ja nicht, ich hätte das überlesen, nur weil du es mit so viel Ironie garnierst. Ich kann es nicht ändern, wenn du glaubst, dich verlieben zu müssen, aber ich habe dich nicht darum gebeten. Tut mir leid für dich, wenn das schwer zu begreifen ist, aber du wusstest von Anfang an, dass ich von so etwas nichts hören will. Du tätest gut daran, dich zu entlieben Mit freundlichen Grüssen Seto Kaiba c/o Kaiba Corp. 78978 Main Street 6789 Domino Japan Tel.: (00 81) (98 98 9) 56 78 90 Fax: (00 81) (98 98 9) 56 78 91 ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Soo... das wars dann erst mal mit Anzus privatem Schriftverkehr. :) Ich hoffe, ihr hattet Spass beim Lesen. Nur noch so viel: - Setos Grussformel am Schluss passt mit voller Absicht ueberhaupt nicht zum Inhalt seiner Mails. Ich koennte mir vorstellen, dass er der Typ ist, der sich eine automatische Signatur zulegt und wegen solcher Kleinigkeiten wie privater Mails auch nicht aendert. - Natuerlich waren das nicht die einzigen Mails zwischen Anzu und ihren anderen Freunden. Aber nachdem das hier hauptsaechlich eine Azure-FF sein soll, habe ich mich mal auf kleine Kostproben beschraenkt. :) Kapitel 3: Womit hab ich das verdient? -------------------------------------- Zwei Monate Prüfungsstress... erleichtert ließ sich Anzu auf eine Couch am Rand der Tanzfläche sinken. Das war nun zum Glück vorbei. Die nächsten paar Wochen konnte sie sich ganz nach Belieben aussuchen, wann sie tanzen wollte und wann nicht. So wie jetzt zum Beispiel. Sie brauchte eindeutig eine kurze Pause, beschloss sie, und machte sich auf an die Bar, um sich etwas zu Trinken zu holen. Als sie zurückkam, fand sie ihre Couch besetzt. „Würdest du...“ Etwas Platz machen, hatte sie sagen wollen, brach aber abrupt ab, als sich ihr das wohlbekannte Gesicht von Seto Kaiba zuwandte. „Was zum Henker machst DU denn hier?“ brach es fast entsetzt aus ihr heraus. Wie üblich bekam sie einen ironischen Blick zur Antwort. „Das ist die Begrüßung, die man sich nach fünf Monaten erhofft.“, entgnete er trocken, rutschte aber etwas zur Seite. Anzu liess sich neben ihn fallen. „Sehr witzig. Spiel mir nicht vor, dass du wahnsinnig unter dieser Trennung gelitten hättest. Also noch mal. Was führt dich hier her? Und wie bist du überhaupt reingekommen, ich dachte, die Party wäre nur für geladene Gäste.“ Seto schmunzelte. „Du hast doch nicht wirklich erwartet, dass es für mich ein Problem ist, auch noch kurzfristig auf die Liste zu kommen, oder? Und nachdem ich nunmal gerade geschäftlich in New York bin, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, meinen Abend rumzubringen.“ Anzu schlug verärgert die Beine übereinander und nahm einen Schluck von ihrer „Bloody Mary“. „Und dabei landest du unter 10.000 Parties ausgerechnet auf der, auf der ich gerade bin? Veräppeln kann ich mich selber.“ Seto seufzte genervt. „Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, du bewegst dich inzwschen schon in recht angesehenen Kreisen, also wäre diese Veranstaltung sowieso in meine engere Wahl gekommen. Und natürlich gehe ich lieber irgendwo hin, wo ich schon jemanden kenne.“ Sie verfluchte sich dafür, dass in ihr jetzt diese bescheuerte, sinnlose, völlig unbegründete Hoffnung aufkeimte. Immerhin hatte sie Seto nie ganz aufgegeben. Und es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, auf Parties zu gehen, trotzdem saß er jetzt hier und unterhielt sich seelenruhig mit ihr. Kein halbwegs objektiver Beobachter hätte für solche Spekulationen irgendeine Veranlassung gesehen, aber Anzu hatte ihre Objektivität, wie sie feststellen musste, genauso zu Hause zurückgelassen wie ihr Herz. Das neuerdings wohl von jemandem unwissender Weise im Handgepäck um die halbe Welt transportiert wurde. „Sie mal an.“ Antwortete sie dennoch mit einer Ruhe, die sie selbst überraschte. „Dann schuldest du mir jetzt wenigstens einen Tanz.“ Der Blick, der sie traf, besagte eindeutig, dass sein Verursacher sich das „nur über meine Leiche“ nur verkniff, weil es nicht in seinen offiziellen Wortschatz passte. „Komm schon, stell dich nicht so an.“ Kurz entschlossen packte Anzu Setos Handgelenk und zerrte ihn auf die Tanzfläche, wo er ihr nicht mehr so leicht entkommen konnte – just in dem Moment, in dem der DJ ein neues Lied anspielte. Perfekt. When marimba rhythms start to play Dance with me, make me sway Like a lazy ocean hugs the shore Hold me close, sway me more Genüsslich passte sie sich den Rythmen an, die sie einhüllten. Das war etwas, das sie konnte, wobei sie sich sicher fühlte und das ihr Spass machte. Und obwohl sie die übliche, unpersönliche Tanzhaltung nicht verliess, brachte es sie doch näher an den Mann heran, von dem sie seit Monaten träumte, als sonst irgendetwas bisher. Like a flower bending in the breeze Bend with me, sway with ease When we dance you have a way with me Stay with me, sway with me Other dancers may be on the floor Dear, but my eyes will see only you Only you have the magic technique When we sway I go weak Noch dazu war er ein guter, wenn auch etwas ungeübter Tänzer, wie Anzu erfreut feststellte. Eindeutig hatte Seto irgendwann einmal viel Zeit und Energie darauf verwendet, diese Schritte zu lernen, auch, wenn er dafür vielleicht jetzt keine Nerven mehr hatte. Sie fühlte sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie der Musik folgte. I can hear the sounds of violins Long before it begins Make me thrill as only you know how Sway me smooth– „Das reicht.“ Unsanft wurde sie aus dem Takt und ihrem angenehmen Traum gleichermassen herausgerissen, weil sich Seto von ihr losgemacht hatte. „Einmal und nie wieder.“ Er drehte sich auf dem Absatz um, riss im Gehen seinen Mantel von der Sofalehne und marschierte nach draußen. Ungläubig starrte Anzu ihm nach, während sie sich gleichzeitig unangenehm bewusst war, dass die Augen sämtlicher Anwesender auf ihr ruhten. Offenbar war ihnen jetzt erst aufgegangen, dass sie sich auf der selben Party mit Seto Kaiba befanden – und dass er lange genug da gewesen war, um ihn in eine Situation zu bringen, in der er jemandem einen Korb geben konnte. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Überrascht merkte er, dass der kalte Wind draussen sein Gesicht angenehm abkühlte. War es da drinnen wirklich so heiß gewesen? Seto liess sich verärgert auf den Fahrersitz seines Wagens sinken – auf den Chauffeur hatte er heute ausnahmsweise verzichtet – und startete den Motor. Was dachte sie sich eigentlich dabei, ihn einfach so herumzukommandieren? Nun, das war ja nichts Neues von Anzu. Manchmal fragte er sich, was er überhaupt mit einer Frau zu schaffen hatte, die immer wieder von sich glaubte, das zu dürfen. Aber diesmal war sie eindeutig zu weit gegangen. Er hatte nichts gegen das Tanzen, aber er machte sich auch nichts daraus, also hob er sich das für Gelegenheiten auf, bei denen es sich absolut nicht vermeiden liess. Offizielle Bälle. Vielleicht die eine oder andere Gala, die er nicht umgehen konnte. Das wars dann aber auch. Wenn er sich bei einer so zwanglosen Veranstaltung auf der Tanzfläche zeigte, wäre das für jeden, der irgendwelche Geschichten über ihn verbreiten wollte, ein gefundenes Fressen. Und das Letzte, was er wollte, war, auch noch eine Beziehung mit Anzu Mazaki angedichtet zu bekommen. Er mochte sie ja wirklich, auch wenn er selbst es niemals so ausgedrückt hätte, schon gar nicht laut – aber heute Abend war er hergekommen, um sich nach einem anstrengenden Tag mit einem Gespräch unter – leider liess sich den Ausdruck nicht vermeiden – Freunden zu entspannen. Nicht, um wieder darüber nachdenken zu müssen, wie weit sein Gegenüber wirklich auf Freundschaft aus war, und wo andere Wünsche anfingen. Von Frauen, die sich gern als sein Anhängsel präsentieren würden, hatte er mehr als genug, egal, aus welchen Gründen sie das taten. Dass Anzu es vielleicht ehrlich meinte, wollte er ihr sogar glauben, aber das machte die Sache keinesfalls besser. Im Gegenteil. Eine Frau, die nur an seinem Geld interessiert war, konnte er einfach ignorieren, aber wenn sie ihn wirklich aus irgendeinem uneinsehbaren Grund liebte, würde das nur Schwierigkeiten machen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Womit hatte sie das verdient? War sie wirklich so abstossend, dass er mitten im Tanz vor ihr flüchten musste? Anzu schluckte ihre Tränen herunter und zog die Zimmertür hinter sich zu. Alice war glücklicher Weise noch unterwegs – sie tat momentan ihr Bestes, um ihr „girl next door“-Image abzulegen –, sodass Anzu wenigstens allein war mit ihrem Kummer. Fragen hätte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen können, und wenn sie noch so gut gemeint waren. In einem Anflug von Wut riss sie das Haarband herunter, das bisher ihren Pferdeschwanz gehalten hatte, und pfefferte es in die Ecke. Verdammt, sie hatte sich doch nicht ausgesucht, sich ausgerechnet in Seto zu verlieben. Wer würde das schon, wenn sie mal ehrlich war? Natürlich konnte sie jetzt tausdende von Gründen anführen, warum er es wert war, und seine Berühmtheit und sein Bankkonto ständen ganz bestimmt erst am unteren Ende der Liste, aber wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie ihm bestimmt nicht ihr Herz anvertraut. Kaum hatte sie sich auf ihrem Bett niedergelassen, brachen sich die Tränen auch schon wieder Bahn. Hatte sie nicht wirklich angestrengt genug versucht, ihn von ihrem Wert zu überzeugen? Immerhin war sie, soweit sie wusste, die Einzige außer Mokuba, der er sich ab und zu anvertraute. Sie hatte ihm deutlich genug zu verstehen gegeben, dass sie ihn sehr schätzte, ohne ihm dabei aber in den Hintern zu kriechen, wie das andere Leute so gerne taten. Gut, sie hatten sich gestritten, aber hatte sie wirklich so verdammt falsch gelegen, wenn sie gedacht hatte, dass er dabei auch irgendwie seinen Spaß gehabt hatte? Sie jedenfalls hatte es meistens genossen, ein Gegenüber zu haben, das ihr ebenbürtig war und genauso schlagfertig antwortete, anstatt sich in Beleidigungen zu retten. Und nicht zuletzt hatte sie doch ihre Liebe monatelang aufrecht erhalten, obwohl er ihr kein Zeichen der Zuneigung gegeben hatte, und obwohl die Möglichkeiten, sich mit einem anderen Mann einzulassen, zahlreich genug gewesen waren. Anzu war nicht so dumm, das als ihren Verdienst darzustellen. Selbst wenn sie gewollt hätte, wäre sie kaum im Stande gewesen, sich einfach neu zu verlieben. Aber war ihr Durchhaltevermögen denn nicht einmal genug, um ihr etwas Respekt einzutragen? Einen einzigen Tanz zu rechtfertigen? Sie hatte doch nichts von ihm verlangt, außer diesen paar Minuten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Er hatte keine Ahnung, ob es eine gute Idee war, jetzt bei ihr zu klingeln. Immerhin war ihr letztes Treffen vor zwei Monaten nicht eben positiv verlaufen und die e-Mails hatten ungewohnt distanziert geklungen. Aber jetzt war er schonmal hier und konnte es genauso gut ausprobieren. Setos Hand zögerte trotzdem noch kurz vor der Klingel. Himmel, hatte er jetzt etwa schon Angst vor Anzu? Was konnte denn schon groß passieren, außer, dass sie immer noch sauer war und ihn rausschmeissen würde? Was natürlich unangenehm wäre, aber sie würde sich schon wieder beruhigen. Hoffte er zumindest, obwohl ihm selbst nicht so ganz klar war, warum ihm so viel daran lag. Aber sie war immer noch die einzige Frau in seiner Altersgruppe, mit der er ein vernünftiges Gespräch führen konnte, und das war die Anstrengung ja wohl wert. Entschlossen drückte er auf den Klingelknopf. Und wurde von einer verheulten Blondine empfangen, die ihn anstarrte, als hätte sie ein UFO vor sich. „Wer sind Sie?“ schluchzte sie und schaffte es dabei noch, ausgesprochen unhöflich zu klingen. War das etwa Anzus Mitbewohnerin? Sie schien ja nicht gerade ein Ausbund an Fröhlichkeit zu sein. „Guten Tag.“ Brachte er kühl hervor. „Ich möchte zu Anzu, ist sie da?“ Das Mädchen vor ihm schien kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen. „Ja... natürlich," murmelte sie aber nur und rief dann über die Schulter: „Anzu! Du hast Besuch!“, bevor sie Seto kommentarlos stehen liess und nach drinnen verschwand. „Wer- Oh.“ Anzu brach ihre Frage mitten im Satz ab, als sie aus der Küche kam und sich Seto gegenüber fand. „Du schon wieder,“ begrüßte sie ihn, klang dabei aber weit weniger abweisend als offenbar beabsichtigt. Das gelang beim zweiten Versuch schon besser. „Was willst du hier?“ „Dich besuchen, wenn ich schon mal in der Gegend bin,“ antwortete er schlicht. „In der Gegend?“ Anzu warf stirnrunzelnd das schaumtriefende Geschirrtuch auf die Anrichte, das sie eben noch in der Hand gehalten hatte. „Wie oft bist du denn noch so „in der Gegend“? Ist ja auch nur einmal um die Welt.“ Großartig. Auf diese Diskussion hatte er nun wirklich absolut keine Lust. Konnte sie sich nicht einfach freuen, wenn sie Besuch bekam? War an diesem Mädchen überhaupt irgendetwas normal? Genervt drehte er sich wieder zur Tür. „Also, falls du Lust hast, dich mit mir zu unterhalten, warte ich unten im Wagen. Wenn du weiterhin nur spitzfindige Fragen stellen willst, dafür habe ich Angestellte, die haben den Vorteil, dass sie sich feuern lassen.“ Zu aufgetakelt... zu normal... zu bunt... zu langweilig... zu trist... zu edel... Selbst Anzus in New York neu aufgestockter Kleiderschrank konnte dem „Ich hab nichts anzuziehen“-Syndrom anscheinend nicht mehr standhalten, sobald Seto vor der Tür stand. Als würde ihn überhaupt interessieren, was sie trug. Aber immerhin konnte sie jetzt auch nicht in ihren normalen Alltagsklamotten auftauchen, wer wusste schon, wohin er sie mitnehmen wollte? Nun, bestimmt nicht zum Candlelight-Dinner, es sei denn, er hatte seine Meinung über sie seit dem letzten Mal gravierend geändert, und das hätte er wohl kundgetan. Schliesslich entschied sie sich für knallenge Jeans und ein smaragdgrünes Oberteil mit goldenem Muster und lief, kaum fertig angezogen, schnellstens nach unten in der Hoffnung, dass Seto nicht schon wieder weg war. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Er war sehr zufrieden mit seiner Wahl. In dieser Atmosphäre konnte sie unmöglich auf den Gedanken kommen, er hätte es irgendwie romantisch haben wollen. Die Bar, in der sie jetzt saßen, war futuristisch eingerichtet, silbergraue Möbel, fuchsiafarbige Bezüge und mosaikartige Beleuchtung aus tausenden von winzigen Deckenstrahlern. „Wie kommst du mit deinem Unterricht voran?“ fragte er harmlos, und was mehr heißen wollte, wirklich interessiert. Er selbst hielt zwar nicht viel vom Tanzen, aber es war offensichtlich ihre Leidenschaft und ein großes Talent von ihr. Anzu allerdings schien seine Frage falsch zu verstehen. „Sehr witzig,“ fauchte sie. „Ganz so schlimm war es dann auch nicht, ich bin dir wenigstens nicht auf die Zehen getreten.“ Wie bitte? Er brauchte eine ganze Weile, bis er begriff, worauf sie anspielte. Konnte sie das nicht einfach mal vergessen? Frauen waren ja so unglaublich nachtragend. Diese spezielle jedenfalls. Nicht, dass er sonst mit besonders vielen zu tun hätte. „Anzu, das ist zwei Monate her. Also tu nicht immer noch so, als hätte ich dir eine unaussprechliche Grausamkeit angetan!“ Ihr Gesichtsausdruck besagte eindeutig, dass er das in ihren Augen hatte. „Ach ja? Für dich sind zwei Monate vielleicht Zeit genug, um das vergeben und vergessen zu können, aber du bekommst es auch nicht jeden Tag unter die Nase gerieben. Meine Kollegen finden es ausgesprochen witzig, dass ich zwar laufend gute Noten im Einzeltanz bekomme, aber mich offensichtlich sonst so ungeschickt anstelle, dass mein Tanzpartner mitten im Song geschockt davonrennt!“ Anscheinend hatte sie noch immer nicht verstanden, worum es ihm ging. „Deine Kollegen haben offensichtlich nichts zu tun, wenn sie sich mit so einem Schwachsinn abgeben. Und es ging mir gar nicht um deinen Tanzstil, ich glaube nicht, dass ich es da besser hätte treffen können.“ Das war ihm jetzt herausgerutscht. Verdammt, musste er ihr auch noch Komplimente machen? Das hatte sie zu seinem Glück allerdings gar nicht bemerkt. Dafür schien sie jetzt kurz davor, in Tränen auszubrechen, ein Anblick, den Anzu sonst nur selten bot. Eines der Dinge, die er an ihr schätzte. Sie war nicht wehleidig. Meistens. „Warum bist du dann bitteschön einfach davon gerannt?“ fragte sie mit zitternder Stimme. „Ganz so abstoßend kann ich doch auch nicht sein, oder?“ Hatte er das etwa je behauptet? „Ich wollte nur nicht, dass du dir irgendwelche Hoffnungen machst! Du weisst genau, dass ich niemand bin, der sich jemals irgendwie binden wird, aber das willst du wohl nicht wahrhaben!“ Kapitel 4: 1001 Nacht --------------------- Diese Nacht ist nicht für Diebe, Die mir das Vertrauen stehlen. Und nicht für die falschen Lieben Die mir auf die Nerven gehen. Diese Nacht ist nicht für Weiber, Die so tun als ob, und dann …. Nicht für merklich schlechte Heuchler, die man darmwärts spüren kann. Diese Nacht gehört den Echten ehrlich angenehmen Den im Zweifel noch Gerechten, die mich in mir sehen. Hinter mir stehen. Hebt die Gläser, singt mit mir Ein Hoch auf die Besten, jetzt und hier. Heute ist 1001 Nacht Eine so ganz für uns gemacht. Diese Nacht ist nicht für Feige, die mir in den Rücken fallen. Und auch nicht für selber Schlaue, die auch nüchtern Blödsinn lallen. Diese Nacht gehört den Guten, den verwandten Seelen, die so menschlich schwitzen, bluten, die mich in mir sehen. Und bei mir stehn. Hebt die Gläser, singt mit mir Ein Hoch auf die Besten, jetzt und hier. Heute ist 1001 Nacht Eine so ganz für uns gemacht. Für Peter Laßkrachen und Danny Machlos Für Uli Lassleben und Kiki Famos Für Conny Verrückt und vom Leben verzückt Für alle, die diese Nacht auf die bessere Art beglückt. ("1001 Nacht" by PUR) Zuhause. