Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 24: ... ist einflussreich --------------------------------- __________________________________________   Wagt euch empor, die ich so gerne riefe, Ihr einflußreiche, starke Knechtebrut! Verbreitet mich und zieht vor mir den Hut Und sagt mir schmeichelnd superste Lative.   Joachim Ringelnatz (1883 - 1934) __________________________________________           Seto Kaibas Einfluss reichte von der Jugendkultur über die Medien in die Wirtschaft – und umgekehrt. Was er anfasste, machte er zu Gold. Was er verwarf, landete in der Scheiße. Kaiba wusste, wie er Menschen nutzen musste, um Geschäfte abzuschließen. Obwohl er zwischenmenschlich manchmal schwer von Begriff war, wusste er, welche Knöpfe er drücken musste, um sich Personen zu eigen zu machen. Kaiba war ein manipulativer Arsch. Einer, der wusste, was er tun musste, um andere ins Unglück zu stürzen. Sich selbst eingeschlossen.   Am Nachmittag packte Kaiba irgendwelche Akten in seinen Koffer, während ich in Herrn Mutos Büro Verträge einscannte. Seit wann überhaupt da ein Scanner war – entweder ich hatte ihn in dem Chaos ständig übersehen oder – und das war wahrscheinlicher – das war wieder so eine Sache, die Herr Muto mit einem Seto hat gemeint erklären würde. Es war kurz vor halb vier, als Kaiba seinen Laptop in den Koffer steckte und seinen Mantel vom Kleiderbügel zog. Ich beobachtete ihn, während ich mit einer Frage rang. Zur Kaiba Corp. konnte man von hier mit dem Bus fahren. Das dauerte dann ungefähr zwanzig Minuten. Dann musste man noch ungefähr fünf Minuten laufen und bis mir seine Sekretärin abnehmen würde, dass ich wirklich einen Termin bei dem Seto Kaiba hatte – war meine Unpünktlichkeit vorprogrammiert. Er schob sich gerade durch die Tür, als ich ihm hinterher hechtete. Während er sich von Herrn Muto im Verkaufsraum verabschiedete, rief ich:»Hey. Nimmst du mich mit?« Er hob seine Augenbrauen, dann nickte er so knapp, dass ich zögerte. »Soll ich dich an die Leine nehmen, oder folgst du mir auch ohne?«, spöttelte er, was mich meine Augen verdrehen ließ, aber ich setzte mich in Bewegung.   Eine Viertelstunde später bereute ich meine Frage. Als wir die Hauptzentrale der Kaiba Corporation betraten, grüßte die Dame an der Anmeldung Kaiba. In ihrer Stimme schwang übertrieben viel Respekt, was mich beinahe dazu verführte, meine Augen zu verdrehen. Kaiba nickte ihr zu, schritt Richtung Lift, als hätte er wichtige Termine – vielleicht hatte er die – und drückte auf den Knopf vom Fahrstuhl. Er tat so, als bemerkte er die Blicke nicht, als stießen sie nicht durch seinen Mantel in seinen Rücken. Er konnte es unmöglich nicht mitbekommen. Sie verfolgten uns auf Tritt und Schritt. Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen, während er mit festem Stand neben mir die Ruhe selbst verkörperte. Eine eisige Ruhe. In der dritte Etage schossen eine Frau mit Tablet und ein Mann mit Headset zu uns in den Fahrstuhl. Beziehungsweise – sie hängten sich an Kaibas Seite und drängten mich in den Hintergrund. »Das Protokoll der letzten Konferenz –«, begann sie, doch er führte ohne Wimpernzucken weiter:»– ist bereits in die Akte eingeheftet. Herr Miller fragt an, ob –« »– das Angebot für ein weiteres Jahr verlängert wird. Und –«, übernahm sie und er stimmte in den letzten Teil mit ein: »– der Kaffee wartet auf dem Tisch.« »– Ihr Kaffee steht auf dem Tisch.