Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 6: … ist undurchschaubar --------------------------------   __________________________________________  Ein jeder meint, den andern zu durchschauen; doch von sich selbst ist jeder überzeugt, undurchschaubar zu sein. © Dr. Carl Peter Fröhling (*1933) __________________________________________       Seto Kaibas Verhalten anderen gegenüber war das Letzte – vor allem, wenn der andere ich war. Manche glaubten, dass das daran lag, weil ich eine zu große Klappe hatte, andere dachten, Kaiba würde sich ab und zu einfach langweilen. Ich aber hatte Kaiba durchschaut. Er war schlicht ein arroganter Arsch und dachte, etwas Besseres zu sein.   »Du glaubst nur, etwas Besseres zu sein, Kaiba«, schleuderte ich ihm in sein herablassendes Lächeln, »aber eigentlich bist du nur ein arroganter Arsch, der –« »Verdammt reich, intelligent und mächtig ist?« Er ließ es wie eine Frage klingen, aber seine Stimme barg all die Arroganz in sich, die mich so zum Rasen brachte. »Die Armen ausbeutet!« »Verlierer wie dich?« Wie Kaiba es schaffte, Beleidigungen, die gegen ihn selbst gerichtet waren, einfach weiterzuleiten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er ließ Beleidigungen, die man ihm an den Kopf warf, wie Komplimente klingen. »Ausbeuter!«, platzte aus mir heraus und ich fuchtelte mit den Händen. Tristan packte einen meiner Arme und zog mich mit sich. Ich spürte regelrecht wie Kaibas Blick meine Haut versengte. »Lass es, Joey«, riet mir Tris, »lass's oder –« »Oder was? Oder er wird mich fertig mach'n? Das schafft er nicht!« Yugi tauchte vor mir auf und drückte mir eine heiße Schokolade in die Hand. »Hier, trink.« Und halt die Klappe. Die ungesagten Worte standen zwischen uns. Natürlich hätte Yugi sich so nicht ausgedrückt, aber die Bedeutung war dieselbe. Einige unserer Mitschüler warfen mir verstohlene Blicke zu. Es war eine wirre Mischung zwischen Anerkennung und Unglaube und der Zuschreibung von Wahnsinn. Mit Kaiba legte man sich nicht an. »Lässt sich der Köter von seinen Herrchen zurückpfeifen?«, höhnte Kaiba, als er an mir vorbei schritt. Meine Finger ballten sich. »Das sind nicht meine Herrchen, sondern meine Freunde«, rief ich ihm hinterher, »nicht, dass du dich damit auskennen würdest.« Ich rechnete nicht damit, dass er sich nochmals umwandte – eigentlich dachte ich nämlich, er täte so, als hätte er es nicht mehr gehört. Aber tatsächlich drehte er sich halb zu mir, blieb stehen und ich konnte erkennen, wie sich seine Augen zusammen zogen, als er scharrte, dass Freunde – und es klang wie eine Beleidigung – wenigstens nicht für ihn denken mussten. Damit schritt er aus der Cafeteria.   Zuhause kickte ich meine Schultasche in die Ecke, öffnete den Kühlschrank und schloss ihn gleich wieder. Leer. Ich kramte in meinem Geldbeutel, aber bis auf ein paar Kassenbons und einige Münzen fand ich nichts. Also warf ich mich auf mein Bett und steckte mir die Kopfhörer in die Ohren. Auf meinen überkreuzten Armen liegend starrte ich an die Decke und verzog mein Gesicht. Jeder hielt ihn für so undurchschaubar. Die Welt eines Genies, die Gedanken eines Hochbegabten, die Taten eines – arroganten Arsches! Er glaubte wirklich, etwas Besseres zu sein. Und die Welt lag ihm zu Füßen – genauso wie all diese Speichellecker. Aber ich nicht!   