Liebe ist tödlich von Zyra (Kaibas Maxime. Irrtum ausgeschlossen?) ================================================================================ Kapitel 8: Nähe --------------- Hi! Nach diesem Kapitel sollte eigentlich nur noch ein Epilog folgen. Wie ihr an meiner Wortwahl erkennt, wird es mehr Kapitel geben. Bedankt euch bei Seto und insbesondere Tsuki. Der wollte wohl noch mal unter Beweis stellen, wie gern er redet. Es ist also mit ein oder zwei weiteren Kapiteln plus Epilog zu rechnen. Jetzt erst einmal viel Spaß mit diesem! LG Kyra --- Kapitel 8: Nähe „Sie hatten recht! Die duell-454 Anteile waren wirklich kein bloßer Köder. Hören Sie, eigentlich darf ich Ihnen das gar nicht sagen, aber ich sehe darin die beste Möglichkeit, den Täter zu überführen …“ Nagamos Plan war im Grunde einfach – wenn Tsuki nicht einen wesentlichen Anteil dazu beitragen müsste. Der Plan sah vor, dass ich den Lockvogel spielte. Ich wusste, ohne mit Tsuki darüber gesprochen zu haben, dass ihm das in einem Maß widerstrebte, in dem ihm viele Mittel Recht waren, um es zu verhindern. Und er hatte ein einfaches Mittel in der Hand. Ich hätte mir nicht so den Kopf zerbrochen, wenn es nur um Nagamos Plan ginge – ihr würde wohl noch etwas anderes einfallen. Es wäre lediglich komplizierter und weniger erfolgversprechend. Doch stand nicht nur der Plan auf dem Spiel. Es hing weitaus mehr davon ab – meine Firma. Ich konnte immer noch nicht richtig glauben, dass die Rettung so nah sein sollte, dass er derjenige sein sollte. Natürlich hatte ich es umgehend überprüft. Es bestand kein Zweifel. Ein Blick auf ein Foto hatte gereicht, um Gewissheit zu haben. Wenn man es wusste, oder auch nur ahnte, war die Ähnlichkeit nicht zu übersehen. Im ersten Moment hatte ich gedacht, meine Probleme würden sich alle in Luft auflösen. Doch dann hatten sich Skrupel bei mir gemeldet: Ich wollte Tsuki nicht belügen. Mein Verhältnis zu ihm war mir wichtiger, als ein schneller Erfolg. Ich konnte mich also nicht auf ein Teil der Wahrheit beschränken. Und das stellte mich vor ein Problem. „Hey“, erklang es empört neben mir. Noch ehe ich die Augen aufgeschlagen hatte, um Tsuki fragend anzusehen, knuffte der mir in die Seite und erklärte mir Nachdruck: „In meinem Bett wird nicht über die Arbeit nachgegrübelt.“ „Im Grunde genommen hab ich an dich gedacht“, sagte ich und hoffte, ihn damit zufriedenstellen zu können. Das Gegenteil trat ein. „Du kannst unmöglich mit solch einem angespannten, sorgenvollen Gesichtsausdruck an mich gedacht haben“, protestierte er und legte mir eine Hand an die Wange. Die Zeit, wo mir eine solche einfache Berührung Unbehagen bereitet hatte, war vorbei. Tsuki hatte sich als wirklich große Hilfe im Bekämpfen meiner Berührungsängste erwiesen. Ganz verschwunden waren sie noch nicht, aber mit jedem Abend, den ich bei Tsuki verbrachte, wurde es ein wenig besser. Er verstand es, mir mit seinen Berührungen die Angst zu nehmen. Tsuki seufzte. „Was ist los?“, fragte er resigniert. „Ich hab mit Nagamo telefoniert“, erwiderte ich. Mir war auch zum Seufzen zu mute. Ich hatte noch kein Konzept, würde es ihm nun wohl aber sagen müssen. Dem Thema jetzt auszuweichen, würde es später nur noch schwerer machen. So gut kannte ich Tsuki inzwischen. „Und?