business as usual von Arcturus (Die Hungerspiele des Lynn Irving) ================================================================================ 5. The Victor ------------- „Denkst du, ich kann die Spiele gewinnen?“ Nicht nur von der Uhrzeit müde lehnte sich Finnick Odair auf das Balkongeländer ihres Appartements. Vor seinem inneren Auge konnte er immer noch Lynn Irving sehen, wie er neben ihm auf dem Geländer saß und die Beine baumeln ließ, obwohl Lynn schon vor Stunden ins Bett gegangen und mittlerweile auf dem Weg in seine ganz eigene Arena war. Sein Anblick überlagerte sich längst mit dem anderer Tribute. Den dreien, die er nicht nach Hause hatte bringen können und Yara, die ihn längst dafür verfluchte, es getan zu haben. Nicht offiziell, natürlich, nicht mal in sein Gesicht. „Ich war vierzehn, als ich in die Arena gegangen bin. Drei Jahre jünger als du. Mein Trainingsscore war niedriger als deiner. Ich bin immer noch hier.“ Die Antwort, die er dem Jungen gegeben hatte, war nur eine halbe Lüge. Er, Finnick Odair, war immer noch hier. Das Problem war vielmehr: niemand konnte die Hungerspiele ernsthaft gewinnen. Nicht einmal die Arena verließen die Gewinner wirklich. Nicht in ihren Köpfen. Seufzend warf er einen Blick auf die Straße unter ihm. Von ihrem Appartement aus hatte man keinen Aussicht auf die Stadt des Kapitols, diese war den Tributen der Ärmsten Distrikte vorbehalten, aber selbst das, was man vom vierten Stockwerk aus sehen konnte, konnte einem den Atem rauben. Er erinnerte sich noch daran, wie er an seinem ersten Abend über dem Balkongeländer gehangen und fasziniert auf die bunten Menschen unter ihm gestarrt hatte, die von oben aussahen, wie besonders seltsame Krabben. Heute blendeten ihn die farbenfrohen Perücken, die schrillen Neonreklamen und die leuchtenden Werbeplakate mit den Gesichtern der neuesten Tribute nur noch. Trotzdem konnte er für einen Moment lang nicht wegsehen. Eine besonders pinke Kapitolbewohnerin, die gerade mit ihrem Sonnenschirmchen unter ihm hinweg eilte, erinnerte ihn an eine der Krabben von vor sechs Jahren. Eine von vielen. Andere folgten. Sah der Mann dort drüben an der Ecke nicht aus wie der ehemaliger Begleiter von Distrikt 3? Nein, das konnte nicht sein, der war schon vor zwei Jahren an einer Fischvergiftung verstorben. Vielleicht nur ein alter Fan, wenn so etwas im Kapitol möglich war. Aber die Frau dahinter … nein. Wenn er eins wusste, dann, wo Danica Izar war. Finnick atmete ein letztes Mal die nicht mehr ganz so morgendliche Kapitolluft, eine Mischung aus Sauerstoff, Stickstoff, Abgasen und Parfum, dann stieß er sich vom Geländer ab. Die Luft im Appartement war ähnlich stickig, nur hatte das einen anderen Grund. Als er den Fernsehraum betrat, erwartete ihn bereits eisiges Schweigen. Die beiden Stylisten waren sicher noch in den Räumen unter der diesjährigen Arena und die gute, alte Lyssa bereits zwischen den zahlungskräftigsten Sponsoren. Yara allerdings konnte er bereits von der Tür aus sehen. Sie trug ein besonders kurzes Top und vermutlich einen ebenso kurzen, bunten Rock, von dem er nur nichts sehen konnte, weil sie auf ihrer Couch lag und ihm den Rücken zudrehte. Selbst die langen, schwarzen Haare, die ihr über ihre dunklen Schultern fielen, wirkten eisig. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er Kapitol-Chemikalien dahinter vermutet, doch dieses Mal kannte er den Grund. Bedächtig machte er einen weiteren Schritt in den Raum. „Du bist spät“, verkündete Yara, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Ja, du bist spät!“, stimmte ihr eine Stimme von der anderen Seite des Raumes zu. Für einen Moment schloss Finnick die Augen, bevor er genug Energie gesammelt hatte, um sich Danica Izar zu stellen. Als er die Augen schließlich wieder öffnete, fand er sie genau dort, wo er sie vermutet hatte. Die Beine auf dem Glastisch, in dem echte, bunte Goldfische schwammen, verschränkt, saß sie auf der Couch der Tribute, als gehöre sie ihr. Annies Platz. Kurz starrte er noch auf ihre kurzen, ozeanblauen Haare, die zwar gefärbt waren, aber immerhin echt. Die kleinen, möglicherweise falschen, Diamanten, die unter ihren ebenfalls blauen Augen funkelten, ignorierte er hingegen sofort. Schließlich gab er sich einen Ruck. „Entschuldigung“, sagte er und gab sich besonders viel Mühe dabei, zerknirscht zu klingen. „Es wird nicht wieder vorkommen.