Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 29: ... ist ein Mensch ------------------------------ __________________________________________   Der Mensch ist kein Mensch ohne seinen Schatten. Unbekannt   __________________________________________           Seto Kaiba weinte niemals. Es war einfach unvorstellbar. Er lachte auch nicht. Er war immer distanziert und kalkulierte die Situation. Er zeigte keine Emotionen und ließ sich von keinen beeinflussen. Manchmal fragte ich mich, ob er überhaupt ein Mensch war.   Nach der Schule saßen Tristan, Mokuba und ich auf Yugis Bettkante. Yugi auf seinem Schreibtischstuhl. Kaiba lehnte gegen den Türrahmen. Er hatte sich bei der Feuerwehr erkundigt, inwiefern die Aufräummaßnahmen voran geschritten waren. Ich war mir unsicher, ob ich die Ausmaße genau kennen wollte – oder überhaupt. »Was ist mit der Wohnung?«, fragte Tris für mich. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zu gehalten und es gleichzeitig gewusst. Es war verzwickt. »Das Schlafzimmer ist völlig ausgebrannt. Der Rest der Wohnung verqualmt und nicht bewohnbar. Die Brandursache ist scheinbar eine Zigarette, die einen Mülleimer entfachte und –« Ich erhob mich, schnappte mir einen Rucksack, den Yugi mir überlassen hatte, und alle hielten inne. Yugi sprach als erstes aus, was die Anderen – fast alle – mit ihren Blicken fragten. »Ich geh zur Wohnung«, sagte ich und stand schon an der Zimmertür, an der Kaiba lehnte. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete mich von unten bis oben. »Sie werden dich dort nicht hineinlassen«, erwiderte er nüchtern, was mich Galle schmecken ließ. »Ich möchte das Ganze möglichst schnell hinter mir haben«, fuhr er fort, »also besprechen wir jetzt unser Vorgehen und danach kannst du gehen, wohin du willst. Setz dich.« »Seit wann –« Doch Tristan wagte es, mich einfach zurück aufs Bett zu ziehen und mit seinen Händen auf die Matratze hinunter zu drücken. Auf seinen Mimik hin verstummte ich, presste die Lippen aufeinander, weil sonst niemand etwas gegen Kaibas Ansage einwendete. »Was kommt jetzt?«, wollte Yugi wissen. Ich schaute auf und sah, dass er Kaibas Blick erwiderte. »Das Jugendamt wird Wheelers Sorgeberechtigte verständigen.« Der Gedanke an meinen Vater vernebelte mein Gehirn. Der Druck auf meine Brust wuchs, als hätte mir jemand einen Felsen in den Magen gerammt. »Aber sein Vater –«, begann Tristan. Ich fragte mich, warum ich immer der Gearschte sein musste. Warum war mein Vater so ein Arsch? Warum musste unsere Wohnung anfangen zu brennen? Warum alles an einem Wochenende? So etwas gab es doch nur in beschissenen Soaps. Ich ballte meine Hände. »Ja. Sie werden auch –« Ich wusste, was kommen würde. In diesem Moment sprang ich auf, hechtete an Kaiba vorbei und polterte die Treppen hinunter. Ich brauchte Luft. Mit einem Ruck riss ich die Ladentür auf und rannte die Straße entlang. Ein Mann rief mir etwas nach, den ich fast umgenietet hätte. Aber es war mir egal. Immer weiter. Hoffte, den Druck in meinem Magen davonzukommen. Schnappte nach Luft. Meine Lungen brannten, aber ich rannte weiter und weiter und weiter. Irgendwann stand ich im Park, keuchte, stützte mich auf meine Oberschenkel und sog die Luft ein. Meine Füße brannten, das Seitenstechen erschwerte das Atem, ließ mich nur kurze Stöße machen, doch der Schmerz von außen war eine Wohltat gegen den Schmerz von innen. Die Worte wiederholten sich in meinem Kopf, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich sie wirklich gehört hatte. Sie brachen über mich ein und zwangen mich auf meine Knie. – seine Mutter benachrichtigen.   