Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 45: ... bin ein Anderer ------------------------------- __________________________________________   Ich ist ein anderer. Jean-Nicolas Arthur Rimbaud   __________________________________________           Ich  schätzte Pünktlichkeit nicht. Das war für mich keine große Sache. Wer sich verspätete, nahm halt den nächsten Zug. Das Leben bestand aus so vielen Möglichkeiten. Manchmal lohnte sich ein Umweg.   »Was meinst du damit?« Kaiba wandte sein Gesicht ab, als hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen. Das Auto hielt. »Steig aus, Wheeler«, sagte er, doch ich machte keinerlei Anstalten. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, wollte ihn zwingen, mich anzusehen, mir zu erklären, welche Regeln dieses Spiel hatte, das er spielte. Und seit wann wir es spielten. »Kaiba, du kannst nicht einfach –« Jemand öffnete die Tür, ich hörte das Klick, doch schenkte dem keine Aufmerksamkeit. »Steig aus!« Es wird Zeit, dass du dich entscheidest. »Was meinst du mit, ich muss mich entscheiden? Wofür?« Er sah mich nicht einmal an. »Wheeler, steig jetzt aus. Ich habe keine Zeit für deine kindischen –« Roland legte seine Hand auf meinen Rücken. Ich erstarrte. »Herr Wheeler, wenn Sie der Bitte von Herrn Kaiba folgen würden.« Ich mahlte mit meinen Zähnen, aber ich wusste, wann ich eine Runde verloren hatte. Also fuhr ich herum und hätte am liebsten mit meinem Fuß aufgestampft, aber ich tat es nicht, weil ein Wheeler das nicht wegen einem Kaiba tat. Ich stolperte aus dem Wagen und fiel nur nicht auf die Knie, weil ich mich an der Tür hielt. Roland schloss sie, umrundete das Auto und ich schaute ihm zu, mein Kopf blank, obwohl ich Kaiba so viel fragen, ihm so viele Beschimpfungen an den Kopf werfen wollte, zu viele. Stattdessen stand ich einfach da und sah zu, wie er davon brauste. Ich atmete aus und wandte mich um.   Schon von weitem machte ich Yugis Stachelkopf und Tris aus. Sie saßen nebeneinander auf einer Bank und stopften Sandwiches in sich hinein. Zumindest Tris tat es – Yugi hielt seines in den Händen und starrte auf seine Schuhe. Thea war verschwunden. Ich hätte mich freuen sollen, aber ich tat es nicht. Der Videodreh zog sich bis in den frühen Abend und ich hätte schwören können, dass ich jede Szene irgendwie verkackte. Es war mir egal. Tristan krauste seine Stirn. Yugi erwiderte meine Blicke nicht.  Das war mir nicht egal.   Wenn ich an Sommerferien dachte, dann an Weiher und Eis und lange Tage, späte Nächte, Grillabende und meine Freunde. Vormittags saß ich mit Mailo, Tai und Maya zusammen, wir zeichneten, hingen über Skizzen und Animationen. Wir diskutierten und sie gingen nicht über meine Meinung hinweg oder schauten mich an, als wäre ich bescheuert und in meinem Magen blühte Wärme. Nachmittags hing ich mit Yugi und Tris am Weiher oder wir aßen Eis hinter dem Spieleshop. Thea tauchte nicht auf. Die Ärzte bescheinigtem meinem Vater eine langsame Genesung, meine Mutter ließ mich in Ruhe, Serenity und Jacob kamen regelmäßig im Spieleladen vorbei, wo wir im Garten zockten oder Eis aßen oder beides gleichzeitig und ich hätte zufrieden mit meinem Leben sein können. Aber irgendetwas, was Kaiba gesagt hatte, kroch ab und zu in mein Bewusstsein und piekte mir zwischen meine Rippen.   »Scheiße. Alles so – so ein Idiot!«, spie ich aus und lehnte neben Tris am Baum hinten im Garten. Er seufzte und öffnete sein Wassereis mit den Zähnen. Ich starrte meines an und rupfte am Gras. Als könnte das was dafür. Wer konnte eigentlich was dafür? »Wegen?«, fragte Tristan und hakte nicht einmal nach, wen ich meinte. »Ich wollte endlich – ich wollte –«, ich raufte meine Haare, »dieser Penner, dieser –« »Was wollteste?« Ich zuckte meine Achseln. »Ich wollte beweisen, dass ich – ich weiß nicht – anders bin«, murmelte ich und atmete tief durch. »Wem?« Ich reckte mein Kinn in die Luft, blickte nach oben, wo die Blätter in der Sommerbrise rauschten vor einem Blau, das mich an etwas erinnerte. An Freiheit vielleicht. An Ferien. »Allen«, nuschelte ich. Meinem Vater. Meiner Mutter. Kaiba. Mir. Tristan nickte langsam, drückte ein Stück Wassereis weiter nach oben und nahm es zwischen die Lippen, ohne mir zu antworten. Ich sog an meinem Eis und schwieg, starrte auf meine Füße, ohne sie zu sehen. Am liebsten wäre ich in Kaibas Büro gestürmt und hätte ihm alles an den Kopf geworfen, was mir gerade durch den Kopf ging. Aber ich tat es nicht. »Und seit wann hält Kaiba dich davon ab, das zu machen, was du willst, Alter?«, nuschelte Tristan. Ich schwieg und hob meine Nase in die Sommerbrise. »Joey«, sagte Tris, unterbrach meine Gedanken, und schaute nach oben in die Ferne, »weißte, mir brauchst du eigentlich gar nichts beweisen.« Leichtigkeit sprudelte in meinen Magen und obwohl ich es nicht aussprach, wusste ich, dass Tris wusste, dass es mehr bedeutete als jedes Wort der Aufmunterung. Ich lächelte und sog an meinem Eis, lehnte mich zurück und schaute den Wolken dabei zu, wie sie über unsere Köpfe hinwegzogen. »Sag mal«, begann Tris. »Hast du in der letzten Woche mal mit Yugi gesprochen?« Natürlich. Ich sprach jeden Tag mit Yugi. Wir teilten uns immerhin sein Zimmer. Ich warf Tris einen entsprechenden Blick zu. »Ich mein wegen Thea«, fügte er hinzu und ich runzelte meine Stirn. »Hm? Nö, wieso?«, fragte ich, obwohl ich es gar nicht wissen wollte. Tris kratzte sich am Hinterkopf, streckte seine Beine aus und schaute an mir vorbei zum Haus. »Weil wir befreundet sind, Alter, erinnerste dich?« Ich hatte das Gefühl, diesen Satz schon einmal gehört zu haben, aber ich konnte meinen Finger nicht darauf legen, wann oder von wem und so schüttelte ich das Gefühl ab. Natürlich waren wir Freunde. Aber was hatte Thea damit zu tun? Ich schob meinen Mund vor und starrte auf mein Eis, ohne es anzurühren. »Sie ist eine Zicke, Besserwisserin, eine –« Tristan wedelte mit der Hand und ich verstummte. »Hast du ne Ahnung, was sie von dir denkt? Sie sieht in dir nur einen bekloppten Jungen.« Mein Blick verdüsterte sich. »Was zur Hölle sieht Yugi in ihr?« »Vielleicht fragst du ihn das einfach mal selbst.« Das Wassereis tropfte auf meine Haut. Ich verzog mein Gesicht.   