Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 35: … ist hier ----------------------   __________________________________________   Hic et nunc. (Hier und jetzt.) Unbekannt Quelle: Altrömische Weisheit   __________________________________________           Seto Kaiba lebte in seiner eigenen Welt  – einer voller Aktien, Meetings, Medienrummel, Angestellten und Sekretärinnen. Dazwischen versuchte er das ganz normale Teenagerleben auf ein Minimum zu begrenzen – Schule, Freunde, Feste, Gespräche über die Freundin des Kumpels des Cousins. Er war nie hier, sondern immer schon beim nächsten Schritt, der nächsten Kalkulation, dem nächsten Meeting. Er war immer weiter als alle anderen. Und manchmal verpasste er deswegen die wichtigsten Dinge in der Gegenwart.   »Joey, was machst du denn hier?« Mokubas Augen starrten mir entgegen, als er die Tür öffnete. »Roland meinte, du würdest vor dem Tor stehen und in einem Monolog erklären, dass und warum Seto ein – ähm – Arsch wäre.« Es konnte sein, dass solche Worte gefallen waren. Ich zuckte die Schultern und lehnte mich an den Türrahmen, weil Mokuba mich anschaute, als wüsste er nicht, was er mit mir anfangen sollte. Es war kurz nach sieben und die Sonne schien. Es war warm und nur der leichte Wind machte es angenehm, den Schatten zu verlassen – oder überhaupt jedes Zimmer, das mit Aircondition ausgestattet war. »Ich hab Kaiba gesagt, dass ich heute Abend zum Essen komme. Aber ihn kümmert’s wohl nicht. Ihn kümmert gar nix.« Ich klang zu verbittert, als dass ich noch hätte behaupten können, dass es mir egal war. Immerhin stand ich hier. Das war Beweis genug. Mokuba schaute betreten drein, als hätte ich ihn beschuldigt. »Er arbeitet noch. Du kennst ihn ja – ach, komm erst mal rein!« Als hätte er sich daran erinnert, wie man in so einer Situation handelte, öffnete er die Tür weiter und ich schlenderte in das Haus – den Palast, das Schloss, die Villa. Mokuba trottete ins Wohnzimmer. Tüten mit angebissenen Burgern, Milkshakes, Chickenwings, verschiedenen Dips, Cola, aufgerissene Popcorntüten, Schokoladeriegel standen auf dem Tisch und verteilten sich bis auf den Boden. Über den Fernseher mit einem Durchmesser von mehr als 75 Zoll flimmerte ein Anime. »Tut mir leid mit Seto. Aber voll cool, dass du da bist! Ich wollte mir gerade nochmal Pizza bestellen. Willst du auch? Wir sagen Seto einfach später wir hätten irgendetwas traditionell Italienisches gegessen. Mit einem Salat. Dann sagt er nichts weiter. Obwohl er es nicht glaubt. Ich bin mir sicher, dass er es besser weiß. Ich bin ein echt schlechter Lügner. Willst du auch Burger? Milkshake?« Er grinste mich an und ich schaute entgeistert. »Bist du alleine hier?« Mokuba griff nach dem Popcorn, ließ sich auf das Sofa fallen, das ganz und gar nicht zu dem Anblick von Fast-Food passen wollte und bot mir nebenbei die Tüte an, während sein Blick den Bildschirm fixierte. »Nö, eine der Hausfrauen putzt oben noch.« »Und die ist – normalerweise für dich da oder so?« Ich setzte mich neben ihn und nahm das Popcorn. »Nö, aber mein Kindermädchen«, er betonte das Wort, als wäre es eine absolute Frechheit anzunehmen, er bräuchte wirklich so jemanden, »hatte heute aber nur Schicht bis 18 Uhr und jetzt ist’s ja schon sieben und Seto arbeitet halt noch. Passiert. Ist eigentlich normal.« Er warf mir einen Blick zu. »Hey, guck nicht so! Ich bin schon zwölf. Ich brauch keine Babysitter mehr!« Ich lehnte mich zurück. Er hatte ja eigentlich Recht. Als ich – wahrscheinlich war ich eh nicht das Musterkind mit Musterkindheit. Ich war nicht vernachlässigt worden. Es war nur so, dass mein Vater arbeiten musste, meine Mutter – Ich begrub den Gedanken schnell. »Weißt du, wann er denn so kommt?