Die Leute im Park machten einen Bogen um mich. Sie sahen mich und und hielten einen Abstand, wahrscheinlich fürchteten sie um ihre Sicherheit. Ich war der Typ Mensch, den andere so einschätzten. Bei Kaiba hätten sie vielleicht einen Krankenwagen gerufen, bei Yugi wären alle angerannt gekommen. Mich ignorierte man lieber, über mich sprach man hinter vorgehaltener Hand, mich ließ man lieber auf der Bank sitzen, sich die Kotze vom Mund wischen und beschleunigte seine Schritte.   Ich starrte auf meine Hände, betrachtete meine Schuhe – ohne sie wahrzunehmen. Alles schien so entfernt. War das bei normalen Familien auch so? Gab es da solche Tage? Wochenenden? Jahre? Ich erhob mich wie es alte Männer taten und setzte mich in Bewegung. Keine Ahnung wohin und wie, aber ich setzte einen Fuß vor den anderen. Mit jedem Schritt stach in meine Gedanken, was passiert war, es piekste, wie Stroh im Schuh. Nervig, aber nicht so schmerzend, dass man nicht mehr konnte. Ich schob es von mir und lief weiter.   In der Innenstadt von Domino-City erhoben die Hochhäuser ihre Etagen wie Hälse in den Himmel. Werbung flackerte über die Bildschirme an den Wänden, spiegelte sich in den Glasfronten und Autoscheiben. Meine Gedanken zogen wie die Buchstaben und Bilder umher. War das bei normalen Familien auch so? Gab es da solche Väter? Söhne? Mütter? Meine Schritte bogen in die Straße. Wenn man weiterging, dann wichen die Wolkenkratzer Wohnanlagen mit Vorgärten und Bäumen, die rund zugeschnitten waren. Rosen, die von Mietern gegossen wurden und Hunde, die mit Kindern im Garten spielten. Ich ging weiter. Verließ man diese Straßen, kamen Wohnblöcke. Ohne Vorgärten, in denen Blumen blühten und Kinder spielten. Da gab es zersplittertes Glas und Leergut zwischen Kindern, die rauchten und Müttern, die Kinder waren. Ich verließ diese Straßen. Und kam doch immer wieder hier an. Wie lange lief ich schon? Eine Stunde? Zwei? Mein Blick fiel auf den Wohnblock. Grau und schmutzig und so vertraut mit jedem Fleck und Riss, dass man sie gar nicht mehr sah. Aber umso deutlicher, wenn neue dazukamen. An den Fenstern hatte sich Ruß nach oben gefressen. Der Eingang war abgesperrt mit rot-weißem Band und davor lag Asche und Müll. Ich schaute mich um. Waren das unsere Sachen? War die Asche das, was uns mal wichtig gewesen war? Bilder und Dokumente? Betten und Kleidung? Ich stieg drüber und duckte mich unter dem Band hindurch, stieg die Treppe hinauf und öffnete die Tür zur Wohnung. Natürlich entsprach der Blick von außen nicht dem von innen. Von außen betrachtet waren es Asche und zerstörte Möbel. Ich stieg drüber und stieß die Tür zu meinem Zimmer auf. Von außen betrachtet waren es Asche und zerstörte Möbel. Die Tapete schälte sich von dem Gemäuer, wie Haut von einer Wunde, das Bett bedeckt von Ruß und Resten. Der Boden lag unter einer Schicht von abgebrannter Kleidung, Tapete und braun-schwarzem Dreck. Von innen war es – Ich griff nach einem Fetzen Papier. Eine Zeichnung von meiner Familie. Man konnte es nicht mehr erkennen, aber wir hatten darauf glücklich ausgesehen. Ich sank auf meine Knie.   Wie lange ich hier hockte? Jemand fragte mich, aber ich erinnerte mich nicht. »Das ist lebensgefährlich, Mann.