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie süß diese Worte schmeckten, wenn man erst mal zwei ganze Jahre weg gewesen war. Früher hatte Anzu nur weg gewollt, in die Stadt ihrer Träume, um den Beruf ihrer Träume zu lernen. Inzwischen hatte sie gemerkt, dass solche Träume auch jede Menge Schweiß und Tränen kosten konnten, aber sie würde ihre Entscheidung dennoch nicht rückgängig machen, selbst wenn sie es könnte. Trotzdem war es einfach pure Entspannung, wieder in einer Stadt zu sein, in der sie jede Telefonzelle kannte und blind durch die Gegend rennen konnte, ohne sich einmal zu verlaufen. Und sogar die Dominoer Rush Hour war weniger nervenaufreibend, wenn man das New Yorker Gegenstück kannte. Das Beste aber war, dass niemand eine Ahnung hatte von ihrer Rückkehr, ausser ihren Eltern, die versprochen hatten, das Geheimnis nicht zu verraten. Mit kindischer Freude achtete sie darauf, dass auch wirklich niemand, den sie kannte, sie sah, während sie die letzten Vorbereitungen für die geplante Party am Abend traf und noch einige Dinge einkaufte. Hoffentlich waren alle zu Hause, die sie einladen wollte, das machte ihr etwas zu schaffen. Aber was sollten sie schon vorhaben an einem ganz normalen Samstagabend? Wenn Joey, Tris und Duke schon andere Pläne hatten, konnten die wohl hoffentlich dahinter zurückstehen. „Anzu!“ Es war also wirklich nichts durchgesickert. Jedem Anderen hätte sie zugetraut, dass er ihr zuliebe überrascht tat, aber Mokubas Augen leuchteten eindeutig in echter Überraschung. „Hey Kleiner.“ Und Wunder über Wunder, er liess es sich gefallen, dass sie ihn so nannte und dann auch noch knuddelte wie früher. Dabei war er inzwischen 16. Aber Mokuba würde eben irgendwie immer ihr „Kleiner“ bleiben. „Komm rein, los, seit wann bist du wieder hier?“ Wie immer, er redete wie ein Wasserfall, wenn er sich über etwas freute. „Seit heute.“ Erwiederte sie und trat zögernd in die Eingangshalle. „Ist dein Bruder nicht da?“ Mokuba sah genervt und etwas enttäuscht aus. „Er ist arbeiten, wie immer. Aber ich kann ihn gerne anrufen, wenn dir meine Gesellschaft nicht ausreicht. Ich bezweifle allerdings, dass er jetzt nach Hause kommt.“ Anzu schüttelte den Kopf. „Gut, das wollte ich nämlich auch gar nicht. Hör zu, ich will die Anderen überraschen, es weiss ausser dir und meinen Eltern noch keiner, dass ich wieder daheim bin. Kannst du sie nicht alle für heute Abend einladen und ihnen nur sagen, dass du eine Überraschung für sie hast? Das muss leider schon sein, sonst denken die Jungs noch, sie brauchen nicht zu kommen.“ Unter der wie eh und je zerzausten Wuschelfrisur erschien ein Grinsen. „Klar, wird gemacht. Gibts sonst noch irgendwas, wobei ich dir helfen kann?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das ist lieb gemeint, aber ich habe eigentlich schon alles. Das ist die Adresse, wo wir feiern werden.“ Anzu reichte Mokuba einen Zettel mit den Daten. „Du, ich muss los, wir sehen uns heute Abend, ja?“ Nervös musterte sich Anzu im Spiegel, es musste inzwischen schon mindestens das siebte Mal sein. Himmel, warum machte sie sich auch so viele Gedanken darüber, was sie anziehen sollte, es war doch nur eine kleine Party mit ihren Freunden. Die würden nun wirklich an Anderem interessiert sein als der Mode, die sie aus den USA importiert hatte. Nicht umsonst waren sie schliesslich fast alle Jungs. Trotzdem, so ein Wiedersehen erforderte auch ein bisschen Vorbereitung, versuchte sie sich zu rechtfertigen, und dazu gehörte ja wohl auch, dass der erste Eindruck, den sie erweckte, mit dem übereinstimmte, den sie hinterlassen wollte. Ein letztes Mal zupfte sie ihre geringelte Bluse zurecht und strich den Rock glatt, in dem sie fast aussah, als hätte sie wieder ihre alte Schuluniform angezogen. Dann rannte sie nach unten, um zum zehnten Mal den Nudelsalat abzuschmecken und zu sehen, ob auch wirklich genug Cola da war. //Das ist eindeutig nicht gesund, wie ich mich hier anstelle.// bescheinigte sie sich selbst, konnte aber nichts anderes gegen ihre Aufregung tun, als die Sachen ins Auto zu tragen und ihre Mutter daran zu erinnern, dass sie versprochen hatte, sie zum Partykeller der Tanzschule zu fahren, den sie als ehemaliges Mitglied für diese Nacht bekommen hatte. Gewisse Dinge blieben eben auf der Strecke, wenn man sein ganzes Erspartes in die Ausbildung steckte. Der Führerschein, zum Beispiel. Nun, den konnte sie immer noch machen. Schliesslich – und der Gedanke war noch immer so neu, dass sie davon ganz kribbelig wurde – hatte sie jetzt einen Job und würde bald Geld verdienen, nicht viel zwar, vorerst, aber wenigstens richtig, nicht nur in den Ferien. „Ich sehe was, was du nicht siehst...“ Anzu fuhr auf, als sich von hinten zwei Hände über ihre Augen legten. „JUSTIN!“ „Derselbe.“ Der Amerikaner grinste ihr zu. „Ich dachte, ich nehme vielleicht doch den früheren Flug, damit ich dir noch ein bisschen helfen kann. Ist dir doch recht, oder?“ Anzu strahlte ihn an. „Klar. Kannst du schon mal die Flaschen in den Kühlschrank räumen, bitte? Ich muss das hier noch alles aufstellen.“ Sie wies auf die Trillionen von Schüsseln, die sich um sie herum auf dem Boden gruppierten und das Laufen im Moment etwas erschwerten. „Meine Güte, wie viele Leute hast du denn eingeladen? Ich dachte, du hast von einer Party mit deinen engsten Freunden gesprochen.“ Anzu seufzte. „Ja, schon, aber du kennst den Appetit von Joey und Tristan nicht. Ausserdem will ich doch, dass alles perfekt ist. Ich hab sie so lange nicht gesehen...“ Und das war schwerer gewesen, als sie zugeben wollte, obwohl sie von Anfang an gewusst hatte, dass die Trennung von ihren Leuten ihr schwer fallen würde. Kopfschüttelnd stieg Justin über Chicken Wings und Kartoffelsalat – beides zum Glück noch abgedeckt – und kämpfte sich zum Kühlschrank durch. „Das ist ja schön und gut, aber glaubst du nicht, dass sie kommen, um dich zu sehen, nicht um zu essen?“ „Ich hoffe es ja. Aber sie sollen doch auch nicht vom Fleisch fallen.“ Er gab es auf. Mit Anzu war heute nicht zu diskutieren. Der erste, der ankam, war Yugi. Und wie immer suchte er zuerst den Fehler bei sich selbst, als ihm ein Fremder die Tür öffnete. „Oh, Entschuldigung. Ich glaube, ich habe mich in der Adresse geirrt.“ Erklärte er peinlich berührt und starrte abwechselnd auf Justin, die Hausnummer, und die Adresse, die er sich aufgeschrieben hatte. „Das kommt darauf an, zu wem Sie wollen.“ Grinste der Grössere und fragte sich im Stillen, warum ihm Anzu nie erzählt hatte, dass ihre Freunde Punker waren. „Oh, Justin, halt die Klappe.“ Energisch schob Anzu ihn zur Seite und drängte sich zur Tür durch. „Yugi! Hey! Schön, dich zu sehen!“ Der Angesprochene starrte sie nur perplex an. „Anzu...?“ dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Mensch, warum hast du uns nicht gesagt, dass du heimkommst?“ Seine Freundin lachte und drückte ihn stürmisch an sich. „Dann wärs ja keine Überraschung mehr gewesen, oder? Jetzt komm rein, los. Das ist übrigens Justin.“ „Der sich jetzt noch mal verabschiedet, du hast nämlich vergessen, neue Glühbirnen zu kaufen, und ich bezweifle, dass die hier es noch lange macht.“ Justin warf sich seine Jacke über. „Um die Ecke ist doch ein Supermarkt, oder?“ Zustimmendes Nicken von den beiden Einheimischen. „Ist gut.“ Antwortete Anzu. „Bis später!“ Sie führte Yugi vorbei an alten Urkunden und eingestaubten Pokalen, von deinen zwei oder drei auch noch ihren Namen trugen, in den Partykeller. „Weisst du, ob die Anderen kommen?“ erkundigte sie sich beiläufig. Yugi zuckte ratlos die Schultern. „Ich weiss nicht. Du kennst die Jungs ja. Sie haben sich beschwert, dass eine Party, die Mokuba organisiert, ja nur für Kleinkinder sein kann. Aber ich glaube doch, dass sie noch auftauchen. Serenity wird Joey mitschleppen und dann kommen die anderen auch, vermutlich.“ Sie waren gekommen. Alle. In einer ruhigen Minute liess Anzu ihren Blick durch den Raum schweifen und lächelte zufrieden. Duke gab einmal mehr seine uralten Würfeltricks zum Besten, die inzwischen niemanden mehr beeindruckten, mit Ausnahme vielleicht von Serenity. Tristan klärte in einem echten „Männergespräch“ Yugi darüber auf, dass es noch mehr gab, wofür er sich interessieren sollte, als Kartenspiele und uralte Puzzles, woraufhin der nur rot anlief und Anzus Blick auswich. Mokuba hatte die Musikanlage entdeckt und probierte jetzt sämtliche CDs durch, die er zum Leidwesen seines Bruders von Zuhause mitgebracht hatte. Ja, und sogar Seto war da, auch wenn er sich im Moment nur damit beschäftigte, sich einmal mehr mit Joey zu kabbeln – sie hatte schon längst aus den Augen verloren, worum es dabei ging. Hinter ihr öffnete sich die Tür und Justin schob sich herein. „Hey. Hast du dich verlaufen?“ erkundigte sie sich lächelnd. Er zog eine Grimasse. „Das nicht, aber ich konnte die Glühbirnen nicht finden. Und nachdem ich nicht wusste, was „Glühbirne“ auf Japanisch heisst, und die hilfsbereite Dame an der Kasse kaum ein Wort Englisch verstanden hat... na, es hat eben eine Weile gedauert.“ Lächelnd schüttelte Anzu den Kopf. „Hättest du doch angerufen.“ Sie wandte sich zu ihren Freunden um und machte Mokuba ein Zeichen, dass er die Musik mal einen Augenblick abdrehen sollte. „Leute, ich möchte euch jemanden vorstellen.“ Erklärte sie dann. „Das ist Justin, mein neuer Chef und ausserdem mein Freund.“ Das erste, was er realisierte, war wie der nervige blonde Wuschelkopf vor ihm herumfuhr und Anzu anstarrte. Was hatte sie gesagt? Ja, ihr Freund. War „Freund“ nicht sowieso Anzus Lieblingswort? Der Arm, der sich jetzt um ihre Hüfte legte, liess allerdings keinen Zweifel daran zu, wie es in diesem Fall zu interpretieren war. Und noch während er das dachte, ärgerte sich Seto, das er überhaupt darüber nachgrübelte. Was ging es ihn schon an, wenn Anzu endlich gelernt hatte, dass sie von ihm nichts zu erwarten hatte? Dann war es ihm vielleicht auch endlich wieder möglich, mit ihr in einem Raum zu sein, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Überrascht merkte er, dass seine Hand offenbar schon einige Zeit zur Faust geballt war und langsam zu schmerzen begann. Was war das überhaupt für eine Art, jemanden vorzustellen? „Mein Chef und ausserdem mein Freund“? Sollte ihr das Letzte nicht wichtiger sein? Vor allem, da sie ihn doch ihren Freunden vorgestellt hatte? Und Chef... so wie dieser Typ aussah, war es ihm durchaus zuzutrauen, dass er als Zuhälter fungierte. Halt. Jetzt hatte er es eindeutig zu weit getrieben. Er mochte ja einiges von Anzu denken, aber nicht das. Noch nicht. Anzus restliche Freunde interessierten sich indes für etwas ganz anderes. „Dein Chef? Als was arbeitest du denn?“ erkundigte sich Duke völlig perplex, als wäre es die seltsamste Vorstellung seit langem für ihn, dass jemand nach dem Studium anfing zu arbeiten. „Ich bin in eine Akrobatiktruppe eingestiegen.“ Erklärte Anzu fröhlich, obwohl sie sich insgeheim etwas davor fürchtete, was ihre Freunde dazu sagen mochten. „Du bist zum Zirkus gegangen???“ Da war es schon, das Vorurteil, mit dem sie gerechnet hatte. „Nicht zum Zirkus. Die Gruppe macht Akrobatik und Tanz, also genau das, worauf ich im Studium meinen Schwerpunkt gesetzt habe. Warum soll ich nicht damit anfangen? Es macht Spass, und es ist ein guter erster Schritt. Ausserdem trainiert Justin meine Gruppe und wir können jede Menge Zeit miteinander verbringen.“ „Nun sag schon. Wie ist er?“ Mai drapierte schwungvoll ihre Beine auf der Sofalehne und sah Anzu gespannt an. Die fing ihren Blick auf, der noch immer an Justins athletischen Gliedmassen hing. „Oh, er kann das Kamasutra auswendig und beschert mir fünfundzwanzig Orgasmen jede Nacht.“ antwortete sie in einem Ton, als habe Mai sie gefragt, wie denn ihr Flug gewesen war. Die fing die Ironie in ihrer Stimme sehr wohl auf, ging aber nicht darauf ein. „Gut. Dann bist du ja endlich in die richtigen Hände geraten.“ Anzu verdrehte genervt die Augen. „Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass es andere Gründe gibt, Zeit mit einem Mann zu verbringen, als spektakulären Sex?“ Die Blonde warf ihre Mähne zurück und kippte sich den Rest was-auch-immer aus ihrem Cocktailglas zwischen die korallenroten Lippen. „Schon. Aber offen gestanden, haben sie mich nicht besonders überzeugt.“ Sie schickte düstere Blicke durch den Raum in Richtung der Stelle, wo sich Joey und Duke gerade ein heisses Duell am Kickertisch lieferten. „Entweder sie sind Kinder oder Schweine.“ Anzu hatte sich erhoben und hörte eigentlich schon gar nicht mehr zu. Sie war gerne bereit, sich Mais Wehwehchen anzuhören, aber nicht in diesem Ton, der schon verräterisch unsicher klang. Vielleicht konnte Alkoholgenuss auch zu eingebildetem Liebeskummer führen, wer wusste das schon so genau? Erstaunt fuhr sie herum, als ihr rechter Arm mit einem energischen Ruck nach hinten gezerrt wurde. „Was soll das, Seto? Was immer du mir zu sagen hast, hätte das nicht draussen stattfinden können?“ Anzu starrte ihn aufgebracht an, und im Stillen musste er ihr Recht geben, es war wirklich nicht gerade sein Stil, ein Mädchen einfach so mit sich zu zerren und sich mit ihr auf der Toilette einzuschliessen. Schon gar nicht, wenn sie einen Freund hatte. „Liebst du ihn?“ Das war nun auch nicht unbedingt eine elegante Art, ein Gespräch anzufangen. Anzu runzelte die Stirn. „Wie bitte? Um mich das zu fragen, hast du mich hier her verschleppt? Ich habe doch gesagt, dass er mein Freund ist.“ Setos Kinnmuskeln spannten sich. „Das ist keine Antwort. Ich habe dich gefragt, ob du ihn liebst.“ Sie wurde immer ungeduldiger. „Natürlich l–“ „Lüg mich nicht an!“ unterbrach Seto sie energisch. Anzu wurde plötzlich bewusst, dass er immer noch ihr Handgelenk umklammerte und sie sich näher waren, als selbst der begrenzte Raum hier drinnen es rechtfertigte. Sie riss sich los und rieb die roten Streifen, die sich auf ihrem Unterarm gebildet hatten. „Was ist das überhaupt für eine Frage?! Du hast die letzten beiden Jahre damit zugebracht, mich davon zu überzeugen, dass du keine Ahnung hast, was Liebe überhaupt ist, und falls du es doch weisst, jedenfalls nicht daran glaubst! Also warum wundert es dich, dass ich es irgendwann aufgegeben habe, dir hinterherzurennen, und vor allem, warum mischst du dich jetzt in meine Beziehung ein?“ Ja, warum tat er das? Die Frage machte mehr Sinn, als ihm lieb war. „Ich kann es nur nicht sehen, dass sich jemand aus meinem Bekanntenkreis für einen triebgesteuerten Amerikaner hergibt, das ist alles.“ Seto Kaiba, nie um eine Antwort verlegen. „Triebgesteuert. Sagst ausgerechnet du, über einen Mann, mit dem du bisher nicht mal ein Wort gewechselt hast. Dir ist schon klar, was alle denken, was wir hier tun?“ Natürlich war ihm das klar, und irgendwie war es ihm nicht einmal unrecht, dass sie das Selbe dachte. Besonders gut zu gefallen schien Anzu die Vorstellung allerdings nicht. „Würdest du jetzt bitte aus dem Weg gehen, ich kann mich nicht stundenlang von meiner eigenen Party fernhalten.“ Seufzte sie genervt und schob Seto zur Seite, um sich an ihm vorbei zu drängen. Er machte keine Anstalten, ihr zu helfen. Ungehalten drückte sich Anzu an ihm vorbei, was in der engen Kabine nicht ohne reichlich Körperkontakt von Statten ging. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast heute Abend schon einiges getrunken.“ Benommen blieb er nach ihrem Verschwinden an die Wand gelehnt stehen und dachte einen Moment lang tatsächlich darüber nach, ob sie vielleicht recht hatte. Hatte er irgendwas zu sich genommen? Nichts ausser einem Glas Sekt bei der Eröffnung seiner neuen Zweigstelle heute Mittag. Ganz offensichtlich vertrug er Alkohol weit weniger gut, als er bisher gedacht hatte, oder was trieb ihn sonst dazu, so überzuschnappen? ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kurz, aber ich mag es. Vor allem weil ich a) endlich dieses Lied verwenden konnte - gibts dafür einen passenderen Einsatzort als wo es um diese Truppe geht? und b) endlich diese Szene schreiben durfte... Argh, es ist nur eine blasse Kopie von dem, was ich im Kopf hatte, aber hallo??? Seto? Anzu? Ein Quadratmeter Platz? Und dreckige Filme in Setos Kopfkino? Ich liebe es! Kapitel 5: Glück im Spiel, Pech in der Liebe -------------------------------------------- Verdammt. Verdammt, Verdammt. Verdammtverdammtverdammtverdammt. Setos praktische Seite meldete sich, um ihn daran zu erinnern, dass es seine Situation um keinen Deut besser machte, wenn er sich nur damit beschäftigte, das selbe Wort in Gedanken millionenfach zu wiederholen. Er ignorierte sie. Die Fratze dieses Amerikaners schrie nach Krieg, also würde er ihn bekommen. Setos Faust landete einmal mehr an der gegenüberliegenden Wand, zu spät erinnerte er sich, dass sie noch schmerzte vom letzten Mal, als er das getan hatte. In der Toilette dieses schmierigen Partykellers. Der ihm unerklärlicher Weise bei seiner Ankunft noch erstaunlich sauber und nett hergerichtet vorgekommen war. Aber das war jetzt sein geringstes Problem. Er war daran gewohnt, zu bekommen, was er wollte. Er wollte Anzu, und er würde sie bekommen, egal, wie viele Hollywoodstar-Verschnitte und pseudoperfekte Selfmademen sich ihm dabei in den Weg stellen würden. Dabei wusste er noch nicht einmal so genau, warum er sie eigentlich so dringend wollte. Na gut, er wusste es. Aber er mochte Gründe, die sich schwarz auf weiss auf schweres Papier drucken und als Geschäftsplan abstempeln liessen, und solche konnte er hier nicht vorweisen. Er wolle Anzu für sich haben, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, dass sie einem anderen als ihm oder einem ihrer Freunde aus Domino diese allzu offensichtlich selbstgebastelten Valentinskarten mit den in Seidenpapier gewickelten Eckchen schickte. Er wollte sie, weil er nicht darauf verzichten konnte, wie sie ihm jedes Mal sagte, dass er ein Idiot war, wenn er sich selbst dessen gerade bewusst wurde, obwohl er es niemals zugeben würde. Er wollte sie, weil sie noch immer die blöde alte Luxussporttasche besass, die ihr Mokuba irgendwann einmal gegeben hatte, als die Zimtsterne, die die beiden fabriziert hatten, nicht in Anzus Schulranzen passen wollten und die Kaiba Corp die Dinger gerade als Werbegeschenk hatte. Er wollte sie, weil ihre Haare so unglaublich nach Aprikose dufteten, obwohl sie sie definitiv mit neutralem Shampoo wusch – immerhin hatte er vor ein paar Stunden noch gesehen, wie sie ihre Siebensachen nach der Pyjamaparty, in die das Ganze gestern ausgeartet war, wieder in besagte Tasche geworfen hatte. Weil sie sich kein Bisschen dafür schämte, ein Sailormoon-Necessaire und einen herzförmigen Schlüsselanhänger mit der Aufschrift „Crazy for NY“ zu besitzen. Weil sie es wieder mal jedem recht machen musste und deshalb für jeden einzelnen ihrer Gäste sein buffettauglichstes Lieblingsessen gezaubert hatte, obwohl das natürlich alles in allem viel zu viel geworden war. Weil sie sich nicht darum scherte, dass alle Welt glaubte, er nähme nur Snacks im fünfstelligen Yenbereich zu sich und ihm trotzdem die Käsekracker gemacht hatte, die sie irgendwann einmal zum Schulfest gebacken hatte und fast vollständig an ihn losgeworden war. Weil, weil, weil. Tausend Gründe, warum er sie nicht diesem Justin überlassen würde. Das einzige Problem an seinem grandiosen Plan war, dass es keinen wirklichen Plan gab. Geben konnte. Er war vielleicht gut darin, seinen Geschäftspartnern das Ausmass ihrer Gier an den Augen abzulesen und danach seine Forderungen masszuschneidern, sodass er immer bekam, worauf er abzielte. Er konnte sogar seine Lehrer mit einem einzigen Blick schachmatt setzen, wenn sie sich über ihn beschwerten. Es machte ihm keine Probleme, jeden – nun, fast jeden – im Duel Monsters zu schlagen. Aber dies hier war leider kein Spiel und das Herz einer Frau liess sich wohl nicht durch ein paar simple Spielzüge erobern. Vor allem nicht, wenn man zuvor schon alles getan hatte, um es wieder zu loszuwerden. Okay. Einatmen – ausatmen. Ein. Aus. Es würde alles so laufen, wie es sollte. Sie hatte diese Performance so lange geübt, bis sie die Bewegungen auch morgens um fünf im Halbschlaf ausführen konnte. Justin hatte es sich nicht nehmen lassen, das buchstäblich zu überprüfen. Also was sollte schief gehen? Anzu ging zu ihrem Fach an der gegenüberliegenden Kabinenwand hinüber, um sich noch ein letztes Mal mit Deo zu versorgen und einen Schluck Wasser zu trinken. Lächelnd bemerkte sie einen kleinen Strauss feuerfarbiger Rosen auf ihrem zusammengefalteten Handtuch. Sie nahm ihn auf und roch an einer der Blüten, wobei ihr eine kleine, mit Computer beschriftete Karte entgegen fiel. „Viel Glück“ stand darauf, sonst nichts. Hinter ihr öffnete sich die Tür und Justin kam ins Zimmer. „Danke für die Blumen, die du mir da geschickt hast. Die sind echt schön.“ Begrüsste sie ihn, ein Lächeln auf dem Gesicht. Justin runzelte die Stirn. „Warum sollte ich dir Blumen schicken, wenn ich sie dir selbst bringen kann?“ Tatsächlich zog er einen viel zu grossen Bund knallroter Rosen hinter dem Rücken hervor. „Noch dazu solche mickrigen gescheckten.“ Missbilligend musterte er den Strauss, den sie bereits in Händen hielt. Einen Moment lang sah Anzu traurig aus. //Weil orangerote Rosen mir am liebsten sind. Weil ich es schon als kleines Mädchen romantisch fand, sie romantische Liebe und Leidenschaft so in sich vereinen.// Dann lächelte sie schnell wieder. Woher sollte Justin das wissen? Er hatte es nur gut gemeint. Vielleicht sogar etwas zu gut, wenn sie sich den Strauss so ansah, den er da gebracht hatte. Damit konnte man ja jemanden erschlagen. „Ach, dann sind die hier wahrscheinlich von meinen Freunden. Danke jedenfalls.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging mit nur noch ganz leicht zitternden Knien nach draussen, wo sie hinter der Kulisse auf ihren Auftritt wartete. „Miss Mazaki?“ verwundert drehte sie sich um. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Postbote sie schon kannte. Aber wahrscheinlich liefen hier nicht gerade viele Mädchen herum, die auch nur annähernd japanisch aussahen. Schliesslich befanden sie sich irgendwo in einem verschlafenen Städchen mitten im Nirgendwo. „Ja?“ „Ein Brief für Sie.“ Der Mann lächelte sie freundlich an und reichte ihr das seltsam schwere, steife Kuvert. „Danke...“ murmelte sie etwas überrascht, als sie darauf das Firmenzeichen der Kaiba Corporation erkannte. Was in aller Welt konnten Seto oder Mokuba von ihr wollen, das sich nicht per e-Mail regeln liess? Sie zog die Tür der Ferienwohnung hinter sich zu, die Justin und sie statt der Jugendherbergszimmer der restlichen Truppe bewohnten, und riss den Umschlag auf. Heraus fielen ein Flugticket nach New York und eine auf Hochglanzpapier gedruckte Eintrittskarte zum neuesten Broadway-Musical. Was hatte das zu bedeuten? Woher wussten die beiden überhaupt... oh. Sie erinnerte sich, auf ihrer Party vor ein paar Wochen erwähnt zu haben, dass sie das Stück gerne sehen würde. Aber bitte, das war einfach so daher geredet gewesen! Über irgendwas musste man schliesslich reden, mitten in der Nacht, wenn man nicht einschlafen konnte. Ausserdem hatte sie gedacht, ausser ihr und Yugi sei keiner mehr wach gewesen. Sie sah auf das Datum. Morgen Abend schon??? Das gab ihr kaum genug Zeit, ihre Tasche zu packen, falls sie wirklich fliegen wollte. Was natürlich eine reine Dummheit wäre. Sie konnte nicht einfach für zwei Tage verschwinden, nicht mal für einen, wenn sie es sich recht überlegte. Gut, sie hatten jetzt ein paar Tage frei, aber Justin... es war immerhin nur EIN Ticket. Andererseits, sie hatte wirklich grosse Lust, sich das Musical anzusehen. Und wie gross waren ihre Chancen, dass sie in nächster Zeit dafür aufkommen konnte, mit ihrem Einkommen? Entschlossen zückte sie ihr Handy und wählte Justins Nummer. Sie sollte ihn wirklich mal in ihre Kurzwahlliste aufnehmen und jemand anderen rausschmeissen. Seto zum Beispiel. „Schatz? Ich habe überraschend eine Einladung nach New York bekommen... ich werde heute Abend fliegen.“ Sie schwieg kurz. „Nein, nur ein Flugticket. Keine Ahnung, von wem sie kam, aber es muss ja wohl jemand sein, den ich kenne. Vielleicht die Leute aus der Schule.“ Es war wahrscheinlich nicht besonders ratsam, zu erwähnen, dass die Sachen von der Kaiba Corporation gekommen waren. Schliesslich konnte man nicht eben sagen, dass sich Justin und Seto gut verstanden hatten. Obwohl sie sich nicht einmal richtig unterhalten hatten. „Ach, Justin. Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Und übermorgen früh bin ich wieder da.“ So stand es jedenfalls auf dem Rückflugschein. Langsam wurde diese Sache bizarr. Ja, sie hatte sich gewundert, solche Post zu bekommen. Und wenn sie nicht den Absender irgendwie „gekannt“ hätte, wäre sie der „Einladung“ niemals gefolgt, sie war schliesslich nicht blöd. Aber dann auch noch am Flughafen von Bord zu gehen und gleich von einem Taxi erwartet zu werden, dessen Fahrer offenbar ihren Namen kannte und ihn auf einem Schild vor sich hertrug? Und von eben jenem Taxi in ein schlichtes, aber dennoch ziemlich edles Hotel gebracht zu werden, wo ebenfalls schon ein Raum auf ihren Namen reserviert war und sogar Kleidung auf dem Bett lag, die sie offensichtlich tragen sollte? Das war zu seltsam. Bisher war sie noch davon ausgegangen, dass es sich bei der Sache um einen Spass von Mokuba handelte, schliesslich mochte der es, seinen weniger betuchten Freunden ab und zu eine Überraschung zu bereiten. Aber warum sollte es den scheren, was sie anzog? Und das blaue Baumwollkleid, das da auf dem Bett lag, war eindeutig genau ihre Grösse und für sie dort platziert worden. Genau wie der passende cremefarbige Seidenschal und Ohrringe sowie eine Kette mit Emaillieanhängern in Form von Kornblumen, wie sie jetzt erst feststellte. Nein, nie im Leben war das Mokuba gewesen. Selbst wenn er ihr ihre Gardarobe vorschreiben wollte, solchen Blick fürs Detail hätte er niemals bewiesen. Aber wer sollte das sonst arrangiert haben? Seto? Dann musste er seine kleine Szene auf der Toilette schon sehr viel ernster gemeint haben, als sie gedacht hatte. Fast erleichtert stellte sie fest, dass sie ein Einzelzimmer bekommen hatte. Nicht, dass sie wirklich glaubte, dass es sich bei dieser Aktion um eine von Seto geplante Sache handelte. Aber man konnte ja nie wissen. Und immerhin hatte er den unangenehmen Ruf, sich zu nehmen, was er wollte. Trotzdem, diese ganze Sache machte keinen Sinn. Wenn er es auf eine Nacht mit ihr abgesehen hatte, dann sollte er doch wissen, dass sie nicht die Art von Mädchen war, die ihren Freund so einfach betrog. Und überhaupt, was sollte dieses plötzliche Interesse an ihrer Person? Diese ganzen Fragen machten sie richtig schwindlig, und genau das machte Anzu wütend. Na schön. Wer immer es war, der ihr das hier eingebrockt hatte, sie würde sein Spiel mitspielen, aber er sollte sich blos nicht auf einen ruhigen Abend freuen! Ganz, wie er gedacht hatte. Für jede Andere wäre dieses Kleid zu schlicht gewesen, aber Anzu sah darin schlicht umwerfend aus. Sie hatte dankenswerter Weise darauf verzichtet, den Schal als alberne Stola herzunehmen, und ihn sich in Pilotenmanier um den Hals geschlungen, ein Ende hinten, eins vorn, als hätte sie kaum Zeit gehabt zum Anziehen. Darunter schaute gerade eben so das Kettchen heraus, das er ihr hatte schicken lassen und die passenden Ohrringe rahmten ein wohltuend schlicht geschminktes Gesicht ein. Er stieg aus dem Wagen und trat hinter sie, so nahe, dass ihr Schal ihm fast ins Gesicht flatterte. „Guten Abend, Anzu.“ Sie fuhr herum, als hätte ihr ein Geist ins Genick gepustet, fand aber bewundernswert schnell wieder zu ihrer „Ich hasse dich, aber du hast 10 Sekunden, dich zu erklären“-Miene zurück. „Seto.“ Stellte sie fest, als wäre ihm sein Name irgendwie noch nicht geläufig genug. „Alles Gute.“ Er musste sie im Stillen bewundern, dass sie daran gedacht hatte. Er selbst vergass Geburtstage immer, mit Ausnahme von Mokubas. „Danke.“ Demonstrativ warf sich Anzu den nach vorn gewehten Zipfel ihres Schals wieder über die Schulter. „Okay, Smalltalk Ende. Was soll das Theater?“ Seto musterte sie mit einem Blick, der für seine Verhältnisse schon fast als unschuldig gelten konnte. „Ich wollte meinen Geburtstag in netter Gesellschaft verbringen, das ist alles.“ Der Jüngeren entrang sich ein trockenes Lachen. „Ha, ha. Und deshalb fliegst du um die halbe Welt, ganz zu schweigen davon, dass du mich auch noch auf so mysteriöse Art und Weise her bestellst, anstatt wie sonst immer mit Mokuba und Roland nicht zu feiern?“ Statt einer Antwort bekam sie in altmodischer Manier den Arm angeboten. Erst als sie diesen widerwillig ergriffen hatte, liess sich Seto zu einem Kommentar herab. „Jeder Mensch braucht mal etwas Abwechslung, und hast du mir nicht immer gesagt, ich soll mehr unter die Leute gehen?“ Sie hätte es ja wissen müssen. Alles fiel irgendwann auf einen zurück. „Ich kann mich nicht erinnern, auch gesagt zu haben, dass ich zu diesen Leuten gehören will.“ Missgelaunt hielt sie dem Mann am Eingang ihre Karte unter die Nase und trat durch die Tür, bevor noch Seto oder der Pförtner dazu kamen, sie ihr aufzuhalten, obwohl beide Anstalten gemacht hatten genau das zu tun. Drinnen allerdings holte ihr unwillkommener Begleiter sie schnell wieder ein, nicht im Mindesten ausser Atem und so gelassen, als hätten sie sich die ganze Zeit höflich unterhalten. „Das hast du nicht, aber in Anbetracht der Tatsache, dass du mich zu deinen letzten beiden Parties eingeladen hast und vor nicht allzu langer Zeit noch geradezu Hals über Kopf in mich verliebt warst, kann ich mit ruhigem Gewissen behaupten, dass du nichts dagegen hast.“ Das strapazierte die Wahrheit eindeutig einen Tick zu sehr, um einfach so hingenommen zu werden. „VOR NICHT ALLZU LANGER ZEIT???“ Anzu blieb abrupt stehen und vollführte aus dem Stand eine 180°-Drehung, die sie zum Stolpern gebracht hätte, hätte sie nicht von Berufs wegen reichlich Übung darin. Sie hielt ihre Stimme noch immer gesenkt, aber die Empörung war ihr deutlich anzuhören. „Seto, wenn ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen darf, das ist über zwei Jahre her! Ich bin seit einem halben Jahr mit einem anderen Mann zusammen und SEHR GLÜCKLICH damit.“ Wenn sie mit der Betonung, die sie auf die Worte „sehr glücklich“ gelegt hatte, eine Bekräftigung ihrer Aussage hatte erreichen wollen, war das voll und ganz misslungen. Seto jedenfalls glaubte ihr weniger denn je, was auch deutlich auf seinem Gesicht geschrieben stand. Schliesslich setzte er nur ein süffisantes Schmunzeln auf und erwiederte: „Wie auch immer. Hast du vor, mir hier den ganzen Abend lang eine Moralpredigt zu halten, oder bist du gekommen, um die Show zu sehen?“ Ja, sie HATTE die Vorstellung genossen. Es hatte überhaupt keinen Sinn, das zu leugnen. Trotzdem sah Anzu es als ihre Pflicht an, Seto weiterhin die kalte Schulter zu zeigen, nachdem er ihre Gesellschaft für sein natürliches Recht zu halten schien. Er hatte also gerade einmal Gelegenheit, ein kurzes Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, während die Lichter wieder angingen, bevor sich ihre Miene auch schon wieder verhärtete. Alles, was sie jetzt noch verriet, war der Rest eines freudigen Funkelns, der ihr noch in den Augenwinkeln hing und sich nicht so leicht vertreiben liess. Wortlos erhob sie sich und ging zur Gardarobe, bevor ihr einfiel, dass sie überhaupt keine Jacke dabei gehabt hatte und es draussen ganz schön wingid sein würde. Seto hatte offenbar den selben Gedanken gehabt, denn kaum draussen angelangt, fühlte Anzu ihre Schultern von hinten mit einem schweren Mantel bedeckt, der eindeutig zwar nicht nach Geld stank, wie Joey es wohl ausgedrückt hätte, aber einen Hauch von frisch gemahlenen Kaffeebohnen und elegantem Aftershave verströmte. Verwundert drehte sie sich um und vergass fast, ärgerlich auszusehen. „Danke.“ Es klang noch reichlich steif, aber Seto schien für den Augenblick damit zufrieden und geleitete sie wortlos zu seiner eigenen Limousine. „Taxifahren ist zu gefährlich um diese Uhrzeit.“ Schnitt er ihren Protest ab. „Ausserdem wohnen wir im selben Hotel.“ Welche Überraschung, wo du es doch gebucht hast, dachte Anzu sarkastisch und verschwand auf dem Rücksitz, ohne Seto eines Blickes zu würdigen. Der war davon trotz der einschlägigen Erfahrungen dieses Abends kurz erstaunt, folgte dann aber zügig. „Fahren Sie los.“ Wies er Roland knapp an, bevor der Wagen endgültig in Schweigen versank. Das Erste, was sie wahrnahm, nachdem ihre Füsse wieder festen Boden berührten, war ein blendend heller Blitz, gefolgt von mehreren anderen, deren Auslöser offenbar nicht so schnell die geistige Verbindung zwischen der Kaiba-Limousine und einer weiblichen Insassin gezogen hatten. Seto schien davon ganz und gar nicht überrascht, so gelassen, wie er jetzt neben sie trat. Wütend drehte sie sich zu ihm um. „Wusstest du etwa davon?“ er schob sie einige Stufen weiter in Richtung Eingang, Anzu allerdings war inzwischen genervt genug, um nicht erst vor den Journalisten in Deckung zu gehen, sondern stur genau in der Mitte der Eingangstreppe stehen zu bleiben und auf eine Antwort zu warten. „Es war zu erwarten, oder?“ kam es gelassen von Seto, der sich eine Stufe weiter unten befand und somit ausnahmsweise auf ihrer Augenhöhe war. „Wenn es das war, warum konntest du dann verdammt noch mal nicht dafür sorgen, dass wir wenigstens in unterschiedlichen Hotels übernachten?“ Ein siegessicheres Aufblitzen in Setos Augen hätte sie warnen sollen, aber einen Augenblick darauf sah sie sich auch schon an ihn gepresst, den Druck zweier grosser, schlanker Hände auch durch den Mantel noch deutlich spührbar im Rücken und ein Paar fester, warmer Lippen auf ihren. Von irgendwo her spührte sie unregelmässige, schnelle Herzschläge, nicht sicher, ob sie von Seto ausgingen oder von ihr selbst, und irgendwo, im ehrlichsten Winkel ihrer selbst, nicht einmal daran interessiert. Das einzig Vernünftige jetzt wäre gewesen, ihn von sich zu stossen und der Presse die Genugtuung zu geben, live und in Farbe mitzubekommen, wie Seto Kaiba die wahrscheinlich erste Abfuhr seines Lebens erhielt. Aber Anzu blieb regungslos stehen, mit nichts im Sinn als der fast verzweifelten Frage: Warum fällt dir das erst jetzt ein? Warum nicht schon letztes Jahr, Seto? und der Hoffnung, dass es in dem verschlafenen Nest, wo Justin morgen sein Frühstück allein einnehmen würde, keinen Kiosk gab, oder dass ein weit grösserer Skandal sie von den Titelseiten verdrängen würde. Und noch bevor sie entscheiden konnte, warum sich dieser Kuss im Grunde so verdammt gut anfühlte, obwohl sie doch inzwischen an weit rücksichtsvollere Zärtlichkeiten von Justin gewöhnt war und Seto noch eine Minute zuvor am liebsten geohrfeigt hätte, löste sich sein Griff wieder und sie sah sich dem Nachtwind genauso schutzlos ausgeliefert wie den neugierigen Blicken sämtlicher Umstehender. Mit der selben fliessenden Bewegung, als hätte er nur eben einen Stift vom Boden aufgehoben, nahm Seto seine Arme von ihr und schwang sich den Mantel locker über seine linke Schulter. Mit der rechten reichte er ihr eine einzige, wunderschön entfaltete lila Blume, die sie wie betäubt entgegen nahm. „Weil ich es so wollte. Gute Nacht, Anzu.“ Sie antwortete nicht, sondern senkte den Blick auf die Blüte, die er ihr da gegeben hatte. Eine Schwertlilie, wie sie überrascht feststellte, aber diese Überraschung hielt nicht lange an, passte es nicht wunderbar ins Bild, dass Seto gerade diese Blume ins Auge stechen sollte? Wären sie einige Jahrhunderte früher geboren, dann hätte er sie sicherlich auch noch im Wappen getragen, nur um auch ja aller Welt zu zeigen, dass sein Name Königen gleichzusetzen war. Dass er bekam, was er wollte. Als sie den Blick wieder hob, war Seto bereits voraus gegangen. Rasch drückte Anzu die Blume an ihre Brust und eilte die Stufen hinauf in die Eingangshalle, wo sie endlich vor Blicken sicher war. „Das kommt also dabei heraus, wenn du einen harmlosen Ausflug machst, ja? Wie lange geht das schon?“ Wie lange geht das schon? War er etwa der Meinung, sie hätte eine Affäre mit Seto? Welchen Sinn machte das denn bitteschön? „Justin, hör mir doch mal zu. Ich liebe dich, das weisst du doch. Das... hat nichts zu bedeuten.