Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 48: … bin nicht einfach ------------------------------- __________________________________________   es wäre ja so einfach wenn es einfach wäre © Anke Maggauer-Kirsche    __________________________________________           Ich war – das sagte Tris – einfach willensstark. Thea bezeichnete es als einfach stur. Serenitys Ansicht nach war ich einfach, wie ich war. Yugi meinte, dass ich mich eben einfach nicht unterkriegen ließ. Keiner von ihnen hatte Unrecht. Aber sie vergaßen zwei Dinge. Erstens. Ich war nicht einfach. Zweitens. Ich war komplizierter.   »Also was willst du, Wheeler?« »Ich – ich will«, verdammte Scheiße, warum benahm ich mich immer wie ein Trottel, wenn er mich so ansah? Ich fuhr mir durchs Haar und schaute aus dem Panoramafenster. An die Aussicht von hier oben würde ich mich nie gewöhnen, es würde mir immer und immer wieder vor Augen führen, wo ich herkam und dass ich jederzeit wieder nach unten fallen könnte, während er hier oben thronte. Ich atmete tief durch, steckte beide Hände in meine Hosentaschen und schaute ihn an. Wie er hinter seinen Computern und Bildschirmen saß und seine Finger aneinander lehnte. »Was willst du, Kaiba?«, wollte ich wissen. Er schwieg. »Du weißt es selbst nicht, oder?«, fuhr ich fort und wusste nicht, ob das Brodeln in meinem Bauch Wut oder Enttäuschung war. Er schaute als erstes weg. Aber es fühlte sich nicht wie ein Sieg an. Ich wollte einfach nur weg. Egal, was ich mir eingebildet hatte, es war lächerlich. Dann schaute er mir direkt in die Augen. »Ich weiß immer, was ich möchte.« Er kam mir näher. Wann war er aufgestanden? Seine Schritte erinnerten mich an einen Panther und ich schluckte, obwohl ich ihm entgegen schleudern wollte, dass er sich seine Sprüche mal seinen – Er stand mir gegenüber, sein Blick wanderte mein Gesicht entlang, über meine Lippen – ich schluckte schon wieder – und dann schnaubte er. »Aber nicht immer ist das, was man sich wünscht, das, was man braucht. Oder was einem guttun würde.« Meine Gedanken wirbelten in meinem Kopf. Wann hatte mir jemals etwas nicht gutgetan, was ich mir gewünscht hatte? Das war doch totaler Unsinn. Dann blitzten Erinnerungen auf. Yugi, dem ich seine Karten abnahm, während Tris und ich lachten. Yugi, der mich anbettelte, sie nicht zu zerreißen. Yugi, dem ich seinen Geldbeutel aus dem Rucksack riss. Tris, den ich schlug. Thea, die ich anschrie. Hatte ich das wirklich gewollt? Damals hatte es sich gut angefühlt. Was, wenn dieses gute Gefühl verflog? Was blieb übrig? Eine Ruine. War das mit Kaiba dasselbe? Nur anders? Ich starrte ihn an, dann drehte ich mich um und ging. Er hielt mich nicht auf.   In meinem Kopf lauerte eine Stille. Als stünde ich inmitten eines Orkans und wartete darauf, dass der Sturm losbrach. Aber nichts. Ich arbeitete in der KC und abends lag ich neben Yugi und ich traf ab und zu Tris und Thea und meine Geschwister und dann saßen wir im Garten hinter dem Spielladen und alles war okay. In meinem Bauch herrschte Stille. Als stünde ich an einem Ufer und sah von weitem die meterhohen Wellen und wartete darauf, dass sie einschlugen, aber sie näherten sich nicht. Ich traf meine Eltern ab und zu im Krankenhaus, wo ich Serenity und Jacob abholte und wieder hinbrachte und meine Mutter schaute mich an, aber ich tat so, als bemerkte ich ihre Blicke nicht. Und es war alles okay. In meiner Brust hauste eine Stille. Als hörte ich den Donnern in der Ferne, sähe die Blitze am Horizont, aber es regnete nicht einmal. Die Sonne schien und ich tat so, als hörte ich das Geflüster hinter meinem Rücken nicht und die Blicke und die Erwartung, die sich auf meinen Schultern türmte, während ich auf den Dächern der KC balancierte und darauf wartete, dass der Blitz mich erschlug.   