Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 32: ... ist wissend ---------------------------   __________________________________________   Gleich schwerem Traum zerfloß ihr dunkles Walten, Und auf vernarbte Wunden kann ich zeigen, Kaum wissend mehr, von wem ich sie erhalten. Ferdinand von Saar   __________________________________________           Seto Kaiba hatte von einer Menge eine Ahnung. Er war schlau. Mehr als das. Seine Ideen erstaunten gestandene Geschäftsmänner, seine Umsetzung war beispiellos in der Geschäftswelt. Was man darüber leicht vergaß war, dass er ein Mensch war. Er kannte nicht nur Zahlen und Fakten. Auch, wenn er gerne so tat. Er wusste um so viel mehr.   Ich löffelte das Eis zum Nachtisch und vermied Tristans Blick, weil ich spürte, wie er meine Nasenspitze versengte. Yugis Löffel schwebte immer mal wieder vor seinem Mund, als wollte er etwas sagen, seine Worte jedoch ständig verwarf und deswegen schwieg. Kaiba saß da und ignorierte Mokubas Blick. Den hielt das aber nicht auf. »Seto«,  forschte er nach, »magst du Joey?« Mein Blick schnellte nach oben. »Ich mein, magst du ihn sehr?«, hakte der Junge nach, als bemerke er die merkwürdige Stille nicht, die über unserer Runde lag. »Mokuba«, schnarrte Kaiba mit einem Ton, der verriet, dass das eine denkbar bescheuerte Frage war. Ich hingegen konnte Mokubas Verwirrung verstehen. Obwohl er eigentlich nicht verwirrt wirkte – im Gegenteil. Ich öffnete den Mund, aber sagte nichts. »Also ja«, behauptete Mokuba und grinste. Kaibas Auge zuckte. »Ich habe noch zu arbeiten. Ihr findet hinaus.« Er stieg auf und schritt zur Tür. Seine Aufmerksamkeit schien mich nicht einmal zu streifen, stattdessen stierte er gen Tür, durch die er verschwand. Yugi stieß mir in die Seite. »Hä?« Er fuhr sich über die Augen und murmelte etwas, das ich nicht verstand. »Geh zu ihm«, befahl er mir dann und meine Augen weiteten sich noch weiter. »Was? Bist du verrückt? Ich geh ihm doch nicht  –« »Und wie du das tun wirst.« Eine Strenge, die man Yugi nicht zutraute, durchkreuzte seine Worte. »Wieso sollte –« Er piekste mir in die Seite. Tristan beobachte unser Geplänkel, doch auf meine Geste hin, zuckte er nur die Schulter. »Weil ihr beide einfach so kompliziert seid«, behauptete Yugi und schob mich einfach halb vom Stuhl. »Und er hat nicht nein gesagt«, gab Mokuba zu bedenken und ich erstarrte. So viel dazu. Tristan zeigte seine Zustimmung durch simples Nicht-widersprechen und ich stand seufzend vor der Esszimmertür, schob sie auf und begab mich auf den Weg zu meiner Nemesis.   Ich wanderte den Flur entlang, die Treppe hoch. Mit meinen Händen in den Hosentaschen stapfte ich durch den Gang und hoffte einfach, dass Kaiba verschwunden und nicht auffindbar war. Aber ich war nicht der Typ, einfach abzuhauen. An den Wänden hingen Bilder von Künstlern, die ich nicht kannte – aber die Gemälde sahen echt genial aus. Mit Gängen, die ineinander übergingen, Treppen, die wie in einem Labyrinth gegen jede Logik übereinander führten. Daneben ein Pferd mit menschlichem Gesicht. Ein bisschen krank war es schon. Doch auch interessant. Es zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Irgendwie konnte ich mich nicht entscheiden, ob es schön oder eklig war. Aber ich erkannte mich darin wieder. Bilder, die eine verdrehte Wirklichkeit zeigten.   