Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 33: ... ist kompliziert ------------------------------- __________________________________________   Das Leben ist einfach kompliziert. © Dr. Eskandar Abadi (*1959)   __________________________________________           Seto Kaiba war – das sagte Sarah – einfach vielschichtig. Mokuba bezeichnete es als einfach in seiner eigenen Welt lebend. Tristans Ansicht nach war er einfach eigen. Yugi meinte, dass er eben einfach nicht dem Durchschnitt entsprach. Keiner von ihnen hatte Unrecht. Aber sie vergaßen zwei Dinge. Erstens. Seto Kaiba war nicht einfach. Zweitens. Seto Kaiba war komplizierter.   »Und kein Konjunktiv Zwei, Wheeler. Ich bin reich«, entgegnete er süffisant über den Lautsprecher. In dem Moment, als ich meine Augen verdrehte, öffnete sich das Tor.   Kaiba saß mit einem Hemd am Schreibtisch, der den Blick zum Fenster führte, und füllte seinen Aktenkoffer mit Dokumenten, als ich eintrat. Den Skizzenblock vor meiner Brust haltend, als könnte er mich vor Kaiba abschirmen. »Ich habe schon daran gezweifelt, dass du weißt, wie man eine Klingel betätigt«, höhnte er. »Du hast mich beobachtet?«, hakte ich nach und blieb an der Tür stehen, verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das nächste. »Mach dich nicht lächerlich. Roland hat mich benachrichtigt.« »Lässt du ihn auch mal schlafen? Und du schläfst also wirklich mit Hemd und Krawatte?«, frotzelte ich, als er sich umdrehte, was ihm nicht einmal ein Wort entlockte. Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu, überlegte, ob ich mich nicht einfach setzen sollte. Meine Beine verlangten ein Bett. Eigentlich verlangte alles an und in meinem Körper nach einem – nur mein Verstand wehrte sich. »Was machst du?«, wollte ich wissen und betrachtete, wie Kaiba weiter Akten in seinen Koffer legte. »Akten in meinen –« »Schon klar. Und warum machst du das?« Er erwiderte nichts, als wäre klar, warum er das machte. »Wirklich jetzt. Warum machst du das?« Mein Blick huschte aus dem Fenster. Die Skizze noch immer in meinen Fingern, presste sie an meinen Bauch, als könnte sie mich vor Kaibas Worten schützen. »Auf dem Weg zur Schule und zurück zur KC ist genug Zeit, um zu arbeiten.« Ich kam der Müdigkeit entgegen und ließ mich auf den Schreibtischstuhl fallen. Nur für einen Moment. Meine Augen brannten, aber ich weigerte mich, sie zu schließen. »Ich werde es nicht tolerieren, wenn du während der Konferenz einschläfst, Wheeler. Meine Firma ist nicht die Schule. Wenn du deine schulische Ausbildung auf die leichte –«   Als ich aufwachte fuhr ich hoch. Irgendwo zwischen leichte und Schulter war ich weggedöst. Der Mantel raschelte zu Boden. Mein Nacken knackte, als ich ihn bewegte und mein Blick den Raum absuchte. Aber ich war allein. Allein in Seto Kaibas Arbeitszimmer. Ich erhob mich, bückte mich, um Kaibas Mantel vom Boden aufzuheben, als jemand die Tür öffnete. Sarah trat mit einem Kaffee hinein. Als sie bemerkte, dass ich nicht mehr schlief, schlich ein Lächeln auf ihre Lippen. »Seto meinte, es würde dir gut tun zu schlafen.« Ich streckte mich. »Das hat er gesagt?« »Nicht mit diesen Worten. Er sagte etwas davon, dass man schlafende Hunde nicht wecken soll.« Sie grinste, während ich Geldsack grummelte und drückte mir die Tasse in die Hände. »Mach dich frisch, trink das und dann – wir haben viel zu tun.« »Eigentlich –« Mein Blick blieb an ihrer Uhr am Handgelenk zwischen all den Armreifen hängen. »Eigentlich müsste ich jetzt in der Schule sein«, wandte ich ein. Und ganz ehrlich. Was machte sie ohnehin hier? Was machte ich hier? »Oh, natürlich«, entwich ihr. »Seto hat dich für heute entschuldigen lassen. Er wird dir alle Informationen zukommen lassen.« Sie ließ sich auf dem Schreibtischstuhl nieder, wo ich noch vor wenigen Augenblicken gesessen hatte. Ich stand einfach nur da. Mitten in diesem Raum. Kaibas Mantel im Arm. Seto Kaiba hatte mich in der Schule entschuldigen lassen. Hatte mich hier schlafen lassen. In seinem Zimmer. In seinem Zuhause. Ich atmete erst einmal tief ein. »Seto hat mich heute Morgen angerufen«, erzählte sie. »Er meinte nur, es wäre an der Zeit, die Werbekampagne voranzutreiben. Dass du einen entscheidenden Schritt vorangekommen wärst.« Und atmete tief aus. Sie deutete auf meine Skizze auf dem Schreibtisch und ich folgte ihrem Fingerzeig. »Und, dass es an der Zeit wäre, herauszufinden, was als nächstes käme.