Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 27: … ist ein Spielverderber ------------------------------------ __________________________________________   Spielverderber kennen die Regeln am exaktesten. © Martin Gerhard Reisenberg   __________________________________________           Seto Kaiba entwickelte die spannendsten Spiele und war erfolgreichster Unternehmer im Bereich der Unterhaltungsbranche. Von außen betrachtet musste man einfach davon ausgehen, dass er verstand, wie man Spaß hatte – wenigstens wie man einen schönen Abend mit Spielen verbrachte. So einen Abend mit Freunden zum Beispiel. Aber dafür war Seto Kaiba vielleicht zu alt. Nicht wegen seines biologischen Alters – das mit sechzehn ja wahrlich nicht besonders fortgeschritten war – sondern wegen dem, was sich in seinem Kopf abspielte. Spiele waren für ihn Arbeit, sie waren für ihn Kapitalanlagen, Projekte und Produkte. Vielleicht war er deswegen so ein Spielverderber.   »Ich bin dann mal weg«, rief ich über meine Schulter ins Wohnzimmer, wo mein Vater vor dem Fernseher saß, eine Dose in der Hand. Ich konnte nicht mal sagen, ob er mich wahrgenommen hatte, als er aufstand und mich fragte, wohin ich wollte. »Raus. Was interessiert's dich?« »Wohin?«, wiederholte er und kam mir näher. Ich starrte die Dose an, die er in seiner Hand schwang. »Zu Yugi.« Er machte einen weiteren Schritt, dann nickte er, wandte sich um und ließ sich zurück auf die Couch fallen. Ich schnappte mir meine Tasche und verschwand aus der Wohnung.   Kurz nach fünf trudelte ich bei Yugi ein, schlenderte durch die Tür in den Laden und hörte ihn und Herrn Muto im Garten hinten werkeln. Beide hantierten mit Bierbänken herum, den Tisch hatten sie schon im Schatten des Apfelbaums aufgestellt und ein paar Lampions aufgehängt. »Hey, Joey! Du bist aber früh!« Yugi wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Schwüle ließ auch mein T-Shirt am Rücken kleben. »Ich dachte, ich kann n bisschen helfen, Kumpel.« Ich grinste ihn an. Musste ja nicht betonen, dass hier zu helfen wie Urlaub war. Kein Vergleich zu dem Stress mit meinem Vater zu Hause. Meine Gedanken strudelten zu der Szene vorhin. Irgendwie hatte sich mein Vater doch seltsam verhalten, oder? Also seltsamer als sonst. Ich hob und senkte die Schultern. Yugi lächelte, aber in seinen Gesichtszügen zuckte so etwas wie Sorge – oder bildete ich mir das nur ein? Wir stellten den Grill auf, zogen eine weiße Tischdecke über den Tisch, den wir mit ein paar Kerzen dekorierten und backten das Brot im Ofen auf. Yugi stellte Salate auf einen kleinen Nebentisch sowie Geschirr.   Wir beschauten unser Werk. Ich lehnte gegen den Tisch, während Yugi auf der Bank saß. Hinter den Häusern stand die Sonne und tauchte alles in ein warmes Licht. Herr Muto saß abseits und blätterte durch eines dieser Magazine, die Kaiba ihm überlassen hatte. Der Brunnen gluckerte und ich beobachtete gerade die Fische im Teich, als Yugi sagte, was er zu sagen hatte. »Joey, weißt du. Ich denke, es wäre gut, wenn du in einer ruhigen Minute mit Tris reden würdest. Er vermisst dich und es ist einfach nicht richtig, wie es momentan zwischen euch ist.« Ich spannte mich instinktiv an, straffte meine Schultern und reckte mein Kinn. »Was sollen wir schon reden? Ne Entschuldigung schuldet er mir, ja.« »Ihr könntet euch gleichzeitig beieinander entschuldigen«, schlug Yugi vor, was mich die Augen verdrehen ließ. Manchmal wunderte es mich nicht, warum Kaiba uns als Kindergarten bezeichnete. »Sag mir nur einen gescheiten Grund, warum ihr nicht miteinander reden solltet und ich akzeptiere es sofort.