“ Sie konnte ihm nicht verübeln, dass ihn diese Entschuldigung nicht zufrieden stellte. „Nichts zu bedeuten?“ Ungläubig warf Justin die Zeitung auf den Tisch. „Was genau hat nichts zu bedeuten? Die Tatsache, dass du einfach mal über Nacht beschliesst, dich in New York mit Seto Kaiba zu treffen? An seinem Geburtstag? Die Tatsache, dass ihr zusammen im Musical wart wie ein frischverliebtes Paar? Oder vielleicht die, dass heute in allen Zeitungen ein Bild davon ist, wie ihr euch hingebungsvoll küsst? Auf der Treppe des Hotels in dem ihr beide übernachtet habt?“ Etwas hilflos blickte sie ihn an. Wie konnte sie sich dafür nur entschuldigen? Die Wahrheit jedenfalls würde er wahrscheinlich nicht glauben. Sie versuchte es trotzdem. „Hör zu, ich wusste nichts davon, dass Seto die Einladung geschickt hat. Ich dachte, es wäre sein Bruder gewesen, der hat manchmal solche absurden Ideen. Und ja, ich hatte eben Lust, dieses Musical zu sehen, also bin ich hingeflogen. Bis ich dann gemerkt habe, dass es Seto war, der mich „eingeladen“ hat, war es schon zu spät. Ausserdem konnte ich ja nicht wissen, dass er mich auf einmal küsst, wo er mich doch monatelang immer abgewimmelt hat. Bevor wir beide zusammen waren, meine ich.“ Ihr Freund schob sich ungehalten an ihr vorbei aus der Küche. „Wenn das alles ist, und unsere Beziehung dir nicht mal eine anständige Ausrede wert ist, dann weiss ich ja wenigstens, woran ich bin.“ Wütend riss er im Schlafzimmer die Schranktüren auf und warf seine Kleider wieder in die Reisetasche, mit der er gekommen war. Anzu starrte ihn erschrocken an. „Wohin willst du?“ „Wohin wohl?“ fauchte er. „Ich ziehe aus, Anzu, nachdem du anscheinend einen Besseren gefunden hast!“ Seltsamer Weise lösten diese Worte in ihr nicht die Verzweiflung aus, die man hätte erwarten können, wo sie doch das Ende ihrer ersten grossen Liebe markierten. Sie machten sie nur unglaublich trotzig. „Warum bitte sollte ich dich anlügen? Wenn ich es darauf anlegen würde, ein doppeltes Spiel mit euch zu treiben, würde ich es dann nicht anders herum machen? Mit Seto zusammen sein und mich heimlich mit dir treffen? Es hätte nämlich durchaus Vorteile, die Freundin eines Multimillionärs zu sein, weisst du!“ Ach du meine Güte. Was war ihr da nur wieder herausgerutscht? Sie war doch nicht an Seto interessiert – gewesen! Gewesen! –, weil er so reich war! Und sie wäre auch im Traum nicht darauf gekommen, Justin einen Vorwurf zu machen, weil er es nicht war. Aber jetzt liess sich das nicht mehr ändern. Er starrte sie nur unglaublich wütend, in seinem Stolz zutiefst verletzt an und schloss die Tasche. „Bis morgen beim Training. Und gnade dir Gott, wenn du mich dort auch noch enttäuschst.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ein paar Anmerkungen zur Blumensprache: Ich bin da kein Experte, ich weiss auch nur, was ich jetzt im Internet gefunden habe. Ursprünglich wollte ich nur die orangefarbenen Rosen, genauer gesagt welche, in denen gelb und rot in einander übergehen, für brennende Leidenschaft. ^^ Im Laufe meiner Recherchen hat sich aber doch noch einiges Interessantes gefunden: - gelbe Rosen stehen zwar für abnehmende Liebe und für Zweifel (was hier ja nicht so recht passt) aber auch für Eifersucht. Und schliesslich wissen wir alle irgendwie, wer sie geschickt hat, oder? ;-) - klar, rote Rosen stehen für die romantischste aller Liebeserklärungen. ABER: In den USA sollen sie, in sehr grosser Zahl verschenkt, ausserdem „tiefe Scham“ ausdrücken... und wo kommt Justin her? Genau. Ich schwöre, ich habs erst im Nachhinein gefunden. - Kornblumen bedeuten „Ich gebe die Hoffunng nicht auf“ - ... und Iris „Ich werde um dich kämpfen“. So, ich weiss, wer über dieses Thema in FFs schreibt, lässt sich leicht dazu hinreissen, es zu übertreiben, und davor bin ich auch nicht gefeit. Aber ich halte es immerhin nicht für ganz unmöglich, dass Seto sowas gelernt hat, teilweise... er hat ja doch eine ziemlich seltsame Erziehung genossen. Kapitel 6: Trials of a secretary -------------------------------- Hm... ja, es ist kurz. Aber ich wollte schon so lange mal ein bisschen mehr über Roland schreiben, das war es absolut wert. Keine Sorge, das nächste Shipping-Kapitel ist schon auf dem Weg. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Roland, mein Bruder spinnt.“ Verkündete der jüngere seiner beiden Vorgesetzten über seine morgendliche Schüssel Zucker mit Cornflakes und einen bunten Stapel Papier hinweg, der sich auf den zweiten Blick als Zeitungen entpuppte. Wenn man so etwas Zeitung nennen konnte. Roland räusperte sich. „Mit Verlaub, dazu kann ich nun wirklich nichts sagen, wenn mir mein Job lieb ist.“ Mokuba hatte den Unterton in seiner Stimme gehört und grinste. „Ja, von mir aus. Aber es stimmt trotzdem. Ich meine, was hat dieser Trip gekostet? Nicht, dass wirs uns nicht leisten könnten, aber dafür dass Seto jahrelang nicht mal eine Valentinskarte angefasst, geschweige denn selbst verschickt hat, steigt er jetzt reichlich schnell auf die Romantik-Schiene ein.“ Ein weiterer Löffel Flakes fand geräuschvoll knackend den Tod. „Und dann Anzu! Ich hätte nicht gedacht, dass sie ihn interessiert. Ich dachte immer, Seto steht eher auf Schwarzhaarige, die lieber lächeln als den Mund aufmachen.“ Irgendwie war es gewöhnungsbedürftig, einen noch nicht mal annähernd ausgewachsenen Teenager über dieses Thema referieren zu hören. Vor allem, wenn man bedachte, welche Berufsbezeichnung eigentlich in Rolands Vertrag festgehalten war. Wie viele millionenschwere Japaner vertrauten sich wohl ihrem Buchhalter an? Andererseits, wie viele Buchhalter waren nebenbei auch noch Sekretär, Chauffeur, Event-Manager, Imageberater, Bodyguard und Kindermädchen? Um nur einige seiner Aufgabengebiete zu nennen. „Ich denke Ihr Bruder hat sich das sicherlich gründlich überlegt.“ , kommentierte er schliesslich nur und räumte die leere Kaffeetasse weg, die von ebenjenem als einziges Relikt am Frühstückstisch übrig geblieben war. „Darf ich Sie daran erinnern, dass wir zwanzig Minuten zur Schule brauchen werden und der Unterricht in einer halben Stunde anfängt?“ Mokuba sah nicht so aus, als dürfe Roland, aber nachdem er es nunmal schon getan hatte und Seto ausdrücklich klargestellt hatte, wer in diesen Dingen das Sagen hatte, wenn seine brüderliche Autorität grade nicht unmittelbar ausübbar war, stiess der Sechzehnjährige seinen Stuhl zurück, nicht ohne dabei ein gewaltiges Quietschen zu verursachen, was bei den blankpolierten Marmorfliesen im Frühstückszimmer schon eine Kunst für sich war, und ging seine Schultasche holen. Als er die Tür seiner persönlichen Limousine aufriss, sass Roland schon gelassen am Steuer und polierte seine Sonnenbrille. Kommentarlos reichte er Mokuba eine Sporttasche nach hinten. „Vierte und fünfte Stunde.“ Sagte er nur und schob sein Markenzeichen zurück auf die Nase. Dieser Mann war wirklich gruselig. Immerhin hatte er das Frühstückszimmer nach Mokuba verlassen und war vor ihm am Auto gewesen, hatte aber zwischendurch auch noch die Tasche aus dem zweiten Stock geholt, ohne dabei in Atem- oder Zeitnot zu geraten. „Danke.“ War da der einzige sinnreiche Kommentar, der Kaiba junior einfiel. „War es das wert?“ Wahrscheinlich war Roland der einzige seiner Angestellten, die sich trauen würde, Seto Kaiba so etwas zu fragen, aber nach der Schlacht, die sie da draussen grade geschlagen hatten, um die Legionen von Reportern vor Kaiba-samas Büro loszuwerden, kam ihm die Frage durchaus berechtigt vor. Er war ja durchaus dafür, dass sein Chef endlich anfing, das normale Leben eines Zwanzigjährigen zu führen, aber hätte er das nicht für den Anfang etwas dezenter gestalten können? Zu seiner Überraschung schmunzelte sein Gegenüber nur. „Ja. Und jetzt würde ich gern die Post durchsehen, also wenn Sie nichts dagegen hätten?“ Er hielt die Hand auf. Erstaunt reichte Roland seinem Chef den kleinen Stoss an Briefen, die dieser persönlich zu bearbeiten hatte. Normalerweise regte seinen Vorgesetzten solch ein Aufruhr um seine Person doch immer dazu an, seinen Kaffekonsum ins Unermessliche zu steigern und ein paar Leute zu feuern, heute dagegen hatte er ausser der einen Tasse zum Frühstück noch kein Koffein zu sich genommen und auch die Belegschaft der KC war noch komplett. Seto Kaiba war wohl immer wieder für Überraschungen gut. Er hatte gerade den letzten Bissen seines Sandwiches heruntergeschluckt, als das Telefon klingelte. „Büro von Seto Kaiba, Kaiba Corp., was kann ich für Sie tun?“ meldete er sich professionell. Inzwischen hätte er das wahrscheinlich im Schlaf hersagen können. Jedenfalls hatte er sich zu Hause schon ein paar mal auf die Zunge beissen müssen, um nicht so ans Telefon zu gehen. „WO. IST. ER?“ fauchte ihm eine weibliche Stimme entgegen, so giftig, dass Roland schon fast versucht war, den Hörer ein paar Zentimeter von seinem Ohr weg zu halten. „Kaiba-sama ist im Augenblick in einem Meeting. Aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?“ antwortete er stattdessen nur. Ein genervtes Seufzen. „Hören Sie... Roland, oder nicht? Ihr feiner Chef ist dafür verantwortlich, dass mich mein Freund verlassen hat, weil er mich heute morgen auf mehreren Titelseiten gesehen hat, wie ich Seto Kaiba küsse. Also soll er mir nun verdammt noch mal selber erklären, warum er so erpicht darauf ist, mein Leben kaputt zu machen! Das können Sie ihm ausrichten.“ Sie unterbrach die Verbindung, ohne einen Namen oder eine Telefonnummer zu hinterlassen. Aber nachdem nur eine Frau heute morgen Grund hatte, wegen so etwas sauer zu sein, und zudem nicht besonders viele Leute die Direktwahl zu Kaiba-samas Büro kannten, brauchte sich Roland nicht lange zu fragen, wer am anderen Ende der Leitung gewesen war. „Anzu Mazaki hat angerufen.“, teilte er seinem Chef mit, als der sich eine halbe Stunde später wieder hinter seinem Schreibtisch niederliess. „Sie hat sich Zeit gelassen.“, war die einzige Reaktion. Roland räusperte sich. „Sie sagt, ihr Freund hätte sich von ihr getrennt.“ Irgendwie kam ihm das vor wie etwas, das Kaiba-sama in seiner Position nicht kalt lassen konnte. Das tat es auch nicht, wie sich herausstellte, allerdings quittierte der CEO der Kaiba Corp es lediglich mit einem Schmunzeln. „Das ging schneller, als ich dachte.“ Er sammelte ein paar Unterlagen zusammen und steckte sie achtlos in seine lederne Aktentasche. „Ich muss zu einer Besprechung mit NihonTech. Halten Sie hier die Stellung.“ Es dauerte bis er fast an der Tür war, dann hatte Roland den Entschluss gefasst, dass er als immerhin der Ältere vielleicht doch etwas zu dieser Angelegenheit sagen sollte. Nicht zu der Besprechnung, natürlich. „Denken Sie wirklich, dass es die richtige Strategie ist?“ Sein Vorgesetzter drehte sich verblüfft um. „Was, die Firma aufzukaufen? Natürlich ist es das.“ Roland machte eine vielleicht etwas zu ungeduldige Handbewegung. „Nicht NihonTech. Anzu Mazaki.“ Einen Moment lang spiegelte sich Ärger auf dem Gesicht seines Gegenübers, dann entspannte er sich wieder. „Ich weiss zwar nicht, wie ich dazu komme, mein Privatleben mit Ihnen zu diskutieren, aber – ich will diese Frau und ich werde sie bekommen. Was ist daran so schwer zu verstehen?“ Er kannte das Gefühl. Er war ja schliesslich verheiratatet. Aber diese Vorgehensweise... „Warum sagen Sie ihr das nicht einfach? Oder sehen sich nach einem anderen Mädchen um, falls sie darauf nicht reagiert? Immerhin tourt sie durch die USA, das ist nicht grade nebenan.“ Kaiba-samas Gesicht versteinerte zu der altbekannten, undurchdringlichen Maske. Er drehte sich um und ging zur Tür. Bevor er sie hinter sich schloss, schob er noch hinterher, wie einen Nachgedanken: „Sie haben nie mit ihr gesprochen, Roland. Sie IST es wert.“ Kapitel 7: Von hier an blind ---------------------------- Danke an 7Nine für den Link, der mich praktisch gezwungen hat, das Lied doch noch anzuhören. :D http://www.youtube.com/watch?v=2KAcShfgq54 Zwischen zwei Fragen In der Lücke zwischen zwei Tagen Blieb Nichts mehr zu sagen Kein Leid mehr zu beklagen und ich Nahm den Wagen Und ging vor ihm in die Knie Ich sagte: Ich weiß nicht weiter War ich noch nie War ich noch nie Ich und der Wagen Und der Bienenschwarm im Magen Und die Straße, die zu schlagen war Wir haben uns vertragen, aber Vor zwei Tagen Ging der Wagen in die Knie Er sagte: Ich weiß nicht weiter War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Von hier an blind Von hier an Ich und mein Magen Und der Kopf in meinem Kragen gingen Blind getragen von zwei Füßen Die nichts sagen Außer: Gib dich geschlagen Und geh endlich in die Knie Ich sagte: Ich weiß nicht weiter War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie War ich noch nie Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Von hier an blind Von hier an Und keine tausend Meter draußen vor dem Tor Erklang ein Brausen und es sang ein Männerchor Dann war Stille und dazwischen und davor Setzte die Pause neue Flausen in mein Ohr Und ich Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht Ich weiß nicht weiter Ich weiß nicht, wo wir sind Ich weiß nicht weiter Von hier an blind Von hier an blind Von hier an Jetzt erst mal eine Dusche. Halt, nein, zuerst etwas zu trinken. Anzu versuchte, die Blicke der anderen Tänzerinnen zu ignorieren, die sie wie immer in den letzten Wochen misstrauisch beäugten, miteinander tuschelten und sich abrupt wegdrehten, wenn sie vorbei ging. Wann würden sie endlich aufhören, sie zu schneiden, weil diese dumme Sache mit dem Kuss passiert war und sich Justin daraufhin von ihr getrennt hatte? Man musste fairerweise zugeben, dass sie alle keine Ahnung hatten, was wirklich geschehen war, und es wohl wirklich so aussah, als hätte Anzu sich Seto mehr oder weniger an den Hals geworfen, sobald sich die Chance dazu ergab. Aber hatte sie irgendeiner persönlich einen Grund gegeben, sie nicht mehr zu mögen? Hatte sie auch nur einen zweiten Hinweis geliefert, sie könnte ein Verhältnis mit Seto haben – ganz davon abgesehen, dass es ihre Sache wäre, wenn dem so wäre? Ging es irgendjemanden etwas an, mit wem sie oder Justin zusammen waren? Nein. Die traurige Tatsache allerdings war, dass die meisten der anderen Mädchen schon einige Zeit länger hinter ihrem Trainer herwaren als „die Neue“ überhaupt mit ihnen tanzte, und dass sie sich nur damit abgefunden hatten, dass Anzu ihn bekommen hatte, weil sie ihn offenbar glücklich machte. Dass sie ihn nun hatte fallen lassen – so jedenfalls sah es ja in ihren Augen aus – konnte ihr keine verzeihen. Anzu wickelte sich in ihr Handtuch und wollte gerade in der Dusche verschwinden, als sich die Tür öffnete und mindestens fünf Mädchen, die gerade ohne Oberteil herumgestanden hatten, anfingen zu kreischen und gleich darauf hysterisch zu kichern. Justin ignorierte sie. „Anzu, Telefon für dich.“ Sie sah ihn genervt an. „Wer immer es auch ist, sag ihm bitte, dass ich erst duschen will, bevor ich für irgendwelche Gespräche zur Verfügung stehe.“ Justin packte sie unsanft am Arm und zog sie auf den Flur. „Komm gefälligst mit, ich habe keine Lust, meine Telfonrechnung in astronomische Höhen wachsen zu lassen, nur weil dein Sinn für Hygiene das erfordert! Was glaubst du eigentlich, wie viel ein Überseegespräch nach Japan kostet? Denkst du, das Krankenhaus bezahlt das, nur weil sie dir irgendwas mitteilen wollen?“ Anzu fühlte sich, als würde ihr das Blut aus dem Gesicht gesogen. Wem konnte da etwas passiert sein? Ihren Eltern? Yugi? Aber halt, da würde man wohl kaum zuerst sie anrufen. Sondern seinen Grossvater. „Krankenhaus?“ wiederholte sie nervös. „Ja, jetzt geh endlich ran!“ Er schob sie in sein Büro und wies ungeduldig auf das Telefon, bevor er sie alleine liess. So viel Takt erhielt sich sogar Justin noch aufrecht, obwohl sein Benehmen gegenüber Anzu ansonsten in letzter Zeit zu wünschen übrig liess. Was sie sogar verstehen konnte. „Ja?“ meldete sie sich schliesslich in zittrigem Japanisch. „Justin, ich brauche ein paar Tage Urlaub. Und könntest du mir ausnahmsweise meine Gage schon heute auszahlen? Ich weiss, sie ist erst in ein paar Tagen fällig, aber...“ Anzu versichterte sich, dass ihr Handtuch noch richtig sass, und sah ihren Trainer und Exfreund flehend an. „Ich weiss nicht, was du vor hast, Anzu, aber ich kann dich hier auf keinen Fall entbehren und wenn du Geld brauchst, musst du eben deine Bank fragen, wo ist da das Problem?“ Justin schien überhaupt nicht gewillt, mit sich diskutieren zu lassen. Hatten sie ihm denn gar nichts gesagt? Wie war das möglich, sie hatten ihm doch erklären müssen, warum sie sie so dringend sprechen wollten. Andererseits war Justins Japanisch nicht das beste, eigentlich konnte er nur ein paar Brocken, und wer konnte schon wissen, wie gut die Krankenschwester, die angerufen hatte, Englisch sprach? Müde liess sich Anzu auf einen Stuhl sinken, der hier hinter den Kulissen eher verloren in der Gegend herumstand. „Du verstehst nicht. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wirklich dringend wäre. Meine Cousine und ihr Mann hatten einen Autounfall. Sie sind beide tot, Justin!“ sie musste sich anstrengen, damit sich ihre Stimme an dieser Stelle nicht überschlug. „Nur ihr kleiner Sohn hat überlebt, aber er ist schwer verletzt und braucht dringend eine Bluttransfusion, und zwar von mir, ich habe die selbe Blutgruppe.“ Justin sah einen Moment lang wirklich aus, als würde er sie bemitleiden, dann antwortete er: „Das tut mir leid, Anzu. Aber die Beerdigung wird ja erst in ein paar Tagen sein? Natürlich kannst du dann fliegen, allerdings erst, wenn die Tournee vorbei ist. Es wird doch wohl in Japan noch andere Menschen mit deiner Blutgruppe geben!“ Anzu sprang auf. „Stell dich nicht so dumm, Justin! Je näher der Spender mit ihm verwandt ist, desto grösser die Chance, dass sein Körper das Blut auch annimmt! Ausserdem...“ Sie schluckte die panischen Tränen herunter, die in ihrer Kehle aufstiegen, „Ausserdem haben seine Eltern und ich schon bei seiner Geburt festgelegt, dass ich mich um ihn kümmere, wenn ihnen etwas passieren sollte. Ich MUSS dort hin!