Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 26: … ist eingeladen ----------------------------   __________________________________________ Sie haben mich nicht nur nicht eingeladen, ich habe auch abgesagt. Joachim Ringelnatz (1883 - 1934) __________________________________________           Kaiba war nicht der Typ, bei jemandem einfach vorbeizukommen, einen gemütlichen Abend zu verbringen und mit Freunden abzuhängen. Eigentlich war er nicht einmal der Typ, Freunde zu haben. Er war erfolgreich, reich und berühmt. Aber nicht beliebt. Mit Kaiba holte man sich seine persönliche Nemesis ins Haus. Und wer war schon so bescheuert?   Am Abend saß ich auf meinem Bett, einen Bleistift in der Hand und betrachtete Skizzen, die ich irgendwann einmal in meine Schublade gestopft hatte. Zeichnungen von Magiern und Drachen und meinen Freunden. Sarah erwartete erste Entwürfe. Ein Logo, Maskottchen, irgendwas. Mein Blick blieb an Tristan hängen. Seine Beine waren nicht fertig gezeichnet. Mit einem Schnauben erhob ich mich, trottete zum Fenster und lehnte mich hinaus. Warum sprachen wir nicht miteinander? Ich hatte den Grund schon fast vergessen. Ah, wegen meinem Vater? Weil Tris mir vorgeworfen hatte, nichts zu können? Hatte er das? Ich seufzte. Wie sollte ich Werbung machen für ein Event, das man mit Freunden teilte, wenn ich nicht einmal mit meinem eigenen Kumpel sprach? Aber ich konnte nicht einfach zu ihm gehen. Oder? Was sollte ich sagen? Freundschaft war manchmal echt kompliziert.   Am nächsten Morgen stand ich schon an der Tür, meinen Rucksack über eine Schulter geworfen, als mein Vater mit einem Papier wedelte. »Was'sn das für'n Schund?« Auf dem Papierkopf prangte das Logo der Kaiba Corporation, was mich meine Augenbrauen zusammenziehen ließ. Woher hatte mein Vater den Vertrag zwischen Kaiba und mir? »Wer hat dich'n eingestellt? Kaiba Corporation? Hast du'n Zeugnis gefälscht oder –« Er musste in meinem Zimmer gewesen sein. Der verdammte Penner. »Geht dich'n Scheiß an«, raunzte ich und wollte ihm den Vertrag aus den Fingern ziehen, aber er brachte ihn aus meiner Reichweite, zerknitterte das Papier an den Rändern und entfachte meinen Zorn weiter. »Sprech nicht so mit mir, Hosenscheißer.« Ich ballte meine Hände. Gerade er musste so etwas sagen. »Was hast du in meinem Zimmer zu suchen?« »Ist meine Wohnung«, entgegnete er und ich schnaubte. »Brauchst gar nicht erst in meinem Zimmer nach Geld zu suchen«, zischte ich und schnappte mir den Vertrag. Diesmal war er zu langsam. »Ist mein Geld oder verdienste was? Wenn'de Geld verdienst, kannste für dich selbst sorgen, Bürschchen. Dann kannste gleich auszieh'n.« »Sobald ich das erste Geld auf'm Konto hab«, versprach ich grimmig und marschierte zur Tür hinaus.   Der Weg zum Laden zog sich. Autos hupten als ich einfach über die rote Ampel stiefelte, aber es juckte mich nicht. Ich hatte das Bedürfnis, gegen eine Hauswand zu schlagen, einen Mülleimer umzutreten und mich danach in mein Bett fallen zu lassen – beziehungsweise in irgendein Bett – Hauptsache nicht in der Nähe meines Vaters. Schon von draußen sah ich Kaiba im Laden sitzen. Die Wut in meinem Bauch verebbte. Es war krass, wie konzentriert er schaute, wenn er arbeitete, als existierten nur die Papiere, auf die er starrte. Für einen Moment wünschte ich mir, auch so abschalten zu können, den Rest aus meinen Gedanken auszuschließen und nur die Dinge vor mir zu sehen. Ich stieß die Tür zum Laden auf. »Erstaunlicherweise bist du fast pünktlich, Wheeler. Ist das mein guter Einfluss?