“, fragte er in einer Mischung aus Neugier und Besorgnis. „Sie hat den Grund für dein Involvieren herausgefunden.“ Tsuki blickte mich fragend an. Für mich war es immer noch schwer begreiflich, dass er keine Ahnung davon hatte. „Zu deinem Eigentum zählen 50% der Anteile der duell-454 Hologrammtechnologie.“ „Wie bitte?“, brachte er verdattert hervor. Allein sein Blick sprach tausend Worte. Er hatte es wirklich nicht gewusst. „Deine Mutter hat sie dir vererbt“, erklärte ich. „Oh“, murmelte er. Er schien zu begreifen. „Sie hat nie viel über die Arbeit gesprochen. Im Grunde wusste ich nur, dass sie irgendwelche neuen Technologien entwickelt.“ „Und duell-454 hat dir nichts gesagt?“, fragte ich nach. „Wie gesagt, sie sprach nicht viel darüber. Und im Testament ist wohl der vollständige Projektname genannt. Da stand irgendein Fachchinesisch mit dem ich nichts anfangen konnte.“ „Ach so.“ Ja, das ergab Sinn. Weiter brachte mich diese Erklärung allerdings nicht. „Du brauchst meine Anteile, nicht?“, fragte er lächelnd. Aber es war nicht das Feixen von jemandem, der wusste, er würde eine Menge Geld machen oder jemanden ordentlich die Tour vermasseln. Er schien sich einfach zu freuen, mir helfen zu können. „Du kannst sie haben. Bei dir kann ich mir sicher sein, dass aus den Ideen meiner Mutter noch etwas wird.“ Tsuki strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, die – widerspenstig wie meine Haare waren – fast augenblicklich an ihren ursprünglichen Platz zurückrutschte. Als ich schwieg, schien er zu begreifen. „Das ist nicht alles, richtig? Du weißt, dass ich sie dir geben würde.“ „Nein, das ist nicht alles“, bestätigte ich. Dann erzählte ich ihm von Nagamos Ermittlungsfortschritten – neben dem Grund für Tsukis Involvieren, auch von den drei Hauptverdächtigen. Ebenso erklärte ich ihm ihren Plan, mich als Lockvogel zu benutzen, um herauszufinden, wer es war und unwiderlegbare Beweise zu bekommen. Tsukis Gesicht war ernst geworden. Er lächelte bitter, als er sagte: „Unter diesen Umständen bekommst du sie natürlich nicht!“ „Ich wusste, dass du das sagen würdest“, erwiderte ich und schmiegte mich aus einem plötzlichen Gedanken heraus an Tsukis Brust. Etwas, was für mich völlig untypisch war, von dem ich aber wusste, dass es Tsuki gefiel. Beinahe sofort schlang Tsuki seine Arme um mich und bettete seinen Kopf auf mein Haar. „Es ist mir wichtig“, murmelte ich an seiner Halsbeuge. Einen Moment später wurde mir klar, dass ich diese Position nicht nur gewählt hatte, um Tsuki zu manipulieren. Sie hatte einen anderen Vorteil: Ich musste ihm nicht ins Gesicht sehen, während ich ihm meine Gründe erläutert. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich es nicht darlegen könnte, wenn ich ihm in die Augen sehen müsste. Ehe ich mich dafür mit Selbsthass strafen konnte, spürte ich wie Tsukis Hand von ihrem Platz an meiner Taille weiter abwärts wanderte. Sie kam auf meinem Hintern zum Liegen und ich konnte es mir nicht nehmen lassen, einmal kurz meine Hüften ein Stück nach hinten zu drücken. „Seto, du versuchst mich zu manipulieren!