«   Mein Blick wanderte von dem einen zum anderen. Ich verengte meine Augen, meine Stirn gerunzelt: Vielleicht waren die beiden Roboter, die Kaiba gebaut hatte, um so wenig mit Menschen agieren zu müssen, wie möglich. Zuzutrauen wäre es ihm. »Wie zu erwarten«, unterbrach Kaiba seine Angestellten, die wieder abwechselnd ihre Sätze beendeten und sich gegenseitig ins Wort fielen. Ich bewunderte ihn dafür, ihrem Gespräch folgen zu können. Die Fahrstuhltür öffnete sich erneut. »Alle Akten bis 18 Uhr auf meinen Schreibtisch«, wies er sie an. Die beiden nickten und verschwanden so, wie sie zu uns gestoßen waren: ohne Floskeln und ohne ein nennenswertes Zeichen, dass ich existierte.   Der Lift fuhr weiter, hob uns höher und höher, bis er sich mit einer Stimme öffnete, die verkündete, angekommen zu sein. Kaibas Mantel wirbelte hinter seinen Schritten auf, ich hechtete ihm hinterher und warf ihm einen verwunderten Blick zu, als wir nicht die Tür nahmen, die direkt in sein Büro führte – und durch die ich schon einige Male gepoltert war – sondern eine nebenan. Wir betraten eine Art Vorzimmer, wo Kaibas Sekretärin telefonierte. Die beiden nickten sich zu, während die Frau ihm eine Akte entgegenhielt. Noch während ich überlegte, ob ich auch nicken sollte, wandte mir die Frau den Rücken zu und nahm mir die Entscheidung ab. Während zwei Seiten des Raumes mit Aktenschränken voll gestellt war, konnte man durch das Panoramafenster Domino-City überblicken. Die vierte Wand reservierte den Platz für eine Tür, die in Kaibas Büro führte. Er nahm die Akte entgegen und wandte sich gen Tür, bedeutete mir, ihm zu folgen und schloss sie auf. Natürlich nicht mit einem Schlüssel, sondern mit einem Code – seinem Fingerabdruck und einer Kombination, die ich wahrscheinlich sogar dann falsch eingeben würde, wenn er sie mir aufgeschrieben hätte.   Ich wusste, wie Kaibas Büro aussah – auch, wenn ich es diesmal aus einem anderem Winkel her betrat. Trotzdem büßte es nie seine Wirkung ein. Die Panoramafenster, durch die einem Domino zu Füßen lagen, die Hochhäuser, die sich in den Himmel schoben, die Sonne, die das Ganze in ein Licht wog, das einen dazu brachte, einfach nur zu betrachten.   »– dein Gehirn wieder aufnahmefähig ist.« Mein Blick schellte zu Kaiba herum. »Hä? Was hast du gesagt?« Kaiba beugte sich gerade über seinen Schreibtisch, während er die Akte öffnete und warf mir darüber hinweg einen spöttischen Blick zu. »Anscheinend bist du – deinen geistigen Möglichkeiten entsprechend – wieder mental aufnahmefähig.« »Geldsack«, knurrte ich, »deine Beleidigung kannst du dir in deinen –« »Siehst du, dass du es als Beleidigung erkennst, ist schon einmal ein Fortschritt, auf den du stolz sein kannst, Hündchen«, behauptete er trocken. »Ich bin auf eine ganze Menge stolz«, erwiderte ich und reckte mein Kinn. »Tatsächlich?«, fragte er, doch sprach weiter, ehe ich etwas hätte entgegnen können. »Warum starrst du so aus dem Fenster? Es ist nicht das erste Mal, das du hier bist.« Ich zuckte die Schultern. »Ich glaube, die Aussicht ist genial. Das ist jedes Mal richtig – cool.« Er trat hinter mich, schaute hinaus, wie ich es tat. Es war still. Die Klimaanlage surrte kaum hörbar, das Fax spuckte ein Dokument aus, aber ansonsten gab es in diesem Moment nur Ruhe. »Und es ist das erste Mal, dass du mich hier freiwillig empfängst«, stichelte ich, drehte meinen Kopf zu ihm und bemerkte erst da, wie nah er mir stand. Ich hielt inne und schaute ihm von unten her in die Augen. Ich gab nicht gerne zu, dass er größer war als ich. Seine Augen waren echt blau – klar, jeder wusste das, aber aus diesem Winkel – es war wie der Sommerhimmel. Ich hob meine Augenbrauen bei dem Gedanken. Wie lächerlich. Oder wie die Schlümpfe, dachte ich grinsend. »Ich denke, es wir mit jedem Mal, das man hinaussieht weniger – genial. Ich bemerke es kaum mehr.