« Vielleicht hatte es den mal gegeben, aber inzwischen hatte ich ihn vergessen. Vielleicht war er auch nie wirklich relevant gewesen. Wahrscheinlich war es einfach nur so, wie Yugi sagte: nicht richtig, wie es momentan war. Er legte seine Hand auf meinen Arm, was mich dazu brachte, ihn anzusehen. In dem Moment wusste ich, dass ich verloren hatte. Gegen Yugi verlor ich immer. »Na, schön«, seufzte ich, »na, schön.«   Manchmal war das Leben verdammt schwer. Solche Tage und Wochen, in denen man nicht mehr wusste, wie's weitergehen sollte, wo man an sich zweifelte – und das vielleicht sogar zurecht.   Gegen sechs Uhr klopfte jemand an der Hintertür zum Garten. Yugi öffnete sie und Tristan schlenderte in den Garten, klopfte Yugi auf die Schulter, während sie Seite an Seite zu uns schritten. Tristan stand vor mir und wir schwiegen. Verlegen scharrte ich mit meinem Turnschuh über den Rasen, Tristan schaute über meine Schulter, fuhr sich durch das Haar. »Es –« »Also –« Wir sahen uns an und lachten los. Unsere Freundschaft hatte noch nie auf Worten basiert. Stattdessen klopfte er mir auf die Schulter, ich drückte ihn an mich. »Sorry, Alter«, raunte ich, während er mit einem Tschuldige antwortete. Manchmal war das Leben verdammt schwer. Solche Tage und Wochen, in denen man nicht mehr wusste, wie's weitergehen sollte, wo man an sich zweifelte – und das vielleicht sogar zurecht. Und dann gab es diese Momente, wo alles wieder in Ordnung schien. Es war dumm gewesen, meine Zweifel an Tristan auszulassen. Vielleicht hatte er sogar in manchen Punkten Recht gehabt, aber darum machte ich mir in dem Moment keine großen Gedanken. Denn gerade erblickte ich, wie Yugi mit Mokuba, der eine riesige Salatschüssel vor seiner Brust trug, zu uns trottete. Kaiba folgte ihnen. Kaiba mit einer Kuchenplatte voller Muffins. Meine Lippen bogen sich ohne mein Zutun zu einem fetten Grinsen. »Hey, Mokuba!«, grüßte ich und er grinste mir zu, als würde ihn meines anstecken. »Hey, Kaiba. Hast du die selbst gebacken?« Seine Miene verdunkelte sich. »Hier«, erwiderte er nur und schmiss mir seinen Mantel entgegen. »Wenn du ihn schmutzig machst, dann bezahlst du die Reinigung.« »Hey, ich bin nicht dein –« Yugis Kopfschütteln brachte mich dazu, meinen Satz so in der Luft hängen zu lassen und mit einem Seufzen in den Laden zu trotten, um Kaibas blöden Mantel aufzuhängen. Als ich zurückkam, saßen Mokuba, Tristan, Yugi und dessen Großvater am Tisch. Kaiba stand neben dem Buffet bei seinen Muffins, als befürchtete er, jemand könnte sie stehlen. Ich schlenderte am Tisch vorbei, wo sie sich fiebernd unterhielten und lehnte mich an die andere Seite des Buffets, wo Kaiba stand. Es war mir nie in den Sinn gekommen, mich zu fragen, ob Seto Kaiba Freunde besuchte, mit ihnen grillte und einen schönen Abend verbrachte. Vielleicht, weil ich mich nie gefragt hatte, ob er Freunde hatte. Solche, die in seinem Alter waren und keine Geschäftspartner. Aber genau diese Frage durchzuckte mein Gehirn, als ich sah, wie Kaiba da in Yugis Garten stand, an dem Buffet und irgendwie verloren wirkte, obwohl seine Mimik Bände sprach. Es war klar, dass er kein Gespräch suchte. Und es war klar, dass mich das noch nie davon abgehalten hatte. »Hast du Hunger?«, fragte ich, woraufhin er mir einen Blick aus schmalen Augen zuwarf. »Weil du dich so an den Tisch hier klammerst«, fuhr ich fort, als hätte er die Frage gestellt, die dazu passte. »Ich klammer mich an nichts.« »Ja, schon klar«, erwiderte ich und stieß mich vom Tisch ab. »Aber essen musst du auch, oder? Oder reichen dir Lust und Liebe?