Ich wusste nicht, was seltsamer war: Der Augenblick, in dem ich registrierte, dass ich ohne mich zu verlaufen, vor Kaibas Büro stand (denn wo sollte er sonst hin sein?) oder der Moment, als ich mit einem Schlag realisierte, dass ich ihn geküsst hatte. Ich. Ihn. Geküsst. Dass sich manche Dinge änderten und man erst im Nachhinein erkannte, was das für Konsequenzen zog. Ich wusste, dass es nicht mehr wie vorher sein würde. Ich wusste nur nicht, wie sehr. Es war klar, dass so viel – Er zog die Tür einen Spalt breit auf. Als er mich entdeckte, schloss er kurz die Augen, als wünschte er, ich würde dadurch einfach verschwinden. Doch ich stand noch immer wie angewurzelt da, als er sie wieder öffnete. »Was willst du?«, murrte er. »Ich und – also – er – Yugi – meinte – was – hat – so – also ich wollte – Mokuba –«, stammelte ich. Kaiba griff sich an seinen Kopf, öffnete die Tür weiter und schritt den Gang an mir vorbei. Ließ mich stehen, ohne dass ich meine Gedanken, meine Worte hätte sortieren können. »Hey! Warte!«, rief ich und stürzte ihm hinterher. »Hat Mokuba Recht? Magst du mich?« Ich sah von hinten, wie er zögerte, doch dann schien er sich wieder zu fassen. Er wedelte mit seiner Hand, wie wenn man eine Fliege verscheuchte. »Ich habe keine Zeit für deine infantilen Anfälle. Ich habe eine Firma zu leiten.« Manche Dinge änderten sich nie. »Ich meine – wenn ja, wüsste ich nicht, warum.« Er hielt inne – so wie ich. Ohne, dass er sich umdrehte, stand er da und wartete auf das, was kommen würde. Ich fuhr mir durchs Haar. »Ich meine – ich behaupte, wir wären Freunde, dass Freunde sich füreinander einsetzen und in Wirklichkeit, setzt du dich ständig für mich ein und ich kack dir ans Bein. Wie pathetisch.« »Du weißt nicht einmal, was –« »Pathetisch heißt erbärmlich, arroganter Eisbeutel«, kam ich ihm zuvor und runzelte meine Stirn. Er hatte mir das Wort so oft an den Kopf geworfen. Natürlich kannte ich es. Der Spott seiner Worte traf mich nicht, weil ich wusste, dass sie nur etwas verdeckten, das er niemanden sehen lassen wollte. Oder redete ich mir das nur ein? Wollte ich nur, dass er mehr war, als jeder zu sehen glaubte? Weil ich glaubte, selbst auch mehr zu sein, als jeder sah? »Und ich weiß nicht, was – also wieso –« Ich atmete tief durch und erinnerte mich an Kaibas Worte. Ich habe an dem Tag auch viel verloren. Kaiba, der – viel verloren hatte. Womöglich etwas, das niemand außer ihm vermisste, weil niemand wusste, dass er es verloren hatte. Niemand außer ihm. Mit diesem Tag musste das Ende seiner Kindheit begonnen haben. Er hatte etwas verloren. Vielleicht war es das, was ich in ihm erkennen wollte. »Was ist schlimmer als Schläge? Was hat Gozaburo gemacht? Was hat er dir gesagt? Was wollte er mit Mokuba machen? Was hat Mokuba mit Schach zu tun?«, sprudelte aus meinem Mund. Kaiba drehte sich langsam um. Sein Kinn erhoben, sah er zu mir hinab, stand da im Gang zwischen Meisterwerken und geschlossenen Türen, nur wenige Meter von mir entfernt. »Inzwischen deinen Vater im Krankenhaus besucht?« Der Spott in seinen Worten traf mich, obwohl ich wusste, dass sie nur etwas verdeckten, das er mich nicht sehen lassen wollte. »Und du – inzwischen Schach gespielt?«, ätzte ich zurück. Sein Blick erhärtete. Der Spott wich Kälte. Als wären wir uns keinen Zentimeter näher gekommen. Als baute er mit jedem Wort einen Stein mehr auf die Mauer zwischen uns. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Bevor du dich um meine Probleme kümmerst, solltest du dich um deine eigenen kümmern, Wheeler.« Damit drehte er sich um und ließ mich stehen, öffnete eine Tür – ich rief »Hey!«, überbrückte die Entfernung – und er schloss sie vor meiner Nase. Ich stemmte meine Hände in die Seiten, pustete eine Strähne aus der Stirn und versuchte, meinen Ärger mit jedem Atemzug aus meinem Bauch zu drücken. Ich klopfte. Er antwortete nicht. Ich hämmerte. Er antwortete nicht. Ich stieß die Tür auf. Er verengte seine Augen. Ich riss sie auf. »Sorry, ich wusste nicht –«, stammelte ich und schaute mich um, obwohl ich den Eindruck machen wollte, mich nicht umzuschauen. Ich stand in Seto Kaibas Schlafzimmer. Direkt mit Blick hinaus aus einer bodentiefen Fensterfront. Davor ein Balkon, die Türen geöffnet. Die Tapete leuchtete in einem Weiß und einer dunkelblauen Bordüre. Der Boden aus dunklem Parkett. Rechts in der Mitte stand ein weißes Doppelbett, dessen dunkelblaue Bettwäsche feinsäuberlich gefaltet war. Ich fragte mich, ob Kaibas Hausfrau dafür Sorge trug oder er selbst die Decke und das Kissen so akkurat zusammenlegte. Es war Bettwäsche für eine Person. Trotzdem gab es an beiden Seiten je einen Nachttisch. Beide vollgestellt mit Akten und Papieren. Kaiba fing meinen Blick auf und ich schluckte, obwohl sein Gesichtsausdruck blank war. »Mach es dir ruhig bequem«, schlug er vor und Sarkasmus tropfte von jeder Silbe. »Möchtest du dir etwas von mir leihen? Bequeme Hosen?« »Du hast bequeme Hosen? Ich hab mir eigentlich vorgestellt, dass du im Anzug ins Bett gehst – mit Mantel«, frotzelte ich. Er hob die Augenbrauen. »Also ich meine, wenn ich mir vorgestellt hätte – dann so. Aber ich habe mir natürlich nicht –« Er ignorierte mein Gestammel und langte nach einer Akte auf seinem Nachttisch, blätterte sie kurz durch und kam mir dann entgegen – oder einfach der Tür. »Oh«, flüsterte ich. Auf dem Nachttisch – halb unter der Akte begraben, die unter der gelegen hatte, die Kaiba gerade in der Hand hielt – lugte eine Zeichnung hervor. Kaiba folgte meinem Blick und atmete tief durch. »Wenn du deinem Hundehirn das Kommando geben könntest, mein Schlafzimmer zu verlassen, würdest du mir die Arbeit, den Sicherheitsdienst zu rufen und ein paar kognitiv limitierte Fragen deiner Freunde ersparen.« Ich blinzelte ihn an, machte ein paar Schritte rückwärts, drehte mich dann um und verließ den Raum mit einem Knoten im Magen. Die Zeichnung auf seinem Nachttisch zeigte ihn und seinen Bruder. Aber ich war es, der sie gemacht hatte. Und ich wusste, dass ihm das bewusst war. Genauso bewusst wie mir. »Was – wohin gehst du?« Kaiba zog an mir vorbei, hielt trotz meiner Frage nicht inne. »Ich habe es vorhin schon gesagt. Ich habe zu arbeiten.« Es gab eine Menge, die einfach bei Kaiba keinen Sinn ergab und ich hatte das Gefühl, seine Antwort auf alles war, zu arbeiten. »Sollten wir nicht – was – wir – vorhin –«, brachte ich nur heraus und fuhr mir aufgebracht durchs Haar. Das Gefühl, dass wir miteinander verbunden waren und uns gleichzeitig auf sichere Distanz schoben. Als hielten wir beide die entgegengesetzten Enden eines Besenstiels. Ich setzte ihm nach. »Wir sollten darüber – reden. Was das bedeutet und alles!