“, stellte Tsuki fest. Seiner Stimme war eine gewisse Zufriedenheit zu entnehmen, die wohl davonkam, dass ich inzwischen problemlos viele seiner Berührungen akzeptierte. „Ach ja“, sagte ich betont neutral. Natürlich hatte ich in den letzten Tagen gemerkt, dass mein Hinterteil ein beliebter Aufenthaltsort für Tsukis Hände geworden war. Seitdem es mir nicht mehr so unangenehm war, spürte ich dort ständig irgendeine Hand. Warum genau das so war, vermochte ich nicht zu sagen. Selbstverständlich war ich mir meiner Attraktivität bewusst, aber sie allein konnte nicht der Grund dafür sein, dass Tsuki kaum seine Hände von meinem Po lassen konnte. „Tja, das wird aber nicht funktionieren. Denn, wenn der Plan misslingt, kann ich dich ja überhaupt nicht mehr in mein Bett stopfen und als Kuscheltier benutzen.“ Er klang ein wenig neckend. Den Ernst verlor seine Stimme dabei allerdings nicht. „Du hast ein paar prima Vorteile: Du bist warm, verbreitest auch, ohne dass man dich mit irgendeinem Parfüm eindieselt, einen angenehmen Geruch, und um deinen Körper treffend zu beschreiben, muss man schon eine deutliche Steigerung von ‚wohlgeformt‘ wählen!“ Um seine Worte zu unterstreichen, fuhren seine Hände sanft über meinen Oberkörper. Behagen erfüllte mich. Aber an dem Gefühl der absoluten Schwäche konnten die Berührungen nichts ändern. „Aber es reicht nicht“, sagte ich. „Was?“ „Deine Berührungen. Sie können mir nicht das Gefühl nehmen, an dem Abend völlig unfähig gewesen zu sein, mich zu Verteidigen und es in diesem Bezug auch jetzt noch zu sein. Ich will zeigen, dass ich nicht hilflos bin. Ich will beweisen, dass sie einen schweren Fehler gemacht haben, mich anzugreifen. Denn ich kann mich wehren. Ich kann dafür sorgen, dass sie gefasst werden.“ Mit jedem Wort war ich eindringlicher geworden. Ehrlich zu sein, war meine einzige Möglichkeit, ihn zu überzeugen. Und das war die reine Wahrheit gewesen. Auch wenn mir diese Wahrheit ganz und gar nicht gefiel. Und noch viel weniger gefiel es mir, dass ich es hatte aussprechen müssen. „Ach Seto, du bist nicht ...“ „Selbst wenn du meinen Kopf überzeugen kannst“, unterbrach ich ihn sofort, „für meinen Körper genügen Worte nicht.“ Tsuki seufzte. Ich spürte regelrecht, wie es ihm widerstrebte. Er wollte nicht, dass ich in Gefahr geriet. Egal, ob nun rationale oder irrationale. Vorsichtig drückte er mich ein Stück von sich. Eine Hand legte sich an meine Wange. „Ist es dir wirklich so wichtig?“, fragte er, während er mich eindringlich musterte. Ich nickte. Wieder seufzte er. „Okay. Du bekommst meine Anteile, wenn Tomiko Mokuba und mich überzeugen kann, dass sie dich gut beschützen kann.“ Das war doch mal ein Wort. *** Die Besprechung mit Nagamo wurde durch Tsukis Unwillen in die Länge gezogen. Mokuba war von der Idee auch nicht begeistert. Aber er hatte nicht so viel Zeit gehabt, über alle möglichen Schwachpunkte und andere Auswege nachzudenken. „Erklär mir noch mal genau, warum ich nicht den Lockvogel spielen kann?“, verlangte Tsuki zu wissen. Nagamo seufzte. Abgrundtief. Als sie antwortete, war ihr anzumerken, wie sehr sie diese Diskussion nervte. „Wenn Mister Kaiba nicht auf diesem Treffen erscheint, verstößt er gegen die Kaufverträge seiner anderen Anteile. Er muss also gehen, das heißt wir müssen ihn so oder so beschützen. Daran ändert sich auch nichts, wenn du mitkommst und den Lockvogel spielst. In dem Fall müsste ich mit meinen Leuten zwei Personen beschützen. Und das ist wesentlich komplizierter.