Assoziatives Schreiben von Sydney (à ma manière) ================================================================================ Kapitel 1: Satz 09: Der Auslöser - nicht der Grund -------------------------------------------------- Ihre Eltern vertraten den liberal-europäischen Standpunkt, dass Jugendliche, denen Alkohol schon früh frei zur Verfügung steht, auch entsprechend früh lernen, damit umzugehen. So war es nicht weiter verwunderlich, dass das Mädchen bereits mit siebzehn Jahren die Unterschiede verschiedener Weinsorten kannte, die Vorzüge eines vollmündigen Merlots oder eines fruchtigen Cabernet Sauvignons zu schätzen wusste und Weißwein nur gut gekühlt trank. Sie konnte qualitativ hochwertigen Branntwein von Fusel unterscheiden, wusste welches Getränk man zu welcher Speise reichte und war in der Lage einzuschätzen wie viel sie wovon vertrug. Denn bei allem Liberalismus der den Standpunt zum Thema Alkohol geprägt hatte, hatte der Gedanke von bis zur Besinnungslosigkeit alkoholisierten Jugendlichen ihren Erziehungsberechtigten Übelkeit beschert. Dies war auch der ausschlaggebende Grund für diese Art des Umgangs mit dem Thema gewesen. Die Bedrohung durch eine Gefahr nahm ab, je besser man darüber Bescheid wusste. So oder so ähnlich war ihre Argumentation vor Freunden und Bekannten gewesen. Oft waren sie auf Ablehnung gestoßen und hatten für ihre Erziehung böse Blicke geerntet. Doch immer hatten sie mit Stolz sagen können, dass es funktionierte. Bis zum heutigen Abend… Zwar bezweifelte Karen, dass es an dieser Ansicht ihrer Eltern lag, dass sie jetzt hier saß, vollkommen betrunken und vollkommen verzweifelt, aber sie schämte sich trotzdem. Was würden sie sagen, wenn sie sie jetzt so sehen könnten? Ihnen wäre das „Warum“ egal. Es ging immer nur um den aktuellen Zustand. Dieser war schon viel eher ein Grund um sich zu betrinken… Die jetzigen Verhältnisse waren nicht berauschend… Dieser Wortwitz zauberte ein sarkastisches Lächeln auf ihr Gesicht. Das wäre ihr nüchtern nicht passiert. Voller Abscheu blickte sie nun auf die klare Flüssigkeit, die in dem Pappbecher hin und her schwappte als sie das Gefäß leicht bewegte. Billig und scharf. So konnte man diesen Fusel, der sich Wodka schimpfte beschreiben. Ein Geruch wie Putzmittel stieg ihr in die Nase. Unter normalen Umständen hätte sie dieses Zeug niemals angerührt. Aber jetzt passte alles zusammen. Das schäbige Zimmer, in dem sie sich befand und der billige Alkohol in dem Pappbacher… Reisen machten sie immer ein wenig traurig. Sie zeigten so viele Missstände auf. Das, was im eigenen Leben fehlte, wurde dem Reisenden gnadenlos vorgehalten, genauso wie die Zustände in anderen Ländern offensichtlich wurden. Nicht viele Staaten hatten einen derart hohen Lebensstandard wie der, aus dem sie kam. Es verdunkelte ihre Gedanken, wenn sie sich in einer Umgebung, wie dieser befand. Ein halbzerfallener Plattenbau neben dem anderen. Überbleibsel aus einer anderen Zeit, doch immer noch in Gebrauch. Daumendicke Kabel hingen von der niedrigen Decke des Gebäudes, das sich ernsthaft als 3-Sterne-Hotel ausgab. Die Wände waren kahl, der Bodenbelag löste sich deutlich ab. Alles in allem kein Ort den man freiwillig wieder aufsuchte… Von den unliebsamen Überraschungen im Essen des Hotelrestaurants ganz zu schweigen. Alles hier war ohne Liebe und ohne die notwendigen finanziellen Mittel errichtet worden, die nötig gewesen wären um einen Ort zu schaffen der zumindest den Hauch einer wohnlichen Atmosphäre hatte. Während ein paar U-Bahnstationen weiter prächtige Bauten die belebten Straßen schmückten und Touristen an jeder Ecke unnötigen Schrott kauften... Doch all diese Umstände waren nicht der Grund für ihre Gemütslage. Sie waren lediglich der Auslöser, der Tropfen der das Fass endgültig zum überlaufen brachte. Schon lange war nicht mehr alles in Ordnung in ihrem Leben. Ihre tollen liberalen Eltern… Ihr tolles Leben, als das Kind von wohlhabenden liberalen Eltern… Nach außen hin schien alles wie immer. Doch das was sich hinter der prächtigen Fassade abspielte ahnte keiner. Die Lieblosigkeit die den Umgang in der Familie miteinander prägte führte Schritt für Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Gegenüber allen anderen blieb diese Farce aber erhalten. Die gutverdienenden, junggebliebenen ach so freisinnigen Eltern spielten in Wahrheit nur ein Spiel. Zu sehr waren sie in einem starren Rollendenken gefangen, als dass sie daraus ausbrechen hätten können. Die Ehe war gescheitert, doch die Furcht dies öffentlich zu machen war zu groß. Stattdessen sperrten sie sich jeden Tag aufs Neue in ihren selbstgebauten Käfig. Ohne Möglichkeit zu entkommen… Diese Einengung war der Grund für den Hass der schleichend sich breit machte. Niemals wäre es soweit gekommen, wäre die Lage so katastrophal wenn es ihre „liberalen“ Eltern die Courage besessen hätten, sich einzugestehen, dass es keinen Sinn mehr machte zusammen zu bleiben. Doch nun wurden sie jeden Tag mit dem jeweils anderen und den, mit diesem verbundenen, Gefühlen konfrontiert. Auf dieser Reise, einer Schulveranstaltung, war ihr dies bewusst geworden. Lange genug hatte sie es nicht gesehen, oder einfach nicht sehen wollen. Tief im Innersten hatte sie es wohl gespürt, gehandelt hatte sie nicht… Im Grunde war sie nicht besser als ihre Mutter und ihr Vater. Sie könnte genauso etwas bewegen… Es war ein Leichtes gewesen hier etwas zu finden, dass den Frust wegschob. Schließlich war es nichts ungewöhnliches, wenn eine Gruppe von Siebzehn- bis Achtzehnjährigen auf solche einer Reise nicht nur Limonade trank, auch wenn offiziell natürlich niemals auch nur ein Tropfen einer ethanolhaltigen Substanz angerührt wurde. Sie kannte das Gefühl nicht, wenn man den Punkt erreichte, an dem sich die ausgelassene Stimmung in tiefe Niedergeschlagenheit verwandelte. Wie auch, wenn sie immer höchstens angeheitert gewesen war, niemals wirklich betrunken? Diese Erfahrung war eine vollkommen neue für Karen. Doch das Gefühl, der Anschein von Klarheit und das damit verbundenen Abstürzen in ein tiefes Loch sollte sich in ihr Gedächtnis einbrennen… Genauso wie der Kater am nächsten Morgen. __________________________________________________ Im Übrigen bin ich eigentlich auch der Meinung, dass Jugendliche bzw. Kinder schon früh mit Alkohol und den damit verbundenen Risiken vertraut gemacht werden sollten. (Natürlich mit Maß und Ziel!) Nur mit