« Yugi sprach über Probleme und er sagte oft zu mir, dass das half. »Ich wüsste nicht, was es da zu besprechen gäbe. Es war ein Moment einer Geschmacksverirrung. Ein Augenblick, in dem –« Yugi hatte Recht. Wir waren verdammt kompliziert. »Du hast es genossen!«, schmetterte ich an seinen Kopf und zeigte auf seine Brust. Mein Finger zitterte vor Zorn. Wie konnte er so tun, als wäre es nichts. Als wäre es nur passiert. »Ob du es glaubst oder nicht – ich bin auch nur ein Mensch, der –« »Sag nicht – wage es nicht, es einen Fehler zu nennen«, knurrte ich und blieb hinter ihm stehen. Endlich hielt er inne. Mit einem Schnauben auf den Lippen wandte er sich zu mir und fixierte mich. »Warum?« Ich schluckte. Konnte nicht zugeben, dass es sich nicht nach einem Fehler anfühlte. »Ich glaube, ich kann es«, sagte ich nur und er sah mich einen Augenblick lang an, als spräche ich eine andere Sprache, »ich meine – ich glaube, ich kann damit umgehen. Ich weiß es nicht, aber ich werde es versuchen. Ich – weiß, dass mein Vater Unrecht hat. Aber – ich weiß es nur.« Fuchtelte mit meinen Händen. »Und bei dem«, ich zögerte, mein Blick sprang zwischen ihm und mir hin und her, »– was auch immer – weiß ich es nicht nur.« Dass sich in dem Moment alles richtig angefühlt hatte – obwohl mein Leben auf so vielen Ebenen schief lief. Schweigen. Ich verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das andere. Sah ihn an, dann den Flur, die Wände, die Bilder, sah aber nur ihn. Er stand da, die Akte in der Hand. Sein Blick senkte sich auf das Papier. »Ich muss arbeiten. Roland fährt euch nach Hause«, sagte er. Sein Kinn erhoben, sah er zu mir hinab, stand da im Gang zwischen Meisterwerken und geschlossenen Türen, nur wenige Meter von mir entfernt. »Okay.« Ich quetschte das Wort durch meine Lippen. »Gut«, sagte er. Es klang nicht wirklich danach. Dann drehte er sich um – wieder Richtung seines Büros – und ich wandte mich in die andere, nur um nicht auf seinen Rücken zu starren. Er glaubte, das letzte Wort zu behalten. Aber das würde er nicht. Nicht diesmal.   »Wo ist Seto? Was hat er gesagt?« Mokuba fragte als erstes, was sie wohl alle drei wissen wollten. So oder so ähnlich. Ich stapfte ins Wohnzimmer, nachdem ich das Esszimmer leer vorgefunden hatte, und ließ mich neben Yugi und Mokuba auf das Sofa fallen. Wobei das eine unangemessene Bezeichnung für die Ledergarnitur der Sitzlandschaft war. Sie zockten eine Runde, unterbrachen das Spiel aber, als Mokuba mich nicht aus den Augen ließ, ich jedoch seinem Blick auswich. Und so starrte ich gen Snowboard-Fahrer auf den Bildschirm, die mitten in Sprüngen eingefroren waren. »Dass er noch arbeiten muss«, sagte ich, weil es nicht gelogen war. Ich wusste nicht, ob ich Mokubas Augen ertragen konnte. Es war als schnitt es mir ins Fleisch. Ich hatte das Gefühl, Kaiba etwas verraten zu haben, das ich besser für mich behalten hätte. Mit einem langen Blick zu mir ließ Tristan das Spiel weiterlaufen. Abwechselnd spielten wir gegeneinander, saßen nebeneinander, reichten Chips und Eiscreme umher. Es hätte der perfekte Abend sein können. Die letzte Runde. Tristan führte mit knappen hundert Punkten. Ich stopfte mir gerade Schokoladeneis in den Mund, als ich Mokubas prüfenden Blick bemerkte. »Was’n?«, nuschelte ich. Tristan steuerte auf die Zielgerade ein. Yugi knapp dahinter »Mh«, begann Mokuba zögerlich, »ich hab nur – nachgedacht.