Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 40: … ist reuelos -------------------------   __________________________________________   Reue kommt langsam, aber gewiß. Deutsches Sprichwort   __________________________________________           Seto Kaiba schaute nur auf das, was er erreicht hatte, er schaute nicht zurück, um das zu vermissen, was er zurückließ.   »Du bist doch immer noch ein Kind«, witzelte ich, doch Mokuba warf mir einen Blick zu. Seine Augen ähnelten denen von Kaiba. Nicht nur, weil sie blau waren. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber schloss ihn wieder, ohne ein weiteres Wort hervorgebracht zu haben. In Mokubas Satz lag so viel Ehrlichkeit und Schmerz, schlechtes Gewissen und unterdrückter Zorn, dass ich an nichts denken konnte, das dem hätte standhalten können. Stattdessen zog ich ihn an mich und schritt gemeinsam mit ihm zu seinen Freunden, die vor dem Eingang der Villa warteten.   Mokuba lachte und erzählte voller Begeisterung, er besiegte Tobi in DuelMonsters, während Tobi ihn im Videospiel schlug. Wir stopften Popcorn in uns hinein, verschlangen Pizza. Lina suchte ein paar der Animes aus, die Mokuba in seinem Regal bunkerte und wir glotzten die halbe Nacht TV. Es war als hätte Mokuba nie den Satz gesagt. Wir standen in der Küche – Lina und Tobi saßen im Wohnzimmer auf der Couch – und ich wartete bis das Popcorn in der Mikrowelle aufploppte. Mokuba lehnte an dem Tresen und schaute aus dem Fenster. »Warum bist du nicht bei deinem Vater?« Ich erstarrte und drehte mich wie in Zeitlupe zu ihm um. »Wie kommst du darauf? Woher –« Ich ließ die Frage so in der Luft stehen, ehe ich über meine Augen rieb und Mokuba musterte. »Er ist ein Arsch, der mich für seine Fehler verantwortlich macht. Seine Art kotzt mich an und ich lasse mich nicht erpressen, irgendetwas so zu machen, wie er es vielleicht gern hätte. Auch jetzt nicht. Nicht mehr.« Ich wandte mich wieder der Mikrowelle zu und fixierte die Tüte, in dem der Mais begann zu explodieren. »Das erinnert mich an Seto«, murmelte Mokuba hinter mir, »ich mein – so hat er manchmal von Gozaburo geredet.« Ich brummte, wusste nicht, was ich davon halten sollte, also schwieg ich. Dann seufzte er. »Weißt du. Ich glaube manchmal, ich erinnere Seto an Gozaburo.« Mit gehobenen Brauen ruckte mein Kopf zu ihm und während ich ihn betrachtete, sank mein Herz Richtung Socken. Mokuba stand da, die Hände in den Hosentaschen und starrte auf den Boden. Einige Haarsträhnen fielen in sein Gesicht, weswegen seine Mimik unkenntlich war, aber als er schniefte, konnte ich mir seine geröteten Augen vorstellen. »Warum sollte –«, begann ich und legte meine Hand auf seinen Rücken, als uns Tobis Stimme aus dem Wohnzimmer unterbrach. »Hey, wo bleibt das Popcorn?