Reinkarnation der Engel von Khyre (1. Teil - Gottes Planet -) ================================================================================ Kapitel 2: Integration ---------------------- Kapitel 2 - Integration Für mich, die nur die Erziehungshalle meines Erzengels Rillsama gewohnt war, war der erste Schritt in unsere Welt ein echtes kleines Abendteuer. Ich spürte, als ich über die Schwelle trat, zum ersten Mal Gras, denn obwohl Rillsama es mir mehrmals geraten hatte, habe ich meine Schuhe, die das Aussehen von grünen Lackschuhe besaßen, nicht angezogen. Es war einfach zu angenehm, das weiche Gras, dessen kühle Halme sanft meine Sohle kitzelten, zu spüren. Hinter mir lag die Erziehungshalle, ein großes, vollkommen in weiß gekleidetes Gebäude mit barock verzierten Arkaden und einer riesigen Kuppel als Höhepunkt. Ich hatte meinen Geburtsort noch nie von außen gesehen und von hier wirkte es noch viel größer, als ich es innen empfunden hatte. Ich drehte mich einmal im Kreis und fand eine idyllische Landschaft um mich vor. Vereinzelt standen hier und da einige Bäume, die in beruhigendem grün erstrahlten auf einer nie zu endenden Grasfläche. So etwas wie eine Sonne gab es nicht, doch die ganze Landschaft war dennoch von einem gleisenden, wärmenden Licht erfüllt. Auch Wind herrschte nie. Alles stand still und friedlich - lediglich die Spiegelglatte Fläche eines Sees, der sich in meiner Nähe befand, kräuselte sich, als ein anderer Engel mit seiner Hand durch die klare Flüssigkeit fuhr. Rasch lief ich zu dem anderen Geschöpf. Ich empfand den Anblick dieses anderen Ichs als unbeschreiblich schön. Es war das Interessanteste, was mir je im Leben passiert war. Bisher hatte ich nur mit Rillsama einige Worte gewechselt und war mir immer klein und nichtig vorgekommen. Unser Verhältnis war recht kühl gewesen, denn außer einigen kurzen Sprachübungen und Erklärungen zum Gebrauch der Flügel und der anderen Körperteile hatten wir uns nicht großartig unterhalten. Doch nun stand hier ein Lebewesen, wie ich, das auf der selben Ebene stand, wie ich. Cersia hieß sie und war auch erst eine Woche alt. Ihr langes, golden schimmerndes, lockiges Haar fiel ihr locker über den gesamten Körper, an dem sie ein elegantes, weißes Kleid trug, das ihre Reinheit in Kombination mit den tiefblau schimmernden Augen voll zur Geltung brachte. Ihr Handgelenk, das unter dem Ärmel hervortrat, war zart und auch die langen, dünnen Finger, die sich abrundeten und wie öffneten waren hell und rein. Besonders gefiel mir die mit dünnen Bändern und Blüten verzierte, blaue Haarspange, mit der sie einige Strähnen nach hinten gebunden hatte. Irgendwie schien sich Cersia ihrer Vollkommenheit aber gar nicht bewusst zu sein - sie unterhielt sich in höflichem Ton mit mir. Fragte mich, wie ich hieß und lud mich zu sich nach Hause ein. Ich antwortete ihr, dass ich den Namen Fynn erhalten hatte und nahm die Einladung dankend an. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich mein Verhältnis zu ihr jedoch stark verändert. Cersia führte mich in die Stadt der Engel und ich musste erfahren, dass alle Engel so ein anmutiges Antlitz besaßen, dass alle diese für mein Empfinden reinen Farben Blau, Gold und Weiß besaßen und elegante Kleider trugen. Auch wenn ich fand, dass Cersia eine der schönsten Engel war, wurde ihr Ansehen für mich immer normaler. Auch unser Verhältnis zueinander änderte sich. Unsere Sprechweise - sie lehrte mich noch einige weitere Wörter, die ich von Rillsama nicht gelernt hatte, weil sie nicht dem gehobenen Sprachstandard zugehörten - und unsere Themen erweiterten sich. Sie nahm mich mit auf Feste, stellte mich den “Anderen” Engeln vor, die sich in ihrer Stimmlage und ihrer Statur von uns unterschieden und integrierte mich in die Gesellschaft. Ich lernte, dass man in zwei Geschlechter unterschied: Männliche und weibliche Engel, die sich aber außer in den signifikanten Merkmalen, die ich oben erwähnt hatte, nicht groß unterschieden. Wir alle waren der Güte Gottes unterworfen, der uns erschaffen hatte und Gesellschaftspflicht war ruhiges, zurückhaltendes Verhalten und das wahren der Gebote, die wir in einer Schule lernen sollten. Wir durften uns auf Festen in