Sommerferien hieß eine Pause vom Alltag. All die Menschen, die mich sonst nervten, wusste ich weit weg von mir. Stattdessen durfte ich meine Zeit mit wirklich wichtigen Menschen verbringen. Normalerweise war das eine Garantie für ein paar super gute Stunden. Stattdessen schritt ich in Yugis Zimmer auf und ab und rang meine Finger durch mein Haar. Der Gedanke, Yugi gegenüberzutreten beunruhigte mich. Mich durchbohrten zwei Gefühle. Da war Ärger – und Scham. Vor allem aber Ärger. Yugi betrat sein Zimmer. Jetzt wäre die Möglichkeit. Sachlich und erwachsen. Keine Eskalation. Ihn einfach fragen und die Sache klären, aber ich schwieg und wir taten so, als wäre es normal, dass wir nicht miteinander scherzten. Sommerferien hieß seine Probleme zu vergessen und nicht, sich darin zu suhlen. Keine Menschen, die einem die Sorgen wie Dreck ins Gesicht warfen. Nicht im Krankenhausflur zu stehen, während die Ärzte mit den Eltern sprachen. Tagelang nicht die Fragen zu stellen, die einen quälten. Nicht die Antworten zu bekommen, nach denen man gierte – und vor denen man sich fürchtete. Sie redeten mit wichtigen Mienen. Der Blick meiner Mutter fiel auf mich und sie zogen die Tür zu, während Serenity und Jacob bei mir im Flur standen und ich das Gefühl hatte, langsam auseinandergezogen zu werden. Es war so ein Sommerferientag, an dem ich normalerweise am Weiher hätte liegen sollen mit Tris und Yugi Karten spielen, mit Mokuba ein Eis essen und gegen Abend hinter dem Spielladen im Garten liegen, als meine Mutter die Tür zum Krankenhauszimmer nicht vor unseren Augen schloss, sondern mich hineinbat. Serenity horchte auf. Jacobs Blick wanderte von mir zu unserer Mutter und zurück. Ich zwang mich zu einem Grinsen, doch ich sah, dass er es mir nicht abnahm. Ich hasste Krankenhäuser. Der Geruch und dieses Weiß. Vielleicht lag es aber auch an meinen Eltern. Mein Vater lag teilnahmslos im Bett, während meine Mutter aus dem Fenster schaute. Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Vielleicht war er doch todkrank. Vielleicht würde sie endlich wieder aus meinem Leben verschwinden. Vielleicht beides. »Dein Vater und ich haben uns aufgrund der Situation geeinigt«, begann sie und ich schnaubte. Es war mir egal. Sie sollten mich in Ruhe lassen. Ihr Leben leben, mich meines leben lassen. Ich war nicht unglücklich, wie es war. Ohne sie. Sie hob ihren Blick und sah an mir vorbei. »Du wirst zu mir ziehen.« In diesem Moment zersprang ich. Mein Magen war wie ein Gummi, das zu lange auseinandergezogen wurde und zurückschnallte und gegen Haut schnalzte und brannte. »Vielleicht wirst du die Schule besser wechseln. Es wäre eine gute Option, um –« Ich öffnete den Mund, starrte sie an und schüttelte den Kopf. »Nein«, brach aus mir hervor. »Ich komm nicht zu dir.« »Ich diskutiere nicht. Dein Vater benötigt eine intensive Behandlung und ist nicht in der Lage gleichzeitig –« »Wann war er das schon?«, brüllte ich. Mein Blick zuckte zu ihm, doch er sah mich nicht an, er starrte irgendwo an die Wand. »Joey, es wird Zeit, dass du nicht mehr der ungezogene Straßenjunge bist und –« Sie machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück. Mein Atem ging stoßweise, als wäre ich ein Gejagter. »– dein Leben auf die Reihe bekommst.« Ich zog meine Augen zusammen. »Ich brauch dich nicht dazu«, spuckte ich ihr vor die Füße, fuhr herum und stürmte heraus. Ich hörte Serenitys Rufe hinter mir und sah Jacobs geweitete Augen vor mir, aber ich stoppte nicht. Ich rannte, rannte und rannte, bis ich nicht mehr konnte.   