« Mein Frotzeln verdunkelte seinen Blick. »Hey, hat jemand Hunger? Ich würd dann mal anfangen!«, rief ich über meine Schulter. Zustimmende Rufe, Tris warf mir ein foppendes Endlich, Mann an den Kopf und Mokuba nickte eifrig. Ich konnte Kaibas Blick förmlich durch meinen Hinterkopf brennen spüren, während ich mich dran machte, die Kohle zum Glühen zu bringen. »Seto«, Mokubas Stimme tauchte hinter mir auf, »Yugi hat grade erzählt, dass Industrial Illusions –« Bei dem Stichwort schritt Kaiba schneller mit zurück an den Tisch, als ich hätte Würstchen sagen können. »– auch ein Turnier planen«, hörte ich Mokuba weitersprechen, während sie zusammen Richtung Gruppe zogen. Tris verband sein Smartphone mit den Boxen und öffnete eine Musikliste, die bestimmt den Namen Alles, was sonst auf keine meiner Listen passt trug. Vor mir auf dem Grill brutzelte das Fleisch, hinter mir brach Yugis Großvater in Lachen aus – sein Lachen bescherte mir immer eine Wärme – um mich herum waberten die Töne einer Gitarre und ein Lied auf Spanisch (oder Italienisch?), das ich nicht verstand, aber mich an Sommer erinnerte und Urlaub. Manchmal war das Leben einfach super. Nicht nur. Aber auch.   »Mokuba meinte, bevor wir herkamen, ich solle mich konstruktiv einbringen.« Kaibas Stimme ließ mich herumfahren. Sein Ton schwankte zwischen Spott und Resignation. »Hä?«, machte ich nur, voll aus meinen Gedanken gerissen, als er mir ein Glas in die Hände drückte. »Äh, danke.« »Ich würde mich jetzt um den Grill kümmern«, sagte er. Es war mir nie in den Sinn gekommen, mich zu fragen, ob Seto Kaibas herrischer Tonfall daher rührte, weil er nicht wusste, wie man mit Freunden sprach. »Ah – ähm – das mach ich. Kein Ding.« »Ich bin durchaus in der Lage, diese Würstchen zum richtigen Zeitpunkt umzudrehen, Wheeler.« »Ja, trotzdem. Passt schon.« »Gib her«, befahl er und zog mir die Grillgabel aus der Hand – zumindest fast. »Was? Nein. Lass es.« Ich hatte mich auch nie gefragt, ob Seto Kaiba mit mir eines Tages um eine Grillgabel streiten würde. »Streitet ihr euch um die Wurst?« Mokuba betrachtete unserer beider Hände, die sich jeweils um die Gabel gelegt hatten und mein Blick schnellte von dem einen Kaiba zum anderen. »Wir streiten nicht«, behauptete ich, »wir führen eine Diskussion über Kompetenzbereiche.« Kaiba betrachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Seit wann hast du einen Kompetenzbereich?« »Spätestens seit ich den Vertrag unterschrieben hab, frag Sarah.« Ich grinste ihn an, Mokuba kicherte und Kaibas Mundwinkel zuckte – was er im Nachhinein bestreiten würde. »Isses mal bald fertig?« Tristan tauchte hinter mir auf, legte seinen Arm um meinen Hals, erwürgte mich teils und umarmte mich halb. Kaiba verzog sich, als wären ihm zwei von unserer Sorte zu viel. Mokuba folgte ihm, als fühlte er sich für ihn verantwortlich. »Alter, es is fertig, wenn's fertig ist!«, murrte ich. Tristan spannte mich in ein Geplänkel ein, aber ich beobachtete Kaiba – nicht, weil er interessanter gewesen wäre – sondern weil er so zwischen meinen Freunden herausstach, dass ich ihn gar nicht nicht hätte beobachten können. »Die Kaiba Corp ist riesig, ne. Hab mich am Anfang dauernd verlaufen«, fing er einen Faden auf, den ich verpasst haben musste. Oder woher kam das Thema? Tristans Blick folgte meinem und ich schaute zurück zu den Würstchen auf dem Grill. »Ja«, murmelte ich, »ist ne völlig eigene Welt irgendwie.« Eine Welt, in die wir nicht gehörten. Erging es Kaiba so auf diesem Grillabend?   