Reden ist Silber - Schreiben ist Gold! von Sydney (Wettbewerbs- und Challengebeiträge) ================================================================================ Kapitel 2: Verstrichene Chance ------------------------------ Verstrichene Chance: Alexandra lief. Sie lief, ohne darauf zu achten, wo hin und ohne den eisigen Wind zu bemerken, der in der kalten Aprilnacht wehte und den Saum ihres langen Kleides wild um ihre Füße herum wirbelte. Selbst wenn sie die Temperatur oder die Leute, die sie auf ihrem Weg anstieß bemerkt hätte, so wären sie ihr doch egal gewesen. Ziellos bewegte sie sich einfach immer weiter vorwärts. Schritt für Schritt. Ein anderes Gefühl stellte alle anderen Sinneseindrücke in den Schatten. Das Gefühl so eben eine der wertvollsten Gelegenheiten ihres Lebens verpasst zu haben. Und das alles nur, weil sie zu eingefahren war in ihrem Denken, in ihren Handlungen und ihrem Selbstbild. Kaum einer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass dieses kleine, unglückliche Mädchen in dieser Nacht außer Haus sein würde. Am wenigsten sie selbst. Als graue Maus war sie bekannt, oder besser gesagt unbekannt, gewesen. Keiner hatte ihr sonderliche Beachtung geschenkt, es sei denn es ging darum einen Streber zu ärgern. Zwar hatte sie diese Zeit schon längst hinter sich gelassen, hatte sich nach außen hin weiterentwickelt, aber innerlich war sie noch nicht so weit wie es ihr Äußeres vermuten ließ. All der schöne Schein, das elegante Ballkleid, das Make-Up - all das täuscht nur darüber hinweg, dass Alexandra in ihrem Inneren noch nicht so weit war, wie es die Welt und auch sie selbst von ihr geglaubt hatten. Die Entwicklung von einem hässlichen Entlein zu einem anerkannten und geschätzten Mitglied der Gesellschaft vollzog sich nicht einfach so. Es war nicht wie im Film, wo die Außenseiterin mit den dicken Brillengläsern nur auf den gutaussehenden Frauenheld treffen musste, der sie davon überzeugt etwas anderes, als zu weite, unschöne Klamotten zu tragen und mit ihr auf den Schulball zu gehen, damit alles gut wurde. Zwar hatte ein Junge eine Rolle gespielt, aber er war bei Gott kein solcher Macho - auch hatte er sie nicht direkt verwandelt, hatte sie nicht neu eingekleidet oder mit Komplimenten umschwärmt und aufgebaut. Ja, er wusste wohl nicht einmal was er in dem Mädchen bewirkt hatte... Sein Verhalten hatten ihr eine andere Welt gezeigt, als diejenige, die solange ihre eigene gewesen war. Die Welt eines Außenseiters, die Welt eines, als hässliche Streberin verschrienen, Kindes. Es hatte keiner großen Worte bedurft und auch keiner großen Gesten. Seine bloße Anwesenheit und seine Art im Umgang mit anderen waren es gewesen, die so einen gravierenden Effekt auf Alexandra gehabt hatten. Die Offenheit und Ehrlichkeit die sein Wesen ausmachten, die gute Stimmung, die er verbreitete wo auch immer er sich gerade befand. Für ihn waren die Menschen gleich. Für ihn machte es keinen Unterschied ob jemand attraktiv war, oder nicht. Auch war es ihm herzlich egal, wie gebildet jemand war. Solange man freundlich war, hatte man einen netten Zeitgenossen ihn ihm. Nicht dein hautenges Top oder hervor blitzende Unterwäsche waren für ihn ein Auswahlkriterium, wenn es um einen Gesprächspartner ging. Er war schon fast zu gut für diese Welt – aber auf jeden Fall zu gut für diese Gesellschaft. Erst das laute Hupen eines Autos riss die 16-jährige aus ihren trüben Gedanken. Nur wenige Zentimeter neben ihr