Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 31: … ist kein Freund ----------------------------- __________________________________________   Noch sind wir zu zweit noch ist etwas Zeit paß auf mein Freund! Die Liebe ist zerbrechlich und nicht bestechlich paß auf mein Freund!   © Jörn Pfennig (*1944), deutscher Dichter und Lyriker Quelle: »Grundlos zärtlich«   __________________________________________           Seto Kaiba gab die Regeln vor und niemals nach. Seine Strategie war eine Mischung aus Einschüchterung und Erniedrigung mit einer Portion Kalkül. Wenn er etwas tat, dann nicht, um anderen zu gefallen, sondern um etwas zu erreichen. Er stand nicht auf der Seite eines Freundes. Er stand nur auf seiner eigenen. Deswegen und wegen hundert anderer Gründe hätte er niemals ein Freund sein können.   »Was – meinst du?«, stammelte ich. Erschütterung verband sich mit meinen Worten. Seto Kaiba kam nicht aus einer schwierigen Familie. Er war ein verwöhnter Bengel, der zu viele Ambitionen hatte. Seto Kaiba war reich, intelligent und gutaussehend. Er war ein arroganter Arsch. Ein Bastard, der einen mit Sarkasmus und Hohn fertig machte. Seto Kaiba war kein Jugendlicher, der sich so entwickelte hatte, weil er ein kaputtes Kind gewesen war. Er sah an mir vorbei. »Es gibt Schlimmeres als Schläge, Wheeler«, wiederholte er. Innerhalb einer Familie? Natürlich. Schlimmer ging immer, nicht? Aber Schläge zeugten schon von einer richtig kaputten Familie. Familie sollte doch Vertrauen und Zuneigung bedeuten. Schläge waren weder das eine noch das andere. Schlimmeres als Schläge? Da fiel mir nicht viel ein. Außer – Ich riss meine Augen auf. »Hat Gozaburo dich etwa –« Ich brachte die Worte nicht über meine Lippen, konnte ihn nur anstarren und spürte, wie mein Weltbild auseinanderbrach. Er fokussierte mich und er runzelte die Stirn, sein Blick suchte mein Gesicht ab, als versuchte er meine wirren Gedankengänge nachzuzeichnen. »Woran – nein, er hat sich nicht körperlich an mir vergangen.« Er langte sich mit seinen Fingern an die Schläfe und ich atmete tief aus, lehnte mich wieder zurück. Erleichtert, dass mein Weltbild nicht in tausend Scherben zerbrach. Nicht sofort zumindest. Mein Blick wanderte durch Kaibas Büro. Den Wänden und Schränken, seinem Schreibtisch und ihm. Es lag mir auf der Zunge, aber ich zögerte, doch meine Lippen bildeten die Worte und sie stolperten in das Zimmer, als hätte ich keine Gewalt darüber. »Was hat er dann gemacht?« Sturm. Tornado. Hurrikan. Ich sah vor mir, wie er mich mit Worten vom Boden hob und gegen die Wände schmetterte. Doch er schwieg, klammerte seine Finger um die leere Tasse und betrachtete sie statt mich. »Warum interessiert dich das?« Seine Worte klangen nüchtern, doch das waren sie nur von außen. Ich wusste nicht, was in ihnen steckte. »Freunde interessieren sich füreinander. Sie setzen sich füreinander ein«, behauptete ich fest und er lachte auf. Hohl und freudlos. Kälte krallte sich in seine Augen und stach in meine, wie Eiszapfen, die man mit bloßen Fingern umgriff. »Seit wann sind wir Freunde, Wheeler?« »Das frage ich mich auch«, murmelte ich, seufzte und fuhr mir über die Augen, rieb sie, als könnte ich so klarer sehen – nicht nur die Dinge, die man wirklich sehen konnte, sondern all das, was innen war auch. Wollte die Kälte in seinen Augen loswerden, wollte, dass er mich ansah, wie da, als wir zusammen Eis unter dem Apfelbaum gesessen hatten. Es kam mir so unheimlich lange her vor. »Du hast es vorhin doch so treffend erkannt. Ich habe keine Freunde. Ich brauche keine Freunde. Keinen einzigen«, höhnte er und es traf mich in meinen Magen. Etwas an seinem Ton ließ mich meinen Blick senken. Hatte ich das so gesagt? Hatte ich es so gemeint? Müsste er es nicht besser wissen? »Du und deine pathetische Weltsicht, Wheeler. Glaubst du wirklich, ich bin einer von deinen Kumpels«, das Wort klang wie eine Beleidigung, »nur weil wir gemeinsam an einem lächerlichen Kunstprojekt gearbeitet haben?