« Tristan flüsterte und ich nickte. Wahrscheinlich hatte er Recht. Danach schwiegen wir. Er saß neben mir, einen Arm über meine Schulter gelegt und zog mich an sich. Die Zeichnung umklammerte ich noch immer, obwohl ich sie gar nicht mehr sah. »Er hatte damals aufgehört zu rauchen. Für meine Mutter, sie hatte immer gesagt – angeblich, es sei ungesund«, murmelte ich, schlug dann mit der Faust gegen die Wand. »Verdammter Penner«, fluchte ich dann so laut, dass Tristan zusammenzuckte. »Joey«, sagte er nach einem Moment der Stille, doch dann kam nichts weiter. Ich konnte mir vorstellen, was er hatte sagen wollen, genauso wie ich mir vorstellen konnte, warum er es nicht aussprach. Meine Augen brannten. Die Wohnung war schon immer der letzte Dreckhaufen gewesen. Wahrscheinlich sah sie gerade so gut aus, wie schon lange nicht mehr. Obwohl es völlig unangemessen war, gluckste Tris bei dem Kommentar. »Es war eh Zeit für neue Farbe. Ich find, das Braunschwarz macht das alles irgendwie – gemütlicher.« Stille. Dann lachte ich und er fiel mit ein. In meinem Bauch das Gefühl, wie wenn wir damals vor dem Kioskinhaber Yamato weggerannt waren, Süßigkeiten in den Händen, die wir gar nicht bezahlen konnten. Jedes Mal hatte er gedroht, dieses Mal wirklich die Polizei zu rufen. Er hatte es nie gemacht. Stattdessen hatte er uns Feger und Müllschippe in die Hände gedrückt, wenn wir bei ihm ankamen, eine Entschuldigung nuschelnd, und uns für die Süßigkeiten arbeiten lassen. Mein Lachen verebbte. Mein Magen stülpte sich nach außen. Ich erbrach mich, hing auf meiner Seite, Tristan stützte mich. Das Keuchen und meine Atemstöße erfüllten den Raum statt des Lachens. »Ich weine nicht«, schniefte ich, »und ich weine nicht wegen der scheiß Wohnung. Mir geht es gut.« Tristan hielt meine Schulter und drückte sie. »Ich weiß, Kumpel, ich weiß.«   Von außen waren es verbrannte Zeichnungen, Bilder, Möbel, Wände. Von innen waren es Erinnerungen und die Frage, wohin man jetzt gehen sollte.   »Lass uns – gehen, Kumpel. Morgen haben wir wieder Schule.« Ich wurde von Tristan auf die Füße gezogen und er schritt voran, während ich mich umwandte und einen Blick zurückwarf. Natürlich war es von außen leichter zu verurteilen als zu begreifen. Egal, wo man wohnte. Dann folgte ich Tristan.   Am späten Abend lag ich neben Yugi im Bett. Es war so breit, dass wir uns nicht berührten, aber klein genug, um sich bewusst zu sein, dass man nicht alleine war. Wir verloren kein Wort über meine Flucht, über Kaibas Worte oder darüber, wie ich mit Tristan wieder hier angekommen war – Ruß im Gesicht, verdreckte Jeans und wahrscheinlich rote Augen. Kaiba und Mokuba waren schon verschwunden, aber Yugi richtete mir aus, dass sie uns die Tage zum Abendessen eingeladen hätten – also wahrscheinlich eher Mokuba als Kaiba. »Ich verstehe eine Sache nicht«, murmelte ich der Decke entgegen, weil ich fürchtete, dass mein Kopf platzte, sollte ich den Gedanken nicht aussprechen. »Warum hat das Jugendamt nicht schon viel früher –« Yugis Blick glitt mit meinem an die Decke, wo Schemen tanzten, die vom Fenster hinein kletterten. »Kaiba hat das in die Hand genommen. Er meinte nur, dass er das zunächst einmal klären würde.« »Mhm.