raste das Fahrzeug vorbei. In ihrer blinden Flucht hatte sie nicht bemerkt, dass sie über die fünfspurige Straße vor dem Palais lief. Die späte Stunde und die Geistesgegenwart des Lenkers hatten sie vor Schlimmerem bewahrt. Das Adrenalin, das nun durch ihre Adern floss war genau das, was sie braucht um wieder halbwegs klare Gedanken fassen zu können. Nun kam sie sich einfach lächerlich vor. Unbeschreiblich lächerlich und armselig. Mit hängenden Schultern und den Blick auf den Boden gerichtet setzte sie ihren Weg am Gehsteig fort. Gehend, nicht rennend. Schon bald hatte sie die alten Häuser in dem schönen Stadtteil, in dem der Ball stattfand, verlassen. Nun säumten Hochhäuser den Horizont. Sie wollte einfach nur nach Hause. Dass ihr Mantel und ihre Straßenschuhe noch in der Garderobe hingen bewegte sie genauso wenig wie die Gefahr sich auf dem Asphalt die teuren Tanzschuhe zu ruinieren. Sie waren doch sowieso zu nichts nütze! Daran war sie zwar selbst schuld, aber es tat gut die aufgewühlten Gefühle, das Unbehagen der Seele auf etwas anderes zu richten und sich selbst nicht nur selbst niederzumachen. Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Züge, die vom kalten Licht der Straßenlaternen angeleuchtet wurden während sie sich immer weiter vom Ort ihrer Peinlichkeit entfernte. Einmal in ihrem Leben hatte sie diese Chance gehabt und sie dummes Ding hatte sie nicht genutzt. Sie hätte die Gelegenheit am Schopfe packen sollen anstatt in ihre alten Verhaltensmuster zurückzufallen, doch als der entscheidende Zeitpunkt gekommen gewesen war, hatte sie nicht anders gekonnt. Zu zerbrechlich war ihr, zwar gewachsenes aber noch nicht stabiles, Selbstbewusstsein, als dass sie in diesem Moment anders hätte handeln können. Es war so trivial gewesen. Er, Christopher, derjenige der sie zu dem gemacht hatte, was sie heute war, war der Auslöser gewesen. Seine Nähe ließ sie strahlen doch heute hatte sie genau das Gegenteil bewirkt. Schon seit Tagen hatte sie diese kindische, verträumte Vorstellung von diesem Abend, ihrem ersten Ball gehabt. Tagelang hatte sie die Grundschritte der Standardtänze geübt - für den Besuch einer Tanzschule hatte das Geld nie gereicht, doch wenigstens die einfachsten Dinge wollte sie beherrschen. Für ihn. Und dennoch war sie schlussendlich daran gescheitert. Wäre es irgendein Junge gewesen, der sie aufgefordert hätte, dann wäre es nicht von Bedeutung gewesen. Aber es war Christopher gewesen. Und sie hatte Angst bekommen. Die lächerlichste aller Ängste hatte von ihr Besitz ergriffen. Ein schwelender Minderwertigkeitskomplex, ein Anhängsel aus früheren Tagen, hatte sie dazu getrieben anzunehmen, dass Christopher, ausgerechnet er, der Mensch, dem es wohl am absolut gleichgütigsten war wie gut jemand tanzte, sie als ungeschickt oder dämlich ansehen könnte. Er, der schon seit Jahren die Tanzschule besuchte. Wenn sie nun darüber nachdachte, war dieses Szenario einfach abwegig. Doch noch vor kurzem schien es ihr als unausweichliche Folge. Tagelang hatte sie gezittert, gehofft, er würde ihr diese Art von Aufmerksamkeit zukommen lassen und als er es dann tat, war sie überfordert. Der wohlgemeinte Schubser ihrer Freundinnen hatte die Situation auch nicht verbessert. Kein Wort hatte sie herausgebracht. Noch nicht einmal zu einer freundlichen Absage hatte sie sich durchringen können. Sie würde ihm nicht mehr in die Augen sehen können! Und so lief sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)