Seto Kaiba war bekannterweise unglaublich reich, intelligent, gutaussehend. Und ein arroganter Arsch. Aber manchmal war er auch einfach nur ein Außenseiter. Er wirkte mit seiner Gestik und Sprache so fehl am Platz – zwischen uns, die sich kannten und mochten. Er gehörte hier nicht rein. Und sicherlich wusste er das selbst am besten. Aber wohin gehörte er? Dann wenn er nicht der Geschäftsmann oder Schüler war. Was war Seto Kaiba außerhalb der Rollen, in denen ihn jeder kannte?   Nach dem Essen quatschten wir. Tristan lachte, als ich ihm von Herrn Le erzählte. Kaiba musterte uns mit gerunzelter Stirn. Yugi, Herr Muto und Mokuba hatten die Köpfe zusammen gesteckt, als Tristan mit dem Vorschlag kam, etwas zu spielen. Es war so etwas wie Tradition. Es gab einfach keinen Abend, an dem wir zusammen saßen, an dem wir nicht etwas gespielt hätten. War auch irgendwie einleuchtend, wenn man die Runde betrachtete: Yugi, der Spielekönig, sein Großvater, der einen Spielladen besaß, ich, der alles zockte, was ging, und Tristan, der so tickte wie ich. Und dann kamen heute Abend noch Kaiba und Mokuba hinzu. Zwei Gründe, die eher für ein Spiel sprachen, als dagegen. Mokuba, Yugi und dessen Großvater stimmten voller Freude zu. Ich nickte. »An was hast du gedacht?«, hakte Kaiba nach und er wirkte tatsächlich interessiert. Das war ein seltenes Phänomen, denn sonst klangen seine Nachfragen verdächtig so, als müsste er lästige Insekten verscheuchen.    »Uuund – die Zeit läuft!« Tristan drehte die Sanduhr um. Die Regeln des Spiels waren simpel. Ein Wort sollte man seinem Team erklären, die es erraten mussten. Ich stotterte, fuhr mir durchs Haar. »Nein, nicht die Karte weglegen, Köter. Wir werden keine weiteren Punkte deinetwegen abgezogen bekommen! Erklär. Die. Karte!« Ich brummte. »Ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll.« »Das ist nicht weiter überraschend.« Das Spiel wäre einfacher gewesen, hätte die Auszählung nicht Kaiba und mich in ein Team verfrachtet. »Ich denke, du hast – also –« »Die Zeit!«, raunte Tristan, der im anderen Team war mit Schadenfreude und ich verpasste ihm einen giftigen Blick. »Also – es ist, wenn man – gut ist und viel – also kann.« »Fähigkeit«, bot Yugis Großvater an. »Erfolg!«, warf Kaiba zeitgleich ein. »Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, Mann!«, murmelte ich und starrte auf die Begriffe auf der Karte, die ich nicht benutzen durfte, um den Begriff zu erklären. »Tu es einfach!«, ordnete Kaiba an und ich musterte ihn, dann machte es Klick bei mir. »Kaiba hat es!«, rief ich begeistert. »Ziemlich viel davon!« »Größenwahn«, hörte ich Tristan von der Seite murmeln. »Eine Firma?« Herrn Mutos Vorschlag klang wie eine Frage. »Geld«, warf Kaiba ein. »Nein, es – also ja, aber das meinte ich nicht«, erklärte ich, zunehmend verzweifelt. Die Körner in der Sanduhr rieselten durch die Enge, bis Tristan mit einem Klatschen verkündete, dass die Zeit um war. Mit einem Seufzen zeigte ich die Karte. Talent stand drauf. Es wurde ruhig am Tisch. Yugi und Tristan warfen sich Blicke zu. Mokuba fixierte mich, Herr Mutos Augenpaar wanderte zwischen Kaiba und mir hin und her, als wartete er auf eine Reaktion und Kaiba starrte die Karte an. »Was?«, verlangte ich zu wissen und ließ meinen Blick über die Runde ziehen. »Ihr tut so, als wäre das was Neues. Es ist doch klar, dass der Geldsack«, ich zeigte mit der Karte in der Hand auf Kaiba, »verdammt viel Talent hat. Ist doch keine Neuigkeit. Er ist'n Genie.« Ich zuckte die Achseln. »Aber er ist halt nicht so eines, das man bewundert, sondern so eins, bei dem man befürchten muss, dass es eines Tages die Weltherrschaft an sich reißt.« Mokuba brach als erster in Lachen aus.   