« Ich sog Luft ein. Ihre Worte klangen nach mehr, aber ich wusste nicht, nach was, ich wusste aber, dass sie Recht hatte. Also zog ich den anderen Stuhl näher.   Den gesamten Vormittag diskutierten wir über Jugendliche, Spieleabende, Freunde, Firmen, Skizzen, Spiele und Werbung. »Natürlich, es ist immerhin eine Werbekampagne. Ein Werbespot. Das gehört dazu. Yugi Muto wird –« »Yugi?« »Und du. Ihr beide würdet sensationell vor der Kamera aussehen. Ihr verkörpert alles, was das Turnier transportieren soll. Freundschaft, Loyalität, Spaß, Vertrauen –« »Kaiba und Mokuba würden auch sensationell vor der Kamera aussehen«, behauptete ich, als der Gedanke an Kaibas Lächeln etwas in mir zum Schwingen brachte – etwas in meinem Bauch. Dieses Lächeln, das nur seinem kleinen Bruder galt. »Seto möchte Mokuba möglichst aus den Medien heraushalten«, erwiderte Sarah und bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht wirklich zu deuten wusste. »Ja, das kann ich verstehen«, murmelte ich. Dieses Lächeln, das mich nötigte, verlegen wegzuschauen, weil es so intim war, dass alles andere unangemessen schien. Dieses Lächeln gehörte nicht in die Öffentlichkeit. »Seto geht mit Mokuba in einer ganz besonderen Weise um, nicht?« Sarah legte ihren Finger an ihr Kinn und betrachtete mich nachdenklich. Wie sie über Kaiba sprach, erinnerte mich daran, dass sie ihn schon eine kleine Ewigkeit kennen musste. »Es scheint, dass er niemandem sonst eine solche Nähe gewährt«, sagte sie weiter. Etwas in meinem Bauch erstarrte. Ich nickte langsam. Sie hatte wohl Recht. Niemandem galt Kaibas offene Zuneigung. Niemandem außer Mokuba. Dann schnaubte ich. »Man weiß nie, woran man bei ihm ist. Selbst nach jahrelanger Zusammenarbeit«, sprach sie weiter. Ich streckte mich, schaute aus dem Fenster, als könnte ich so Sarahs Blick entkommen. »Aber bei wem weiß man das schon?«, warf sie in den Raum. »Wir alle haben doch unsere Widersprüche. Manchmal muss man sich durch diese kämpfen, um die wahre Bedeutung zu erfassen.« »Ja«, murrte ich, »aber bei keinem anderen Menschen habe ich das Bedürfnis, danach weiter von ihm entfernt zu sein, als davor.« »Danach?«, echote Sarah. Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Mein Blick flog vom Fenster zu ihr, dann auf die Skizze, zurück zum Fenster. Irgendwo dazwischen ihre Augen, die mich nicht entkommen ließen. Ich hatte das Gefühl, zu viel gesagt zu haben. »Ich meine nur, dass er verdammt kompliziert ist und nie sagt, was er will.« Ich verschränkte meine Arme und wünschte, ich hätte meine Worte zurücknehmen können. Es war, als hätte ich mich vor jemandem nackt ausgezogen, der drohte, mich auszulachen. Doch statt einer amüsierten Bemerkung, beobachtete Sarah mich mit ihren Augen, strich eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht und fragte etwas, das mich meinen Mund öffnen und schließen ließ, ohne eine genügende Antwort. »Was willst du denn?«   »Ich – ja, natürlich – also –« Mein Kiefer mahlte, nachdem ich bemerkte, dass nichts Sinnvolles kommen wollte. Verlegen senkte ich den Blick, traf auf meine Skizze, auf all die anderen Zeichnungen, die wir in den letzten Stunde produziert hatten, Post-its, die auf dem Schreibtisch klebten, Schmierzettel mit Ideen für Werbespots, Postern, Radiowerbung. »Warum gehst du davon aus, dass er weiß, was er will, aber du weißt nicht, was du willst?« Ich fuhr hoch, machte Schritt, nur um wieder stehen zu bleiben und weiterzuschreiten, fuchtelte mit meinen Händen, weil Worte nicht genug waren. Mein Brustkorb voller Gefühle, mein Kopf voller Gedanken. »Weil – also – er ist – verdammt nochmal Seto Kaiba!« Als mein Blick ihren einfing, schien sie nicht verärgert oder überrumpelt. Sie lachte nicht oder wischte diese Erkenntnis mit einer Handbewegung fort. Nein. Sarah nickte ernst. »Oh, ja. Und das sichert Milliarden, wenn es um Dollar geht. Aber er ist genauso ein Teenager wie du.« Das sog die Luft aus meinen Lungen. Und die Gedanken aus meinem Kopf. Wo eben noch so viele Argumente gewimmelt hatten, dass Kaibas Verhalten alles andere als okay war, sein Vorgehen alles andere als angemessen, herrschte plötzlich ein seltsames Verständnis. Es überrumpelte mich in seiner Einfachheit. »Du meinst – er weiß nicht, was er will?« Sarah lehnte ihren Oberkörper zu mir und legte eine Hand auf meinen Arm. Ihre Amrreifen klirrten. Ich starrte ihre perfekt manikürten Fingernägel an, doch spürte ihren Blick, als jedes ihrer Worte direkt in meine Lunge sickerte. »Er ist ein Teenager, Joey. Viele Menschen vergessen das. Er lässt es Menschen vergessen durch seinen Intellekt und sein Charisma. Sei du einer der wenigen Menschen, die es nicht vergessen.