« Die letzten Sekunden, untermalt von einem mahnenden Ticken. »Worüber?« Tristans Snowboard-Fahrer machte einen Schlenker. Er raste. »Magst du meinen Bruder?«, flüsterte er. Und stürzte in den Abgrund. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, stülpte meine Hände über meine Augen und stieß einen viel zu hohen Lacher aus. »Du hast es verkackt, Tris!«, frotzelte ich lautstark. Mokubas Blick folgte mir. Ich wusste, dass er wusste, dass ich seiner Frage auswich. Aber er ließ mich. Es hätte der perfekte Abend sein können. Aber es war so kompliziert.   Mokuba winkte uns, als wir hinten im Wagen saßen und Roland mit uns die Auffahrt verließ. Es war der Sportwagen mit Leder und den Erinnerungen an das Kunstprojekt. »Okay, Joey. Erzähl. Was geht zwischen dir und Kaiba ab?« Tristan wartete nicht einmal die Auffahrt ab. »Was soll schon sein?« Ich schaute aus dem Fenster. Sterne am Himmel oben, die Kluft in meinem Magen hier unten. »Was – was sein soll? Du hast Kaiba – ihr habt – was habt ihr eigentlich getan?« Yugis Augen rutschten von rechts nach links. Er saß zwischen uns und drehte jedes Mal den Kopf, wenn einer von uns sprach. Tris linste über Yugis Strähnen zu mir, während meine Aufmerksamkeit zwischen ihnen und meinen Gedanken wackelte. Was war da eigentlich zwischen uns geschehen? War es plötzlich gewesen? Oder hätte ich es vorhersehen müssen? »Ich weiß es nicht«, murmelte ich. Und warum konnte ich es nicht einmal benennen? »Er meinte, ich soll mich um meine Probleme kümmern«, schnaubte ich, als hätte er mich damit beleidigt. Ich sah, wie Tristan Yugis Blick auffing und nichts sagte.   Am nächsten Tag trottete ich nach der Schule in den Spieleladen. Obwohl es warm war, fehlte die brütende Hitze, die dem Sommer sonst zu eigen war. Die Sonne verdeckt hinter ein paar grauen Wolken, als wollten sie uns daran erinnern, dass wir keine Garantie auf gutes Wetter hatten. Die Tür knarzte, während ich sie hinter mir zuzog. Herr Muto begrüßte mich nicht wie sonst, sondern sprach mit jemandem in seinem Büro – der Rumpelkammer. Ich machte mir nichts draus, sondern wollte gerade in den Lagerraum gehen, als ich gefror, weil ich Kaibas Stimme erkannte. Sofort platzte die Blase um mich herum und sein Duft, seine Berührung, seine Nähe fielen wie ein Kartenhaus über mir zusammen. Ich wollte seine verdammte Krawatte packen und ihn aus dem Laden schleifen und nie wieder sehen – und nie wieder loslassen. Und ihn anbrüllen, was das sollte. Und – da war so ein seltsames Gefühl. Als hätte ich zu viel Eis gegessen und trotzdem Hunger. Herr Muto nickte, während er die Tür öffnete und durch das Zwischenzimmer vorging. »Joey! Du bist schon da! Seto hier hat uns das neue –« Aber es war mir egal, was er was-auch-immer. »Du warst nicht in der Schule«, warf ich ihm an den Kopf. »Wir sehen uns dann nächste Woche.« Mein Kiefer klappte nach unten, als er mich einfach ignorierte und Herrn Muto die Hand reichte, seinen Aktenkoffer in der anderen und an mir vorbeischritt, als gäbe es mich nicht. Ich blieb regungslos, blinzelte und schaute Herrn Muto an, der mir gegenüberstand. Als die Tür einrastete, fuhr ich herum und setzte Kaiba nach. »Hey! Hey, Kaiba!