« Er erhob sich, betrachtete mich von oben herab und kräuselte seine Lippen. »Nur weil ich deinen Vater nicht in seiner Kotze auf der Straße stehen lasse? Nur weil ich dich nicht in deiner Panikattacke verrecken lasse? Gehört das für dich zu einer Freundschaft?« Jedes seiner Worte strotzte vor Hohn und ich ballte meine Hände. Das war Kaiba. Arsch durch und durch. »Reicht es schon, wenn man dich nicht verbal oder physisch attackiert? Dann ist deine Definition von Freundschaft –« Das war Kaiba. Erniedrigung, Kalkül, wie eine Ohrfeige, ohne einmal die Hand zu heben. »– genauso eine Lachnummer wie du.« Er stand da, sein Kinn nach oben gestreckt, schaute zu mir hinab. Stand vor mir mit sprühenden Augen, überkreuzte die Arme und schmiss jedes Wort vor meine Füße. Ich rieb meine Stirn. In meinem Kopf pochte Wut. Mit in meine Hosentaschen gekrallten Finger erwiderte ich seinen Blick. Er machte mir keine Angst. Das hatte er doch nie. »Ist es das, was du in deine Arbeit steckst?«, zischte ich. »Deine verkackte Arroganz? Welche Gefühle und Gedanken steckst du in deine Arbeit?« »Wheeler«, scharrte er. »Hohn? Unsicherheit?« »Mach dich nicht lächerlich«, spottete er. »Selbstzweifel? Selbsthass?« Seine Kiefer mahlten. Er fuhr sich durch sein Haar und brachte seine Frisur durcheinander. »Was hat Gozaburo zu dir gesagt? Was hat er nach dem Schachspiel gesagt oder gemacht, dass du –« »Wheeler!«, knurrte er und presste seine Lippen aufeinander, so, dass er die Worte aus seinem Mund mit Pausen herausdrückte. »Mir hat jemand gesagt, dass es destruktiv wär, vor seinem Vater davonzurennen. Ich glaub, du bist scheiß destruktiv.« Ich näherte mich ihm, baute mich vor ihm auf. Schritt für Schritt. Mit jedem Wort. Beobachtete sein Augenzucken und wie jede Silbe seine Stirnfalten vertiefte. »Was meinst du? Wie lange rennst du noch vorm Schach weg?« Er verengte seine Augen, verzog seine Lippen zu einem herablassenden Grinsen und stellte sich mir gegenüber, schaute auf mich hinab. »Die Frage ist, was du meinst, Wheeler.« Ich stockte. Sein Blick brannte sich in meinen, als er sich zu mir beugte. Ich spürte seine Regung, spürte seinen Atem meine Wange entlang streifen, spürte wie er sich weiter vorlehnte und mit seiner Schulter meine berührte. »Wann, meinst du, schlägt dich dein Vater wieder?«, säuselte er in mein Ohr. Dann rückte er ab, ließ mich mit wackeligen Beinen stehen, wandte sich um und schritt zur Fensterfront. Mit dem Rücken zu mir schaute er über Domino-City, wie ein Herrscher über sein Land. Und ich stand hier – senkte meinen Blick, starrte meine Hände an, die ich zu Fäusten ballte. Die Erinnerung an die Schläge stürzte über mir zusammen. Doch nicht der Schmerz. Da war die Hilflosigkeit und der Gedanke: Vielleicht schlug er mich zurecht. Vielleicht war etwas dran an seinen Worten. Vielleicht. »Woher – was – wer sagt, dass er es wieder macht?«, brüllte ich. Zitterte. Meine Stimme überschlug. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht war meine Mutter meinetwegen gegangen. Vielleicht war es meine Schuld. Vielleicht hatte ich es verdient. