Original Sin von kaprikorn (rise above it all.) ================================================================================ Kapitel 20: Am Horizont ----------------------- Die Umgebung um Yakushima, die als eine der Osumi-Inseln der Nansei-Inseln bekannt ist, wird zuweilen von der Zivilisation in Richtung der Ballungsräume für seine Einfachheit belächelt. Sie gilt unlängst als Naturschutzgebiet, große und geteerte Straßen sind den wenigen Einwohnern, die sich über das Land verstreuen, fern und überhaupt sucht man nach Fortschritt zwischen Wald und Wiesen eher vergeblich. Die Menschen, die hier leben tun das aus Überzeugung und der Liebe zur Natur und dem Natürlichen; manche ziehen sich in die abgelegenen Dörfer zurück, wo sie in kleinen Tempelanlagen auf die Suche nach sich selbst gehen und wieder andere wagen den Aufmarsch Miyanouras - dem höchsten Berg, mit der Hoffnung auf Absolution. Der Blonden wurde bei dem Anblick aus dem Fenster jedenfalls schlecht. Es war noch finster, nur über dem leichten Horizont fernab der Linie, wo sich das Meer und der Himmel berührten, konnte man vom Osten her die Dämmerung vermuten, die den neuen Tag ankündigte. Pünktlich auf die Minute, wie vereinbart - und sie würde mit Sicherheit keinen Moment länger wie notwendig in diesem abgeschiedenen Kaff am buchstäblichen Ende der Welt zubringen, wo sie Angst haben musste eher von einer seltenen Giftschlange oder anderem Getier angefallen zu werden, wie Kazuya Mishima als Gegner zu erwarten, sobald sie seiner Allerliebsten eine Kugel quer durch die Stirn jagte; Nina war nicht wohl bei dem Auftrag. Zum Einen konnte sie nichts in Erfahrung bringen, was den Mord an Jun Kazama gerechtfertigt hätte, zum anderen spürte sie den Anflug von Gefahr der von der Verbindung mit dem Mishima-Sohn ausging. Kazuya zeigte sich bereits auf dem Turnier zu allem bereit und in gewissem Sinne gewalttätig: aber da war noch mehr. Etwas, das man nicht sehen konnte und das sie förmlich in Richtung Abgrund führte. Die Irin hasste das - diese Unsicherheit, mit der sie im Finstern tappte. Nach und nach hatte Nina Angst, dass ihr der absonderliche Auftrag Heihachis entglitt und sie zu einer der vielen Marionetten im Rachespiel des alten Mishimas wurde. Aber das würde sie nicht zulassen; niemals - und nicht für alles Geld der Welt. Sie war ein Profi, kein dummes Mädchen das man herum kommandieren konnte, wie man wollte. Die Propeller des alten Flugzeugs routierten laut unter dem Flugmanöver der Assassine, die den Steuerknauf ein wenig neigte und einen Rundbogen mit Kurs auf die Insel ansteuerte, welche unter ihr im Mondlicht schimmerte. Für einen Sekundenbruchteil erreichte Nina die Vorstellung, die Einwohner Yakushimas könnten unter dem Lärm der Maschine geweckt werden und kam nicht umhin über die Ironie dieser Idee ein schmallippiges Lächeln aufzusetzen. Sie hatte keine Ahnung von dem Flugverkehr über dem Naturschutzgebiet und ja, diese kleine Ankündigung war tatsächlich ungünstig - aber sie bezweifelte, dass irgendjemand annahm, dass der Pilot des Flugzeugs gleichsam eine Auftragsmörderin auf Durchreisen war. Wie das Ganze von Statten gehen sollte war ohnehin nicht geklärt worden: Heihachi sagte, er würde sich melden sobald sie eintraf. Möglich, dass man sie sofort auf die Kazama ansetzte - aber auch denkbar, dass man erst eine Runde Spielchen mit ihr trieb. Nina mochte keine Spielchen, vor