«, brüllte ich und rannte ein paar Schritte, bis ich seinen Arm zu fassen bekam. Und ließ ihn los, als hätte ich mich an ihm verbrüht. Kaibas Blick ätzte meine Haut weg – oder hätte es, wenn es möglich gewesen wäre – wie bei diesen Superhelden–Comics. Nur, dass Kaiba nicht der Superheld gewesen wäre. »Was geht mit dir, Kaiba? Was soll das? Ich dachte, wir wären –« »Ich habe keine Zeit für Kindereien, Wheeler. Übermorgen um 18 Uhr findet eine Konferenz statt. Bis dahin hast du dein Projekt angemessen vorbereitet. Sarah wartet auf deine Entwürfe.« Ich fühlte mich, wie mit Eiern beschmissen. »Bis übermorgen? Bist du verrückt?«, krächzte ich. »Ich habe es dir bereits vor zwei Wochen gesagt, dann vor einer und dann –« Er öffnete die Tür des Wagens und stieg hinten ein. »Erzähl doch keinen Scheiß! Du hast überhaupt nichts erzählt!« Sollte ich wirklich so neben mir gestanden haben und nichts mitbekommen haben? Oder erfand Kaiba gerade den Mittelteil zu einer Geschichte, deren Anfang es nie gegeben hatte? »Wenn dich die Arbeit überfordert, dann –« Er wollte die Wagentür zuziehen, aber ich drängte mich dazwischen. »Was dann? Feuerst du mich?« »Das würde implizieren, dass du deinen Vertragsteil eingehalten hättest. Nein, der Vertrag wäre einfach null und nichtig«, erklärte er und zog mir den Boden unter den Füßen weg. »Es wäre – als hätte es das Ganze nie gegeben?«, fragte ich, wich einen Schritt zurück. Sein Blick wanderte über mein Gesicht. »Genau«, behauptete er und schlug die Wagentür zu. Roland brauste davon und ich konnte nur dem Auto hinterherstarren. Als hätte es das Ganze nie gegeben. Ich ballte meine Finger, spuckte ein paar Beleidigungen auf den Gehweg, so dass Passanten einen Bogen um mich machten und stürzte dann zurück in den Laden.   Herr Muto fragte ein paar Mal, ob alles in Ordnung war. Die eigentliche Frage war eher, was nicht okay war, aber mir stand es nicht nach einem Gespräch, also zuckte ich die Schultern. Herr Muto legte seine Hand auf meine Schulter und sagte nur, dass es Berg auf gehen würde. Dass eine Lösung gefunden, dass mein Vater mir nicht mehr schaden würde. Ja, den gab es ja auch noch. Vielleicht hatte Kaiba Recht. Vielleicht hatte ich genug Probleme – auch ohne ihn.   Gegen Abend stiefelte Yugi durch die Tür. Die Klingel ließ mich hochsehen. Ich stand an der Kasse, zählte gerade die Einnahmen, als er mit einem Grinsen den Laden betrat. »Wo warst du?«, wollte ich wissen. »Ähm – ich war –« Sein Lächeln schwand. »Warum warst du weg?« »Ich –« »Seit wann lässt du mich so hängen?«, jammerte ich wehleidig. Ich bemerkte, dass ich etwas theatralisch wurde, aber es tat gut, sich ein bisschen in Selbstmitleid zu suhlen. Vor allem, wenn einem Seto Kaiba die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte und unsinniges Zeug laberte und einen immer wieder belehrte und – mein Hand robbte an den Geldscheinen, als wären sie daran schuld. »Also – okay. Was ist passiert?« Yugi stellte sich neben mich an die Kasse, stützte sich halb auf den Tresen, mit dem Rücken dran gelehnt. »Was soll passiert sein?« Ein Lächeln zupfte an seiner linken Mundseite. »Was hat Kaiba gemacht?«, fragte er und traf den Punkt, den nur Yugi mit so einer sanften Stimme treffen konnte. Als wäre es in Ordnung, dass er es wusste, obwohl er doch noch gar nicht wissen konnte, was es zu wissen gab. Oder? »Kaiba ist ein Arsch. Ehrlich!