Form von Tänzen und Gesprächen vergnügen, wobei ein gewisser Abstandsradius eingehalten werden musste. Wir durften Speisen und Getränke zu uns nehmen, jedoch waren diese nicht zwingend notwendig für uns, weil unsere Körperenergie direkt mit Gott verbunden war. Wir waren sozusagen die Inhaber seiner Kraft - würden aber im Umkehrschluss auch verschwinden, wenn Gottes Kräfte verschwinden würden. Ich tanzte zum ersten Mal in meinem Leben. Und ich tanzte miserabel. Aber bevor ich zum Tanzen kam, fiel mir zum ersten Mal etwas auf. Als ich wartend am Rand der Tanzfläche stand und den anderen weiblichen Geschöpfen zusah, wie sie von männlichen aufgefordert wurden, liefen die männlichen Geschöpfe im Abstand an mir vorbei und warfen mir nur ab und an flüchtige Blicke zu. Oder bildete ich mir das nur ein? Nun, also tippte ich einen der männlichen Geschöpfe an und bat um einen Tanz. Der Angesprochene blickte mich eine Weile unsicher an, nahm dann aber doch an. Doch schon nach einem Lied verneigte er sich und ging. Ein wenig schade, fand ich und teilte das Cersia auch nach dem Tanzabend mit. “Hahah...”, lachte sie und blickte mich grinsend an. “Na kein Wunder. Du siehst ja auch anders als wir aus!” “Wie bitte?”, fragte ich verwirrt und legte meine Stirn kur in Falten. “Na hör mal, du willst mir doch nicht erzählen, dass du noch nie in einen Spiegel oder zumindest auf eine spiegelnde Wasserfläche geschaut hast, oder?”, fragte Cersia noch immer glucksend. “Was ist das - ein Spiegel?”, meinte ich nur verwundert. Ich hörte dieses Wort zum ersten Mal in meinem kurzen Leben. Danach folgte eine Stille des Schocks von Cersias Seite. “Aber...guck mal, deine Haare zumindest...!”, meinte sie, nahm eines der flatternden, grünen Strähnen, die mich ständig verfolgten und hob sie mir vor das Gesicht. “Meine Haare?!”, rief ich erschrocken, als ich begriff, dass Cersia dies grünen Strähnen als meine Haare definierte. Das konnte doch nicht sein! Meine Haare waren doch wohl nicht anders farben als die der anderen! Aber um ehrlich zu sein hatte mich mir darüber nie Gedanken gemacht... Ohne mir lange philosophieren zu lassen, zog mich Cersia zu sich in die Wohnung und stellte mich vor einen körperhohen Spiegel. Und zum ersten Mal sah ich mich. Ich sah ein dünnes Geschöpf, das noch zierlichere Arme als Cersia hatte, das einen kurzen Rock trug, der in leichtem grün gehalten war und an der Hüfte mit einem roten Stein zusammen gehalten wurde. Ärmel hatte mein Kleid keine! Es ging nur bis über mein Decolté und bestaß außer dem Stein keinerlei wunderschöner Verzierungen, wie die anderen Engel sie trugen. Und meine Haare und meine Augen! Beide waren sie in grün gehalten!!! Ich besaß eigentlich keine Farben ,die andere Engel kennzeichneten! Kein Blau, kein Gold, nur eine blasse weißliche Haut... Jetzt verstand ich die Abneigung, die man mir zugeteilt hatte. Ich war ja seltsam! “Sag mal, Cersia...”, begann ich und drehte mich zu meiner Freundin. “Was denn?” “Findest du mich nicht komisch?” “Haha...doch schon. Aber du bist deshalb ja auch interessant.” “Interessant?” “Ja. Und außerdem hast du ein nettes Wesen!” “Das haben hier doch alle...” “Ja, deshalb bist du ja auch nicht so komisch.” “Aber mein Aussehen!” “Ach, jetzt mach dir doch keine Gedanken!” Doch dieser Konformismus hatte mich durch und durch geprägt. Ratlos wandte ich mich an Rillsama, doch dieser meinte nur, dass bei meiner Produktion wohl irgendein Defekt aufgetreten sein müsse und wollte nicht, dass ich weitere Fragen stelle. Meine Laune besserte sich auch nicht wirklich, als Cersia und ich durch Zufall einen männlichen Engel näher kennen lernten. Er war scheinbar ein wenig tollpatschig. Als er Cersia zu einem Tanz herausforderte, trat er ihr mitten im Tanz auf die Füße, sodass sie laut aufschrie und zusammen sackte. Alle drehten sich verwundert zu den beiden um und da packte ich beide und zog sie an den Händen aus dem Saal. “T-Tut mir Leid...ich wollte nicht so laut schreien, das war nur der Schock!”, entschuldigte sich Cersia stammelnd bei ihrem Tanzpartner. “Nein! Ich bin schuld! Schließlich ....bin ich ja so dusselig und trete dir auf die Füße! Dabei sind sie so schön!”, murmelte der Tanzpartner