«   Mokuba lachte mit seinen Freunden, zog Tobi auf und diskutierte mit Lina, die erstaunlich schnell seine Argumente konterte. Von dem Mokuba aus der Küche blieb nichts übrig – nichts, das man sehen konnte. Ich versuchte, ihn in einem Moment abzufangen und darauf anzusprechen, aber er mied meine Blicke und ich ließ es vorerst auf sich beruhen. Am frühen Morgen – irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr – schliefen die drei ein. Mokuba hing halb über Tobi, während Lina in einem der Sessel zusammen gerollt schlief. Ein Anime, deren Titel ich nicht einmal mehr mitbekommen hatte, flimmerte über den Bildschirm. Ich schaltete den Fernseher aus und trug die Kinder eins nach dem anderen hoch, steckte Mokuba und Tobi in das Bett im Kinder- und Lina in das Gästezimmer. Danach watete ich nach unten und packte die Teller und Pizzareste zusammen, stellte das Popcorn auf den Küchentresen und stellte die Kaffeemaschine an. Ich sah nach den dreien in den Zimmern, überprüfte, ob sie alle brav schliefen und Zufrieden stellte ich fest, dass ich keinen der drei verloren hatte – und verschmutzt war auch nichts. Soweit. Ich fiel zurück in das Sofa im Wohnzimmer und schloss die Augen. Nur für einen Moment.   »Wheeler, hör auf mein Sofa vollzusabbern.« Ich blinzelte. Dann stöhnte ich. Mein Nacken schmerzte. Ich ließ ihn knacken und schaute dann über die Lehne zu der Quelle meiner Schlafstörung. Kaiba stand da, ausnahmsweise mal nicht mit Aktenkoffer in der Hand, stattdessen mit verschränkten Armen, und betrachtete mich, als wäre ich ein Phänomen, das er nicht einzuordnen wusste. »Es ist schon nach zwölf. Du –« »Erst zwölf? Es ist Samstag. Der erste Sommerferien-Samstag! Lass mich in Ruhe«, grummelte ich und sank zurück in die Couch. »Ich hab nur fünf Stunden geschlafen.« Kaiba schnaubte. »Das sind fünf Stunden mehr Schlaf als ich bekommen habe. Hast du nichts zu tun?« Ich streckte mich, gähnte, ohne mir die Hand vorzuhalten und grinste ihn dann an. »Nö, ich kann den ganzen, schönen Tag mit dir verbringen. Super, ne?« »Ja. Wunderbar«, erwiderte er trocken, »dann können wir gleich in die Firma fahren.« »Was? Wieso?« »Die Werbekampagne. Erinnerst du dich oder ist dein Hundehirn bereits –« »Ja, ja. Schon gut«, murrte ich und erhob mich träge, streckte meine Arme und ging an ihm vorbei in die Küche. Erst einmal ein Glas Milch. Während ich mir ein Glas aus dem Schrank und die Milch aus dem Kühlschrank holte, die Tür mit meinem Hinterteil zustieß, beobachtete mich Kaiba mit gerunzelter Stirn. »Was ist eigentlich mit Mokuba?«, fragte ich und goss mir die Milch ein. »Er und seine Freunde schlafen noch. In einer halben Stunde kommen sein Kindermädchen sowie die Haushälterin. Zeit für einen Kaffee. Und für eine Dusche.« Er fuhr sich durch sein Gesicht und ich ließ ihm einen Kaffee ein. »Na, dann geh doch duschen. Oder brauchst du dafür auch meine Unterstützung?«, fragte ich ihn trocken. Er schnaubte und verschwand ohne ein weiteres Wort aus der Küche.   Eine gute halbe Stunde später stand Mokuba in der Küche und verabschiedete sich einsilbig von Kaiba. Der ließ das unkommentiert. Ich schaute aus dem Fenster des Sportwagens, während Kaiba auf seinem Laptop tippte und dabei telefonierte. »Es ist irrelevant, wie Sie das machen. In einer Woche muss das abgewickelt sein.« Er beendete das Gespräch ohne Verabschiedung. Ich zählte die Bäume, an denen wir vorbeifuhren. Die Zentrale der Kaiba Corporation konnte ich schon von hier sehen, »Warum musstest du gestern so dringend in die KC?«, fragte ich. »Seit wann muss ich dich über firmeninterne Vorgänge informieren?