« Ich schluckte und nickte langsam, während Worte über meine Lippen rollten, die so nicht geplant waren. »Wir haben uns geküsst.« Stille. Ich kaute auf meiner Lippe, starrte die Skizzen an, als versuchte ich sie mir einzuprägen, dabei sah ich sie nicht einmal. Vor mir sah ich nur Kaiba. Seine Augen, kurz vor dem Kuss, seine Augen, danach. Irgendetwas hatte sich verändert, aber ich konnte es nicht greifen. »Ich weiß«, erwiderte sie sanft.   Mein Blick schoss zu ihr und ich stammelte irgendwelche Silben, die kein zusammenhängendes Wort ergaben. Sarah legte eine Skizze zur Seite und lächelte mich an. »Er hat mich danach angerufen.« »Was – ich mein – was hat er gesagt?« »Er meinte, er würde zu einem hormongesteuerten, emotionalen Menschen mit pathetischen Teenagerproblemen. Er klang beinahe zufrieden – für Seto.« Ihre Lippen hoben sich weiter und ich schnaubte amüsiert. Das klang ganz nach Kaiba.   »Warum – aber warum behandelt er mich dann wie einen –« Ich raufte mir die Haare. »Wie einen verdammten Praktikanten? Als wäre er mein – und ich – ich meine – wie seinen – ich dachte, wir wären so etwas wie Freunde. Warum können wir nicht einfach – darüber reden?« Es wollte einfach keinen Sinn ergeben. Doch sie lachte auf. Es war kein herablassendes Lachen, sondern eines, das zeigte, dass Unglaube und Amüsement eine seltsame Mischung waren. »Er weiß nicht, wie er mit dir umgehen soll. Er kann nicht darüber reden. Er weiß nicht, wie. Also was macht er? Er macht das, womit er sich auskennt. Er behandelt dich wie einen Angestellten.« Ich betrachtete sie mit einem Gefühl, dass Unglaube und Amüsement vereinte. »Und – was mach ich jetzt? Ich mein – ich und er?« Sie lehnte sich zu mir, lächelte und antwortete, als wäre es das Banalste der Welt. »Teenager sein.« Ich runzelte die Stirn.   Gegen Nachmittag stürmte Mokuba in das Zimmer und nötigte uns dazu, mit ihm zu essen. Während uns der Junge mit Belanglosigkeiten amüsierte, schlüpfte in meine Gedanken, wie unähnlich ähnlich Mokuba Kaiba war. Seine Worte waren andere, der Ausdruck seiner Augen war ein anderer, seine Sorglosigkeit war anders – und trotzdem. Er hätte niemals erfolgreich verneinen können, der Bruder von Seto Kaiba zu sein. Das machte die Sache mit Kaiba nicht einfacher. Aber Kaiba menschlicher.   Wir kehrten zurück in das Arbeitszimmer, bastelten an der Vorstellung unserer Ideen, erstellten eine virtuelle Präsentation und Sarah ließ mich alles hundert Mal durchgehen. Vielleicht waren es auch nur sieben Male.   Gegen Abend stand Kaiba im Zimmer, stellte den Aktenkoffer auf den Boden und verlangte Ergebnisse. Sarah begrüßte ihn mit einem Lächeln und der Frage, wie es heute seinen Hormonen ginge. Er verdrehte die Augen und ich beobachtete die beiden, wie ein Gast, der im falschen Zimmer gelandet war. »Morgen ist die Konferenz. Ihr tätet gut daran, niemanden zu blamieren.« Natürlich sagte er es nicht, aber es war offensichtlich, wen er alles meinte. Und dass er keinen in diesem Zimmer ausnahm. »Ich mache mir keine Sorgen darum«, erwiderte Sarah gut gelaunt. Das hätte ich nicht unterschrieben. Bei dem Gedanken an all die Blicke, die Männer mit Hemden und Krawatten, die Blicke und die Nicht-Blicke wurde mir ganz anders. »Wir haben alles soweit vorbereitet. Selbst die Präsentation ist fertig. Die Konferenz kann kommen«, sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich konnte es nicht einmal ausstehen, Referate vor der Klasse zu halten. Wie sollte ich in einem Teich voller alter Männer bestehen, die geradezu erwarteten, dass ich versagte? Vielleicht hatten sie Recht. Vielleicht blamierte ich nicht nur mich und Sarah, sondern auch Kaiba. Vielleicht wäre es besser, wenn Sarah die Präsentation übernahm. Nicht, dass es das erste Mal war, dass ich ihr das gesagt hätte. Doch sie hatte nur gelächelt und behauptet, ich sollte nochmals von vorne anfangen. Manchmal müsste man einen Schritt zurückmachen, um zwei voran zu gehen.   »Gut, ich mache mich auf den Weg«, sagte Sarah. »Ich sollte wohl auch –«, begann ich langsam, doch Kaiba hielt mich zurück. Sarah stand auf und bedeutete Kaiba, dass sie selbst herausfand. Es wäre ja nicht das erste Mal. Sie lächelte mich an, als versuchte sie mir so eine Portion Selbstvertrauen in meine Glieder zu pumpen und schloss dann die Tür hinter sich.   »Was is’n?«, wollte ich wissen, dabei fielen mir sofort hundert Sachen ein. Eine ganz besonders. Kaiba öffnete in aller Ruhe seinen Aktenkoffer, zog einen Hefter mit ordentlich gelöcherten Arbeitsblättern und Papieren mit Vermerken in seiner Handschrift hervor und drückte ihn mir in die Hände. »Nicht, dass du es dir wirklich ansehen würdest«, behauptete er und stellte dann seinen Laptop auf den Schreibtisch. Ich betrachtete seine Unterrichtsnotizen. »Seit wann schreibst du mit?«, frotzelte ich. »Seit dem du dich auf eine Konferenz vorbereiten musst und deswegen Unterricht verpasst. Der Tag wird übrigens als berufspraktische Orientierung entschuldigt.« Ich hob meine Augenbrauen. Er fuhr sich durchs Haar und war noch mit irgendwelchen Akten beschäftigt, sah mich keine Sekunde lang an, zog dauernd Dokumente hervor, verglich Graphiken und beugte sich über Skizzen. »Mh, wie auch immer. Danke«, murmelte ich zu Kaibas Rücken. »Wolltest du sonst noch –« »Wir sehen uns dann morgen, Wheeler. Sei pünktlich. Gute Nacht.« Er hielt nicht einmal inne. Es klang weniger nach Gute Nacht als nach Verschwinde endlich. »Also dann – gute – Nacht.« Einen Moment lang dachte ich, er würde mich nochmals aufhalten. Aber er tat es nicht.   »Hast du wirklich erwartet, dass er plötzlich – naja – un-kaibahaft wird? So ein dauernd grinsender, leicht durchschaubarer Typ? Einer, der über seine Gefühle labert und über so ein Zeugs redet?«, fragte Tristan. Wir saßen mittags in der Mensa, während ich die ein oder andere Matheaufgabe von Yugi abschrieb und Tristans Lektüre über mich ergehen ließ, nachdem ich mich beschwert hatte, dass Kaiba so kompliziert war. »Nö«, gab ich zu. »Aber – ich weiß nicht. Ich mein, wir haben nicht einmal – wir haben kein Wort über – darüber verloren. Er ignoriert das voll.« »Worüber?« »Darüber!« »Achso, du meinst, dass ihr euch geküsst habt?« »Psssscht!«, brachte ich Tris zum Schweigen und schaute mich um, ob uns jemand belauschte, als wären wir auf einer Top-Secret-Mission. »Warum hast du es nicht einfach zur Sprache gebracht?«, wollte Yugi wissen und schlurfte an seiner Limo. Ich betrachtete ihn, als hätte er mir vorgeschlagen, in der Kaiba Corporation mit ihm eine Rumba zu tanzen, während wir nichts außer einem Bikinioberteil und einem Baströckchen trugen. »Weil er dann denken könnte, es wäre mir wichtig«, antwortete ich, »aber das ist es nicht. Ich wollte mit ihm darüber reden. Ich habe es ihm schon gesagt, dass wir wahrscheinlich darüber reden sollten, aber er wollte nicht darüber reden. Besser. Er hat es eine Geschmacksverirrung genannt. Wenn ich wieder davon anfange, könnte er denken, dass ich mit ihm drüber reden wollen würde. Und das soll er nicht.« »Er soll nicht darüber reden, aber du willst, dass du mit ihm darüber redest?«, hakte Tristan verwirrt nach. »Quatsch. Ich will nicht, dass er denkt, dass ich mit ihm darüber reden will, weil es mir wichtig wäre. Ich will nur mit ihm reden, damit ein paar Sachen klarer sind, ohne, dass ich davon anfange zu reden.« Yugi wechselte einen Blick mit ihm. »Und du beschwerst dich, dass er so kompliziert ist«, seufzte Tristan und fuhr sich durchs Haar.   Nach der Schule stand ich im Spieleladen und trat von einem Fuß auf den anderen. Meine Merkkarten in der Hand, als hätte ich sie nicht schon alle hundert Mal durchgekaut. Aber ich hatte das Gefühl, sobald ich sie weglegte, alles zu vergessen, also versteiften meine Finger um sie, als könnte ich die Punkte so in meinem Kopf behalten. Am Nachmittag schlängelte sich Sarah zwischen ein paar Schülern im Laden hindurch und grinste mich triumphierend an. »Auf in den Kampf, Schätzchen«, sagte sie und zeigte mir drei verschiedene Ausdrucke. Mit einem Blick auf die Papiere erkannte ich, dass es sich um meinen Entwurf handelte. »Das ist, was wir suchen. Mach dir keine Sorgen. Es wird wunderbar werden.« Sie klang, als wären wir auf dem Weg in den Freizeitpark, als freute sie sich auf die Konferenz. »Ja«, erwiderte ich kurzangebunden und konzentrierte mich. Ich befürchtete, ich würde mich sonst über ihre Schuhe erbrechen. Herr Muto wünschte mir viel Erfolg und lächelte mir zu, während ich glaubte, mich auf dem Weg zu meiner Hinrichtung zu befinden.   Vor dem Laden wartete ein schwarzes Auto, das viel zu teuer für meine abgetragenen Jeans war. »Wir haben noch knapp eine Stunde, Schätzchen. Keine Panik.« Ich antwortete nicht.   