Seto Kaiba war bekannterweise reich, intelligent, gutaussehend. Und mir ging das alles bekannterweise total am Arsch vorbei. Was mir aber nicht egal war, waren diese Blicke und die Gesichtsausdrücke. Die herablassenden Worte, die Arroganz im Ton anderer Leute, wenn sie mit mir sprachen. Sie glaubten, mich mit einem Blick zu durchschauen. So ein Typ, der sein Leben nicht im Griff hatte – genauso wenig wie sein Vater. Einer, der irgendwann abrutschte und klaute oder Drogen nahm. Oder beides. Jemand, der ein Verlierer war. Niemand wagte es, Kaiba so anzusehen. Und Kaiba sollte es nicht wagen, mich so anzusehen.   Die Tür schlug zu und ich setzte mich im Bett auf. »Vater?« Es rumpelte. Keine Antwort. Also öffnete ich meine Zimmertür einen Spalt breit, um nachzusehen. Er hing halb auf dem Schuhschrank, offensichtlich betrunken. Genervt kam ich auf ihn zu. »Es ist erst sieben«, warf ich ihm vor und er versuchte mich mit seinem Blick zu fokussieren, was ihm aber nicht gelang. Wenn mein Vater betrunken war, wurde er nicht aggressiv. Er schrie nicht herum und warf keine Dinge an die Wand – vielleicht hätte ich Aggressivität sogar dem Zustand, in dem er sich dann befand, vorgezogen, denn gegen Aggressivität hätte ich mich schützen können. Ich wäre zur Polizei gegangen und hätte ihn denen überlassen. Es wäre alles so viel leichter zu erklären gewesen, irgendwie. Aber das war es nicht. Mein Vater wurde melancholisch. Auf diese Art und Weise, die mir eine Gänsehaut die Arme entlang jagte. Er brabbelte dann Dinge, wie es früher gewesen war, als meine Mutter noch – und als er noch – als wir noch. Er wiederholte Zeug wie Deine Augen, Junge, sind so wie ihre. Dabei hatte ich braune Augen und meine Mutter grüne. Er behauptete auch, dass er sie morgen anrufen würde, dass sie ihm verzeihen müsste und dass alles wieder gut werden würde. Er meinte, dass meine Schwester ihn doch auch bräuchte. Wenn er noch betrunkener war, dann erkannte er, dass nichts wieder gut werden würde und das war der Punkt, an dem er begann mir Sorgen zu bereiten. Ohne mich bist du besser dran, sagte er dann.   Blaue Flecken wären ein Beweis gewesen für das, was mir mein Vater antat. Aber dafür gab es keine Beweise, denn es tat nicht körperlich weh, es fraß sich in meinen Geist. Ich konnte mich nach solchen Tagen nicht konzentrieren, ich konnte nicht schlafen. Schaffte ich es, dann wachte ich immer wieder auf. Ich konnte nicht ruhig auf einem Stuhl sitzen bleiben, die Sicht vor meinen Augen verschwamm regelmäßig. Meine Gedanken drifteten irgendwohin, wo die Stimme der Lehrer nur noch ein undeutliches Murmeln war. Sie glaubten, mich zu durchschauen. Ich wäre eben etwas faul und ein bisschen überfordert.   »Weißt du, warum der Junge es geschafft hat?«, fragte mich mein Vater eines Abends, als er vor der Glotze hing und noch nicht betrunken war. In den Nachrichten kam etwas über die KC. Ich wollte die Erkenntnis meines Vater gar nicht hören – die taugten meistens sowieso nichts. »Weil er was Besseres ist als wir. Muss man einsehen, Junge.« Er zuckte die Schultern. Ich spülte Geschirr und schwieg. »Der hat es verdient. Der hat was aus sich gemacht. Der ist halt nicht son Verlierer wie wir«, setzte mein Vater immer mehr drauf, bis ich die Zähne zusammen biss. Mit einem Klirren zersprang der Teller, als ich ihn in die Spüle pfefferte. »Sprech für dich selbst«, spuckte ich meinem Vater vor die Füße und rauschte aus dem Raum.   In der Schule saß ich mit meinen Freunden zusammen, wir zockten eine Runde DuelMonsters. Tristan kommentierte Yugis Züge voller Anerkennung, während er meine kritisch beäugte. »Bist du dir sicher, Joey?« »Ja.