« Ich schwieg. Neunzehn, zwanzig. Mir gingen firmeninterne Vorgänge natürlich am Arsch vorbei. Dafür ging mir etwas Anderes nicht aus dem Kopf. Ich wandte meinen Blick von der Straße und dem Bürgersteig, wo irgendwelche Fremden ihrem Leben hinterher rannten und blickte Kaiba an. Seine Augen auf den Bildschirm gerichtet, das Tippen der Tastatur, sein Hemd gebügelt und die blaue Krawatte, die seine Augen betonte. Ob er das wusste? Kaiba wirkte so, als könnte er alles schaffen, alles organisieren und jeden unter Kontrolle halten. Als wäre es ihm egal, seine Jugend zu opfern, um seinem Bruder alles bieten zu können.   »Mokuba meinte gestern, er glaubt, dass er dich an Gozaburo erinnert.« Kaibas Finger erstarrten, seine Augen weiteten sich diese eine Sekunde, in der er seine Menschlichkeit nicht hinter seiner Maske verbergen konnte. Hätte ich Kaiba nackt gesehen, ich hätte weniger sehen können als in diesem Augenblick. »Ich glaube, du vergisst, dass nicht nur du etwas opferst, wenn du deine Firma aufbaust.« »Das geht dich nichts an, Köter.« Der Augenblick war vorbei. Da war sie, die Maske, die Oberfläche, die die Menschen um ihn herum vergessen ließ, dass er kaum älter als sechszehn war, bald siebzehn. Ich wandte meinen Blick von ihm. »Stimmt. Aber Mokuba«, murmelte ich. Ein weiterer Baum glitt an meinem Autofenster vorbei.   Direkt vor der KC hielt Roland und öffnete Kaiba die Tür, während ich meine selbst aufstieß. Die Sonne blendete mich einen Moment und erinnerte mich daran, dass ich jetzt am Weiher liegen könnte, mich mit Eis vollstopfen und mit Yugi und Tris zocken, stattdessen stopfte ich meine Hände in meine Hosentaschen und trottete neben Kaiba in das Gebäude der Firma. Die Dame am Tresen nickte uns beiden zu. Angestellte und Klienten beobachteten uns. Kaiba nickte manchen zu. Wir warteten auf den Lift, betraten ihn, schwiegen. Ich trat vom einen auf den anderen Fuß und seufzte. Warum war ich nicht auf dem Sofa geblieben? Ich hätte mit Mokuba frühstücken können und danach im Pool die Sommerferien genießen. Stattdessen strafte mich Kaiba mit Ignoranz. Ich war mir keiner Schuld bewusst. Im Gegenteil. »Wo ist Sarah?«, wollte ich wissen und machte keinen Hehl daraus, dass ich alles andere als Begeisterung verspürte, mit ihm hier zu sein – statt so ziemlich allem, was man machen konnte, wenn Ferien waren. »Anders als du arbeitet sie.« Ich verdrehte die Augen, schaute aus dem gläsernen Fahrstuhl und dann wieder zu Kaiba, der wie eine Säule da stand. Er starrte an die Fahrstuhlwand. »Dann geh ich zu ihr. Wo ist sie?« »Extern.« »Hä?« Er antwortete nicht. Die Lifttür teilte sich und Kaiba verließ als erstes den Fahrstuhl, ich folgte ihm bis in sein Büro, wo er sich hinter den Schreibtisch setzte und mich wie einen Idioten herumstehen ließ. Er drückte eine Taste. »Keine Unterbrechungen«, sprach er in das Telefon und schob es zurück. Natürlich lief Kaiba stets Gefahr, unterbrochen zu werden, weil er ja so wichtig war, dass sich die Welt nach seinem Arsch umdrehte. »Was ist mit Sarah, Kaiba?«, brummte ich. »Sie steht dir heute nicht zur Verfügung, Wheeler. Setz dich und halt die Klappe.