Reden ist Silber - Schreiben ist Gold! von Sydney (Wettbewerbs- und Challengebeiträge) ================================================================================ Kapitel 7: Gottkomplex ---------------------- Gottkomplex: Wütend und fassungslos starrte Julia auf die dicke Eichenholztür, die gerade vor ihr zugeschlagen worden war. Sie war wütend auf Marcus, dass er sie so behandelte und noch viel wütender war sie auf sich selbst, dass sie es zuließ. Die ersten Male hatte sie sein Verhalten als schlechte Laune abgetan, doch dann hatte sie es nicht mehr so einfach übersehen können. Ihre Emotionen gewannen die Überhand, sie konnte und wollte den aufgestauten Ärger nicht länger zurückhalten. Sie trat nach der Tür, wissend dass dies nichts an ihrer Situation ändern würde. Heute war er definitiv zu weit gegangen. Julia war immer ein selbstständiger Mensch gewesen, hatte sich selten etwas sagen lassen und war ihren Weg gegangen, auch wenn sie manchmal unter Schmerzen aus ihren Fehlern hatte lernen müssen. Umso mehr belastete sie die Situation nun. Sie hatte nicht nur einfach Mist gebaut, sondern sich selbst verleugnet. Gefangen in einer Ehe, die sich immer mehr als Katastrophe herausstellte. Es dauerte, bis sie den Schmerz in ihrem Bein wahrnahm. Doch das leichte Pochen wuchs sich schnell zu einem soliden Schmerz aus. Verärgert humpelte sie in die Küche um sich etwas Eis zu holen. Die großzügige, teuer eingerichtete Wohnung erschien ihr einmal mehr wie ein Gefängnis. Ein goldener Käfig machte die Tatsache, dass man eingesperrt war, auch nicht besser. Es war Marcus Wohnung, eingerichtet und ausgebaut in seinem Stil. Ihr selbst war das alles immer zu aufgesetzt gewesen. Marcus hatte auch so gedacht, als sie ihn kennen gelernt hatte, oder er hatte es gut geschauspielert. Immer wieder redete sie sich ein, er müsse ein guter Schauspieler sein, dass er sie so täuschen hatte können – dieser Gedanke war zwar ebenfalls bedrückend, aber er erschreckte sie nicht so sehr, wie der Gedanke, dass sich ein eigentlicher guter Kerl so sehr zum Schlechten ändern konnte. Julia hasste seinen Gottkomplex. Während sie, ihren Fuß kühlend, in der Küche saß, fasste sie einen Entschluss. Sie würde nicht mehr die perfekte Ehefrau in der perfekten Geschäftswelt sein. Früher hatte sie über diese Frauen geschimpft, die sich von ihren Männern alles gefallen ließen, die eigene Persönlichkeit aufgaben um diesen Machos zu gefallen – jetzt war sie selbst eine von ihnen. Aber das würde sie ändern. Sie hatte sich sagen lassen, was sie anziehen sollte, wie sie sich verhalten sollte, sie hatte geschwiegen, als sie bemerkt hatte, dass die „Geschäftsreisen“ auf die Kanarischen Inseln eigentlich Urlaub auf diversen Sekretärinnen gewesen waren, aber heute hatte er die Grenze überschritten. Es war schon ein schönes Stück Unverfrorenheit notwendig um seine Frau zu betrügen, aber ihr auch noch unter die Nase zu reiben, wo man nun hin ging, das übertraf alles. Sollte er doch vor die Hunde gehen mit seinem Gottkomplex, sie würde sich das nicht mehr gefallen lassen. Sollte Marcus doch versuchen sie aufzuhalten. Ob es wohl in seine schöne heile Welt passte, dass die Ehe vor dem Scheidungsrichter beendet wurde? Sie fragte sich, ob sie mit diesem Schritt noch etwas in ihm retten konnte, ihn in seinem Wahn stoppen konnte oder ihn zumindest dazu bringen könnte, inne zu halten, und über sich und sein Problem nachzudenken, doch sie bezweifelte es. Gerne hätte sie den Marcus wieder, den sie damals mit siebzehn Jahren kennen gelernt hatte. Den aufgeweckten, frechen Jungen, der große Träume hatte und für den Menschen nicht nur ein Mittel zum Zweck waren. Julia wollte ihm wirklich helfen, doch sie bezweifelte, dass es gelingen könnte. Mehr