Original Sin von kaprikorn (rise above it all.) ================================================================================ Kapitel 2: Spontaneität ----------------------- Die Sonne war bereits daran unterzugehen und tauchte die Stadt um sie herum in tiefes, dunkles Rot. Das Licht brach sich an den Fenstern der Wolkenkratzer, reflektierte sich und erfüllte damit seinen Soll, die Autofahrer zu blenden. Der lange Wagen hielt sanft an einer Ampel, dass sich Kazuyas Blick für einen Sekundenbruchteil von Jun löste und durch die Windschutzscheibe glitt. Ein knappes Blinzeln anfügend, sah er zu seiner Gesprächspartnerin zurück, woraufhin sich ein seichtes Lächeln in seinen Mundwinkeln ankündigte, das seine Augen irgendwie nicht erreichte: „Wir sind fast da.“ In nicht weniger als zehn Minuten würden sich ihre Wege wieder trennen. Was den Schwarzhaarigen daran am meisten störte war die Tatsache, dass er ihre Abreise vollkommen vergessen hatte. Natürlich konnte er ihr das nicht gestehen, wäre es für ihn unheimlich peinlich gewesen. Es ärgerte ihn auch ungemein, so leichtsinnig mit dem Versprechen, sie besuchen zu wollen, umgegangen zu sein. Der Stress der letzten Tage hatte ihn regelrecht übermannt und seine Konzentration auf andere Dinge gelenkt – Sachen, mit denen er nicht vertraut war, von denen man aber ausging, dass er sie erfüllen konnte. Überhaupt war alles zuviel für ihn geworden – von einem Moment auf den Anderen hatte er so viel Geld, dass er gewissermaßen die ganze Stadt kaufen konnte. Zeitgleich mit den Geldscheinen taten sich auch neuerliche Probleme auf: Menschen und ehemalige Geschäftspartner Heihachis, die sich eine Scheibe des Kuchens abschneiden wollten. Alte Schulden, die noch offen waren, mussten schleunigst beglichen werden. Das Personal versuchte über den Rat an eine Gehaltserhöhung zu kommen. Dinge, über die sich jemand wie Kazuya all die Zeit seines Lebens nicht einmal annähernd Gedanken machen musste, warteten jetzt darauf von Heute auf Morgen erledigt zu werden. So kam es dann, dass er den Blick für das Wesentliche schnell verlor und Jun unweigerlich dabei vergaß. Die schwarze Benz-Limousine setzte sich mit dem Umschalten der Ampel wieder in Bewegung. Diesen Moment nutzte die Japanerin, sein halbherziges Lächeln aufrichtig zu erwidern. Sie rutschte etwas in ihrem Sitz zurück, offenbar nicht ganz fähig seiner Musterung stand zu halten. „Vielen Dank, dass du mich fährst. Ich weiß, dass das für dich keine Selbstverständlichkeit ist, jetzt wo du ein viel beschäftigter Mann geworden bist.“ Eine steile Falte bildete sich auf Kazuyas Stirn. Er war nicht sonderlich taktvoll und in jeglicher Hinsicht ein Anfänger, wenn es darum ging die Gefühlslagen anderer zu erkennen. Aber Juns schlechtes Gewissen war sogar für ihn offensichtlich genug, um ihn aufhorchen zu lassen. Glaubte sie tatsächlich, dass er sich nicht einfach die Zeit nehmen würde, die er mit ihr verbringen wollte? Wobei er sich selbst nicht ganz im Klaren war, was genau dazu führte die Schwarzhaarige interessant zu finden. Fazit war, dass sie in der Vergangenheit viel durchmachen mussten und er schon seit jeher die Aufgabe verspürte, sie beschützen zu wollen. Als Kind war das für ihn ganz deutlich gewesen, Kinder waren auch nicht geprägt von Hass oder Missgunst – das wusste er jetzt. Ja, sie hatte ihm in kürzester Zeit die Augen geöffnet und ihn wieder klar denkend gemacht. Dafür war er ihr tief in seinem Innersten dankbar, und sein Herz jetzt um einiges leichter. Und wie um ihr Gerede etwas zu verspotten schüttelte er zur Antwort den Kopf. „Kein Geschäft der Welt hält mich davon ab, das zu tun was ich will. Ich bin kein Gefangener, nur weil ich den Antrag der Zaibatsu, sie zu führen, übernommen habe.“ Ein schwaches Grinsen umspielte seine rauen Lippen. „Ich habe Angestellte, die für mich arbeiten wenn ich das will. Mach dir keine Gedanken darüber. Ich... fahre dich gern durch die Stadt. Ich würde dich auch bis nach Yakushima bringen. Ich schulde dir eine ganze Menge.