Verboten ist keinem geholfen. Meiner Meinung nach ist es weder verwerflich, wenn man Kinder von Bier oder Wein kosten lässt, noch daran, wenn Jugendliche (unter gewissen Bedingungen) Alkohol trinken. Auf jeden Fall ein Thema über das Mann stundenlang philosophieren oder streiten könnte... Alkohol alleine ist selten der Grund für Probleme. Jedoch sind Probleme oftmals der Grund für übermäßigen Alkoholkonsum. (Ein Teufelskreis) Kapitel 2: Jubiläumsaktion -------------------------- Die Aufgabe: Anhand dieser Wörter: "Buch, Fisch, Flugzeug, Kakao, Maske, Mond, Rakete, Schule, Uhr, Wasserpfütze" sollte eine Geschichte geschrieben werden. Pro Wort ein Satz. Strafe muss sein: Mit einer schwungvollen Bewegung schlug die Schwarzhaarige ihr Buch zu. Sanji hatte so eben zum Mittagessen gerufen und es würde heute Fisch geben, eine ihrer Lieblingsspeisen. Sie überquerte hastig das Deck während sie einem, von Lysop selbstgebastelten Flugzeug, auswich, das wenig später mit dem Mast kollidierte. Als sie die Küchentüre öffnete flog ihr eine Metalldose entgegen, deren Inhalt, es war Kakao, im ganzen Raum verteilt wurde als sie auf die gegenüberliegende Wand aufprallte. Robins Gesicht glich einer steinernen Maske, auch wenn sie sich das Lachen verkneifen musste. "Ich schieß' dich auf den Mond, du nichtsnutziger Idiot!", schrie der aufgebrachte Koch, der in eine Wolke von Kakaopulver gehüllt war. Sanji dermaßen zu provozieren war wie mit einer Rakete eine Feuerwerkskörperfabrik zu beschießen, das wussten sie alle. Auch der Schütze war sich dessen bewusst gewesen, doch trotzdem hatte er es gewagt, in Sanjis heiligen Hallen ein derartiges Vergehen zu verüben, und so war es eine logische Konsequenz, dass er eine Strafe erleiden würde, durch diese Unterrichtsstunde der Schule des Lebens musste er jetzt wohl oder übel durch. Ein paar Stunden später, es war mittlerweile schon nach siebzehn Uhr, traf die Archäologin erneut auf ihren bedauernswerten Mannschaftskameraden. Bis zu den Knöcheln stand er in einer tiefen Wasserpfütze, in der Linken einen Eimer, in der Rechten einen Wischmopp, Seife dekorierte seine Kleidung - die Hälfte des Schiffes hatte er geschafft, aber die andere würde er auch noch schrubben müssen. Kapitel 3: Satz 10: Schlachtfeld -------------------------------- „Er gab sich ernsthaft Mühe und schien nicht zu begreifen, was für einen lächerlichen Anblick er bot.“ Zu konzentriert war er auf die Tätigkeit, die er gerade ausübte. Schließlich tat er das, was er in diesem Augenblick machte, nicht jeden Tag. Genauer genommen hatte er es noch nie zuvor getan und es war von essentieller Wichtigkeit hier zu bestehen. Ihm fiel nicht auf, dass man schon aus meilenweiter Entfernung sehen konnte, dass er ein absoluter Neuankömmling war und wohl die Hosen bis obenhin voll hatte. Steif wie ein Brett bewegte sich der junge Mann über den, seiner Meinung nach verdammt glatten Boden, immer bestrebt nicht zu fallen. Es war gefährliches Terrain. Krampfhaft darauf bedacht nicht zu stürzen oder seine Haltung, und damit seine Deckung aufzugeben, gab er wohl kein sehr heroisches Bild ab, dies dämmerte ihm erst nach und nach. Warum musste dieser Untergrund auch bloß so verdammt rutschig sein? Reichte es nicht, dass er hier eine nahkampfähnliche, höchste Courage erfordernde Aufgabe bewältigen musste? Mit Feindkontakt und allen Schikanen, die man sich nur vorstellen konnte wurde er hier gestraft und auf die Probe gestellt. Er, der Junge, der Unerfahrene! Eines wusste er: Wenn er dieses Schlachtfeld stehend verließ, dann war er ein Mann! Eigentlich sollte man ihm einen Orden verleihen für den Mut den er hier in diesem Moment bewies! Schon dieser simple Gedankengang, der seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick auf etwas anders als einen sicheren Stand lenkte, zog verheerende Konsequenzen nach sich. Ehe er sich versah hatte er die sowieso nicht wirklich vorhandene Kontrolle über die Situation verloren. Einfach so war sie ihm aus den Händen geglitten. Nicht nur, dass er eine schmerzhafte Kollision mit anderen Einheiten nicht mehr verhindern konnte, nein auch sein ihm persönlich zugeteilter Feind, kam noch viel näher, als er es gerne hatte. Zu den schrecklichen Geräuschen im Hintergrund kamen nun auch die Schreie, derjenigen die aufeinander geprallt waren und nun getroffen am Boden lagen. Die ganze Ordnung, die hier ein Mindestmaß an Sicherheit gegeben hatte war dahin. Für einen Moment entstand eine enorme Lautstärke, als alle durcheinander schrien und dann war es plötzlich sekundenlang totenstill, bis sich einige wieder auf die Beine zu kämpfen versuchten. In dem Durcheinander bekam er einen schmerzhaften Tritt. Für einen Moment tanzten Sterne vor seinen Augen, doch schnell fand er seine Fassung wieder. Dies war überlebenswichtig! Gott sei Dank konnte er sich aufrappeln, bevor schlimmeres geschah. Sein Oberschenkel, der von dem Tritt getroffen worden war, schmerzte aber war noch belastbar. Langsam aber sicher kehrte wieder Ruhe ein. Auch die anderen Gruppen hatten langsam wieder den Weg auf ihre eigenen Füße geschafft. Anscheinend hatte die Kollision schlimmer ausgesehen, als sie es schlussendlich war und keiner war durch die Wucht des Aufpralls ernsthaft verletzt worden. Die Situation war unverändert, bis auf den kleinen aber feinen Unterschied, dass jetzt noch mehr Spannung zwischen den einzelnen Gruppen in der Luft lag. Das Schlachtfeld glich einem Pulverfass. Jeder der Anwesenden spürte es. Nur ein winzig kleiner Funken würde reichen um eine Katastrophe heraufzubeschwören. Die schrecklichen Töne, die die Klangkulisse zu seinem persönlichen Untergang bildeten, setzten wieder ein, als sich alle halbwegs gefangen hatten. Ohne weitere Unterbrechungen begannen sie sich nun wieder zu umkreisen. Von nun an und für immer wachsam, was da auf sie zukam, fixierten sie nun ihren Gegner, nicht ohne immer wieder angstvolle Seitenblicke auf die Front zu werfen. Doch dass dies nicht die größte Schmach des heutigen Tages werden würde, konnte der junge Mann nicht ahnen. Nach einiger Zeit, es kam ihm vor wie Tage, durfte er das Schlachtfeld wieder verlassen. Müde und mit erheblich verminderter Moral, denn es würde nicht das letzte Mal gewesen sein, dass er sich auf dieses Terrain begeben würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit musste er erneut seinen Mut auf dem Schlachtfeld beweisen. Er hatte Angst. Er konnte nicht darauf bauen, dass es beim nächsten Mal wieder so glimpflich verlaufen würde. Das ankommende Grauen kündigte sich an, als eine ganz bestimmte Person den Weg in das Krisengebiet fand. Der oberste Befehlshaber. „Na, Schatz, wie war deine erste Tanzstunde?