allem solche. Wieso sie den Appell in erster Linie angenommen hat, wusste sie inzwischen nicht mehr. Wahrscheinlich hatte es etwas mit ihrer Schwester zu tun - das hatte es immer. Die Blonde befand sich doch seit Jahren auf einem Feldzug und in einem Krieg den sie nicht gewinnen konnte, weil ihr der Mut dazu fehlte ihre Qualitäten auch bei der Brünetten einzusetzen und ihr ein für alle Mal den Garaus zu machen. Eigentlich war das ganz schön jämmerlich; die Irin seufzte. Je tiefer Nina die Propellermaschine brachte und umso näher die Baumwipfel ihrem Rumpf kamen, desto schneller konnte sie den Kurs ausmachen, der sie zu der kleinen Landebahn am Rande der Küste führte. Der Nachthimmel war nun einem schwammigen Grau gewichen und die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne kämpften sich schwerfällig über die Kante des Ostens, dass die Assassine einen Atemzug lang von ihr geblendet wurde und die Augen zusammen kneifen musste. Warum und weshalb sie diese Arbeit machte, war ihr hin und wieder selbst ein Rätsel. Dann und wann tat sie ihn jedoch gerne: nicht nur wegen der Bezahlung: sie wollte als junges Mädchen immer Polizistin werden und die Menschen in ihrer Umgebung schützen. Nun, in gewissem Sinne konnte man sagen, dass sie ihr Ziel erreicht hat: sie beschützte die Menschheit heute nämlich in der Tat - und zwar vor Wahnsinnigen und manchmal auch vor sich selbst. Zumindest gab ihr diese naive Umschreibung ihres Tuns das Gefühl gebraucht zu werden, beruhigte ihr Gewissen und verfestigte den notwendigen Gedanken, dass sie für andere tötete um die Welt ein stückweit besser zu machen. Sie war eine Mörderin und gottlob - dafür sollte sie in der Hölle schmoren. Aber sie tötete aus unmissverständlichen Gründen, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gab, als eben jenen. So oder so - am Ende stand jeder auf seiner eigenen Seite, oder nicht? Nina schüttelte leicht den Kopf, umfasste den Steuerknauf ein bisschen fester und drückte ihn gemächlich nach vorn, dass die Maschine weiter in Sinkflug ging. Ihre Finger huschten über das Amaturenbrett, wo sie einen Knopf drückte und sich schließlich leise räusperte: "Hier Omega 17, erbete Landeerlaubnis." Das Funkgerät knirschte, dann ertönte ein kurzes Freizeichen - allerdings keine Antwort. Die Irin runzelte flüchtig die Stirn, ließ den Blick aus dem Fenster schweifen und stellte erneute Funkverbindung zu dem Tower des kleinen Flughafens, den sie in der Ferne schemenhaft erblicken konnte, her. "Hier Omega 17, erbete Landeerlaubnis", wiederholte sie stoisch. Doch mehr wie ein Knistern erreichte sie nicht. Niemand war sich im Klaren darüber, dass sie im Anflug war, dafür hatte Heihachi Sorge getragen; demnach besetzte man den Flughafen zu jener Stunde einfach nicht. Gut - konnte sie per Freifahrtschein landen, sich die Hände schmutzig machen und in wenigen Stunden ebenso unbemerkt wieder abreisen; so oder so war es der Assassine eigentlich einerlei. Und je weniger über ihre Anwesenheit Bescheid wussten, desto besser. Das Propellerflugzeug war alt und hatte die guten Tage hinter sich. Das Blech war an manchen Stellen ausgebeult, der Wind pfiff unnachgiebig kalt zwischen den undichten Fenstern ins spärliche Innere des Flugraumes und erzeugte eine militärische Gelassenheit, die darauf schließen ließ, dass das Flugzeug lange aus seinem eigentlichen Dienst genommen wurde und Nina es für ihre