Liebe ist qualvoll von Zyra (Tsukis Erfahrung. Wiederholung vorprogrammiert?) ================================================================================ Kapitel 1: Problematisch ------------------------ Hallo! So da ist es endlich! ^^ Das erste Kapitel der Fortsetzung meiner FF "Liebe ist tödlich". Ich hoffe, es gefällt euch! Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra --- Liebe ist qualvoll - Tsukis Erfahrung. Wiederholung vorprogrammiert? Kapitel 1: Problematisch Klassenfahrten waren das Letzte. Sie waren nervenaufreibend. So nervenaufreibend wie nur etwas sein konnte, woran eine Gruppe von Halbwüchsigen mit einem gestörten Verständnis von Spaß Anteil hatte. Das, worauf ich mich momentan befand, nannte sich zwar offiziell Studienfahrt, aber da selbst die Lehrer es als Abschlussfahrt betitelten, schienen auch die begriffen zu haben, dass das kulturelle Programm für den Durchschnittsschüler nur Beiwerk war. Ein notwendiges Übel, an dem man teilnehmen musste, um danach seinen „Spaß“ haben zu können. Was für den Durchschnittsschüler bedeutete, sich haltlos zu betrinken und sich in viel zu lauten Diskotheken das Gehör zu ruinieren. Daraus, dass der Großteil dieser Klasse zu ebenbeschriebener Spezies gehörte, machte er keine Hehl. Fünf Minuten Vor-Abschlussfahrt-Gespräche gelauscht und man war bestens informiert. Informiert darüber, dass man von Idioten umgeben war und alles daran setzen sollte, ihnen nach zehn Uhr abends unter keinen Umständen über den Weg zu laufen. Wenn sie nüchtern schon kaum erträglich waren, wie benahmen sie sich dann erst, wenn sie zu viel gebechert hatten? Ich wollte es gar nicht herausfinden. Genauso wenig wie ich die Erfahrung machen wollte, die ich gerade machte. 25 lärmende Schwachköpfe in einem Klassenraum waren schlimm, 25 lärmende Schwachköpfe in einem Bus waren schlimmer. Reisen stiegen den meisten anscheinend zu Kopf … oder war es die Unfähigkeit, still zu sitzen? Deshalb war auch nicht Tsuki der Grund, warum ich übermäßig genervt war. Obwohl er meine Schulter bestimmt schon eine gute halbe Stunde als Kopfkissen nutzte und ich jeden Moment damit rechnen musste, dass er mein teures Hemd ansabbern würde. Vorausgesetzt er träumte von mir, würde ich ihm im Moment wahrscheinlich auch das verzeihen. Im Moment – in Erinnerung an heute Nacht. Insbesondere, sofern er mir eine Wiederholung der Geschehnisse versprach. Vielleicht sollte ich ihn – sobald er wieder wach war – dafür, dass ich eine Weile Kopfkissenersatz gespielt hatte, dazu verpflichten. Als Entschädigung sozusagen. Ich hatte auch schon überlegt, einen Kuss als Entschädigung zu fordern, aber Tsuki hatte sich gestern als solch ein Querkopf erwiesen, dass ich dazu wohl andere Mittel würde einsetzen müssen. Und dazu gehörte ganz gewiss nicht, einzulenken. Mit anderen Worten: Ich würde ihm nicht meine Liebe gestehen oder ihn von mir aus küssen. Ich würde ihn dazu bewegen, sein verdammtes Prinzip über Bord zu werfen. Zumindest, was die Anwendung auf mich bedarf. Den größten Teil der bisherigen Busfahrt – den Teil, in dem Tsuki keine Konversation mit mir betrieben hatte, weil er schlief – hatte ich dazu genutzt, einen Plan, eine Strategie, zu entwickeln. Die Grundlage meiner Überlegungen war, dass Tsuki nur mit Mühe von mir ablassen konnte. Ich spürte wie sehr er mich begehrte. Also würde ich ihn reizen, in dem ich ihm deutlich vor Augen führte, was er haben konnte, sich aber verwehrte. Irgendwann würde auch die Selbstbeherrschung des erfahrenden Callboys Aozora Tsuki brechen. Man musste es nur richtig anstellen. Und ich war mir sehr sicher, dass ich das bewerkstelligen