“ Widerwillig überbrückte er die Distanz zu Danica und ließ sich auf den Platz fallen, den sie für ihn freigehalten hatte. So wie schon die vier Jahre zuvor. Danica war eine von drei Mentoren-Wachhunden. Das war zumindest die inoffizielle Bezeichnung und sie war so viel treffender, als die offizielle – Junior Advisors. Als solche war sie dafür zuständig, den ihnen zugeteilten Mentoren Termine für alles Mögliche zuzuweisen, Treffen mit Sponsoren zu organisieren und sie generell zu unterstützen. Außerdem hatte sie das Privileg, einem ausgewählten Mentorenpaar während der Eröffnung und des Blutbads auf die Nerven zu gehen. Ihre Wahl war auch dieses Jahr, das fünfte in Folge, auf Distrikt 4 gefallen. Finnick war klar, warum. Kaum saß er neben ihr, spürte er, wie ihre Finger seinen Oberschenkel berührten. Er erwiderte die Geste und ließ seine Hand ebenfalls sinken, bis er erst ihre Ringe und dann ihre Haut spürte. Behutsam strich er über die Innenseite ihrer Hand und ihren Unterarm hinauf. Einen Wimpernschlag später hörte er das Rutschen von Stoff über Leder. Danicas Schulter stieß gegen seinen Oberarm und plötzlich strich ihr Atem über seinen Hals. „Dass du mich auch immer warten lässt.“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein verheißungsvolles Raunen. „Ich weiß eben, was du an mir magst“, flüsterte er zurück. Während er sich in die Umarmung sinken ließ und mit einer Hand bereits nach dem ersten Knopf ihrer seegrünen Bluse fischte, betete er inständig, dass Yara ihn mit einem der Schwerter, mit denen sie ihre Spiele gewonnen hatte, abwerfen würde. Natürlich tat sie es nicht. Hätte sie es auch nur vorgehabt, sie hätte es bereits vor Jahren versucht. Dem ersten Knopf folgten drei weitere. Er ließ seine Finger unter den Stoff gleiten, bis er ihren BH spüren konnte. Es war ein seltsamer Stoff, der sich eher anfühlte wie weiches Gel oder Plastik. Ohne es zu sehen, wusste er, dass sich eine kleine Überraschung darin befand. Was für eine – er wollte es gar nicht wissen. „Meine Damen und Herren, mögen die siebzigsten Hungerspiele beginnen!“ Beinahe hätte er die Worte gar nicht gehört, doch etwas schreckte ihn auf. Vielleicht war es der Wechsel der Stimme, die aus den Lautsprechern klang. Sie gehörte nicht länger Caesar Flickerman, aber Finnick kannte sie ebenfalls. Claudius Templesmith. Unwillkürlich hob er den Kopf von Danicas Schulter. Sein Blick fand die Leinwand. Die Arena. Er erstarrte und plötzlich sah er die Leinwand nicht mehr. Vor seinen Augen ragte das Füllhorn auf, groß und golden glänzte es in der Sonne. Am Horizont glitzerte noch etwas anderes – Wasser. Der Ozean. Für einen Moment glaubte er, zurück in Distrikt 4 zu sein, dann erinnerte er sich an die Tribute. Sie waren vierundzwanzig und nur einer kam lebend hier heraus. Vielleicht war er der hübscheste Tribut dieser Spiele, vielleicht sogar der mit den meisten Sponsoren, aber neunzehn waren älter als er. Sechzehn waren größer als er. Vierzehn schwerer. Sieben hatten die Parcours in der Trainingshalle schneller absolviert, als er. Mindestens vier konnten besser mit Schwertern umgehen, drei mit Äxten. Zwei waren tödlich mit dem Bogen. Und dort oben, im Zentrum ihres Kreises, lagen sie – Schwerter, Äxte, Bögen. Waffen, deren Namen er nicht kannte, dabei war er ein Career. Zweifelnd warf er einem Blick zu den Tributen neben ihm. Das Mädchen aus 9 stand zu seiner Linken, der Junge aus 3 zu seiner rechten. Er würde kein Problem für ihn darstellen, aber sie … Und dann waren da die anderen Careers. Blake aus 2, ein Hühne, der sein Gehirn in seinen Bizepsen spazieren trug. Goldie, die gar nicht goldige Bogenschützin aus 1. Mary, seine Distriktpartnerin und die älteste Teilnehmerin im Feld. Bellona. Arka. Wie sollte er sie töten? Wie sollte er überhaupt töten? Gab es Speere im Füllhorn? Der Gong ertönte. Er wollte rennen, aber eine Hand hielt ihn zurück … und auf der Leinwand begannen die Hungerspiele von Lynn Irving und Annie Cresta. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)