“ ________________________________________________ Ich habe noch nie etwas in diese Richtung geschrieben. Also seid gnädig^^' Kapitel 4: Satz 11: Bandit -------------------------- "Einen Namen müssen wir ihm ja wohl auch geben", sagte er im Dunkeln, während er die Hosenträger überstreifte. „Das werden wir wohl tun müssen.“ Sarah sah nicht gerade begeistert aus. „Wieder einer mehr…Dabei platzt hier sowieso schon alles aus den Nähten…“ „Damit wirst du leben müssen.“ Simon lächelte über das Verhalten der Frau. Er kannte sie mittlerweile lang genug um zu wissen, dass sie diese Geschichte nicht so ernst nahm, wie sie es momentan vorgab. „Eigentlich sollte ich das nicht tun. Also ihm einen Namen geben...“ Dies entlockte ihm ein Grinsen. Es war die Einleitung eines Monologes, den Sarah sich vor ein paar Monaten angeeignet hatte. Anfangs war er sich nicht sicher gewesen, ob er genervt oder amüsiert sein sollte – aber seinem Naturell entsprechend hatte er sich für die zweite Alternative entschieden. „Eigentlich sollte ich jetzt irgendwo um die Häuser ziehen, feiern od…“, genervt brach sie ihren Satz ab. „Mit dir kann man eh nicht ernsthaft reden.“ Mit verschränkten Armen und trotzigem Gesichtsausdruck verließ sie das Zimmer ihres Vaters. Er verstand ihre Argumentation. Schließlich raubte dieser Job der jungen Frau einen Großteil der Zeit, die sie nicht für ihr Studium verwendete. Ihr Wunsch nach etwas mehr Freizeit war nachvollziehbar. Simon zog sich ungeachtet des Verhaltens seiner Tochter fertig an, ehe er hastig zur Tür eilte. Insgeheim bezeichnete der diese Launen Sarahs als post-pubertär. Die meiste Zeit verhielt sich die 20-jährige äußerst erwachsen, denn sie wusste um die Verantwortung, die die beiden durch ihre Tätigkeit trugen. Doch ab und zu… Jetzt endgültig vollends wach stieg er die Treppe zum Erdgeschoss hinab. Im Stillen verfluchte er den Umstand, dass sämtliche Notfälle zu den gottlosesten Zeiten einzutreffen schienen. Als ob die Verbrecher, die dafür verantwortlich waren, ihre Taten verstecken wollten. Aber er hatte sich schon längst an solche Uhrzeiten gewöhnt. Es war kein Weltuntergang mehr, wenn so wie an diesem Samstag um 23:30 Uhr ein neuer Notfall ankam. Gespannt auf den neuesten Notfall öffnete er die Türe zu der kleinen Quarantänestation, die er, gemeinsam mit Sarah vor fünf Jahren eingerichtet hatte. Irgendwann war es bei der Fülle an neu Eintreffenden nicht mehr zu vermeiden gewesen. Auf dem Tisch in mitten des Raumes befand sich auch schon das Objekt der Aufregung. Eine alter Karton aus dem ein klägliches Fiepen, sowie ein bestialischer Gestank drang. Im Vorbeigehen zog er zwei Gummihandschuhe aus dem Spender. Sarah wartete schon. Sie hatte ebenfalls bereits die abgemachten Schutzvorkehrungen getroffen. Dazu gehörte auch, dass sie ihre Haare straff zurückband und jeglichen Schmuck ablegte. Gespannt beugte er sich über den Behälter. Das was er sah war keine große Überraschung. Eher ein weiterer trauriger Fall in einer langen Liste ähnlicher Vorkommnisse. Ein Bullterrier-Welpe befand sich in dem Karton, der mittlerweile schon von den Exkrementen des Kleinen verdreckt war. Auch der Allgemeinzustand ließ darauf schließen, dass sich der Hund schon längere Zeit in dieser Unterbringung befunden haben musste. „Er wurde gerade eben erst gebracht?“ „Ja, genau. Eine Dame mittleren Alters hat ihn gefunden, als sie die Abendrunde mit ihren Irish Setter gemacht hat. Der Kleine muss wohl einen ziemlichen Krach gemacht haben.“ Mit einem beherzten Griff beförderte er den Welpen auf den Tisch. Neugierig beobachtete Sarah ihn. Mittlerweile konnte sie schon ebenso gut wie er den Zustand eines Fundtieres feststellen, aber er war der ausgebildete Fachmann. Besorgt stellte Simon fest, dass der Kleine auch unter einer ziemlichen Dehydration litt. Die Nackenfalte, die sonst elastisch zurückschnellen sollte, wenn man an ihr zog, blieb für seinen Geschmack viel zu lange in der manipulierten Stellung. Die Schleimhäute des etwa 16 Wochen alten Bullterriers waren hingegen, den Umständen entsprechend, angemessen gefärbt. „Sarah, hol‘ doch bitte eine Schüssel Wasser für unseren Neuzugang.“ Ohne zu widersprechen holte sie das Gewünschte, während Simon die Temperatur maß. Auch mit dem Wert von 38,7°C war er zufrieden. Normaltemperatur für einen Hund dieses Alters. Nach einem kurzen Rundumcheck ließ Simon wieder von dem Tier ab. Eine Blutprobe später war die Untersuchung vorerst beendet. Einige weitere würden morgen Vormittag, zu einer christlicheren Zeit stattfinden. Für heute war es mit einer Schüssel Wasser und einer kleinen Portion Welpenfutter getan. Das einzige, das heute noch getan werden musste würde auch noch erledigt werden. „Also Sarah, hast du dir etwas überlegt?“ „Wir sind jetzt bei „B“ oder?“ Der Ältere wusste, dass diese Frage rein rhetorisch war. Der aktuelle Buchstabe wurde nicht vergessen. Im Gegensatz zu der Zahl an Wiederholungen des Alphabets. Jeder Neuankömmling erhielt in diesem Tierasyl einen Namen. Als die Kreativität nach einigen Dutzend Tieren nachgelassen hatte, war die Alphabet-Regel eingeführt worden. Mit „B“ war es wenigstens nicht allzu schwer etwas zu finden. Kompliziert wurde es, wenn mal wieder ein „X“ oder „Y“ anstand. Auch wenn sie sich zuvor so gegen diesen Prozess gesträubt hatte, wusste die junge Frau, dass kein Weg daran vorbei führte, auch wenn sie zeitweise von ihrer Situation und dem Leid, das sie umgab, erdrückt wurde. Es war das endgültige Zeichen, dass das Fundtier bleiben konnte bis es einen guten Platz gefunden hatte, oder den Weg über die Regenbogenbrücke ging. „Wie wäre es mit Bandit?“ Zufrieden nickte Simon. Es war ein guter Name. Zumindest ein passender. Dieser junge Hund war bereits ein verurteilter Verbrecher. Eingestuft als eine Gefahr. Gebrandmarkt als ein potentieller Killer. „Ok. Dann bist du ab heute ein kleiner Bandit.“ Er kraulte die Ohren des Bullterriers. Wenigstens waren diese nicht auch noch verstümmelt worden. Sie standen auch ohne daran herumzuschnipseln. Ganz im Gegensatz zu anderen Leidensgenossen, musste dieser kleine Kerl wenigstens nicht mit diesem Schicksal leben. Der Welpe schmiegte sich an seine Hand. „Es ist immer wieder faszinierend, wie dankbar so eine schutzlose Kreatur sein kann, obwohl sie schon so viel Schlimmes erlebt hat.