konnte. Angst vor einem absoluten Kontrollverlust seinerseits hatte ich wenig. Es war erstaunlich, was eine Nacht bewirken konnte. Mein Vertrauen in Tsuki war bestätigt worden. Außerdem hatte mir das, was er mit mir angestellt hatte, so sehr gefallen, dass alles weitere nur vergleichbar sein konnte. Zumindest signalisierte mir das mein Unterbewusstsein. Ich spürte eine innere Vorfreude, obwohl mein Kopf da noch ein paar Unklarheiten gefunden hatte. Allerdings war das vorrangige, mit dem Verstand gefasste Ziel die Aufgabe seiner Kuss-Verweigerung. Und so seltsam es klang, dafür ging ich das Risiko ein. Nach aktuellem Wissenstand wenigstens. Mit der Strategie zufrieden zog ich eine Computerzeitschrift aus meiner Umhängetasche. Eigentlich hatte ich meinen Laptop mit in den Fahrgastraum nehmen wollen, um etwas arbeiten zu können, aber Tsuki hatte darauf bestanden, dass ich mich die ganze Fahrt mit ihm beschäftigte. Wenn ich mich mit dem Gerät befasste, würde ihm langweilig werden, so seine Argumentation. Soviel dazu, dachte ich und schielte auf seine rote Mähne hinab. Der sich darunter verbergende Kopf schmiegte sich inzwischen mehr an meinen Oberarm. Gut, dass ich die Zeitschrift eingesteckt hatte. Zweieinhalb Artikel später ertönte ein Quietschen neben mir im Gang. Als ich genervt aufblickte, erkannte ich Sabuki Takara – der Inbegriff meiner Vorstellung einer absoluten Horrorfrau. Und einen Grund, warum das so war, stellte sie kurz darauf eindrucksvoll unter Beweis. „Wie süß!“, rief sie aus und fügte schwärmerisch hinzu, als sie sich genügend Aufmerksamkeit verschafft hatte. „Er ist so niedlich, wenn er schläft.“ Der Lärm im Bus war für einen Moment verstummt, um kurz darauf noch lauter wieder auszubrechen. Dummerweise befand ich mich direkt neben dem neuen Zentrum der Aufmerksamkeit und da es mich als Kopfkissen benutzte, standen die Chancen hoch, dass ich bald das Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit sein würde. Ich verdrehte genervt die Augen. Auch das noch. „Ja und?“, ertönte die Stimme von Wheeler viel zu nah. Wann war der Kasperkopf weiter nach vorne gekommen? „Kann dir doch egal. Er steht ja sowieso nicht auf dich.“ Spott und Hohn schwangen bei dem Gesagten mit und ich stellte mehr als überrascht fest, dass Wheeler und ich doch tatsächlich eine Gemeinsamkeit hatten. Auch wenn es nur so eine Kleinigkeit war wie die Antipathie gegenüber Sabuki Takara. „Ach ja“, giftete sie. Ihre Stimme überschlug sich vor Zorn fast. „Woher willst du das denn wissen?“ „Na, weil er sich an Kaiba kuschelt“, gab er in Nachahmung ihres Tonfalls zurück. Na großartig. Jetzt war genau das passiert, was zu befürchten gewesen war. Alle Blicke richteten sich auf mich. Ich blätterte demonstrativ eine Seite in meiner Zeitschrift weiter, obwohl ich die letzte noch nicht zu Ende gelesen hatte. „Hey Kaiba“, sprach Wheeler mich in seiner frechen Art an. Er grinste dümmlich. „Warum darf er das eigentlich?“ Weil ich der Grund bin, warum er die Nacht nicht schlafen konnte, schoss es mir durch den Kopf. Innerlich stieß ich ein abgrundtiefes Seufzen aus. Ich fühlte mich schon wieder für etwas schuldig, dass ich im Grunde nicht zu verantworten hatte. Würde das denn nie aufhören? „Ich versuche zu lesen, Wheeler“, sagte ich kalt und fügte verächtlich an: „Und dabei ist etwas sehr förderlich. Ich weiß nicht, ob du mit dem Begriff etwas anfangen kannst, aber man nennt es Ruhe!