Die Kaiba Corporation erschien mir größer zu sein als jemals zuvor. Die Zentrale ragte hinauf in erschwindelnde Höhen und ich glaubte, dass das Gebäude um sich kreiste. »Komm schon, Joey! Nicht trödeln!«, flötete Sarah, als könnte sie es nicht erwarten. Ich folgte ihr. Drinnen begrüßten uns die Empfangsdame und ein paar Kollegen, die Sarah zunickten. Ihre neugierigen Blicke blieben an meinen Jeans und Schuhen hängen. Ich knibbelte an meinem T-Shirt-Saum. Menschen hetzten an mir vorbei. Ihre Absätze klackerten. Menschen riskierten einen Blick auf ihre verdammt teuren Uhren. Ihre Blicke rasten weiter. Menschen tippten auf ihren Phones und Tablets herum. Ihre Finger jagten über die Bildschirme, während sie durch die Gänge hasteten. Es war voll und warm und ich gehörte nicht hierhin. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, hatte keine dringenden Geschäfte zu erledigen. Meine Schuhe glänzten nicht.   Sarah zwinkerte mir zu und erzählte etwas von Skizzen und wunderbar. Wir quetschten uns in einen Lift. Die Männer hoben ihre Augenbrauen, wenn sie mich sahen. Sarah drückte den Kopf. Eine automatische Stimme flötete, dass sich die Tür schloss. In den nächsten Stockwerken strömten die Männer aus dem Aufzug, einer stieß mich an und hastet ohne ein Wort weiter. Als hätte er keine Zeit dafür, als wäre ich es nicht wert. Ich verkniff mir das Idiot. Der Lift trug uns bis in eine der oberen Etagen, wo die Gänge unerwartet still waren. Ich erkannte erst wieder, wohin wir unterwegs waren, als wir vor Sarahs Büro standen.   »So – Schätzchen«, begann sie und zog mich durch die Tür. Mich begrüßte das organisierte Chaos, das ihr Büro beherrschte. Skizzen über dem Schreibtisch, an den Wänden, den Whiteboards, Post-Its an den Wänden, Poster und Flyer an den Whiteboards, Bilder an den Wänden, Zettel auf dem Schreibtisch – »Ahja, hier ist auch schon die Kleidung. Wunderbar – genau wie ich Roland beauftragt hatte.« Auf dem Couchtisch in der Ecke standen Kartons – längliche, große, kleine – zwischen Poster, Skizzen und Bildern. Armani, Joop, Versace stand darauf. »Probier sie an. Los, los!« Sarah klatschte in ihre Hände und lächelte mich mit ihrem breiten Lächeln an. »Ich komme in zehn Minuten wieder! Die Tür dort führt ins Bad. Da gibt es auch einen Spiegel.« Damit ließ sie mich und die Boxen alleine, die ich widerwillig öffnete. Ich sank das Sofa hinab und starrte die dreiteiligen Anzüge an, die Krawatten, die Schuhe, die Hemden. Sie sahen alle gleich aus. Für mich. Also schnappte ich mir irgendetwas und zog es an. Das Hemd kniff, die Hose spannte, die Schuhe. Die Schuhe waren das Schlimmste.   Exakt zehn Minuten später rauschte Sarah in das Zimmer, brachte den frischen Geruch von Kaffee hinein und blieb wie angewurzelt stehen. Worte wie Klasse und Stil schwebten im Raum. »Wunderbar!« Sie strich vorne über das Hemd. »Echt? Das kneift alles! Die Schuhe sind zu eng und –« »Im Vergleich zu deinen Turnschuhen? Joey, die sind so ausgelatscht, dass die jetzt wahrscheinlich zwei Größen weiter sind als ursprünglich. Und deine T-Shirts sind verwaschen. Mh. Statt des schwarzen Anzuges solltest du den in Anthrazit anprobieren. Passt besser zu deinem Teint, Schätzchen. Ach, und diese Krawatte hier.« Sie legte mir die weinrote Krawatte über den Arm und kniff mir in meine Wange. Ich verzog den Mund. »Ernsthaft? Ich sehe aus wie – wie – einer von denen!«, erklärte ich ihr verzweifelt und wedelte mit den Armen. Sie lächelte und nickte. »Genau, Schätzchen, ganz genau.« Ich seufzte und sie setzte sich an ihren Schreibtisch, überschlug die Beine und betrachtete mich mit der vor ihrem Mund schwebenden Kaffeetasse in ihren Händen. »Schön. Und welcher davon ist anthrazit?«, grummelte ich. Ich hätte schwören können, dass alle in derselbe Farbe gewesen waren. Sarah deutete mit einem Grinsen auf den von Armani und ich verschwand resigniert ins Bad.   Ich stieg in die Hose, zog die Krawatte um meinen Hals, erdrosselte mich halb damit und riskierte einen Blick in den Spiegel. Rote Flecken zierten meine Wangen, Haarsträhnen hingen mir in die Stirn und die Krawatte hing mir halb über der Brust. »Das ist doch bescheuert!«, rief ich verzweifelt durch die Tür. »Ich – das sieht beknackt aus. Ich seh aus wie ein Pinguin, der sich verirrt hat.« Sarah öffnete die Tür und betrachtete mich, nahm mir die Krawatte aus der Hand und band sie für mich. »Joey, du wirst das wunderbar hinkriegen. Und weißt du auch warum?