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht aber doch. Er rauschte zu mir herum, in seinem Rücken das Panorama Dominos. Die frühe Abendsonne versenkte die Stadt in einem Orangerot. Er schien die ganze Stadt hinter sich zu haben.   »Weil du glaubst, dass er es zurecht gemacht hat«, schmetterte er mir entgegen. Stille. Ich hörte nur meinen schweren Atmen und meine Gedanken, die mir durch die Ohren sausten. Das Blut rauschte, pumpte zu wenig Sauerstoff in mein Herz, das in meiner Brust raste – in meiner viel zu engen Brust. »Du – das – was laberst du für einen Scheiß?«, schrie ich, keuchte, presste meine Hände auf meinen Brustkorb. »Glaubst du, dass er Unrecht hat mit dem, was er dir sagte?« Ich starrte Kaiba an, öffnete den Mund, runzelte die Stirn, während Wut meine Gedanken vernebelte. »Dass es falsch von ihm war, dich zu schlagen, Wheeler?« »Natürlich, du verkackter Geldsack! Natürlich war es falsch!«, tobte ich und es machte mich rasend, dass er so ruhig blieb. Statt zurückzuschreien, schritt er auf mich zu. Seine Gegenwart drängte mich einige Schritte nach hinten, sein Blick brannte. Ich ruderte zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spürte und er seine Rechte links neben mir an der Wand abstützte. Er kam mir so nahe, dass ich den Duft seiner Kleidung roch. Es war der Duft seines Mantels. Dasselbe Waschmittel, derselbe Weichspüler. Seine Wimpern senkten sich mit dem Blick, der er zu mir hinunterwarf. Ich kniff die Augen zusammen. »Was macht dann das Womöglich, das Kann-sein oder das Vielleicht in deinen Gedanken?«, wisperte er. Die Worte strichen über meine Wange – so wie sein Blick. »Woher willst du das wissen?«, krächzte ich. Ich fühlte das Vibrieren seines Brustkorbs, als er leise lachte. Doch seine Augen blieben kalt. »Du bist nicht der Erste«, flüsterte er. Ich versank in dem Blau. Eis. Kälte. Erinnerungen an Worte und Schläge. Gedanken, die einen weiter in die Tiefe rissen, den Boden unter einem zum Schwanken brachten. Dann stieß er sich von der Wand ab, drehte sich um. War eben noch sein Ton seidig, trotz der harten Worte, so klangen seine folgenden wie Steine, die er mir in den Weg schmiss. »Wir sind keine Freunde, Wheeler. Du brauchst mich, um aus deinem Loch zu kommen. Und ich nutze dein Talent für meine Geschäfte. Das ist eine Zweckgemeinschaft. So wie es von Anfang an eine war.« Ich öffnete gerade den Mund, als jemand anklopfte. Kaibas Sekretärin drückte die Tür auf und brachte Kaffee, Säfte und Kekse. In jedem anderen Moment wäre ich dankbar gewesen.   Was ist, wenn wir irgendwann wirklich so sind, wie andere glauben, dass wir sind, auch – wenn wir gar nicht so sind? Also im negativen Fall. Zum Beispiel. Wenn alle denken, dass man ein arroganter, eiskalter Geldsack ist? Wie werden aus Kindern Erwachsene? Wie werden aus neugierigen, liebevollen, fröhlichen Kinder distanzierte, kühle, arrogante Erwachsene? Schläge und Worte der Verachtung?   Die Sekretärin zog die Tür hinter sich zu. Kaiba ließ sich am Schreibtisch nieder, nahm einen Schluck Kaffee, saß da mit dem Schreibtischstuhl Richtung Fenster gedreht und schwieg. Ich starrte auf seinen Hinterkopf und überlegte, was man dem kleinen Jungen, den ich im Fernsehen gesehen hatte, erzählt haben musste, was er erlebt hatte, um so zu werden. »Schick mir bis übermorgen die ersten Entwürfe, Wheeler. Du kannst gehen.