“ Obwohl von Ruhe in diesem Bus keine Rede sein konnte. Aber berechtigterweise musste ich sagen, das Stimmenwirrwarr um mich herum auszublenden, war kein Problem. Im Gegensatz dazu war ein Aufmerksamkeit fordernder Tsuki nicht so leicht zu ignorieren. „Kaiba, lass uns einfach Plätze tauschen“, forderte mich Sabuki auf und warf mir dabei einen Blick zu, der bei ihr wohl in die Kategorie verführerisch fiel. Für mich sah es eher nach einem erbärmlichen Versuch aus, erwachsen zu wirken. „Wie kommst du auf die absurde Idee auf dem Platz könnte es ruhig sein?“, fragte ich maliziös und warf ihr und dem, was sie beste Freundin nannte, einen verachtenden Blick zu. In diesem Moment begann Tsuki aufzuwachen. Erst veränderte sich nur leicht seine Atmung, dann kam langsam Bewegung in seinen Körper, bis er schließlich sich die Augen reibend neben mir saß. „Hab ich dich angesabbert, oder so?“, nuschelte er. „Du guckst so böse.“ „Glaub mir, hättest du, würdest du nicht mehr neben mir sitzen“, antwortete ich und als ich ihn anschaute, lag in meinem Blick nur noch die übliche Kälte. „Hm“, brachte er nur hervor. Er gähnte herzhaft und begutachtete danach erst einmal die Stelle, die ich wohl angesehen hatte, als er aufwachte. „Was gibt’s denn?“, fragte er, nachdem er den Auflauf bemerkt hatte. „Ich habe Kaiba gerade angeboten, mit ihm den Platz zu tauschen“, erklärte Sabuki und warf nun Tsuki ihren Möchtegernverführerischen Blick zu. Nur lag dieses Mal noch ein schwärmerisches Glitzern in ihren Augen. Tsukis Kopf schnellte zu mir herum. Er sah mich entsetzt an. Einen Moment befürchtete ich, er würde auf meinen Schoß springen und sich an mir festklammern. Nichts dergleichen geschah, stattdessen entspannten sich sein Gesichtszüge wieder. „Lass mich mal kurz darüber nachdenken, ob ich das für eine gute Idee halte. Ähm …“, sagte er spöttelnd. Die Antwort auf seine „Frage“ kam in Sekundenschnelle. „Nein!“ Sabuki Takaras Gesichtszüge entgleisten vor Unglauben. „Aber … aber er will doch gar nicht, dass du dich an ihn anlehnst“, brachte sie stotternd hervor. Ich konnte mich nicht erinnern, so etwas gesagt zu haben. Eher im Gegenteil. Woher nahm sie also diese Auffassung? Nicht, dass es mich störte. Für meinen Ruf war es nur gut so. „Selbst wenn. Seto ist wesentlich bequemer“, entgegnete Tsuki überzeugt. Auf ihren empört-fragenden Blick meinte er: „Er besteht nicht nur aus Haut und Knochen!“ Das erzürnte sie nur noch mehr – ebenso wie einige Umstehende –, aber die meisten lachten vergnügt. In dieser Klasse war man entweder für oder gegen Sabuki Takara. Jemanden dem sie egal war, gab es nicht. Ihr Ausbruch wurde dadurch verhindert, dass der Bus scharf bremste und alle Stehenden ins Wanken gerieten. Einige konnten sich gerade noch irgendwo festhalten, andere machten ein zwei Ausfallschritte, um ihr Gleichgewicht zu halten. Sabuki Takara fiel in einen Nebenstehenden. „Herrschaften, hinsetzen!“, befahl Miss Zedama, die gekommen war, nachdem der Bus wieder sein Tempo hielt. „Nicht, dass mir hier noch jemand zu Schaden kommt.“ Mit Murren wurde der Befehl befolgt. Die Lehrerin wartete bis jeder wieder auf seinem Platz saß, dann wandte sie sich Tsuki zu. „Hast du die Nacht mit Packen verbracht oder warum bist du so müde?“ „Nein, das hat er heute Morgen gemacht“, wandte ich brüsk ein, in Erinnerung an das morgendliche Theater, das mit „Seto, du musst mir mal dringend helfen“ begonnen und erst zehn Minuten später geendet hatte, als Tsuki seinen MP3-Player endlich wieder gefunden hatte. Unter dem Bett wohl gemerkt. Der Missetäter kratzte sich jetzt verlegen am Kopf. „Ich hab erst ziemlich spät gemerkt, dass ich meinen MP3-Player nicht dabei hatte und wir mussten ihn noch suchen“, erklärte er auf einen fragenden Blick von Miss Zedama hin, die daraufhin nur den Kopf schüttelte. Sie lächelte dabei und die Art wie sie das tat, schrie geradezu „Typisch!