“ Ungeduldig wischte Justin ihre Argumente zur Seite. „Vergiss es, Anzu. In fünf Tagen kannst du fliegen, das ist mein letztes Wort. Und versuch gar nicht erst, weiter auf die Tränendrüse zu drücken, davon werde ich mich nämlich nicht beeindruchen lassen.“ Hasserfüllt starrte Anzu ihn an. „Ist das die Art, wie du dich an mir rächen willst? Das ist einfach krank, Justin! Das hier hat mit uns überhaupt nichts zu tun, aber wir wissen doch beide, dass du jeder anderen aus dem Team in so einem Fall Urlaub gegeben hättest!“ Er hatte tatsächlich die Nerven, ein sarkastisches Lächeln aufzusetzen. „Mag sein. Aber alle anderen haben mir bisher auch keinen Grund gegeben, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln.“ Sie hielt es nicht mehr aus. Mit einem frustrierten Aufschrei stürzte Anzu nach draussen. Buchstäblich in die Arme von Seto, der sie verdutzt anstarrte. Er nutzte die Chance und drüchte sie kurz an sich. „Ich will mich ja nun wirklich nicht über die Begrüssung beschweren, aber woher dieser Sinneswandel?“ Anzu riss sich los. „Oh Seto, verschwinde, dich kann ich nun wirklich nicht brauchen!“ Hatte sie sich am Telefon nicht deutlich genug ausgedrückt? Hatte es nicht gereicht, dass sie seine Mails gelöscht und seine Blumensendungen allesamt abgewiesen hatte? Musste er jetzt auch noch hier auftauchen, gerade, wo sie wirklich viel Wichtigeres im Kopf hatte? Wenigstens schien er jetzt endlich begriffen zu haben, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was ist los?“ fragte er, plötzlich ernst geworden. „Was geht dich das an?“ fauchte sie und rannte davon, in Richtung der Umkleidekabinen, obwohl ihr nicht klar war, was es bringen sollte, sich wieder anzuziehen. Fliegen konnte sie ja doch nicht. Nicht, dass Justins Verbot sie gross gekümmert hätte, aber sie hatte kein Geld für ein Flugticket, und man würde ihr wohl kaum eins schenken, nur weil sie am Flughafen ihre kleine Geschichte zum Besten gab. Der gekachelte Raum war inzwischen leer, auch die Duschen lagen wie ausgestorben da. Mechanisch, mit tränennassem Gesicht zog sich Anzu ihre Jeans und das frische T-Shirt über, ohne sich darum zu kümmern, dass ihr Körper nach einigen Stunden Vorstellung immer noch vor Schweiss klebte. Schluchzend sank sie schliesslich auf einer der Bänke zusammen und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Leise, fast vorsichtig klopfte Seto an die Tür, hinter der Anzu verschwunden war. Nachdem kein Protest ertönte, schob er sie langsam auf und betrat den Raum. Betreten musterte er Anzu, die ihn anscheinend noch gar nicht bemerkt hatte, so sehr war sie in Tränen aufgelöst. Er war für sowas nicht geschaffen. Wie sollte er sie trösten, wo er damit überhaupt keine Erfahrung hatte? Trotzdem setzte er sich nach kurzem Überlegen neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Was ist passiert?“ wiederholte er, diesmal behutsamer. Es war nicht einfach, zwischen den Schluchzern auszumachen, was Anzu ihm mitzuteilen versuchte. Aber er hatte genug verstanden, um zu wissen, was zu tun war. Ohne ein Wort stand er auf und ging nach draussen, um zu telephonieren. „Zieh das an.“ War das erste, was sie von Seto hörte, nachdem er in die Gardarobe zurückgekommen war. Anzu sah auf und stellte fest, dass er ihr ihren Mantel vor die Nase hielt. „Wozu?“ Schniefend zog sie die Nase hoch. „Ich komme doch hier sowieso nicht weg.“ Seto zog sie von ihrem Sitz hoch und drückte ihr den Mantel in die Hand. „Sei nicht albern, natürlich tust du das. Und zwar in genau –“ er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Einer halben Stunde. Jetzt beeil dich, sogar ich kann den Flugplan nicht endlos durcheinander bringen.“ Verwirrt folgte sie ihm nach draussen, wo er sie ohne Umstände in seinen Wagen schob. „Was hast du gemacht?“ brachte sie schliesslich heraus. Er schmunzelte nur und stieg ebenfalls ein. „Keine Zeit jetzt, Roland anzurufen.“ Erklärte er auf ihren erstaunten Blick hin, weil er selber fuhr. „Ich habe den Flughafen angerufen und ihnen gesagt, sie sollen meinen Privatjet fertig machen, weil ich in einer halben Stunde nach Japan zurück muss. Ich hoffe, du bist nicht klaustrophobisch, besonders gross ist das Cockpit nämlich nicht. Aber da Roland ja erst mal hier bleibt, kannst du seinen Platz haben.“ Anzu war zu benommen, um zu antworten. Sie sprach auch nicht weiter, als sie schliesslich am Flughafen aus dem Wagen stiegen und nach drinnen rannten, denn fünfundzwanzig ihrer dreissig Minuten waren bereits verstrichen. Seto war es, der das Schweigen brach, aber da waren sie schon eine ganze Weile in der Luft und er hatte per Handy Roland über seine geänderten Pläne informiert. „Wie kommt es, dass ausgerechnet du für diesen Jungen verantwortlich bist? Du bist ziemlich jung dafür.“ Anzu fand es etwas seltsam, mit seinem Rücken zu reden, denn sie sass ja hinter ihm, aber es machte die Sache auch wesentlich einfacher. So musste sie ihm wenigstens nicht ins Gesicht sehen, jetzt, wo wieder eine Träne über ihre Wange rollte. Aber sie unterdrückte die nachkommenden schnell und antwortete so gefasst wie möglich: „Chihiro – das ist meine Cousine – war sowas wie meine grosse Schwester. Ich habe immer alles mit ihr besprochen, wenn ich nicht damit zu meinen Eltern wollte... naja, jedenfalls, ihr Mann ist Europäer. War Europäer, sollte ich sagen. Die beiden haben christlich geheiratet und ihr Kind auch taufen lassen... und Chihiro hat mich gebeten, Kaitos Taufpatin zu werden.“ Sie räusperte sich, denn ihre Stimme klang belegt. „Natürlich könnten normalerweise auch erst mal seine Grosseltern für ihn sorgen, aber Chiriros Mutter, also meine Tante, war viel älter als meine Mutter, ihre Schwester. Sie und ihr Mann sind schon vor Jahren gestorben und die Eltern von Chirios Mann leben natürlich in Europa und sind ausserdem auch schon ziemlich alt. Also haben sie mich angerufen... Ich weiss nicht, was ich machen soll. Kaito kennt mich, jedenfalls hoffe ich das, obwohl wir uns ein paar Monate nicht mehr gesehen haben und wir haben uns immer gut verstanden, aber wie soll ich ihm seine Eltern ersetzen?“ Sie war Seto dankbar, dass er dazu im Moment nichts sagte, sondern einfach schwieg. Sie sah müde aus, als sie das Krankenzimmer wieder verliess, viel zu müde. Seto widerstand dem Drang, die Arme um sie zu legen, aber zu seinem Erstaunen kam Anzu von selbst auf ihn zu und lehnte sich hilfesuchend an ihn. „Er hat keine Ahnung, was passiert ist.“ Flüsterte sie tonlos. „Die meiste Zeit schläft er sowieso, aber nachdem sie ihm die Infusion gegeben haben... ist er kurz aufgewacht. Und natürlich wollte er wissen, wo seine Eltern sind.“ Ihre letzten Kräfte schienen sie auch noch zu verlassen und sie sank auf einen der unbequemen Plastikstühle an der Wand. Seto setzte sich neben sie, hin und hergerissen zwischen einem seltsamen Schmerz beim blosen Anblick ihrer Trauer, und einem unmöglichen Glücksgefühl, weil sie ihn einmal nicht zurückstiess. Er hoffte, dass sie ihm letzteres nicht ansah und falsch deutete, jetzt, wo sie ihre tränennassen Augen endlich auf ihn richtete. Aber Anzu schien nichts dergleichen zu beschäftigen, sie sagte nur: „Danke.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiss, wie es ist, sich für jemanden verantwortlich zu fühlen.“ Mokubas Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf, wie es ausgesehen hatte, kurz nachdem sie ihre Eltern verloren hatten. Er war damals fünf gewesen. Der kleine Junge, der da drinnen zwischen Leben und Tod schwebte, war vier. Die Erinnerung verblasste wieder und er betrachtete Anzu nachdenklich. Ja, und ich weiss auch, wie es ist, sich etwas verzweifelt zu wünschen und es nicht wahrmachen zu können, fügte er in Gedanken hinzu. Für ein paar Sekunden breitete sich ein Lächeln auf Anzus abgespanntem Gesicht aus und sie sah ihn mit einem Ausdruck an, der irgendwo zwischen Bewunderung und Zuneigung schwebte. War es so gewesen, als sie ihn noch geliebt hatte? Wie hatte er das nur verspielen können? Der Gedanke durchzuckte ihn schmerzhaft, aber da war das Lächeln auch schon wieder verchwunden und Anzu sah nur noch erschöpft aus. „Würdest du... könntest du mich zu meinen Eltern fahren? Ich würde mir ein Taxi rufen, aber wir sind so überstürzt aufgebrochen, ich habe nicht mal genug Geld dabei, um den Fahrer zu bezahlen.“ Seto erhob sich und reichte ihr die Hand, denn irgendwie sah sie so aus, als könnte sie beim Aufstehen Hilfe gebrauchen. „Natürlich. Komm.“ Sie liess sich aufhelfen, machte aber keine Anstalten, seine Hand loszulassen. Erst nach ein paar Schritten in Richtung Ausgang schien ihr aufzugehen, was sie da gerade tat und wie das für das Klinikpersonal aussehen musste, das sie sowieso schon die ganze Zeit interessiert beobachtete, weil es schliesslich nicht besonders oft vorkam, dass Seto Kaiba überforderten Verwandten am Krankenbett seelischen Beistand gab. Sie drückte seine Hand noch einmal kurz und liess sie dann los. Er schien auf einmal immer da zu sein. Wenn Anzu im Krankenhaus war, schaute Seto vorbei, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Abends rief er an, um zu hören, ob Kaitos Zustand Fortschritte machte. Und als sie einige Tage später mit ihren Eltern am Grab von Chihiro und deren Mann stand, war es nicht die Schulter ihrer Mutter, an der sie sich schliesslich ausweinte – denn die hing ihrerseits an der von Anzus Vater -, sondern die von Seto. Ein Gerücht nach dem anderen lief durch die Presse, anfangs hatten einige Blätter in ihrer Sensationslust wohl sogar gehofft, der tragische Verlust, den Anzu wegstecken musste und bei deren Bewältigung ihr Seto offenbar zu helfen versuchte, hinge mit dem Tod einer ihrer berühmten Freunde zusammen. Das war zwar schnell aus der Welt geschafft, aber Schweigen kehrte damit noch lange nicht ein in den Blätterwald der Dominoer Klatschspalten. Anzu war es egal. Kaum, dass sie überhaupt darauf achtete, wenn ihr verweintes Gesicht neben Seto einmal wieder die Titelseiten schmückte, von wo sie sowieso bald wieder verdrängt wurde, denn wie oft kann man das selbe, aus dem selben Grund trauernde Mädchen als Sensation verkaufen, selbst wenn sie sich dabei auf Seto Kaiba stützt? Sie wusste nur, dass seine Gegenwart ihr gut tat, dass sie wenigstens ein wenig ruhiger wurde, wenn er sie festhielt, und nachdem der erste Schmerz ein wenig abgeklungen war, wurde ihr auch klar, was das bedeutete. Es war schliesslich nicht so, dass Seto weniger arbeitete. Er kratzte sich seine freien Minuten zusammen und arbeitete Nachts, wenn er sich tagsüber Zeit für sie nahm. Langsam, zuerst erschrocken, dann mit einem Gefühl, als sei das alles unvermeidbar gewesen, merkte sie, dass sie nicht nur dankbar war, wenn sie daran dachte. Aber war es nicht verständlich, dass sie nach jemandem suchte, der ihr Halt gab? „Was willst du jetzt machen?“ Anzu hatte die letzte Viertelstunde damit verbracht, Taschentücher zu zerzupfen und zu zerknüllen. Es dauerte eine Weile, bis sie Seto antwortete. „Naja, einen neuen Job suchen, schätze ich.“ Darauf war er auch schon selbst gekommen. „Ja, aber wo? Hier, in Domino? Oder willst du zurück in die Staaten?“ Sie sassen in der Küche von Anzus Eltern, die längst aufgehört hatten, sich über den prominenten Besuch zu wundern, den ihre Tochter jetzt öfter bekam. „Sei nicht albern.“ Anzu stand auf und füllte ihre Tasse mit heisser Schokolade aus einem Topf auf dem Herd. „Ich kann Kaito nicht auch noch seine Freunde und seinen Kindergarten wegnehmen. Natürlich werde ich hierbleiben, und zusehen, dass ich bald eine eigene Wohnung finde. Hier ist jedenfalls auf Dauer kein Platz für uns beide.“ In Setos Kopf begann es zu arbeiten. Nicht mehr berechnend, wie noch vor ein paar Wochen, als er hauptsächlich darauf aus gewesen war, Anzu für sich zu bekommen. Die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, hatte auch für ihn einiges geändert – er war mehr denn je der Meinung, dass sie die einzige Frau war, die ihn glücklich machen könnte, aber ihn trieb nicht mehr nur das blanke Verlangen, wenn er an sie dachte. Da war etwas Neues, ein Impuls, sie zu beschützen, in ihrer Nähe sein zu wollen, ja, und auch Bewunderung dafür, dass sie trotz allem die Situation irgendwie meisterte. Wenn er es bisher nicht getan hatte, dann musste er es sich spätestens jetzt eingestehen: Er liebte Anzu, wie er nie gedacht hatte, eine Frau lieben zu können. „Warum zieht ihr nicht bei uns ein?“, fragte er schliesslich, als hätte er ihr nur angeboten, sie einmal mehr in seinem Wagen irgendwo hin mitzunehmen. Anzus Kopf schnellte nach oben. „Was meinst du damit?“ Er hob unbeholfen die Schultern. „Du und Kaito. Die Villa hat so viele Zimmer... ihr müsstet niemanden sehen, wenn du das nicht willst. Die Gästezimmer sind im Haupttrakt, ihr könntet natürlich zwei davon haben, aber wenn du lieber etwas mehr Ruhe hättest, könnte ich die Zimmer herrichten lassen, in denen die Frau meines Adoptivvaters gelebt hat, nachdem es zwischen den beiden nicht mehr so lief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Was ich sagen will ist, es gibt auch Schlafzimmer in einem Seitentrakt, mit seperatem Bad und einer kleinen Küche, sogar eine eigene Hintertür ist da. Du könntest das Ganze als eure Wohnung betrachten. Dann müsstest du dir vorerst über die Miete keine Gedanken machen.“ Ungläubig starrte sie ihn an. „Seto, du spinnst. Sowas kann ich nicht annehmen.“ Mit Mühe verkniff er sich ein Lächeln. Wenn sie schon so antwortete, dann waren die Zweifel offensichtlich nicht so unüberwindbar gross. „Natürlich kannst du das. Diese Zimmer braucht niemand. Aber du brauchst eine Wohnung für dich und Kaito, und vorerst hast du keinen Job. Wie willst du also eine mieten?“ Das musste sie doch einsehen. „Anzu, ich will dafür keine Gegenleistung von dir oder so, falls du das denkst. Ich biete dir das an, weil ich dich... naja, weil ich dich mag. Und weil ich dir helfen will, weil ich weiss, in welcher schwierigen Situation du bist.“ Zum ersten Mal seit langem, wie es ihm vorkam, zeigte sich ein leichtes Lächeln auf Anzus Gesicht. „Seto Kaiba, ich wusste ja gar nicht, dass du sowas aussprechen kannst. Ich dachte immer, dagegen hättest du eine genetische Blockade.“ Als er sie verständnisslos ansah, ergänzte sie: „Dagegen, zuzugeben, dass du jemanden gern hast. Jemand anderen als deinen kleinen Bruder, meine ich.“ Seto antwortete nicht. Er wartete auf ihre Antwort, und er würde nicht riskieren, sie durch ein falsches Wort wieder umzustimmen. Aber Anzu liess sich Zeit – ganze zehn Minuten. „Na gut, einverstanden. Übermorgen kann ich Kaito aus dem Krankenhaus abholen, dann ziehen wir bei dir ein. Aber wehe, du machst dir oder deinen Angestellten irgendwelche Umstände. Staubwischen und Rolläden aufziehen kann ich selbst, also lass die Räume, wie sie jetzt sind!“ Kapitel 8: Patchwork -------------------- Auch das Schicksal und die Angst kommt über Nacht ich bin traurig gerade hab ich noch gelacht und an sowas Schönes gedacht Auch die Sehnsucht und das Glück kommt über Nacht ich will lieben auch wenn man dabei Fehler macht ich hab mir das nicht ausgedacht Wunder geschehn ich hab's gesehn es gibt so Vieles was wir nicht verstehn Wunder geschehn ich war dabei wir dürfen nicht nur an das glauben was wir sehn Immer weiter immer weiter gradeaus nicht verzweifeln denn da holt dich niemand raus komm steh selber wieder auf Wunder geschehn ich hab's gesehn es gibt so Vieles was wir nicht verstehn Wunder geschehn ich war dabei wir dürfen nicht nur an das glauben was wir sehn Was auch passiert ich bleibe hier mmh ich geh den ganzen langen Weg mit dir was auch passiert Wunder geschehn Wunder geschehn Wunder geschehn ("Wunder geschehn" von Nena) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Guten Morgen, Miss.“ Oh. Naja. Irgendwie bezweifelte Anzu, dass sie gerade aussah wie eine „Miss“. Aber wahrscheinlich war das einfach die Art, wie Roland gewöhnt war, junge Frauen anzusprechen. „Guten Morgen. Hab ich irgendwas verpasst?“ Sie trat höflich zur Seite und bedeutete ihm, hereinzukommen, obwohl sie sich in ihrem Kuriboh-Pyjama zunehmend albern vorkam. Roland ignorierte sowohl die Einladung als auch den Pyjama. „Kaiba-sama hat mich beauftragt, Ihnen beim Umzug zu helfen und die Villa zu zeigen.“, erklärte er taktvoll. Aha. Ja, richtig, sie hatte „Kaiba-sama“ ja versprochen, bei ihm einzuziehen. Gestern abend, da musste sie wohl schon im Halbschlaf gewesen sein. „Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.“ Verlegen lächelte Anzu ihr Gegenüber an. „Ich werde mich mal schnell umziehen und dann meinen Koffer packen.“ Das Meiste war ja glücklicherweise noch in den Kisten, in denen es aus Amerika gekommen war. „Wollen Sie vielleicht so lange im Wohnzimmer warten?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich warte im Wagen. Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe mit den Kisten brauchen.