« »Mh«, sagte ich und atmete tief durch, betrachtete Kaibas Rücken und rührte mich keinen Zentimeter. »Dann gehe ich und schicke dir bis übermorgen die ersten Entwürfe«, stimmte ich zu. Meine Beine wollten mir nicht gehorchen. Kraftlosigkeit zerrte an meinen Muskeln. Es war, als wäre ich einmal die KC hoch und runter gerannt. Ich stolperte Richtung Schreibtisch, steckte meine Skizzen ein und blieb an der Tür stehen. Ich hatte keine Kraft, Kaiba zu sagen, was zu sagen wäre. Er reagierte nicht und ich ließ ihn da am Fenster sitzen. Ich verstand nur nicht, warum es sich nicht so anfühlte. Warum es sich so anfühlte, als ließe er mich stehen. Obwohl doch ich ging. Die Tür schnappte hinter mir zu.   Ich fegte durch den Gang, verfluchte Kaiba und seine Arroganz, Kaiba und seine Sturheit, Kaiba und seinen Hohn. Kaiba, der behauptete, mein Vater würde mich wieder schlagen. Verfluchte Kaiba, der behauptete, ich wäre nicht der Erste. Kaiba, in dessen Augen mehr stand als ich sehen wollte. Die Erinnerung an ein gebrochenes Kind.   Am Abend war es still um mich herum. Im Garte zirpten Grillen, ansonsten legte die Nacht einen Teppich aus Ruhe über die Gegend. Aber in mir wüteten Worte und Bilder und Blicke. »Joey, was ist los?« Yugi trat unter den Apfelbaum. Obwohl es schon so spät war, saß ich hier und starrte durch die Zweige in eine sternklare Nacht. Er gähnte und setzte sich zu mir. In meinem Kopf sprudelten die Antworten über. Doch von allen Dingen, die ich Yugi fragen, die ich ihm erzählen, ihm verständlich machen wollte, kam mir das Folgende über die Lippen. »Kaiba und ich sind eine Zweckgemeinschaft.« Ich spürte, wie er mich von der Seite anschaute. »Klar.« Yugi dehnte das Wort, damit klar war, dass nichts klar war. Er lehnte sich an mich und seufzte, als ich nichts weiter sagte. »Also – eine Zweckgemeinschaft? Habt ihr darüber gesprochen, als du heute Nachmittag bei ihm warst?« »Ja.« Auch. Und so viele Gedanken schossen durch meinen Kopf. »Joey, wir haben uns Sorgen gemacht. Du bist plötzlich einfach weggerannt« »Mhm.« Das schlechte Gewissen zog an meinen Nerven, doch das Gespräch mit Kaiba spannte sie so, dass ich glaubte, kein Wort mehr herauszubringen. Yugi wartete. Ich wusste es, weil in der Stille ungestellte Fragen schwebten. Nach meinem Abgang in der Schule und dem Wiederauftauchen in Yugis Zimmer hatten wir kaum Worte gewechselt. Ich wusste, dass er glaubte, ich bräuchte nur Zeit. Und ein offenes Ohr. »Lass uns ins Bett gehen. Manchmal tut einem Schlaf richtig gut«, schlug er vor und ich brummte, nickte, obwohl ich wusste, ich würde kaum Schlaf finden. »Achja, Mokuba hat uns morgen Abend zum Essen eingeladen.« Ich legte meinen Kopf in den Nacken, schloss die Augen und seufzte.   In der Schule hing ich halb auf dem Stuhl. Die Nacht war furchtbar gewesen. Zu warm, zu kurz, zu viele Gedanken. Die Lehrer erzählten irgendetwas – die Fächer unterschieden sich, das Gelaber in meinen Ohren nicht. Kaiba saß mir im Nacken. Ich sah seine Augen vor mir, spürte sie in meinem Rücken, obwohl er auf seinen Laptop starrte. Ich spürte das Vibrieren seines Brustkorbs, den Atem auf meiner Wange, das Flüstern in meinem Ohr. Seine Worte in meinem Kopf. Die Bilder in meiner Erinnerung. Er war überall. Ich fluchte leise und begegnete Tristans verwirrtem Blick. Kaiba tippte, ich beobachtete, wie seine Finger über die Tastatur flogen. Kaiba beantwortete die Frage des Lehrers mit gelangweilter Stimme, die genug Anstand barg, dass der Lehrer ihn für die Richtigkeit lobte. Kaiba stand nach dem Klingeln auf und zog an meinem Tisch vorüber. Obwohl er mir keinen einzigen Blick gewährte, verfolgte er mich.   