zurück. “W-Wie bitte?”, wunderte sich Cersia und lief rot an. Ich blickte die beiden ein wenig verdutzt an. Sie benahmen sich wirklich komisch...Warum sagt dieser männliche Engel zu Cersia, dass ihre Füße schön waren? Wir hatten doch alle schöne Füße, oder? Und warum waren die beiden überhaupt so aufgeregt? Das konnte doch jedem mal passieren...Doch meine Gedanken wurden mal wieder durch einen Entsetzensschrei des männlichen Engels unterbrochen. “Dein rechter Fuß ist total angeschwollen! Und das ist alles meine Schuld!” “Ach nicht- nicht so schlimm! Mach dir keine Sorgen , das geht schon...” Was sollte das Drama? Diese Verletzung müssten wir doch nur Rillsama bringen, der würde sie sofort heilen...Gerade wollte ich Cersia genau dies vorschlagen, als Toki mir das Wort abschnitt, bevor ich überhaupt sprechen konnte. “Mein Name lautet Toki, Toki Hayer. Und wer seid ihr?” “Cersia, Cersia Foam.” “Ein wunderschöner Name. Cersia, dürfte ich euch zur Heilanstalt bringen?” “Wenn....also...ich möchte euch keine Umstände machen...” “Keineswegs! Schließlich habe ich euch ja in diese Situation gebracht!” Und schon hob er Cersia an und trug sie zu Rillsamas Arbeitsplatz, der Kuppel der Güte, wie die Erziehungshalle mit richtigem Namen genannt wurde. Denn den Namen Erziehungshalle hatte ich dem Gebäude gegeben, weil ich dort aufgewachsen war. Die Kuppel der Güte war der Arbeitsplatz aller Erzengel, die die Geburten verwalteten und hatte seinen Namen auf Grund der Tatsache, dass wir Engel in der Güte Gottes geboren wurden, wofür wir ihn ehren und lieben sollten. Wie dem auch sei - Toki trug Cersia davon zur Kuppel und Cersia rief mir nur “Mach dir keine Sorgen, wir sehen uns später!”, nach und lies mich stehen. Nun, dass er Cersia behilflich sein wollte, wo er schon schuld an ihrer Verletzung war, konnte ich ja verstehen, aber hätte Cersia nicht einfach zu Rillsama fliegen können? Wo war denn da der Abstandsradius? Die folgende Zeit kam Toki immer öfter. Er sprach auch ein bisschen mit mir, aber die meiste Zeit blieb er bei Cersia. Da ich mir immer wieder vorkam wie das fünfte Rad am Wagen blieb ich nun auch öfter weg. Ich schaute mir die Stadt an, die im Gegensatz zu der Kuppel der Güte oder auch Gottes Palast, der im Zentrum der Stadt lag, sehr schlicht gehalten war. Die meisten Häuser waren aus Holz und die Straßen waren nur mit Sand oder Erde belegte Böden. Je weiter man ins Zentrum der Stadt vordrang, desto seltener wurden jedoch die Holzhäuser und immer mehr aus Granit oder anderem Gestein aufgebauten Gebäuden waren da. Auch der erdige Boden wurde abgelöst von einem Steinweg, der je mittiger, desto reichlicher verziert war. Im Zentrum der Stadt, vor Gottes Palast, befand sich ein großer gepflasterter Platz, in dessen Mitte ein Mosaik lag, das einen vollkommen erleuchteten Baum und dessen filigran abgearbeitete mit Engeln und anderen Lebewesen bestückte Wurzeln, darstellte. Gottes Palast selbst war einem römischen Tempel ähnlich, die Säulen, die ein schneeweißes Gebäude stützen, welches mehrstöckig war und dessen Profil von vielen Treppen geprägt war, die sich entweder um einen Vorsprung schlängelten oder nur seitlich am Dach entlang verliefen. Uns Engeln war der Zutritt ohne Ankündigung strengstens untersagt. Und eine Ankündigung durften wir nur in dringendsten Notfällen an Gott richten. Aber was für dringende Notfälle hatten wir schon, wir, die wir in dieser friedlichen Welt lebten? Die ganze Stadt umgab keine greifbare Stadtmauer und dennoch herrschte eine Art Bannkreis vor, sodass ich nicht aus der Stadt gehen konnte. Auch wenn die Stadt nicht gerade klein war - sie bot Platz für über 40 000 Engel - fühlte ich mich plötzlich, da ich die Grenzen erkannte wie in einen engen Käfig gesperrt. Nachdem ich jeden Winkel meiner Welt erkundet hatte, die mir, je deutlicher mir die Grenzen vor die Augen traten, immer enger wirkte, musste ich mich irgendwie anders beschäftigen. Gab es nicht vielleicht irgendwo noch einen Weg hier heraus? Oder waren wir Engel dazu verdammt hier in diese Käfig eingepfercht zu leben? Und zu beschloss ich, in die Schule zu gehen, um mich genauer zu erkundigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)