« »Aber glaubst du nicht, dass –« »Nein, verdammt!« »Ist ja schon gut, Kumpel.«   Ich legte die Karte ab. Yugi gewann das Duell und ich verlor. Wie schon hunderte Male. Yugi war nie der Typ gewesen, der sich darauf etwas eingebildet hätte. Er war bescheiden und genoss die Zeit, die wir gemeinsam verbrachten. Aber ich verabscheute dieses Gefühl, nicht genug zu können, niemals auszureichen, immer einen Schritt hinten dran zu sein. »Klo«, teilte ich ihnen knapp mit und steckte mein Deck ein. Ich war kein Verlierer, ich war keiner. Ich war anders als mein Vater. Als ich zurückkam – es klingelte gerade zum Pausenende ­– musste mir natürlich Kaiba entgegen kommen. In seiner Rechten trug er den Aktenkoffer, was ihn beinahe wie einen Lehrer aussehen ließ – nur noch viel unsympathischer halt. »Wheeler, hast du die Fährte verloren?«, flüsterte er mir zu. Ich schaute ihn nicht an, während wir zusammen durch die Tür gingen. Seine blöden Sprüche würden mich nicht reizen – nicht heute, nicht jetzt. »Oder warum standest du so planlos auf dem Gang herum?«   Kaiba glaubte – wie jeder andere – mich durchschaut zu haben. Ein Loser, der nur Sprüche klopfte, ein Verlierer, der nichts durchzog – wenn es mit Arbeit verbunden war und nicht mit Ärger. Aber er sollte falsch liegen, so falsch, dass er irgendwann sagen sollte, dass er falsch gelegen hatte.   »Du glaubst nur, etwas Besseres zu sein, Kaiba«, erwiderte ich, als hätte er nichts gesagt, »weil du reich bist. Aber wer bist du ohne dein Geld? Und deine dummen Hundesprüche kannst du dir in deinen Arsch schieben.«   Seto Kaiba hielten viele für undurchschaubar. Ein unvergleichliches Genie, ein Experte, der Gebiete erschließen würde, die der Allgemeinheit unbekannt waren. Ich ließ mich davon nicht einschüchtern. Manche glaubten, dass das daran lag, weil ich einfach eine zu große Klappe hatte, andere dachten, Kaiba hätte einen morbiden Spaß daran, mich verbal fertig zu machen. Bestimmt war an beidem etwas dran, aber der eigentliche Grund war, dass ich Kaiba durchschaut hatte. Seine Sprüche waren durchschaubar. Sein Image eine durchschaubare Fassade. Er war nichts Besseres. Er verschanzte sich nur hinter seiner scheinbaren Undurchschaubarkeit. Aber ich schaute hindurch, denn ich hatte keine Angst vor ihm. »Wer bist du schon, ohne dein Geld und deine Macht?« Wir schritten den Gang zwischen den Tischreihen entlang – nebeneinander. Ruhig, als erzählten wir vom Wetter. »Immer noch ein Genie. Etwas, das ich einem Verliererdasein wie dem deinigen jederzeit vorziehe.« »Jaaah, genau.« Unbeeindruckt ließ ich mich zwischen meinen Freunden nieder, während er allein in der letzten Reihe saß. Er packte seinen Laptop aus und tippte Zeug, das ich bestimmt nie verstehen würde. Ich reckte mein Kinn. Kaiba sah einen Moment über den Laptop hinweg und erwiderte meinen Blick. Er hielt mich für den letzten Idioten. Aber niemand außer mir, brachte Seto Kaiba dazu von seinem Bildschirm aufzusehen, um mich einen Idioten zu nennen. Und niemand außer mir nannte Seto Kaiba einen Geldsack, einen Eisschrank, einen arroganten Hausdrachen – ohne dafür verklagt zu werden. Von außen musste unser Verhalten undurchsichtig wirken. Aber für uns war es so durchschaubar wie frisch geputzte Glasscheiben. Seto Kaiba war nichts Besseres als ich. Wenn er von seinem Laptop aufsah, um meinem Blick zu begegnen wusste ich, dass er wusste, dass ich wusste, dass ich kein Verlierer war. Er hatte mich durchschaut. Und ich ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)