“, womit sie meiner Einschätzung nach eindeutig Recht hatte. „Ich konnte schlecht einschlafen“, beantworte Tsuki ihre eigentliche Frage. „Irgendetwas Besonderes?“, erkundigte sie sich und da begann für mich das Überengagement der Lehrerin. Ich blätterte die Seite in meiner Zeitschrift zurück und suchte die Stelle, wo ich unterbrochen worden war. Das tat ich, weil ich mich noch sehr genau daran erinnerte, was der Grund dafür gewesen war. Da ich keine Ahnung hatte, was Tsuki darauf antworten und wie ich darauf reagieren würde, verschanzte ich mich hinter dem Heft. Im Allgemeinen hatte ich meine Gesichtszüge zwar optimal unter Kontrolle, aber Gefühlsregungen waren mir in letzter Zeit öfter entglitten, als gut sein konnte. Und diese Situation gehörte mit Sicherheit nicht zu denen, mit denen ich noch relativ gut umgehen könnte. Während ich versuchte, nicht an die letzte Nacht zu denken, drängten sich die Erinnerungen geradezu auf. Nicht nur an Tsukis Berührungen, sondern auch an sein Zähneklappern danach. Wieder stellte ich mir die Frage, ob das Schuldgefühl, das ich empfand, berechtigt war. War es meine Schuld, dass er gestern keine Befriedigung erfahren hatte? Nein. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Er hatte es ja selbst in der Hand gehabt. Er hätte einen anderen „Abschluss“ wählen können bei dem er mehr auf seine Kosten kam. So erregte wie ich gewesen war, hätte ich sicherlich alles mit mir machen lassen. Auch, wenn ich mir das alles andere als gerne eingestand. Ehe ich die Schuldabweisung weiterführen konnte, bohrte sich ein Finger in meine Seite. Genervt blickte ich Tsuki an. „Was?“ „Du wolltest dich die Fahrt über mit mir beschäftigen“, sagte er und zog einen Schmollmund. „Das tue ich. Ich habe sogar als Kopfkissen hergehalten“, entgegnete ich kühl. Ein hinterhältiges Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. „Wo wir gerade davon sprechen: Ich verlange eine Entschädigung!“ Tsuki blinzelte kurz, dann legte sich ein wissendes Lächeln um seine Mundwinkel. „Ich glaube, das können wir auch noch später ausdiskutieren!“ Ich nickte kaum merklich. Er hatte verstanden, in welcher „Währung“ ich sie ausgezahlt haben wollte. Die Höhe … nun ja, das würde sich zeigen. „Da wir das Thema vertagt haben, werde ich jetzt den Artikel weiterlesen“, sagte ich und wandte mich wieder meiner Zeitschrift zu. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Tsuki mich verdutzt anblickte. Er grummelte leise, aber – zu meiner Überraschung – holte er eine eigene Zeitschrift aus der Tasche und bedrängte mich nicht weiter. Erstaunlicherweise war ich darüber ein klein wenig enttäuscht. Die Stille hielt beinahe drei Artikel lang. Dann stupste mich Tsuki mit dem Ellenbogen an und ehe ich mich versah, lag ein Modekatalog auf meinen Beinen. „Was hältst du davon?“, fragte er und zeigte auf ein Hawaiihemd. „Viel zu grelle Farben. Viel zu bunt“, brummte ich und nahm den Katalog, um ihn genauer zu betrachten. Takaharas Men Style stand auf der Vorderseite. Schätzungsweise hatte das Ding 200 Seiten. Ich wollte gar nicht wissen, wie dick das Pendant für Frauen war. „Takaharas ist das größte Kaufhaus in Halma“, verkündete Tsuki grinsend wie ein Honigkuchenpferd. „Da bekommt man echt alles!“ Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich die nächste Woche auf Tsuki angewiesen war, wollte ich meine freie Zeit nicht mit den Trotteln aus meiner Klasse verbringen. Und einen wichtigen Punkt galt es da zu klären. „Ich glaube, wir sollten über ein Klischee sprechen“, sprach ich meinen Gedanken aus. Genau genommen ein Schwulenklischee. Tsuki lachte leise. In seinen Augen funkelte der Schalk. „Hat da etwa jemand Angst, seine Freizeit in Modegeschäften zu verbringen?