Bis zum Abend zog es sich. Relativität. Der Weg von Yugis Zuhause bis zur Kaibaschen Villa zog sich. Relativität. Der Gang von der Einfahrt, deren Tor eine Automatik öffnete, bis zur Tür zog sich. Nicht wie Kaugummi, sondern wie ein Gummiband, das bei einer Unachtsamkeit zurückschnellen würde, um einen brennenden Schmerz auf der Haut zu hinterlassen. Tristan und Yugi gingen an je einer meiner Seiten, flankierten mich, als müssten sie mich abschirmen und mich beschützen – oder mich im Zaum halten. Yugi klopfte. Roland öffnete. Eine junge Frau nahm unsere Jacken entgegen und Mokuba fegte zu uns in den Gang, begrüßte uns mit einem Strahlen und einer Geschichte von einem neuen Spiel, das die KC zum Turnier erst herausbringen würde. Von der Küche wehte der Geruch von frisch gemachtem Essen hinüber und ließ meinen Magen auf dem Boden hängen. Ein Mann bot uns etwas zu trinken an. Tristan wisperte mir etwas wie Kaibas Hofstaat zu. Normalerweise wäre ich darauf eingegangen, doch bei dem Namen Kaiba verknoteten sich meine Innereien, also nickte ich nur, nahm im Esszimmer Platz – wie so oft, doch es fühlte sich anders an. Als hätte mir Kaiba etwas Schmutziges verraten. Als wartete ich darauf, dass das Gummiband zurückschnellte.   Wir saßen da und warteten auf Kaibas Auftauchen – ich wartete auf die Vorspeise. Kaiba kam zuerst an. Er blieb im Türrahmen stehen, während sein Blick einmal über die Runde wanderte. Seine Mimik zuckte nicht einmal, doch in seinen Augen klirrte Kälte. »Seto! Da bist du ja endlich! Das Essen kommt schon gleich! Wir –« Das Eis taute, als Mokuba sprach, doch als er selbst redete, stach sein Blick in meinen. »Hast du nicht gesagt, dass du Freunde zum Essen einladen möchtest, Mokuba?« Obwohl er seinen Bruder ansprach, hielt er mich mit seinen Augen gefangen, als spieße er mich mit jedem Wort auf. Die Augenpaare am Tisch richteten sich auf mich. »Aber –«, wandte Mokuba unsicher ein. »Guten Appetit, Mokuba, ich schaue später bei dir im Schlafzimmer vorbei, bevor du ins Bett gehst.« Damit kehrte er uns den Rücken und ließ die Tür hinter sich zufallen. Stille. Mokuba starrte die Tür an, dann zog sein Blick hinüber zu Yugi, der ihn wackelig anlächelte, zu mir und Tristan. »Okay«, stammelte der neben mir, »okay. Was war das?« Ich hob die Schultern und atmete aus. Wann hatte ich meinen Atem angehalten? In dem Zimmer herrschte angespannte Ruhe, ein paar Wortfetzen drangen an mein Gehirn, doch seit Kaibas Auftritt, hangelten wir uns von einem Thema zum anderen. Irgendwann tauchte ich in meine Gedanken ab. Kaiba war ein Arsch. »– und dann verarbeiten wir ihn zu grünen Keksen. Er wird’s nicht mal merken.« Als die Runde mich erwartungsvoll anschaute, schreckte ich aus meinen Gedanken und Mokuba kicherte. Ich setzte mich auf und langte nach meinen Nudeln, stocherte weiter in meinem Salat, kaute auf meinem Steak, grinste verlegen. »Ja?«, machte ich. »Redet ihr von –« »Worüber zerbrichst du dir den Kopf, Kumpel?«, wollte Tris wissen. »Geht’s dir –« Kumpel. Aus Kaibas Mund hatte es wie eine Beleidigung geklungen. »Kaiba«, murmelte ich. Tristans Augenbrauen schnellten nach oben. Mokubas Gabel schwebte vor dessen Mund. »Er ist – was «, beendete ich meinen Satz und zog an meinem Kinn. »Aber er – irgendwas – er meinte –« Ich ruderte mit meinen Armen, als würde es mehr als meine Worte erklären. Yugi und Tris tauschten einen Blick und ich seufzte, während Mokuba langsam seine Gabel in den Mund steckte. »Geht es um deine Arbeit für die KC?«, hakte Tristan nach und ich zuckte die Schultern. »Hast du ihn da verärgert?« »Warum sollte ich ihn verärgert habe?«, plusterte ich mich auf. Die Blicke sprachen Bände und ich lehnte mich eingeschnappt zurück. »Nein – ja – auch vielleicht.« Mein Blick lag auf Mokuba. Was konnte ich ihm offenbaren? Was wusste er? Wusste er überhaupt etwas darüber? »Er meinte, wir wären eine – Zweckgemeinschaft!