«, frotzelte Kaiba und ich warf einen Blick auf die Papiere, von denen er nicht aufsah. Der Kassenbericht von letzter Woche. »Wenn dem so wäre, würde ich mir wünschen, dass auch deine Rechenkünste davon profitieren. Manchmal frage ich mich, unter welchen Umständen dich Herr Muto eingestellt hat. Du hast nicht nur einen Fehler gemacht bei –« Und da war er wieder, mein Zorn. »Lass mich in Ruhe«, brummte ich. Jetzt blickte er doch auf. »Wheeler, solche Fehler können ernsthaft –« »Interessiert mich nen Scheiß«, knallte ich ihm an den Kopf, fuhr herum und verschwand im Lager. Zornig wanderte ich zwischen den Regalen, verrückte Figuren und Boxen, nur um sie beim nächsten Mal, wenn ich vorbeikam, wieder in die ursprüngliche Position zu bringen. Mein Vater reichte mir für heute. Da brauchte ich nicht auch noch Kaibas Geschwätz. Das Lager war vollgestellt mit neuen Spielen. Die meisten trugen das KC-Logo. Der Vertrag poppte in meine Gedanken. So einer wie der, der hat's drauf. Solltest dir ne Scheibe von abschneiden, nutzloser Bengel! Warum sollte so einer wie der mit mir einen Vertrag abschließen? Es kam mir selbst so unlogisch vor. Wie hätte ich es anderen übelnehmen können, den Gedanken lächerlich zu finden? Mein Vater hatte nicht einmal wirklich Unrecht. Mit meinem Zeugnis hätte ich es nie geschafft. Hätte ich Kaiba nicht gekannt, ich hätte sein Büro niemals von innen gesehen. (Vielleicht nicht einmal das Gebäude der Kaiba Corporation.) Hätte ich es versucht, hätte man mich hochkant rausgeschmissen. Wahrscheinlich zurecht. Den Gedanken mussten einige in der Führungsetage hegen. Mussten das Ganze als schlechten Scherz betrachten. Vielleicht warteten sie darauf, dass Kaiba wieder zu Sinnen kam. »Es interessiert mich nicht, was in deinem Hirn vorgeht.« Erschrocken wandte ich mich zur Tür. Kaiba lehnte mit verschränkten Armen am Rahmen und beobachtete mich. Ich fragte mich, seit wann er schon da stand. »Aber wenn es sich negativ auf deine Arbeit auswirkt –« »Bereust du es jetzt schon?«, hielt ich ihm vor und er runzelte die Stirn, hob eine Augenbraue angesichts meines Tons. »Dir hierher gefolgt zu sein? Mit dir zu sprechen? Dich gelobt zu haben?«, fragte er barsch. »Quatsch – ich meinte – Moment. Gelobt? Wann hast du mich gelobt?« »Als du hereingekommen bist, Flohschleuder.« Ich überlegte, was ich verpasst haben musste. »Bezüglich deiner Pünktlichkeit«, spezifizierte er und fasste sich an die Schläfen. Klares Zeichen, dass er genervt war. »Das war für dich ein Lob?« Ich lachte grimmig auf. »Nur weil sich alle nach einem Lob von mir sehnen, muss ich dem nicht inflationär nachkommen.« Ein herablassendes Grinsen zog sich quer über seine Lippen, was mich so was zum Rasen brachte. Seine selbstgefällige Art ging mir so aufn Arsch. »Ich sehne mich ganz bestimmt nicht nach einem Lob – und erst recht nicht von dir, Geldsack.« Ich wandte mich wieder den Regalen zu, aber diesmal setzte ich sinnvolle Arbeit fort und räumte die Neuanlieferung ein. »Nach wessen Lob sehnst du dich dann?«, wollte Kaiba wissen und ich seufzte. »Nach keinem«, hielt ich fest. »Nach dem deiner Freunde?«, spöttelte er. Ich zuckte die Schultern. Sollte er doch raten. Er hatte keine Ahnung, dass mir Lob oder kein Lob total egal war. Die Meinung der anderen hinterließ bei mir höchstens ein Schulterzucken. Okay. Yugis Meinung war mir wichtig. Aber er stand auf meiner Seite. Niemals hätte er etwas ohne Grund verurteilt und seine Zuneigung war mir Lob genug – weit mehr als genug. Seine Freundschaft bedeutete mehr als jedes Schulterklopfen. »Oder nach dem deines Vaters?« Ich erstarrte, hielt die Spielfigur in meiner Hand, die kurz vor dem Regal schwebte. Als ich mich umwandte, um Kaiba anzukeifen, dass ihn das einen Scheiß anginge, stand keiner mehr in der Tür.   