Zwecke lediglich entwendet hatte - dass die Kiste überhaupt noch flog war ein Wunder. Als der schlecht geteerte Boden der Landebahn vor ihrem Augenmerk erschien, drosselte die Irin die Geschwindigkeit der Maschine, bremste ein wenig und betätigte einen schweren Hebel zu ihrer rechten, der mit einem eher weniger vertrauten, metallernen Geräusch die Fahrwerksluken öffnete, damit sich die Räder ächzend aus dem Unterbauch des Flugzeug zwängen konnten. Zugegeben, das beste Modell hatte sie sich nicht ausgesucht - aber was einmal nach oben kam, brachte man bestimmt auch wieder runter! Obschon eine Assassine, war Nina in erster Linie eine leidenschaftliche Abenteurerin; kein beschränktes Weib aus der Vorstadt, das sich einen reichen Mann angelte und ein Dutzend Kinder gebar. Das wollte sie nie; stattdessen zerstörte sie lieber diese idyllischen und falschen Bilder ihres Weltensystems und zeigte der Menschheit ein bisschen Rebellion, ein bisschen Anderssein. "Tower, ich setze jetzt zur Landung an", kommentierte die Blonde ihr Tun nebensächlich und ohne eine Gegenreaktion zu erwarten, ehe sie deutlich steiler in Sinkflug ging und die Brauen konzentriert furchte. Fliegen gehörte nicht unbedingt zu ihren größten Begabungen und gerade die Landung erwies sich ab und zu als kleine Herausforderung - hoffentlich war die Landebahn auch lang genug. Das Flugzeug setzte holprig auf dem schlechten Boden auf, drückte die hoch Gewachsene unwirsch in den quietschenden und alten Sitz zurück, dass sich die Federn desselben schmerzhaft unter dem Kissen in ihre Wirbelsäule drückten. Die Bäume links und rechts der Bahn rauschten wie dunkelgrüne Schatten an ihr vorüber und das einzige, was die Irin etwas nervös im Blick halten konnte, war das Ende der Straße das unaufhörlich näher kam. "Verdammt!" Es war eine Vollbremsung, die den eisernen Vogel in eine routierende neunzig- Grad-Drehung zwang und ihr einen Schub von blanker Panik durch Mark und Bein trieb, weil sie für einen Sekundenbruchteil glaubte die Kontrolle über die alte Maschine zu verlieren. Doch dann war es vorbei. Die Rotoren pumpten immernoch Luft durch die Turbinen in einer Lautstärke, wo die Blonde wettete, dass es mindestens die halbe Insel wecken würde. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, den Kopf schmerzend voller Adrenalin, weil sie sich kurzum selbst unterschätzt hätte - Glück gehabt. Auf wackligen Knien und mit dem nötigsten bemannt, zog Nina die lederne Fliegerjacke enger um ihren Leib, öffnete die kleine Kabinentüre und sprang mit einer ungeahnten Leichtfüßigkeit auf den Grund, der sich nun nach dem langen Flug und ihrer kleinen Panikattacke, schrecklich fest und unnachgiebig unter den Sohlen ihrer Stiefel anfühlte. Nina fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn, tastete nebensächlich nach der Magnum unter ihrer Jacke und sah sich benommen um; die Sonne war nun deutlich über den Horizont geglitten und leutete den neuen Tag ein. Sie war keine Sekunde zu spät und hatte demnach genügend Zeit, sich auf das kleine Attentat vorzubereiten; ob sie etwas an Jun Kazamas Situation geändert hätte? Wohl kaum; die Irin kannte kein Mitleid - weder für sich und schon gar nicht für andere. Jetzt galt es allerdings erstmal Heihachi Mishima ausfindig zu machen und weitere Instruktionen entgegen zu nehmen; also den alten Mann anzurufen und seinen Aufenthaltsort ausmachen. Ein neuerliches