“ „Okay ...“, sagte Tsuki klang aber dabei so, als wäre absolut nichts in Ordnung. „Aber ...“ „Tsuki“, fuhr Nagamo ihm dazwischen. Sie schien kurz davor, richtig wütend zu werden. „Es sind noch nicht mal zwei ganze Tage. Es wird immer jemand in der Nähe sein und sollte es zu gefährlich werden, brechen wir die Aktion sofort ab. Die Gefahr ist minimal!“ Tsuki murrte, sagte aber nichts mehr, was eindeutig als Protest zu werten war. Die Polizistin atmete tief durch. Mit einen halblauten „Schön, das geklärt zu haben, dann können wir jetzt ja abschließend den Plan noch einmal durchgehen.“ kam sie wieder auf den Grund für ihre eigentliche Anwesenheit zurück. Nachdem Tsuki nicht mehr dazwischenredete, war die Besprechung relativ schnell zu Ende. Der Plan sah so aus: Tsuki würde an dem Tag vor dem Treffen ein Interview geben, in dem er erwähnte, seine Anteile der duell-454 an mich verkauft zu haben. Dazu sollte er kurz in seine Wohnung zurückkehren. Dort lagen noch genügend Paparazzi auf der Lauer. Einige Stunden später würde ich mit den drei Hauptverdächtigen – Maximilian Pegasus, Siegfried von Schröder und Robert Ciel – Gespräche führen und dabei versuchen, sie zu einer Aussage zu verleiten, die sie, wären sie unschuldig, nicht tätigen konnten. Die Nacht darauf würde ich in einem Hotelzimmer voller Polizisten verbringen. Am nächsten Tag war das Treffen, an dem ich auf jeden Fall teilnehmen und danach wieder abreisen würde. Mit etwas Glück mit der Gewissheit, dass der Auftraggeber des Mordanschlags und dessen Komplizen im Knast saßen. *** Seit geschlagenen fünf Minuten saß Tsuki schon auf der Kante des Stuhls vor meinem Schreibtisch und starrte auf den Vertrag. Sein Verhalten war absolut untypisch. Ich fragte mich, was los war, zum Ausdruck bringen konnte ich es nicht. „Bestehst du auf Änderungen?“, fragte ich. Tsuki schreckte hoch. Anscheinend war er in Gedanken gewesen. „Ähm ... ich versteh nicht, was dieser ganze Vertragsbruchkram soll“, meinte er dann. „Das ist mein Standarttext für die duell-454-Verträge“, erklärte ich. „Alle anderen Anteilseigner haben darauf bestanden.“ „Warum?“ Das war eine schwierige Frage. Am Anfang hatte ich es auch nicht verstanden und gewollt hatte ich diese Klausel erst recht nicht. Aber als wirklich alle Anteilseigner darauf bestanden hatten, blieb mir keine andere Wahl, wollte ich weiterhin Markführer in der Duellmonster Industrie bleiben. „Der Ingenieurskollege deiner Mutter hat seine 50% den Mitarbeitern des Projekts vermacht. Ihnen allen scheint die Entwicklung sehr wichtig zu sein. Deshalb bestehen sie auf diese Klausel. Sie stellen damit sicher, dass ihre Prozente zur Entscheidung beitragen. Sollte der Vertragspartner die vereinbarten Leistungen verweigern oder versterben, wird der Vertrag ungültig. Geld und Anteile gehen an ihre eigentlichen Eigentümer zurück.“ „Das kannst du rausnehmen. Vielleicht sollte ich in meinem Interview erwähnen, dass ich darauf verzichtet", sagte Tsuki nachdenklich. „Es ist sicher besser. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, dich einfach zu töten, um dann über mich an die Anteile zu kommen.“ „Ja. Ohne meine Unterschrift auf einem entsprechenden Vertrag bleibt einem in dem Fall die Technologie verschlossen“, stimmte ich zu und nahm die Veränderung im Vertrag vor. „Warum hat meine Mutter mir ihre gesamten Anteile vererbt?