In der Mittagspause lag ich unter dem Apfelbaum und starrte in die Zweige. Es war heiß, aber im Schatten wehte eine Brise, die das Ganze erträglicher machte. Zumindest das Wetter. In meinem Kopf sah es anders aus. Wie Mücken schwirrten die Worte meines Vaters zwischen meinen Gedanken. Genervt seufzte ich, legte meinen Arm über das Gesicht und atmete tief ein. Mit einem Klatsch landete etwas auf meinem Bauch. Erschrocken fuhr ich hoch. »Mit freundlichen Grüßen von Herrn Muto«, sprach Kaiba und sah auf mich herab. Wie er da stand mit einem eigenen Wassereis in den Händen und den hochgekrempelten Hemdärmeln. Mein Blick wanderte zwischen ihm und dem Wassereis auf meinem Bauch hin und her. »Mhm«, brummte ich, lehnte mich wieder an den Baumstamm und wollte gerade die Verpackung des Eises mit den Zähnen aufreißen, als Kaiba mir eine Schere an die Beine warf. »Was zur – du hättest mich verletzen können!« »Ich bitte dich. Das ist eine Kinderbastelschere.« »Ja, und?« »Und ich habe mit dem Griff voran geworfen in einem Bogen, der dich nach meiner Berechnung unmöglich verletzen könnte.« Er ließ sich neben mir nieder. »Ja, toll. Und wenn deine Berechnung daneben gelegen hätte.« Er sah mich lange an und ich verdrehte die Augen. »Schon klar, schon klar.« Ich schnappte mir die Schere und öffnete mein Wassereis, nicht ohne zu brummen, wie unnötig das war. »Außerdem. Wenn ich dich verletzen wollte, würde ich nicht das Medium Schere dafür benutzen.« »Wie beruhigend«, erwiderte ich ironisch. Während er seinen Aktenkoffer neben sich stellte, die Beine überschlagen und mit den Armen nach hinten abgestützt, wanderten meine Gedanken. Sarah musste Kaiba schon richtig lange kennen. Länger als ich. Bestimmt war er schon als Kind so ein unerträglicher Besserwisser gewesen, aber einer, der sich gegen gestandene Männer durchzusetzen wusste – anders als ich.   »Was wollten eigentlich die Schergen von Herrn Le von dir?« »Schergen?« Nach einem Moment klärte sich seine Mimik. »Was hat Sarah dir erzählt?«, fragte er nüchtern nach. Ich zuckte die Schultern, schob mir das Eis zwischen die Lippen und nuschelte. »Herr Miller, der mit der Fliege, Abteilungsleiter des Online-Marketings. Herr Suzuki, Redaktion der Online Zeitung und Ressortleiter der Kultur.« »Und das hast du dir dank deines extraordinären Gedächtnisses behalten«, spöttelte er ironisch. »So ungefähr«, erwiderte ich. Musste ja nicht betonen, dass ich mir das ganze Zeugs hatte aufschreiben müssen, weil Sarah meinte, es wäre wichtig zu wissen, wer wer in der Führungsetage war. »Jopp, und Fabienne, Produktionsleiterin. Was produziert sie eigentlich?« Kaiba hob seine Augenbrauen, als ich ihren Vornamen benutzte. »Frau Mathieu, leitet die Produktion der DuelDisks, der DuelMonster-Karten und verschiedener anderer Spiele.« »Krass. Wie alt ist sie eigentlich? Sie sieht verdammt jung aus – dafür mein ich, also – dafür dass sie das so leitet.« Kaibas Lippen kräuselten sich und er hob sein Kinn, als spräche er zu einem Kind, bei dem man wusste, dass es nichts raffte. Mein Blick verdunkelte sich, als ich begriff, dass in diesem Fall ich das Kind war. »Sie ist fünfzehn Jahre älter als ich, als ich in die Führungsebene der Firma einstieg«, dozierte Kaiba und ich verdrehte die Augen und sog an meinem Eis.   »Wenn so viele Menschen für dich arbeiten. Was machst du eigentlich?«, frotzelte ich. »In die Schule gehen«, behauptete er trocken und drückte ein Stück Wassereis hoch, um es in den Mund zu schieben. Kaiba nicht beim Arbeiten, sondern beim Eisessen zu beobachten, hatte etwas Unheimliches. Etwas Bizarres. »Bald hast du's ja eh geschafft«, murmelte ich, zwirbelte das Gras unter meinen Händen und strich es wieder glatt. »Was willst du eigentlich nach der Schule machen?« »Wheeler«, begann er langsam, »ich bin CEO einer international renommierten Firma.« »Ja, und?« Seine Augenlider zog er bei den Worten zusammen. Es gab wohl nicht viele Menschen, die darauf gleichgültig mit den Schultern zuckten. »Deine Ahnungslosigkeit eröffnet einmal mehr, was für ein imposanter Volltrottel du bist, Hündchen.