« Natürlich blieb ich stehen. Statt seiner Aufforderung zu folgen, lehnte ich mich zu ihm, stützte mich auf beide Hände ab und funkelte ihn über den Schreibtisch an. »Wo ist sie?« »Nicht hier«, knurrte Kaiba. »Okay«, erwiderte ich gedehnt, »wo ist sie dann?« »Wheeler«, spie er. »Ist das ein Geheimnis? Was Illegales? Bekommst du dafür Ärger?« Kaiba massierte sich die Schläfen. »Sie verhandelt mit Industrial Illusions. Und jetzt setz dich, verdammt nochmal.« »Ah. Mh«, murmelte ich und fuhr mit meinem Blick sein Gesicht nach. Seine Augen fixierten die Hände, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, die Finger aneinander gelehnt. »Und was –« »Wheeler, wenn du dich nicht sofort hinsetzt und deine Klappe hältst, sorg ich dafür, dass du sie die nächsten Tage nicht mehr benutzen kannst.« Meine Brauen kletterten die Stirn hoch. »Mh.« Mit einem Schulterzucken ließ ich mich auf den Stuhl gegenüber des Schreibtischs fallen. »Und wie willst du das machen?«, provozierte ich mit dem Gefühl, auf einer hohen Mauer zu balancieren. »Was glaubst du, Köter?« Er hob seinen Blick und fixierte mich. Auf einer hohen Brücke über dem Meer, das Blau in der Tiefe drohte einen zu verschlucken, sobald man einen falschen Schritt machte. Hitze schoss mir in die Wangen. »Ähm – also ich – du –« »Deine Eloquenz beeindruckt mich immer wieder«, spöttelte er. »Ja, und mich deine Arschigkeit«, entgegnete ich pampig und lehnte mich zurück, wich seinem Blick aus, aber ich spürte, dass er mich beobachtete. Im Augenwinkel sah ich, wie er sich erhob. »Die Produktion des Videomaterials beginnt in knapp einer Woche«, informierte er mich und zog einen Ordner aus dem Schrank hinter sich, »es wird in der Stadt und im Studio gedreht. Bis dahin könnt ihr das auswendig.« Er warf mir den Ordner in den Schoß. Bevor ich fragen konnte, fuhr er fort. »Das ist das Drehbuch für die Videoclips.« »Aber –« »Ich denke, du bist im Stande zu lesen. Es sollte also selbst für dich zu schaffen sein.« Ich schnaubte und reckte das Kinn. Kaiba sollte bloß nicht denken, dass seine bescheuerten Seitenhiebe mir irgendetwas ausmachten. »Was ist mit meinen Skizzen und den –?« »Die werden in der Abteilung für Marketing Design bearbeitet.« »Ah, mh.« Er fuhr sich über das Gesicht, blinzelte und ließ seinen Nacken knacken. Dann klingelte sein Handy und er zog es aus der Tasche. Mit einem Blick auf das Display nahm er das Gespräch an. »Ja? – nein. Das ist unerheblich. Er hat einen Vertrag unterschrieben. Nein. Ja, seine Freunde ebenso. Yugi Muto ist bereits engagiert. Ja, sag ihm das und dass er sich sein Angebot in den Arsch schieben kann. Ja, du darfst die Formulierung anpassen. Gut.« Er beendete das Gespräch und legte das Smartphone neben sich auf den Tisch. »Was ist, Wheeler?«, knurrte er. »Welches Angebot?«, schoss aus meinem Mund. »Und welcher Arsch?« Sein Mundwinkel zuckte. »Das sind firmen-« »Firmeninterne Dinge und blabla bla. Ja, schon klar«, wiegelte ich ab. »Darf ich wenigstens gucken, was die mit meinen Skizzen machen?« »Nein.« »Arsch«, murmelte ich und blätterte durch den Ordner. Dialoge standen dort und Anweisungen, wie was zu sagen war. Ich atmete tief durch. Was für ein Aufwand. »Wheeler, warum spielst du DuelMonsters?