Ich stand hinter dem Tresen in Spielladen und blätterte durch ein Magazin, daneben lagen mein Skizzenbuch und ein Bleistift und ein Tablet der KC, aber ich brachte nichts zustande. An dem Tisch neben dem Tresen saßen Yugi und mein Bruder und spielten eine Runde mit Karten. Serenity lachte mit Thea irgendwo hinten im Garten und Tris hing bestimmt neben meiner Schwester herum. Dann klingelte das Glöckchen an der Tür und ich sah auf. Mokuba stapfte durch den Verkaufsraum und ich hob die Augenbrauen, als ich seine Mimik sah. Roland folgte mit einigem Abstand. »Hey«, brummte er und sein Tonfall passte gar nicht zu dem enthusiastischen Jungen, der er sonst war. »Alles okay?«, fragte ich und legte das Magazin zur Seite. Ich bemerkte, dass Yugi uns beobachtete, während er Karten austeilte. Mein Blick sprang zu Roland, der wie sonst auch nichts preisgab. »Ja«, behauptete Mokuba und lächelte, aber es sah mehr aus, als hätte er in eine überreife Banane gebissen. »Also eigentlich nein«, widersprach er sich auch sofort und schnaubte. »Sagt mal. Kann ich – kann ich hier übernachten?« Mein Blick schnellte zu Yugi, der ihn erwiderte. »Ist was passiert?«, wollte er wissen und hielt inmitten seines Zuges inne. Mokuba schüttelte den Kopf, während er auf seine Schuhe schielte. »Was hat Kaiba zu dir gesagt?«, fragte ich. »Nichts«, murmelte Mokuba. Ich schnaubte, aber er schaute auf und wiederholte, dass sein großer Bruder nichts gesagt hätte. »Und eigentlich ist das auch das Problem. Ich habe ihn die letzten Tage kaum gesehen. Er ist so gut wie immer in seinem Büro und kommt erst nach Hause, wenn ich schon eingeschlafen bin. Und steht so früh auf, dass ich es manchmal gar nicht mitbekomme. Ich könnte schwören, dass er an manchen Tagen einfach in der KC übernachtet.« »Was? Er lässt dich alleine?« Ich sprang hinter dem Tresen hervor, legte beide Hände auf die Schultern des Jungen und in meinem Kopf braute sich ein Gewitter zusammen. »Nein, nein. Roland ist immer für mich da.« Mokuba warf dem Mann im Anzug und mit Sonnenbrille einen Blick zu, zu dem nur Mokuba fähig war. Dankbarkeit und Zuneigung und das mit einer Aufrichtigkeit, die auch den Geldsack schmelzen ließ. Roland nickte knapp, hielt sich aber weiterhin im Hintergrund. »Aber«, Mokuba lehnte sich zu mir, als vertraute er mir geheime Informationen an, »ganz ehrlich, der braucht auch mal eine Pause. Und ich dachte, ich könnte – bei euch – bleiben?« Gegen Ende seines Satzes schaute er unsicher zwischen mir und Yugi hin und her und fingerte an dem Saum seines T-Shirts herum. »Ohja!«, rief Jacob und schien ganz aus dem Häuschen, als wäre in dem Moment ein Plan in seinem Kopf hochgegangen. Bevor Yugi seinen Mund aufmachen konnte oder ich protestieren – nicht, dass ich es vorgehabt hätte – stand Jacob schon bei Mokuba und zog ihn hinter sich her in den Garten. »Wasserschlacht!«, hörte ich ihn rufen und danach Thea quietschen. Roland stand weiter einfach da und ich wechselte einen Blick mit Yugi, der seine Schulter zuckte. »Haben Sie Durst?«, fragte ich höflichkeitshalber und ich rechnete mit einer ebenso höflichen Ablehnung, stattdessen seufzte Roland – oder ich bildete es mir ein – und nickte. Das bildete ich mir nicht ein. Drei Minuten später stand er mit einem Glas Wasser in der Hand auf der Terrasse, beobachtete, wie Mokuba mit meinem Bruder durch den Garten tollte und dabei Tris und Thea hinter ihnen mit dem Gartenschlauch her hetzten, während Yugi versuchte dem Wasser auszuweichen und dabei schändlich versagte. Sein Haar fiel ihm wie ein Mob in die Augen. »Weiß Kaiba eigentlich Bescheid?