« »Na, du musst doch Pläne haben«, behauptete ich. Er schwieg. Was für Pläne konnte ein Teenager haben, der reich, erfolgreich und berühmt war? Spontan wäre mir nichts eingefallen. Aber Kaiba war anders als ich. Er dachte viel weiter und größer und bestimmt hatte er irgendeinen genialen Plan. »Welchen genialen Plan hast du?«, fragte er statt einer Antwort und ich schaute ihn mit großen Augen an. Hatte ich laut gedacht? Sein Ton jedenfalls sagte, dass er nicht davon ausging, dass ich überhaupt einen hätte. Ich schob meinen Mund nach vorne, legte meine Hand ans Kinn und überlegte einen Moment. »In den erstbesten Bus setzen und einfach rausfahren. Egal, wohin. Weit weg und dann würde ich irgendwo arbeiten und Leute kennen lernen und ich würde Geschichten hören und erleben und ich würde hart arbeiten, um was aus mir zu machen.« »Warum Konjunktiv zwei?«, wollte er wissen. »Hä?« »Du meintest: würde. Warum glaubst du, dass du es nicht tun wirst?« »Dummes Zeug. Klar mach ich das.« Ich lehnte mich zurück, strich mir eine Strähne aus der Stirn und starrte in den Himmel. Kaiba schwieg, betrachtete mich, als versuchte er etwas abzuschätzen – mein Gewicht? Meine Ernsthaftigkeit? Ich spürte seinen Blick. »Nein, wirst du nicht«, sagte er dann, lehnte sich auch zurück und schaute mich voller Ruhe an. »Woher willst du das wissen?«, schnauzte ich. »Ich hau ab, sobald ich kann.« »Nein. Du wirst dir das sagen, aber du wirst es nicht tun«, stellte Kaiba nüchtern fest. Ich musste an die Worte meines Vaters denken. Wenn'de Geld verdienst, kannste für dich selbst sorgen, Bürschchen. Dann kannste gleich auszieh'n. »Mir ist egal, was du denkst. Mir ist egal, was andere denken.« Verzog mein Gesicht. »Deine Mimik verrät zwei Dinge. Erstens: Du bist ein Idiot.« Ich öffnete grimmig den Mund, doch er hob die Hand und sprach ungerührt weiter. »Und zweitens: dass du lügst.« Ich würde so gerne alles hinter mir lassen. Aber ich wusste, dass man das nicht konnte. Nicht wirklich. »Du hast Angst.« Ich starrte ihn eine Sekunde wortlos an, riss den Mund auf, nur um ihn wieder zu schließen. Dann schnaubte ich. »Ich hab keine Angst«, fauchte ich, »ich hab keine Angst, endlich aus dem Loch zu –« »Nicht Angst davor, wegzugehen. Angst davor, nicht anzukommen«, erwiderte er ruhig und erhob sich gemächlich, ließ mich hier sitzen und ich sah ihm mit offenem Mund nach.   »Ja, er ist – ich meine, das ist doch echt – also«, stammelte ich und fuhr mir durchs Haar. »Kaiba ist so ein verblödeter Arsch. Ehrlich.« Mit einem Schnauben ließ ich mich zurück aufs Bett fallen und stierte die Decke in Yugis Zimmer an. »Angst davor, nicht anzukommen. Was soll das überhaupt heißen, hä? So ein Schwachsinn«, schimpfte ich weiter. »Mhm«, erwiderte Yugi und machte sein nachdenkliches Gesicht. Ich betrachtete ihn mit einem Grummeln im Bauch. Er saß auf der Bettkante, sein Deck in der Hand, schaute sich immer mal wieder eine Karte länger an und zog dann die nächste hervor. »Was?«, wollte ich wissen. »Für was das da?« Ich machte eine Geste zu seinem Gesicht. »Naja, ich habe mich nur gefragt, wie er darauf kommt.« Yugi legte seine Karten zur Seite und sah mich forschend an. Ich fühlte mich plötzlich seltsam verletzlich – als könnte er durch mich hindurch sehen, durch alles, was die Welt sah und erkennen, wie es in mir ausschaute. »Hast du Angst vor der Zukunft, Joey?« »Was? Nein! Mein Gott, was haben alle heute mit Angst und dem ganzen Kram?« Ich legte einen Arm über meine Augen und murrte. Yugi seufzte und zog meinen Arm weg. »Du wolltest eigentlich von der Konferenz und so erzählen«, erinnerte er mich und stieß mich in die Seite, was mich brummen ließ. »Ja, stimmt.« Also erzählte ich ihm von Sarah und Fabienne und Herrn Le und Kaiba. »Hört sich so an, als wäre es richtig gut gelaufen. Also so insgesamt.