Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 19: … ist ein Praktikant -------------------------------- __________________________________________ Die Praxis sollte das Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt. Hermann Hesse (1877-1962) __________________________________________ Seto Kaiba war Geschäftsmann, Geldsack, arroganter Arsch und Besserwisser. Das waren Rollen, in denen ihn jeder kannte – mehr oder weniger. Es war kein Geheimnis, dass er sein Unternehmen an die Spitze der Wirtschaft getrieben hatte – in einem Alter, in dem andere nicht einmal in einem Bürogebäude gewesen waren – oder einen Anzug getragen hatten. Für ihn war es kein Problem den Geschäftsführer heraushängen zu lassen. Er war eine Führungspersönlichkeit – vielleicht tat er sich deswegen schwer, wenn er nicht derjenige war, der führte. In der Schule begafften mich manche, als hätten sie noch nie einen Verband gesehen. Meine blauen Flecke im Gesicht waren nicht schön, ja, aber ich war trotzdem noch ein Mensch und kein Alien. Vielleicht ignorierte Kaiba deswegen Menschen: manche waren nicht nur dumm, sondern auch nervig und das ziemlich hartnäckig. Mit dumm meine ich nicht, einen Mangel an Bildung, sondern so ein Grundverständnis, was Fragen und Antworten betraf und vor allem Empathie. (Auch, wenn das Wort zu der Bedeutung erst später in meinen Wortschatz gewandert war.) »Ich hab gehört, du und Tristan habt euch mit euren Gangs gegenseitig geschlagen! Stimmt das?« Welche Gangs? »Hast du wirklich etwas mit Tristans Mutter gehabt?« Bitte? »Hat Kaiba dich weggebracht, weil er auf Tristan eifersüchtig war?« Hä? Anfangs versuchte ich, die Gerüchte richtig zu stellen. Aber irgendwann musste ich einsehen, dass Menschen nur hörten, was sie wollten. Also ignorierte ich das Raunen, sobald ich ein Klassenzimmer betrat oder verließ. Tristan schien es ebenso zu halten. Nicht, dass ich mit ihm gesprochen hätte. Ich erkannte, dass er einen Verband um die Hand trug, ansonsten hatte er ein paar Kratzer im Gesicht. Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht ausmachen. Es schien ihm gut zu gehen. So gut, wie es eben einem ging, wenn er sich mit seinem besten Freund geprügelt hatte. Tristan ging mir aus dem Weg. (Er würde später behaupten, dass ich ihm aus dem Weg gegangen war.) Dienstag und Mittwoch war das mein größtes Problem. Mittwochabend aber gesellte sich ein weiteres dazu. Der Stift schwebte über dem Papier. Jetzt hieß es, eine Entscheidung zu fällen. »Du zählst es gerade mit Ene-mene-muh aus, nicht?« In Yugis Stimme hockte ein Lächeln. Mit einem Seufzen lehnte ich mich zurück, den Stift zwischen meinen Fingern und blickte an die Decke, als würde dort die Antwort stehen, was es natürlich nicht tat. Stattdessen starrte ich auf eine weiße Fläche. Yugi saß auf seinem Bett und betrachtete mich amüsiert, während ich an seinem Schreibtisch gebeugt hockte und wieder die Zeilen überflog, als stünde da plötzlich etwas Neues – und nicht dasselbe, was ich bereits vor einer Minute gelesen hatte. »Ich weiß einfach nicht, welches Praktikum ich nehmen soll«, gab ich zu und raufte mir die Haare, packte das Papier und den Stift und ließ mich neben Yugi auf der Matratze nieder. »Schau, du musst doch einfach nur überlegen, was du gerne machst. Und dann schreibst du eine Stelle rein, die da am ehesten zu passt.« Ich sah ihn skeptisch an. »Es sind doch nur zwei Wochen«, munterte er mich auf, »selbst wenn das Praktikum bescheiden sein sollte – was ich nicht einmal denke – dann weißt du eben, was dir nicht liegt.« »Und wenn mir einfach nichts auf der Welt liegt?«, schnappte ich verzweifelt. Er lächelte, drückte mir die Schulter. Ja, okay, ich sah es ein. Eine Stufe weniger Drama hätte es auch getan. »Also?