“, fragte Tsuki. Ich merkte ihm an, dass er in Gedanken immer wieder abschweifte. Er wirkte bedrückt. „Vielleicht hat sie geahnt, dass die Chance, dass die Technologie schnell weiterentwickelt wird, schlecht steht, wenn es so viele Anteilseigner gibt.“ Ich blickte in Tsukis Gesicht. Er sah so aus, als hätte er sich eine andere Antwort erhofft. Ich wünschte, ich könnte ihm etwas sagen, was ihn ein wenig aufheitertete. Also dachte ich noch einmal über das nach, was ich über seine Mutter hatte in Erfahrung bringen können. „Aber wahrscheinlich wollte sie einfach nur, dass die Erfindung, die ihr wichtig war, in die Hände derjenigen kommt, die ihr am Herzen lagen. Ich denke, sie hat darauf vertraut, dass dein Vater oder du dafür Sorge trage würdet, dass ihre Entwicklung verwirklicht wird.“ „Vielleicht“, murmelte er und begann auf die neue Ausführung des Vertrages zu starren, die ich ihm gegeben hatte. Ich hatte die starke Vermutung, dass er nicht einmal bemerkte, worauf er blickte. Er schien völlig aus der Realität gerissen. „Tsuki, was ist los?“, fragte ich, bemüht nicht allzu besorgt zu klingen. Dass ich es aufgrund von Tsukis seltsamen Verhaltens war, stand außer Frage. „Hm.“ Er blickte verwirrt vom Vertrag auf. „Ich dachte daran, dass ich so einen Vertrag wohl schon damals unterschreiben sollte.“ Da hatte er sicherlich recht. Derjenige, der versucht hatte, uns beide aus dem Weg räumen zu lassen, hatte Tsuki Anteile haben wollen ... und einen Konkurrenten weniger. „Tja, manchmal scheint dein kopfloses Handeln auch etwas Gutes zu haben.“ „Wie meinst du das?“ Tsuki sah mich aus fragenden Augen an. „Wie willst du dein Verhalten denn sonst bezeichnen?! Du bist, als ein Gespräch mit einem Kunden sich in die falsche Richtung entwickelte, einfach gegangen. Dann bist du von einer Kneipe in die nächste gestürmt, ohne dich in einer auch nur mehr als ein paar Sekunden aufzuhalten. Letztendlich bist du quer durch die ganze Stadt zu deiner Wohnung zurückgerannt und hast dort den Hintereingang benutzt, obwohl du eigentlich gewusst haben musst, dass du so alle 21 Stockwerke zu Fuß gehen musst?“ Tsuki lächelte leicht. In diesem Moment schien er wieder ganz in der Realität zu sein. „Das war sehr nett formuliert. Das Gespräch hat mich unglaublich gereizt. Irgendwann war ich so wütend, dass ich einfach aus dem Lokal gerauscht bin. Ich wollte mich abreagieren. Alkohol schien da wohl eine einladende Lösung. Aber irgendetwas hat mich immer an das Lokal erinnert aus dem ich gekommen war – an das, was ich vergessen wollte. Also bin ich immer weiter gerannt. Das Laufen hat mich ein wenig beruhigt. Deshalb bin ich wohl auch die Treppen hoch.“ Sein Blick ruhte auf mir. Der Ausdruck seiner Augen wurde weich. „Vielleicht hast du recht und es war kopflos, aber im Grunde kann ich dir gar nicht sagen, wie egal mir das ist. Ich bin glücklich darüber, dass ich jeden Schritt so gemacht hab, wie ich ihn gemacht hab. Ich bin sogar glücklich darüber, dass sie mir den Mord an dir in die Schuhe schieben wollte, weil sie zu diesem Zweck meine Handschellen benutzt haben und ich dich deshalb gleich befreien konnte.