« Yugi strahlte mich an und wischte damit für einige Minuten all meine Zweifel weg. »Kaiba ist trotzdem ein Arsch«, beharrte ich trotzig und verschränkte meine Arme vor der Brust. »Er hat dir einen Vertrag für so eine große Sache gegeben, dir den Rücken gestärkt bei der Konferenz und dich anscheinend in beste Hände übergeben«, fasste Yugi für mich zusammen und ich sah das Lächeln an seinen Lippen zupfen. Ich schob meinen Mund vor. Wenn er es so ausdrücken musste – »Einer, der manchmal nicht ganz so – arschig ist«, gab ich widerwillig zu. »Naja, morgen ist eh schon der letzte Praktikumstag«, gab er zu bedenken, »dann hast du hier wieder Ruhe vor ihm, nicht?« Etwas in meinem Bauch knüllte sich zusammen. Der letzte Tag. Vor lauter Kaiba Corporation, Vertrag und Konferenzen hatte ich das völlig vergessen. Zwei Wochen waren schon wieder vorbei. »Ja, dann ist wieder alles beim Alten. Oder so.« Ich setzte mich auf und spürte Yugis Blick auf meinem Hinterkopf. »Wir sollten grillen oder was machen irgendwie«, murmelte ich. »Also nach dem Praktikum.« »So zum Abschluss?« »Quatsch«, widersprach ich, »ist mir doch egal, wenn Kaiba nicht mehr hier auftaucht. Umso besser.« »Ich hab Kaiba mit keiner Silbe erwähnt.« Ich drehte meinen Kopf zu ihm. Mein Blick verdüsterte sich angesichts seines strahlenden Lächelns. »Aber wie wäre es wirklich mit einem Abschluss-Grillen? Großvater wäre sicher begeistert. Du, Kaiba, er, Tristan, ich – Mokuba würde bestimmt auch gerne kommen.« Hätte eine lustige Runde werden können. Wäre Kaiba nicht Kaiba und die Sache mit Tristan nicht so kompliziert. Aber Yugis Optimismus ließ mich langsam nicken. Was konnte schon groß passieren? Kaiba würde eh ablehnen und Tristan – naja. Irgendwie würde es sich einrenken. »Unter einer Bedingung«, schränkte ich ein und bedachte Yugi mit einem ernsten Blick, er erwiderte ihn, seine großen Augen treudoof ergeben,»du bleibst vom Grill weg.« Wenigstens hatte er den Anstand, zu erröten. »Okay, wer fragt Kaiba?«, wollte ich gedehnt wissen und wusste doch schon sofort die Antwort. Yugi grinste.   Am Abend schlenderte ich durch mein Viertel. Es war Teil meiner Kindheit, Teil meiner Perspektive. Ich hatte doch bisher alles irgendwie von hier aus erlebt. Ich trottete an dem Wohnblock vorbei, wo Tristan lebte, zögerte und schritt weiter. Die Wände verschmiert, mit Parolen und Wörtern, Tags und Bildern. Manche waren von mir. Die meisten blätterten ab oder waren übersprayed. Das Wohnhaus, indem ich groß geworden war, war grau – früher war es einmal weiß gestrichen, aber daran konnte ich mich nicht erinnern. Vielleicht war es auch vor meiner Zeit gewesen. Wenn ich durch diese Straßen ging, wusste ich, dass es immer ein Teil von mir sein würde – selbst, wenn ich irgendwann meine Sachen packen und abhauen könnte. Dieses Viertel war in mir drin. Als ich die Wohnung betrat, bemerkte ich mit Erleichterung, dass mein Vater nirgends zu finden war.   Am nächsten Morgen stand ich schon an der Tür, mein Rucksack über eine Schulter geworfen, wollte gerade los gehen Richtung Laden, als mich ein lautes Scheppern inne halten ließ. Ein Rumms. Und dann Stille. Ich zögerte. Am einfachsten wäre, es zu ignorieren. Wäre ich zehn Minuten früher gegangen, dann hätte ich es ja auch nicht gehört, also warum – ich könnte einfach – mit einem genervten Seufzen wandte ich mich um und trottete zum Schlafzimmer meines Vaters. Er lag auf dem Boden, jammerte leise vor sich her und bemerkte mich erst, als ich ihn ansprach. »Musst du nicht arbeiten?« »Ich bin krank«, behauptete er, hielt sich den Kopf und zog sich schwerfällig auf die Beine. »Du bist nicht krank, du hast'n Kater.« Damit war auch geklärt, wo er gestern Abend abgeblieben war. »Nein, ich bin krank«, beharrte er. Mein Blick schweifte in dem Zimmer umher und blieb dann wieder auf dem Mann liegen, der sich in sein Bett schleppte. Vielleicht hatte er gar nicht mal so Unrecht. Normal war das hier eh nicht. »Was hast du gestern gemacht?