“ Simon sprach diese Worte mehr für sich selbst. „Ich mache ihn dann sauber und bringe ihn dann in seine Box, ok?“ „Ja, ist gut.“ Während er sich die Handschuhe auszog, blickte er seiner Tochter nach, als sie, den kleinen Bandit im Arm in Richtung Boxen verschwand, während sie beruhigend auf das Hundebaby einredete. Ihr Vater hatte ihren Blick bemerkt. Es war so gekommen, wie er es schon von Anfang an vorausgesehen hatte. Obwohl Sarah gegen die Aufnahme gewesen war, hatte jetzt wieder ihr Herz über ihren Verstand gesiegt – wie bei allen Fundtieren. Simon machte sich auf den Weg in die Küche. Dies war ein weiteres Ritual, dass sich in der Familie eingebürgert hatte. In Nächten wie diesen traf man sich, bevor man wieder im Bett verschwand, an diesem Ort um noch kurz eine Kleinigkeit zu essen oder Tee zu trinken. Er hatte gerade die Tassen aus dem Regal geholt und das warme Wasser aus dem Wasserkocher in die Gefäße gefüllt, als Sarah eintrat. „Dafür, dass du den Kleinen nicht aufnehmen wolltest warst du jetzt aber ganz schön lange beschäftigt.“ Er schob ihr die Tasse und die große Kiste mit Teebeuteln hin. „Ich habe ihm noch ein Spielzeug gesucht. Er ist anscheinend gerade im Zahnwechsel, da soll er was zum beißen haben.“ Sarah griff zielsicher nach einem Earl Grey. „Du scheinst ihn ja schon ins Herz geschlossen zu haben.“ „So wie’s aussieht kommt er eh nie wieder aus dem Tierheim raus.“ Sie klang deprimiert. „Wie wahr. Aber vergiss‘ nicht. In seinem Alter können wir ihn vielleicht noch vermitteln. Zur Not ins Ausland.“ Deutlich konnte Simon vom Gesichtsausdruck seiner Tochter ablesen, dass sie davon nicht überzeugt war. „Hier wird ihn keiner nehmen. Das weißt du genauso gut wie ich. Sicherlich ist diese beschissene Hundesteuer auch der Grund dafür, warum man ihn einfach so entsorgt hat. Am liebsten würde ich dem Idioten, der für diese Rasselisten und erhöhten Steuern verantwortlich ist mal gründlich die Meinung sagen und dem Arsch, der Bandit ausgesetzt hat auch.“ Sie machte eine mehr verzweifelt wirkende Handbewegung während sie sprach. „In die Schweiz kann er auch nicht vermittelt werden. Die Niederlande sind ebenso tabu. Frankreich will da mitziehen. Da bleibt nicht mehr viel übrig…“ Sie seufzte. "Manchmal frage ich mich wirklich, warum wir das hier eigentlich machen. Anstatt, dass es weniger werden, werden es immer mehr." Simon nickte betroffen. Das war eine Grundsatzfrage, an die jeder in diesem Bereich einmal stieß. "Aber jetzt mal ernsthaft Sarah: Würdest du lieber auf irgendwelche Partys gehen, oder Tieren wie dem kleinen Bandit helfen." "Ich weiß, was du jetzt hören willst. Aber da du die Antwort sowieso schon kennst, werde ich dir diesen Gefallen nicht tun." Simon lachte. Ja, das war seine Tochter! _______________________ Wenig Handlung, keine positive Grundstimmung, nur eine Aussage die mir am Herzen liegt. Und wirklich total assoziativ, nachdem ich eine andere Idee vorgestern am Abend wieder verworfen habe. © Sydney Kapitel 5: Satz 12: Ende ------------------------ Er packte sie mit beiden Händen um die Kehle und schüttelte sie wie ein tollwütiger Hund. Shiho wehrte sich nicht. Schlaff, wie eine leblose Puppe hing sie nun in der Luft. Ihre Beine berührten den Boden schon lange nicht mehr. Shiho schien aufgegeben zu haben. „Wehr‘ dich doch wenigstens ein bisschen!“, kreischte Gin. Er war der Hysterie nahe. Immer noch war er der gleiche psychopathische Killer, wie zu dem Zeitpunkt, an dem die Wissenschaftlerin der Organisation endgültig den Rücken gekehrt hatte – Gin hatte sich nicht verändert. Erbarmungslos erledigte er seine Aufträge, ohne Rücksicht auf seine Opfer. Normalerweise arbeitete er schnell. Dies war der Grund, warum er das liebste Schoßhündchen der Organisation war. Doch ab und an brauchte er einen besonderen Kick. Diejenigen, die er sich dann zum Spielen aussuchte, waren die bemitleidenswertesten seiner Opfer. Wie eine Katze quälte er seine Beute zu Tode, nur um die Leichen nachher seinen Herrn vor die Türe zu legen. Dass er Shiho nicht so ohne Weiters sterben lassen würde, hatte schon immer festgestanden. Die junge Frau hatte diese Tatsache im Geiste schon lange zu den Naturgesetzen eingeordnet. Es war unumstößlich. Genauso unumstößlich, wie die Tatsache, dass ein Apfel, der vom Baum fiel am Boden landete. Dass sie solange vor ihm weggelaufen war, hatte seinen Spieltrieb nur verstärkt. Manche Menschen trugen das unheilige Schicksal auf ihren Schultern, schon seit frühester Kindheit zu wissen, wie sie eines Tages sterben würden. Shiho gehörte zu dieser Gruppe. So war es nicht verwerflich, wie sie fand, dass sie nun aufgab und sich fügte. Selbst wenn sie nicht in dem Körper einer Grundschülerin gesteckt hätte, wäre es äußert unwahrscheinlich, dass sie es an dem, ihr an körperlicher Stärke weit überlegenen, Mann vorbei geschafft hätte. Und selbst wenn ihr dies in ihrer jetzigen Gestalt gelungen wäre, müsste sie noch an Vodka vorbei kommen, der am Ausgang Wache hielt. Obwohl sie damit gerechnet hatte, fühlte sich die Situation so falsch an… Aber konnte sich Sterben überhaupt richtig anfühlen? Wenn es auf diese Weise geschah, wohl eher nicht. Es fühlte sich surreal an. Wie ein Traum. Oder war das nur die Sichtweise eines Menschen, dessen Gehirn gerade dabei war, den letzten Rest Sauerstoff aus dem Blut zu quetschen? Shihos Lungen brannten. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als müsste er gleich explodieren. Der Mangel an Luft ließ ihre Sicht verschwimmen. Gin, der sie immer noch schüttelte, unterschied sich kaum mehr von der schlecht beleuchteten Umgebung. Sie begann sich nach der erlösenden Ohnmacht die, beim Tod durch Ersticken, vor dem eigentlichen Ableben einzutreten pflegte, zu sehnen. Doch so einfach wollte es ihr der Mörder nicht machen. Trotz seiner Wut, oder vielleicht gerade deswegen, schien er zu bemerken, dass sie nicht mehr lange ohne Sauerstoff überleben würde. Ohne große Mühe schleuderte er sie mit einem wütenden Schrei gegen die nächstbeste Wand. Der letzte Rest verbrauchte Luft wurde beim Aufprall aus Shihos brennenden Lungen gepresst. Reflexartig, ohne bewusstes Zutun schnappte der kleine Körper nach der dringend benötigten Luft. Der hektische Atemzug endete in einem Hustenanfall. Noch während Shiho mit dem Husten rang, fiel ein Schatten auf ihre gekrümmte Gestalt. Das typische Geräusch, das entstand, wenn man eine Schusswaffe entsicherte, ertönte, verstärkt durch die Akustik, der fast leeren Lagerhalle. Eine vollkommen unpassende Hoffnung keimte in ihr. Eine einzige Kugel und dann Frieden. Keine Angst mehr und keine Flucht. Dieses Ende war ihr schon viel zu lange tröstlich erschienen. Es wäre töricht gewesen, anzunehmen, dass es anders enden würde, dass dieser Bluthund sie nicht aufspüren würde. Sie hoffte nur, dass ihr Tod genügen würde und dass den Kindern und dem Professor nichts geschah. Ohne sie und das Gift hatten sie keinerlei Chance, irgendjemanden Beweise für die Existenz der Organisation und deren Taten zu liefern. Vielleicht würde sie dieser Umstand schützen. Denn wer glaubte schon ein paar Kindern und einem exzentrischen alten Mann, wenn sie eine Geschichte, wie diese erzählen würden? Was Shinichi jetzt wohl von ihr denken würde? Wenn er nicht ebenfalls „Besuch“ bekommen hatte, was sie hoffte, dann musste er wohl oder übel annehmen, dass sie aus freien Stücken verschwunden war, sich einfach abgesetzt hatte oder freiwillig aufgegeben hatte. Und dabei hatte sie ihm doch versprochen ein Antidot zu finden! Die einzig wichtige Aufgabe, ihren Sinn des Lebens, hatte sie nicht erfüllen können! Sie schrie nicht, als eine Kugel ihren rechten Unterarm streifte. Was mit ihrer physischen Hülle geschah drang nur noch, wie durch einen dichten Nebel gedämpft, in ihr Bewusstsein. Ein tröstlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Wenigstens musste sie ihr Leben nicht noch einmal vor ihrem inneren Auge sehen. Es war nicht sehenswert. Vielleicht hätte es einen guten Film abgegeben, wenn es ein etwas befriedigenderes Ende haben würde. Shiho dachte dabei nicht an ein Happy End. Ein etwas ruhmreicherer Tod, nach einem etwas erfüllteren Leben, nach Erfüllung ihres Versprechens beispielsweise, hätte ihr schon gereicht. Große Ansprüche zu stellen hatte sie sich abgewöhnt, als sie das erste Mal dem Tod ins Auge geblickt hatte. Alles wäre einfacher gewesen, wenn sie damals einfach gestorben wäre! Aber wer hätte schon ahnen können, dass sie schrumpfte?! Sie hatte diese Möglichkeit in Betracht gezogen – theoretisch, aber niemals praktisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass es den Detektiv und sie treffen würde war einfach zu klein gewesen. Das konnte nur in ihrem seltsamen Leben passieren… „Schrei‘ für mich kleine Shiho.“, flüsterte Gin, als er die Pistole erneut hob. Kapitel 6: Satz 13: Ein neuer Lebensabschnitt --------------------------------------------- Eine kurze, sehr sinnlose, dafür aber überaus assoziative FF zu Blutportale. Satz 13: Ein neuer Lebensabschnitt Sie mochte keine medizinische Ausbildung haben, doch sie hatte ihre Hypothese durch Beobachtung und das Sammeln empirischer Beweise entwickelt und war auf diesem Weg zu einem zwar unglaublichen, aber dennoch möglichen Schluss gelangt. Adrenalin jagte durch ihre Venen. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Ohne mit der Wimper zu zucken hatte sie dem Angreifer eine Kugel in den Brustkorb gejagt. Die gewünschte Stelle war perfekt getroffen worden. Genau über dem Herzen war die Kugel eingeschlagen. Ihre Anatomiekenntnisse beschränkten sich im Wesentlichen auf die Bereiche des Körpers, deren Beschädigung letal oder zumindest sehr schmerzhaft war. In diesem Fall war sie sich absolut sicher, exakt das Ziel getroffen zu haben. „Hervorragend, Justine!“ Es war nicht so, dass sie noch nie auf einen Menschen geschossen hatte, oder das extreme Prüfungsverfahren des Ordens durchlaufen hatte, doch es war das erste Mal, dass sie den Test bestanden hatte. Eine Weltpremiere. Sie hatte nur drei Versuche gebraucht. Nach wenigen Wochen des Trainings hatte sie nun bestanden. Andere benötigten mehr als ein Jahr dafür und fielen dann immer noch durch. „Ach, das war doch zu erwarten, n'est-ce pas?“, antwortete sie der begeisterten Nonne mit einem Zwinkern. Die Schwestern mussten ja nicht wissen, dass sie selbst von diesem Ergebnis überrascht war. Auch wenn ihr übermenschlicher, animalischer Instinkt ihr geholfen hatte und der Wolf in ihr es leichter machte, die Waffe gegen einen Menschen zu richten, so war es doch selbst für jemanden wie sie nicht normal. Beschwingt von ihrem Erfolg lief sie hinüber zu Johanna, die immer noch am Boden lag, überwältigt von der Wucht des Aufpralls. Ihre Trainingspartnerin war weit weniger von Justines Erfolg erfreut. Nicht weiter verwunderlich, wenn man bedachte, dass sie soeben von einer Kugel getroffen worden war. Auch wenn eine Schutzweste dazwischen war, war es nicht gerade eine angenehme Angelegenheit. Das hatte auch Justine schon mehrmals feststellen müssen. Doch es gehörte zum Training dazu. Wer so zimperlich war sich wegen blauen Flecken und Prellungen abschrecken zu lassen, der lies es lieber gleich bleiben. Feinde würden keinen Moment zögern jemandem Schmerzen zuzufügen oder zu töten. Justine streckte ihrer Kameradin die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. „Ich schätze, dass bedeutet, dass du gewonnen hast“, keuchte Johanna, immer noch etwas außer Atem. „Ich hätte nicht mit dir wetten sollen!“ „Diese Einsicht kommt zu spät“, antwortete Justine. „Ich weiß gar nicht worüber ich mich mehr ärgern sollte, über das Hämatom, das sich gerade auf meinem Oberkörper bildet, oder darüber, dass ich deine nächste Shoppingtour bezahlen muss…“ „Ich werde gnädig sein.“ Sie klopfte Johanna auf die Schulter, während diese die Schutzkleidung ablegte. Gemeinsam verließen die beiden die Katakomben, die die Schwestern vom Blute Christi zum Training der Novizinnen nutzten. Es sollten Bedingungen herrschen, wie sie auch im Einsatz auftreten konnten. So wurden bereits die ersten Neulinge aussortiert. Nicht alle kamen mit diesen Örtlichkeiten zurecht. Justine hatte sich in dieser Hinsicht nie sonderlich anpassen müssen, es lag ihr im Blut. Es hatte sie mehr verwundert, dass die anderen jungen Frauen damit nicht gut klar kamen. Durch die Freundschaft zu Johanna hatte sie gemerkt, wie es für Menschen war, die sich ihr Leben nicht mit einer Bestie teilen mussten. Als Justine in das strahlende Tageslicht trat, wusste sie, dass für sie nun ein neuer Lebensabschnitt begonnen hatte. Nichts würde so bleiben wie es war. Blut würde fließen. Sie war diesem Gedanken nicht vollkommen abgeneigt. Und ein kleiner Teil in ihr brannte darauf. Kapitel 7: Jubiläumsaktion -------------------------- Tagträume: „Hey Junge, hier wird nicht geschlafen, verdammt nochmal!