« »Mh, freitags nicht vor samstags.« Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Hä?« Er schob sich den Rest eines Burgers in den Mund und schmatzte. »Freitags kommt er erst so um eins oder zwei in der Nacht. Also ist schon Samstag. Streng genommen« »Was? Und das weißt du, weil –?« Mokubas Kauen erlahmte, dann schluckte er und rieb sich die Augen, weil er bestimmt schon stundenlang am Bildschirm hockte. »Ich warte manchmal, bis ich ihn höre, wie er nach Hause kommt.« Seine Stimme wurde immer leiser, während er weitersprach, ohne sich von der Serie zu lösen. »Dann kann ich besser schlafen.« Ich betrachtete Mokubas chaotische Frisur und seine Hand, die sich um die Fernbedienung klammerte. Wahrscheinlich vergaß man nicht nur bei Kaiba schnell, wie jung er eigentlich war. »Wir können ihn anrufen«, schlug ich vor. Kaiba sollte seinen Arsch hierher bewegen und seinen kleinen Bruder nicht die halbe Nacht warten lassen, bis der ruhig schlafen konnte. Und Mokuba sollte nicht abends alleine vor der Glotze hocken, sich den Bauch vollschlagen mit Sachen, die alles andere als gesund waren und – Er schüttelte den Kopf, schlürfte am Milkshake und lächelte mich leicht an. Aber ich war nicht gerade der, der über gesunde Küche belehren sollte – oder Serienverhalten – oder überhaupt. »Nein, lieber nicht. Dann macht er sich bloß um mich Sorgen.« Ich wollte Kaiba trotzdem am liebsten in den Arsch treten. »Ja, das –« Dann kam mir die Idee. »Ich muss aber mit ihm reden und ich hab nicht die ganze Nacht Zeit. Wir hatten eigentlich eine Verabredung heute Abend«, erklärte ich ihm und seine Augenbrauen schossen in die Höhe, was verdammte Ähnlichkeit zu seinem Bruder aufwies. »Ich meine ein Meeting – sozusagen. Wir waren verabredet, uns zu einem Gespräch – also hier. Er meinte okay.« Innerlich klatschte ich mir an die Stirn. »Schon klar, Joey«, erwiderte Mokuba und sein Grinsen war meinem Geschmack nach viel zu breit. »Du kannst es natürlich probieren. Hast du die Nummer? Ah, besser ich ruf an«, dachte er laut. Mokubas Grinsen wollte gar nicht mehr verschwinden. Ich glaubte, mein Hals wurde enger und enger. »Ähm – ja, weißt du«, meinte ich, »ich will natürlich nicht, dass er sich – unnötig Sorgen macht. Ich kann ja auch mal ein anderes Mal –« Mein Kiefer klappte auf, als Mokuba mit einem Grinsen in sein Telefon sprach. »Ja, Seto. Du müsstest mal nach Hause kommen. Nee, mit mir ist alles in Ordnung.« Mokuba zwinkerte mir zu, während er mit seinem Smartphone über die Tüten watete und mit einem hörbar angespannten Seto Kaiba telefonierte. »Aber ich glaube Joey geht es nicht so gut.« Entsetzt riss ich meine Augen auf. Das war doch – also – ich fuchtelte mit meinen Händen und bedeutete Mokuba die Klappe zu halten, schüttelte den Kopf und griff mir an die Stirn. »Er benimmt sich n bisschen komisch. Ja, wollte zu dir. Scheint wichtig. Ja, er atmet ein bisschen komisch. Ja, sieht blass aus. Okay, ich sag’s ihm. Bis gleich.« Damit legte er auf und grinste mich an, als wäre ihm ein genialer Durchbruch gelungen. »Ich soll dir sagen, dass das nur eine Panikattacke ist und du ruhig atmen sollst. Und du sollst nichts mit deinen Flöhen verseuchen.« Er ließ das Handy in seine Hosentasche rutschen. »Sorry, ich hab Setos Mantel grade nicht griffbereit. Würde es auch eine normale Decke tun oder brauchst du etwas von Seto, um die Panikattacke –« »Ich hab keine Flöhe! Und keine Panikattacke«, knurrte ich, »und das weißt du auch!