« Ich schob meine Lippen nach vorne und deutete ein Kopfschütteln an. »Weil du es geschafft hast, dass Seto dir zuhört. Du hast das geschafft, wie schwer kann es also sein, die anderen da oben zu überzeugen?« Sie machte einen Schritt zurück und prüfte meinen Look. Ich fühlte mich seltsam verwundbar. Dann lächelte sie und deutete auf den Spiegel. »Und jetzt schau nochmal genauer«, flüsterte sie. Mein Blick folgte ihrem Fingerzeig und ich erkannte mich kaum wieder. Da stand kein Loser, kein Idiot, kein Bengel, sondern ein junger Mann, einer, der andere dazu brachte, zuzuhören.   Mit jedem Schritt bröckelte die Fassade. Als Sarah die Tür zum Konferenzraum öffnete, waren von meinem Selbstbewusstsein nur noch Brocken übrig. Augenblicklich richtete sich die Aufmerksamkeit auf mich. Mein Auftritt ließ alle verstummen. Mein Herz rutschte mir in die Hosen. Mein Atem beschleunigte sich. Hätte Sarah den Raum nicht nach mir betreten, wäre ich rückwärts hinaus gestolpert. Mein Blick schweifte über die Runde: Herren in Anzügen, Frau Mathieu. Ich erblickte Herrn Tanaka, der mir kurz zunickte. Auf dem Tisch standen Gläser und Wasserfläschchen. Die Szene wirkte seltsam vertraut und beängstigend. Kaiba saß am Kopf des Tisches in einem breiten Schreibtischsessel. Sein Charisma nahm den Saal ein, überstrahlte die anderen Anwesenden und riss eine Kluft zwischen ihm und mir auf, die mir schmerzhaft ins Bewusstsein rückte, wie wichtig er war – und wie unbedeutend ich. Nichts Neues. Doch es stach mir in die Brust – immer wieder. Ich schluckte und folgte Sarah. Rechts und links neben Kaiba waren noch Plätze frei, als traute sich niemand, ihm zu nahe zu kommen. Ich verstand wieso. Seine Nähe schien einen zu verschlingen. Die Krawatte war zu eng. Ich versuchte sie vergeblich zu lockern. Kaibas Blick brannte sich durch den Raum in meine Augen, während ich zu ihm schritt, meine Merkkarten zwischen den Fingern meiner Rechten. Und für eine Sekunde schien es, als gäbe es nur ihn und mich, weil all seine Aufmerksamkeit allein mir galt.   »Beginnen wir mit der Sitzung«, durchdrang seine Stimme den Saal, als wir neben ihm saßen. Sein Blick wanderte zurück auf die Ordner vor sich. Der Moment zerriss. Ein dicklicher Mann sprang auf, schaltete eine Bildschirmpräsentation an und dozierte über Zahlen und Graphen und Bilder, die glückliche Teenager zeigten mit Spielkarten in den Händen. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob hier jemals jemand – abgesehen von Kaiba und mir – das Spiel überhaupt gespielt hatte.   »Dankeschön, Herr Young. Als nächstes. Herr Wheeler präsentiert heute die Werbekampagne das anstehende Turnier betreffend.« Kaibas Worte ließen mich auffahren, als hätte mir jemand einen Stromstoß gegeben. Sarah nickte mir zu und alle Blicke wanderten zu mir. Mein Herz trommelte in meinen viel zu engen Schuhen, mein Magen schob sich hoch in meinen Hals, als ich neben den Beamer trat und glaubte, mich über meine Merkkarten zu erbrechen.   »Ja, also –« Ich stand da, meine Hände schwitzten. Zielgruppe und Onlinemarketing stand auf der ersten Karte. »Die Kampagne – also die Werbekampagne soll junge Menschen ansprechen – ähm – also Jugendliche. Schwerpunkt zwischen 14 und 19 Jahren. Das heißt, dass –« Einer der Männer begann auf sein Phone zu schielen. Die anderen starrten aus dem Fenster, an die Wand, in ihre Gläser. Frau Mathieu lächelte mir leicht zu. Kaibas Mimik war blank. Die Powerpointpräsentation hinter mir unterstrich meine wichtigsten Schlagwörter. »Das heißt, dass das Onlinemarketing unsere wichtigste Werbemaßnahme sein wird.« Hinter mir leuchteten die wichtigsten Social Media Websites und Suchmaschinen auf. Skizzen stand auf der zweiten Karte. »Unsere Skizzen –« »Lächerlich«, hörte ich jemanden flüstern. Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen, ich blinzelte und atmete tief ein. »Unsere Skizzen zielen darauf ab, die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie gerade sind.