Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 11: ... ist schweigsam ------------------------------ __________________________________________ […] in deren dunkelnder Stille die schweigsamen Teiche liegen, von denen niemand weiß, wie tief sie sind. Rainer Maria Rilke __________________________________________ Seto Kaiba war ein verdammter Arsch, einer mit böse funkelnden Augen und spöttischen Kommentaren, die ihm aus der Ritze hingen. Ich betrachtete das, was wir bisher erstellt hatten. Ein Acryl-Bild. Uhren, Zahlen standen darauf. Im Hintergrund Wasser, das wie ein Wasserfall von oben nach unten verlief. Am Rand Blumen, die verwelkten. Ich hatte überlegt, einen Hamburger dazu zu malen. Was war vergänglicher als Essen vor mir auf dem Tisch? Aber ich hatte es gelassen, denn Kaibas Kommentar dazu brauchte ich mir echt nicht zu geben. Ich verkreuzte meine Arme über dem Kopf. Das Bild war so unpersönlich, es sagte nichts. Vielleicht wäre das mit dem Hamburger doch eine Option. Genervt schlurfte ich in die Küche, öffnete den Kühlschrank, schaute hinein, nur um ihn wieder zu schließen. In diesem Moment kam mein Vater von der Arbeit. »Hey, Junge. Was machste?« Er zog sich die Jacke aus, warf sie über die Lehne des Sofas, schlenderte zu mir und öffnete an mir vorbei den Kühlschrank, um sich eine Bierdose zu öffnen, ließ sich auf dem Sofa nieder, während er den Fernseher anschaltete. »Haste was verlor'n? Oder warum stehste da so rum? Wennde nix zu tun hast, besorg dir'n Job, Junge, da vergeudeste deine Zeit net so wie inner Schule.« Ich murmelte vor mich her, dass er ich meine Zeit niemals sie wie er vergeuden würde. »Wennde was sagst, dann sag's so, dass man dich versteht, kapiert?« »Der Kühlschrank ist leer«, meinte ich nur, mein Vater zuckte mit den Schultern, ganz wieder in das Programm vertieft und ich verschwand in mein Zimmer. Am Schreibtisch saß ich vor der Leinwand. Das Bild, das ich gemalt hatte, hätte auch von jemand anderem sein können. Ich bettete meinen Kopf auf meine verschränkten Arme auf dem Tisch und seufzte. In der Dunkelheit meiner geschlossenen Augen sah ich ihn. Dann, wenn er der war mit diesem Lächeln, das jeden aus dem dunkelsten Loch herauslocken würde. Dieses Lächeln schenkte er aber nur seinem Bruder. Es war das, was mir nicht aus dem Kopf gehen wollte. Und dabei war es so schnell weg, wie es gekommen war. So vergänglich. Ideen fluteten mich. Ich zögerte, fühlte mich, als würde ich in Kaibas Privatsphäre eindringen, doch der Stift flog alleine über das Papier. Mit verquollenen Augen stolperte ich in den Klassenraum. In diesem Moment klingelte es und ich huschte auf meinen Platz. Tristan bedachte mich mit einem mitleidvollen Blick. »Die Tage sind immer die schlimmsten«, behauptete er. Ich streckte mich und warf dabei einen Blick in die letzte Reihe. Kaiba würdigte mich natürlich keine Sekunde. »Hä? Welche Tage?«, raunte ich zurück, während unser Mathelehrer vorne seine Buch aus der Tasche kramte. »Die Tage vor der Klausur.« Etwas verbrannte in meinem Magen. Scheiße. »Deswegen siehst du doch so kacke aus, oder?«, flüsterte Tristan. »Ich hab gestern Abend auch zu lange an den Scheißaufgaben gehockt.« Ich schloss meine Augen, als spürte ich Schmerzen, während wir den Morgengruß des Lehrers erwiderten. Seit wann saß Tris vor Schulaufgaben? »Oh, nein! Du verarschst mich, oder?« Tristan schaute mich mit großen Augen an. »Du hast die Klassenarbeit vergessen? Joey, was hast du denn die Nacht geschafft? Doch nicht etwa –« Sein Grinsen verriet mir mehr seiner Gedanken, als ich gerade ertragen konnte. Seit wann wusste Tris was in der Schule abging? »Tris, halt deine Klappe.