« Mokuba nickte und zuckte die Schultern. »Klar, ich weiß das, du weißt das, aber Seto weiß es nicht.« Ich atmete tief durch und versuchte, Mokuba nicht den Hals umzudrehen. Eben war er noch ganz Dann macht er sich bloß um mich Sorgen, mit großen, traurigen Augen und unschuldigem Gesichtsausdruck und dann war er plötzlich total – so! »Warum?«, verlangte ich zu wissen. »Warum ist es jetzt auf einmal egal, ob sich Kaiba Sorgen macht?« »Mh«, nuschelte Mokuba und stopfte Papiertüten ineinander, legte leere Esskartons und Pappbecher übereinander. »Weil es hier nicht um mich geht, sondern um Seto.« Ich starrte ihn an. Inwiefern sollte es denn hier bitte um Seto gehen? Ging es nicht eher um mich? Oder doch Mokuba? »Jetzt musst du mir aber mal helfen, Joey. Okay? Seto kriegt’n Koller, wenn er das hier sieht.« Ich war mir sicher, dass er nicht nur deswegen ausrasten würde. Mit einem Seufzen bückte ich mich, um Popcorntüten und Schokoladeverpackungen einzusammeln.   Fast auf die Minute genau knarzte zwanzig Minuten später die Eingangstür. Stille. Schritte. Stille. »Wheeler, wenn du nicht halbtot hier auf meinem Teppich liegst, dann –« Kaibas Stimme glich einem aufkommenden Tornado, bei dem ich instinktiv den Kopf einzog. Nicht, dass es geholfen hätte. Mokuba neben mir war schon aufgesprungen und hüpfte seinem großen Bruder entgegen. Ich hingegen wünschte, ich könnte mich draußen in den Pool werfen und warten, bis der Sturm vorüberzog. »Seto«, begann Mokuba und es klang, als beschwöre er eine giftige Kobra, »Joey und du müssen mal reden, okay?« Oder ich könnte die Veranda hinaufklettern und in einem der Zimmer im ersten Stock verschwinden. Kaiba zwang Worte zwischen seinen Lippen hervor, die klangen wie das Zischen einer Schlange. Ob Mokuba sich im Klaren darüber wäre, welche Konsequenzen ein so leichtfertiger Gebrauch der Telefonnummer hätte, die nur für Notfälle zu verwenden war. Wie schnell wäre ich wohl die Treppe hoch und dann am Balkon hinab im Garten? »Das ist ein Notfall«, behauptete er, »wenn das nämlich noch ewig so weiter geht, werden alle um euch herum verrückt!« Und wie Mokuba auf diesen absolut schwachsinnigen Unsinn käme. »Weil du Joey öfters erwähnst als die KC.« Mein Blick raste zu Kaiba und ich zuckte zusammen, als ich seinem begegnete. Stille. Das war sie. Die Ruhe vor dem Sturm. »Ich bin dann mal oben.« Ich hörte Mokubas Schritte, doch meine Augen fixierten Kaiba. Wie das Kaninchen und die Schlange. Es war als wartete jeder von uns darauf, dass der andere sich zuerst wagte zu bewegen. »Ist noch etwas von der Pizza da?«, fragte er und ich glotzte ihn an. »Ähm –« »Dann bestell ich mir eben selbst etwas. Mit einem Salat.« Die Trockenheit seiner Worte hätte jeden anderen verdursten lassen. »Woher – du weißt, dass sich dein Bruder mit Fast-Food den Bauch vollgeschlagen hat? Warum tust du dann so, als ob du es nicht wüsstest? Ich meine nur, weil Mokuba meinte –« Er unterbrach mich, als wäre es ihm egal, was ich meinte, was sein Bruder meinte. »Mokuba ist überdurchschnittlich begabt in Sprachen, Literatur, Informatik und – völlig anders als ich – besitzt ein hohes Maß an Empathie. Er ist jedoch ein ausgesprochen schlechter Lügner.« Ich wollte sagen Auch anders als du, aber ich schluckte es runter. Er zückte sein Smartphone. »Was willst du, Hündchen?«, fragte er ungeduldig und tippte mit seinem Zeigefinger gegen den Oberarm. »Ähm – ich –« »Ich fürchte, ich habe kein Hundefutter da.