« »Ich muss mich vor dir net rechtfertigen, Bengel. Zieh Leine«, schnauzte er und ich zuckte die Schultern, kein bisschen beeindruckt von seiner Rage. »Du solltest damit aufhören«, murmelte ich und fragte mich gleichzeitig, warum ich es überhaupt noch sagte. »Verschwinde«, zischte er, »hau doch ab. So wie deine Mutter!« Für einen Moment stockte mein Atem, schaute ihn an, als hätte er mir vorgeschlagen, in meine Augen Essig zu kippen. Ungefähr so fühlte ich mich. Doch dann schnaubte ich bloß. »Du bist dir doch nur selbst peinlich.« »Hör auf! Hau ab!«, schrie er plötzlich los. »Du bekommst doch eh nichts hin! Und hör auf, mich so anzuglotzen! Wie deine Mutter, die dreckige Hure! Du bist wie sie! Eine Schande! Eine verdammte –« Ich zog die Tür hinter mir zu. Wäre ich nur zehn Minuten früher gegangen.   Der Weg zum Laden zog sich. Ich wusste, ich sollte nicht darüber nachdenken – aber ich tat es. Seine Worte stachen in meine Gedanken, schwirrten wie Wespen um mich herum. Ich konnte sie kaum ignorieren. Nachher würde er sich wieder entschuldigen, mich mit seinen Augen um Verzeihung bitten und behaupten, dass er meine Mutter noch immer liebte. Ich wusste nicht, was schlimmer war: Wenn er ausrastete oder wenn er zusammenbrach. Alles, was ich spürte, war meine Kraftlosigkeit. Als könnte mir niemand diese Last von den Schultern nehmen, von der ich nicht einmal wusste, woher sie kam. Hilflosigkeit. Ein Rennen im Kreis. Machtlos zuzusehen, wie sich mein Vater zugrunde richtete.   Die Glocke läutete, als ich die Tür aufzog und mit einem breiten Grinsen den Laden betrat. »Du bist zu spät, Wheeler«, fuhr mich Kaiba an, der irgendetwas auf ein Tablet tippte, die Vitrinen abging und wieder tippte. Ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Du mich auch«, grummelte ich. Er senkte das Tablet in seinen Händen etwas und fixierte mich plötzlich. »Dein Verhalten, Wheeler, ist eine Zumutung für jeden deiner Mitmenschen. Sicherlich ist dir außerdem nicht entgangen, dass du hiermit dein Statement gegenüber Herrn Le widerlegst.« Ich schmiss meinen Rucksack unter die Theke und ließ mich auf den Stuhl fallen. »Hä? Muss ich wissen, was du wieder laberst?«, fragte ich nach und verhüllte mit keiner Silbe, dass es mir total egal war, was er von sich gab. »Seit wann ist Pünktlichkeit eine deiner Stärken?«, höhnte er. Ich wusste im ersten Moment immer noch nicht, wovon er sprach. Aber dann machte es klick. »Oh. Ich hab da vorgestern nicht meine Pünktlichkeit gemeint. Ich meinte, meine Superkraft, mich gegen Ärsche zu behaupten, Geldsack.« »Eine erbärmliche Superkraft«, spöttelte Kaiba und tippte weiter. »Nicht, wenn man sie braucht«, murmelte ich. Kaiba schnaubte. Es war einen Moment still. Ich dachte schon, er hätte mein Gemurmel nicht gehört – oder würde es zumindest ignorieren. Aber da lag ich falsch. »Suhlst du dich im Selbstmitleid? Was ist passiert, Köter? Hat dein Vater –« Als wäre das ein geheimes Kennwort, fuhr ich herum, stierte ihn an und unterdrückte meine Wut mit mäßigem Erfolg. »Halt dein Maul«, zischte ich. »Oh, der getroffene Hund bellt.« Ich ballte meine Fäuste. »Willst du mich jetzt schlagen, Wheeler? Schlägt dich dein Va-« Ich packte ihn am Kragen, zog ihn ganz nah und funkelte ihn an. »Halt. Dein. Maul«, stieß ich atemlos hervor. »Ich wurde nie von meinem Vater geschlagen, kapiert? Bist du jetzt enttäuscht? Zerbricht dein Weltbild dran? Nein, mein Vater macht genug Stress, aber geschlagen hat er mich nie. Zufrieden?« »Mehr als ich behaupten kann. Dann kannst du dich doch glücklich schätzen.