Original Sin von kaprikorn (rise above it all.) ================================================================================ Kapitel 3: Zurück ----------------- Es war ein berauschendes Gefühl, mit nackten Füßen über den kühlen Moos zu wandern. So berauschend sogar, dass Jun nicht anders konnte, als ihre Schuhe in die Hand zu nehmen und zwei Pirouetten zu schlagen, dass das Kleid zu ihrer Bewegung aufgeregt wippte. Der Duft des Waldes, der Bäume und das Zirpen der Grillen, das annähernd wie Nachtmusik in den Ohren klang, ließ sie ihre Umwelt abrupt vergessen, sodass sie nicht bemerkte, dass ihr überraschender Begleiter Kazuya in einem respektvollen Abstand ihren kleinen Koffer trug, während er sein Jackett mit der freien Hand über seine Schulter geworfen hatte. Nachdem der junge Mishima sein eigenes kleines Privatflugzeug angeboten hatte, um sie auf dem schnellsten und bequemsten Weg nach Yakushima zurück zu bringen, verbrachten sie die meiste Zeit mit Schweigen. So gesprächig sich der Schwarzhaarige noch in der Limousine gezeigt hatte, so still zog er sich nun in seine eigene Gedankenwelt zurück - und das hinnehmend, hatte Jun den Augenblick genutzt, etwas zu Ruhen und war erst wieder aufgewacht, als sie der Freund aus Kindheitstagen zur Ankunft auf der Insel wecken musste. Mit dem Bus fuhren sie schließlich bis zur letzten Haltestelle vor dem Waldrand und jetzt, mitten in der Nacht – wobei Morgenrauen die bessere Bezeichnung gewesen wäre – spazierten sie über den schmalen Pfad zu einem der abgelegensten Dörfer des kleinen Paradieses. Für Kazuya musste es ein Kulturschock sein, vom größten Lärm plötzlich wieder in die Natur – ins Sein selbst – zurück zu kehren. Jun vermutete das auch als Grund für sein seltsam distanziertes Verhalten; zumal die Skepsis in seinen unbewegten Zügen ihre ganz eigene Sprache sprach. Sie konnte ihn gut verstehen, fühlte sie sich doch in Tokyo ebenso unwohl und annähernd unwillkommen. Doch war sie sich sicher, dass der Schwarzhaarige sich schnell wieder in seiner alten Heimat einleben würde. Ein sanftes und leises Lachen ausstoßend, atmete die Japanerin hörbar und tief ein, ehe sie zu ihrem Bekannten zurück lief und sich neben ihm seiner Schrittgeschwindigkeit anpasste. Die Hände locker mit den Schuhen auf den Rücken gelegt, kam sie nicht umhin ein breites Strahlen über ihre Mundwinkel zucken zu lassen, das Kazuya dazu veranlasste, ihre Geste mit einem Blinzeln zu quittieren. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Jun vorsichtig ob der Müdigkeit in seinen Augen. Wahrscheinlich war er schon seit Stunden auf den Beinen – nicht zuletzt wegen ihr, was ihr abrupt ein schlechtes Gewissen bescherte. Und sich auf die Unterlippe beißend, wanderte ihre Rechte auf seinen Unterarm. „Wir sind bald da, dann richte ich dir einen gemütlichen Futon und morgen bekommst du dann ein ausgiebiges Frühstück.“ Seine Augenbrauen trafen sich kurz an der Nasenwurzel, ehe er ein Lächeln versuchte, das ihm nicht ganz gelingen wollte. „Das ist sehr nett und ich verstehe jetzt auch, was du damit gemeint hast, dass du es in Tokyo nicht länger aushalten würdest.“ Ihren fragenden Blick erwiderte Mishima mit einem schwachen Zwinkern. „Seit ich dich kenne habe ich dich noch nie derart glücklich gesehen; ich kann dein Ki spüren, wie es beginnt zu leben. Ich hätte dich nicht fragen dürfen in dieser Stadt zu bleiben.“ Er war wirklich ein anderer Mensch geworden, entwickelte sich langsam wieder zu dem Jungen, der er einst gewesen war und dazu musste sich Jun nicht einmal in ihn hinein versetzen, es war offensichtlich und es machte sie auf eine seltsame Weise glücklich. Die Art, wie er mit ihr sprach – so aufrichtig und ehrlich – bewies ihr seinen Sinneswandel. Natürlich war er immer noch ein gebrochener Mann, geprägt von Hass und Enttäuschungen, doch ließ er zumindest ihr gegenüber einen Hauch von Schwäche zu, der es schaffte sie für einen Herzschlag lang aus dem Konzept zu bringen. Ihre Wangen erröteten in der Dunkelheit unsichtbar. Hatte er sie etwa die ganze Zeit über beobachtet und ihre Worte ernst genommen? Dass ihr jemand so viel Aufmerksamkeit entgegen brachte, war sie nicht gewohnt. Umso stärker schnürte sich ihre Kehle vor Verlegenheit zu. „Du musst dir keine Gedanken mehr darüber machen. Jeder hat doch seinen Platz, wo er sich am wohlsten fühlt und einfach er selbst sein kann.