«, unterbrach Kaiba meine Leserei und funkelte mich an, was mir ganz deutlich zeigte, dass er meinen Kommentar durchaus gehört hatte. »Äh – weil es – Spaß macht?«, sagte ich und kratzte mich an der Stirn. »Ist das eine Frage?« Ich seufzte. Warum wollte er das überhaupt wissen? War das ein Test? »Weil es Spaß macht«, wiederholte ich und zuckte die Achseln. »Warum?« »Warum DuelMonsters und nicht DungeonDiceMonsters?« »Hä? Keine Ahnung?« »Wheeler«, knurrte er. »Weil Yugi und ich halt DuelMonsters spielen? Jeder kennt es.« »DuelMonsters begeistert deine Freunde und deswegen interessierst du dich dafür und nicht für das andere Spiel. DuelMonsters repräsentiert für dich eine gemeinsame Vergangenheit und eine gute Zeit. Es gibt viele Fans des Spiels, die dir das Gefühl von Gemeinschaft vermitteln. Sonst noch etwas?« Ich starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Gut. In einer halben Stunde haben wir ein Interview.« Ich nickte, blätterte wieder durch den Ordner, dann erstarrte ich und blinzelte. Kaibas Handy klingelte schon wieder. »Moment. Was?«, wollte ich wissen, doch er ignorierte mich und nahm das Gespräch an. »Ja, das ist mir völlig klar«, schnarrte er in den Hörer, »aber das ist nicht mein Problem. Ich benötige seine Zusammenarbeit nicht für den Erfolg des Turniers. Umgekehrt sieht es anders aus. Er ist ein erbärmlicher Verlierer.« Ich beobachtete ihn, wie er sich nach hinten lehnte und aus dem Büro schaute, über Domino und all die Menschen, die von hier aussahen wie Ameisen. »Ja, richte ihm aus, er soll seine eigene Werbekampagne produzieren, wenn er nicht unter meinen Konditionen – ja, mach das.« Er legte auf und massierte sich die Augeninnenwinkel. »Muss ich einen Anzug anziehen?«, fragte ich mit finsterem Blick. »Das würde bei dir auch keinen Unterschied machen«, spöttelte er und ich schob meinen Mund vor. »Was, wenn ich nicht mit mach?«, provozierte ich. »Warum hast du mir nicht früher mal was gesagt?« »Teil des Vertrags, Wheeler. Es geht um einen Zeitungsartikel. Es wird dir vielleicht eine Frage gestellt – vielleicht nicht einmal die. Sie machen ein Bild von uns und fertig.« Er betrachtete mich, sein Blick blieb bei meinem Haar hängen. »Hast du dir die Haare gekämmt?«, fragte er trocken. »Ja, verdammt«, knurrte ich.   Ich zupfte an meinen Shorts und versuchte möglichst souverän auszusehen, während ich mich an den Ordner klammerte. Wie auch immer man das mit der Souveränität machte. Wie machte Kaiba das? Er saß hinter seinem Schreibtisch und sah aus wie der verdammte König von Domino-City. Zwei Sicherheitsleute begleiteten die Reporterin in das Büro und blieben an der Tür stehen. Sie nickte und schüttelte Kaibas Hand, dann meine. »Ich danke Ihnen für das Treffen, Herr Kaiba. Ich nehme an, Sie sind schwer beschäftigt. Mir geht es nicht anders. Also lassen Sie uns gleich beginnen.« Ich musste bei ihrer Begrüßung grinsen und warf Kaiba einen Blick zu. Sie setzte sich schräg zu mir und Kaiba gegenüber, den Block in der Hand und einen Stift in der anderen, dann drückte sie einen Knopf an ihrem Aufnahmegerät, um das Gespräch aufzuzeichnen. »Es gibt Gerüchte, Sie arbeiten an einem neuen Turnier, Herr Kaiba. Treffen diese Gerüchte zu?