Wir spielten noch zwei weitere Runden, die wir auch verloren. Kaiba behauptete trotz seiner Erklärungen der Begriffe – ich gerade deswegen. (»Das war nicht offensichtlich, Kaiba!« »Franz Mars berühmtes Gemälde ist Das blaue Reiter. Das Bild zeigt ein blaues Pferd. Der Begriff, der zu erraten war, war Pferd, Flohschleuder.« »Klar, total offensichtlich.« »Absolut.«) Kaiba warf mir Inkompetenz vor, ich ihm Lebensfremdheit. (»Was meinst du mit Ich dachte, Eminem ist ein Schauspieler?«) Ich erkannte, wer ich war. (»Bin ich reich, ein nervtötender Geldsack mit der wahnhaften Einbildung, ich wäre besser als jeder andere?« »Wheeler, du darfst nur eine Frage stellen.« »Okay, klar. Also – bin ich Kaiba?«) Und Kaiba, wer er war. (»Lasst mich raten. Bin ich eine inkompetente Flohschleuder, deren kognitives Limit an das einer Banane reicht, die von einem Affen verspeist wird, der mindestens einen dreifach so hohen IQ besitzt wie die Person, deren Namen auf dem Zettel an meiner Stirn steht?« »Kaiba, du darfst nur eine Frage stellen!« »Das war nur eine.«) Die Sommernacht war lau und die Lampions glühten zwischen den Ästen. Die spanische Musik war einem Sommerhit gewichen. Hinten quatschte Tristan mit Mokuba und Yugi. Kaiba stand am Buffet mit verschränkten Armen, aber seine Mimik wirkte nicht verkniffen oder gelangweilt, sondern fast entspannt. Als ich zum Buffet schlenderte, begriff ich, was Yugi mir vor ein paar Wochen versucht hatte zu erklären. Wenn man sich eine Stunde langweilte, dann schlichen die Minuten. Wenn man dieselbe Zeit mit Freunden verbrachte, dann rasten sie. Relativität.   Mein Blick fuhr auf zu Kaiba. Er nahm sich einen Muffin von der Platte – natürlich einen mit extra viel Schokolade – und aß ihn im Stehen. Ich aß drei in derselben Zeit. »Gar nicht mal so scheiße, oder?«, fragte ich, während ich hinter ihm am Buffet auftauchte und er warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Ich mein den Abend und so.« »Mhm.« »Auch ne Cola?« Ich schenkte mir gerade sowieso ein. »Mhm.« Also ja, kein beschissener Abend und keine Cola. Ich wusste nicht, wie ich es machte, dass ich wusste, ob es ein Ja oder ein Nein war. Aber ich wusste es. Vielleicht waren es seine Augenbrauen und Mundwinkel, wie er sie verzog. »Was machst du eigentlich sonst an solchen Abenden?«, fragte ich und setzte das Glas an meine Lippen. Es hörte sich an wie Smalltalk, aber bei Kaiba gab es so etwas nicht. Alles hatte eine Bedeutung. Hinter uns erzählte Yugis Großvater die Geschichte, als er in Ägypten war. Yugi musste jedes Wort mitsprechen können und selbst Tristan kannte die Geschichte auswendig, aber mit Mokuba hatte der alte Mann einen neuen Zuhörer gewonnen. »Ich arbeite, Wheeler, immerhin habe ich eine Firma zu leiten.« »Machst du nie mal blau oder so? Oder machst Urlaub?« Niemand konnte nur arbeiten. Und bewies Kaiba nicht mit seinem Auftauchen hier, dass selbst er ein Privatleben hatte? »Doch natürlich. In der Schule mache ich Urlaub von der Firma und in der Firma Urlaub von der Schule. Ziemlich viel Urlaub – so gesehen.« Ich betrachtete ihn von der Seite. Trotz seines ernsten Tonfalls sah ich, wie seine Mundwinkel zuckten, ehe er sich räusperte und in den Muffin biss. Ich glaubte, dass das eben so etwas wie ein Scherz gewesen war – so eine Art scherzhafte Bemerkung zumindest. Kaibas Humor war subtil. »Hey, stellt die Muffins doch einfach hier aufn Tisch! Die sind echt gut«, lobte Tristan, als er sah, wie ich mir einen in den Mund stopfte. Yugi nickte. »Das Rezept ist ein altes aus der Familie«, erwiderte Mokuba, als enthüllte er ein Geheimnis, während Kaiba und ich uns zu ihnen setzten, die Platte mit den Muffins mittig auf den Tisch gestellt. Als ich mich auf die Bank setzte, berührte mein Bein seines. Ich zuckte zurück. »Welches Rezept?