“ Mit einem Tritt wurde Jonas geweckt. „Scheiß Sklaventreiber“, wollte er sagen, tat es aber dann doch nicht und dachte es aber nur. Er hatte schon genug Ärger. Wenn der alte Hoffman einen beim Schlafen erwischte hörte der Spaß für den Bauern auf. „Schwing‘ deinen Hintern auf’s Feld!“ „Ja, ist ja schon gut, ich gehe schon“, murmelte er zerknirscht. Bei der brütenden Hitze konnte man fast nichts anderes tun, als irgendwo im Schatten einzunicken. Doch anstatt sich zu erholen packte Jonas seine Harke und machte sich auf den langen Weg. Das Feld war zu Fuß eine gute halbe Stunde von der Scheune, in der er eben eingeschlafen war, entfernt. Der Acker hätte mit Leichtigkeit auch maschinell bearbeitet werden können, aber das war hier nicht gewünscht. Im Camp für schwererziehbare, straffällig gewordene Jugendliche sollte alles von Hand erledigt werden. Erziehungsmaßnahmen schimpfte sich diese Vorgehensweise. In Wahrheit war es reine Schinderei. Die Blasen auf Jonas Händen und Füßen, die blauen Knie vom stundenlangen Unkrautzupfen im großflächigen Gemüsegarten und der Sonnenbrand auf seinen Armen und dem Rücken sprachen Bände. Selbst sein Kopf war nicht verschont geblieben, denn Kappen oder andere Kopfbedeckungen zu tragen war hier untersagt. Wenn seine Mutter das sehen würde, wäre er schon längst wieder zuhause. Sie war auch gegen seinen Aufenthalt in dieser Einrichtung gewesen, aber sein Vater hatte sich wie immer durchgesetzt. „Arbeit wird ihn wieder auf den rechten Weg bringen“, hatte er gesagt und damit war für den Banker das Thema erledigt gewesen. Neben wichtigen Terminen mit Kunden und den Vergnügungen zwischen den Schenkeln seiner Sekretärinnen blieb nicht viel Zeit sich um die Familie zu kümmern. Da war es nur praktisch, wenn der anstrengende Sohn ein paar Monate in der Obhut von jemand anders verbrachte und nicht bei der Mutter, die ihn nicht im Griff hatte. Es war nicht das erste Mal, dass sich Jonas wünschte, seine Mutter würde sich einmal durchsetzen und sich nicht permanent auf den Schädel scheißen lassen. Aber sie sagte zu allem, was ihr Mann von sich gab, ja und Amen. Um sich von diesem unangenehme Thema abzulenken versuchte er, sich an schönere Sommer zurückzuerinnern. Die letzten paar waren nicht das gewesen, was man unter kostbare Erinnerungen einordnete, aber als er noch klein gewesen war, gab es eine Menge netter Episoden in seinem Leben. Ganz früher, da hatte er auch nicht in der Großstadt gelebt in der er schließlich einer Bande beigetreten war. Damals da war alles einfacher gewesen. Er erinnerte sich an seine Großmutter, seinen Großvater, Maria, die Nachbarstochter mit der er in der Sandkiste gespielt hatte. Benji, der Hund des Bäckers, der gegenüber gewohnt hatte, Minka, die Katze die sich den Dachboden seiner Großeltern als neues Heim auserkoren hatte. Es war dort ebenfalls brennend heiß gewesen im Sommer. Aber das war nie schlimm gewesen. Obstbäume hatten Schatten gespendet und der große See war doch auch nur ein paar hundert Meter weit weg gewesen. Es hatte Tage gegeben, da war er mit den anderen Kindern des kleinen Örtchens von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dort gewesen. Nicht einmal zum Mittagessen waren sie nachhause gegangen, sondern hatten mitgebrachte Brote gegessen. Es war eine glückliche Zeit gewesen. Was war es noch einmal gewesen, dass alles geändert hatte? Jonas wusste es nicht genau. Aber er glaubte sich zu erinnern, dass sein Vater eines Tages gekommen wäre, mit der Nachricht, er hätte einen neuen Job in der Stadt angenommen. Einen besseren Job in dem er viel mehr verdienen würde. Was war er zuvor gewesen, bevor er als erfolgreicher Banker gearbeitet hatte? Buchhalter. Er hatte für den Großteil der Geschäfte im Dorf die Buchhaltung erledigt. Damals hatte er auch seine Frau noch nicht betrogen und er hatte sich um seinen Sohn gekümmert. Oft war er auch mit Jonas am See gewesen, zusammen mit der Mutter und den Großeltern. Niemals war er laut geworden, oder unfair. Die Stadt hatte ihn verändert, oder war es das Geld gewesen? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Jonas wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als wieder dort zu sein, am See. Nicht die kühle Nässe war das, was ihn lockte. Doch es würde nie wieder so sein wie es einmal war. Kapitel 8: Satz 17: Geräusch ---------------------------- Geräusch Am Morgen, jedesmal, weckte mich ein sonderbarer Lärm, halb Industrie, halb Musik, ein Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte, nicht laut, aber rasend wie Grillen, metallisch, monoton, es mußte eine Mechanik sein, aber ich erriet sie nicht, und später, wenn wir zum Frühstück ins Dorf gingen, war es verstummt, nichts zu sehen. Immer wieder gab es Phasen meines Lebens in denen ich versuchte, mich mit dieser seltsamen Begebenheit zu beschäftigen, herauszufinden, was es damit auf sich hatte, doch mein Engagement trug keine Früchte. So wurde es Teil meines Lebens. Gehört einfach dazu, wie das tägliche Waschen oder das Abendessen. Auch nach meinem Umzug in die Stadt konnte ich es weiterhin jeden Morgen hören, bevor der Lärm alles andere überdeckte, bevor meine Gedanken zu Wichtigerem abschweiften. Ich sprach nie darüber, zuerst aus Angst, man könnte mich für verrückt halten, später aus Gleichgültigkeit. Wichtigere Dinge erforderten meine Aufmerksamkeit. Zuerst war es die Schule, später das Studium, dann war es die Arbeit. Zu tun gab es immer genug. Bis zu dem einen Tag, an dem das Geräusch verstummte. Ich wurde nicht vorgewarnt, es kam einfach so, ohne, dass ich es hätte beeinflussen können. Vollkommen meiner Einwrikung entzogen, tat das Schicksal das, was es tun musste. Der Tag begann mit einem Spaziergang. Nicht, dass ich dies aus Jux und Tollerei getan hätte, aber die Kinder und der Hund brauchten Bewegung, meine Frau wollte mit unseren Söhnen Kastanien sammeln gehen. Die herbstliche Luft war durchdrungen von Sonnenstrahlen, die einen kitzelten, aber die Luft nicht mehr zu erhitzen vermochten. Und so lies ich mich schnell überreden aus der Stadt zu fahren, in die Natur einzutauchen. Es wäre gelogen, wenn ich behauptet hätte, ich hätte es nur für die Kinder getan. Bald waren die geflochtenen Körbe randvoll mit braunen