« Ich drehte mich zur Seite und schloss die Augen. In der Dunkelheit sah ich ihn. Mit verschränkten Armen an der Tür lehnte er und beobachtete mich. Hinter dem Schreibtisch saß er und tippte mit seinen Fingern auf dem Holz und beobachtete mich. Unter dem Baum hockte er und öffnete die Eispackung und beobachtete mich. Aber er beobachtete nicht nur, er tauchte ein in meine Gedanken und flüsterte. Er fragte mich, warum meine Mutter abgehauen war. Warum ich immer alles kaputt machte. Warum ich. Ich stand unter dem Baum. Die Sonne blinzelte durch die Äste. Der Teich gluckerte. Ich streckte mich und wandte mich langsam um, als ich bei dem Anblick erstarrte. Es brannte. Mein Magen verkrampfte, als ich zum Laden rannte. Dicker Qualm drückte sich durch die Tür. Ich riss sie auf, hörte Yugis Schreie, da war Mokuba und Tristan, die mich riefen. Mein Vater wankte zu mir und streckte seine Hände aus und schlug zu. Ich rappelte mich auf und sah, wie sie die Koffer packte. Ich schaute sie an, wie sie mitten im Feuer ein paar Kleidungssachen hineinlegte, dann sprang ihr Blick auf mich. Sie sagte nichts. Sie streckte ihre Hand nach mir aus. Ich schloss meine Augen in Erwartung ihrer Berührung. Doch da war nichts. Ich öffnete sie wieder. Und stand alleine in meinem Zimmer. Es war leer – nur eine Zeichnung lag auf dem Boden. Ich hob sie auf. Wir sahen glücklich darauf aus. Es fing Feuer. Als hätte meine Berührung das Feuer entfacht. Ich versuchte es zu löschen, doch es gab nichts. Hilflos schaute ich umher. Es brannte und es schmerzte in meinen Fingern, doch ich konnte es nicht fallen lassen, bis nur noch Asche von dem Bild übrig war. Jemand beobachtete mich. Ich spürte einen Blick auf mir. Eine Stimme flüsterte in meinem Kopf, in dem Zimmer, um mich herum. Die Stimme fragte mich, warum meine Mutter abgehauen war. Warum ich immer alles kaputt machte. Warum konnte ich nichts richtig machen. Ich sank auf die Knie. »– noch zu spät in die Schule. Joey, wach auf!« Ich fuhr hoch. »Es tut mir – es tut mir leid. Es – ich – es tut mir leid«, stammelte ich und fuhr mir über die Augen. Das Zimmer um mich herum war nicht verbrannt, meine Finger schmerzten nicht, die Stimme war verstummt. Stattdessen schaute mich Yugi mit großen Augen an.   »Ja, mir geht es gut, verdammt«, wiederholte ich, als mich Tristan schon wieder fragte. Wir saßen in Mathematik und ich schrieb die Buchstaben- und Zahlenfolge ab, die unser Lehrer an die Tafel kritzelte. »Ich wollte nur –« Es war mir egal, was Tris nur wollte. Es nervte. Yugis Blicke, Tristans Sorge zwischen seinen Worten, der Lehrer, der mich beobachtete, Kaiba, der mich ignorierte. Es nervte. »Yugi hat mir gesagt, dass –«, Ich schnaubte und schaltete von Tristan neben mir nach vorne. Der Lehrer erzählte etwas von Vektoren. Wie – verdammt – war das nochmal mit Vektoren? »Kumpel, Joey, bitte. Es – es ist einfach nicht normal, wie du dich verhältst«, zischelte Tristan. »Tris, bitte. Ich hab halt scheiße geschlafen und hab echt keinen Nerv –« »Wir wollen doch nur helfen, du musst damit nicht allein –« »Hört auf, mir helfen zu wollen! Verdammt! Mir geht’s gut! Keine Hilfe nötig!« Tristan öffnete den Mund, doch ich meldete mich, was ihn ihn wieder zuklappen ließ. Der Lehrer vorne erstarrte und starrte mich an. »Ja, Herr Wheeler?« Einer, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte. Dachte er wirklich, ich könnte eine Antwort geben? »Ich müsste mal auf die Toilette.« Kichern in der Klasse, das ich ignorierte, als ich aufstand und aus dem Klassensaal verschwand.   