« Der Hohn in seinem Ton saugte die Luft aus meinen Lungen. Irgendetwas an seinen Worten drängte mich einen Schritt zurück. Ich ließ ihn erschrocken los. Du bist nicht der Einzige mit einer schwierigen Familie, Joey. Tristans Worte hallten in meinem Kopf. Sicher. Es gab eine Menge zerrütteter Familien. Väter und Mütter waren auch nur Menschen und manche von ihnen ziemlich kaputte. Aber Kaiba? Aus einer schwierigen Familie? Niemals. Ich beobachtete, wie Kaiba seine Schulten straffte, seinen Kragen richtete und mich dann fixierte. »Du hast zwei Möglichkeiten, Wheeler. Entweder du heulst weiter herum, weil das Leben nicht fair ist und stehst in zehn Jahren noch immer an derselben Stelle oder du reißt sich zusammen. Kommst pünktlich zur Arbeit, machst deine Sachen gut und zuverlässig und nutzt das, was du hast.« Sein Blick wanderte über mich und ich reckte das Kinn. »Egal wie wenig es auch ist«, spöttelte er und drehte sich dann um. Die Lust auf Gegrilltes war mir vergangen.   Am Nachmittag schlängelte sich Mokuba zwischen Schülern vor dem Laden hindurch und grinste mich triumphierend an. »Ich wusste es«, behauptete er und ich hob meine Brauen, senkte das Magazin in meinen Händen und schritt um die Theke herum, während ich ihn fragte, was er zu wissen glaubte. »Dass du es allen zeigen wirst. Ich hab von Sarah die Story über Herrn Le gehört. Ich mochte ihn noch nie. Wäre zu gern dabei gewesen, als du ihm mal deine Meinung gesagt hast.« Ich zuckte die Achseln, musste aber grinsen. Trotz des mulmigen Gefühls seit meinem Zusammenstoß mit Kaiba, steckte mich seine Laune an. »Was machst du eigentlich hier? Dein Bruder –« »Ach, bin nicht wegen ihm da, sondern wegen dir. Hab die Geschichte gerade von Sarah erzählt bekommen. Sie meinte, die Story würde die Gerüchteküche der KC zum Kochen bringen.« Ich legte mein Magazin zur Seite und schaute mich im Laden um, nur ein paar Jungs schwärmten an einer Vitrine wegen ein paar Rare-Cards. »Was? Wieso das denn?«, fragte ich Mokuba. »Naja, ist ja nicht jeden Tag so, dass sich jemand mit ihm anlegt.« Mir wurde ein bisschen anders. »Anlegt? Das ist doch etwas krass ausgedrückt«, beschwichtigte ich, doch Mokuba war nicht zu bremsen. »Ich heiße Joey Wheeler und mir ist egal, an wen Sie dachten – hast du das gesagt, oder nicht?« »Ja, also –« »Stimmt es, dass du gesagt hast, dass dich mein Bruder manchmal ankotzt?« »Ähm –« Ich überlegte einen Moment. »Daran kann ich mich nicht mehr –« »Ja, das sagte er.« Kaibas Stimme ließ uns herumfahren. Mokuba brach in Gekicher aus und ich stand da und grinste verlegen. Kaiba bedachte mich mit einem Blick, der jeden anderen um einige Zentimeter geschrumpft hätte. Das Blau seiner Augen dunkel wie der Himmel vor einem Gewitter. »Und – wenn er sagt, ich bekomm das hin, dann bekomm ich das hin? Joey, hast du das echt gesagt?« »Ähm –« Kaibas Blick brannte sich in meinen. »Ja«, antwortete er für mich, »das hat er.« »Vor allen? Ich meine – einfach so während der Konferenz?« Mokubas Grinsen verbreiterte seine Wangen so, dass es schmerzen musste. Ich nickte langsam. »Genial«, behauptete er. Das Blau von Kaibas Augen hellte auf und ich verstand nicht, warum. Ein Kribbeln erwärmte meinen Bauch von innen, als die Türklingel unsere Aufmerksamkeit Richtung Eingang zog, wo Yugi uns mit einem Winken begrüßte. »Geschafft?«, fragte ich, als er sich zu uns gesellte und er nickte. »Geschafft. Hast du ihn schon gefragt?« Damit hatte er natürlich Kaibas Misstrauen geweckt. Ich druckste herum, fuhr mir durchs Haar und verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Also – eigentlich – ich wollte heute Morgen, aber – dann – also –« Yugi seufzte, Mokuba beobachtete die Szene und Kaiba verschränkte die Arme vor der Brust. Obwohl weder der eine, noch der andere nachfragten, stand in ihren Gesichtern geschrieben, dass es sie interessierte, was heute Morgen gewesen war – ich hatte aber keinerlei Interesse, das jetzt auszurollen. »Aber wie auch immer. Also. Ich mach's kurz«, beschloss ich genervt und Yugi nickte mir ermutigend zu. »Kaiba, wenn du Lust hast, was mir natürlich egal wäre, ob oder nicht, dann