Assoziatives Schreiben von Sydney (à ma manière) ================================================================================ Kapitel 5: Satz 12: Ende ------------------------ Er packte sie mit beiden Händen um die Kehle und schüttelte sie wie ein tollwütiger Hund. Shiho wehrte sich nicht. Schlaff, wie eine leblose Puppe hing sie nun in der Luft. Ihre Beine berührten den Boden schon lange nicht mehr. Shiho schien aufgegeben zu haben. „Wehr‘ dich doch wenigstens ein bisschen!“, kreischte Gin. Er war der Hysterie nahe. Immer noch war er der gleiche psychopathische Killer, wie zu dem Zeitpunkt, an dem die Wissenschaftlerin der Organisation endgültig den Rücken gekehrt hatte – Gin hatte sich nicht verändert. Erbarmungslos erledigte er seine Aufträge, ohne Rücksicht auf seine Opfer. Normalerweise arbeitete er schnell. Dies war der Grund, warum er das liebste Schoßhündchen der Organisation war. Doch ab und an brauchte er einen besonderen Kick. Diejenigen, die er sich dann zum Spielen aussuchte, waren die bemitleidenswertesten seiner Opfer. Wie eine Katze quälte er seine Beute zu Tode, nur um die Leichen nachher seinen Herrn vor die Türe zu legen. Dass er Shiho nicht so ohne Weiters sterben lassen würde, hatte schon immer festgestanden. Die junge Frau hatte diese Tatsache im Geiste schon lange zu den Naturgesetzen eingeordnet. Es war unumstößlich. Genauso unumstößlich, wie die Tatsache, dass ein Apfel, der vom Baum fiel am Boden landete. Dass sie solange vor ihm weggelaufen war, hatte seinen Spieltrieb nur verstärkt. Manche Menschen trugen das unheilige Schicksal auf ihren Schultern, schon seit frühester Kindheit zu wissen, wie sie eines Tages sterben würden. Shiho gehörte zu dieser Gruppe. So war es nicht verwerflich, wie sie fand, dass sie nun aufgab und sich fügte. Selbst wenn sie nicht in dem Körper einer Grundschülerin gesteckt hätte, wäre es äußert unwahrscheinlich, dass sie es an dem, ihr an körperlicher Stärke weit überlegenen, Mann vorbei geschafft hätte. Und selbst wenn ihr dies in ihrer jetzigen Gestalt gelungen wäre, müsste sie noch an Vodka vorbei kommen, der am Ausgang Wache hielt. Obwohl sie damit gerechnet hatte, fühlte sich die Situation so falsch an… Aber konnte sich Sterben überhaupt richtig anfühlen? Wenn es auf diese Weise geschah, wohl eher nicht. Es fühlte sich surreal an. Wie ein Traum. Oder war das nur die Sichtweise eines Menschen, dessen Gehirn gerade dabei war, den letzten Rest Sauerstoff aus dem Blut zu quetschen? Shihos Lungen brannten. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als müsste er gleich explodieren. Der Mangel an Luft ließ ihre Sicht verschwimmen. Gin, der sie immer noch schüttelte, unterschied sich kaum mehr von der schlecht beleuchteten Umgebung. Sie begann sich nach der erlösenden Ohnmacht die, beim Tod durch Ersticken, vor dem eigentlichen Ableben einzutreten pflegte, zu sehnen. Doch so einfach wollte es ihr der Mörder nicht machen. Trotz seiner Wut, oder vielleicht gerade deswegen, schien er zu bemerken, dass sie nicht mehr lange ohne Sauerstoff überleben würde. Ohne große Mühe schleuderte er sie mit einem wütenden Schrei gegen die nächstbeste Wand. Der letzte Rest verbrauchte Luft wurde beim Aufprall aus Shihos brennenden Lungen gepresst. Reflexartig, ohne bewusstes Zutun schnappte der kleine Körper nach der dringend benötigten Luft. Der hektische Atemzug endete in einem Hustenanfall. Noch während Shiho mit dem Husten rang, fiel ein Schatten auf ihre gekrümmte Gestalt. Das typische Geräusch, das entstand, wenn man eine Schusswaffe entsicherte, ertönte, verstärkt durch die Akustik, der fast leeren Lagerhalle. Eine vollkommen unpassende Hoffnung keimte in ihr. Eine einzige Kugel und dann Frieden. Keine Angst mehr und keine Flucht. Dieses Ende war ihr schon viel zu lange tröstlich erschienen. Es wäre töricht gewesen, anzunehmen, dass es anders enden würde, dass dieser Bluthund sie nicht aufspüren würde. Sie hoffte nur, dass ihr Tod genügen würde und dass den Kindern und dem Professor nichts geschah. Ohne sie und das Gift hatten sie keinerlei Chance, irgendjemanden Beweise für die Existenz der Organisation und deren Taten zu liefern. Vielleicht würde sie dieser Umstand schützen. Denn wer glaubte schon ein paar Kindern und einem exzentrischen alten Mann, wenn sie eine Geschichte, wie diese erzählen würden? Was Shinichi jetzt wohl von ihr denken würde? Wenn er nicht ebenfalls „Besuch“ bekommen hatte, was sie hoffte, dann musste er wohl oder übel annehmen, dass sie aus freien Stücken verschwunden war, sich einfach abgesetzt hatte oder freiwillig aufgegeben hatte. Und dabei hatte sie ihm doch versprochen ein Antidot zu finden! Die einzig wichtige Aufgabe, ihren Sinn des Lebens, hatte sie nicht erfüllen können! Sie schrie nicht, als eine Kugel ihren rechten Unterarm streifte. Was mit ihrer physischen Hülle geschah drang nur noch, wie durch einen dichten Nebel gedämpft, in ihr Bewusstsein. Ein tröstlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Wenigstens musste sie ihr Leben nicht noch einmal vor ihrem inneren Auge sehen. Es war nicht sehenswert. Vielleicht hätte es einen guten Film abgegeben, wenn es ein etwas befriedigenderes Ende haben würde. Shiho dachte dabei nicht an ein Happy End. Ein etwas ruhmreicherer Tod, nach einem etwas erfüllteren Leben, nach Erfüllung ihres Versprechens beispielsweise, hätte ihr schon gereicht. Große Ansprüche zu stellen hatte sie sich abgewöhnt, als sie das erste Mal dem Tod ins Auge geblickt hatte. Alles wäre einfacher gewesen, wenn sie damals einfach gestorben wäre! Aber wer hätte schon ahnen können, dass sie schrumpfte?! Sie hatte diese Möglichkeit in Betracht gezogen – theoretisch, aber niemals praktisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass es den Detektiv und sie treffen würde war einfach zu klein gewesen. Das konnte nur in ihrem seltsamen Leben passieren… „Schrei‘ für mich kleine Shiho.“, flüsterte Gin, als er die Pistole erneut hob. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)