Auf dem Klo stützte ich mich mit beiden Händen am Waschbecken ab und starrte in den Spiegel. An die Wand hatte jemand Yukiko = Hure gekritzelt. Daneben stand etwas wie We was here. Jemand hatte das was durch ein were ersetzt. Es war seltsam, wie viele Schüler hier wohl hatten stehen müssen. Wie viele Ausdrücke und Gefühle der Spiegel wohl hatte sehen müssen. Was für ein bescheuerter Gedanke. Die Rolle Papier zum Abtrocknen war wie immer leer. Der eine Wasserhahn funktionierte nicht. Ich stand einfach hier und starrte mein Spiegelbild an. Ich war kein Durchschnittstyp. Die meisten erkannten sofort, dass ich verdammt viel Ärger machen konnte. Dass meine vorlaute Art und meine unüberlegten Aktionen oft genug die falschen Leute provozierten. Nur wenige sahen, dass mir das egal war – wenn ich dafür meinen Freunden helfen konnte. Von außen war ich einer, der Ärger machte. Von innen – Ich beugte mich über das Waschbecken, spritzte mir Wasser ins Gesicht, das mir wie Tränen über die Wangen lief. Meine Augen waren gerötet. Mein Vater behauptete manchmal, ich sähe aus, wie sie. Hätte ihre Augen. Dabei hatten wir nicht einmal dieselbe Augenfarbe. Meine Mutter hatte brünettes Haar – zumindest auf den wenigen Bildern, die ich kannte. Ich hatte die blonden Haare meines Vaters. Ich schniefte. War ich wie er? Nicht nur von außen – würde ich eines Tages aufwachen und erkennen, dass ich so ein Idiot war, so ein Versager wie mein Vater? Einer, der vor lauter Beschränktheit zuschlug? Jemand legte eine Hand auf meine Schulter. Ich erschrak und fuhr herum. »Mir geht es gut«, behauptete ich, »ich wollte nur –« Ich hob meine Hände und erwiderte Yugis Blick, ließ sie wieder sinken. Ich wusste nicht, was ich wollte. Wir schwiegen. Mein Blick wanderte von ihm zu der Wand. Ich wich dem Spiegelbild aus. Es erinnerte mich an meinen Vater. Yugi stand einfach neben mir. Ich wollte ihm sagen, dass er zurückgehen sollte – immerhin verpasste er Unterricht. Dass er sich keine Sorgen machen brauchte. Dass es mir gut ginge. Ehrlich. Aber gerade als ich meinen Mund öffnete, kam er mir zuvor. »Joey«, sagte er, »wenn es dir wirklich gut geht – warum weinst du dann?« Ich wusste nicht, warum. Also schwieg ich. »Weißt du, dein Vater –«, begann er, doch ich hob die Hand, wollte es nicht hören und er verstummte. »Mein Vater ist mir egal«, spuckte ich ihm vor die Füße. In meinem Bauch verbrannte mein Magen. Yugi widersprach mir nicht, aber er stimmte auch nicht zu. »Lass uns zur Schulkrankenschwester gehen. Du solltest nach Hause gehen«, flüsterte er und ich starrte ihn an. Dann brach ich in Gelächter aus. In hohles, hohes Gelächter. In jedem Ton die Gewissheit, dass es mich nicht amüsierte. Balancierend zwischen Unglaube und Hilflosigkeit. Dann verbarg ich mein Gesicht in meinen Händen. Tränen liefen mir das Kinn hinab. In meinem Bauch verschlang ein Loch alles Feuer und Kälte breitete sich aus, ließ mich erzittern und schüttelte meine Arme und Beine. »Ich hab doch – ich – hab kein – Zuhause mehr.«   Mein Schluchzen verebbten, aber Yugis Hand blieb auf meinem Rücken. Wir saßen mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Mein Blick hing an dem Gekritzel Yukiko = Hure. Wer wusste schon, was sie gemacht hatte, um so ein Urteil zu verdienen. Vielleicht verurteilt, weil andere sie nur von außen beurteilten. Vielleicht war sie noch mehr verletzt worden als der, der es an die Wand geschrieben hatte. Daneben stand Kaiba ist ein arroganter Arsch. Mein Blick blieb an seinem Namen hängen. Kaiba war ein arroganter Arsch. Von außen betrachtet – »Joey«, murmelte Yugi, »weißt du. Ich denke, es wäre wichtig für dich, deinen Vater im Krankenhaus zu besuchen. Du hast kein einziges Mal gefragt, ob wir ins Krankenhaus gehen könnten. Du könntest natürlich auch alleine gehen, aber –« »Ich will ihn nicht sehen.