Die nächsten Tage hingen dicke Wolken am Himmel. Hitzegewitter entluden sich bereits mittags und ich saß im Laden und half aus. Es war nichts los. Zumindest nicht drinnen. Draußen tobte der Sturm, Regen peitschte gegen die Scheiben und Donner grollte über den Dächern. Ich ignorierte das Grollen in meinem Bauch, das mich zu überwältigen drohte, wenn ich meine Augen schloss. Als die Klingel einen potenziellen Käufer ankündigte, hob ich den Blick. Thea stolzierte in den Laden, hinter ihr stolperte Yugi über die Schwelle. Yugis rechte Hand lag auf Theas Rücken, die andere mit ihrer verknotet. Mein Blick huschte zu Yugi, der lachte und Thea zu einem Lächeln brachte. Wahrscheinlich schaffte ich es nicht ganz, meine Schadenfreude zu verbergen, als ihr von ihrem Pony Regentropfen über das Gesicht liefen. Ihre Frisur hing in nassen Strähnen hinab. Es sah richtig scheiße aus. Sie lächelte. Yugi lächelte. Ich brodelte. Ihr Blick fiel auf mich und sie zog ihre Augen zusammen. »Hallo«, sagte ich, die gekünstelte Höflichkeit in jeder Silbe. Yugi murmelte eine Begrüßung. Thea nickte mir zu, dann zog sie Yugi weiter, Richtung Treppe, dort, wo der Geschäftsraum zu den Privatzimmern der Mutos führte. Ich rieb mir über die inneren Augenwinkel, als könnte ich so eine klare Sicht auf die Situation bekommen. »Hör zu«, wollte ich sagen, »ich mag dich nicht und du mich nicht, aber wir mögen beide Yugi, also lass uns irgendwie klar kommen, auch wenn ich keine Ahnung habe, was er mit dir will, du blöde Zicke –« Irgend so etwas. Ein paar Worte. Vielleicht schaffte ich es sogar, die Beleidigung herunterzuschlucken. Aber statt überhaupt etwas zu sagen, hing ich weiter über der Theke und blätterte im Magazin herum und schwieg und kämpfte gegen das Gefühl zu ertrinken. Du wirst zu mir ziehen. Ich hörte, wie jemand die Dusche anstellte und ich verdrehte meine Augen. Ich würde kotzen, wenn ich irgendwelche anderen Geräusche außer denen von Wasser hören müsste. Vielleicht wirst du die Schule besser wechseln. »Bist du langsam fertig damit?« Ich fuhr hoch. Thea stand vor mir. Allein und trocken. Sie beobachtete mich, als wäre ich ein Tier, das sie nicht einschätzen konnte. Das Wasser der Dusche oben lief noch immer. »Womit?«, fragte ich und schaute Richtung Treppe, aber Yugi stand nicht da. »Er duscht«, beantwortete sie mir die Frage, die ich nicht stellte, weil die Antwort so offensichtlich war, dass ich sie gar nicht hätte hören brauchen. Ich zuckte die Schultern. »Womit?«, wiederholte ich und fühlte, wie ich die Seiten des Hefts zwischen meinen Fingern zerknitterte. Sie lehnte sich an die Theke. Ihre Augen waren blau. Es irritierte mich und ich schaute an ihr vorbei. »So zu tun, als hättest nur du Probleme.« »Du hast keine Ahnung«, knurrte ich, »du kennst mich nicht, tu nicht so, als –« »Und du kennst mich nicht. Es geht nicht immer um dich«, schnitt sie mir das Wort ab und ich starrte sie an. Mit offenem Mund, den ich zuklappte, weil mir natürlich nichts in diesem Moment einfiel – außer Beleidigungen. Ich atmete tief durch. »Was willst du von Yugi? Und was willste jetzt von mir?