«, brachte ich vorwurfsvoll hervor. Es ging mir nicht aus dem Kopf. Warum hatte er das gesagt? Warum durchdrang mich die Kälte seines Blickes bei jeder Erinnerung dran? Ich stützte mein Gesicht mit den Armen auf dem Tisch. »Der Vertrag – alles – es geht nur um meine Chance und – seine Chance«, murmelte ich. »Geht er eigentlich nicht ein verdammt hohes Risiko ein, dir so einen großen Auftrag zu geben?«, erkundigte sich Yugi. »Er kennt sich da doch aus. Wird schon wissen, was er tut.« Es klang höhnisch, doch das machte es nicht weniger wahr. Mokuba legte seinen Kopf schief, doch er schwieg. »Bedeutet es denn nicht, dass er dir viel zutraut?«, hakte Yugi nach. »Mh, rein geschäftlich. Ich bekomme die Chance, mich zu beweisen und er die Chance, sein Turnier zu promoten.« Es war nicht gelogen. »Und was bringt es Kaiba, dass er dich ärztlich versorgen ließ?«, fragte Tristan mit gerunzelter Stirn. »Weniger Ausfall durch Krankheit.« Aber es klang hohl in meinen Ohren. »Dass er für dich die Verantwortung vor dem Jugendamt wahrgenommen hat, damit du nicht vorübergehend in eine Pflegefamilie oder zu deiner Mutter musst?«, gab Yugi zu bedenken. »Damit ich gleich weiterarbeiten kann – hier und so.« Fad. »Und was hat es ihm gebracht, dir stundenlang gut zuzureden, als du deine Ausraster und die Panikattacke hattest?« Tristans Blick ließ mich auf meinem Platz hin und her rutschen. »Effizienter Arbeitsprozess, indem ich schnell wieder auf die Beine gekommen bin.« Lauwarm. Schweigen. »Er hätte dich fallen lassen können und den Auftrag jemand anderes geben«, gab Mokuba zu bedenken und beteuerte sogleich, »nicht, dass ich das gut finden würde!« Geschirrklappern, Tristan schenkte sich nach, Mokuba beobachtete, wie die Flüssigkeit das Glas füllte. Ich betrachtete Mokuba. »Joey, du bist – eine hohle Nuss.« Mein Gesicht zuckte zu Yugi. Eine derartige Beleidigung aus dessen Mund war das letzte Mal – ich konnte mich nicht einmal an eine erinnern. »Er lässt sich auf Diskussionen mit dir ein, lässt dich – lässt uns bei ihm übernachten, redet dir gut zu, während du –« Er hätte mich liegen lassen können.   Mein Blick fiel zurück auf Mokuba, der ihn erwiderte. Sein chaotisches Haar, seine Stirn, die in Falten lag, den Mund, wo sonst immer ein Lächeln lag – alles so anders als bei Kaiba. Seine Augen. Kaibas Augen. Ich raufte mir die Haare, brach in Lachen aus, in dem eine Menge Unglaube gackerte und fasste mir an meinen Kopf mit beiden Händen, dann schaute ich zu meinen beiden Freunden, die mich wortlos betrachteten – offensichtlich standen sie auf dem Schlauch. »Versteht ihr nicht?«, fuhr ich sie an. Yugi und Tristan wechselten einen Blick. »Er hat es mir fast gesagt. Er hätte es mir anvertraut und dann hat er mich angelogen. Der verdammte – er hat mir fast vertraut und er hat mich angelogen!« Kaiba war ein Arsch. Und ich ein Idiot. »Warte – Joey – wohin –?« Doch ich hatte keine Zeit, meine Gedanken rasten mir voran und ich folgte ihnen.   Meine Beine trugen mich durch die Gänge, die Treppe hinauf, links, dann weiter gerade aus, die Tür. Nein, zurück, statt links, rechts. Ich atmete tief durch, stand vor Kaibas Bürotür und verharrte dort, ohne zu klopfen, ohne hineinzustürmen, schritt hin und her, einige Schritte vor, dann zurück, als könnte ich mich nicht entscheiden, denn – ich konnte mich nicht entscheiden. Würde ich das Zimmer betreten, gäbe es kein Zurück mehr. Vielleicht war das, was Kaiba verloren hatte zu viel. Vielleicht war es besser, wenn er weiterhin der arrogante Arsch blieb. Von außen. Der talentierte, allmächtige, launische, undurchschaubare, egoistische Streber, den es leicht war zu beneiden, zu schmähen und zu bekriegen. Mit Betreten dieses Raumes – vielleicht würde ich in Kaibas Innerem versinken. Wie in Treibsand, wie in einem Moor. Vielleicht stand ich auch schon drin und hatte es bisher nur nicht bemerkt.   