« Kaiba nickte. »Also ja. Gibt es bereits einen Veranstaltungstermin? Und Ort?« »Die Orte der Vorrunden werden bald bekanntgegeben. Das Finale findet in Domino-City statt. Die Vorrunden beginnen im Herbst. Das Finale wird nächsten Sommer abgehalten.« Die Journalistin schrieb eifrig mit. »Wird Yugi Muto daran teilnehmen?« Kaiba nickte knapp. Ich beobachtete ihn, wie er mit unbewegter Mimik ihre Fragen beantwortete und über alles erhaben wirkte. Ob er immer noch so ruhig blieb, wenn sie ihn nach seiner Niederlage gegen Yugi fragte? Meine Mundwinkel zuckten. Es hatte eben jeder seine Schwäche. Dann begegnete ich ihrem Blick und blinzelte, als ich bemerkte, dass sie mich fixierte. »Du bist Joey Wheeler, nehme ich an. Yugi Mutos bester Freund. Würdest du dich als seinen besten Freund bezeichnen?« »Ähm«, stammelte ich und kratzte meinen Hinterkopf, »klar, ja.« »Du kennst Yugi seit einigen Jahren. Stimmt das?« Ich hatte das Gefühl, dass sie das gar nicht fragen musste. »Ja, ich – also kenn ich schon ein paar Jahre. Geh’n zusammen auf die Schule.« »Und du bist ebenfalls Spieler von DuelMonsters?« Mein Blick sprang zu Kaiba. Hatte er nicht behauptet, mich würde niemand etwas fragen? Er erwiderte meinen Blick. »Du spielst das Spiel?«, wiederholte sie und ich schaute zurück zu ihr. »Ja, also – Yugi hat mir das Spiel beigebracht und wir zocken es zusammen.« Sie nickte und machte sich Notizen. »Warum sollte man an dem Turnier teilnehmen, Joey? Was ist das Besondere? Sie bohrte ihren Blick in meinen. »Ähm – das – es geht nicht nur um das Turnier«, erwiderte ich und ihre Augenbrauen hoben sich. »Was meinst du?« »Also – es geht nicht nur um das Turnier. Das ist natürlich schon n wichtiger Teil, aber es geht vor allem um die Leute dort. Man trifft richtig coole Leute dort, mit denen man eine echt tolle Zeit hat. Es macht immer Spaß zu zocken und das Spiel ist genial. Aber die Leute dort sind das Beste. Das Spiel kennt jeder. Es – verbindet uns sozusagen.« Die Journalistin musterte mich einen Moment, dann lächelte sie, notierte sich etwas. »Ich habe Informationen, dass Industrial Illusions ein Turnier in demselben Zeitfenster abhält, in Kooperation mit der Kaiba Corporation«, fuhr sie fort und wandte sich wieder an Kaiba. »stimmt das?« Kaiba lehnte seine Finger aneinander und musterte die Frau über seine Hände hinweg. »Diese Informationen kann ich Ihnen nicht bestätigen.« Sie starrte ihn an. »Stimmt es, dass Industrial Illusions Aktien der Kaiba Corporation –« »Wäre es umgekehrt und die Aktien von Industrial Illusions das der KC wert, würde ich sicherlich auch mit dem Gedanken spielen, mir meinen Anteil zu verschaffen. Wenn das dann alles wäre.« Kaiba erhob sich und nickte ihr zu. Sie steckte ihren Notizblock ein und beendete die Aufnahme. »Ich danke für das Gespräch.« Sie streifte mich mit einem Lächeln, während Kaiba sie zur Tür begleitete. Ich blieb verwirrt zurück.   Seto Kaiba kümmerte sich nicht um die Gefühle anderer, wenn diese seinen Zielen im Weg standen. Er nahm sich, was er brauchte und ging weiter. Er schaute nur auf das, was er erreicht hatte, er schaute nicht zurück, um das zu vermissen, was er zurückließ.   