Seufzen, das ein bisschen enerviert klang, entrang sich ihrer Mundwinkel, ein halbes Strecken im Schritt, dass die Nackenwirbel vor Anstrengung knackten. Sie konnte es kaum erwarten diese Einöde wieder hinter sich zu lassen und nach New York zurück zu kehren, wo schon der nächste Auftraggeber auf sie wartete: Verbrechen schliefen eben nie, egal aus welcher Perspektive man es betrachten mochte. Und wie sie annahm, konnte Heihachis Forderung nicht schwieriger werden, wie Lei Wulong aus dem Verkehr zu ziehen... oh, wie sehr sie sich gerade irrte. Nina hatte den breitschultrigen Kerl im Schutz der vorherrschenden Nacht nicht auf sich zukommen sehen, bis sie in ihn hinein lief, deshalb irritiert in ihrem Gang zum Innehalten gezwungen war und der Hüne Anstalten machte, ihr den Weg zu versperren. Die Arme vor der Brust verschränkt, konnte sie nur seine Augen erkennen, die wie weiße Bälle aus dem schwarzen Gesicht hervor traten und sie misstrauisch, wie angriffslustig musterten. Er sagte nichts, schien auf etwas zu warten und ein bisschen mit der Geduld der Assassine zu spielen, ehe sich die Irin kurzerhand dazu entschied, die Hand unter die Fliegerjacke gleiten zu lassen, um nach der Waffe zu greifen. "Das würde ich nicht tun, Schwesterherz." Es war eine schneidende Stimme voller falscher Wiedersehensfreude, die Nina in ihrer Bewegung abrupt zum Erstarren brachte. Ein Hauch Irritation fegte über ihre glatten Züge, den sie mit professioneller Gleichgültigkeit zu überspielen versuchte; natürlich - wieso sollte es einmal anders sein, wo sich die Brünette mit der Blonden in einem Teufelskreis befand, der das absehbare Ende hatte einander auszuschalten? "Anna", erwiderte Nina daher einsilbig und erntete ein schiefes Grinsen ihrer Gegenüber. "Ich habe dich schon erwartet, man kann tatsächlich die Uhr nach dir stellen - aber so leid es mir tut, muss ich dich wieder zum Abreisen bewegen. Deine Anwesenheit hier ist überflüssig..." Eine Falte, gepaart mit Ungeduld, kräuselte sich über den Augenbrauen der Blondine. "Was meinst du damit?" - "Oh, das ist ganz einfach, liebste Schwester: ich kann nicht zulassen, dass du Jun Kazama tötest." Diesmal lachte die Ältere. "Und was willst du dagegen tun, Anna? Es ist ein Auftrag, ein Job wie jeder andere. Wer soll mich daran hindern? Du?" Die Brünette wirkte trotz der Provokation ungewöhnlich unbeeindruckt, doch der Hüne bäumte sich ein bisschen auf, spannte die Muskeln an und schnaufte wie ein an der Leine gehaltener, wilder Köter. "Mit allen Mitteln, Nina. Mit allen Mitteln." Annas Hand wanderte gemächlich über den Unterarm ihres Begleiters, den sie sachte tätschelte. "Das hier ist Bruce Irvin: er ist für die Sicherheit Kazuyas zuständig und damit auch für das Überleben seiner kleinen Jungfrau in Nöten. Bruce nimmt seine Arbeit ebenfalls sehr ernst - ist das nicht eine amüsante Gemeinsamkeit?" "Geh mir aus dem Weg, Anna." Die Irin blieb ruhig, taxierte den schwarzen Hünen dabei abschätzend und vorsichtig. Zu ihrer Verwirrung kam ihre Schwester der Forderung nämlich sogar nach, schenkte ihr das übelste Lächeln, das sie je auf deren Lippen gesehen hat und verschmolz so schnell mit dem Rest der Dunkelheit, wie sie daraus aufgetaucht war - und Nina ahnte schon bevor sie es sah, dass Bruce diese Geste als Startschuss nahm, um sich mit erhobener Faust auf sie zu stürzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)