Gerade, als ich klopfen wollte – oder verschwinden, zog er die Tür auf und bohrte mich mit seinem Blick in den Boden. »Was willst du, Wheeler? Bei deinem unerträglichen Stampfen verringert sich die Effizienz meiner –« »Du hast gelogen«, beschuldigte ich ihn und er verstummte einen Moment, als wollte er sich sammeln und mich mit einem geballten Satz fertig machen, doch ich wartete nicht darauf. »Wären wir eine Zweckgemeinschaft, dann hättest du mich am Boden liegen lassen. Ich meine nicht das vor ein paar Tagen. Ich meine, die ganze Zeit! Wären wir – du hättest mir nicht deinen Mantel um die Schultern gelegt – du hättest mir nicht gesagt, dass es wieder okay werden würde. Dass ich wieder aufstehen und dich nerven würde. Verdammt!« Ich blitzte ihn an, ratterte meine Gedanken hinunter, so dass manche Worte zusammenklebten wie eines. »Du hast mich angelogen, Kaiba! Du hast gesagt –« Er verschränkte die Arme vor der Brust, als versuchte er sich von den Worten abzuschirmen. »Woher willst du das wissen, Wheeler?«, höhnte er. »Weil ich mich das auch immer wieder gefragt habe, Kaiba! Woher willst du wissen – ausgerechnet du! Woher weißt du, wie ich mich fühle? Du kannst das gar nicht wissen, du verschissener Geldsack!« Ich ballte meine Hände, stand vor ihm. Meine Wangen brannten, ich verlor das Gefühl des Bodens unter meinen Füßen. Es war als schwebte ich im Raum. »Außer, du hast es selbst erlebt«, wisperte ich. Der luftleere Raum presste meine Brust immer weiter zusammen. »Du bist so ein arroganter Scheißbastard! Glaubst alles zu wissen!«, brach aus mir hervor. »Tröstest mich, baust mich auf, steckst mir eine Chance nach der anderen in den Arsch, bist da, ohne ein Wort der Anerkennung zu wollen! Seit wann bist du so ein verkackter Held?« Mein Magen wollte sich nach außen stülpen, doch ich schaffte, mich nicht zu übergeben, stattdessen verzahnten sich meine Rippen und ich konnte kaum mehr atmen. Mein Herz stolperte. Jeden Moment würde es aufhören zu schlagen. Ich verlor die Kontrolle. Immer mehr. Mein Vater hatte mir sie zum ersten Mal völlig aus der Hand gerissen, mein Zuhause gab es nicht mehr, mein Vater lag im Krankenhaus. Würde ich ihn sehen, dann – »Warum hast du mich nicht liegen lassen? Nein! Lass mich in Ruhe! Komm nicht –« Einen Augenblick dachte ich wirklich, Kaiba würde auf den Menschenverstand hören und mich einfach die Wand hinabsinken lassen, mich dort liegen lassen, bis diese bunten Punkte vor meinen Fingern aufhörten zu tanzen. Er tat es nicht.   Seto Kaiba gab die Regeln vor und niemals nach. Seine Strategie war eine Mischung aus Einschüchterung und Erniedrigung mit einer Portion Kalkül. Wenn er etwas tat, dann nicht, um anderen zu gefallen, sondern um etwas zu erreichen. Er stand nicht auf der Seite eines Freundes. Er stand nur auf seiner eigenen. Zumindest wollte er, dass das alle glaubten.   Stattdessen hing im nächsten Moment ein Mantel um meine Schultern. Ich senkte meinen Kopf, zog meine Beine an meinen Körper und klammerte meine Arme drum, als könnten sie das Rumoren in meinem Magen beruhigen. Mein Atem stockte, mein Herz raste, aber da waren Worte und dieser Duft. Ich lehnte mich nach vorne und berührte ihn. Sein Mantel gab mir die Gewissheit, dass ich nicht erstickte, dass mein Herz weiterschlagen würde. Stück um Stück verwehten die bunten Pünktchen und mit dem Gefühl, dass die Welt nicht in Fetzen zerrissen wurde, kam auch die Erkenntnis zurück, dass ich nicht alleine war. »Joey«, flüsterte er und erhob sich, zog mich mit sich, bis wir standen. Mein Gesicht lag an seiner Brust. Meine Finger krallten sich in sein Hemd. »Warum lässt du mich nicht einfach liegen?