« »Schwach«, murmelte jemand. Ich brauchte keine drei Versuche, um zu wissen, wer. Herr Les Gesicht höhnte mir entgegen. Das Blut rauschte in meinen Ohren, ich spürte Hitze auf meinen Wangen. Mireille-Fabienne Mathieus Gesicht tauchte vor meinen Augen auf. Sie nickte mir zu. »Wie Sie hier sehen können –« Ich drehte mich zur Projektionsfläche und deutete auf eine Vergrößerung der Skizze. Langeweile, Abwesenheit, Ignoranz spiegelte auf den Mienen der Anwesenden. Sarahs Lächeln schwächelte. Kaibas Mimik war teilnahmslos. Als langweilte er sich. Fühlten sich so unsere Lehrer, wenn sie in der Klasse vor uns standen? »– sollen die – also –« Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Aber Panik durchströmte mich. Es funktionierte nicht. Sie verstanden nicht, was ich sagen wollte. Ich wusste selbst nicht mehr, was ich sagen wollte. Dabei hatte es so durchdacht und überzeugend geklungen, als Sarah es mit mir durchgegangen war. Es waren ihre Worte auf den Merkkarten. Wenn auch in meiner Schrift. »Ach, Scheiß drauf«, brummte ich. Jemand japste und sog empört Luft ein. Irritierte Blicke, blanke Gesichter, Frau Mathieu, die gespannt lauschte und dann Kaiba, der plötzlich nicht mehr teilnahmslos wirkte. Ich zog die Krawatte auf und hatte endlich das Gefühl, frei atmen zu können, stützte mich auf der Lehne meines Stuhles ab und deutete auf einen der Anzugsherren. »Herr – Sie da. Herr Young. Was hab‘n Sie sich gewünscht, als Sie so 15 war‘n?«, wollte ich wissen. »Also – ich – das ist schon einige Jahre her.« »Ja, offensichtlich«, erwiderte ich verschmitzt. Jemand erstickte ein Lachen. »Was hab‘n Sie sich gekauft als Sie 15 waren? Was hab‘n Sie zu Ihr‘m 16. Geburtstag geschenkt bekommen? Was hab‘n Sie zu Weihnacht‘n gekriegt?« Stille. Er überlegte, legte seinen Kopf schräg, dann schüttelte er den Kopf. »Ich erinnere mich nicht«, gab er zu. »Und Sie?«, fragte ich einen anderen in der Runde und noch einen. Sie gaben zu, sich nicht an konkrete Geschenke zu erinnern. »Was hat Ihre Familie zu Weihnachten gemacht? Woran erinnern Sie sich?«, fragte ich weiter und deutete auf Herrn Tanaka. »Ein großes Familienessen. Ich erinnere mich, dass wir stets Lamm aßen und die fünf Gänge sich zogen, weil wir erst danach bescherten.« Amüsiertes Lachen. »Und was hab‘n Sie danach ausgepackt?« Gespanntes Schweigen, doch dann verzog er seine Mundwinkel steif nach oben. »Daran erinnere ich mich nicht mehr.« Ich nickte ihm zu. »Sehen Sie. Es geht nicht drum, den Kids etwas zu verkauf‘n.« Ich drehte mich um, stieß mich vom Stuhl ab und zeigte auf die Skizzen auf der Projektionsfläche. »Um was sollte es denn hier sonst gehen?«, fragte Herr Le ungeduldig. Ich wandte mich zu ihm um und grinste. »Es geht darum, sie glücklich zu machen.« Nicht nur Herr Le, auch etliche andere starrten mich an, als wäre ich völlig von der Rolle, doch ich zuckte die Schultern, als wäre es offensichtlich. Mireille-Fabienne Mathieu lächelte mir zu. Ich erwiderte es. Herr Miller lehnte sich zu Herrn Le und flüsterte ihm etwas zu, was diesen seine Stirn runzeln ließ. »Das, was alle Teenager woll‘n ist einen Platz, wo sie hingehör‘n, wo sie endlich mal anerkannt werden, wo sie nen Tag lang nicht ihr‘n Kopf über die verdammten Erwartungen oder Jobs, Abschlüsse und Erwachsenwerden zerbrechen müss‘n.« Hinter mir zeigte die Powerpointpräsentation meine Skizze. Sei der, der du sein willst, nicht der, den die anderen in dir sehen, stand über dem weißen Drachen, der sich um eine verdeckte DuelMonsters-Karte schlängelte. »Diese Skizzen versprech‘n genau das. Keine Geschenke, an die man sich später sowieso nicht mehr erinnert, sondern eine Zeit, eine gute Zeit, die im Gedächtnis bleibt – mit Familie und Freunden und so.« Ich deutete auf die Sätze darunter. »Aber es geht um mehr.« Du weißt nie, was als nächstes kommt. Jetzt ist die Zeit, es herauszufinden! »Es geht auch darum, keine Angst vor der Zukunft zu haben.« Stille. Dann begann jemand zustimmend auf die Tischoberfläche zu klopfen. Ich spürte, wie ein Lächeln meine Mundwinkel nach oben zog, als die Anwesenden einstimmten. Herr Miller trat nach vorne und lenkte die Aufmerksamkeit nur schwer von mir auf sich. Ich ließ mich auf meinen Platz nieder und spürte, wie ein Gewicht von meinen Schultern rutschte. Frau Mathieu strahlte mich von gegenüber her an. Ich strahlte zurück. Kaiba warf mir einen Blick zu, sagte aber nichts, verengte nur die Augenlider, während er mich fixierte und dann seine Augen wieder nach vorne richtete, als hätte ich nichts geleistet. Enttäuschung überschwemmte meinen Magen.   