« Yugi schaute mich an, als wüsste er etwas. Nur hatte ich keine Ahnung, was das sein könnte. Die Stimme unseres Lehrers lenkte seinen Blick nach vorne. »Herr Muto, könnten Sie uns bitte die Lösung der Hausaufgabe an die Tafel schreiben?« Ich dankte allen Göttern, die mir bekannt waren, dass ich mich wenigstens nicht sofort blamieren müsste. »Drei Tage!«, rief ich und hätte beinahe meine Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Die Stunde war vorüber und ich hatte das Gefühl, ich müsste meinen Kopf gegen die nächste Wand schlagen oder gegen alle Wände, die verfügbar waren in diesem Gebäude. »Scheiße«, murmelte ich, packte mein angefressenes Mathebuch in meine Schultasche und seufzte. Wir standen an unseren Plätzen, die meisten unserer Mitschüler hatten nach der Unterrichtsstunde schon das Weite gesucht – oder besser den nächsten Unterrichtsraum. Ich trödelte und Tristan und Yugi tätschelten mir bildlich gesprochen die Schultern. »Ich hasse Mathe und ich hasse Vektoren und ich hasse Mathe.« »Das hast du schon gesagt«, entgegnete Tristan. »Na, und? Das kann man nicht oft genug sagen!«, brauste ich auf, nur um dann mit hängendem Kopf erneut zu seufzen. »Ich werd' die Scheißprüfung verkacken, verdammt.« »Du hast doch noch drei Tage, Joey, vielleicht –« Yugis Optimismus in allen Ehren, aber – ich warf ihm einen entsprechenden Blick zu. »Weniger bellen, mehr lernen«, warf mich eine Stimme aus dem Konzept und ich drehte mich mit zusammengezogenen Augen um. Kaiba stand da mit seinem Aktenkoffer in der Hand und dem Mantel und hätten mich Tristan und Yugi nicht zurückgehalten, ich hätte ihm so gerne eine reingeschlagen. Diesem arroganten Arsch. Zu Hause saß ich über meinem Mathebuch gebeugt und raufte mir die Haare, seufzte abwechselnd und schlug meinen Kopf gegen den Tisch. Es half nicht wirklich, die Lösungen zu den Aufgaben zu finden. Yugi hatte mir seine Lösungen kopiert und es mir erklärt. Es hörte sich immer so logisch an, wenn er es mir vorbetete, aber sobald ich auf mich allein gestellt war – die Türklingel ließ mich hochschrecken. Ich schaute irritiert auf die Uhr. So spät schon? Mein Vater? Nein, dafür zu früh. Und warum sollte er klingeln? Es sei denn, er war betrunken – Ich hob den Hörer für die Lautsprechanlage ab. »Alter, biste schon wieder –« »Wheeler.« Vor Schreck ließ ich den Hörer fallen, ehe ich ihn wieder griff. »Was willst du hier, Alter?« »Lass mich rein. Sofort.« Wenn Seto Kaiba diesen Ton anstimmte, dann gehorchte man. Als er im Flur der Wohnung stand, die für mich das Ähnlichste zu einem Zuhause darstellte, glaubte ich, plötzlich in einem Paralleluniversum gefangen zu sein. Wahrscheinlich waren die Matheaufgaben das Tor dazu gewesen und die Zahlenreihen hatten sich in mein Gehirn gefressen und mich verschluckt und hier wieder ausgespuckt. Wahrscheinlich sah ich ihn entsprechend an. Sein Blick funkelte – ich konnte es nicht anders beschreiben als – böse. »Wir waren verabredet. Vor genau vier Stunden.« »Oh, verd- sorry, ich hab' –« »Du hast weder auf meine Anrufe noch auf meine SMS reagiert.« »Und du bist jetzt extra gekommen, um mir das zu sagen?« Ich schaute ihn verblüfft an. »Ich lasse mich nicht ignorieren, Köter.« Er drängte sich an mir vorbei, als ich ihn nicht weiter als den Flur herein bat, zog sich seinen Mantel aus und warf ihn in meine Arme. Seinen Aktenkoffer in der Hand und mit seinem Hemd sah er aus, als hätte er sich auf dem Weg zu einer Geschäftsverhandlung verirrt. »Die Zeit für das Projekt ist begrenzt, Wheeler. Das heißt –« »Ich weiß, was das heißt«, brummte ich genervt, hängte seinen Mantel auf und schritt zu ihm ins Wohnzimmer, wo er sich pikiert umsah. Vielleicht suchte er nach Ratten oder Insekten oder so. Aber so schlimm war es bei uns auch wieder nicht. Das Sofa war abgenutzt, ja, und der Teppich, der vor dem Fernseher lag war hässlich, ein paar Flecken verunstalteten sein altmodisches Muster, die Küche war alles andere als schön, aber sie funktionierte – meistens zumindest. »Wo können wir arbeiten?