«, fragte er. »Ja, also. Ähm – ich esse gerne.« Für einen Moment warf er mir einen entgeisterten Blick zu. »Es gibt keine Praktikumsstelle als Restauranttester«, erwiderte er kichernd. »So was gibt’s?«, fragte ich ungläubig. »Du könntest bei einem Koch reinschauen.« »Ich will nicht kochen, ich will essen. Wenn schon«, murmelte ich. »Okay, was noch?« Er schielte über meine Schulter auf das zerknitterte Papier, auf dem Praktikumsangebote verzeichnet standen. »Ich komm gut mit deinem Opa klar. Aber dazu gibt’s wohl kaum ein Praktikum.« »Du könntest ein Praktikum hier machen.« »Echt? Aber ich – helfe hier doch schon aus. Ich brauch das Geld. Wenn ich das jetzt nur als Praktikum mache, dann –« »Ach was«, beruhigte mich Yugi lächelnd, »wenn du die Arbeit neben der Schule schaffst, dann schaffst du es auch allemal neben dem Praktikum.« Ich brummte zur Zustimmung und ließ mich auf meinen Rücken fallen, schaute Yugi von unten an und grinste. Zufriedenheit kitzelte in meinem Bauch. »Sag mal, Joey.« Es gab besonders drei Tonlagen, die Yugi anschlug. A) Der Wir-schaffen-das-schon-Ton. B) Der Denk-nochmal-nach-Joey-Ton und C) der Hast-du-denn-kein-schlechtes-Gewissen-Ton. Diesmal war es eindeutig C). »Wegen Tristan.« Treffer versenkt. Mit einem Schnauben setzte ich mich auf. »Was er gesagt hat«, begann ich dunkel, doch Yugi beeindruckte mein Gebären nicht. Nicht mehr zumindest. »Was ihr beide gesagt habt«, korrigierte er sanft. »Aber vor allem. Joey, ihr habt euch geschlagen! Ihr habt euch noch nie geschlagen.« Ich zog die Augenbrauen hoch, was ihn seufzten ließ. »Ich meine, ihr euch gegenseitig. Zumindest seit ich euch kenne.« »Er hat Sachen gesagt, die – das sagt ein Freund einfach nicht.« »Dasselbe hat er mir auch über dich erzählt.« Ich sah auf und verengte meine Augen. »Nur weil ihr nicht miteinander sprecht, heißt das nicht, dass ich ihn auch ignoriere.« »Ich ignoriere ihn nicht. Ich bin ja nicht Kaiba«, murrte ich, den letzten Teil noch leiser als den ersten. Aber wohl trotzdem laut genug. Wahrscheinlich führte ihn der auch zu seinem folgenden Gedankengang. »Warum geht es dir eigentlich so nahe, dass er ein Praktikum bei der KC macht? Du – kannst doch auch einfach eines dort machen. Wenn dir das lieber ist.« »Darum geht es doch gar nicht.« »Aber – was ist es denn dann?« Ich schluckte. Die Gefühle, die ich unterdrückte, quollen aus meinem Magen in meine Brust, wo sie bis in meinen Hals kratzten. »Ich war – ich weiß nicht – ich war plötzlich so verdammt wütend. Tris war immer für mich da. Wenn mein Vater – ich meine, er war einfach da, okay? Als die Sache mit meiner Mutter war und meiner Schwester und – immer einfach. Und jetzt – unser Leben war nicht schlecht, weißt du? Ich mein, es war manchmal echt bekackt, aber zusammen haben wir es durchgezogen und –« Ich wusste nicht, wie ich dieses Gefühl in meiner Brust, das mir die Luftröhre abdrückte in Worten bändigen sollte. »Und jetzt hast du Angst, dass er sich von dir abwendet?« War es das? Hatte ich Angst, dass mich Tristan zurückließ, so wie es meine Mutter getan hatte? Mich in dem Stadtteil ließ und sich selbst ein neues, besseres Leben in einem schönen Viertel mit sauberen Nachbarn und ordentlichen Fassaden suchte? Hatte es dieses Gefühl der Ohnmacht in mir geweckt, wie damals, als meine Mutter im Wohnzimmer gestanden hatte, Serenity an der Hand, den Koffer in der anderen und sich von mir verabschiedete, als wäre ich ein Fremder? »Ich glaube«, begann ich mit erstickter Stimme, »dass ich es nicht schaffe. Das ganze – Zeug. Was kommt und – irgendwie –« Wann hatten meine Augen begonnen zu brennen? Ich drehte Yugi meinen Rücken zu, wischte mit meinem Ärmel über meine Augen und versuchte das Schniefen zu unterdrücken, weil es so verdammt peinlich war. Heul nicht, du kleiner Hosenscheißer. »Das hat Tristan mir auch gesagt. So oder so ähnlich«, flüsterte Yugi und seine Hand mit einem Taschentuch schob sich in mein Blickfeld. »Dass er es nicht schaffen kann. Er hat auch lange mit sich gehadert und tut es immer noch, Joey. Weißt du, wie oft er und ich deswegen geredet haben?