«, fragte ich und schlurfte meine Cola, in der Eiswürfel klirrten. »Ich habe ihn nicht persönlich erreichen können, aber ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen.« Ich glaubte, so viele Worte hintereinander, hatte Roland noch nie mit mir gesprochen. »Wenn Sie wollen, dann können Sie Mokuba uns überlassen. Ich mein, Sie haben doch auch mal Feierabend.« Es klang mehr nach Frage als Feststellung. Hatte Roland offiziell Feierabend? Und wenn ja, wann? Hatte er ein Privatleben oder gab er alles für diese beiden Brüder auf? Gehörte das dazu, wenn man mit den Kaiba-Brüdern zu tun hatte? Trat man automatisch irgendwann in den Schatten? »Es macht mir nichts aus – im Gegenteil. Es ist mir eine Ehre, bei Herrn Kaiba und seiner Familie angestellt zu sein«, erwiderte Roland, ließ Mokuba nicht aus den Augen, als erwartete er jeden Augenblick einen Angriff aus dem Verborgenen. Ich wollte ihn gerne fragen, warum. Was hatte Kaiba getan, dass Roland ohne zu zögern, ohne Fragen zu stellen, sein Privatleben hintenanstellte? Und was würde für ihn übrigbleiben, wenn seine Arbeit für sie getan war? Ich hatte mir nie Gedanken darum gemacht. »Es macht mir auch nichts. Im Gegenteil«, erwiderte ich und in diesem Moment wandte er sich mir zu und löste seinen Blick von Mokuba, um mich anzuschauen. Ich erstarrte. Trotz der Sonnenbrille versenkte sich sein Blick in meinem. »Bei Herrn Kaiba angestellt zu sein, bedeutet, Teil seines Lebens zu sein. Seine Arbeit bedeutet sein Leben. Es gibt nur eine Sache, die ihm mehr bedeutet. Wenn Ihnen das nichts ausmacht, dann erst können Sie wirklich ein Teil seines Lebens werden.« Ich starrte ihn an, öffnete meinen Mund, aber ich wusste nicht, was es darauf zu antworten gab. Was es bedeutete. Außer, dass Mokuba diese eine Sache war. Dann verbeugte er sich leicht vor mir und nickte mir zu. »Ich überlasse Mokuba Ihrer Aufsicht. Einen guten Abend wünsche ich Ihnen.« Ich sah ihm nach, so lange, bis er gar nicht mehr dort war, wo ich hinstarrte. Dann erwischte mich ein Strahl eiskalten Wassers und ich quietschte. Mokuba und mein Bruder brachen in Lachen aus und ich stürzte ihnen hinterher, während ich ihnen zurief, was sie erwarten würde, sobald ich sie in meine Finger kriegte. Natürlich lachten sie nur noch mehr. Und in meinem Bauch kribbelte das Gefühl von Sommer und Unendlichkeit in diesem winzigen Augenblick.   Am Abend lagen wir alle auf Isomatten und in Schlafsacken im Garten unter einem sternenklaren Himmel. Großvater Muto saß auf der Hollywoodschaukel und erzählte von seinen Abenteuern in Ägypten, während ab und zu abwechselnd Yugi und ich seine Stories leise mitsprachen, was Jacob und Mokuba zum Kichern brachte. Theas Hand lag in Yugis und ich warf Tris einen mahnenden Blick zu, als seine Finger auffällig nahe an Serenitys rutschten. Er zog sie sofort zurück und ich starrte zufrieden in den Himmel, zählte Sterne, während ich die Pyramiden vor mir sah. »Wow! Eine Sternschnuppe! Hast du die gesehen, Joey? Habt ihr die gesehen?«, rief mein Bruder aufgeregt und Mokuba sah schon gleich die nächste. »Ihr müsst euch was wünschen«, erklärte Thea, »aber ihr dürft es niemanden verraten!