“ Komischer Typ. Wie konnte man nur gleichzeitig so nett und so distanziert sein? So schnell, wie sie gedacht hatte, ging das alles doch nicht. Zwar hatte sich Anzu schnell gewaschen und in eine nicht mehr ganz neue Jeans und ein robustes T-Shirt geworfen – immerhin wollte sie ja in den Sachen arbeiten können –, aber sie hatte in den letzten Wochen doch mehr ihrer Habseligkeiten hier verstreut, als sich einfach in einen Koffer stecken liess. Also zuerst die Kleider in eine Reisetasche, zusammen mit ein paar Büchern, die sie gerade las oder bald lesen wollte. Dann kamen die Fotos dran – eines von ihrem Vater und ihr auf irgendeinem Rummel, da musste sie etwa fünf gewesen sein. Schnappschüsse ihrer ersten kleinen Tanzerfolge. Ein Familienfoto. Eines, auf dem sie zusammen mit ihren besten Freunden zu sehen war, aufgenommen auf einer Klassenfahrt. Weitere Fotos von Yugi, Joey, Tris und ein paar anderen Freunden. Erst jetzt, wo sie all diese Erinnerungen in einer grossen Handtasche zu verstauen versuchte, fiel Anzu auf, wie viele Fotos sie an ihren Wänden hängen hatte, und nicht bei einem konnte sie sich entschliessen, es hier zu lassen. Aufnahmen von Chihiro, alleine, mit ihren Mann und einmal mit dem winzigen Kaito auf dem Arm, als der derade ein paar Tage alt war. Sogar von den Kaiba-Brüdern war eine dabei, Mokuba breit grinsend in seinem allerliebsten Streifenpullover, Seto mit der üblichen Ihr-könnt-mir-alle-nichts-Miene. Sie stutzte und starrte eine Weile auf das Foto in ihren Händen, weil es sie an etwas zu erinnern schien, es fiel ihr nur nicht gleich ein, an was. Natürlich! Sie stopfte das Doppelportrait ungeduldig in die Tasche und war mit ein paar Schritten am Bett. Tatsächlich, als sie die Matratze hochhob, fing sich das einfallende Licht in einer Hochglanzaufnahme von Seto. Das Bild hatte sie auf ihrer Abschlussfahrt aufgenommen, heimlich, denn wenn Seto davon gewusst hätte, hätte er wahrscheinlich darauf bestanden, dass es vernichtet wurde, so harmlos es auch war, und ihre Freunde hätten sie nur endlos damit aufgezogen. Anzu zog es aus seinem Versteck und setzte sich damit auf das Bett. Im Grunde war nichts zu sehen ausser Setos Gesicht in Grossaufnahme, fast Lebensgrösse, ungewöhnlich ruhig und entspannt, sogar ein kaum sichtbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Nur die Augen waren nicht erkennbar, sondern geschlossen. Meine Güte, sie war so nah heran gegangen, dass man sogar das Blut durch Setos Lider schimmern sah. Halb amüsiert über sich selbst, halb sentimental strich sie mit dem Zeigefinger darüber, zog ihn aber sofort zurück, als ihr wieder einfiel, wie oft sie das Abends getan hatte, als sie noch so in Seto verliebt gewesen war. In der ersten Wut über seine simple Abfuhr war das Bild dann wohl unter der Matratze liegen geblieben, als sie nach Amerika ging. Nach kurzem Überlegen entschloss sie sicht, es in einen Rahmen zu stecken und mitzunehmen. Seto würde sich nicht mehr darüber aufregen, sie würde viel zu beschäftigt sein, um sich wieder irgenwelchen kitschigen Schmachtereien hinzugeben, aber immerhin, sie waren Freunde, oder? Und es war ein schönes Foto. Nachdem sie alle Sachen eingepackt hatte, die sie mitnehmen wollte, und entschieden hatte, welche der Kisten vorerst noch hierbleiben sollten – viele waren es nicht geworden –, fiel Anzus Blick auf ihre alten Kuscheltiere, die immer noch auf dem Schrank sassen, eingestaubt, aber sonst nicht weiter verändert. Sie würde eines für Kaito mitnehmen. Der hatte zwar sicher seine eigenen, aber ein weiterer Kamerad konnte im Moment nicht schaden. Sie holte alle von ihrem Altersruhesitz zurück und breitete sie auf dem Bett aus. Als erstes fiel ihr der brombeerfarbige Bär auf, ihr allererstes Kuscheltier. Ja, der musste mit, aber irgendwie konnte sie sich nicht so ganz entschliessen, ihn zu verschenken. Nein. Anzu steckte den Teddy in ihre übervolle Reisetasche und musterte die auf dem Bett verbliebenen Tiere. Die grosse Schlange jedenfalls war nichts, die würde Kaito eher erschrecken als trösten. Anzu hatte sie selber nie so richtig gemocht. Einige andere waren so abgerieben oder sogar irgendwo gerissen, dass sie sie nicht mehr verschenken wollte. Blieb eigentlich nur noch... ja, das kleine Eichhörnchen würde genau den Zweck erfüllen, zu dem sie es haben wollte. Schnell staubte Anzu es ab und verstaute es neben dem Bären in der Tasche. Jetzt endlich war sie fertig. Sie hielten auf dem kiesbestreuten Hof, und als Anzu ausstieg, merkte sie, dass die Steinchen, die da unter ihren Schuhen knirschten, tatsächlich sorgfältig mit einem Rechen geglättet waren. Meine Güte, sie hatte das immer für ein Klischee gehalten. Fast ein wenig drohend erhob sich die graue Fassade über ihr. Anscheinend hatte Gozaburo europäisch wirken wollen, als er dieses Haus hatte bauen lassen, und es einem alten englischen Herrenhaus nachempfunden. Nur die Kirschbäume passten nicht so ganz ins Bild. Aber vielleicht waren die ja auch neueren Datums. Roland hatte gerade ein paar Angestellte angewiesen, das Gepäck auszuladen, und kam jetzt auf sie zu. „Machen wir zuerst einen kleinen Rundgang, bevor ich Ihnen Ihre Räumlichkeiten zeige.“, schlug er vor, in einem Ton, der deutlich zeigte, dass das keine Frage und auch kein Angebot seinerseits war, so nett er es auch ausdrücken mochte. Anzu wagte trotzdem einen Protest: „Das ist doch wirklich nicht nötig. Ich werde schliesslich nur vorübergehend hier wohnen, und ich habe auch nicht vor, mich gross im Haupthaus aufzuhalten.“ Setos Sekretär lächelte nur, sie hätte es fast ungläubig nennen wollen, aber dazu war es zu höflich. Ohne weiter darauf einzugehen ging er zur Eingangstür, die sich trotz der ausladenden Stufen davor im Vergleich zum Haus fast zwergenhaft ausnahm. Widerwillig folgte Anzu. Als allerdings die erste Verlegenheit verflogen war, die vor allem aufgekommen war, als Roland sie der Haushälterin als „neue Mitbewohnerin“ vorstellte, genoss sie die Führung beinahe. Im Erdgeschoss hielten sie sich nur kurz auf, da hier, wie Roland erklärte, hauptsächlich die Räume lagen, in denen nur die Bediensteten zu tun hatten – Küche, Waschraum, einige Abstellräume und so weiter. Dann stiegen sie in den Keller, wo sich vor Anzus staunenden Augen eine komplette Wellnesslandschaft mit Schwimmbad, Whirlpool, Sauna, Massageliegen, Dampfbad und Wintergarten auftat. Letzterer liess durch die riesigen Fenster den Garten erkennen, der offensichtlich so weit abfiel, dass man ihn hier zu ebener Erde betreten konnte. „Nun sagen Sie mir nicht, dass zum Personal auch ausgebildete Masseurinnen gehören.“, brachte sie gerade noch so heraus, um wenigstens nicht völlig stumm und dumm herumzustehen. Roland schmunzelte. „Nein, die müssen schon im Vorab bestellt werden. Aber die Räumlichkeiten hier werden sowieso kaum noch benutzt, mit Ausnahme des Schwimmbads, und des kleinen Trainingsraums hier drüben.“ Er öffnete eine weitere Tür und gab den Blick frei auf einen ebenfalls zum Garten blickenden Raum, ausgestattet mit Laufband, Trainingsrad, Boxsack und einer mit dünnen Futons gepolsterten Ecke. An einer Wand hingen Bambusschwerter. Anzu fragte sich, wer hier wohl trainierte, aber sie hatte den Verdacht, dass es nicht Mokuba war. Danach war der erste Stock an der Reihe. „Hier befinden sich so gut wie alle Privaträume der Familie Kaiba.“, erklärte Roland völlig ruhig, als wäre es kein bisschen lächerlich, von den beiden Brüdern als einer ganzen Familie zu reden, als würde die Villa von einem richtigen Clan bewohnt. Aber Anzu dachte nicht daran, ihn darauf hinzuweisen, die beeindruckende Umgebung hielt sie davon ab. Also sprach Roland ungehindert weiter: „Die Treppe, die wir eben heraufgekommen sind, ist die Haupttreppe. Es gibt noch eine weitere am Ende dieses Ganges, aber sie wird nur von den Angestellten benutzt, vor allem von denjenigen, die in der Villa wohnen und im zweiten Stock ihre Zimmer haben – das sind die Haushälterin, zwei Zimmermädchen und der Butler.“ Der Impuls, zu fragen, wofür ein Butler denn nun wirklich gut war, war stark, aber Anzu hielt sich zurück. Trotzdem, sie konnte sich schlecht vorstellen, dass sich einer der Kaiba-Brüder beim Essen alles anreichen liess, also wozu ein Butler? Roland schien ihre Verwirrung zu bemerken und erklärte: „Er kümmert sich hauptsächlich um den Weinkeller und darum, dass die Aussenanlagen richtig betreut werden. Ausserdem organisiert er ab und an kleinere Gesellschaften für Kaiba-samas Geschäftspartner. Wir bezeichnen ihn nur als Butler, in Ermangelung einer besseren Bezeichnung.“ Aha. Weiter gings, den linken Gang hinunter. Einige Gästezimmer besichtigten sie nur flüchtig, dann öffnete Roland kurz eine Tür, hinter der Bücherregale und ein Schreibtisch sichtbar wurden. „Das Arbeitszimmer von Kaiba-sama.“, erklärte er knapp, schloss die Tür aber gleich wieder. „Abgeschlossen ist es selten, aber trotzdem dürfen die Angestellten es nicht ohne Aufforderung betreten, und ich würde Ihnen raten, es genauso zu halten. Wenigstens vorläufig.“ Wenigstens vorläufig? Was dachte er denn, wie lange sie hier leben würde? Doch allerhöchstens ein Jahr! Aber Anzus Stimme schien irgendwie eingerostet, seit sie hier von allen Seiten vom Luxus erdrückt wurde, also antwortete sie wieder nichts. An das Arbeitszimmer schlossen sich ein kleines Fernsehzimmer, das so aussah, als würde es nie benutzt, und Mokubas Zimmer an. Letzteres blieb natürlich geschlossen. Anzu nahm an, dass sie es irgendwann kennen lernen würde, aber so lange war das Mokubas Privatsache. „Bleibt nur noch das Schlafzimmer von Kaiba-sama.“ Roland wies auf die Tür an der Stirnseite des Ganges. „Aber das kann ich Ihnen selbstverständlich nicht zeigen.“ Wieder dieses gut getarnte Schmunzeln. Ging er etwa davon aus, dass sie das Schlafzimmer unbedingt sehen wollte? Na danke. „Natürlich nicht.“ Kühl wandte sich Anzu wieder um und ging den Gang zurück. „Was ist auf der anderen Seite?“ Roland hatte keinerlei Schwierigkeiten, ihr zu folgen. Mit ein paar Schritten, kaum grösser und kein bisschen hastiger als die seiner normalen Gangart, war er wieder neben ihr. „Ein paar weitere unbenutzte Räume, offiziell Gästezimmer, obwohl selten Gäste in die Villa kommen, geschweige denn hier übernachten.“ Inzwischen waren sie an ihrem Ausgangspunkt angelangt und betraten nun den rechten Gang, der etwas kürzer schien als der schier endlose linke. „Ausserdem das Esszimmer.“ Besagtes Zimmer entpuppte sich eher als so etwas wie ein Speisesaal, wobei die eine Hälfte leer war bis auf ein paar Topfpalmen und Gemälde an den Wänden – bestimmt alles Originale. Die andere Hälfte beherbergte einige Kommoden und Vitrinen, durch deren Glas man teures Porzellan- und Silbergeschirr schimmern sah, einen Wandschrank, dessen unterer Teil wohl weiteres Geschirr beherbergte, während der obere als Aufbewahrungsort für diverse Liköre und Spirituosen diente, und einen Esstisch, der in dem riesigen Raum fast winzig aussah. Allerdings war er trotz seines soliden Aussehens eindeutig ausziehbar, und konnte bei Bedarf sicher in eine lange Tafel verwandelt werden. Der blank polierte Boden reizte Anzu, auszuprobieren, ob sie darauf rutschen konnte. Als sie es verstohlen versuchte – sie war davon ausgegangen, dass Roland ihr den Rücken zudrehte –, erntete sie ein Lachen. „Da haben Sie eines der Lieblingshobbies von Mokuba-sama entdeckt.“, lautete der einzige Kommentar. Anzu war froh, dass Roland ihr ihr kindisches Getue nicht weiter übel zu nehmen schien, und folgte ihm schnell, um die beiden Wohnzimmer und noch einige unbewohnte Räume anzuschauen. Huh. Diese Führung war anstrengender gewesen, als sie gedacht hatte. Das hatte wohl auch Roland bemerkt, denn er zeigte ihr nur noch kurz den Weg um die Ecke ins Nebengebäude, wo ihre kleine Wohnung sich befand, und die Treppe, die zu dem kleinen Hintereingang führte, den Anzu und Kaito benutzen würden. Danach liess er sie alleine, in ihren Räumen würde sie sich ja sicherlich selbst zurecht finden. Vorerst jedenfalls hatte sie gar nicht vor, sich gross „zurecht zu finden“, sie wollte sich nur ein bisschen ausruhen. Trotz ihrer Müdigkeit neugierig, öffnete sie die Tür zu ihrer Wohnung – und merkte als erstes, dass Seto sich natürlich nicht an ihre Bitte gehalten hatte, das Herrichten ihr zu überlassen. Die Rolläden waren geöffnet, genau wie die Fensterläden, überall war Staub gewischt und gesaugt worden, und auf dem kleinen Esstisch stand sogar eine Vase mit einem frischen Kirschzweig. Anzu sank auf einen der Stühle und bemerkte die beiden Notizen, die unter der Vase festgeklemmt waren. Die eine war nicht unbedingt kindlich, aber jedenfalls bunt verziert und verkündete: „Hey Anzu! Schön, dass du da bist! Und toll, dass du und Kaito bei uns wohnen wollt. Ich kann dich leider nicht persönlich in Empfang nehmen, Schule. :-( Aber wir werden uns ja noch ein paar mal sehen. Auf gute Nachbarschaft und so Mokuba“ Die zweite Nachricht war nüchterner, in Setos geübter, schlanker Handschrift auf einer schlichten, aber teuer aussehenden weissen Karte verfasst: „Willkommen bei uns, Anzu. Fühl dich wie zu Hause, das gilt natürlich auch für Kaito, wenn er erst einmal hier ist. Richtet euch ein, wie es euch gefällt, wenn ihr irgendwelche Hilfe braucht, stehen Roland und der Butler euch zur Verfügung. Sag nur bitte bescheid, bevor du irgendwelche Wände durchbrechen lässt, ansonsten steht es dir frei, zu tun, was dir gefällt. Grüsse Seto“ Anzu steckte die Karten lächelnd weg, nahm sich aber vor, sie aufzuheben. Man wurde schliesslich nicht überall so nett empfangen. Eine Weile lang blieb sie einfach sitzen und ruhte sich aus, während ihre Gedanken schon damit beschäftigt waren, sich auszumalen, wie die nächsten Wochen wohl werden würden. „Anzu, wann kommen Mama und Papa wieder?“ Hatte sie ihm jemals versprochen, dass das der Fall sein würde? Anzu hoffte nicht, dass sie sich schon jetzt unglaubwürdig gemacht hatte. Aber sie konnte sich eigentlich nicht daran erinnern. „Sie sind tot, oder?“ Autsch. Wer hatte ihm das gesagt? Andererseits wunderte sich Anzu nicht sonderlich, dass Kaito bescheid wusste. Immerhin hatte er auch in diesem Auto gesessen. Sie setzte sich auf eine Bank, an der sie gerade vorbei gekommen waren, und zog ihn neben sich. „Ja, Kaito, das sind sie.“ Er zeigte keine Regung, aber die Spannung in seinem kleinen Körper verdichtete sich und sein Gesichtsausdruck war viel zu ernst für einen Vierjährigen. „Wohne ich jetzt bei dir?“ Komisch, dass er ihr so vertraute. Dabei hatte er sie doch in den letzten Jahren nur dann und wann gesehen. „Ja, das heisst, genau genommen, wohnen wir beide bei einem Freund von mir. Aber keine Angst, wir werden unsere Ruhe haben, und wir werden es uns so schön machen, wie es eben geht.“ In einem schwachen Versuch, ihn zu trösten, zog Anzu Kaito in ihre Arme und er liess es ohne Fragen geschehen. Ein paar Mal spührte sie, wie er schluckte, aber als sie ihn schliesslich wieder losliess, war sein Gesicht genauso trocken und gefasst wie zuvor, keine Träne in Sicht. Tapferer kleiner Mann. „Komm.“ Anzu stand auf und hielt ihm lächelnd die Hand entgegen. „Gehen wir deine Sachen holen. Und dann sehen wir uns unser neues Zuhause an.“ Zufrieden sahen die beiden Bastler sich im Zimmer um. Kaito hatte die meisten seiner Möbel mitgebracht, so dass das Schlafzimmer inzwischen gut ausgestattet war. An der Südwand standen sein Kinderbett und eine Kommode mit seinen Sachen, Anzu hatte das bereits vorhandene Bett und ihr Nachttischchen an die daran anschliessende Wand geschoben, und gegenüber von Kaitos Sachen stand ein Kleiderschrank, der sich ebenfalls schon im Zimmer befunden hatte, zusammen mit einem Regal mit Kaitos Spielsachen. Der Schreibtisch, den ihm sein Vater schon voller Vorfreude auf das erste Schuljahr gekauft hatte, hatte an der vierten Wand Platz gefunden. Aus ein paar langen Vorhängen mit Giraffenmuster war mit Hilfe der vom Butler zur Verfügung gestellten Werkzeuge eine Art Betthimmel geworden, den Kaito zur Not auch schliessen konnte, wenn er alleine sein wollte, und am Kopfende des kleinen Bettes beherbergte ein Wandbord die wichtigsten Kuscheltiere, ein grosses gerahmtes Foto von Kaito und seinen Eltern, und eine Nachttischlampe. Anzus Bilder waren ebenfalls aufgehängt worden, und alles in allem sah der Raum schon sehr wohnlich aus. Draussen war es schon seit einiger Zeit dunkel. „So, ich schlage vor, du gehst jetzt erst mal ins Bett. Und morgen gehen wir zusammen in den Kindergarten, damit du deine Freunde endlich wieder siehst, einverstanden?“ Kaito schien sich auf einmal wieder daran zu erinnern, dass das hier nicht nur ein nettes Spiel mit Anzu war, sondern dass sie wirklich zusammen leben würden. Er sah etwas enttäuscht aus, nickte aber. Also wartete Anzu, bis er sich im Bad die Zähne geputzt und umgezogen hatte, dann setzte sie sich noch eine Weile an sein Bett und löste ihr Versprechen ein, ihm jeden Abend etwas vorzulesen. „Gute Nacht, Kleiner.“ Als sie sich nach kurzem Zögern über ihn beugte und einen Kuss auf seine Stirn drückte, war Kaito zu ihrer Überraschung schon eingeschlafen. Anzu zog die Vorhänge zu und streckte sich. Die Uhr sagte ihr, dass es gerade einmal halb neun war, spät für Kaito, aber sie hatte noch nicht vor, ins Bett zu gehen. Das kleine Ess- und Wohnzimmer kam ihr einsam vor, nachdem sie so lange mit ihren Eltern unter einem Dach gewohnt hatte. Und weil sie auch keine Lust hatte, zu lesen, beschloss Anzu, in den Hauptbau zu gehen und sich das Wohnzimmer genauer anzusehen. Immerhin hätte Roland sie sicherlich nicht herumgeführt, wenn sie sich dort nicht bewegen dürfte. Das Zimmer war nicht leer, wie sie erwartet hatte. Im Schein einer einzelnen Stehlampe sass Seto auf dem Sofa und las. Anzus erster Impuls war, wieder umzukehren und sich doch in ihrer kleinen Wohnung zu verkriechen, aber dann überlegte sie es sich anders und tippte leicht mit den Fingerspitzen gegen den Türrahmen. Das Geräusch war genug, um Seto aufsehen zu lassen. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich fest auf sie zu richten, dann lächelte er, nahm die Füsse vom Sofa und machte eine einladende Geste. Anzu setzte sich ihm gegenüber. „Lass dich nicht von mir stören. Ich hatte nur nichts zu tun und dachte mir... ich weiss nicht. Ich wollte einfach nicht so alleine in der Wohnung sitzen.“ Seto sah nicht so aus, als hätte er auf eine Erklärung gewartet, nahm sie aber dennoch einfach hin. „Willst du was trinken?“ Er griff nach der offenen Weinflasche, die neben seinem Glas auf dem Tisch stand. Sie hob die Schultern. „Warum nicht.“ Geschmeidig erhob sie sich wieder und nahm ein weiteres Glas aus dem Schrank, in dem sie sie hatte glänzen sehen. Schweigend schenkte Seto ihr ein und sie trank ein paar kleine Schlucke, während er seine halb liegende Ruheposition wieder einnahm, nachdem er offensichtlich entschieden hatte, dass sie nichts dagegen haben würde. Das Buch lag inzwischen unbeachtet auf dem Tisch. „Kaito ist hier?