« »Warum?« Ich schniefte und wartete kurz, damit sich meine Stimme klärte. »Warum«, wiederholte ich, »hat er mir kein Wort gesagt?« »Warum hast du ihm nicht gesagt, was du wirklich fühlst?« Weil ich mich schämte. Männer weinen nicht, du Schwächling. Männer sind stark, du Heulsuse. Männer haben keine Angst, du Schwächling. Männer. Wir schwiegen. Es war toll, wenn man mit jemandem schweigen konnte und es einen nicht bedrückte. Yugis Hand lag auf meiner Schulter, so als wollte er mir versichern, dass er für mich da war. Das Taschentuch knüllte ich abwechselnd in meinen Händen und sah es an, als würde es mir die folgenden Sätze diktieren. »Weißt du. Ich werde nie vergessen, was mein Vater zu mir gesagt hat, als er Kaiba zum ersten Mal im TV gesehen hat.« Yugi drückte mich kurz mit seiner Hand an der Schulter, als könnte er mir dadurch Kraft geben, weiterzusprechen. »Er meinte, dass Kaiba etwas Besseres ist als wir. Dass er nicht so ein Verlierer ist wie wir. Ich glaub, ich hab meinem Vater damals recht gegeben – nicht mit Worten, keinesfalls. Aber so – innen drinnen.« Yugi schwang seine Beine über das Ende des Bettes, als wollte er davon aufsteigen, doch dann fragte er mich, ohne sich zu bewegen:»Und weißt du noch, was du gedacht hattest, als du Kaiba zum ersten Mal gesehen hast?« Ich lehnte mich an ihn, Seite an Seite. Obwohl Yugi recht klein war, hatte ich nicht das Gefühl, dass er schwach gewesen wäre. Sicherlich war er mir im Armdrücken unterlegen und beim Sprinten verlor er gegen mich, aber ich meine, so eine andere Art Stärke. Wenn Yugi da war, dann war da Wärme in meinem Brustkorb, Leichtigkeit in meinen Schultern, Zuversicht in meinem Kopf. Meistens. »Mh, da war er vielleicht grade mal neun oder zehn oder so. Und er hat so böse geguckt, dabei war er nur ein kleiner Junge. Aber er hat so geschaut, als wüsste er viel mehr als er wissen sollte. Ich hab mich gefragt, was er mehr wusste als ich. Ob er mehr wusste als ich. Und als ich ihn so neben Gozaburo Kaiba stehen sah, tat er mir irgendwie leid.« »Obwohl er mit einem Spiel ein Leben in Reichtum für sich und seinen Bruder gewonnen hatte?«, hakte Yugi nach. »Ja, ich war wohl ziemlich blöd als Kind«, scherzte ich humorlos. »Nee, ich glaube, du hast damals schon mehr erkannt als andere«, flüsterte Yugi mir zu und nahm ich in den Arm. »Und jetzt gehen wir und trinken ein Schokoshake. Ich lad dich ein.« »Und das mit dem Praktikum?«, fragte ich schwermütig. Er erhob sich von der Bettkante, öffnete die Tür, schritt in den Flur und rief hinunter: »Opa? Kann Joey ein Praktikum bei dir machen? Für die Schule das?« Eine Antwort aus dem Verkaufsraum unten, die ich nicht verstand. »Okay, da muss ich ihn leider nochmals fragen«, erwiderte Yugi und schlenderte mit ernster Miene zurück in sein Zimmer, zu mir. Ich beobachtete ihn ungeduldig. »Und?«, wollte ich wissen, weil er einfach vor mir stand und mich anschaute, als müsste er bekennen, ab sofort nie wieder DuelMonsters zu spielen. »Er meinte: nur, wenn er dir die Stunden vergüten darf.