Kaiba fuhr sich über die Augen. Unter seinen Augen hingen Schatten. Sein Smartphone klingelte. Mit einem Blick auf das Display ignorierte er das Brummen, setzte sich wieder an den Schreibttisch. »Sag mal«, begann ich gedehnt. »Was läuft da mit Industrial Illusions?« Kaiba schnaubte, antwortete aber nicht. Mit einem Seufzen wanderte mein Blick zu der Fensterfront und betrachtete Domino-City. Die Hochhäuser und Wolkenkratzer, die den Horizont verdeckten, die Straßen, die sich zwischen ihnen schlängelten, die Autos, die wie Spielzeuge aussahen und die Menschen, so viele, jeder mit einer eigenen Geschichte, eigenen Problemen und Sorgen. »Kaiba«, brummte ich, »weißt du, deine –« »Was hat Mokuba zu dir gesagt?« Mein Blick sprang zu ihm und ich runzelte die Stirn. »Was?« Sein Smartphone vibrierte schon wieder, aber er ignorierte es. »Stell dich nicht dumm, Köter«, knurrte er. »Was hat er zu dir gesagt?« »Warum fragst du ihn das nicht selbst, Geldsack?« Kaiba lehnte sich zurück, nahm sein Handy und starrte auf das Display. »Egal«, murrte ich und stand auf, »ich geh jetzt. Es sind Sommerferien. Vielleicht solltest du auch mal nach Hause. Aber was weiß ich schon.« Ich drehte mich um, war schon fast an der Tür, als mich sein Kommentar erstarren ließ. »Und vielleicht solltest du dich mal bei deinem Vater blicken lassen.« »Was weißt du schon von Vätern?«, knurrte ich, ohne mich umzusehen. Vielleicht starb mein Vater gerade. Vielleicht hätte ich es verhindern können. Vielleicht wäre ich bei dem Brand gestorben, wäre ich dort geblieben. Lava floss meine Lungen hinauf. »Was weißt du von Geschwistern?«, ätzte er zurück. »Und du?«, spottete ich und drehte mich zu ihm. Ich zuckte zusammen, als ich bemerkte, dass er hinter mir stand. Nur eins, zwei Schritte entfernt. »Mich erkennt mein Bruder immerhin. Wie ist es mit deiner Schwester?« Meine Augen weiteten sich. »Woher – woher weißt du von meiner –« »Wusstest du, dass sie nicht weit von Domino wohnt? Sie –« Ich stürzte auf ihn zu, krallte meine Finger in den Kragen seines Hemdes, funkelte ihn an und atmete, als wäre ich gerannt. »Woher weißt du das?«, spie ich und betonte jedes Wort. Er senkte seinen Kopf. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und er stierte in meine Augen, seine Mundwinkel zu einem höhnischen Lächeln verzogen. »Ich habe mit ihr telefoniert. Wusstest du, dass deine Mutter noch einen Sohn hat?« Ich ließ ihn los, als hätte ich mich verbrannt. »Das ist mir egal«, hauchte ich. »Das ist mir verdammt egal!« Mit jedem Wort brüllte ich mehr, doch er schaute mich nur an. »Was geht dich meine Familie an, Kaiba? Halt dich raus! Kümmer dich um deinen Scheiß! VERPISS DICH AUS MEINEM LEBEN! LASS MICH IN RUHE, DU ARSCHLOCH!« Ich fuhr herum und wollte weg, einfach nur raus hier und diese ganze Scheiße hinter mir lassen, doch Kaiba griff nach meinem Arm. »Lass mich los!« »Was hat Mokuba zu dir gesagt?« Ich zerrte an seiner Hand, doch sein Griff war wie ein Verschluss, den man nicht auf bekam. Ich riss und drückte, aber er ließ nicht los und saugte all die Wut aus mir heraus. »Er hat gemeint – dass er«, ich zog an meinem Ärmel, doch dann gab ich es auf und fixierte Kaiba, »gehofft hat, dass die KC abbrennt. Dass du nicht weggehst. Bei ihm bleibst.