“ Das Lächeln erfüllte seine Augen. Seine Stimme war sanft, als er fortfuhr. „Ich bin unglaublich glücklich, dich gefunden zu haben, Seto. Wie es dazu gekommen ist, interessiert mich nicht. Auch wenn mir andere Umstände lieber gewesen wären.“ Er griff zum Kugelschreiber und unterschrieb. Dann stand er auf, beugte sich über den Schreibtisch und drückte mir einen leichten Kuss auf die Wange. Ich schaute ihm hinterher. Die Tür fiel ins Schloss. Es war gut, dass er sofort gegangen war. Sonst hätte er mir sicherlich etwas angemerkt. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Meine Gefühle überschlugen sich. Die Stelle, wo er mich geküsst hatte, prickelte verheißungsvoll. Denken konnte ich kaum. Es fiel mir schwer, mich zur Ordnung zu rufen. Nur die Tatsachen zu sehen – nichts in sie hineinzuinterpretieren. Das war mit Sicherheit kein Liebesgeständnis gewesen. Tsuki war der direkteste Mensch, dem ich je begegnet war. Nur unter seltenen Umständen sprach er um die Dinge herum. Wenn er mir also seine Liebe hätte gestehen wollen, wären seine Worte „Ich liebe dich“ gewesen. So wie die Sache jetzt lag, freute er sich nur, dass es mich in seinem Leben gab. Aber allein das reichte, um all die Gefühle wieder in das absolute Chaos zu versetzen, die ich in den letzten Wochen sorgsam zu beherrschen versucht hatte. In diesem Moment war es mir herzlich egal. Es gab Hoffnung. Wenn sie auch nur gering war. *** Später am Abend stempelte ich den Gedanken als töricht ab. Ich wollte es zumindest. Mein Kopf wollte es. Meine Gefühle protestierten heftig. Es war so lächerlich. Diese Irrationalität passte nicht zu mir. Warum sollte es an rational gefassten Entscheidungen Zweifel geben? Ich verstand es nicht. Da lag wahrscheinlich das Problem. Mein Kopf konnte meine Gefühle nicht erfassen. Letztendlich gab ich meinen Gefühlen nach. Ich ging zu Tsuki. Erst frustriert verwandelte ich mich vor Tsukis Zimmertür in einen beinahe von Gefühlen geprägten Menschen. Absurd, wenn man sich die Zeit nahm, darüber nachzudenken. Ich fand Tsuki in einem Meer aus Zeichnungen, Blöcken und Mappen vor. Auf dem Boden sitzend hatte er um sich herum seine Bilder ausgebreitet und war nun in dessen Betrachtung vertieft. Interessiert trat ich näher. Bisher hatte ich noch nie ein Bild von Tsuki gesehen. In der Schule waren allerdings etliche Bemerkungen gefallen, die darauf hinwiesen, dass er gut war. Sehr gut. Als ich auf sie hinabblickte, bemerkte ich sofort ihren ungeheuren Ausdruck. Ich war kein Kunstliebhaber. Im Grunde genommen hatte ich mich nie sonderlich für Kunst interessiert. Aber die Bilder zu meinen Füßen erkannte selbst ich als gut. Sie zogen einen förmlich in die Szenerie. „Tsuki“, sagte ich und war kurz davor, ihm wirklich ein Kompliment zu machen. Ich unterließ es, als ich sah, wie er aufschreckte. Es lag derselbe Ausdruck in seinen Augen wie heute Nachmittag. Er wirkte genauso realitätsfern. Deshalb fragte ich wieder: „Was ist los?“ „Hm.“ Er begann, die Bilder zusammen zu räumen. „Einen Moment. Du kannst es dir schon mal im Bett bequem machen.