« Mit einem gespielt erbosten Schnaufen, mich so auf die Folter zu spannen, warf ich ihn aufs Bett und folterte ihn ebenfalls – indem ich ihn durchkitzelte. Lachend warf er einen Kopf hin und her und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es war toll, wenn das Gefühl in meinem Magen für Augenblicke wie diese von anderen überschwemmt wurde. Donnerstag öffnete ich die Tür zum Sekretariat und wollte mit einem breiten Grinsen mein Formular für die Praktikumswochen abgeben, bis ich vor mir Kaiba entdeckte, der mit der Sekretärin diskutierte. Ihr roter Kopf schien kurz davor zu explodieren. Mein Grinsen verblasste, dafür reckte ich den Kopf, um auch ja kein Wort zu verpassen. »In dem Vertrag zwischen Schule und KC steht nichts davon, dass ich kein Praktikum bei meiner Firma absolvieren könnte.« »Weil es nicht der Norm entspricht, dass Sechzehnjährige eine Firma leiten«, erklärte die Dame genervt und ich war mir sicher, dass sie das nicht zum ersten Mal tat. »Dann sehe ich das Problem nicht«, erwiderte Kaiba nonchalant. »Sie dürfen gerne in Ihrer Firma ein Praktikum machen, allerdings dürfen Sie nicht selbst das Praktikum leiten.« »Sie möchten, dass ich ein Praktikum bei einem Mitarbeiter mache«, klärte Kaiba mit einem Ton, der deutlich verriet, dass er sie damit verfluchen wollte. »Das wäre kein Problem«, stimmte sie zu. Er warf ihr einen Blick zu, der genau dieser Annahme widersprach. »Sie können also entweder in Ihrer Firma bei einem Abteilungsleiter oder dergleichen ein Praktikum machen oder Sie wählen eines der offenen Praktikumsangebote aus der Liste.« Kaibas Augen sprühten Abscheu und Verdammnis, aber die Frau hinter der Theke knickte nicht ein. Ich bewunderte sie dafür. »Oder Sie machen kein Praktikum, was aber in Ihrem Zeugnis vermerkt werden würde.« Mein Blick huschte zu Kaiba, dessen Kiefer zu mahlen begann. Ein negativer Eintrag in Kaibas perfektem Zeugnis. Ich sah bereits vor mir, wie die Presse einen Exklusivbeitrag deswegen veröffentlichte. S. Kaiba – Praktikumsverweigerer bekommt kein Praktikum. Schule verklagt. Sekretärin verklagt. Praktikum verklagt. »Köter, welchen Gedankengang kann dein Hundegehirn nicht verarbeiten, dass du so geistesabwesend in die Gegend starrst? Die Mensa ist am anderen Ende des Gebäudes«, höhnte Kaiba und stieß mich mental zurück in das Sekretariat. »Erzähl keinen Scheiß, Eisschrank«, erwiderte ich lässig, »ich bin hier, um meinen Praktikumsplatz anzumelden, was bestimmt richtig positiv in meinem Zeugnis vermerkt wird.« Ich überreichte der Sekretärin den Anmeldebogen, grinste Kaiba breit an und machte, dass ich aus dem Raum verschwand. Zumindest versuchte ich es. Ich drückte bereits die Türklinke herunter, als mich Kaibas Tonfall innehalten ließ. »Selbst das kann dein Zeugnis nicht mehr retten, Köter. Wer hier Scheiß erzählt, ist wohl hinfällig.« Das Wort Scheiß aus Kaibas Mund verhieß nichts Gutes, im Gegenteil. Es ließ mich schaudern, was mich dazu brachte, den Mund zu halten, die Schultern zu zucken und das Sekretariat zu verlassen. Einen tobenden Kaiba schloss man am besten hinter sich aus. Nicht mit sich selbst in einem Raum ein. In Gedanken wünschte ich der Sekretärin alles Gute. »Und er wollte wirklich ein Praktikum bei sich selbst machen?«, kicherte Yugi. Ich nickte, streckte mich. »So etwas fällt doch auch nur dem ein, echt, Alter. Wenn er nicht so furchteinflößend gewesen wäre, wäre es einfach zum Schießen.« Ich schob mir den Reis und den Fisch – ich glaubte, es war Fisch – in den Mund, während Yugi an seinem Eistee schlurfte. In diesem Moment schlenderte Tristan an unserem Tisch vorbei, zögerte kurz und schritt dann weiter. Ich sah ihm nach. Eine Sekunde lang spielte ich mit dem Gedanken, Tris zurückzurufen oder zu ihm zu sprinten, aber dann war die Sekunde auch schon vorbei. Ich bemerkte Yugis Blick. Er wirkte irgendwie enttäuscht und ich schob meinen Mund vor. Sommer war wunderbar – wenn man ihn genießen konnte. Sommer war – Kaiba würde sagen suboptimal, ich scheiße – wenn man drinnen einen Wärmestau bekam, weil man Kisten im Lagerraum prüfte. Draußen brütete eine Hitze, die die Temperaturen dort in Höhen schnellen ließ, die meinem Gefühl nach gar nicht mehr auf dem Thermometer verzeichnet standen. »Joey! Hast du den Bestand schon protokolliert und die neue Lieferung angenommen?