«, grollte ich und erzählte, was Kaiba mal wieder behauptet hatte. Yugi legte seinen Kopf zu Seite und schaute mich nachdenklich an. »Übermorgen? Mh. Hast du schon einen Plan?« »Natürlich!« Ich reckte mein Kinn und ballte meine Faust mit den Münzen in der Hand. »Kaiba zu zeigen, dass er sich seine null und nichtig-Sache mal schön in den Arsch schieben kann!« »Das ist wenigstens ein Anfang«, seufzte Yugi und stieß sich vom Tresen, machte ein paar Schritte und mich nervös damit. »Warum benimmt er sich so? Hä?«, murrte ich. »Er ist einfach so – so halt.« Ich wedelte mit meinen Händen und ein paar Scheinen, die ich noch hielt. Yugi wollte gerade etwas sagen, als ich genervt meinen Kopf mit meinen Armen auf dem Tresen ablegte. »Verdammt. Jetzt muss ich nochmal von vorne anfangen«, murmelte ich. »Auf. Ich helf dir«, sagte Yugi, legte eine Hand auf meine Schulter und begann die Kasseneinnahmen zu zählen.   In der Nacht flüsterte ich mit Yugi, was nun zu tun sei. So lange, bis sein Großvater uns schlafen schickte. Ich lag weiter wach, aber ich wusste: Yugi hatte Recht. Jetzt – in diesem Moment – konnte ich nichts tun. Ich müsste bis morgen warten. Und am besten noch ein paar Stunden schlafen. Um fünf Uhr morgens verwarf ich den guten Vorsatz und schlich mich mit Papier und Stift hinten in den Garten. Es dämmerte als ich unter dem Apfelbaum saß und vor mich hin zeichnete. Wenn ich dich verletzen wollte, würde ich nicht das Medium Schere dafür benutzen. Ich wusste das. Er hätte andere Möglichkeiten. Er hatte immer andere Möglichkeiten. Welchen genialen Plan hast du? Ich wollte es ihm zeigen. Egal wie. Du hast Angst. Nein. Meine Finger verkrampften sich um den Stift. Nein. Ich atmete tief ein. Nein. Kaibas Stimme suchte mich heim. Ich schlug die Seite des Blockes um und hörte, wie er seine Brauen heben und seine Lippen kräuseln würde. In seinen Augen läge Spott. Mokubas Augen glichen seinen. Nur der Spott fehlte. Vielleicht wären sie gleich, hätte Kaiba nicht gewonnen. Ich seufzte und strich ein Wort auf dem Papier, zerkritzelte die Skizze, weil es nicht passte, nicht reichte, nicht zeigte, was es sollte. Blätterte ein Blatt weiter. Es klang unsinnig. Tristan würde mir zustimmen. Yugi wäre nachdenklich. Dein Verhalten, Wheeler, ist eine Zumutung für jeden deiner Mitmenschen. Sicherlich ist dir außerdem nicht entgangen, dass du hiermit dein Statement gegenüber Herrn Le widerlegst. Wer würde Kaiba zustimmen? Wen stimmte er nachdenklich? Wer stimmte ihn nachdenklich? Mir fiel niemand ein außer Mokuba. Kaiba hatte sonst keine Freunde. Menschen, die er bezahlte, galten nicht. Das war wie mit facespace-Freunden. Kaiba mit einer Kuchenplatte voller Muffins. Das Bild sprang vor mein inneres Auge und ich gluckste, doch das tanzende Gefühl in meinem Magen verebbte. Du hast Angst. Nicht Angst davor, wegzugehen. Angst davor, nicht anzukommen. Ich rieb meine Augen. Vögel zwitscherten über mir in den Ästen. Ich lehnte mich zurück und ließ meinen Blick in den Himmel wandern. Es gibt Schlimmeres als Schläge, Wheeler. Mein Stift schwebte über dem Papier. An meinen Augen zog eine Wolke vorbei, die das Blau des Himmels trübte. Wann, meinst du, schlägt dich dein Vater wieder? Galle spülte meine Lunge hinauf. Man konnte nie wissen, was kommen würde. Vielleicht nie. Vielleicht am selben Tag, wenn wir uns wieder sahen. Vielleicht nie. Und wenn du dich ihm nicht