könntest du, wenn du deine Firma für ein paar Stunden alleine lassen könntest – was du bestimmt nicht kannst, also hat es sich eh schon erledigt –« Kaibas Augenbrauen begannen zu zucken. »Wenn das also möglich wäre, dann könntest du – und natürlich auch Mokuba – wenn er auch Lust hat und so – er muss ja nicht einmal auf deine Firma aufpassen – dann –« Kaibas Stirn lag in Furchen. »Könntet ihr beide – und das wollte ich schon heute Morgen ansprechen, aber du bist ja so ein arroganter Bastard, dass –« »Wheeler, wenn du mich nicht umgehend in Kenntnis setzt, was dein Gekläffe bedeuten soll, dann werde ich dir ein Halsband anlegen und dich am nächsten Laternenmast aussetzen, damit ich es nicht mehr anhören muss.« Ich glubschte ihn einen Augenblick lang an, dann verdunkelte sich mein Blick. »Du arroganter Eisschrank, ich bin kein Hund, du bescheuerter –« »Deine Assoziationen sprechen dafür«, behauptete er. »Meine Assoziationen sprechen überhaupt nicht dafür.« »Du weißt nicht einmal, was eine Assoziation ist.« »Weiß ich sehr wohl, du großkotziger Kotzbrocken!« »Was wollte er denn fragen?«, hörte ich, wie sich Mokuba an Yugi wandte, ließ uns aber nicht aus den Augen. Mit einem Schnauben antwortete ich: »Euch zu 'nem Grillabend einladen. Als Abschluss. Also so halt.« »Oh, echt? Wie schön! Das ist echt ne tolle Idee, stimmt's, Seto?«, rief Mokuba. Wenn er Lust hätte, was mir natürlich egal wäre, ob oder nicht, dann hätte er, wenn er seine Firma für ein paar Stunden hätte alleine lassen können – was er bestimmt nicht konnte und/oder würde, also hatte es sich eh schon erledigt – dann hätte ich der Höflichkeit halber gefragt und gut wär's. So viel zum Plan. Yugi wäre zufrieden. Mokuba wäre trotzdem eingeladen. Kaiba könnte machen, was er wollte und ich –   »Wann sollen wir da sein?«   Mokuba starrte seinen Bruder an. Yugi starrte mich an. Ich starrte Kaiba an, öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder. Zuerst hielt ich es für Spott, einen schlechten Scherz, aber Kaibas Blick sagte etwas Anderes. Als ich nichts antwortete, sprang Yugi ein: »Gegen achtzehn Uhr.« Kaiba hob sein Kinn, packte seinen Aktenkoffer, bedeutete Mokuba ihm zu folgen und entgegnete: »Ich hoffe, dass ich meine Zeit nicht verschwenden werde.« Damit ließ er uns stehen. Ich sah ihm nach, brodelte und atmete tief ein, doch bevor ich hätte anfangen können, regte sich Mokuba. »Ich glaube, was er sagen wollte«, begann er leise, »war vielen Dank für die Einladung.« Mokuba lächelte schief und mein Ärger verpuffte. Yugi legte seine Hand auf die Schulter des Jungen und behauptete, dass wir das doch wüssten. Dass Kaiba mit seinen Freunden manchmal nicht umzugehen wüsste. Dass das kein Problem wäre. Dass er sich freute, wenn die beiden kommen würden. »Stimmt's, Joey?«, wandte er sich an mich. Ich nickte langsam. Mokubas Lächeln entschädigte für Kaibas Arroganz. Als ihn sein Bruder ungeduldig rief, hob er die Hand und folgte seinem Bruder, der draußen bereits wartete.   »Yugi.« Er schaute mich von unten an und ich murrte die nächsten Worte, als hätte er mir ganz schön etwas eingebrockt. »Seit wann sind wir mit dem arroganten Geldsack befreundet? So ein Quatsch! Wir sind nicht mit ihm befreundet, Kumpel! Wir sind zufällig in derselben Stadt, zufällig in derselben Klasse! Wir sind doch nicht – also wirklich! Befreundet! So ein –« Yugi lächelte nur.   Kaiba war nicht der Typ, bei jemandem einfach vorbeizukommen, einen gemütlichen Abend zu verbringen und mit Freunden abzuhängen. Eigentlich war er nicht einmal der Typ, Freunde zu haben. Er war erfolgreich, reich und berühmt. Aber nicht beliebt. Mit Kaiba holte man sich seine persönliche Nemesis ins Haus. Ich war echt bescheuert. Aber wer rechnete auch mit einer Zusage? Oder mit Kaibas Freundschaft?   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)