« »Klar, weil du auch nur deine Bildschirme anstarrst«, frotzelte ich, »für so was muss man sich halt mal Zeit nehmen.« Er betrachtete mich kurz, ohne etwas zu sagen und hielt mir statt einer Antwort eine Menge Papier entgegen. Wie ein Schild, der unsere Nähe einschränkte. Ich atmete aus und spürte erst dann, dass ich die Luft überhaupt angehalten hatte.   »Hier. Du musst beide Exemplare unterschreiben.« »Okay«, meinte ich nur und forderte einen Stift. »Aber nicht jetzt«, erwiderte er. Ich hielt verwirrt inne, runzelte die Stirn, worauf er meine Frage beantwortete, bevor ich sie stellte. »Man liest sich Verträge erst durch, Wheeler.« Wahrscheinlich hatte er Recht. Immerhin war er derjenige, der sich damit auskannte und selbst ich wusste, dass es ziemlich dämlich war, etwas zu unterschreiben, ohne es zu lesen, aber – »Du würdest mich nicht verarschen«, meinte ich, »nicht wirklich, meine ich.« Er verschränkte die Arme vor seiner Brust, sein Blick verdunkelte sich und er sah aus, als wäre er so was von bereit, mich vom Gegenteil zu überzeugen, aber meine Mundwinkel zogen sich nach oben, meinen Lippe bogen sich zu einem Grinsen. »Wieso nicht?«, wollte er misstrauisch wissen. Es war eine gute Frage. Kaiba hatte mich, seitdem ich ihn zum ersten Mal persönlich gesehen hatte, mit einer Zuverlässigkeit in den Boden gestampft, dass es schon an Körperverletzung grenzte – also an verbaler. Gab es so etwas? Aber betrachtete man es mit einer gewissen Unvoreingenommenheit, dann – »Weil du das nie gemacht hast.« Und dann begann ich den Papierkram halt durchzulesen.   Seto Kaiba besaß die Macht, Gegenspieler fertig zu machen: finanziell, psychisch, und emotional. Wenn er es darauf angelegt hätte, hätte er meine Situation zum Vorteil nutzen können, die Szene mit meinem Vater, meine Herkunft, meine finanzielle Situation, meine Noten, all das, womit ich fertig werden musste und worauf er nur heruntersehen konnte. Alles, was von ihm kam, waren spitze Bemerkungen, die nur an der Oberfläche kratzten – auch, wenn Kaiba gerne einen anderen Eindruck vermittelte.   »Nimm die Verträge mit, lies sie und denk darüber nach«, wies er mich an, ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder und begann zu tippen, zog das Dokument aus dem Faxgerät daneben und las es, runzelte die Stirn und wandte sich wieder seinen Bildschirmen zu. Als ich mich nicht bewegte, schaute er auf. »Du kannst gehen, Wheeler.« Für Kaibas Verhältnisse war das eine freundschaftliche Verabschiedung, also tat ich, wie geheißen.   Zuhause schaute mein Vater fern. Er bemerkte nicht, dass ich die Wohnung betrat oder die Küche oder mein Zimmer. Ich begrüßte ihn erst gar nicht. Es machte keinen Unterschied. Stattdessen ließ ich mich in mein Bett fallen, die Papiere in der Hand und las den Vertrag durch. Seto Kaiba – im Folgenden der Auftraggeber genannt – und Joseph Wheeler – im Folgenden Arbeitnehmer genannt – Mein Herz machte einen Purzelbaum, während Lava durch meine Adern walzte. Das Gute war: Wenn ich den Wisch unterzeichnete, arbeitete ich für Kaiba. Das Schlechte war: Wenn ich den Wisch unterzeichnete, arbeitete ich für Kaiba.   Am nächsten Tag schlitterte ich in den Laden, wo mich Herr Muto mit einem Lächeln begrüßte. Der Morgen war schon so warm, dass man nur erahnen konnte, welche Hitze den Tag über noch auf uns zurollen würde. »Joey! Da bist du! Sehr schön! Seto hier hat vorgeschlagen, dass wir ein paar neue Spiele im Laden verkaufen und dafür einige traditionellere auf wenige Exemplare reduzieren.