Kastanien und den letzten Blumen, die noch schnell vor Einbrauch des Winters geblüht hatten. Ich hatte die Ahnung, dass ich das Gesammelte schon bald als geschmackvolle Dekoration in der Wohnung vorfinden würde. Doch dazu sollte es niemals kommen. Nebel zog auf, es wurde kalt und unangenehm feucht. Zeit, den Heimweg anzutreten, die Kinder nachhause zu bringen, ihnen eine Tasse Heiße Schokolade zu machen und das Abendessen vorzubereiten. Es war ein LKW, der diese Pläne durchkreuzte indem er im aufkommenden Nebel die Leitplanke durchbrach, sich querstellte und so drei Menschen in den Tod riss, einen verstümmelte und vier weitere schwer verletzte. Ich war alleine, als ich wieder zu mir kam. Ich lebte, doch es war alles still. Kein Geräusch. Und auf einmal wusste ich, warum kein Ton an mein Ohr drang. Mein Herz war verstummt. Kapitel 9: Wettbewerb --------------------- Nach Vorschrift: "Unverantwortlich war das von Ihnen“, schimpfte er mit mir. Es war mir egal. Naja, fast. Es nervte immer noch, aber es berührte mich nicht mehr. Zu oft hatte ich mir diesen oder ähnliche Vorwürfe anhören müssen, unbegründet in meinen Augen. Die Leistungen, die ich erbracht hatte waren immer mehr als zufriedenstellend gewesen. Da könnte es ihm eigentlich herzlich egal sein, wie ich sie erreicht hatte. Zugegebenermaßen hatte eine gewisse Gefährdung der anwesenden Passanten bestanden, aber ich hatte die Situation im Griff gehabt! Und in unserem Business gab es sowieso keine Sicherheit, schließlich operierten wir im Normalfall nicht irgendwo in der Wüste, sondern in belebten Gegenden. „Wenn Sie das nächste Mal so eine Aktion veranlassen, dann können Sie Ihre Dienstwaffe und den Ausweis gleich hier lassen!“ Auch das hatte ich schon öfters gehört, erst vor fünf, nein es war bereits sechs Wochen her, das letzte Mal. „Ist das angekommen?“ „Natürlich Chef.“ War es zwar nicht, aber ich wollte den Blutdruck des in die Jahre gekommenen Mannes nicht noch weiter in die Höhe treiben. Am Ende würde man mich noch für seinen Herzinfarkt, der sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, verantwortlich machen. Wäre zwar auch nicht so ganz abwegig, doch diesen Ärger wollte ich mir ersparen. „Sie können gehen“, keifte er mich an. Die Zeit, die der alte Mann in seinem Büro und nicht im Außendienst verbracht hatte, schien ihm jeglichen Humor und auch das letzte Fünkchen Verständnis für die Umstände der Arbeit mit Feindkontakt ausgebtrieben zu haben. Ich selbst war zu jung um ihn erlebt zu haben, als er selbst noch auf Einsätzen mit gewesen war, doch kennengelernt hatte ich ihn kurz nach seiner Versetzung, mit wesentlich mehr Elan. Einige Stunden später, mittlerweile zuhause angekommen, freute ich mich eigentlich auf einen ruhigen Abend. Wer sich mit einem so aufregenden Job herumschlagen musste, der war ganz froh, wenn er mal Ruhe hatte. Dafür, dass es unsere Ziele, Drachen, gar nicht gab, und wir als Organisation schon mal gar nicht existierten, war die Erschöpfung nach getaner Arbeit verdammt real. Die Biester gab es genauso wirklich, wie die Muskelkater, Brandwunden und andere Späßchen, die man sich im Umgang mit ihnen so zuzog. Heute war mal wieder ein kleineres Exemplar in den Außenbezirken auftaucht. Die Sümpfe rund um Miami waren ein idealer Ort für diese Kreaturen, mit genügend Platz und Jagdmöglichkeiten. Doch mit der steigenden touristischen Aktivität und der ständigen Vergrößerung der Städte fühlten sich manche dieser Echsen dazu verleitet die bewohnten Gebiete unsicher zu machen. Ganz schlimm war es dann, wenn sie auf den Geschmack gekommen waren in dem sie sich einen Touristen oder Naturschützer, selten einen Einheimischen, die vorsichtiger waren, wegen der Alligatoren, gegönnt hatten, dann begnügten sie sich nicht mehr mit dem, was sie in ihrer natürlichen Umgebung fanden. Es waren keine besonders auffälligen Tiere. Befanden sie sich im Wasser waren sie kaum von Krokodilen zu unterscheiden, an Land konnte man sie eventuell auch noch verwechseln, wenn man keine Ahnung von Reptilien hatte. Doch sie waren wesentlich cleverer, wahrscheinlich hatten sie diesen Umstand der hohen Lebenserwartung zu verdanken. Und dann spiehen die verdammten Biester auch noch ein heißes, säurehaltiges Sekret, wenn sie sich bedroht fühlten. Alles in allem keine sehr possierlichen Tierchen. In meinen Augen waren sie nicht schützenswert. Doch so paradox es auch klingen mochte, wir schützen sie. Lediglich die Exemplare, die für Menschen eine Gefahr darstellten, beseitigten wir, ihre Existenz jedoch mussten wir geheim halten. Irgendwelche geheimen Forschungen und das Allheilmittel für sämtliche Krankheiten, das war die Begründung, die wir von oben erhielten. Irgendein verrückter Doktor hatte wohl vor 200 Jahren recht glaubhaft aufgezeichnet, dass er mit Drachenteilen Krebskranke im Endstadium geheilt hätte. Ich war kein Tierschützer. Ich hatte gewisse idealistisch Bestrebungen, Menschen vor diesen Tieren zu schützen, manche sagten mir auch bloß eine Abhängigkeit vom Jagdfieber nach, aber ich hätte die Existenz dieser Viecher nicht für mich behalten, wenn es nicht eine Verschwiegenheitserklärung gegeben hätte. Es waren nur wenige Stunden vergangen, als ich aus dem Schlaf gerissen wurde. Das alleine war schon ärgerlich, aber die Tatsache wurde noch um ein Vielfaches verschlimmert, als ich feststellen musste, dass nicht der laufende Fernseher, vor dem ich eingeschlafen war, sondern mein Handy dafür verantwortlich war. Und das hieß Arbeit. Schon wieder. Einen Moment lang überlegte ich, ob es wohl neben der Gefahrenzulage, der Zulage für schwere körperliche Arbeit und der Zulage für Geruchsbelästigung (die Dinger konnten ganz schön übel riechen), auch eine Zulage für Arbeiten zu unchristlichen Zeiten verlangen könnte. Auf jeden Fall würde ich die nächsten zwei Schichten an jemand anderen delegieren, nachdem ich mit diesem Fall fertig geworden war. Ich nahm den Anruf an. Und dann musste ich grinsen. Am Einsatzort angekommen stellte ich sofort fest, dass es sich um ein recht großes Exemplar handeln musste. Nicht nur, dass die großen Mülltonnen auf dem Grundstück umgeworfen waren, auch zeichneten sich deutlich Spuren auf dem Rasen ab. An der Hauswand klebte stinkendes, rauchendes Drachensekret ein Fenster war zerstört. Das Vieh selbst war nicht zu sehen, in Anbetracht des kaputten Fensters eher beunruhigend. Ein Nachbar hatte vor kurzem einen riesigen Alligator gemeldet. Aber dafür war etwas anderes verantwortlich. Sollte sich der Drache immer noch im Haus aufhalten, tat er sich wahrscheinlich gerade an den Bewohnern gütlich und würde nur schwer wieder herauszubekommen sein. Noch dazu würde es bald dämmern und dann wäre es wieder einmal schwer den Kadaver für den eines Alligators auszugeben. „Nicht zu viel Aufsehen erregen.