« Ich schaute ihn an, als wäre er mit einem Raumschiff in unserem Wohnzimmer gelandet. »Hör zu, Wheeler, ich habe nicht den –« »Ähm – bei mir – in meinem Zimmer mein ich.« Er folgte mir. Vor der Tür zu meinem Raum hielt ich und zögerte. »Mh – also – nur – einen Moment«, stammelte ich, grinste ihn verlegen an und huschte durch die Tür, um ihm dieselbe vor der Nase zuzuschlagen. Also – was konnte ich noch retten? Klamotten lagen auf dem Bett, leere Flaschen standen auf meinem Schreibtisch, der Mülleimer war überfüllt, ich sollte mal wieder lüften, mein Ranzen lag mitten im Zimmer. Nachdem ich den Klamottenhaufen so wie er war in meinen Schrank geworfen hatte, die leeren Flaschen unter mein Bett gekickt und das Fenster geöffnet, stolperte ich über den Ranzen und wäre an die Tür geknallt, wäre Kaiba nicht ungefragt in den Raum getreten. Ich wusste genau, dass ich die Tür bevorzugt hätte. Ich rempelte ihn an, fing mir einen weiteren bösen Blick ein und einen spöttischen Kommentar nach dem Motto Hündchen sollten ihr Herrchen nicht anspringen – auch nicht vor lauter Arbeitseifer. Sein Ton verriet, dass er mich und Arbeitseifer als höchst unpassend in einem Satz empfand. Er schob mich einen Arm breit von sich weg, während er sich umschaute. Ich erwartete einen weiteren spöttischen Kommentar, doch er schwieg sich zu meinem Zimmer aus. Also zog ich meine Schultasche mit zum Bett. Es war besser, beschäftigt zu sein und zu schweigen als nur zu schweigen. »Ja, also – was –« Ich setzte mich auf mein Bett und überließ ihm den Platz am Schreibtisch, wo er bereits seinen Aktenkoffer abstellte. »Die Ansätze sind richtig, du machst nur an dieser Stelle immer denselben Fehler.« »Hä?« Ich tauchte hinter ihm auf und sah, wie er auf meine Matheaufgaben tippte, auf eine Stelle einer Aufgabe, die mich am liebsten sofort wieder mit dem Kopf gegen den Schreibtisch hätte schlagen lassen. Und ihm das Heft unter de Fingern wegreißen. Er griff sich meinen Stift und korrigierte ein Vorzeichen – oder zwei oder drei. »Hör zu, Hündchen, du musst das so machen.« Er erklärte es, schrieb es auf, spottete nicht – er ließ nur ein paar trockene Kommentare los. »Mokuba hat mit den Vorzeichen auch manchmal –« Sein Blick wanderte zu mir und als würde er in diesem Moment realisieren, dass er mit mir sprach, verstummte er, räusperte sich und zog seinen Laptop aus der Tasche. Ich griff mir gleichzeitig mein Matheheft und betrachtete die Aufgabe, als sähe ich sie zum ersten Mal, prägte mir die Korrekturen ein, die er da mit seiner Schönschreibschrift über meinen krakeligen Zahlen vermerkt hatte – versuchte es zumindest. Denn ein Joey Wheeler gab nicht einfach auf. Nicht einmal bei Mathe. »Was. Ist. Das.« Verwirrt, weil ich seinen Ton nicht einschätzen konnte, schaute ich auf und musterte ihn. Er stand über meinem Schreibtisch, den Laptop in der Hand, verharrte, als hätte er ihn auf der Schreiboberfläche abstellen wollen und wäre dann versteinert worden. »Was meinst –?