“, fragte er neckend. Ich antwortete nicht. Ich wusste nicht, ob es mich überraschte, dass er mich inzwischen so gut kannte. Beängstigend war es in jedem Fall. Ich hasste es, durchschaubar zu sein. „Kein Ahnung, ob dich das beruhigt. Ja, ich gehe ab und an gerne shoppen. Ich bin modebewusst und neue Sache wandern nun mal nicht von alleine in meinen Schrank.“ Ich wusste ebenso wenig, ob mich das beruhigte. Aber „modebewusst“ klang schon mal besser als „modebesessen“. Die restliche Busfahrt verbrachten wir mehr oder weniger in unsere Zeitschriften vertieft. Als ich endlich den Bus verließ, dachte ich, ich hätte den nervigsten Teil des Tages hinter mir. Das erwies sich als falsch. Der Ärger war schon in vollem Gange, als ich die Eingangshalle des modernen drei Sterne Hotels betrat. Mister Yawasawa, der Lehrer, der neben Miss Zedama die Fahrt begleitete, diskutierte wild gestikulierend mit dem jungen Mann an der Rezeption. Tsuki blieb vor mir so abrupt stehen, dass ich beinahe in ihn hineinlief. Ich wollte ihn schon grob zum weitergehen zwingen, als ich bemerkte, wie angespannt er war. Seltsam. „Tsuki“, sagte ich leise und für meine Verhältnisse halbwegs freundlich. Er zuckte zusammen. „Geh weiter!“ Einen Augenblick sah er mich aus der Realität gerissen an, dann folgte er meiner Aufforderung. Seine Bewegungen hatten allerdings ihre Leichtigkeit verloren. Wir suchten uns einen Platz etwas entfernt von der restlichen Gruppe und beobachteten die Auseinandersetzung an der Rezeption. „Passt du mal bitte kurz mit auf meine Sachen auf. Ich muss zur Toilette“, murmelte Tsuki und eilte davon. Ging es ihm nicht gut? Nein, dachte ich, das kann nicht sein. Dazu war es zu plötzlich gekommen. Vielleicht war es eine Erinnerung, überlegte ich weiter. Schließlich war er in der Stadt aufgewachsen. Kaum hatte ich den Gedanken beendet, erregte der Streit wieder meine Aufmerksamkeit. Miss Zedama war zu ihrem Kollegen getreten. In ihrer Haltung erkannte ich Wut und etwas, dass ich nicht einordnen konnte. Positiv war es jedenfalls nicht. Alles in allem sah sie aus, als wollte sie dem Rezeptionisten den Hals umdrehen. Ich hatte die sonst so besonnene Frau noch nie dermaßen in Rage erlebt. Was da wohl los war? Tsuki war gerade wieder zu mir getreten, als die Lehrer das „Gespräch“ beendeten und auf uns zu kamen. „Es gibt ein Problem“, erklärte Mister Yawagawa. „Da ist nicht zu übersehen“, entgegnete ich sarkastisch. „Sie haben nur zwei Einzelzimmer reserviert. Nicht drei. Und das Hotel ist für die gesamte nächste Woche ausgebucht“, fuhr der Lehrer unbeirrt fort. Er war einer der wenigen, der sich von meinen Bemerkungen nur selten aus der Ruhe bringen ließ. Ich hatte mich noch entschieden, ob er mir halbwegs sympathisch war oder nicht. „Lassen Sie mich raten, mein Zimmer fehlt“, warf Tsuki mit steinernem Gesichtsausdruck ein. „Ja. Angeblich ist die Nachbuchung verloren gegangen“, sagte Miss Zedama, und ihre Zweifel waren ihr deutlich anzusehen. Ich rieb mir die Schläfen. Eine lärmende Schulklasse gepaart mit einer hallenden Eingangshalle würden in nicht allzu langer Zeit richtig unangenehme Kopfschmerzen verursachen. Ich sollte also schleunigst sehen, hier raus zu kommen. „Ich werde das regeln“, meinte ich zu den drei „Aufsichtspersonen“ und marschierte jegliche Einwände ignorierend auf die Rezeption zu. Das würde ganz einfach werden. Selbst wenn Miss Zedama Recht hatte. Kaum war ich an die Rezeption herangetreten, sah der junge Mann von einigen Unterlagen auf. Er hatte braunen Augen und ausgeprägte Wangenknochen. Seine kurzen, schwarzen Haare waren ordentlich geschnitten. Er schien ein zwei Jahre älter als Tsuki zu sein. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte er freundlich. Die Diskussion mit den Lehrern hatte ihn anscheinend kalt gelassen. „Mit dem Schlüssel für das einzige Doppelzimmer, das für die Gruppe reserviert ist“, erwiderte ich kalt. „Wir haben hier Schlüsselkarten“, sagte er höflich und lächelte, während er mit seinem Schreibtischstuhl zum Computer hinüber rollte und ein Dokument aufrief. „Ah ja, Zimmer Nummer 206.“ „Bitte, Mister Kaiba“, sagte er, während er mir eine Schlüsselkarte reichte. Er lächelte charmant. „Ich nehme an, ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie sie funktioniert.“ „Das ist in der Tat nicht nötig“, antwortete ich kühl. Ich war es gewohnt, dass Leute versuchten mir zu schmeicheln. In diesem Moment war es mir dennoch unangenehm. Warum wusste ich nicht. „Aber ich brauche die zweite.“ Der Rezeptionist sah mich verwirrt an, gab mir aber wie geforderte die zweite Schlüsselkarte. „Warum brauchen Sie die?“ „Aufgrund der Schlampigkeit Ihres Hotels“, entgegnete ich verärgert und drehte ihm ohne ein weiteres Wort den Rücken zu. Im Grunde genommen war ich froh über die Umstände. So hatte ich Tsuki nachts in meiner Näh, was „Keine Alpträume“ bedeutete. Außerdem konnte es für meinen Plan nur förderlich sein, sich mit ihm ein Zimmer zu teilen. Von nächtlichen Aktivitäten einmal ganz abgesehen. „Hier“, brummte ich und hielt Tsuki seine Karte hin. „Danke“, murmelte der verwundert. Seine Heiterkeit war noch nicht zurückgekehrt. Dafür hatte sich etwas anderes in seine Miene geschlichen. „Ach ja, natürlich. Du hast ja ein Doppelzimmer gebucht“, begriff Miss Zedama. Sie lächelte. „Dann ist ja alles geklärt.“ Während die Lehrer sich den Schüler zuwandten, liefen Tsuki und ich mit unserem Gepäck in Richtung Fahrstuhl. Laut Hinweistafel waren die Zimmer mit den 200ter Nummern im zweiten Stock. Als wir ausgestiegen waren, folgten wir weiteren Hinweisschildern zu unserem Zimmer. Das Zimmer war in Ordnung. Es hätte größer sein können, aber für die Woche würde es reichen. Die eine Ecke nahm ein Doppelbett ein. Eineinhalb Meter vom Fußende entfernt war die Tür zum Bad. An der gegenüberliegenden Wand stand ein großer Kleiderschrank. Daneben war eine kleine Sitzecke. Alles sah neu aus und war in einem guten Zustand. Ich stellte mein Gepäck ab und ging ins Bad hinüber. Toilette. Dusche. Waschbecken. Nicht besonders groß, aber sauber. Als ich zurückkam, fand ich Tsuki ausgestreckte auf dem Bett liegend vor. Er schien wieder etwas besser gelaunt. Aber er sah so aus, als könnte er auf der Stelle einschlafen. Ich setzte mich auf die Bettkante und blickte auf ihn hinab. Meine Hand wanderte unter sein T-Shirt und strich leicht über den warmen Bauch. „So wie du aussiehst, könnte man meinen, du ärgerst dich darüber, dir mit mir ein Zimmer zu teilen“, sagte ich gespielt lauernd. Tsuki lächelte daraufhin leicht und zog mich zu ihm hinunter. „Wie kommst du auf die Idee?“, fragte er und küsste mich auf die Wange. „Danke, dass ich bei dir schlafen darf. Warum auch immer du ein Doppelzimmer haben wolltest, es war eine gute Idee!“ „Aus Platzgründen.“ Als er mich fragend ansah, fügte ich erklärend hinzu: „Die angebende Durchschnittsgröße der Einzelzimmer war mir zu klein. Ich wohne ungern eingeengt.“ „Und ich stör dich auch wirklich nicht?