“ Einen Moment lang beobachtete ich, wie er ordentlich die Bilder wegpackte. So eine Sorgfalt kannte ich von ihm nicht. Ich legte meinen Morgenmantel über einen der Sessel, schlüpfte aus meinen Pantoffeln und ließ mich auf der Bettkante nieder. Von dort aus musterte ich Tsuki kritisch. Wie jeden Abend trug er ein T-Shirt und Boxershorts. Seine Haare waren noch zerzauster als am restlichen Tag. Er bewegte sich allerdings genauso elegant und geschmeidig wie sonst auch. Es war alles wie an früheren Abenden auch. Nur der Ausdruck seiner Augen in dem Moment, als er zu mir aufgesehen hatte, war anders gewesen. Davon war allerdings nichts mehr zu erkennen, als er nun auf mich zu kam. Ich wollte den Gedanken schon abtun, als Tsuki zu mir ins Bett kam und mich sofort in seine Arme zog. Ich stutzte unwillkürlich. Normalerweise brachte er als erstes meine Haare in einen ebenso zerzausten Zustand wie seine eigenen. Er war der Meinung im Bett eine ordentliche Frisur zu haben, wäre absolut anormal. Ich hatte schnell einsehen müssen, dass es ihm ernst war. Jeden meiner Versuche, meine Haare zu richten, hatte er sofort vereitelt. Heute schien es ihn nicht zu interessieren. Seltsam. Ich nahm mir vor, sein Verhalten im Auge zu behalten. Für einen Moment hielt er mich einfach nur in seinen Armen. Mein Kopf ruhte auf seiner Schulter. Und wie eigentlich immer in Tsukis Nähe atmete ich tief seinen Geruch ein. Warm traf sein Atem auf meine Haut. Ich hatte den Gedanken, was er vorhaben könnte, noch gar nicht ganz beendet, da spürte ich seine Lippen schon an meinem Hals. Federleicht wanderten sie über die Haut. Wenig später begann er, sanfte Küsse auf meinem Hals zu verteilen. Es fühlte sich gut an, war so angenehm, wie keine Berührung zuvor. Auch wenn das mulmige Gefühl, das mich immer beschlich, wenn er etwas Neues wagte, noch nicht verschwunden war. Ich konnte die Angst nicht vertreiben, dass sich die sanften Berührungen im nächsten Moment in schmerzhafte Bisse verwandeln würden. Dennoch blieb diese Furcht im Hintergrund. Mein Körper hatte gelernt, dass Tsuki mir keine Schmerzen zufügte. Im Augenblick beschlich mich eher ein anderes Gefühl: Etwas war anders als sonst. Ich konnte es nicht erklären, aber irgendetwas an seinen Berührungen war eigenartig. „Was ist los?“, murmelte Tsuki an meinem Hals, als hätte er meine Unsicherheit gespürt. „Gefällt es dir nicht?“ Gefallen? Das war es also. Seine Intension war eine andere. Bisher war es nur ums Akzeptieren gegangen. Vielleicht sollte es angenehm sein. Aber noch nie hatte Tsuki nach dem Gefallen gefragt. Es schien, als wollte er mich verwöhnen. Ich richtete mich in seiner Umarmung auf, musterte ihn kurz und kam zu dem Schluss, dass seine Gedanken momentan im hier und jetzt weilten. „Die eigentliche Frage ist: Was ist mir dir los?“, sagte ich. „Du benimmst dich schon seit heute Nachmittag seltsam.“ „Es ist nichts“, erwiderte er. Es klang nicht sehr überzeugend. „Ich will wissen, was los ist!“, befahl ich. Darin war ich schon immer besser gewesen, als zu bitten. Es entsprach meine Art. Tsuki seufzte. Sein Blick richtete sich wieder in die Ferne. „Es ist schwer zu erklären.“ „Ich bin mir sicher, ich kann dir folgen!