« Er tippte eine Nummer ein, bestellte Pizza und Lasagne. Dabei sah er mich an, als wartete er auf Widerspruch, aber ich nickte bloß. Der Rest ging in einem Schwall italienischer Wörter unter. Wir warteten in einer Stille, die mich unruhig auf dem Sofa herumrutschen ließ. Vielleicht, weil ich nicht wusste, ob wir nur auf die Pizza warteten oder eigentlich auf etwas Anderes. »Warum bist du hier?« Vielleicht auf die Frage. Sein Ton war ernst, seine Augen zusammengezogen. Er setzte sich nicht. Er stand einfach mitten im Raum und betrachtete mich, wie einen Fleck, den er nicht aus dem Möbelstück herausbekommen wollte. »Ich hab gesagt, dass ich heute Abend zu dir komme«, sagte ich und versuchte meine Gedanken daran zu hindern, wie aufgescheuchte Mücken durch meinen Kopf zu schwirren. »Du hast mich öfters angelogen.« Es klang wie eine Anklage aus einem Gesicht, aus dem Desinteresse sprach. Nur die Worte wollten nicht dazu passen. »Du mich auch!«, ereiferte ich mich. »Du hast meine Ratschläge ignoriert.« »Und du hast gesagt, dass es dir egal ist!« Mein Herz pumpte in meinen Ohren und ich spürte, wie Röte meine Wangen eroberte. Zorn jagte durch meine Adern. »Du hast auch gesagt, dass du glaubst, damit umgehen zu können, doch du brichst ständig zusammen. Deine emotionale Bindung an mich, ist nur eine psychische Reaktion auf die traumatische –« »Ach, halt doch deine blöde Klappe, Geldsack«, fuhr ich ihm über den Mund und erhob mich. So ein Pseudo-Therapeutengeschwätz konnte ich mir echt nicht antun. »Ich hab genug Freunde, die mir durch die Kacke helfen. Das ist keine psychische Reaktion auf – was-auch-immer. Ich finde dich einfach nur nicht komplett scheiße, okay?« Er schnaubte, als wäre der Gedanke Hohn an sich. »Auch, wenn es schwerfällt, wenn du mich ignorierst und herumstößt und –« »Dabei dachte ich, das wäre das Verhalten, das du von Zuhause kennst und deswegen favorisierst«, höhnte er. Ich funkelte ihn an, meine Finger zu Fäusten. Ich wollte ihn anbrüllen, als ich meine Augen weitete, weil ich plötzlich etwas sah, was ich noch nie zuvor gesehen hatte. »Verhältst du dich deswegen so? Weil du es von zu Hause nicht anders kennst?« Er starrte mich an, brauchte tatsächlich einen Moment, um die Sprache wiederzufinden. »Mach dich nicht lächerlich, Wheeler«, grollte er, doch ich beobachtete ihn nur. Mein Zorn wie weggeblasen. »Warum bist du her gekommen?«, wollte ich wissen. Ich erwartete eine ironische Antwort wie Ich wohne hier, Köter oder eine à la Mokuba hat mich angerufen, aber er schwieg. Seine Lippen kniff er zusammen, als wollte er so verhindern, dass eine Silbe über seine Zunge kam. Stand da – in Hemd und Krawatte – den Aktenkoffer abgestellt und schien wie versteinert, bis sich seine Lippen bewegten. »Ich wollte nicht, dass Mokuba einer Situation hilflos allein gegenüberstehen muss, in der er nicht weiß, wie er agieren soll. Ich wollte mich versichern, dass es ihm gut geht.« Natürlich. Wie oft hatte Kaiba einer Situation hilflos allein gegenüberstehen müssen? Wie oft ich? Es war nichts, was Mokuba erleben sollte. Genau das wollte ich ihm sagen, als seine nächsten Worte alle Silben in meinem Mund sterben ließen.   »Und dir.«   Mein Kiefer sackte nach unten, ehe ich ihn fest auf meinen Oberkiefer presste. Stille. Wir warteten. Darauf, dass jemand diese merkwürdige Stille unterbrach. Ich wusste, wie man sich mit Kaiba stritt, wie ich es durch wochenlanges Ignorieren schaffte, was ich sagen musste, wenn er wütend war oder um ihn wütend zu machen, ich konnte seine Aufmerksamkeit in wenigen Augenblicken erobern und durfte ihn im Büro stören, ohne, dass er mich danach irgendwie nach China exportierte. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wenn wir schwiegen, weil keiner wusste, was er sagen sollte.   