“ Beinahe nachdenklich und ohne sein Zutun glitten seine Finger an seine Brust, wo sie das Kettchen unter dem Hemd erfühlten, hinter dem eine Erinnerung lag, die Kazuya mit niemandem teilen wollte. Während der Zeit seines Hasses und der Vorbereitung zur Zerstörung seines Vaters hatte der Schwarzhaarige seine Mutter und die Liebe zu ihr völlig verdrängt. Das hatte ihn zu einem grausamen Menschen werden lassen, der er eigentlich gar nicht war – aber das war noch nicht alles. Und als die dunkle Vorahnung seinen Geist erreichte und sich seine flache Hand auf die Stelle legte, wo die tiefe Narbe seinen Körper teilte, erschrak er merklich durch die Berührung Juns die seiner Bewegung mit ihrer eigenen Hand gefolgt war. Eine fast wohlige Wärme breitete sich über seine Haut aus, wanderte kribbelnd seinen Arm empor, bis sie wie heißes Öl zähflüssig seinen Corpus erreichte. Jun war ein wenig an den hoch Gewachsenen heran gerückt, einen aufrichtigen Ausdruck in den Augen, der Kazuya zum Blinzeln veranlasste. „Du schuldest mir nichts. Du hast schon viel für mich getan – mir das Leben gerettet. Lass das Böse nur nicht noch einmal die Oberhand über deinen Geist gewinnen, das könnte ich mir nicht verzeihen.“ Ihre annähernde Regung weiterhin betrachtend, legte sich nach und nach eine bedachte Stille über das Gespräch, das mit einem plötzlichen Bremsen des Wagens und einem entschuldigenden Blick des Fahrers über den Rückspiegel zu seinem Chef unterbrochen wurde. Kazuya wirkte abrupt erzürnt über die Taktlosigkeit seines Chauffeurs, wobei er Juns Hand fast unwirsch von seiner Brust streifte und sich zum Fahrersitz vorbeugte. „Was sollte das?“, fragte er mit einem gefährlichen Unterton, der den Fahrer merklich kleiner werden ließ. „Wir... wir sind da, Mr. Mishima.“ Und ein prüfendes Augenmerk aus den getönten Scheiben werfend, erkannte er ein gläsernes Bushäuschen, das die Falte auf seiner Stirn tiefer werden ließ: „Haben Sie etwa direkt auf der Bushaltestelle geparkt?“ „Ja... Sir. Das war die einfachste Möglichkeit, Sir... hier sind weit und breit keine Parkplätze mehr frei...“ Kazuyas Wut auf seinen unfähigen Angestellten wurde spürbar, versuchte er in Juns Gegenwart aber sein Temperament zu zügeln. Was war so schwer daran, eine geeignete Haltestelle zu finden? Wie kam dieser Idiot auf die Schnapsidee den für den Bus reservierten Platz zu besetzen? Am Ende musste er für den Trottel noch bürgen, wenn besagter Bus ebenfalls hier halten wollte, während er daran war, sich von Jun zu verabschieden – was er ja so gesehen nicht wollte. Die Tierschützerin war indes daran den Benz zu verlassen. Sie hatte ihm gut zugeredet und erklärt, dass sie ohnehin nur aussteigen müsse. Doch Kazuya hielt sie mit einer schnellen Reaktion zurück und fügte an den Cheffeuer gewandt hinzu: „Fahren Sie uns zum Flughafen, Ryu. Und stellen sie klar, dass mein Flugzeug bereit steht, wenn wir ankommen.“ „Kazuya...“ mischte sich die Schwarzhaarige ein, sah von weiteren Worten jedoch ab, als ihr Unbehagen auf einen stählernen Lidaufschlag traf. „Kein Widerrede, ich bestehe darauf dich nach Yakushima zu bringen. Mit dem Bus bist du nur stundenlang unterwegs, bis du überhaupt erst in Kagoshima ankommst – meine Variante ist komfortabler. Ich hätte gleich darauf kommen sollen.“ Jun stieß ein resignierendes Seufzen aus, gefolgt von einem zustimmenden Nicken, das Kazuya sofort als „Ja“ akzeptierte. Die Limousine setzte sich in Bewegung und bog wieder auf die Strasse ein. Der Weg zum Flughafen erschien ihm im allgemeinen um einiges kürzer, als die verhältnismäßig mickrige Strecke vom Hotel zur Bushaltestelle zuvor. Wieder in seinen Sitz zurück gesunken, verfolgten Kazuyas wachsame und ruhelosen Augen den Straßenverkehr. Diese Menschen wirkten alle so hoffnungslos gestresst und kontrolliert, dass es einem fast Respekt einflöste. Das Angebot der jungen Japanerin beschäftigte ihn ungemein, während er den Alltag der Metropole an sich vorbeiziehen sah: Mit nach Yakushima, für ein paar Tage einer Aufgabe entfliehen, die ihm fast schon aufgedrängt wurde und sich endlich vom Kampf auf der Insel regenerieren. Der Schwarzhaarige war schon lange nicht mehr „zu Hause“ gewesen. Er hatte auch nicht geglaubt, je wieder einen Gedanken daran zu verschwenden. Umso verführerischer war die Einladung der Geheimagentin, mit ihr zu gehen. „Worüber denkst du nach?“, schummelte sich Jun leise flüsternd in seine Gedankenwelt. Hatte sie ihn die ganze Zeit über etwa beobachtet? Er sah zu ihr und lehnte seinen Kopf an der Stütze des Sitzes zurück. „Glaubst du wirklich, du hältst es mit mir eine Woche aus?“ Ein Lächeln zauberte sich auf ihr zartes Gesicht und ließ den Karateka zu Jun umsehen. Wenn sie sich wirklich freute, wusste sie ihre Umgebung irgendwie damit zu bezaubern, das war faszinierend. „Ist das dein Ernst? Willst du doch mitkommen?“ Kazuyas Antwort bestand aus dem Anflug eines Grinsens. Zu Ryu gewandt fügte er hinzu: „Sorgen Sie dafür, dass mir ein Koffer nach Yakushima geschickt wird.“ Eine wohliges Gefühl des Willkommen-Seins erreichte sein Herz. Wenn das seine Zukunft sein sollte, dann hatte es sich gelohnt dafür zu kämpfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)