«, schmatzte ich. »Wahrscheinlich solltest du nicht gleichzeitig essen und sprechen, Hündchen. Nicht, dass das noch einen Kurzschluss gibt.« Ich verdrehte die Augen, aber zuckte die Schultern. »Solange ich von deinen Muffins essen kann, würde ich sogar aufs Sprechen verzichten«, behauptete ich schmatzend. Mokuba schnaufte amüsiert. Kaibas Mimik war blank. Und der Abend lief weiter, Stunde um Stunde. Yugis Großvater zog sich mit dem Kommentar, uns junge Leute nicht weiter stören zu wollen, zurück. Was wir natürlich negierten. Doch Herr Muto lächelte nur und verabschiedete sich. Seine alten Knochen bräuchten Ruhe. Wir wünschten ihm eine gute Nacht – selbst Kaiba. Herr Muto lächelte ihm zu. Das Praktikum hatte seine Spuren hinterlassen, dachte ich. Nicht nur technisch und nicht nur in dem Sinne, wie es die Schule plante. Tristan schenkte sich gerade Colabier nach, als er mit einem Grinsen zu mir schaute und mich aus meinen Gedanken schreckte. »Wahrheit oder Pflicht?« »Was? Jetzt?« Yugi seufzte. Tristan schlug dieses Spiel immer an einem Punkt vor und Yugi war oft genug das Opfer seiner intimen Fragen geworden. Was mich überraschte war, dass Mokuba derjenige war, der zustimmte. Kaiba schaute gelangweilt, erhob sich, als wollte er sich dem Ganzen entziehen, als ihn sein kleiner Bruder ansprach. »Wahrheit oder Pflicht, Seto?« Er erstarrte. Ich konnte es förmlich sehen, wie Unglaube Ärger wich. Tristan und Yugi tauschten einen Blick. »Mach dich nicht lächerlich, Mokuba.« »Okay, wenn du keine Lust hast, mit mir zu spielen«, erwiderte er mit großen Augen und schleppender Stimme, »dann akzeptiere ich das natürlich.« In diesem Moment fragte ich mich, ob Seto Kaiba wirklich der von den beiden war, der die Entscheidungen fällte. »Schön«, ätzte er. »Bitte. Wahrheit.« Er ließ sich zurück auf die Bank fallen mit einem Gesichtsausdruck, der einem sieben Jahre Pech vorhersagte. Mokuba strahlte. Aber in meinem Bewusstsein kreiste nur, dass Kaibas Bein mein Bein berührte. Er zog es zurück, doch mein Körper schien das nicht zu registrieren, denn es war, als berührte er mich noch immer. »Warum hast du – nein, lass es mich genauer fragen – mit welcher Intention, die über das reine Projekt hinausgeht, hast du Joey den Vertrag angeboten?«, fragte Mokuba. Stille überzog unsere Runde. Jeder Blick richtete sich auf die beiden Brüder. Niemand regte sich, so als hegten wir die Befürchtung Kaibas Unmut bei einer falschen Bewegung auf uns zu ziehen. »Was ist das für eine – wie kommst du darauf, Mokuba?« »Ja, also – wirklich. Das ist doch – Unsinn. Oder?« Kaibas Blick klebte bei meiner Aussage in meinem. Mir wurde heiß. Wahrscheinlich erröteten meine Wangen, aber zwischen Kerzenschein und Lampions konnte das bestimmt niemand sehen. »Es gibt keine Intention, die über das Projekt hinausgeht. Wheeler ist talentiert, er ist im Zielalter. Das war's.« Es klang abschließend. Natürlich war's das. Ich konnte mir nur nicht das schwabbelige Gefühl in meinem Magen erklären. Er gab offen zu, dass ich nicht nutzlos war. »Du musst eine Frage stellen.« Tristans Aufforderung unterbrach Kaibas und meinen Blickkontakt. »Ähm, aber das kann auch ich übernehmen«, ruderte Tris bei Kaibas Mimik zurück. »Also Yugi, wie heißt das Mädchen, das mit dir seit ein paar Wochen chattet? Die aus dem Krankenhaus.