«, rief Herr Mutos Stimme aus dem Verkaufsraum und ließ mich von meiner Liste aufblicken und nicken – was er natürlich nicht sehen konnte und setzte daher ein lautes »Jo! Bin dabei!« nach. »Gut, dann komm mal eben her!« Mit einem Seufzen entrann ich den drückenden Temperaturen und trat durch das Zwischenzimmer in den Verkaufsraum, wo meine Füße zu Wurzeln mutierten und meine Augen hervorquollen. »Joey, am besten arbeitest du ihn gleich ein.« Da stand er mit dem Schildchen an der Brust, das verkündete: Seto Kaiba. Praktikant. Seto Kaiba war Geschäftsmann, Geldsack, arroganter Arsch und Besserwisser. Das waren Rollen, in denen ihn jeder kannte – mehr oder weniger. Aber er war niemals – niemals! – Praktikant. Und ich niemals der, der ihn einarbeitete. »Ich habe ihm schon eine grobe Einweisung gegeben«, fuhr Yugis Opa fort, als wären wir plötzlich nicht in einer Zwischendimension gefangen, wo die Zeit stillstand und ein Paradoxon das nächste jagte, »aber wenn du gerade eh bei der neuen Lieferung bist, dann könnt ihr da ja zusammen anpacken.« »Was? Wieso? Hier? Wir?«, stammelte ich und mein Blick wanderte von Herrn Muto zu Kaiba, der so aussah, als wäre er gar nicht hier, sondern bei wichtigeren Sachen – oder überhaupt wichtigen. »Geteilte Arbeit ist halbe Arbeit, Joey.« Herr Muto zwinkerte mir zu und ich blinzelte zurück. Kaiba war vor mir bereit, sich der Realität zu stellen – vielleicht, weil er schon früher als ich gewusst hatte, dass er hierher kommen und jetzt so vor mir stehen würde. Das Problem war, dass sich mit Seto Kaiba geteilte Arbeit verdoppelte. Kunden betraten den Laden und Herr Muto wandte sich mit einem Lächeln den zwei Jungs zu. »Wo ist das Lager?«, verlangte Kaiba zu wissen und sah mich nicht einmal an. »Ähm – ja, komm einfach mit.« Wie ein Roboter, dessen mechanische Gelenke eingerostet waren, schritt ich voran, zurück in den Zwischenraum, öffnete die knarzende Holztür und zeigte in unser Lager, das eher an eine Kammer erinnerte. Circa zwanzig Quadratmeter voller Regale, auf denen sich Gesellschaftspiele, Videogames, Karten, Figuren, Zeitschriften den engen Platz teilten und Kartons, die sich auf dem Boden stapelten, so dass nur Gassen blieben, durch die ich balancierte, um ja nichts umzuwerfen. Seto Kaiba stand in der Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute stumm die Schränke entlang. Er passte hier nicht rein. Nicht nur optisch nicht – mit seinem weißen Mantel, der so überhaupt nicht dem Wetter angemessen schien. Ich gab ihm zehn Minuten, bis er einen Hitzeschlag bekam. »Jetzt bist du doch froh, dass du den Laden damals nicht platt gemacht hast, ne?«, zog ich ihn auf. »Abgesehen von der Hitze hier im Lager ist es echt ganz nett hier.« »Wohl eher im Gegenteil«, erwiderte er kühl und ließ mich schnauben. »Warum bist du überhaupt hier?«, wollte ich wissen und vergrub meine Hände in den Hosentaschen. »Kannst du lesen?« »Was?« Ich verengte meine Lider. »Denn wenn ja, dann frage ich mich, was du hieran nicht verstehst.« Er deutete auf das Schildchen, das an seinem Hemd befestigt war. Praktikant. »Das beantwortet nichts – im Gegenteil«, spöttelte ich, »da stellen sich nur noch mehr Fragen.« »Fragen, die du dir nicht stellen musst, weil es dich nichts angeht, Wheeler.