« Ich nickte langsam. Also reduzierten wir, räumten das Lager um, katalogisierten weiter, welche Spiele sich schlecht verkauften und welche wir ersetzen würden. Auch im Verkaufsraum verrückten wir Tresen und Boxen und Ablagen. Mein Blick blieb bei einer der Vitrinen hängen. »Am besten wir werfen einfach alle gebrauchten Spiele raus und nehmen nur die neueren. Die Schachspiele da – stehen schon seitdem ich hier arbeite. Keiner guckt die an. Keiner von den Kids will Schach spielen.« Er folgte meinem Blick und wog den Wert der Schachspiele ab. Es waren schöne Exemplare, fein geschnitzte Figuren, die jemand dem Laden vermacht hatte, vielleicht, weil der Spieler nicht mehr spielen wollte – oder konnte. Und obwohl sie gebraucht waren, zeugten sie von der sorgsamen Behandlung ihres ehemaligen Besitzers. »Früher habe ich mit Mokuba viel Schach gespielt«, gab Kaiba preis, während wir sie aus dem Glasschrank holten. Ich schwieg, weil ich nicht wusste, warum er mir das sagte und dann fiel mir keine klügere Frage ein als: »Warum Schach?« »Es war kein beliebtes Spiel bei den Kindern«, spöttelte er. »Hä?« »Im Waisenhaus«, fügte er dunkel hinzu, »wahrscheinlich hat sich seitdem nicht viel geändert.« »Mh –« Als er mit den Spielen zur Kasse schritt, beobachtete ich ihn verdutzt. »Muss ich die Ware selbst abkassieren oder schaffst du das noch trotz deiner allgemein bekannten Unfähigkeit?« Seine Beleidigung war ziemlich lahm, aber ich sagte nichts deswegen, sondern kassierte die fünf Schachspiele wortlos ab. Ich traute mich nicht, zu fragen, was er mit so vielen vorhatte.   Bevor der Mittag uns mit seiner Hitze an den Rande eines Hitzeschlages brachte, nötigte uns Herr Muto zu einer Mittagspause. »Ich mache nie Mittagspause«, entgegnete Kaiba herablassend, was Herrn Muto nur ein Lächeln auf die Lippen zauberte. »Das ist das Wunderbare, wenn man jung ist, weißt du. Man erlebt viele Dinge zum ersten Mal im Leben.« Und schob Kaiba nach draußen in den Garten. Wie er da so stand, sah er reichlich belämmert aus, dann steckte Herr Muto nochmals den Kopf durch die Hintertür und warf ihm ein Wassereis zu, was Kaiba instinktiv fing. Er starrte das Eis an, als hätte man ihm gerade ein Alienhaustier in de Hände gedrückt. »Und ich?«, fragte ich gespielt empört, worauf Herr Muto lachte und mir auch eines entgegen warf. Ich ergriff es und hielt es dann triumphierend in die Luft. Herr Muto schüttelte amüsiert den Kopf und zog sich ins Haus zurück. Kaibas Blick heftete sich auf sein Wassereis und schaute aus, als steckte er in einer Art Paralelluniversum fest. »Was hast du'n bisher in der Mittagspause immer gemacht?«, wollte ich wissen. »Gearbeitet.« »Wie hast du's denn geschafft, der großväterlichen Fürsorge von Herrn Muto zu entkommen?« »Roland hat mich abgeholt und ich habe im Wagen gearbeitet.« Das hörte sich nach Kaiba an: ließ sich durch die Stadt chauffieren, um im Auto zu arbeiten – in der Mittagspause. Ob es für so ein Verhalten einen psychologischen Fachausdruck gab? Das war doch krank, oder? Ich zuckte mit den Schultern und zeigte auf den Baum am anderen Ende der Rasenfläche. »Ich sitz eigentlich immer da. Yugi und ich, mein ich. Also im Sommer. Im Winter bleiben wir drinnen und trinken ne heiße Schokolade oder so. Aber im Sommer –« Ich grinste und wedelte mit meinem Wassereis, drehte mich dann um und schlenderte mit dem Eis im Mund über den Rasen, ließ mich am Füße des Baums nieder. Yugi war heute spät dran, aber er würde bestimmt noch kommen. An den Baumstamm gelehnt betrachtete ich Kaiba, der noch immer dort drüben stand – mit dem Eis in der Hand, als wüsste er nichts damit anzufangen. Wie ein Schuljunge, den man an die Tafel gerufen hatte und der gestehen musste, keine Ahnung zu haben. Ich wusste, wie das war – aber Kaiba – »Willst du noch die nächste dreiviertel Stunde dort stehen bleiben?