« Mein Ton verriet keine Unsicherheit. Ich erhob mich, zog Yugi auf seine Beine und stapfte Richtung Tür. Bald würde es klingeln und etliche Schüler in der Pause auf die Toilette gehen. Ich brauchte niemanden, der mich anstarrte oder Fragen stellte. »Aber Joey. Bestimmt würde es dir –« »Yugi«, erwiderte ich scharf, »ich. Will. Ihn. Nicht. Sehen.« Damit stieß ich die Tür auf. In der nächsten Stunde hatten wir Japanisch.   Ich spürte seinen Blick, aber jedes Mal, wenn ich über die Schulter sah, starrte er nur in seinen Laptop. »Joey«, brummte Tristan, »ist –« »Mir geht’s gut«, beharrte ich, warf meinen Blick wieder nach vorne und schrieb weiter ab, was an der Tafel stand. Wir lasen in einer Lektüre weiter, deren Titel ich mir nicht merken konnte. »Bis zum nächsten Mal«, begann der Lehrer vorne und Erleichterung spülte durch meine Adern. Fast geschafft. Es klingelte endlich und ich packte meine Sachen ein. Sachen, die eigentlich gar nicht meine waren. Yugi beobachtete mich. Tristan beobachtete mich. Es war, als warteten sie darauf, dass ich ausrastete. Vielleicht mit Sachen warf, schrie oder in Heulen ausbrach. Ich schnaubte. Ich war immer noch ich. Oder? Schüler quasselten, stoben an uns vorbei, machten sich auf, um nach Hause zu gehen. Nach Hause. Etwas in mir verkrampfte sich. Yugi erzählte etwas, Tristan antwortete, doch ich schwieg, spürte, wie er an mir vorbei schritt. Sein Mantel bauschte sich hinter ihm auf, als er sich umdrehte und mich etwas fragte. Völlig unerwartet. Ich betrachtete ihn, als hätte er Chinesisch geredet, weil ich ihn nur beobachtet hatte, bemerkte, wie Worte über seine Lippen zogen, aber diese Worte nicht in meinem Verstand ankamen.. »Hä?«, fragte ich. »Die Werbekampagne«, sagte er genervt, stand da mit verschränkten Armen und tippte mit zwei Fingern an seinen Oberarm. Alles an ihm schrie danach, dass er keine Zeit dafür hatte hier zu stehen – für mich. Ich schwieg, packte weiter ein. »Hab grade echt and're Probleme«, brummte ich. »Du bekommst nichts hin, was man dir aufträgt, Köter.« Ich hielt inne. Yugis Blick schwenkte von mir zu Kaiba. Tristan schaute zwischen uns hin und her, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Kaiba war ein arroganter Arsch. »Aber du kannst natürlich alles«, höhnte ich, warf den Rucksack über eine Schulter und wollte Kaiba einfach stehen lassen. Er war ein Arsch. Nur weil er es manchmal echt gut kaschierte, änderte das nichts an dem Fakt. Sein Blick stach in meinen, als ich auf seiner Höhe stand. »Alles wäre eine hyperbolische Generalisierung«, erwiderte er, »alles würde ich entsprechend nicht behaupten. Aber alles auf meinen Fachgebieten. Und vor allem Aufträge, die man mir auferlegt.« »Und deine Fachgebiete, außer andere anzupissen und zu tyrannisieren, sind?« Er öffnete schon den Mund, als ich ihm drüberfuhr. »Nee. Spar's dir. Ist mir nämlich scheißegal.« Damit zog ich an ihm vorbei und ließ ihn stehen – wollte ihn stehen lassen. Aber Seto Kaiba ließ sich nicht stehen lassen. »In zwei Tagen ist eine Konferenz. Bis dahin wirst du drei Vorschläge bezüglich eines Werbedesigns für die Veranstaltung des Turniers und die Angebote drumherum haben, Wheeler.« Das war keine Anweisung, das war ein Befehl. »Und wenn nicht«, spöttelte ich, »wirst du mir dann Spielverbot oder Hausarrest geben?« »Glaub mir, Hündchen.