Ich sackte auf die Couch und schaute erschrocken auf, als die Klingel ertönte. »Das dürfte das Essen sein.« Kaibas Stimme klang gefasst, beinahe beiläufig, als hätte er eben über das Wetter gesprochen – oder gleichbleibend starke Aktien mit potenziellem Wachstum – und kam mit einer Pizza Salami und Lasagne zurück und statt im Esszimmer aßen wir um den Couchtisch. Es war seltsam, Kaiba vor dem Sofa auf dem Boden sitzen zu sehen, wie er eine Pizza aß – aus dem Karton. In Hemd und Krawatte. »Und jetzt?«, hörte ich mich irgendwann fragen, die Gabel in der Hand und die Schachtel Lasagne vor mir, die ich anschaute, als erwartete ich eine Antwort von ihr. »Ich habe keinen Plan.« Mein Gesicht ruckte nach oben und ich starrte ihn an und konnte mich nicht entscheiden, was unglaublicher war: Seto Kaiba, der behauptete, er wäre von der KC nach Hause gekommen, um sich zu versichern, dass es mir gut ginge oder Seto Kaiba, der behauptete, er hätte keinen Plan. »Was? Seit wann hast du keinen Plan?« Er lehnte sich mit dem Rücken an die Couchbank und lockerte die Krawatte, zog sie dann von seinem Hals und öffnete die ersten beiden Knöpfe seines Hemdes. »Du warst der erste, der mir die Frage gestellt hat, was ich nach der Schule machen möchte. Eine absolut lächerliche Frage im Übrigen. Ich brauche keinen Plan, weil alles bereits feststeht. Nach der Schule werde ich weiter CEO der Kaiba Corp sein, erfolgreich, reich und –« »Und ein Arsch«, warf ich ein, womit ich mir einen finsteren Blick einfing. »Sorry, Gewohnheit«, murmelte ich mit einem schiefen Grinsen. Er schnaubte, fuhr aber unberührt fort. »Es steht praktisch fest, dass mein Erfolg wachsen wird und weiter ansteigen wird. Irgendwann möchte Mokuba möglicherweise in die Firma einsteigen und ich werde dort arbeiten, bis ich mir eine Abfindung zukommen lasse und aussteige. Ich werde diese aber nicht lange nutzen können, denn ich werde wenige Jahre – vielleicht Monate – nach meinem Ausstieg sterben. An einem Herzinfarkt oder an Langeweile.« Wahrscheinlich hatte er sogar Recht. Und obwohl ich mir keinen Reim darauf machen konnte, was seine Antwort mit meiner Frage zu tun hatte, ging ich darauf ein. »Dann solltest du halt rechtzeitig aussteigen und dein Leben nochmal richtig genießen.« An seinen Lippen zog etwas, das einem Lächeln glich – ohne, dass es seine Augen erreichte. »Wir sollten oft Sachen pünktlich erledigen und schieben sie trotzdem ständig vor uns her. Vom Hier auf ein Später, das es womöglich nicht gibt.« Ich suchte in seinem Blick, was das für ein Unterton war, denn ich verstand erst nicht, was mir entging. Etwas, das ich vor mir her schob? Mir fiel nichts ein – doch dann durchzuckte mich ein Blitz. »Der geht mir am Arsch vorbei. Seine Gesundheit kümmert mich keinen Cent«, sagte ich und spürte diese Bitterkeit an meiner Zunge kleben. »Egal, wie sehr du ihn verabscheust, ihn ignorieren möchtest, ihm Unglück wünschst. Er bleibt Familie.« Kaiba klang nicht weniger bitter, was mich meine Augenbrauen zusammenziehen ließ. »Außerdem geht es nicht um ihn, sondern um dich.« Ich schaute ihn verwundert an, weil er so redete, als wüsste er, wovon. Und weil heute Abend schon zum zweiten Mal jemand behauptete, es ginge um jemanden, bei dem ich nicht verstand, warum es um denjenigen gehen würde. Aber vielleicht hatten sie ja Recht. Vielleicht war es Zeit, die Sachen anzupacken – bevor es zu spät war. »Wenn ich mich um meine Probleme kümmer, sagst du mir dann, welche Gefühle und Gedanken du in deine Arbeit steckst?