«, rief ich und erwartete ein herablassendes Ja, Köter oder ein Das geht dich nichts an, Wheeler oder überhaupt keine Antwort. Stattdessen überraschte er mich. Er straffte seine Schultern und schritt über den Rasen. Seto Kaiba saß neben mir auf einer Wiese; ein bisschen steif, ein bisschen unpassend angezogen, ein bisschen unbeholfen, als hätte er schon eine Ewigkeit nicht mehr im Schneidersitz gesessen. Seine gebügelte Stoffhose, sein weißes Hemd, seine Krawatte, wie er das Eis hielt, seine polierten Lederschuhe – alles sprach dagegen, aber er saß auf der Wiese – so wie ich. »Gib mal her.« Natürlich wartete ich nicht darauf, dass er es mir gab – ich schnappte das Wassereis aus seiner Hand und riss es mit meinen Zähnen auf. Er betrachtete mich mit einem entgeisterten Ausdruck, als ich es ihm zurückgab. »Was?«, wollte ich wissen. »Ist ja widerlich«, behauptete er. »Wie machst du das denn sonst, hä?« »Ich esse so etwas normalerweise nicht.« Natürlich. »Aber sollte ich jemals wieder in die Verlegenheit kommen«, fuhr er fort, »dann öffne ich es mit einer Schere.« Ich schnaufte amüsiert, legte meine Arme hinter meinen Nacken zusammen und schloss kurz die Augen. »Ich kann es nicht glauben, dass du deine Pause durcharbeitest«, murmelte ich, »das hier ist einfach zu genial.« »Nicht jeder kann sich diese Faulheit leisten.« »Ich hab gedacht, du kannst dir alles leisten?«, stichelte ich und öffnete ein Auge ein Spalt weit. Kaiba schnaubte. Ein Auto rauschte vorbei, aber das konnten wir nicht sehen, weil der Gartenzaun die Welt da draußen ausschloss. Das hier war meine Oase – nicht einmal Kaiba konnte das stören, der unruhig umher schaute, als suchte er etwas. Weder Kaiba, noch irgendwelche Erwartungen. »Man gewöhnt sich daran.« Ich öffnete meine Augen komplett. »Hä?«, machte ich nur und er verdrehte seine. »An die Arbeit.« »Ja, aber – hättest du nicht mal Bock einfach – keine Ahnung – ne Woche abzuhauen und zu machen, was du willst?« »Manche würden behaupten, dass ich jederzeit tue, was ich möchte.« Bitterkeit quoll zwischen den Worten, als verabscheute er jene, die so etwas sagten. Ich wusste nicht, worauf er sich genau bezog. Es gab eine Menge, die einfach bei Kaiba keinen Sinn ergab, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, ihn irgendwie zu kennen. »Nee, das glaub ich nicht«, behauptete ich leichthin. »Du musst dich auch an Verträge halten und gucken, was in der KC läuft. Ich glaub, das ist stressig. Kann mir nicht vorstellen, dass du da immer Lust drauf hast, aber ziehst es halt durch.« Er sah mich an. »Andere behaupten das Gegenteil.« »Das Gegenteil von was?« Er antwortete nicht. »Du hältst dich doch an Verträge, oder?« Ich zog meine Augen zusammen, lehnte mich vor und beobachtete, wie sich seine Stirn runzelte. »In der Regel«, erwiderte er vage. »Und du musst gucken –« Da fiel mir auf, dass ich eigentlich keine Ahnung hatte, was er genau in seiner Firma arbeiten musste, also machte ich eine wegwerfende Bewegung mit meiner Hand. »– was du auch immer in der KC gucken musst.« Damit brachte ich seinen Mundwinkel zum Zucken. Es war ein bisschen komisch hier mit Kaiba zu sitzen, wo ich sonst mit Yugi die abgefahrensten Gespräche führte. Aber eigentlich war es auch gar nicht seltsam. Kaiba lehnte sich ein bisschen zurück und stützte sich mit seinen Armen nach hinten ab, schaute in die Baumkrone, den Himmel, wieder den Garten entlang. Wo es vorhin noch so aussah, als suchte er etwas, glaubte ich zu erkennen, dass sein Blick ruhiger wurde. »Wohin würdest du gehen, Kaiba?