«, wisperte ich. »Weil ich weiß, wie es ist.« Mit diesem Satz schnellte mein Blick nach oben, ich öffnete meinen Mund, aber schloss ihn wieder, denn Kaiba erwiderte den Blick. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen – vielleicht er genauso wenig, denn seine Augen verrieten, dass in seinem Inneren nichts gefror, sondern ein Feuer wütete. Wärme durchzog meinen Magen. Ich fragte nicht, warum er wusste, wie das war oder warum seine Augen mich nicht wie Eiszapfen in den Boden rammten, denn ich spürte nur noch, wie meine Finger fester in sein Hemd griffen, ihn zu mir zogen und das Feuer, das ich in seinen Augen sah, sich in meinem Bauch ausbreitete. Ich wollte fragen, ob er – doch stattdessen legte ich meine Lippen auf seine. Worte waren noch nie meine Stärke gewesen. Die Nähe, die Berührung kribbelte auf meinem Mund. Seine Hände umschlossen meine Oberarme, als befürchtete er, ich würde zusammenklappen. Meine Finger ließen sein Hemd nicht locker, hielten ihn so nah, dass seine Nase meine berührte und die Bewegungen seiner Lippen meine entlang fuhren. Statt Zufriedenheit ergriff eine Welle Verlangen mein Inneres. Ich drängte mich an ihn, drückte ihn nach hinten und zwang ihn zu einem Schritt zurück. Als erkannte er erst dann, was ich tat, hielt er dagegen, schob mich gegen die Wand, bis kein Finger mehr zwischen meinen Rücken und die Tapete passte und presste ein Bein zwischen meine. Ich japste. Das Keuchen – ich würde später behaupten, dass ich nicht gekeucht hatte – jagte meine Kehle hinauf. Sein Atem wurde hektischer, er sog die Luft ein und ich fühlte, wie er mit seiner Rechten meine Seite entlang fuhr, meinen Bauch abtastete und –   »Seto! Joey – was – oh!« Kaiba fuhr herum und ich wünschte, die Wand würde mich absorbieren. »Oh shit«, hauchte ich und presste die Augen zu, nur um sie wieder aufzureißen und erneut in Mokubas große Augen zu schauen. Tristan und Yugi schlenderten um die Ecke, blieben wie angewurzelt stehen, als sie uns entdeckten. Stille kroch den Flur entlang. Wir starrten einander an, regungslos, als wartete jeder darauf, dass der andere eine Reaktion zeigte. »Also eines ist klar«, wagte es Tris zu sticheln, »sie haben sich nicht gegenseitig umgebracht.« »Ich würde vorschlagen – nachdem – also – wir – gehen mal vor«, stammelte Yugi, packte Tristans Arm und Mokubas Schulter und zog beide mit sich. Ich schaute ihnen nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren, dann blinzelte ich zu Kaiba, der schräg mit dem Rücken zu mir stand und wie eine Salzsäule wirkte.   »Nur eine Frage –« »Halt die Klappe, Wheeler.« »Ich meine nur –« Er schnaubte und setzte sich in Bewegung. »Kein Wort!«, befahl er. Ich folgte ihm und sprach es trotzdem aus. »Gehört das«, ich machte eine vage Bewegung zwischen uns hin und her; er mit geschwollenen Lippen und geröteten Wangen, sein Haar stand in ungezähmten Strähnen ab – ich vermutete mal, dass ich keinen groß anderen Eindruck machte, »schon zu unserer Freundschaft dazu? Oder ist das noch unsere Zweckgemeinschaft?« Ich hörte förmlich, wie er seine Augen verdrehte und sich die Nasenwurzel massierte.   Deswegen und wegen hundert anderer Gründe hätte er niemals nur ein Freund sein können.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)