“, erkundigte er sich interessiert, aber nicht, als erwartete er irgendetwas anderes. Anzu nickte nur. „Er schläft jetzt. Er war ziemlich müde, nachdem wir den ganzen Nachmittag das Zimmer eingerichtet und seine Sachen verstaut haben.“ Als Seto lächelte, wusste sie nicht so genau, ob sich das auf Kaito bezog oder auf den kleinen Jungen, der Mokuba einmal gewesen war. Jedenfalls kannte Seto die Situation, in der sie jetzt war, ja nur zu gut. Aber Anzu war müde. Sie wollte im Moment nicht darüber philosophieren, wie es war, zu früh und auf seltsamen Wegen Mutter beziehungsweise Vater zu werden. Denn das waren sie ja irgendwie. Jeder für sich genommen. Für Anzu war das Gefühl noch neu, Seto kam damit schon über zehn Jahre lang irgenwie zurecht. Aber auf beiden ruhte die selbe Verantwortung. „Erzähl mir was von der Frau, der meine Wohnung gehört hat.“, forderte sie schliesslich, um die Stille zu brechen. Seto hob überrascht den Kopf. „Masako?“ Er drehte sein Glas zwischen den Fingern und beobachtete, wie das Licht sich in der roten Flüssigkeit brach. „Sie war wohl sowas wie meine Adoptivmutter, aber ich habe sie nie kennen gelernt. Was genau aus ihr geworden ist – ob sie krank war oder sich umgebracht hat, und Gozaburo das nur gut vertuscht hat, weiss ich nicht. Es wäre sogar möglich, dass sie immer noch irgendwo lebt, aber das glaube ich nicht, immerhin hätte sie dann Anspruch auf einen Erbanteil erheben können, nachdem Gozaburo tot war.“ In der Pause, die entstand, während er wieder einen Schluck Wein nahm, richtete Seto seine Augen auf Anzu. „Jedenfalls muss sie irgendwann verschwunden sein, noch bevor Mokuba und ich hier her kamen, aber keiner der Angestellten konnte mir sagen, wann genau oder wie. Alles, was ich weiss, ist dass sie eine Schönheit gewesen sein muss, bevor sie Gozaburo kennen lernte, und dass er sie irgendwie becirct hat, ihn zu heiraten. Ein paar Jahre Ehe, ein Kind, das wars dann auch. Gozaburo wollte immer gern als Gentleman angesehen werden, aber das war er im Privatleben wohl ebenso wenig wie im Geschäftlichen. Und als ihr seine Untreue zu viel wurde, hat sie sich wohl die kleine Wohnung einrichten lassen, in der ihr jetzt wohnt. Es gab ein oder zwei alte Bilder von ihr im Haus, aber entweder die sind mit anderen Sachen auf den Speicher gewandert oder rausgeschmissen worden... ich weiss es nicht.“ Er gähnte leise. „Warum willst du das wissen?“ Ja, warum? Anzu wusste es selbst nicht so genau, sie war einfach neugierig gewesen, also machte sie eine gleichgültige Geste und leerte den Rest, der noch in ihrem Glas war – sie hatte während Setos Erzählung immer wieder kleine Schlucke getrunken. „Komisch, hier zusammen zu sitzen, findest du nicht?“ Aber schön, fügte sie in Gedanken hinzu, obwohl es so anders war als ihre früheren Treffen, sei es vor, während oder nach ihrer Zeit in Amerika. Davor waren sie lose Freunde gewesen, die sich ab und an in der Gruppe irgendwo gesehen hatten, vor allem in der Schule. Sie hatten geredet, gestritten und Anzu hatte Seto heimlich mit verliebten Augen in sich aufgesogen, wenn er nicht hinsah. Während ihrer Treffen in New York waren sie sich wenig näher gewesen, zuerst standen Anzus gebrochenes Herz und Setos Vorsicht zwischen ihnen, dann hatten sie gegenseitig ein sinnloses Spiel mit einander getrieben, gerne Zeit mit einander verbracht, aber nicht mehr. Und danach war Anzu zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihr Leben irgendwie zusammen zu puzzeln, und Seto zu sehr von dem Wunsch besessen, ihr dabei zu helfen, als dass einer sich Gedanken gemacht hätte, was genau sie einander eigentlich waren. Jetzt fragten sie sich beide danach, im Stillen. Und keiner fand so recht eine Antwort. „Eigentlich gibt es ja sogar einen Namen für das, was wir jetzt sind, weisst du.“, erklärte Seto irgendwann in dem halb schroffen Ton, der immer andeutete, dass er unsicher war. Anzu sah ihn verwundert an. „Was soll das für ein Name sein?“ Er schloss die Augen. „Patchworkfamilie.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Where do we go from here? Ich weiss es noch nicht so recht. Obwohl ich so eine vage Vision von vier (vielleicht auch nur drei, mal sehen, wie kooperativ Mokuba ist) Patchworkern in KaibaLand habe und von einem neugierigen Vierjährigen, denn irgendjemand musses ja mal aussprechen, was da zwischen den beiden desillusionierten Ersatzeltern in der Luft knistert. Zu der Sache mit Noahs Mutter bleibt mir nur noch zu sagen: Ich habe schätzungsweise zwei oder drei der Folgen gesehen, in denen es um die kaibasche Vergangenheit ging. Ich weiss nicht mal, ob sie in der Serie überhaupt jemals vorkam, geschweigedenn ihren Namen, wie sie aussieht oder sonstwas. Also wenn jemand irgendwelche Infos oder ein Bild für mich hat – lasst es mich wissen. Und ich modle das Kapitel dann noch mal entsprechend um. Kapitel 9: Recreation --------------------- Viel später, nachdem Anzu schon eine ganze Weile geschlafen hatte, wurde sie von einem leisen Geräusch geweckt, dass sie zuerst nicht zuordnen konnte. Schläfrig setzte sie sich auf und sah sich im Raum um. Erst, als ihr Blick auf die Giraffen auf Kaitos Bettvorhang fiel wurde ihr klar, was los war. Kaito weinte. Etwas hilflos sass sie da und starrte die Giraffen an, bis sie schliesslich beschloss, dass es ihre Pflicht war, aufzustehen und nach ihm zu sehen, aber verdammt, sie hatte keine Ahnung von Kindern und davon, wie sie Kaito jetzt trösten sollte. Trotzdem schlüpfte sie kurz darauf leise unter ihrer Decke hervor und ging vor Kaitos Bett in die Hocke. Vorsichtig schob sie den Vorhang auf und wurde von einem verweinten, aber hoffnungsvollen Gesicht empfangen. Dafür sah Kaito umso enttäuschter aus, sobald er sie erkannte. Anzus Magen zog sich zusammen, als ihr klar wurde, was der Kleine gedacht haben musste – alles nur ein böser Traum, und seine Mama war gekommen, um ihn zu trösten. Sie streckte schüchtern die Hand aus, um sein Gesicht zu streicheln. Was sie sagen konnte, ohne einfach nur aufdringlich zu wirken, war ihr nicht so ganz klar, aber vielleicht war es einfach besser, zu schweigen. Sie wussten doch sowieso beide, was los war. Kaito vergrub sein Gesicht wieder im Kissen und schluchzte weiter. Nach einer Weile schliefen Anzus Beine ein, und sie hatte sowieso den Verdacht, hier nicht ganz willkommen zu sein, also erhob sie sich wieder und ging zögernd zurück zu ihrem eigenen Bett. Kaum, dass sie unter der Decke lag und ihr Gesicht zur Wand gedreht hatte, drang ein leises Tapsen von nackten Füssen auf dem Parkettboden zu ihr durch. Verwundert drehte sie sich um und sah sich Kaito gegenüber, winzig klein in dem T-Shirt seines Vaters, das er als Schlafanzug benutzte, und mit seinem Kuschellöwen unter dem Arm. „Darf ich zu dir kommen?“ Fast überwältigt von diesem plötzlichen Vertrauensbeweis, nickte Anzu nur benommen und hob ihre Decke hoch, sodass er darunter schlüpfen konnte. Kaito kuschelte sich sofort an sie, gab aber sonst keine Regung mehr von sich – von einem gelegentlichen Schnüffeln einmal abgesehen, denn ganz schien er seine Tränen noch nicht bezwungen zu haben. Unbeholfen streichelte ihm Anzu den Rücken und wusste noch immer nicht, was sie von dieser Situation halten sollte. Es tat ihr weh, ihren kleinen „Sohn“ so weinen zu sehen, sie fühlte sich hilflos, weil sie nichts tun konnte, um ihn zu trösten, und trotzdem machte es sie auch irgendwie glücklich, dass er sie offenbar genug mochte und genug Vertrauen zu ihr hatte, um zu ihr zu kommen mit seinem Kummer, auch wenn er ihn nicht aussprach. „Das nächste Mal komm gleich, wenn dir danach ist, okay?“, flüsterte sie schliesslich und drückte einen leichten Kuss auf seine völlig in Unordnung geratenen Haare. „Ich wache vielleicht nicht jedes Mal auf, wenn irgendwas mit dir ist, aber du kannst mich jederzeit wecken.“ Kaito nickte nur und drückte das tränennasse Gesicht noch fester in ihr Nachthemd, das einfach nicht so roch, wie es riechen sollte, natürlich nicht, niemand konnte so gut riechen wie seine Mama – aber irgendwie war es doch beruhigend und gut, und bevor es einer von ihnen merkte, waren beide wieder eingeschlafen. Es klopfte, als Anzu gerade dabei war, den Frühstückstisch zu decken. Kaito hatte sie schlafen lassen, sie wusste ja nicht, wie lange er letzte Nacht wach gewesen war, aber offensichtlich war es lang genug gewesen, um ihn wirklich müde zu machen. Der verfrühte Besucher entpuppte sich als Seto, der einen dicken Umschlag in der Hand hielt. „Deine Eltern haben dir das hier nachgeschickt.“ Kein, „Guten Morgen, Anzu.“, kein „Hast du gut geschlafen?“ . Das war eben Seto. Dass er selbst gekommen war, anstatt Roland oder einen anderen Angestellten zu schicken, verriet ihr trotzdem genug über seine Motive, und sie trat zurück, um ihn einzulassen. „Danke.“ Verlegen nahm Anzu ihm den Brief aus der Hand und stellte mit einem raschen Blick fest, dass er vom Jugendamt kam. Natürlich, sie hatte schliesslich nicht im Ernst glauben können, man würde ihr Kaito ohne Umstände überlassen. Seto stand immer noch überkorrekt und halb verlegen mitten im Raum, das Hemd frisch gebügelt und die Krawatte perfekt gebunden. „Setz dich doch. Hast du noch Zeit für eine Tasse Kaffee?“ Der war gerade durchgelaufen, wie Anzu feststellte, und sie nahm ihn aus der Maschine, während Seto nickte und sich setzte. Erst, als sie beide eine dampfende Tasse vor sich hatten, wagte Anzu, ihre Post wieder anzusehen. Seto schob das Messer, das er nicht brauchte, neben seinem ebenso nutzlosen Teller zurecht und meinte dann: „Du solltest es vielleicht aufmachen. Du wirst Hilfe brauchen.“ Und ich könnte dir helfen, schwang in dem Satz mit, obwohl er es nicht sagte. Natürlich. Es war schliesslich noch nicht ewig her, dass Seto das Sorgerecht für Mokuba übernommen hatte... Anzu griff kommentarlos zu ihrem Messer und schlitzte damit den Brief auf, was ihr einen irritierten Blick von Seto eintrug, aber sie war viel zu nervös, um ihn zu beachten. Rasch überflog sie das Schreiben und verstand nicht einen Bruchteil von dem, was sie da las. Also noch einmal. „Sieht so aus, als müsste ich einen festen Wohnsitz nachweisen.“, teilte sie Seto schliesslich mit. „Das heisst, ich werde einen Mietvertrag oder sowas brauchen.“ Er nickte, als hätte sie lediglich etwas bestätigt, das er mental ohnehin schon notiert hatte. Wartete, dass sie noch mehr sagte. „Anzu, mach mir nichts vor. Du brauchst endlich wieder einen Job.“ Das war nicht, was er hatte sagen wollen. Was Seto hatte sagen wollen, war gewesen: „Ich könnte für euch aufkommen. Alles, was du dann noch brauchst, ist eine Unterschrift von mir.“ Das Jugendamt konnte nichts dagegen haben, schliesslich war für die Leute dort nur wichtig, dass für Kaito gesorgt war, dort, wo er hinkam. Was er ausserdem gern gesagt hätte, war, dass er es gern tun würde, und was er nicht gesagt, aber gemeint hätte: selbst, wenn sie niemals sagen würde, worauf er seit Wochen hoffte. Selbst, wenn sie hier ausziehen und ihn nie wieder sehen wollte. So weit hatte sie ihn gebracht, so weit sogar, dass Seto sich nur noch als Nachgedanken jedes Mal vorhielt, dass diese Art sinnloser, unerwiederter Zuneigung eine noch schlimmere Schwäche war als die Freundschaft, die sie ihm früher immer gepredigt hatte. Aber er wusste, dass Anzu dieses Angebot gar nicht erst akzeptieren würde, also behielt er es für sich. Vielleicht, irgendwann. Anzu legte inzwischen entschieden den Brief beiseite und stand auf, um die fertig getoasteten Brotscheiben in einen Korb zu legen. „Den brauche ich, aber das ist nun wirklich nicht deine Sache.“ Verlegen suchten ihre Hände nach einer Beschäftigung, sobald sie die erste beendet hatten. Seto stand auf und stellte sich hinter sie, aber die Hand, die er ausstreckte, kam nie auf ihrer Schulter an, weil Anzu einen geschickten oder auch nur zufälligen Schritt zur Seite machte und Setos Absichten ein einziges Mal nicht zielgerichtet genug waren, um trotzdem zu einem Ergebnis zu führen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Anzu schnitt ihm das Wort ab. „Was immer es ist, ein Job in deiner Firma oder in KaibaLand – ich will es nicht, okay? Du hast Kaito und mir sehr geholfen, und dafür bin ich dir dankbar, aber es wird Zeit, dass wir uns beide wieder um das kümmern, was uns wirklich angeht.“ Was uns wirklich angeht. Sie hatte ja recht. Wäre da nicht dieser dumme, sinnlose Schmerz gewesen und das Gefühl, dass sie ihn sehr wohl etwas anging. Dass er wollte, dass sie ihn etwas anging. „Schön.“ Seto wandte sich zur Tür. „Wenn du entscheiden solltest, dass ein Sonntagnachmittag mit Mokuba und mir zu den Dingen gehören könnten, die Kaito und dich etwas angehen, lass es mich wissen. Ich habe vormittags im Park zu tun und dachte, wir könnten den Rest des Tages darauf verwenden, Kaito KaibaLand zu zeigen.“ Die Tür schloss sich hinter ihm, und Anzu blieb zurück mit dem Gefühl, das Richtige gewollt und das Falsche erreicht zu haben. „Bis später, Grosser.“ Kaito hatte sich im Unterschied zu Mokuba sofort entschieden dagegen ausgesprochen, „Kleiner“ genannt zu werden. Ein letztes Mal umarmte Anzu ihn und sah dann zu, wie er langsam über die Terrasse in Richtung Sandkasten ging, wo im Moment die wenigsten Kinder spielten. Hilfesuchend wandte sie sich an die Kindergärtnerin, traf aber auf einen ähnlich ratlosen Blick wie ihren eigenen. „Ich muss zugeben, ich hatte noch nie ein Kind, das auf einen Schlag verwaist ist.“, brachte die Frau schliesslich heraus, als sei das eine Erfahrung, die sie bisher versäumt hatte, wie eine immer geplante und nie durchgeführte Reise nach Italien. Anzu nickte nur. Wahrscheinlich meinte sie es ja gut. „Ich dachte trotzdem, es wäre das Beste, wenn er wieder hier her kommt. Vielleicht hilft es ihm... wieder ein bisschen was von dem zu finden, das mal sein Leben war.“, versuchte sie zu erklären. Jetzt war es an ihrem Gegenüber, höflich zu nicken und wieder eine Weile zu schweigen. „Tja, ich geh dann wohl mal. Um drei bin ich wieder hier, um ihn abzuholen.“ Am Ende der Woche war sie überzeugt, dass diese Aufgabe zu gross für sie war. Fünf durchweinte Nächte von Kaitos Seite – die normalerweise auch Anzus Augen nicht ganz trocken bleiben liessen, von dem sich langsam einstellenden Schlafmangel ganz zu schweigen –, der Bericht seiner Kindegärtnerin, dass er anstatt mit irgenjemandem zu spielen, lieber im Sandkasten sass und tote Käfer beerdigte, und ein hysterischer Zusammenbruch am Grab seiner Eltern waren selbst für Anzus Optimismus zu viel. Dazu kam, dass sie Seto seit drei Tagen nicht mehr gesehen hatte und mit entnervender Deutlichkeit merkte, wie das zu ihrem generellen Tief beitrug. Aber wer immer es wagte, vorzuschlagen, sie könnte Kaito doch vorerst in einem Heim unterbringen, wo er professionelle Hilfe bekommen würde und sie ihn jederzeit sehen konnte, bekam eine einfache Antwort: „Nein.“ Mehr liess ihre Erschöpfung meistens nicht zu, und mehr war auch nicht nötig. Am Samstag war sie so weit, dass sie sowohl ihren Freunden als auch ihrer Mutter rundweg absagte, als die versuchten, sie fürs Wochenende einzuladen, weil sie nicht noch mehr gutgemeinte und schlecht bedachte Ratschläge hören konnte, und nur Mokuba zu sehen bereit war. Der wenigstens würde mit so einem Vorschlag niemals kommen, zu frisch waren schliesslich noch seine eigenen Erinnerungen an das Waisenhaus, aus dem er nur dank seinem grossen Bruder herausgekommen war. Ausserdem tat er sein Bestes, Anzu beim Ausfüllen der Adoptionspapiere zu helfen, wofür sich zwar auch Seto angeboten hatte, aber davon wollte sie nichts hören. Ihre offizielle Begründung war, dass er schon genug zu tun hatte mit seiner Arbeit, aber sie wussten alle drei – nun, Anzu wusste es, Mokuba ahnte es und Seto hätte es ahnen können –, dass es eher darum ging, dass Anzu in seiner Gegenwart kaum noch klar genug hätte denken können, um ihr Geburtsdatum korrekt anzugeben. Also Mokuba. Sie sassen im kleineren Wohnzimmer der Villa, nachdem Kaito sich in den Schlaf geweint und Seto angerufen und Mokuba mitgeteilt hatte, dass er noch länger brauchen würde. Was immer das heissen mochte. Die fast fertig ausgefüllten Papiere lagen zwischen ihnen auf dem Couchtisch und Anzu döste in einem seltenen Moment des Vergessens vor sich hin, als Mokuba auf einmal fragte: „Was ist mit morgen? Ihr kommt doch?“ Morgen? Ach ja. Sonntag. KaibaLand. Anzu brummte etwas, das sowohl Ja als auch Nein heissen konnte, wahrscheinlich aber weder das eine noch das andere ausdrückte, sondern pure Erschöpfung. „Anzu, ich rede mit dir.“ Sie rappelte sich hoch. „Ja, schon gut. Ich weiss nicht. Wenn Kaito will. Ich dachte eigentlich, dass ich noch mal mit ihm zum Friedhof fahre, wenn er das will, aber bisher hat er nichts gesagt. Ich glaube, er hat seit Mittwoch ziemlich erfolgreich verdrängt, dass alles, was von seinen Eltern noch übrig ist, eineinhalb Meter unter der Erde liegt.“ Sie schauderte selbst bei dem Gedanken, obwohl sie eigentlich gedacht hatte, sie hätte sich daran gewöhnt. Mokuba nickte nur. „Je früher, desto besser.“ Was sollte das denn nun heissen? Er lächelte matt. „Na, mir ging es jedenfalls sehr viel besser, nachdem ich das Grab meiner Eltern nur noch als so eine Art Gedenkstätte betrachtet habe.“ Anzu hatte bisher nicht einmal gewusst, dass die beiden Brüder überhaupt über das Grab ihrer Eltern Bescheid wussten. Irgendwie war sie immer davon ausgegangen, dass das irgendwie im Strudel der Jahre versunken war, aber sie hätte es besser wissen sollen, bei Setos Gedächtnis. „Wo...?“, setzte sie an, kam aber nicht bis ans Ende der Frage, weil sie sich gleich darauf sagte, dass das nicht ihre Sache war und sie besser nicht fragen sollte. „Tut mir leid.“ Mokuba hob die Schultern. „Schon gut. So lange dus nicht an die Presse trägst, Seto hatte nämlich alle Mühe, zu verhindern, dass ihr Grabstein massenhaft geknipst und gedruckt wird. Ist nicht gerade das, was wir unter Totenruhe verstehen.