« Sein Duft stieg in meine Nase, als er sich zu mir beugte. Bilder schossen in meinen Kopf. Ich klammerte mich an ihn, er war mir nah, sein Mantel über meinen Schultern. Genau dieser Mantel. Ich schüttelte sachte meinen Kopf. Versuchte es loszuwerden. Aber die Gedanken klebten fest. Seine Augen hielten mich gefangen. Er näherte sich noch weiter. »Es gibt kein Wenn nicht, Wheeler«, flüsterte er. »Wir haben einen Vertrag, wenn du dich trotz deiner beschränkten Kapazitäten erinnerst. Dein Teil besteht darin, Entwürfe zu liefern und dafür wirst du bezahlt werden – deine sozialen Probleme interessieren dabei nicht.« Ich presste meine Lippen zusammen. Bei ihm hörte es sich an, als ob ich mich mit pubertärem Liebeskummer herumschlagen würde – oder mit Drogen. Yugi regte sich neben mir, aber ich war nicht zu bremsen. »Dein Problem ist doch nur, dass du keine Ahnung hast von sozialen Problemen.« »Und diese Annahme gründet auf –« Da war es. Das Feuer in meinem Bauch. Kaiba entfachte es immer wieder. Das Brennen, das mich alles Andere vergessen ließ. All den Schmerz und die Gedanken. Da waren nur seine Worte und meine. »Du bist reich und du hast keine Freunde«, fasste ich unverblümt zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, so wie er es sonst tat. »Hab ich nicht?«, hakte er nach und fixierte meine Augen. Ich wusste nicht, was er mit dieser Frage bezweckte. Es verwirrte mich. »Nenn mir nur einen. Und nein, Geschäftspartner gelten nicht. Mir würde an deiner Stelle nicht einer einfallen«, spöttelte ich. »Ich verstehe«, erwiderte er, straffte seine Schultern und zog an mir vorbei. Sein Mantel. Seine Nähe. Seine Stimme, die mir zuflüsterte, dass es okay war, dass es vorbeigehen würde. Dass es nichts gäbe, dass die Sturheit des Köters brechen könnte. Dass ich wieder aufstehen und ihn nerven würde. »Noch zwei Tage, Wheeler! Hör auf im Selbstmitleid zu baden und nimm es endlich wieder in die Hand. Du spielst doch sonst auch – egal wie schlecht und billig deine Karten sind.« Ich sah ihm mit offenem Mund nach. Das Feuer verpuffte, als hätte ihm jemand allen Sauerstoff entzogen. Er ließ mich stehen. Sein Mantel. Seine Nähe. Seine Stimme. Von mir gerissen. Die Erinnerungen schwebten in meinem Kopf. Die Tür knallte. Und damit war der Moment gebrochen. »Was war denn das jetzt verdammt?«, wollte ich irritiert von Yugi wissen, doch der betrachtete mich mit einem Seufzen. Ich fasste an meinen Kopf. »Manchmal bist du echt schwer von Begriff, Joey.« Ich schaute ihn mit großen Augen an. Vorhin war ich noch derjenige gewesen, den er bedingungslos getröstet hatte und jetzt bekam ich den Überleg-mal-was-du-gerade-angestellt-hast-Blick ab. Kopfschmerzen zogen durch meine Stirn und Schläfen. »Ich glaube«, warf Tristan ein, »dass Kaiba denkt, dass du nicht denkst – warte, es geht noch weiter – Joey, wohin willst du?« »Woher sollte ich wissen, dass Kaiba plötzlich so ein – ein verdammter Mensch ist!«, rief ich über meine Schulter und dann rannte ich los. Kaiba war so ein Arsch. Und ich so ein Idiot. Jemand sollte das auch an die Wand kritzeln.   Seto Kaiba weinte niemals. Es war einfach unvorstellbar. Er lachte auch nicht. Er war immer distanziert und kalkulierte die Situation. Er zeigte keine Emotionen und ließ sich von keinen beeinflussen. Von außen. Von außen war immer so eine Sache. Kaiba war auch nur ein Mensch und er hatte mich nicht auf dem Boden liegen lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)