“ Sich ihm dann entschieden in den Weg gestellt, stockte Kazuya unweigerlich in seiner Bewegung. Ihre Augen trafen die seinen, wobei Jun feststellen musste, dass sie in der herrschenden Finsternis nahezu schwarz wirkten. Sie wollte ihm noch etwas entgegnen, konnte aber nicht die notwendige Kraft dafür aufbringen, abgelenkt von dem Blick, der auf ihr ruhte, dass sich während der aufkeimenden Stille das Jackett auf der Schulter des hoch Gewachsenen langsam selbstständig zu machen begann und beinahe ungeachtet zu Boden gefallen wäre, hätte Kazuya nicht schnell genug reagiert und es vor einem tieferen Sturz in den Schmutz bewahrt. Seine unvorhergesehene Reaktion, in der er sich zu ihr hinab beugte, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, erschreckte sie plötzlich. Diese Nähe jagte ihr eine sanfte Gänsehaut über den Rücken, war sein Atem doch spürbar auf ihrer Haut, seine Konturen selbst zwischen den Schatten klar und deutlich erkennbar. Jun merkte, dass ihr Herz schneller zu schlagen begonnen hatte. Der junge Mishima war zweifellos ein attraktiver und anzüglicher Mann, der nicht nur negative Eigenschaften verkörperte. Sein angenehmer Geruch stieg ihr in die Nase und schaffte es für einen Sekundenbruchteil ihre Sinne zu vernebeln. Und die Lider ganz langsam schließend, wollte sie einfach abwarten was passieren würde, wenn er aus ihrem Blickfeld verschwand... - um dann abrupt von seiner tiefen Stimme aus ihrer Traumwelt gerissen zu werden: „Ich hoffe, ich kann wenigstens hier ein wenig ich selbst sein.“ Jun sah Kazuya entgegen und stellte dabei leicht enttäuscht fest, dass er sich wieder zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, das Jackett baumelte inzwischen über seinem Unterarm. Hatte sie tatsächlich etwas anderes erwartet? Die Schwarzhaarige erinnerte sich an die Worte die sie Lei Wulong mit auf den Weg gegeben hatte: „Wir sind nur gute Freunde, mehr nicht. Wir kennen uns seit unserer Kindheit.“ Aber in diesem Sekundenbruchteil war der Firmenchef mehr als das: anziehend, geheimnisvoll. Sie hatte keine Erfahrung mit Männern, umso verwirrender war ihr aufkeimendes Gefühlschaos, das sie einige Schritte vor ihm zurückweichen ließ. Mit der erfolgreichen Selbstlüge, dass sie lediglich übermüdet war und dringend etwas Schlaf benötigte, ergriff sie seine freie Hand, um Kazuya schließlich mit sich zu ziehen. Unter dem strahlenden Mondlicht waren bereits die Umrisse des Dorfes zu erkennen, dass sie neuerliche Freude überkam, welche die Trübsinnigkeit besiegte und ihr Gang schneller wurde, bis er sich fast in ein Laufen wandelte. Sie wollte nach Hause, wollte nach allem was passiert war wieder dorthin zurück, wo sie sich geborgen fühlte. Und als sie dann auf der Türschwelle inne hielt, die Stirn völlig atemlos an das raue Holz der Türe lehnte, hätte sie die kleine Hütte am liebsten vor Wiedersehensfreude umarmt. Ohne zu zögern verschaffte sie sich Zutritt, Kazuya im Rücken, der offenbar von ihrem kleinen Gefühlsausbruch überwältigt schien. Indes, da sich der hoch Gewachsene seinen eigenen Eindruck von der Bescheidenheit machte, zündete Jun eine alte Öllampe an, die das Innenleben der Behausung in ein zartes Licht zu tauchen wusste und die Räumlichkeit so erhellte, dass sie sich aufmachen konnte, die Futons aus dem Schrank zu zerren und bettfertig auf dem, zugegeben staubigen, Boden auszubreiten. Aber der Umstand war ihr egal, spürte sie nun deutlich die Müdigkeit in ihren eigenen Gliedern, die sie in ihrer Bewegung nahezu fahrig werden ließ. „Fühl dich wie zu Hause, Kazuya“, entgegnete die Schwarzhaarige dem etwas ratlos da stehenden Kerl, der zumindest schon den Koffer und sein Jackett abgelegt hatte, daran war sich aus den Schuhen und dem Hemd zu befreien, ehe er auf die ausgebreiteten Matten zuging. Jun sah ihm an seiner steinernen Mimik an, was sie vermutete: Das wenige Hab und Gut verwirrte ihn. Wahrscheinlich schlief er in Tokyo in einem großen und weichen Bett in einer ebenso gewaltigen Wohnung oder einem Appartement, aber so etwas gab es hier nicht. Und tief in seinem Innersten erinnerte er sich sicherlich wieder daran. Ob gerade dieser Verzicht ein Grund für ihn gewesen wäre, wieder zu gehen? Doch zu ihrer Überraschung tauchte Kazuya in einer annähernd eleganten Bewegung unter dem Futon ab. „Wir sollten uns ausruhen, es war eine lange Reise auf sehr kurze Zeit.“, murmelte er tonlos, ein Räkeln unterdrückend als er sich seitlich abwandte. „Gute Nacht.“ Es dauerte kaum Sekunden, da er eingeschlafen war – Jun konnte es an seinem regelmäßigem Atem hören. Und ebenfalls daran seinem Beispiel zu folgen, löschte sie die Lampe und bettete sich auf ihre eigene, kleine Schlafmöglichkeit. Der Morgen hielt viel für sie bereit, aber darüber machte sich die Schwarzhaarige schon längst keine Gedanken mehr, denn war auch sie ohne große Umschweife in einen tiefen und traumlosen Schlaf geglitten. Ohne zu wissen, welche Gefahren im Wald auf sie oder Kazuya die Tage warten würden, ohne zu wissen, dass längst jemand unterwegs war, ihre kleine Idylle zu zerstören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)