“ Das konnte sie sich allerdings denken. „Also sind sie hier in Domino begraben?“ Er bückte sich, schob die Formulare zusammen und antwortete so leichthin wie möglich: „Ja. Gar nicht so weit weg von deiner Cousine und ihrem Mann, um genau zu sein. Wir mussten sogar daran vorbei, neulich.“ Darum war er hinter ihr und Kaito zurück geblieben. Anzu war bisher davon ausgegangen, dass das damit zusammen hing, dass er ihnen etwas Zeit allein mit ihren Verwandten gönnen wollte, aber wenn das so war... „Zeigst du es mir beim nächsten Mal?“ Seto gestand es sich selten ein, aber er war nicht immer gern hier. Dieser Park gehörte schon längst nicht mehr nur Mokuba und ihm, sondern vor allem den Massen, von denen er überrannt wurde, und wenn sich ein Mitglied der Familie Kaiba hier blicken liess, dann war es weniger ein Pflichtbesuch, und schon gar kein Urlaub, sondern am ehesten noch, als würde man sich unter Haie begeben. Jeder wollte etwas von ihm, sei es nun ein Foto, eine Antwort oder einfach nur seine Aufmerksamkeit. Diesmal war das Gemurmel besonders aufgeregt, wo immer er sich zeigte, denn sofort wandten sich alle Augen auch Kaito zu. Er hätte es dem Kleinen gerne erspart, aber seine Macht hatte gerade einmal ausgereicht, den öffentlichen Teil der Stimmen zum Schweigen zu bringen, die hinter vorgehaltener Hand etwas von einer geheimen Vaterschaft flüsterten und davon, dass Kaito eindeutige Kaiba-Züge zeigte, schliesslich war Seto der Einzige in der Familie, der braunes Haar hatte, also was hiess es schon, wenn Kaito ihm darin nicht glich – dass Mokuba auch der Einzige war, der schwarzhaarig war, und das kaum als Argument für ein eindeutiges Kaiba-Gen durchgehen konnte, war unter den Tisch gefallen. Die Wut, die er beim ersten Mal empfunden hatte, als ihm dieses Gerücht zu Ohren gekommen war, kochte wieder in Seto hoch, als sie ihren Spiessrutenlauf zum Süsswarenstand fortsetzten. Ja, Kaito hatte blaue Augen und ja, das war ausgefallen für einen Japaner, aber sein Vater war eben Europäer gewesen, und jeder, der wirklich die Wahrheit hören wollte, hätte das auch längst herausfinden können. Seto hatte dem Überbringer der Nachricht Gelegenheit gegeben, einen seiner berühmten Wutausbrüche mitzuerleben, und gleich darauf Kaitos Geburtsdatum und mehrere Bilder von Anzu während dieser Zeit, auf denen sie eindeutig keinen Babybauch hatte, veröffentlichen lassen. Erst danach hatte er sich eine halbe Stunde gestattet, den Bildern vor seinem geistigen Auge nachzugeben, die ihm wirklich eine schwangere, lachende Anzu zeigten. Eine halbe Stunde, sich einzugestehen, dass er mehr als glücklich wäre, wirklich ein Kind mit ihr zu haben, und dass er Kaito mit Freuden adoptieren würde, wenn sie vorher... nein. Nein, es war einfach nicht möglich, und solche Gerüchte dürfte es nie wieder geben. Zu gut erinnerte er sich noch an den Schock, auf einer der ihm so verhassten Dinnerparties einen halb angetrunkenen Gast etwas von Gozaburos unehelichem Sohn lallen zu hören. An die durchwachte Nacht danach und die Frage, ob ihn wirklich so wenig mit seinem Vater verband, dass andere Leute ihn in ihrer Phantasie einfach ersetzten konnten. Kaito fasste nach seiner Hand und holte Seto in die Gegenwart zurück. „Kann ich Zuckerwatte haben?“ Seto hätte ihn am liebsten angelacht, in die Luft geworfen wie er das mit Mokuba früher manchmal getan hatte, und ihm gesagt, dass er alles haben konnte, was er wollte, alles, was man mit Geld nur kaufen konnte. Aber das war kein Verhalten, das Seto Kaiba zustand. Also nickte er nur und gab die Bestellung an die verschüchterte Verkäuferin weiter, die sofort davon hastete, um Kaiba-samas Wünschen nachzukommen. Nachdem Kaito seine Zuckerwatte in Händen hielt und Seto die übliche Tüte Cremewaffeln für Mokuba in Auftrag gegeben hatte, wandte er sich wieder an seinen kleinen Begleiter. „Was meinst du, sollen wir Anzu auch was mitbringen?“ Kaito nickte sofort. „Das da.“ Sein Finger zeigte zielstrebig auf einen der glänzenden, knallroten Liebesäpfel in der Auslage. Die Verkäuferin schenkte ihnen von weiter hinten, wo sie gerade die Waffeln abwog, einen seltsamen Blick, denn Kaito hatte sich keine Mühe gegeben, leise zu sprechen. Seto ignorierte sie. Nachdenklich musterte er das erwartungsvolle Kindergesicht, das ihm immer noch zugewand war. „Weisst du, ich glaube, das ist eine gute Idee. Eine sehr gute Idee.“ Er kramte in seinem Geldbeutel nach Kleingeld, von dem er normalerweise nicht viel mit sich führte, und bezahlte alle drei Errungenschaften, bevor sie zusammen wieder zur Achterbahn gingen, wo sich Anzu und Mokuba inzwischen die Zeit vertrieben hatten – Kaito bewaffnet mit einer Wolke Zuckerwatte, grösser als sein Kopf, und Seto mit einer Tüte Waffeln und einem geradezu vulgär bunten Liebesapfel. Die Blicke, die sie sich einfingen, wurden dadurch nicht weniger. Kaito sah richtig zufrieden aus, wie Anzu beruhigt feststellte. Sie hatte fast erwartet, er würde sich gegen diesen Besuch wehren oder jedenfalls nicht besonders viel Spass daran haben, aber er schien es ganz gut aufzunehmen. Zwar war er noch immer sehr ernst und still für einen Vierjährigen, aber er sah sich alles interessiert an und plauderte sogar ein wenig mit Seto. Wie die beiden mit einander auskamen, war wirklich ein Bild für die Götter. Seto mit seinen stolzen ein Meter sechsundachzig, gegen den sich sogar Anzu wie ein Zwerg ausnahm, und daneben Kaito, den man von hinten, hätte er längere Haare gehabt, fast für eine Miniaturausgabe von Mokuba hätte halten können. Im Moment ass er zufrieden von seiner Zuckerwatte und lächelte Anzu an, offener, als er es bisher seit dem Tod seiner Eltern getan hatte. Seto war gerade dabei, Mokuba seine Süssigkeiten auszuhändigen, und wandte sich dann ihr zu. „Wir haben dir auch was mitgebracht.“ Ruhig hielt er ihr den Apfel entgegen und suchte ihren Blick. Woher wusste er blos, dass das schon immer ihr Favorit auf jedem Rummelplatz gewesen war? Unsinn, wahrscheinlich wusste er es gar nicht. Anzu kämpfte ihre Verwirrung nieder und nahm die Süssigkeit entgegen. „Danke.“, brachte sie schwach heraus. Neben ihr zupfte Kaito an Mokubas Ärmel. Der war so beschäftigt gewesen damit, seinem Bruder dabei zuzusehen, wie er sich sinnlos abmühte, Anzu die richtige Botschaft zu vermitteln, dass er eine Weile brauchte, um den Kleinen zu bemerken. „Was ist denn?“, wollte er jetzt wissen. „Können wir zur Drachenbahn gehen?“ Mokuba wirkte überrascht. „Klar. Aber willst du nicht-“ Anzu oder Seto mitnehmen, hatte er sagen wollen. Aber Kaito sah ihn fast schon flehentlich an. Dann wandelte sich das kleine Kindergesicht auf einmal in die wissende Miene eines Erwachsenen. „Meine Mama sagt, zwei, die sich lieb haben, müssen auch mal alleine sein.“ Daher wehte also der Wind. Mokuba brach in Lachen aus, während Anzu rot anlief und Seto trotz äusserer Gefasstheit noch verlegener wurde als zuvor. „Da hat deine Mama wohl recht. Na, dann komm. Dann kann ich dir auch gleich noch was zeigen.“ Mokuba griff nach Kaitos Hand und die beiden verschwanden in Richtung der Drachenbahn, für die Kaito eigentlich noch etwas klein war, aber schliesslich war er Setos Gast... Anzu war noch nie so geküsst worden. Der Geschmack von Apfel und Zuckerglasur auf ihrer Zunge erinnerte fast an die ersten, schüchternen Küsse, die sie mit Yugi in der Grundschule ausgetauscht hatte. Aber Yugi hatte sie so eilig und unentschlossen geküsst, damals, als wäre die ganze Welt Zeuge und würde nur auf einen Fehltritt von ihnen warten – Seto hielt sie in seinen Armen, als SEI sie eine ganze Welt für ihn, und in diesem Moment, das wusste sie einfach, war es auch so. Wen scherte da schon, dass jederzeit jemand um die Ecke kommen und sie beide entdecken konnte. Jäh zog er sich zurück und wandte sich ab, kaum dass Anzu diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte. „Entschuldige. Du hast jetzt wirklich andere Probleme.“ Hatte sie etwa durchblicken lassen, er sei ein Problem? Unsicher griff sie nach seiner Hand. „Wenn du einverstanden bist, hätte ich gern noch eins mehr.“ Und obwohl sie sich gleich darauf hätte schlagen können dafür, dass sie sich wieder einmal so dumm anstellte, sah Seto unglaublich erleichtert aus. So erleichtert, dass sie einfach nicht anders konnte, als sein Gesicht zwischen ihre Hände zu nehmen und ihn noch einmal zu küssen, obwohl sie von weitem schon Mokuba und Kaito zurückkommen sah. „Ich glaube, ich fange an, mich wieder in dich zu verlieben.“, fügte sie überflüssiger Weise hinzu. „Anzu!“ Kaito sprang an ihr hoch, kaum, dass sie sich wieder richtig gefangen hatte. Seto stand immer noch viel zu nah bei ihr, und auf seinen Lippen lag dieses kleine Lächeln, das Mokuba ein wissendes Grinsen aufsetzen liess. Gerade noch rechtzeitig fing Anzu ihr Pflegekind auf. „Was ist denn?“ Erkundigte sie sich lächenlnd, aber nicht wenig erstaunt, dass er auf einmal so begeistert und voller Energie war, nachdem sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, ihn je wieder so zu sehen. Er warf die Arme um ihren Hals und umarmte sie stürmisch. „Ich habe an Mama und Papa geschrieben. Naja...“, fügte er dann hinzu, als wäre er bei einem kleinen Schwindel ertappt worden. „Mokuba hat geschrieben. Aber er hat mir gezeigt, wie ich meinen Namen schreiben kann.“ Anzu warf an Kaito vorbei einen fragenden Blick auf Mokuba. Der hob nur verlegen lächelnd die Schultern. „So, ihr habt an deine Eltern geschrieben? Wie denn?“, erkundigte sie sich dann. Kaito zeigte auf einen kleinen roten Punkt über ihnen, der wohl ein Ballon war. „Wir haben eine Karte da dran gebunden. Und jetzt wissen sie, dass sie immer ihre Post im Garten finden können.“ So ganz schlau wurde sie daraus noch nicht, aber offenbar hatte Mokuba einen Weg gefunden, den Kleinen ein wenig zu trösten, und dafür war sie ihm dankbar. „Das ist toll. Und dann willst du bestimmt auch selber schreiben lernen?“ Langsam wurde Kaito doch etwas schwer, also setzte Anzu ihn wieder ab und griff nach seiner Hand, während sie zusammen zum Ausgang gingen. Er nickte heftig. „Mokuba bringt es mir bei. Wenn er Zeit hat.“ Anzu fühlte sich auf einmal leicht, so leicht, als müsste sie gleich dem Ballon hinterher fliegen, der da auf dem Weg war zu Kaitos Eltern. Sie waren tatsächlich auf dem Weg, so etwas wie eine Familie zu werden. Sie fing Setos Blick auf, und hätte er nicht gerade jetzt seinen Arm um ihre Schultern gelegt, sie wäre wirklich davon geschwebt. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ T.T Ich gebs ja zu. Ich bin total verliebt in den Kleinen. Und dabei kommen Anzu und Seto zu kurz. Und jetzt sind wir auch schon mit dem letzten Kapitel fertig... darauf folgt nur noch der Epilog. Glaube ich. Wenn ich nicht noch genug Ideen für ein 10. Kapitel zusammenkratze, denn eigentlich wollte ich noch eine kleine Szene einbauen... mal sehen. Ach so, ja. Ich hasse den Kapiteltitel. Wenn jemand eine Idee hat, bitte sagt mir bescheid. Epilog: Splitscreen - Der Stand der Dinge ----------------------------------------- Hey Joey, Wer hätte gedacht, dass du dich jemals aufraffen kannst, sowas wie einen Brief zu schreiben. Aber denk nicht, dass du mich austricksen kannst, ich weiss schon, dass das nur an deiner Phobie vor kitschigen Einladungen liegt. Jetzt muss ich endlich gratulieren. Ich bin froh, dass dich Mai endlich gefragt hat, auch wenns an deinem männlchen Stolz kratzt. Wir wussten doch sowieso alle, dass das kommen muss. :D Wir kommen gerne, das heisst, Kaito, Mokuba und ich. Möglich, dass sogar Seto dabei sein wird, wenn ich dich und ihn ärgern will. Und da Mai sich immer berufen fühlt, sich um mein Liebesleben zu sorgen – richte ihr doch bitte aus, dass er mich vollständig glücklich macht. In jeder Hinsicht. ;-) Oder vielleicht liest du ja sogar mit, Mai? Das Leben geht langsam sowas wie einen gewohnten Gang. Die Presse hat sich inzwischen fast daran gewöhnt, dass Seto Kaiba eine Freundin hat, was du wahrscheinlich daran gemerkt hast, dass wir nur noch alle zwei Wochen auf der Titelseite auftauchen. Kaito mag sein neues Zimmer, seit er weiss, dass er trotzdem jederzeit zu uns kommen kann, wenn ihn mal wieder Alpträume plagen – was allerdings zum Glück nicht mehr oft der Fall ist. Wenn doch, klopft er mitten in der Nacht an die Tür zwischen unseren Zimmern, was natürlich keiner hört, aber was rede ich, ich bin froh, dass ich ihm nicht auch noch Manieren beibringen muss. Dann kommt er reingeschlichen und weckt einen von uns oder beide auf, wir hören uns an, was ihn so erschreckt hat, und meistens geht es dann auch schon wieder. Du willst vielleicht nicht glauben, dass Seto da mitmacht, aber so ist es, und offensichtlich war er es auch sowieso schon von Mokuba früher gewöhnt. Nicht, dass er das sagen würde. Aber im Halbschlaf kann man schon mal zwei Namen durcheinander bringen. ;-) Schon komisch, wie wir auf einmal alle „erwachsen“ werden. Ihr beide seid dabei zu heiraten, Yugi hat den Laden übernommen. Und ich muss mich als Mutter beweisen, ich hoffe, ich vermassle die Sache nicht zu sehr. Wo wir gerade beim Thema heiraten sind – ich denke, Seto wird mir einen Antrag machen. Er glaubt, er würde mich damit überraschen, aber seine „rein hypothetischen“ Fragen, ob ich Diamantringe mag usw., waren doch etwas zu offensichtlich. Keine Angst, du brauchst nicht den ganzen Weg von Tokyo zu kommen, nur um ihm die Nase zu brechen. Ich werde nicht annehmen. Aber besser, wir stellen gleich klar, dass es auch in Zukunft keine gebrochenen Nasen geben wird, denn irgendwann WERDE ich annehmen, und du wirst es akzeptieren, verstanden? Ich bin ein grosses Mädchen, und Seto ist nicht so schlimm, wie du denkst. Ein bisschen Vertrauen in meine Menschenkenntnis, bitte. Bis bald Anzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hallo Mama & Papa! Ratet mal, was? Ich kann euch jetzt bald selber schreiben! Mokuba zeigt mir, wies geht. Bis dahin schreibt er noch meine Briefe, hoffentlich macht euch das nichts aus. Wie geht es euch? Mokuba sagt, da, wo ihr seid, gehts euch immer gut, aber ich finde, ich muss doch manchmal fragen. Ich vermisse euch immer noch, aber Anzu, Seto und Mokuba sind ganz toll, ich glaube, ich kanns mit ihnen schon aushalten. Gestern haben Anzu und ich Lebkuchen gebacken, damit wir zu Weihnachten was zu essen haben. Seto sagt, das kann man genauso gut kaufen, aber Anzu lacht ihn immer nur aus. Ausserdem glaube ich, er mag ihre Kekse viel lieber als die gekauften, auf jeden Fall isst er jetzt nur noch die. Ich muss jetzt immer bis Abends im Kindergarten bleiben, weil Anzu wieder arbeitet, und Seto und Mokuba sind ja sowieso nicht daheim. Ich finde das doof, mit Anzu war es immer so schön, aber im Kindergarten sind sie ja auch nett. Anzu sagt, es geht leider nicht anders, aber ich komme ja sowieso bald in die Schule und dann werde ich nicht mehr mit ihr spielen wollen, sondern mit meinen Schulkameraden. Das stimmt überhaupt nicht, Anzu ist viel besser. Ich hab euch lieb KAITO ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 17.12.XXXX Meine Güte, es ist viel passiert in den letzten Wochen, ich komme gar nicht mehr nach mit dem Schreiben. Joey und Mai wollen heiraten. Heiraten! Die beiden! Nicht, dass es nicht vorauszusehen gewesen wäre. Aber irgendwie kann ich mir da noch kein ruhiges Familienleben vorstellen. Da sind ihnen Seto und Anzu eindeutig voraus, die zwei sind da schon mittendrin. Auch wenn es Anzu nicht gern hört, weil sie meint, ich soll nicht gleich irgendwelche vorschnellen Schlüsse ziehen. Vorschnelle Schlüsse, aber sicher doch. Was soll ich denn denken, wenn sie inzwischen vollständig zusammen gezogen sind, und zusammenhocken wie die Turteltäubchen, sobald sie beide daheim sind? Ein Glück, dass Kaito noch nicht älter ist, sonst würde er sich darüber heftigst beschweren. Davon, dass sie sich Kaito teilen, als wäre er ihr eigenes Kind, gar nicht zu reden. Der Kleine ist wirklich niedlich. Wir haben vor einiger Zeit einen seiner Ballons im Kastanienbaum hinter dem Haus entdeckt, da war er natürlich verzweifelt, dass seine Eltern denken könnten, er hat aufgehört, ihnen zu schreiben. Zum Glück hat er sich wieder beruhigt, nachdem wir hinter dem Pavillion in der Mauer einen „geheimen Ort“ gefunden haben, wo er seine Briefe ab jetzt aufbewahren kann, damit sie nicht wieder verloren gehen. Das hört sich jetzt fast so an, als ob ich mich über ihn lustig mache. Aber ich kann mir sogar gut vorstellen, dass seine Eltern die Briefe irgendwie bekommen, obwohl sie dazu sicher keine Ballons und kein Geheimversteck brauchen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Das ist KEIN Tagebuch. Und erst recht keiner von diesen albernen Jahresendzeitbriefen, so weit kommts noch. Ich werde bestimmt nicht mit solchen kitschigen Traditionen anfagen, nur weil sich hier einiges geändert hat. Ich denke nur, es wäre sinnvoll etwas davon festzuhalten, sonst weiss ich später gar nicht mehr, was mit mir passiert ist. Diese Frau treibt mich in den Wahnsinn, und es gefällt mir auch noch. Ich denke, ich werde ihr einen Antrag machen. Früher oder später kommt es ja doch so, und ich kann nicht leugnen, dass mir früher in diesem Fall lieber wäre. Anzu hat das Haus schon völlig in Besitz genommen mit ihren Fotos, ihrer Plätzchenbäckerei und dem Weihnachtsschmuck, den sie überall aufhängt, da ist es nur konsequent, dass sie es auch auf dem Papier ihr Eigen nennen kann. Mokuba weiss schon davon, natürlich. Ihm konnte man ja sowieso noch nie wirklich etwas verheimlichen. Er hat keine Einwände, im Gegenteil: alles, was er dazu zu sagen hatte, war „Na endlich.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Es ist vollbracht. Endlich. Jetzt folgt nur noch der Soundtrack... :D Schaut mal rein: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/157442/319738/ Ach ja, eine Fortsetzung wird es geben, genau genommen ist sie hier zu bewundern: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/157442/200957/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)