« Ich zuckte die Schultern, während ich sagte:»Ich hoffe, die Sekretärin lebt noch.« Sein Blick, den er mir daraufhin zuwarf, beunruhigte mich ein wenig. Aber wirklich nur ein bisschen, denn es hinderte mich nicht daran, ihn einzuarbeiten. Das war immerhin der Auftrag, nicht? »Ich muss das neue Zeug da noch etikettieren. Beziehungsweise. Hier.« Ich griff nach dem Gerät und drückte es ihm in die Hand, grinste dabei. »Immerhin bist du ja der Praktikant.« Ich rechnete mit Protest, einem eiskalten Kommentar, Abweisung und Hohn. Stattdessen nahm er die Etikettiermaschine und begann. Ich zog die Liste von vorhin von dem Regal und hakte ab, welche Spiele jetzt wieder vorrätig waren, verglich Bestellungen und Nachfragen von Kunden zu Produkten, die erst noch offiziell erscheinen sollten und notierte mir, wie viele wir beim Großhändler bestellen sollten. Meine Zunge hing mir irgendwann am Gaumen und das Papier der Liste wellte sich, weil meine Hände so schwitzten. Trotz T-Shirt und kurzer Hose fühlte ich mich klatschnass. Am liebsten hätte ich mich ausgezogen und wäre in einen Weiher gesprungen. Stattdessen stand ich in einem viel zu vollgestopften, viel zu heißen Raum mit Kaiba, der unerschütterlich seinen Mantel anbehielt, als könnte er so schneller wieder von hier verschwinden. Wir arbeiteten stumm nebeneinander her, tolerierten den anderen, wichen uns aus, wie bei einem Tanz mit einstudierten Schritten. Ich erzählte ihm, während er etikettierte, wie was einsortiert wurde und die Kundenkarten auszufüllen waren – er nannte es archaisch, ich freundlich. »Weißt du, du kannst dich auch ausziehen«, schlug ich ihm vor, nachdem wir knapp zwei Stunden ohne Probleme unseren Kram erledigt hatten, was ich erstaunlich genug fand. Ich fächelte mit meinem T-Shirt-Saum in der Hoffnung, so ein Lüftchen abzubekommen. »Ich mein – weil es heiß ist.« Ich erstarrte. In meinem Kopf hatte es sich noch nicht so angehört. Das war der Punkt, an dem ich in meinen Gedanken meinen Kopf an das nächste Regal schlug. Ich kritzelte hastig Auftragsnummern auf meine Liste. »Ich meinte, weil es hier so heiß ist – nicht – also – egal.« »Wenn das dann alles war«, erwiderte er nur, ignorierte mein Gestammel und drückte mir die Etikettiermaschine gegen die Brust, »dann gehe ich jetzt richtiger Arbeit nach.« Er drehte sich um, verschwand im Zwischenraum, eindeutig Richtung Ausgang und ließ mich wie einen Trottel stehen. Als Kaiba gerade Worte mit Herrn Muto wechselte, stürmte ich in den Verkaufsraum und giftete, dass der Arbeitstag noch nicht vorbei war und er den Rest nicht schwänzen könnte. »Es ist beinahe amüsant, dass ausgerechnet du mir das sagst«, entgegnete er trocken, hob die Hand und trat aus der Tür. Die Glocke, die dort befestigt war, klingelte und es klang wie spöttisches Kichern. Verärgert wandte ich mich an Herrn Muto, der mir nur eine Hand auf die Schulter legte und lächelte. (Daher hatte Yugi das also.) Ich wollte gerade meinen Mund öffnen, als Yugis Opa mir zuvorkam:»Er hat eine Befreiung für den Nachmittag – irgendeine Konferenz. Die Schule hat das im Rahmen des Praktikums erlaubt. Immerhin soll das Praktikum berufspraktische Einblicke gewähren. Und wenn er in der Kaiba Corp. keine solchen Einblicke hat – dann wohl nirgends.« Mit einem Schnauben machte ich mich wieder Richtung Lagerraum auf. Manchmal war das Leben einfach verdammt ungerecht. Kaiba war ein genialer Geschäftsmann, aber taugte nichts als Praktikant. Ich war ein genialer Praktikant und taugte nichts als Geschäftsmann. Und dazu hatte er auch noch eine Klimaanlage in seinem Büro. Und ich – ich hatte nicht einmal ein Büro. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)