Nach der Konferenz kam Sarah zu mir klopfte ungesehen auf meine Schulter und flüsterte ein »Wunderbar, wunderbar« in mein Ohr . Herr Miller rückte seine Fliege zurecht, ehe er auf mich zutrat und in ein Gespräch verwickelte. Herr Suzuki folgte. Zwei weitere Herren schlossen sich an und stellten mir Fragen über die Konzeption und konkrete Medien. Ob man einen Animespot entwickeln würde, ob man meine Aussage besser im Radio hören oder im Fernsehen sehen sollte – vorzugsweise mit Yugi Muto. Ob auch traditionelle Medien wie Zeitungen und Zeitschriften eingebunden würden. Und welche. Sarah kam zu meiner Rettung und entschuldigte uns. Hinter uns diskutierten sie weiter. »Die Schuhe killn mich«, raunte ich ihr zu. »Und dabei trägst du nicht einmal Highheels«, erwiderte sie mit einem Zwinkern. Meine Augen trafen auf Kaibas, der gerade Dokumente in seinen Aktenkoffer legte und mit Herrn Le sprach. Ich verdammte das prickelnde Gefühl in meinem Bauch – das bei dem man nicht wusste, ob es gut war oder schlecht. Sarah trat zu den beiden, sprach mit Herrn Le, ehe sie Kaiba in ein Gespräch verwickelte und sie beide Richtung Fenster schlenderten, um ein paar Worte zu wechseln, die sonst niemand mitbekommen musste. Frau Mathieu indessen wandte sich mir zu und gratulierte zu der gelungenen Präsentation. »Der Anzug steht Ihnen hervorragend. Da haben Sie die älteren Herren wohl nicht nur damit positiv überrascht.« »Danke, Frau Mathieu«, murmelte ich verlegen, »ich hatte ehrlich gedacht, ich würde es verkacken. Sah ja am Anfang auch so aus.« So viel Ehrlichkeit hatte ich gar nicht in meine Worte legen wollen, vielleicht merkte sie das, jedenfalls lehnte sie sich ein bisschen vor, als verrate sie mir ein Geheimnis. »Sie sollten mich doch Fabienne nennen.« Ich erwiderte ihr Lächeln, während ihres einem nachdenklichen Blick wich. »Wissen Sie, Seto Kaiba hat seinen Ruf nicht umsonst.« »Den ein arroganter Geldsack zu sein?«, wollte ich scherzend wissen, auch wenn es weniger ein Scherz als die Wahrheit war. »Den der erfolgreichste Jungunternehmer des Jahrzehnts zu sein – manche behaupten, des Jahrhunderts«, korrigierte sie, »aber erfolgreich kann man in dieser Größenordnung nicht alleine sein. Es gehört ein Netzwerk dazu.« Ich verstand nicht, was sie mir damit mitteilen wollte, offenbar sah ich sie genau so an, denn sie spezifizierte. »Seto Kaiba scheint sie dazu zu zählen. Und Seto Kaiba tut nichts einfach so, Joey.« Sie schaute mich an. Ihre Augen waren groß und grün. Die Wimpern lang. In ihrem Blick stand Interesse und um ihre Lippen hing ein Lächeln. »Ja, er – ja«, erwiderte ich und schluckte.   »Wheeler, mitkommen!« Kaibas Stimme hinter mir brachte mich dazu, einen Satz zurück zu machen. Er schritt voran und blickte nicht einmal zurück zu mir, während er aus dem Konferenzsaal verschwand. Ich zuckte die Schultern und schenkte Fabienne ein verlegenes Grinsen und Sarah einen fragenden Blick, doch sie zog die Augenbrauen hoch, als könnte sie nichts dafür. Dann folgte ich dem erfolgreichsten Jungunternehmer des Jahrzehnts – manche behaupten, des Jahrhunderts.   Ich zog die Tür zu seinem Büro hinter mir zu und es herrschte Stille. Am liebsten hätte ich die Schuhe sofort ausgezogen, aber ich rührte mich nicht, weil ich auf Kaibas was-auch-immer wartete. Ich glaubte ja doch, ein Lob verdient zu haben, aber bei Kaiba hätte mich auch ein Anschiss nicht überrascht. Er stand am Fenster. Domino unter und vor uns. Die Sonne bestrahlte die Dächer und bemalte die Gebäude mit einem Orangerot. Kaibas Rücken vom Schatten dunkel gezeichnet. Dann drehte er sich um und betrachtete mich mit seinem Mund, der höhnisch verzogen war. »Der Anzug sieht lächerlich aus, Wheeler.« »Sarah wollt’s so. Ist eigentlich ganz okay.« Ich zuckte die Schultern und zog die Krawatte von meinem Hals. »Nur die nervt.« Er ignorierte meinen Kommentar. »Und hast du dir für die Schuhe die Zehen abgeschnitten oder warum läufst du, wie ein Köter mit –« »Ja, die Schuhe nerven auch«, unterbrach ich sein Gespöttel. Sein Kiefer mahlte, als staute sich Wut in ihm, aber ich verstand nicht wieso. Er fuhr sich zornig durchs Haar. »Hör mal. Ich weiß, es lief am Anfang recht scheiße. Und dann ist alles ganz anders als geplant gelaufen, aber ich konnte nicht anders als –« »Ich hoffe, dir ist trotz deiner Inkompetenz klar, dass so ein Verhalten unprofessionell ist. Während einer Präsentation mit Mitarbeitern zu – flirten«, brach aus Kaiba hervor und er stand vor mir sein Haar ein Chaos, in seinen Augen brannte etwas und sein Tonfall war Gift. Er sprach das letzte Wort wie eine Beleidigung. Meine Augen glichen Tunneln und meine Kinnlade sackte auf den Boden. Zumindest fühlte es sich so an. »Was zur – hast du’n Dachschaden? Was willst du eigentlich, Kaiba?«, wollte ich ungehalten wissen. »Was willst du, Wheeler?«, grollte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)