« Mein Blick sprang zu Yugi, der anfing zu stottern, dass das Spiel so nicht funktionierte, dass das keine Wochen wären und dass sie nicht regelmäßig chatten würden und dass – interessant war, dass er nicht bestritt, dass es ein Mädchen gab. »Den Namen«, verlangte Tristan grinsend. »Th –«, murmelte Yugi verlegen. »Wie bitte?«, hakte Tris nach. »Thea«, erwiderte Yugi, »sie hat auch ein Praktikum im Krankenhaus gemacht. Sie ist auf unserer Schule.« »Und du sagst mir kein Wort?«, fragte ich brüskiert. »Ist doch nichts«, behauptete Yugi. Seine Mimik und Gestik standen seinen Worten entgegen. Ich schlug ihm vorwurfsvoll gegen den Hinterkopf, den er mit schuldbewusster Mimik rieb. Wir spielten weiter. Kaiba mit verschränkten Armen, Mokuba mit einem Grinsen. Yugi mit einem Blick, als wünschte er sich, besser lügen zu können. »Joey. Du bist. Wahrheit oder Pflicht?« Tristans Pflichtaufgaben waren meistens demütigend, also entschied ich mich für die andere Art der Peinlichkeit. »Wahrheit.« Tristans Grinsen sagte mir, dass meine Entscheidung falsch gewesen war – zumindest für mich. »Hast du mit dieser Maya rumgemacht gehabt? Nach der Feier damals von der Schule.« »Das ist ja schon ewig her!«, spielte ich das Ganze herunter. »Also ja?« Mein Blick schweifte über die Gesichter. Yugi schaute mich mit großen Augen an. Mokuba beobachtete mich, als sähe er mich zum ersten Mal und Kaiba zog seine Augenbrauen hoch. »Gut, wenn du's nicht sagst, dann also Pflicht. Am Montag gehst du in Badeoutfit in die Schule.« Ich klopfte gerne Sprüche, aber ich platzte mit so etwas nicht gleich heraus. Vor allem nicht vor einem Zwölfjährigen und Seto Kaiba. Richtig weit gegangen waren meine Bekanntschaften auch nie. Aber musste ich das vor Kaiba – und überhaupt – breit treten? »Bist du verrückt? Dafür krieg ich ne gute Woche Nachsitzen!« »Dann sag!« »Okay – Mann. Also – nö. Ist nichts gelaufen. Und jetzt –« »Nichts nichts?«, hakte Tristan nach. Er wusste nie, wann es genug war. »Nichts nichts«, bekräftigte ich genervt. Ich war dran. Yugi konnte ich auch noch unter vier Augen ausquetschen. Tris würde noch was zu hören bekommen. Mein Blick blieb an Kaiba hängen, der neben mir saß, als gehörte er weder zu diesem Zeitpunkt noch zu diesem Ort – geschweige denn zu den Leuten, die am Tisch saßen. »Warum hast du die Schachspiele gekauft? Was machst du mit denen?«, fragte ich ihn. Er langte sich mit seinem Zeigefinger zwischen seine Augen und massierte seine Nasenwurzel. »Das sind zwei Fragen. Und du hast mich nicht gefragt, ob Wahrheit oder –« »Dann die erstere.« Kaiba schwieg, öffnete den Mund. »Du musst die Wahrheit sagen«, erinnerte ihn Mokuba, Kaiba schloss seinen Mund wieder, schnaubte nur, erhob sich und verlangte nach seinem Mantel. »Hey, mach doch mal langsam. Ist doch kein –«, beschwichtigte ich. »Mokuba, wir gehen.« »Was? Nein, ich will nicht.« »Spielverderber«, murmelte Tristan. Gerade als Kaiba mit einem Blick, der von verbalem Mord sprach, antworten wollte, hämmerte jemand an das Hintertor. Wir sahen uns überrascht an. Kaiba schloss seinen Mund, als jemand schrie. Es klang wie ein Heulen, als hätte jemand einen anderen zusammengetreten. »Joey!«, rief eine Stimme, die zwischen Wut und Verzweiflung sprang. Meine Mimik zerbröckelte, als ich erkannte, wer es sein musste. »Was macht dein Vater hier?«, flüsterte Tristan mir zu und ich konnte nicht antworten.   Manchmal war das Leben verdammt schwer. Solche Tage und Wochen, in denen man nicht mehr wusste, wie's weitergehen sollte, wo man an sich zweifelte – und das vielleicht sogar zurecht. Dann gab es Tage, an denen man daran glaubte, dass alles schon irgendwie laufen würde. Und dann kam der Tag, an dem einen die Realität einholte.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)