« »Wohin?« »In den Urlaub. Ne Woche abhauen und da machen, was du willst. Wohin würdest du abhauen?« »Ich gehe nicht –« »Kaiba«, knurrte ich, »wohin würdest du gerne gehen?« »Was bringt dir die Information?«, fragte er misstrauisch und fixierte mich, als könnte ich so einer Antwort nicht entkommen, als versuchte er, meine Intentionen per Gedankenübertragung herauszufinden. Ich zog die Augenbrauen zusammen und kratzte mein Kinn. »Nix«, gab ich zu, »bleib locker. Ich will die Infos weder veröffentlichen, noch verkaufen.« Eigentlich sollte es ein blöder Scherz sein, aber Kaiba versteifte sich bei den Worten. »Es interessiert mich halt nur, Geldsack. Aber wenn du's nicht sagen willst –« Ich zuckte meine Schultern. Komischerweise entspannte er sich bei diesen Worten sichtlich. Es konnte kaum an der Beleidigung liegen, oder? Tatsächlich schwieg er erst einmal und ich begann vor mich her zu summen. Lag wieder da mit geschlossenen Augen und hörte, wie eine Brise über die Blätter strich, wie sie auch über meine Haut streichelte. Der Sommerwind trug seine Hitze in den Schatten, als mich Kaibas Stimme aus der Döserei riss. »Ich besitze Häuser unter anderem in Spanien, Italien und Deutschland. Apartments in London, New York, Paris und Frankfurt.« Ich hatte meinen Hals gedreht, um ihn besser zu sehen. Mein Mund stand offen. Er saß da mit dem halb geschmolzenen Wassereis in den Händen, hatte es wahrscheinlich nicht einmal probiert, und sprach von seinem Besitz, als handelte es sich um Puppenhäuser. »Verdammt. Alter, was machst du dann noch hier?«, frotzelte ich, doch er ging nicht darauf ein. »Aber da gibt es ein kleines Dorf in Frankreich. Mehr Kühe als Einwohner. Die Internetverbindung ist so langsam, dass es schneller ist, einen Brief abzuschicken, als eine Email.« Ich schaute ihn mit großen Augen an, erst dann begriff ich, dass er gerade eine Witz gemacht hatte und grinste verlegen, doch er schaute mich nicht an. »Wohin würdest du gehen?« »Hab kein Geld«, schnaufte ich und winkte ab. »Wheeler«, brummte er, »wohin würdest du gehen?« Als erstes wollte ich sagen weit weg. Egal wohin. Hauptsache nicht hier. Aber das stimmte so nicht. »Ich kenne jemanden, der besitzt Häuser in der ganzen Welt und – so wie's sich anhört – nutzt er die nicht einmal. Ich würde ihm vorschlagen, dass ich dort mal nach dem Rechten schaue. Was hast du gesagt? In Paris, London und New York?« Er schnaubte. »Du nach dem Rechten sehen? Das bezweifele ich. Du bringst doch das Chaos erst, Hündchen«, spöttelte er. »Du würdest es doch gar nicht bemerken«, entgegnete ich. »Aber das Personal dort.« »Du beschäftigst Personal in Häusern und allem, die du nicht mal nutzt?« »Man weiß nie, wann man es braucht«, erwiderte er ernst und ich brach in Lachen aus. Sein Blick verdüsterte sich. »Sorry, ich – das ist nur – man weiß nie, ob man mal – Häuser in Buxdehude braucht?« »Es ist besser, ein Haus zu viel zu haben, als eines zu wenig.« Ich atmete tief durch, wischte Lachtränen aus meinen Augenwinkeln und setzte mich auf. »Unsinn«, erwiderte ich, jetzt nicht weniger ernst als er. »Man braucht ein Zuhause. Manchmal zwei. Das können auch noch so viele Häuser nicht besser machen.« Er sagte nichts und ich kratzte mich am Kopf, schwelgte in Gedanken, wo ich überall sein und was ich alles erreichen könnte. In einem anderen Leben vielleicht. Oder auch nicht. Mir rutschte eine Passage ins Bewusstsein, die ich erst gestern gelesen hatte. »Ich hab den Vertrag durch«, begann ich leise, unsicher, in welcher Laune er nach meinem Urteil über seine Häuser-Philosophie war, doch er neigte seinen Kopf. Ein Zeichen, dass er mir aufmerksam zuhörte. Keine Beleidigung, kein finsterer Blick. »Aber da steht nirgends was davon – also – was heißt zehn Prozent des Nettoverdienstes pro verkaufte Teilnehmerkarte?