« Statt mich endlich loszulassen, zog er mich näher, so nahe, dass ich seine Wimpern zählen konnte. In dem Moment tönte wieder sein Handy los. »Wer ist das die ganze Zeit?«, raunte ich, als hätte ich Angst Kaiba aufzuschrecken, wie ein wildes Tier, das man nicht einschätzen konnte, obwohl ich das Bedürfnis hatte, ich zu schütteln. »Mokuba«, sagte er. Irritiert schaute ich ihn von unten an. »Ich weiß, du bist ein Arsch«, begann ich, »aber seit wann bist du ein Arsch zu deinem Bruder?« Kaiba schnaubte. »Ich hätte mit Mokuba weggehen können. Aber meine Arroganz hat mich davon abgehalten. Mokuba hat meinetwegen gelitten. Ich wollte Gozaburo zerstören.« Er funkelte mich an. Es überrumpelte mich, so viele Emotionen in dem Blau schwimmen zu sehen. »Wenn ich ein Arsch war, dann zu Mokuba«, flüsterte er, als wäre es ein Geheimnis zwischen uns. Stille. Da waren mein Herzschlag in meinen Ohren, das Gefühl, dass jemand ein Loch in meinen Bauch schlug und Kaibas blaue Augen. »Bereust du es?«, wisperte ich. »Und du?«, flüsterte er. »Hast du sie nie versucht zu finden?« Ich schloss die Augen. Versuchte mich daran zu erinnern, wie ihre Stimme geklungen hatte. Doch da war nichts. Sah sie vor mir, aber es waren Bilder, die jemand auseinander gerissen und zusammengeklebt hatte. Würde ich sie heute noch erkennen? Es waren fast acht Jahre. »Oder hattest du so viele Probleme, dass du nicht wusstest, wie du dein Leben auf die Reihe kriegen sollst? Wolltest du sie nicht enttäuschen, mit dem, was du geworden bist?« Sein Atem haftete an meiner Wange. Seine Wimpern. Seine Nase. Seine Lippen. Er drängte mich zurück. Mein Rücken stieß an die Wand, wo er seinen Arm abstützte, mit dem anderen zwang er mein Kinn nach oben. »Hast du Angst, Wheeler?«, raunte er. Vielleicht starb mein Vater gerade. Vielleicht hätte ich es verhindern können. Vielleicht wäre ich bei dem Brand gestorben, wäre ich dort geblieben. Es war egal, denn ich war jetzt hier. Kaibas Mund schwebte über meinem Nacken. Er schob seine Hand unter mein T-Shirt. Ich presste mich an ihn und drängte meine Finger unter sein Hemd. Seine Zunge fuhr meine Haut entlang. Jemand seufzte. War ich das? Wo war meine Wut hin? Ich wollte schreien, aber alles, was aus mir hervorbrach, war ein Seufzen. Kaibas Atem hing in meinem Ohr. Eine Gänsehaut krabbelte über meine Beine, den Rücken hinauf, über die Arme. »Was sind wir, Kaiba?«, raunte ich der Zimmerdecke entgegen. »Ein Arsch und ein Köter«, spöttelte er. »Ich meine – was sind wir geworden?«, murmelte ich gegen seine Haut. Seine Finger zupften an meinen Shorts. Seto Kaiba schaute nur auf das, was er erreicht hatte, er schaute nicht zurück, um das zu vermissen, was er zurückließ. Er schaute nicht zurück, weil er fürchtete, das zu sehen, was er verloren hatte. Oder war ich das? Ich riss an seinen Hemdknöpfen und zog sie auf. Kaiba presste seine Hüfte gegen meine und irgendwo dazwischen raschelten meine Shorts auf den Boden. ENDE TEIL 1 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)