« Ich folgte seinem Blick und erkannte meine Zeichnung. Mein Herz rutschte mir in die Füße. Kaiba starrte auf sein gezeichnetes Selbst, das seinen kleinen Bruder anlächelte. Sie sahen aus, als kannten sie keine Probleme und das Vertrauen, das die beiden verband, leuchtete in ihren Bleistiftmimiken. Und dann war da noch er im Zentrum, allein an seinem Schreibtisch sitzend, am Laptop arbeitend. Sein lachendes Ich mit seinem Bruder umsäumten diesen Teil des Bildes, wie ein Echo. Er hätte das Bild nie zu Gesicht bekommen sollen. »Das ist nur – also – ich – weil –« Mein Stottern erklärte es nicht wirklich. Er fuhr zu mir herum, schaute mich an, als wüsste er nicht, ob er sich auf mich stürzen und erwürgen oder einfach aus der Ferne erschießen sollte. »Das – also das war nur –« Eigentlich wusste ich gar nicht so recht, warum ich mich versuchte zu rechtfertigen. Ich hatte ihn gezeichnet. Na, und? Es war kein Verbrechen. Ich meine, ich hatte ihn nicht einmal nackt abgebildet oder so. Bei dem Gedanken spürte ich, wie das Blut von meinen Füßen in mein Gesicht schoss. Jeden Moment schien er zu explodieren, er öffnete bereits den Mund, doch statt Geschrei atmete er tief ein und aus, als wäre er kilometerweit gerannt. »Ich – also – ich kenne nichts, das vergänglicher ist als dein – naja – das Lächeln von dir«, murmelte ich. In meinem Kopf hatte es weniger kitschig geklungen. »Wenn du bei deinem Bruder bist, dann –« In diesem Moment schlug die Tür zu und ich fuhr herum. Mein Blick heftete sich sofort wieder auf Kaiba, doch ich lauschte den Geräuschen auf dem Flur. Es rumpelte. Jemand fluchte, dann ein Ächzen. Mir rutschte das Herz von den Füßen in die Hose, dann drückte es gegen meine Lungen, pochte laut. »Verdammt«, schimpfte mein Vater durch die geschlossene Tür. Kaiba hob seine Augenbrauen, als hätte er sich wieder gefangen, in dem Moment als er sich gewahr wurde, dass jemand die Wohnung betreten hatte. Ich betete. Bitte, war mein Vater nur ungeschickt gewesen. Bitte, war er nicht betrunken. Bitte. Es rumpelte erneut. Also öffnete ich meine Zimmertür einen Spalt breit, um nachzusehen. Er hing halb auf dem Schuhschrank, offensichtlich betrunken. Ich schloss die Tür wieder und wandte mich an Kaiba. »Einen Moment, warte kurz hier – ich –« Verfrachte meinen betrunkenen Vater irgendwohin, wo du ihn nicht sehen kannst. Ich wedelte mit den Armen, fuhr herum und huschte in den Gang. »Verdammt, warum – was machst du hier?«, zischte ich und er versuchte mich mit seinem Blick zu fokussieren, was ihm aber nicht gelang. »Ich wohn' hier, Junge!« Seine Fahne wehte mir entgegen und ich rümpfte die Nase. »Ja, toll, dass du das noch weißt.« Wenn mein Vater betrunken war, wurde er nicht aggressiv. Er schrie nicht herum und warf keine Dinge an die Wand. Stattdessen sah er mich so an. »Du siehst aus, wie deine Mutter!«, lallte er und ich zog seinen Arm über meine Schulter. »Unsinn«, hielt ich dagegen. »Siehst aus wie se! Dein –«, er griff nach meinem Gesicht, »sieht aus'ie sie. Dein –« »Ist ja gut! Komm endlich mit.« Doch er wand sich aus meinem Griff, wankte und donnerte gegen den Schuhschrank. »Alter, du solltest jetzt wirklich – was machste da?« Er griff nach dem Telefon, versuchte es jedenfalls, verpasste es einige Male, doch dann hackte er auf die Zahlen ein. »Ich ruf'se an. Jetzt.« »Das wär jetzt eher nich'so gut«, versuchte ich ihn davon abzubringen. Er schien über meine Worte nachzudenken, hielt inne in seinem Tun. »Vielleicht haste recht, Junge. Is'alles so – hab zu viel – getrunken.« Wenigstens wusste er es. »Ja, genau. Ich helf dir ins Bett, komm – ich –« Ich griff nach seinem Arm, um ihn mir über die Schulter zu legen, doch er entzog ihn mir, fixierte mich so gut er konnte und hauchte mir entgegen: »Morgen, ich rufe'se morgen an. Dann können wir wieder – eine richtig'Familie sein. Morg'n.