« Wie viele Karten verkaufte die Kaiba Corp. in Domino-City? Bestimmt ein paar hundert. Immerhin durfte sich jeder anmelden, der wollte. Erst nach der ersten Runde gab es eine offizielle Beschränkung: nämlich alle Gewinner der bisherigen Duelle. Natürlich gab es gewisse Duellanten, die sich nicht an den ersten Runden beteiligen mussten. Yugi war so eine Ausnahme. Ich hingegen hätte mich – weil ich keine so supertolle Einladung von Kaiba bekommen hatte – von Anfang an durch das Turnier kämpfen müssen. Das Problem für mich war die inoffizielle Einschränkung: die Anmeldegebühr. »Jeder Teilnehmer des Turniers zahlt einen Beitrag, um starten zu dürfen. Nettoverdienst heißt, vom Preis der Teilnehmerkarte minus sieben Prozent Mehrwertsteuer. Davon zehn Prozent«, teilte mir Kaiba mit. »Das war mir klar«, knurrte ich. »Ich meine –« Ich fuchtelte mit meinen Händen in der Luft, als könnten sie mir helfen, Kaiba zu erklären, welche Information mir fehlte, aber er schien auch ohne Erläuterung zu begreifen. Ich zweifelte jedenfalls daran, dass ihm meine Hände dabei halfen. »Wir würden dein Design für diese Kampagne erst einmal nur im japanischen Raum verwenden. Das heißt, von jeder Karte, die im japanischen Raum verkauft wird, würdest du –« Meine Augen drohten aus meinem Kopf zu fallen. Ich verschluckte mich und hustete. »– was – also –«, krächzte ich, »von jeder Karte im japanischen Raum?« »Wheeler«, begann er mahnend, »es wäre ein Test, ob die Werbung überhaupt erfolgreich ist. Sicherlich könnte man es bei entsprechender Bilanz auf Asien ausweiten, dann auf den nord- und südamerikanischen sowie europäischen Raum, aber –« Mir wurde irgendwie schlecht. Das war unerwartet. Natürlich war die Kaiba Corporation ein führendes Unternehmen auf dem Markt, Kaiba war bekannt dafür, im großen Stile zu denken und die Turniere unter Spielern gleichermaßen beliebt und gefürchtet. Aber ich – Teil von so einer riesigen Sache? Wenn ich versagte, dann – »Wenn ich den Vertrag unterschreib«, murmelte ich, »und ich – krieg nix hin, dann –« »Dann müsste ich dich leider verklagen und in kleinen Häppchen im japanischen Raum verteilen«, erwiderte er trocken. Ich starrte ihn an, was ihn dazu brachte, mit der Hand über seine Augen zu fahren. »Hör zu, Wheeler, und zwar gut, denn ich sage das nur einmal.« Ich spitzte die Ohren und folgte seinen Worten, die so gar nicht zu diesem Garten passen wollten. »In den letzten Jahren ist die Teilnehmerzahl an den Turnieren deutlich zurückgegangen. Das bedeutet beträchtliche Einbußen. So große, dass du nicht einmal wüsstest, wie viele Nullen an die eins gehören, kapiert?« Ich nickte genervt. »Die Turniere stehen für alle offen, warum melden sich also immer weniger an?« Ich öffnete den Mund, aber er hob die Hand, also schluckte ich die Bemerkung, dass es vielleicht daran lag, dass sie die Einladungen an die richtigen Leute vergaßen. Yugi mal ausgenommen. »Schwindendes Interesse, sich am Konkurrenzkampf zu beteiligen. Die Menschen wollen nicht nur an einem Turnier teilnehmen, sie wollen unterhalten werden. Es gibt genug Druck und Stress in ihrem Alltag. Sie wollen entspannen und trotzdem etwas Spannendes erleben. Etwas, für ihr Geld bekommen. Wir wollen es in Japan testen. Bei der japanischen Meisterschaft. Wir planen ein Event um das Turnier herum. Die ganze Stadt als Bühne für das Turnier. Shows, Karaoke, Merchandise, Zeichen-Wettbewerbe, Cosplay-Auftritte«, er sprach das Wort aus, als handelte es sich um eine Krankheit. »Es geht um einen Imagewandel. Das Turnier soll nicht mehr nur Duellanten ansprechen, sondern den ganzen Freundeskreis, die ganze Familie.