“ Wieder eine dieser Regeln, die ich so oft vorgebetet bekam. Aber was war wohl wichtiger, Menschenleben zu retten oder unerkannt bleiben? Vorsichtig betrat ich das Haus durch das kaputte Fenster. Meine Taschenlampe schaltete ich auf eine niedrige Stufe, ich wollte den Drachen nicht vorzeitig warnen. Ein Schrei durchbrach die Stille, als ich der Spur der Verwüstung in den ersten Stock folgte. Offensichtlich hatten die Bewohner das Eindringen der Echse erst jetzt bemerkt. „Stephen, tu doch was!“, schrie eine Frauenstimme hysterisch. Ich rannte die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Meine Waffe bereits gezogen und den Schutzschild aus Plexiglas vor mich haltend. An der Tür zum Schlafzimmer fand ich dann den Angreifer und seine Opfer. Es handelte sich umein ziemlich großes Exemplar, sicherlich über sieben Meter lang. Langsam hob es seinen Kopf und starrte nun anstatt der Hausbewohner mich an. Seine Augen reflektierten das Licht meiner Taschenlampe und glänzten strahlend hell. Langsam, als ob es ihn gar nicht interessieren würde, dass ich in Begriff war, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, krabbelte er auf mich zu. Bei allen Eigenschaften, die man Drachen anrechnen konnte, einen eleganten Gang hatten sie nicht. Dennoch konnten sie enorm schnell werden. Ich betätigte den Abzug und schoss drei Kugeln auf den Kopf des Monstrums. Doch sie schienen nicht viel auszurichten. Sie bohrten sich lediglich in die dicke Haut und blieben in ihr stecken. Jetzt musste ich schlucken. Mit der Treppe im Rücken und ohne Munition, die tatsächlich Schaden anrichtete, stand es nicht gerade gut für mich. Wenigstens konnte mit einem Blick aus dem Augenwinkel feststellen, dass das Ehepaar, das das Haus bewohnte, gerade dabei war, sich langsam an der Dachrinne hinunterzuhangeln. Sie waren beide schon etwas älter, ich konnte nur für sie hoffen, dass sie nicht abrutschten und in die dicken, alten Rosenstöcke fielen, die sich rings um das Haus befanden. Ich gab noch einen Schuss auf das Tier ab, in der Hoffnung, die empfindlichen Augen zu treffen, doch ich verfehlte mein Ziel. Die Entscheidung, die ich dann traf war eine, die mich Kopf und Kragen kosten könnte, wenn es in die Hose ging. Doch daran dachte ich prinzipiell nie. Wenn man darüber nachdachte, was alles schief gehen konnte, dann konnte man gleich zuhause bleiben. Ich war den Schild und die Pistole in Richtung des Drachenkopfs, drehte mich um und lief die Treppe hinunter. Noch bevor der Drache so wirklich wusste, was gerade eben passiert war, war ich im Erdgeschoss und hatte die Küche gefunden. Genau das Zimmer, das ich gesucht hatte. Ich verbarrikadierte die Tür notdürftig mit einem Stuhl, in dem Wissen, dass spätestens die Säure einen Weg durch das Holz entstehen lassen würde. Doch ich würde nicht viel Zeit brauchen. Schnell hatte ich den Herd gefunden. Ohne großartig zu überlegen riss ich sämtliche Kabel und Schläuche des Geräts ab. Irgendeines davon musste die Gasleitung sein. Dann verließ ich das Haus durch das Küchenfenster. Draußen angekommen, konnte ich hören, wie das Ungetüm sich langsam einen Weg durch die notdürftige Barrikade bahnte. Glücklicherweise sah ich auch das Ehepaar, das sich bereits auf die Straße zu meinem Wagen in Sicherheit gebracht hatte. Ich selbst sah auch zu, dass ich möglichst schnell etwas Abstand zwischen das Haus und mich brachte. Es würde nicht lange dauern, bis ein Funken das ganze Gebäude in die Luft fliegen lassen würde. Als ich an meinem Wagen angekommen war, wurde ich sogleich von dem älteren Mann angesprochen. „Wie gedenken Sie jetzt das Vieh aus meinem Haus hinaus zu bekommen?“ „Oh, ich denke nicht, dass das möglich sein wird Chef. Die Sonne geht schon auf, und Sie wissen ja, die Passanten.“ Es war wie Balsam für meine Seele. „Aber…!“ „Ich hoffe Sie haben Ihr Haus gut versichert“, war meine einzige Antwort. Dann erfolgte die Detonation. Drachenkrallen erzeugten oft genug Funken, wenn sie dabei waren, ein Haus zu verwüsten. Zugegebenermaßen, es hatte keine Sicherheit gegeben, dass es wirklich dazu kam. Aber offensichtlich hatte es dieses Mal funktioniert. Die Ehefrau meines Vorgesetzten japste erschrocken um Luft. Zu mehr war sie in Anbetracht des Anblicks nicht in der Lage. „Aber…!“ War das Einzige, was ich noch hörte. Die Aktion war zwar nicht strikt nach Handbuch, aber nach den Richtlinien. Kein Personenschaden, keine Zeugen, die ganze Geschichte war als Gasexplosion getarnt. Dafür konnte er mich noch nicht einmal feuern. © Sydney Kapitel 10: Satz 24: Erstaunen ------------------------------ Erstaunen: Er macht ein Geräusch wie ein Physiker, der einen Apfel nach oben fallen sieht. Darauf folgt eine kurze Pause. Dann macht er es wieder. Ich schaue ihm gerne dabei zu. Mein Schatz sieht sehr süß aus, wenn er sich über etwas wundert. Seit sechs Jahren wohnen wir jetzt schon zusammen, gehen gemeinsam durchs Leben, doch immer noch kann er sich über die kleinen Dinge freuen und sich wundern wie ein kleines Kind, wenn er etwas sieht, was nicht alltäglich ist. Heute ist es das Eichhörnchen, das provozierend auf der Brüstung des Balkons entlang läuft und uns dabei immer wieder freche Blicke zu wirft, während es einen geklauten Keks annagt. „Schatz“, sage ich zu ihm „bestätige es nicht noch durch die Aufmerksamkeit, die du ihm schenkst.“ Ja, er ist manchmal wirklich wie ein kleines Kind. Ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis er aufspringt und hinlaufen will. Wir kennen uns sehr gut, beinahe schon zu gut. Und dann ist es tatsächlich so weit. Noch ehe ich ihn zurückhalten kann, ist er auf das pelzige Ding zugelaufen. Das Eichhörnchen klemmt sich den Keks zwischen die Zähne und verschwindet, in einem waghalsigen Manöver an der Hauswand entlang kletternd, während er ihm hinterher schaut und nicht so ganz versteht, warum er es nicht erwischt hat und warum zum Teufel, Eichhörnchen bloß so gut klettern können. Manchmal ist er schon ein bisschen doof, mein Hund. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)