« »Du hast die Konferenz nicht ganz so katastrophal überstanden, wie ich angenommen hatte«, erwiderte er und ich runzelte die Stirn, weil es mir so aus dem Zusammenhang gerissen vorkam. »Ist das so etwas wie ein subtiles Kompliment oder nur Ablenkung?« »Woher weißt du, was subtil ist, Hündchen?« »Kaiba. Bei dir ist alles subtil. Fast alles.« Ich grinste. »Wenn du das mit deinem Vater klärst, könnte ich mir unter spezifischen Bedingungen unter Umständen vorstellen, mit dir über bestimmte Rahmenbedingungen meiner Arbeit zu –« »Das ist ein Ja, stimmt’s?« Mein Grinsen war so breit, dass ich meine Wangen sehen konnte. Ich saß hier also mit Kaiba und wir sprachen miteinander, als wären wir zwei Teenager – der eine halt mit einem internationalen Unternehmen. Er schloss kurz die Augen und massierte seine Nasenwurzel, so wie er es tat, wenn er angepisst war. Aber als er seine Augen öffnete, sah ich, dass ich nicht am Limit balancierte – und setzte noch einen drauf. »Achja, wo wir da schon dabei sind: Muss ich jetzt jedes Mal so‘n verdammten Anzug anziehen?«, fragte ich und senkte meine Schultern. »Weißt du, wie teuer so ein Anzug ist?« Ich verzog meinen Mund. Als ob es mich kümmern würde. »Dachte ich mir. Mehr als dein Monatseinkommen. Mehr als sechs deiner Monatseinkommen.« »Ja, und?«, meinte ich gedehnt und schob meine Hände in die Hosentaschen und multiplizierte in meinem Kopf. Nach und nach dämmerte mir, wie scheiße teuer die Klamotten da gewesen waren. Das machte sie aber auch nicht bequemer. »Ich will wenigstens meine normalen Schuhe anziehen. Dann verkrafte ich den blöden Anzug.« »Verhandelst du gerade schon wieder mit mir, Wheeler?« »Wann tu ich das nicht«, murmelte ich und streckte mich. Mein Bauch war so voll, dass ich mich anders hinsetzte, um nicht zu platzen. Lasagne war einfach das Beste. Kaiba verdrehte die Augen, erhob sich, verschwand in der Küche und ich sah ihm verwundert nach. So leicht ließ Kaiba nichts auf sich sitzen. Doch die Frage, was er jetzt schon wieder machte, blieb mir im Hals stecken. Wenn er so ging, dann hatte er irgendwie etwas Anmutiges an sich. Er könnte auch in Jogginganzug elegant aussehen – das war der Unterschied zwischen uns. Klamotten beeinflussten Kaibas Charisma nicht – er beeinflusste seine Klamotten. Ohne ein Wort der Warnung schmiss er eine Packung, als er wieder im Wohnzimmer auftauchte, ich griff instinktiv danach, verpasste es aber und beugte mich nach vorne, um es vom Boden aufzuheben, während ich saß. Kaiba beobachtete mich, als ich aufsah und ihn verwirrt anschaute. »Wassereis? Seit wann –« »Mokuba«, behauptete er steif und ich beließ es dabei. Mein Grinsen sprach eh Bände. Okay, Eis war das Beste, korrigierte ich mich und wollte es aufbeißen, als Kaiba es mir aus der Hand riss, sich neben mich setzte und beide Eistütchen mit der Schere aufschnitt. Sein Bein berührte meines und alles, was ich wahrnahm, war diese Berührung. Das Eis aus meiner Gegenwart radiert. »Wenn ich dir zuschaue, bekomme ich Kopfschmerzen«, behauptete Kaiba, lehnte sich zu mir und drückte mir die Packung wieder in die Finger. Seine berührten meine und statt des Eises starrte ich die Hand an, ohne mich zu bewegen. Seinen Arm, seinen Hals, das Brustbein, das zwischen seinem geöffneten Hemd hervorlugte und sein Gesicht, das mich argwöhnisch musterte, als säße er vor einem Straßenköter, dessen Verhalten schwer vorherzusagen war. Ich lehnte mich ihm entgegen, das Eis in meiner Hand, zog ihn mit der anderen ein Stück näher. Ich sah, wie seine Mimik von irritiert zu überrumpelt zu blank wechselte, als könnte er nicht entscheiden, welches Gefühl die Oberhand über seine Gesichtszüge gewinnen sollte. Kurz vor seinem Gesicht, seine Nase einen Finger breit von meiner, sein Atem auf meinem, hielt ich inne. »Du wirst mich wieder wie einen Angestellten behandeln.