« Ich sah zur Seite, wo Mokuba zu meiner Rechten lag und die Augen zusammenpetzte und zu meiner Linken, wo Jacob konzentriert in den Himmel starrte. »Was eigentlich absoluter Unsinn ist, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Wünsche erfüllt werden wächst, wenn man sie mit Freunden teilt«, fuhr Thea fort und klang wie meine Englischlehrerin. »Ich hab mir gewünscht, dass wir für immer zusammen sind!«, rief Jacob sofort und ich zuckte zusammen, als seine Finger sich in meine gruben, aber ich zog sie nicht zurück, sondern umfasste seine Hand und ließ nicht los. »Und dass wir eine glückliche Familie werden«, fügte er leise hinzu. Mir stockte der Atem. »Oh, Mist!«, rief er dann, klatschte seine Hand gegen die Stirn und fuhr hoch, so dass er in seinem Schlafsack saß und sein Blick wanderte über uns und dann blieb seiner in meinem hängen. Ich versuchte, seinen Augen nicht auszuweichen, die Zufriedenheit in seiner Mimik, nicht davonfliegen zu sehen, wie die Sternschnuppen, auf die er so viel Hoffnung setzte. »Das sind ja zwei Wünsche, oder?«, murmelte er und Verzweiflung zog sich durch seine Stimmlage. »Du kannst meine Sternschnuppe haben«, bot ihm Mokuba an und lächelte. »Echt? Geht das?« Jacob sah zu Thea, als wäre sie die Richterin in Sachen Sternschnuppen-Gesetze. Sie nickte mit ernster Miene und ein schiefes Lächeln zupfte an meinen Lippen. Innerlich dankte ich ihr, dann schaue sie zu mir und grinste und ich erwiderte es und wusste, in diesem Augenblick dachten wir dasselbe. Jacob machte ein freudiges Geräusch, plumpste zurück auf die Isomatte und streckte seine Arme gen Himmel, als versuchte er, die Sterne zu greifen. »Dann wird alles gut«, behauptete er mit einer Zuversicht, die mein Lächeln von den Lippen bröckeln ließ und in meinem Bauch wuchs dieses Etwas, das meine Kehle austrocknete und meinen Kopf leerfegte. »Aber, Mokuba –« Jacob stützte sich auf seine Ellenbogen, um über mich hinweg zu Mokuba zu linsen. »Was ist jetzt mit deinem Wunsch?« Er klang ehrlich besorgt, aber Mokuba lächelte nur und sagte: »Das ist schon okay. Deine Wünsche waren dringender.« Mein Blick klebte an Mokuba, der in den Himmel schaute und so tat, als bemerkte er es nicht. Und ich fragte mich, was er sich gewünscht hatte.   Ich streckte meine Hand aus und schreckte zurück, als meine Fingerspitzen etwas Kühles, Feuchtes ertasteten. Etwas sprang auf meinen Rücken, presste die Luft aus meinem Brustkorb und legte sein Gesicht in meinen Nacken. Ich wälzte mich hin und her, aber davon ließ sich dieses Etwas nicht beirren. »Joey, wach auf!« Jacob pustete gegen meine Haut und eine Gänsehaut breitete sich in meinem Nacken aus. »Joey!« Das war Mokuba, der sich hinter Jacob auf meinen Rücken setzte. Ich hörte Serenity kichern. Licht schien durch meine Augenlider und ich grummelte, dass es zu hell und zu früh war. »Dann gibt's mehr Brötchen für uns«, behauptete Jacob und klettere von meinem Rücken und ich wusste ich hatte verloren, als ich Thea und Tris plappern hörte und der Duft von Kaffee aus der Küche zu uns wehte. Ich drehte mich um und Mokuba landete neben mir und lachte, während ich Jacob über die Terrasse in das Haus flitzen sah. Yugi und Thea schlenderten Hand in Hand über den Rasen und Tris belagerte meine Schwester, die einen Korb Brötchen auf den Tisch auf der Terrasse brachte. »Was wünschst du dir?«, flüsterte ich und legte meinen Kopf auf meine Arme, nutzte diesen Moment von Zweisamkeit, um meine Neugierde zu befriedigen. Mokuba verstummte und damit verflog die Leichtigkeit von dem Augenblick zuvor. »Was meinst du?« Wäre er nicht ein kleiner Kaiba gewesen, hätte ich ihm vielleicht seine Ahnungslosigkeit abgenommen. »Die Sternschnuppe – was hätte sie dir –« »Ich glaube da nicht mehr dran«, unterbrach er mich trotzig und setzte sich auf, aber ich packte seinen Ärmel und sein Blick flog zu mir. »Sag es ihm einfach, Mokuba. Er will, dass du glücklich bist.