«, brach aus mir hervor. Sie legte den Kopf auf eine Seite und musterte mich, als wägte sie ab, ob ich sie beleidigt hatte. »Sein Lieblingsspiel ist DuelMonsters, aber mit seinem Großvater spielt er am liebsten Mühle«, sagte sie, »er mag keine klassische Musik, aber verzieht nicht einmal das Gesicht, wenn ich stundenlang auf ein klassisches Stück trainieren muss. Wenn er lügt, dann wird er rot, aber wenn er beim Spielen blufft, zuckt er nicht mit der Wimper. Ich bin ihm wichtig«, schloss sie leise, »aber er würde dich nie im Stich lassen. Das ist umso ernüchternder, weil du ihn dauernd auflaufen lässt.« Ich starrte sie an, ihre Worte hingen in der Luft, während ich tief ein- und ausatmete. War das eine Antwort auf meine Frage? »Ich lass ihn nicht auflaufen«, erwiderte ich und versuchte mit aller Konzentration meinen Drang zu kontrollieren, sie zu beleidigen. »Weißt du, warum ich bei Seto Kaibas Kampagne mitmache?« Ich stockte. Das Gespräch mit ihr verwirrte mich. Ihre Sätze schienen nicht zusammenzugehören. Als passten ihre Gedanken nicht zueinander. Was hatte das jetzt mit ihr zu tun? Oder mit meiner Frage? Doch sie fixierte mich. »Ich mache mit, weil ich das Geld brauche, um Tanzstunden zu bezahlen. Mein Traum ist es mal, ein eigenes Tanzstudio zu haben. Ich will Tänzerin werden.« Was interessierte es mich? »Weißt du, warum Yugi bei Seto Kaibas Kampagne mitmacht?« Was hatte das jetzt mit ihm zu tun? Doch sie ließ meinen Blick nicht los. Ich legte das Heft auf den Tresen ab. Auf dem Cover prangerten DuelMonsters. Weil Yugi DuelMonsters liebte? Weil es Werbung für das größte Turnier im nächsten Jahr war? Weil Seto Kaiba ihn dazu aufgefordert hatte? Weil Yugi der beste Spieler werden wollte? Oder war er das nicht eh schon? Weil – Ich zuckte die Schultern und Thea seufzte. »Deinetwegen. Er hat zu mir gemeint, dass es für dich eine riesige Möglichkeit ist, deine Träume zu verwirklichen.« Ich spürte, wie ihr Blick mein Gesicht entzündete. »Mh«, machte ich und etwas durchzog meinen Bauch wie Spinnenweben. »Aber ich habe das Gefühl, dass du keine Ahnung hast, was du eigentlich willst. Was ist deiner? Dein Traum? Wofür machst du das Ganze? Was willst du mal sein?« Ich antwortete ihr nicht, schlug wieder das Heft auf und ignorierte sie und sie ließ mich mit den Fragen alleine.   Am Abend saß ich auf der Bettkante und knabberte auf meiner Lippe. Die Tür öffnete sich und Yugi trottete herein, nachdem er Thea verabschiedet hatte. Er murmelte eine Begrüßung, ohne mich anzusehen und schlich dann an mir vorbei zu seinem Bett, wo er sich einen Manga schnappte und sich auf die Matratze fallen ließ. »Yugi«, begann ich und verstummte. Er hob seinen Blick, blinzelte und versuchte ein Lächeln, aber es barg nicht sein sonstiges Strahlen. Als hätte ihm jemand den Glanz geraubt und übrig war nur das Spiegelbild. »Mh?«, machte er, nachdem ich nichts weiter sagte und ich straffte meine Schultern. »Was – warum – also seit wann –« Ich spürte wie sein Blick jetzt meinen Nacken verbrannte. Warum verkackte ich immer solche Gespräche? Es war doch eine absolut einfache Frage: Was zur Hölle willst du mit der blöden Tussi? Sie war arrogant und eine Besserwisserin, drückte jedem ihre Meinung auf und wenn es nicht so lief, wie sie es wollte, dann fing sie an herumzumeckern. Als müsste jeder nach ihrer Pfeife tanzen. Ich öffnete den Mund, um genau das zu sagen, aber ihre Fragen wirbelten in meinem Kopf und als Yugi in diesem Moment meinen Blick erwiderte, kam es anders. »Meine Mutter will, dass ich zu ihr ziehe«, flüsterte ich. »Ich soll die Schule wechseln.