“, fragte er und da war er wieder, der unsichere Gesichtsausdruck. Was war nur passiert? Unsicherheit gehörte doch sonst nicht zu den für Tsuki typischen Eigenschaften. „Nein, du störst nicht. Du nervst allenfalls gelegentlich ein bisschen“, murmelte ich und küsste seinen Hals. Es schien mir ein guter Zeitpunkt, um meinen Plan anlaufen zu lassen. „Und ich darf auch noch mit dir das Zimmer teilen, wenn ich eine Teilschuld daran trage, dass dein Laptop zu Hause geblieben ist?“, fragte Tsuki unsicher. Ich glaubte nicht recht zu hören. Das musste ein Witz sein. Immerhin hatte ich das Gewicht der Tasche gespürt. Aber so besorgt, wie Tsuki geklungen hatte, schien es sein Ernst zu sein. Ich hastete zu meiner Tasche hinüber. Das durfte nicht wahr sein. Wie sollte ich ohne meinen Laptop arbeiten? Als ich den Reißverschluss öffnete, fand ich Bücher vor. Harry Potter?! Ohne Zweifel von Mokuba. Ich ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne zusammen. Nein, verdammt. Was dachten sie sich eigentlich, wer sie waren? Sie hatten kein Recht dazu. Zornig wirbelte ich herum. Tsuki zuckte zusammen und sah mich verschreckt an. Zusammengekauert saß er auf dem Bett. Ich erstarrte. Es stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Das war nicht der Tsuki, den ich kannte. Der hätte sich selbstsicher erklärt. Er hätte es nicht einmal gerechtfertigt. Meine Wut wich Sorge. Was war nur geschehen? Was hatte ich verpasst? „Tsuki“, murmelte ich leise und bemüht sanft. Langsam ging ich zum Bett hinüber. „Was ist los?“ „Magst du mich?“ Die Frage war nur ein Flüstern. Er sah mich nicht an. Ich ließ mich neben ihn sinken und griff nach seiner Hand. Als ich ihn berührte, zuckte er zusammen. Ich wollte die Frage nicht beantworten. Es widerstrebte mir, solche Fragen zu beantworten. Aber verdammt, ich wollte meinen Tsuki zurück. Und wer immer für diesen verstörten Zustand verantwortlich war, würde es noch bitter bereuen. „Ja, ich mag dich“, antwortete ich also. „Das weißt du auch.“ Tsuki musterte mich. Während er das tat, versuchte ich nicht meine Maske aufrechtzuerhalten. Nach einem Moment lächelte er zaghaft. Seine Hand schloss sich um meine und er zog mich an sich. Er schlang seine Arme um mich und bettete seinen Kopf auf meinen. Ich ließ es geschehen, obwohl ich nicht sehr bequem lag. „Du schmeißt mich also nicht raus?“ „Nein.“ „Darf ich dich heute Nacht in den Arm nehmen?“ „Wenn du willst.“ Ich verkniff mir, „unbedingt“ in den Satz einzubauen. Das hätte zwar meiner Art entsprochen, aber in diesem Moment erschien es mir unangebracht. Ich wollte schließlich keinen verängstigten Tsuki um mich haben. Der würde mit der Zeit wirklich stören. Ich spürte regelrecht, dass sein Selbstbewusstsein wiederkehrte. Bestimmt schmiegte er sich an mich. „Entschuldige bitte“, murmelte er nach einer Zeit. „Ich … Es war nur eine böse Erinnerung, die mich hin und wieder überfällt.“ „Nur“ ist gut, dachte ich ironisch, behielt es aber für mich. Es gab da noch eine andere Sache zu klären. Auf die er auch gleich zu sprechen kam. „Ich hoffe, du bist nicht allzu böse wegen des Laptops“, meinte Tsuki schief grinsend, als er sich von mir gelöst hatte. „Aber Mokuba und ich waren der Meinung, du könntest mal etwas Urlaub gebrauchen.“ „Ja, ich bin sauer. Ihr habt kein Recht über mich zu bestimmen“, knurrte ich. Aber dummerweise blieb mir wohl nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Einmal davon abgesehen, dass Tsuki dafür bezahlen würde. „Und um das klarzustellen: Dafür bekomm ich eine Entschädigung.“ „Die bekommst du ganz sicher“, erwiderte Tsuki verheißungsvoll. Er neigte den Kopf und knabberte an meinem Hals. „Ich hoffe, du erkennst auch hier Berührungen als Zahlungsmittel an.