als einmal war sie laut geworden – abseits von den Menschen, denen sie ein Theater vorspielen musste – anfangs hatte sie noch Beteuerungen gehört, es würde sich alles ändern, dann hatte er sie einfach vollkommen ignoriert. Es gab keine gemeinsame Zukunft mehr. Die Zeiten hatten sich geändert, sie würde nur an dieser Beziehung zerbrechen, wenn sie sie weiterführen würde. Alles in ihr schrie danach hier zu warten wahrenddessen seine Wohnung zu zerlegen und ihm eine kräftige Ohrfeige zu geben, wenn er wieder kam – zur Strafe für die Zeit, die er ihr genommen hatte. Doch Julia hielt sich zurück, wollte ihm nicht noch in die Hände spielen, mit der Geschichte von der Verrückten Frau, die sich herrschsüchtig an ihm, armen, braven Ehemann vergangen hatte. Sie hatte einen besseren Plan. Als sie aufstand, spürte sie den Schmerz nicht mehr, nun war es der Elan, der sie daran hinderte, allzu sehr auf ihre Verletzung zu achten. Eine halbe Stunde später hatte Julia gepackt. Es war nicht viel, dass sie dabei hatte. Nur eine Reisetasche voll mit Kleidung, ihr Pass, etwas Geld und das Foto ihrer verstorbenen Mutter. Kein einziges von den teuren Kostümen, den pastellfarbenen Schals oder den eleganten Schuhe befand sich in der Tasche. Sie hatte ihr altes Leben, das lieblos in Umzugskartons gepackt im Keller gelagert worden war, wieder ausgegraben. Die weiße, pedantisch glatt gebügelte Bluse, die sie zuvor getragen hatte, war einem verwaschenen T-Shirt gewichen, der Rock ihrer alten Bluejeans. Ohne noch einmal einen Blick auf die pompöse Wohnung zu werfen ging sie. Erst am nächsten Tag kam ihr Mann zurück und fand die Nachricht, die sie ihm hinterlassen hatte: Marcus, ich habe mich lange genug verstellt, aber nun reicht es endgültig. Ich habe den Marcus geliebt, den ich damals kennen gelernt habe – aber ich liebe nicht das Monster, dass er geworden ist. Deine Geltungssucht und die Missachtung von den Bedürfnissen anderer Menschen erschrecken mich. Du warst einmal anders - Besinne dich darauf! Ich hoffe für dich, dass du deinen Gottkomplex in den Griff bekommst und wieder ein menschliches Wesen werden kannst. Julia Doch Marcus sollte einen einen Weg finden, um die Trennung von seiner Frau so darzustellen, dass niemand Zweifel an ihm äußern konnte. Sie war die Böse, er war das Opfer. Anders würde es niemand darstellen können. Ein bisschen Übertreten des Gesetzes hier, ein bisschen Geld, das den Besitzer wechselte, für ein Alibi und die dazu passende Geschichte. Man würde ihm keinen Vorwurf machen, warum die Ehe gescheitert war. Er würde sich eine angemessene Zeitspanne lang von anderen Frauen fernhalten, den Gebrochenen, Trauernden spielen, der von seiner Frau enttäuscht worden war und dann Eine finden, die sich besser dazu eignete seinen Status zu repräsentieren, mit der er die statistischen 2,2 Kinder bekommen konnte und allen zeigen, was für ein überragendes Leben er doch sein Eigen nennen konnte. Zufrieden faltete der die Zeitung zusammen, die er wie immer zum Frühstücken las. Wieder einmal war einer seiner Pläne aufgegangen. Genüsslich schlürfte er seinen Kaffee. Es war genau die Berichterstattung die er sehen wollte: Am letzten Wochenende wurde die Leiche von Julia S., Ehefrau des erfolgreichen und stadtbekannten Anwalts Marcus S., in der Nähe des Rotlichtbezirks vor einem einschlägig bekannten Hotel gefunden. Sie war, wie der Ehemann bestätigte, vollkommen untypisch für sie, billig und ordinär gekleidet. Noch ist nicht bekannt, was Frau S. dazu gebracht hat, sich so gekleidet an diesem Ort aufzuhalten. Bekannte des Paares berichten allerdings, dass Julia S. schon immer einen Hang zu diesem Milieu gehabt habe, den sie ihrem Ehemann verschwiegen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)