« Mokuba stierte mich an. Sein Blick in meinem, als suchte er etwas in ihm. »Das ist nicht so einfach«, behauptete er dann. Und ich widersprach ihm nicht, denn wer wusste das besser, als ich? »Das hab ich nie gesagt«, gab ich zu und setzte mich selbst auf, so dass wir für einen Moment Seite an Seite zwischen Schlafsäcken und Isomatten saßen. »Warum sagst du es ihm nicht einfach?« In seinem Ton lag so etwas wie Herausforderung und als ich ihn fragend anschaute, sah ich es in seinen Augen, bevor er die nächsten Worte sagte. »Du magst meinen Bruder.« Es war keine Frage. Ich wartete darauf, dass mich der Blitz traf. »Wie sehr?« Das hingegen schon. Ich wartete darauf, dass mich der Orkan hinwegfegte. Aber stattdessen stierte mich Mokuba an und nichts schien mich von seinem Blick erlösen zu wollen. »Ich – ich. Quatsch«, entgegnete ich. Es gab wirklich plausible Gegenargumente. Leider fielen sie mir in diesem Moment nicht ein. Dann tröpfelten Begriffe wie Geldsack und Eisschrank und arroganter Schleimbeutel und halt einfach Kaiba durch meine Gedanken. Ich war verflucht. Dass mein Mund nie die Worte produzierte, die mein Hirn bildete. Ich erwiderte Mokubas Blick mit offenem Mund. »Du solltest es ihm einfach sagen«, meinte er und ich riss mich von seinen Augen los, die wie die seines Bruders waren – nur ohne diesen ganzen Groll. »Da gibt es nichts einfach zu sagen«, behauptete ich. »Es würde eh nichts. Er ist – er. Und ich«, hier atmete ich tief ein und versagte hoffnungslos bei dem Versuch meine Gedanken zu entwirren, »ich bin eben ich. Da gibt's nichts weiter.« Hatte ich gerade wirklich ein Gespräch über – über was eigentlich? Mokuba beobachtete mich, ich sah es aus den Augenwinkeln. »Ich glaub, du machst dir zu viel Stress. Er mag dich so, wie du bist.« Mein Kiefer fiel mir auf die Füße. »Das ist doch –« Ich wollte sagen, dass es darum gar nicht ging. Aber seine blauen Augen brachten mich zum Schweigen. »Joey, du bist total chaotisch und stur und manchmal verstehst du Sachen erst beim dritten Mal –« »Danke«, raunte ich beleidigt. Er grinste. »Aber eins bist du nicht«, sagte er und ich runzelte die Stirn. Er verdrehte die Augen. »Feige«, behauptete er und hob die Brauen. Dann stand er auf und ich ließ ihn. Mit einem Seufzen ließ ich mich zurück auf die Isomatte fallen und wünschte mir, es wäre nicht so kompliziert.   Vögel zwitscherten und in der Luft lag diese Mischung aus Kaffee und frischen Brötchen. Wir saßen auf der Terrasse um einen vollbepackten Tisch und das Gefühl von Sommerferien tänzelte zwischen uns. Mein Blick glitt über meine Freunde, meine Geschwister und ich wünschte mir, dass dieser Morgen stillstünde. Irgendwann zwischen meinem fünften Brötchen und zweiten Kaffee, trat Kaiba durch die Hintertür – und damit zerplatzte die Illusion. Wir verstummten. Und mein Herz stolperte. Wahrscheinlich war das ein Herzinfarkt. Wenigstens starb ich, während ich aß. Kaibas Anwesenheit unterbrach das Geklapper des Geschirrs und Tristans Versuch, einen Witz zu erzählen, dessen Pointe er ausnahmsweise nicht vermasselte. Herr Mutos Bemühung, Kaiba an den Frühstückstisch zu bugsieren, war natürlich so erfolgsversprechend, wie einen Veganer auf eine Tasse Milchkaffee mit Sahnekuchen einzuladen. Statt mit sarkastischen Bemerkungen und Spott um sich zu schmeißen, schwieg Kaiba, nachdem er Mokuba verkündet hatte, es wäre Zeit nach Hause zu gehen. Mein