“, sagte ich nur. „Ich hab ihm nie verziehen“, sagte Tsuki und die Art wie er es sagte, verriet mir augenblicklich, dass er sich in diesem Gespräch etwas von der Seele reden würde. „Ich hab es meinem Großvater nie verziehen, dass er die Beziehung meiner Eltern zerstört hat. Warum mein Vater sich fügte, hab ich nie wirklich verstanden. Aber böse war ich ihm nicht. Ich weiß, dass er meine Mutter geliebt hat, auch wenn sie einfachen Verhältnissen entstammte. Das hat ihn nicht interessiert, aber seine Familie war ihm wohl auch sehr wichtig. Ich bin damit aufgewachsen, mal bei meiner Mutter zu sein und mal bei meinem Vater. Für mich war es natürlich, dass sie nicht zusammenlebten, sich nur regelmäßig trafen. Ich kam damit zurecht, auch wenn die Zeit mit beiden zusammen oftmals meine liebste war. Ich hab es ihm nie verziehen, dass er mich nach dem Tod meiner Eltern, nach seinen Werten umerziehen wollte. Genauso wenig hab ich es ihm verziehen, dass er mir das Kunststudium verwehrte und mich stattdessen zwingen wollte, Medizin, Jura oder etwas in der Art zu studieren. Ich hab mich damals bewusst hingesetzt und mir überlebt, was ich machen könnte. Es sollte etwas sein, woran ich Spaß hatte und worüber er sich maßlos ärgern würde. Seine Gesichtsausdrücke und meine Triumpfe werde ich nie vergessen." Für jede Situation, die Tsuki aufzählte, streckte er einen Finger aus. "Als er erfuhr, dass ich bei einem Begleitservice angefangen hatte; dass ich mir mit Sex noch mehr verdiente; und dass ich mich selbstständig gemacht hatte.“ Zum ersten Mal verzog er seine Lippen zu seinem typischen Grinsen. Es war ihm anzumerken, wie ehrlich diese Worte waren. „Von Anfang an hatte ich mir immer etwas Geld beiseitegelegt. Denn Kunst studieren wollte ich immer noch. Es liegt nicht am Job, dass ich es bis heute nicht tue. Natürlich mein Leben gefiel mir. Jedem der zu mir sagte, ich würde meinen Körper verkaufen, hab ich angegrinst und geantwortet: ‚Du siehst das falsch. Ich suche mir aus, mit wem ich ins Bett steige und kassiere auch noch Geld dafür.‘ Aber das war es nicht, was mich davon abhielt. Ich hatte einfach Angst. Ich dachte immer wieder: ‚Spar lieber noch etwas mehr, nicht dass du dich verrechnet hast und nicht hinkommst.‘ Den Triumpf wollte ich dem alten Griesgram auf keinen Fall gönnen. Dass ich meinen Lebensstandart nicht mehr halten könnte und vielleicht gar nicht mehr mit meinem Geld auskam. Als ich heute Nachmittag den Verkaufspreis für meine Anteile mit der Gewinnbeteiligung sah, hab ich gedacht: ‚Jetzt kannst du dir endlich deinen Traum erfüllen!‘ Im nächsten Moment hab ich gemerkt, dass ich mich hier bei Mokuba und dir pudelwohl fühle. Den Job aufzugeben, ist nicht das Problem, euch zu verlassen umso mehr. Es ist angenehm zu wissen, dass jemand da ist oder zumindest bald nach Hause kommt. Im Grunde will ich gar nicht mehr allein leben. Ich will nicht ausziehen.“ „Tsuki, wie kommst du auf die Idee, ich würde abends durch die halbe Stadt zu dir fahren und morgens wieder zurück.“ Meine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. Ich würde mit Sicherheit nicht sentimental werden. Aber Tsuki schien mich trotzdem zu verstehen. Einen langen Moment sah er mich aus großen Augen an, blinzelte kurz und schaute mich wieder aus großen Augen an. Als er begriff, dass es wirklich mein Einverständnis für sein Bleiben gewesen war, fiel er mir um den Hals. Wie es aussah, würde ich ihn nicht so schnell wieder los werden. Heute Abend nicht und in nächster Zeit auch nicht. Es war mir nur recht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)