« In mir verbrannte etwas zu Asche und verstopfte meine Lungen. »Ja«, krächzte ich, »tu das. Morgen kannst du –« Er fing an zu weinen und schrie, dass das Leben so ungerecht war, ich zog ihn in sein Bett. Er klammerte sich an mich, als würde er andernfalls in seinen Tränen ertrinken. Behauptete, dass er es besser machen könnte, dass er es tun, dass er sie anrufen würde, dass er alles dafür tun würde, dass sie wieder käme, dass es seine Schuld war, dass sie ihm vergeben müsste. Er heulte und flehte und irgendwann schlief er ein. Als ich in den Flur trat, um einen Eimer zu holen, damit mein Vater nicht auf den Boden kotzen würde, stand mir plötzlich Kaiba gegenüber. »Ich – warum bist du noch hier?« »Um hier zu arbeiten. Es sei denn –« Ich wollte, dass er ging und ich wollte, dass er es nicht tat. Mit dem Eimer in der Hand stand ich da und kämpfte mit mir selbst. Dass er ausgerechnet diesen Moment erleben musste, dass ausgerechnet Kaiba, der größte Arsch, gerade hier vor mir stehen musste, jetzt, in diesem Augenblick, wo ich mich so schwach fühlte, wie ein Versager, wie ein Idiot, genau so, wie er es mir immer an den Kopf warf. Ein Köter, der kläffte, weil er Angst hatte, vergessen zu werden. Eine Töle, die bellte, aber nicht biss. »Geh einfach.« Die Scham überwog. »Ich wollte sagen: es sei denn wir fahren zu mir. Wir haben noch viel aufzuarbeiten, Wheeler.« In diesem Moment unterbrach uns mein Vater mit einem gequälten Geräusch. »Ich sollte –«, begann ich, aber statt den Satz zu beenden, machte ich einfach auf dem Absatz kehrt und brachte den Eimer zu meinem Vater. Ich stellte den Eimer neben das Bett und blieb stehen, atmete tief durch, als könnte der Augenblick meine Gefühle ordnen. Aber Lava sickerte durch meine Adern und das beißende Gefühl, als verglühte mein Magen darin. Mir war schlecht. Ich würde Kaiba aus der Wohnung werfen. Ich würde ihm einfach sagen, dass er endlich gehen sollte. Er würde mich mit seinen Kommentaren in den Boden stampfen, aber ich würde nicht zuhören. Ich wusste, wie erbärmlich hier alles war. Als ich mein Zimmer betrat, schaute ich auf Kaibas Rücken. Er saß an meinem Schreibtisch und schrieb etwas. Als ich näher kam, erkannte ich, dass er etwas zeichnete. Mir blieb der Mund offen stehen. »Du kannst ja doch – zeichnen«, stolperte mir über die Lippen und es sollte spöttisch klingen, aber es klang nur lahm. Ich schaute auf eine Skizze, auf mein gezeichnetes Lachen und meinen Vater, der mich ebenso anstrahlte, wie ich ihn. Daneben saßen meine kleine Schwester und meine Mutter. »Jetzt sind wir quitt«, behauptete Kaiba. »Woher –« Er machte eine vage Handbewegung und mein Blick blieb an meiner Pinnwand hängen. Ausschnitte von Turnieren hingen dort, Bilder mit meinen Freunden, Zettel, was ich noch erledigen müsste (und natürlich trotzdem vergaß), Postkarten, die mir meine Freunde gesendet hatten und ein vergilbtes Bild von meiner Familie, als ich fünf Jahre alt gewesen war. Wir sahen glücklich aus. »Ja, was ist vergänglicher als – das?«, wisperte ich bitter. Ich wollte ihn aus meinem Zimmer werfen. Scham brannte in meinen Augen. Wollte ihn los werden, bevor er seine Kommentare loswurde. Aber meine Finger krallten sich in meine Hosen, ich starrte auf den Boden und schwieg. »Bezüglich des Projekts«, begann er, als säßen wir in seinem Büro. Jetzt, wo er die Möglichkeit gehabt hätte, mir meine Gedärme herauszureißen, in eine Wunde zu stechen, die so tief war, das deswegen mein Herz blutete, dass er damit meinen kompletten Körper hätte aufreißen können, da kam kein einziges spöttisches Wort über seine Lippen. Ich starrte auf das Bild meiner Familie und er sprach über unser Projekt, als wäre es normal aus dem Zimmer nebenan das Geräusch zu hören, wie wenn jemand kotzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)