« Seine Augen weiteten sich, ich schluckte und er legte mir seine Hand auf die Schulter. Wir schwiegen. Schulter an Schulter saßen wir auf dem Bett. Er starrte durch das Fenster nach draußen, ich an die Wand, blinzelte ab und an zu ihm und wollte etwas sagen, aber ich wusste nicht was oder wie, also ließ ich es. »Und was willst du?«, fragte er in den Raum. Ich senkte meine Schultern, starrte auf meine Füße, dann meine Hände. Ich wollte nach Hause. Aber das Zuhause, wohin ich wollte, gab es schon lange nicht mehr. Viel länger als der Brand her war. Und ich lief vor den Konsequenzen davon. Hör auf zu winseln und Yugi hinterher zu laufen. Hör auf, dich hinter ihm zu verstecken. Und bei ihm. Mein Blick schweifte von Yugi zu seinem Schreibtisch. An der Pinnwand darüber hingen Bilder von uns und die ein oder andere Zeichnung, die ich angefertigt hatte. Wir lachten auf den Fotos. Was Yugi und ich schon gemeinsam geschafft hatten, die vielen Situationen, in denen wir uns gemeinsam hochgezogen, die vielen Stunden, in denen wir im Garten unter dem Baum gelegen und erzählt hatten, die ganze Zeit, in der wir miteinander alle möglichen Spiele im Laden gezockt hatten und die Augenblicke, in denen wir uns begannen zu verändern. Ich kann euch das Spiel zeigen! Willst du – willst du es lernen? Das Spiel? Das Kartenspiel meine ich. »Es tut mir leid, Yugi. Ich war son Idiot«, murmelte ich. Wie erklärte man es, dass man das Gefühl hatte, jemand anderes gewesen zu sein? Er lehnte sich vor, hob seinen Blick und sah mich von unten heraus an. »Das stimmt«, erwiderte er, aber so, wie es nur Yugi fertig brachte. Ohne Trotz. Ohne Vorwurf. Er lächelte. Es war kein Strahlen, der Funken in seinen Augen schwach. Aber er lächelte und das Gefühl, einen Knoten im Magen zu haben, entwirrte sich. Es wird Zeit, dass du dich entscheidest. »Und jetzt?«, fragte Yugi. »Was ist dein Plan?« Er schaute mich mit seinen großen Augen an und ich drückte meinen Rücken durch. Vielleicht war es das. Nicht mehr die Zeit, zurückzublicken. Nicht mehr zu bedauern, was ich verloren hatte, sondern Zeit, die Dinge anzupacken und das zu verändern, was ich verändern konnte. Mich nicht mitreißen lassen und mich zu bemitleiden, sondern aufzustehen und selbst Entscheidungen zu treffen. Wofür machst du das Ganze? Was willst du mal sein? Was willst du mal werden? Yugi glaubte an mich. »Was denkst du, wie arg mir Kaiba in den Arsch treten wird wegen der Videodreh-Sache?«, fragte ich und legte mein Finger ans Kinn. Yugi brach in Lachen aus und ich runzelte die Stirn. Er hatte Recht. Ich war wirklich am Arsch. Aber ich grinste. Wann hatte mich das schon am Boden liegen lassen? Mein Blick wanderte zurück zu den Fotos. Ein Drehbuch von irgendeinem fremden Anzugsträger könnte das nie schaffen wiederzugeben – all das, was wir waren. Meine Augen weiteten sich. »Ich hab'ne Idee«, begann ich langsam und Yugi betrachtete mich mit hochgezogenen Brauen, während ich Tristans Nummer in mein Handy hackte und danach Mokubas und Sarahs. »Los. Ruf Thea an«, murmelte ich und grinste schief.   