stellst, wirst du es eines Tages bereuen. Vielleicht. Weil du glaubst, dass er es zurecht gemacht hat. Vielleicht. Ich bin nicht allein und ich war es nie. Was ist mit dir? Es war gegen sechs Uhr, als ich Yugi etwa auf einen Schmierzettel kritzelte und losging. Kaiba war nicht einfach. Seine Gedanken waren wie Kabel, die ineinander verknotet waren. Weil ich weiß, wie es ist. Seine Worte waren wie eine Anleitung auf einer Sprache mit fremden Schriftzeichen. Ich saß in einem Bus, übermüdet und mit Schlaf-T-Shirt auf dem stand I love cookies, einer Hose, die Tris mir geliehen hatte, und einem Skizzenblock, um den meine Finger verkrampften. Weil ich weiß, wie es ist. Ich starrte aus dem Fenster, stieg aus und stapfte meiner Nase nach. Weil ich weiß, wie es ist. Mauern umgaben die Häuser. Ich lief weiter. Der Morgen war mild, doch es würde bestimmt verdammt heiß werden. Weil ich weiß, wie es ist. Ich hielt vor dem Tor und starrte die Klingel an. Wie spät war es inzwischen? Mein Handy zeigte halb sieben. Doch ich regte mich nicht. Weil ich weiß, wie es ist. Mein Finger schwebte über der Klingel. Er würde mich fertig machen mit Worten und Blicken. Er würde mich anschreien oder anschweigen. Und ich wusste nicht, was besser war. Er würde meine Bemühungen in einem Augenblick zermahlen und der Lächerlichkeit preisgeben. Bevor du dich um meine Probleme kümmerst, solltest du dich um deine eigenen kümmern, Wheeler. Weil ich weiß, wie es ist. Doch das hatte mich noch nie davon abgehalten, mich Kaiba zu stellen. Der Klingelknopf drückte gegen meinen Zeigefinger, als ich ihn presste. Es passierte – nichts. Stille. Wahrscheinlich würde automatisch die Polizei verständigt, wenn jemand länger als zehn Minuten vor dem Tor stand – oder drei. Ich senkte die Schultern und schloss die Augen. Sie brannten vor Müdigkeit, welche die Lider nach unten zog. Ich betrachtete meine Skizze und seufzte. Was war nur mit mir durchgegangen? Um diese Uhrzeit – hier – ich! »Was willst du?«, knurrte eindeutig die Stimme Seto Kaibas durch die Lautsprechanlage. Ich hatte einen Satz gemacht und meine Hand auf den Brustkorb gelegt, atmete tief durch, doch die Ruhe wollte nicht zurückkehren. Die Videokameras über dem Tor fokussierten mich. Nicht Angst davor, wegzugehen. Angst davor, nicht anzukommen. »Ich hab gelogen«, murmelte ich. Es war still auf der anderen Seite. »Ich hab gesagt, du wärst reich«, ich stockte. Vielleicht hörte er nicht mehr zu. »Und dass du keine Freunde hättest. Aber«, ich schluckte, starrte auf meine Skizze, als stünden dort die nächsten Worte, doch ich brachte nichts heraus. Wer wusste schon, was Gozaburo mit Kaiba gemacht hatte? Wovor Kaiba seinen kleinen Bruder beschützen musste. Was ihn selbst kaputt gemacht hatte. Seto Kaiba war reich, intelligent, gutaussehend. Und ein arroganter Arsch. Was man darüber leicht vergaß war, dass er ein Mensch war. Er kannte nicht nur Zahlen und Fakten. Auch, wenn er gerne so tat.   Ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte, also hielt ich meine Skizze in die Kameras. Sei der, der du sein willst, nicht der, den die anderen in dir sehen, stand über dem weißen Drachen, der sich um eine verdeckte DuelMonsters-Karte schlängelte. Du weißt nie, was als nächstes kommt. Jetzt ist die Zeit, es herauszufinden! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)