« Es hörte sich nach einer verdammt großen Sache an. »Yugi steht bei der Kampagne für das Turnier. Er soll weiterhin die Duellanten motivieren. Du hingegen stehst für das Ganze drumherum. Spaß, Freundschaft, Erlebnis«, aus seinem Mund klang es, als könnte er nicht glauben, dass andere das ernsthaft als wichtig erachteten, »und das musst du in ein Design packen.« Ich ließ die Luft durch meinen Mund entweichen. Das hörte sich an, als sollte ich versuchen ein ganzes Leben in ein Bild zu quetschen, auf ein Foto zu bringen, in eine Zeichnung zu übertragen. Unmöglich. »Hab ich deswegen keine Einladung bekommen?« Sein fragender Blick traf mich stechend. »Eine Einladung. Für die Turnierteilnahme.« Seine Lippen kräuselten sich. »Nein, die hast du nicht bekommen, weil du ein bemitleidenswerter Duellant bist.« Ich ballte meine Fäuste und wollte ihm gerade an den Kopf werfen, dass er sich seine Einladung eh in den Arsch hätte schieben können, als er mich verstummen ließ. »Aber ich denke, deine künstlerischen Fähigkeiten und die Erfahrung mit deinen Freunden prädestinieren dich für die Aufgabe.« Ich wusste, wenn Kaiba mich beleidigte – auch, wenn er Fremdwörter und Fachbegriffe verwendete. Es war nur seltsam, wenn er solche verwendete und mich nicht beschimpfte. Stattdessen schaute er mich an. »Prädestinieren heißt –« »Ach, halt die Klappe, Eisschrank«, erwiderte ich, doch da war keine Missbilligung in meinem Ton. Da war nur Leichtigkeit und die Ahnung, dass es vielleicht doch nicht unmöglich war. Er sagte nichts weiter. Ich kaute auf meiner Lippe, beobachtete ihn und überlegte, ob jetzt der richtige Zeitpunkt dafür war. Wahrscheinlich nicht. Aber – »Sag mal«, fragte ich leise, »isst du dein Eis noch?« Wortlos reichte er mir das Eis, das mehr buntes Wasser als gefroren war, aber ich grinste zufrieden. Es gab schlimmere Orte als hier. Es gab schlimmere Arbeitgeber als Kaiba. Auch, wenn er ein Arsch war.   Erst als Kaiba und ich wieder rein gingen, fiel mir auf, dass Yugi fehlte. Er kam mir drinnen entgegen, als er gerade zurück zum Krankenhaus marschieren wollte, und ich wies ihn entrüstet darauf hin, dass er mich in der Mittagspause einfach versetzt hatte. »Och«, begann er leichthin, »ich hatte den Eindruck, du hattest angenehme Gesellschaft.« Mein Blick fiel auf Kaiba, der gerade mit einer Kiste aus Herrn Mutos Büro schritt, schaute zurück zu Yugi, um ihn auf eine Art lächeln zu sehen, die mich meine Augen verengen ließ. »Ich weiß nicht, was du gerade denkst«, wandte ich ein, »aber hör auf damit.« Yugis Lächeln verbreiterte sich. »Wheeler.« Kaibas Ton ließ mich meine Augen verdrehen, aber ich wandte mich zu ihm, nahm ihm die Kiste aus der Hand und machte mich an die Arbeit.   Drei Stunden später stieg ich die Treppen zu der Wohnung hoch, die ich mit meinem Vater bewohnte. Er saß im Wohnzimmer, schaute irgendeine Sendung und bemerkte nichts um sich herum. Ich zog mich in mein Zimmer zurück, schnappte mir einen Stift und unterschrieb die Verträge. Damals konnte ich nur ahnen, welchen großen Einfluss Kaiba noch auf mein Leben haben würde. Aber ich wusste schon in diesem Moment, dass der Vertrag ein Schlüssel zu meinem Erfolg werden könnte. Ich ahnte nicht, dass mit dieser Unterschrift nicht nur Kaiba auf mein Leben so großen Einfluss nehmen würde, dass ich es nicht mehr erkennen sollte. Und dass ich mich von Gold in Scheiße verwandeln würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)