Ich stand oft auf dem Schlauch und begriff Dinge erst später, aber manchmal lohnte sich ein Umweg. Es waren nicht die schlechten Dinge, die alltäglich um uns passierten, die uns definierten, sondern die Dinge, die wir daraus machten. Gozaburo konnte Kaiba nicht stoppen. Kaiba hatte aus einer Kriegsfabrik eine Firma gemacht, die Spielzeug herstellte. Und mich würde meine Mutter auch nicht aufhalten. Und erst recht würde ich mir nicht selbst im Weg stehen.   Am nächsten Tag liefen wir mit Kisten durch den Haupteingang der Kaiba Corporation. Geschäftsmänner mit Aktenkoffern starrten uns an, die Angestellten folgten uns mit Blicken und ich war mir sicher, dass uns die Security nur deshalb nicht hinausschmiss, weil Mokuba uns mit einer Kiste vor der Brust anführte. »Bist du dir sicher, dass das so ne gute Idee war, Kumpel?«, murmelte Tristan links von mir und sah aus, als wollte er hinter seinem Karton verschwinden. »Mach dir net ins Hemd«, erwiderte ich und streckte mein Kinn. »Ich denke, die Idee ist nicht schlecht«, fügte Thea hinzu und Yugi lächelte mir zu. Ich grinste schief. Mokubas Mimik schwankte zwischen Amüsement und dem Ausdruck, wenn man etwas dabei war zu tun, das man zum ersten Mal tat – und es aufs Tiefste genoss. In meinem Bauch machte sich ein Kribbeln breit. Sarah empfing uns im Stockwerk der Animation Studios der KC und ließ ihren Blick über uns, die Kisten und Kartons vor der Brust, schweifen. Sie rückte ihr Hütchen zurecht, lächelte und meinte nur: »Ich freue mich schon auf sein Gesicht.« Maya und Mailo begrüßten uns und wir stapelten unser Zeug um einen der Tische.   Sommerferien hieß eine Pause vom Alltag. Ich durfte meine Zeit mit wirklich wichtigen Menschen verbringen. Wir hingen über den Kisten und kramten in alten Fotoalben, spulten uns durch Videoaufnahmen und durchstöberten Digitalfotos auf dem PC. Wir lachten, erinnerten uns daran, wer wir früher waren und manchmal schämte ich mich. Wir erzählten, teilten Geschichten und Thea lachte mit uns und Yugi schaute mich an und ich war nicht unglücklich. »Woha! Wer hat'n das Bild gemacht?« Tristan fuchtelte mit seinen Händen vor dem Bildschirm. Das Digitalfoto zeigte uns in Yugis Garten. Uns klebten Zettel auf der Stirn, während wir dieses Spiel spielten. Yugi lachte, während ich scheinbar mit Kaiba diskutierte. Mokuba strahlte. Tristan schlug sich die Hand gegen die Stirn. Yugis Großvater musste uns festgehalten haben. Meine Augen klebten am Bildschirm. Ich erinnerte mich an den Abend, als wäre ich ein Anderer gewesen, dabei war es gar nicht so lange her. Das nächste Bild zeigte mich und Kaiba. Ich lachte darauf. Und er – er schaute nicht wirklich so, als wollte er mich im nächsten Moment umbringen. »Das Bild muss mit rein«, bestimmte Mokuba. Yugi nickte. Thea nickte. Ich konnte den Kopf nicht schütteln. Bilder, auf denen wir am Weiher lagen, Karten spielten. Thea war mit drauf. Fotos, die Yugi und sie zeigten. In der Stadt, in einer Art Turnhalle. Videoclips. Sie tanzte und Yugi feuerte sie an. Aufnahmen. Während Yugi eine Runde zockte und sie feuerte ihn an. Hatte ich das alles echt übersehen? Die ersten Mitarbeiter verabschiedeten sich und machten Feierabend. Mokuba schnitt Clips am PC zurecht. Sarah scannte und diskutierte dabei mit Thea. Yugi sortierte Fotos. Tristan blieb neben mir stehen und klopfte mir auf