“ Er knöpfte die obersten zwei Knöpfe meines Hemds auf und nachdem seine Lippen meinen Hals ausgiebig geküsst hatten, wanderten sie tiefer. Über meine Schlüsselbeine … Es klopfte an der Tür. Ich zog eine Grimasse. Wer wagte es, zu stören? Am liebsten hätte ich die Tür aufgerissen und besagte nervende Person zusammengestaucht. Aber da niemand davon wissen sollte, was zwischen Tsuki und mir ablief … „Mach nicht so ein Gesicht!“, raunte Tsuki mir zu. Er zwinkerte. „Das war nur eine Anzahlung.“ Da Tsuki keine Anstalten machte, sich zu bewegen, schloss ich schnell wieder die beiden Knöpfe und öffnete danach die Tür. Prompt blickte mich Miss Zedama besorgt an. „Wie geht es Tsuki?“ „Mir geht‘s prima, Carrie“, ertönte es munter hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich ihn breit grinsend im Schneidersitz auf dem Bett sitzen. Er schien tatsächlich wieder ganz der Alte zu sein. Miss Zedama musterte ihn kritisch und kaum wohl zum selben Schluss. „Okay. Seid bitte in einer halben Stunde unten, dann wollen wir los“, verkündete sie und war wieder verschwunden. Ich schloss die Tür und runzelte nachdenklich die Stirn. Carrie? Caroline Zedama. Carrie war ein Spitzname für Caroline. Soweit so gut. Aber ich konnte mich nicht entsinnen, jemals gehörte zu haben, wie jemand sie so genannt hatte. Ich schaute den immer noch lächelnden Tsuki an. Ich hatte nicht gewusst, dass er so vertraut mit der Lehrerin war. Erstaunlich, wo er doch sonst so wenig von Lehrern hielt. Die Frage, nach dem Warum, lag mir auf der Zunge, aber ich verkniff sie mir. Ich wollte nicht neugierig wirken. „Tja, dann nutzen wir die halbe Stunde am besten, um auszupacken und uns ein wenig frisch zu machen“, meinte Tsuki, während er sich vom Bett aufrappelte. Die halbe Stunde reichte, aufgrund von einem kleinen Disput den wir um die Aufteilung des Kleiderschranks hatten, geradeso, um damit fertig zu werden. Den restlichen Abend verbrachten wir in der Stadt. Tsuki machte eine erste kleine Stadtführung und gab, bevor sich die Gruppe endlich aufteilte, ein paar Empfehlungen für Restaurants, Bars und Clubs. Er selbst schleifte mich kurz darauf in ein Restaurant, das er verschwiegen hatte. Was zugegebenermaßen wahrscheinlich an der behobeneren Preisklasse lag. Dafür war das Essen auch gut. Nachdem wir das Restaurant verlassen hatten, dirigierte ich Tsuki sofort zurück zum Hotel, obwohl es gerade einmal zehn Uhr war. Zum einen hatte ich wirklich keine Lust darauf, in irgendeine Diskothek gezerrt zu werden, zum anderen konnte ich darauf verzichten, dass Tsuki mir im Stehen einschlief. So ging ich seit langer Zeit wieder einmal vor Mitternacht ins Bett. Kaum hatte ich mich hingelegt – selbstverständlich an die Wandseite, das Risiko aus dem Bett zu fallen, war ich nicht annähernd bereit einzugehen –, schlangen sich Tsukis Arme um mich und ich fand mich an seine Brust gedrückt wieder. Tja, ich hatte es ihm versprochen. … und schlimm war es wirklich nicht. „Ach, Tsuki, da wäre noch etwas“, flüsterte ich in Gedanken an meinen Plan. „Ja?“, fragte er und begann, mich im Nacken zu kraulen. „Komm ja nie wieder auf die Idee, nach einer minutenlangen kalten Dusche zu mir ins Bett zu kriechen!“, sagte ich eindringlich. „Und wo soll ich danach anstelle dessen hin?“, fragte er weiter. Ich konnte eine gewisse Beklemmung spüren. „Du sollst erst gar nicht aufstehen“, murmelte ich verheißungsvoll und legte den Kopf in den Nacken, um ihn anschauen zu könnten. Er sah verwirrt aus. Ich probierte mich an einem verführerischen Lächeln und fuhr mit der Hand über seine Seite. „sondern dir einfach von mir helfen lassen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)