Blick blieb an ihm hängen, obwohl ich ihn ignorieren wollte. Das alles war einfach lächerlich. Und sicherlich gab es dafür sogar einen schlauen psychologischen Namen. Er sah irgendwie kränklich aus. Seine Haut fahl und unter seinen Augen hingen schwarze Ringe. Was ließ ihn nicht schlafen? Hatte er sich Sorgen um Mokuba gemacht? Mokubas Blick huschte von seinem Bruder zu mir und wieder zurück, dann seufzte er und zog sich seine Schuhe an, schob seine Unterlippe vor und murmelte etwas von »überhaupt noch meinen Namen weiß« und »kapieren gar nichts«. Kaibas Blick streifte mich und in meinem Kopf schrien Stimmen. Er strich seinen Pony zurück, stand da im Anzug, sein Hemd zerknittert, die Krawatte schief. In meinem Bauch brodelte Hitze. Dann wandte er sich um, während Mokuba sich von allen verabschiedete. In meiner Brust hämmerte es. Und ging. Er verschwand durch die Tür im Spielladen. Ich schnappte mir ein Brötchen, obwohl ich keines mehr essen wollte. Dann bemerkte ich Yugis Blick und Theas und Tristans und Serenitys und Jacobs, der verwirrt zwischen allen hin und her sah. »Ich glaube, ich muss – ich mein, ich will«, sagte ich gedehnt und starrte das Brötchen an, legte es auf meinen Teller und sprang von meinem Stuhl auf, ohne den Satz jemals zu beenden.   Kaiba stieg in die Limousine ein, als ich an die Tür stürzte und sie weiter aufriss. Ich straffte meine Schultern, hob mein Kinn und schaute ihm in die Augen. »Ich will – eine echte Chance. Nicht in der KC mein ich. Nicht – als Angestellter. Also auch, nicht, dass du mich rausschmeißt. Ich mein«, es war zum Verrücktwerden, dass mein Mund nicht die Worte produzierte, die sich in meinem Hirn bildeten. Seine Haut fahl und seine Augen gerötet, als hätte er tagelang in Bildschirme gestarrt. Mein Blick wanderte zu Mokuba, dessen Augen so groß und rund wie Untertassen wirkten. Es wäre zum Lachen gewesen, hätte ich nicht das Gefühl gehabt, jeden Moment in die Tiefe zu stürzen. »Ich will essen – also gehen. Mit dir. Kapiert?« Ich lehnte mich vor und war ihm so nah, dass ich sah, wie sich seine Pupillen weiteten. Und ich hielt den Atem an. Erstens. Ich war nicht einfach. Aber das hielt mich nicht davon ab. »Also. Was willst du, Kaiba?«, presste ich zwischen meinen Lippen hervor, während er mich einfach nur anschaute, als würde er sich erst jetzt klar darüber, dass ich gesprochen hatte. Also, dass ich gesprochen hatte. Zweitens. Ich war komplizierter. Aber manchmal, war es gar nicht schwer. Er zog seine Augenbrauen zusammen, erwiderte meinen Blick, suchte etwas und ich wusste nicht was oder ob er es fand, also schluckte ich. Der spannendste Augenblick im Spiel? Dann, wenn alles vom nächsten Zug abhing. Als stünde ich inmitten eines Orkans und wartete darauf, dass der Sturm losbrach. In meinem Bauch herrschte Stille. Als stünde ich an einem Ufer und sah von weitem die meterhohen Wellen und wartete darauf, dass sie einschlugen. In meiner Brust hauste eine Stille. Als hörte ich den Donnern in der Ferne, sähe die Blitze am Horizont. Ich balancierte auf den Dächern der KC und darauf wartete, dass der Blitz mich erschlug. Und er würde einschlagen. Aber in jedem Moment davor eben nicht und in diesem Augenblick war nichts kompliziert. Die Welt war so federleicht und ich flog über die Köpfe hinweg, den Blicken davon, tanzte über allen Erwartungen. »Freitag, 19 Uhr«, fuhr ich fort. »Mir ist egal, ob du eine blöde Firma zu leiten hast. Kapiert? Ich hol dich ab.« Damit warf ich die Autotür zu und drehte mich auf den Achsen um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)