die Schulter, ohne etwas zu sagen. Etwas in meinem Bauch hüpfte, dann animierte ich weiter mit Mailo. Mokuba verabschiedete sich irgendwann. Sarah zog sich in ihr Büro zurück. Wir arbeiteten die Nacht durch. Meine Augen brannten. Ich gähnte, rieb mir über die Nase, streckte mich und beugte mich erneut über den Bildschirm. Yugi und Thea verließen das Studio nach Tristan und Maya. Ich blieb. »Joey, du solltest auch nach Hause gehen«, brummte Mailo neben mir. Ich schüttelte den Kopf. »Es ist fast fertig«, beharrte ich. Die Dächer reflektierten das Orange, die Wolken überzog ein Rotstich. Von hier oben hatte man den perfekten Blick auf Domino. Kaffeeduft stieg mir in die Nase. Ich fuhr hoch. An meiner Wange hing eines der Bilder. Blicke streiften mich und ich fuhr mir durchs Haar. »Hey, Joey«, begrüßte mich Maya und grinste. »Gut geschlafen?« Mein Nacken beantwortete die Frage. Ich stöhnte. »Verdammt! Wie – wie viel Uhr ist's?« »Kurz nach neun – hey, was –?« Ich sprang auf, speicherte das Video auf einem USB-Stick und stürmte davon. »Und was ist mit den ganzen Kisten?«, fragte Maya. »Später, später!«, rief ich über meine Schulter. Ich rannte durch den Gang, riss fast einen Mann im Anzug mit, entschuldigte mich und stürmte weiter. Ich quetschte mich in den Aufzug und spürte die Blicke, die sich in meinen Nacken brannten. Mein Haar stand wirr vom Kopf, mein T-Shirt klebte an meiner Haut. Ich musste aussehen, als wäre ich wo ausgebrochen. Aber es war mir egal, was die dachten. Warum betätigst du dich kreativ, Schätzchen? Weil man manche Dinge nicht sagen konnte, aber zeigen. Ich fuhr bis in die oberste Etage und stolperte in den Flur, joggte bis vor Kaibas Büro und ich riss die Tür auf, ohne zu klopfen. »Ich weiß, ich bin spät dran«, verkündigte ich, »aber wir ham's geschafft.« Ich streckte den USB-Stick in die Luft, als würde der jede weitere Erklärung überflüssig machen. Was meinst du mit, ich muss mich entscheiden? Wofür? Nicht wofür. Es war wichtig, den Arsch hochzukriegen und sich selbst zu entscheiden. Nicht entscheiden zu lassen. Das Leben bestand aus so vielen Möglichkeiten. »Wheeler!« Kaiba schaffte es, dass es sich gleichzeitig nach einem Ausrufe- und Fragezeichen anhörte, während seine Finger über der Tastatur schwebten und seine Augenbrauen fast unter dem Pony verschwanden. Sein Anzug, seine Krawatte, sein ordentliches Haar, sein makelloses Auftreten. Dagegen ich. Brennende Augen, als wäre ich ein Drogenabhängiger, das Haar wie ein verlassenes Vogelnest. Abgetragenes T-Shirt, abgewetzte Shorts. Nicht einmal Zähne geputzt von der durchgemachten Nacht. Der hat es verdient. Der hat was aus sich gemacht. Der ist halt nicht son Verlierer wie wir. »Was zur – Wheeler. Du hast keinen Termin. Ich habe keine Zeit für deine infantilen Anfälle, die –« Nicht der zu sein, den andere in dir sehen. »Das hier«, unterbrach ich ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, stützte mich auf seinem Bürotisch ab und beugte mich zu ihm, während ich den USB-Stick zu ihm schob, »ist unsere Werbekampagne.«   Ich hatte mir ständig Gedanken darum gemacht, was andere in mir sahen. Aber die wichtige Frage war nicht mehr, wer ich gewesen war, sondern wer ich sein wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)