« Es war weniger eine Aussage als eine Frage. »Vielleicht.« Ein Lächeln breitete sich auf meinem Mund aus. Es war kein Ja. Und mit diesem Gedanken, mit einem Vielleicht im Raum, mit dem nur Kaiba mich zum Lächeln bringen konnte, zog ich seine Lippen endgültig auf meine.   Seto Kaiba war nie hier, sondern schon beim nächsten Schritt, der nächsten Kalkulation, dem nächsten Meeting. Aber manchmal da konnte er nicht anders, als hier im Augenblick zu versinken.   Unser Atem durchbrach die Stille. Wir waren uns noch immer viel zu nah für Nicht-Freunde. Selbst für Freunde. Seine Strähnen hingen ihm im Gesicht und ich überlegte, wie viele Finger er mir brechen würde, würde ich es wagen, mit seinem Haar zu spielen. Es war so verführerisch. Seine Augen starrten auf den Fernseher, der ausgeschaltet war, und dann auf die Reste unseres Abendessens. Über dem Fernseher hing eine Uhr, aber es hätte mich nicht gewundert, wären die Zeiger einfach stehen geblieben – so fühlte es sich an. Als befänden wir uns in einer Blase. Sein Brustkorb hob und senkte sich und sein Atem strich mir die Wange entlang. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während ich versuchte, eine Position zu finden, in der ich unseren Körperkontakt nicht unterbrach – unsere Oberschenkel berührten sich noch immer und meine Schulter seinen Arm – und gleichzeitig das Blut in meinem Fuß nicht weiter abschnürte. Er wurde langsam taub – aber das war okay. Kaibas Blick wanderte vom Essen zu uns und ich rechnete mit Spott oder einer Beleidigung, doch er schwieg. Er schloss kurz die Augen, dann seufzte er. Ich wollte ihn gerade anfahren, was es da so zu seufzen gab – wobei mir gleichzeitig eine Menge Sachen einfielen – als ich bemerkte, wie Eis meine Finger hinab lief und ich verzog mein Gesicht. »Igitt, jetzt klebt meine ganze Hand«, murrte ich. »Wheeler, wage es ja nicht – verdammt, Wheeler! Jetzt hast du mein Hemd mit deinem verdammten –« »Oh, Gott, das hab ich jetzt alles nicht gehört«, kam Mokubas Stimme aus dem Flur, doch entgegen seiner Worte klang er amüsiert.   Kaiba stieg auf, als wäre auf dem Boden sitzen etwas eindeutig Zweideutiges, strich über sein Hemd, auf dem Flecken von Waldmeister prangten, und ließ mich auf dem Boden sitzend zurück. Ich gaffte zu ihm hoch und wusste nichts mit meinen klebrigen Fingern anzufangen. »Wheeler, steh auf! Wir sollten los. Wasch dir endlich deine verdammten Finger.« Meine Gedanken wirbelten umher und sie hatten alle eines gemeinsam: Seto Kaiba – und dass seine Worte überhaupt keinen Sinn machten. Aber seine Berührung auf – »Wheeler!«, knurrte Kaiba und Mokuba schnaufte belustigt. »Hä?« Mein Blick schnellte zu Mokuba, der am Türrahmen stand, in seinem Mund hing ein Wassereis, in den Händen ein Gameboy, und mich angrinste. »Wir fahren ins Krankenhaus«, wiederholte Kaiba. »Hä? Was?« Ich war da eigentlich anderer Meinung. Wann waren wir überhaupt von Kaibas Bein an meinem, seine Lippen auf meinen, sein Atmen auf zu – »Dein Vater liegt noch immer auf der Intensivstation.« Ich schnaubte. »Aber du magst doch keine Krankenhäuser«, gab ich zu bedenken. Ich wusste nicht, woher dieser Gedanken jetzt kam. Geradezu lächerlich. Aber Kaiba neigte seinen Kopf. »Stimmt«, gab er zu, dann stolzierte er aus dem Wohnzimmer und ließ mich mit einem kichernden Mokuba zurück. Meine Finger klebten noch immer.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)