Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 50: … bin oben angekommen --------------------------------- __________________________________________   Bei dir angekommen sein bedeutet nicht das Ende meiner Reise sondern den Beginn einer neuen. Zu zweit. © Sarah Razak  (*1975), Nachdenkerin   __________________________________________           Ich machte meine eigenen Regeln. Meine Strategie war eine Mischung aus Glück und großer Klappe mit einer Portion Vertrauen. Wenn ich etwas tat, dann nicht, um anderen zu gefallen, sondern weil ich es für richtig hielt. Ich stand damit nicht nur auf meiner eigenen Seite. Ich stand auf seiner – auch, wenn wir uns fetzten. Deswegen und wegen hundert anderer Gründe, hätte ich niemals nur ein Angestellter sein können.   Kaiba saß in seinem Büro. Anders als sonst in der KC gab es hier niemanden, der hinterm Rücken tuschelte. Es waren nur er und ich. Als ich eintrat, betrachtete er mich argwöhnisch. »Seit wann klopfst du?«, fragte er statt einer Begrüßung und der Moment war gebrochen. Ich zuckte nur die Achseln, schlenderte durch sein Büro, um mich vor ihn an den Schreibtisch zu lehnen. Stille. Sein Tippen auf dem PC. Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Stille. »Komm schon. Beweg deinen Arsch«, durchbrach ich sie mit einem Grinsen, »wir erobern die Stadt!« Er zog die Augenbrauen hoch, betrachtete meine Faust, die ich in die Luft streckte, lehnte sich zurück, als ob er abwöge, mich sofort oder erst später einweisen zu lassen. »Wheeler, dafür müsste ich nicht einmal diesen Raum verlassen«, entgegnete er trocken und tippte weiter auf seinem Laptop. Ich schnappte mir einen Kugelschreiber, weiß mit blauem KC-Logo, und spielte damit zwischen meinen Fingern. Sein Blick zuckte zu ihnen. »Genau das ist dein Problem«, murrte ich und verdrehte die Augen. Nicht, dass es sein einziges Problem gewesen wäre. Stille. Mir fiel der Kugelschreiber aus den Händen. Er schnaubte, aber tippte weiter. »Ich hab Hunger«, maulte ich nach einigen Augenblicken, in denen nur das Klicken der Tastatur den Raum erfüllte – und seine Gegenwart. Wenn Kaiba irgendwo war, dann füllte sich der Raum. Er musste nicht einmal etwas dafür tun. Ihn würde niemand übersehen oder beiseiteschieben. »Und das ist dein Problem«, erwiderte er ohne ein Zögern. »Und leg den Stift zurück.« Ich spielte natürlich weiter mit dem Kugelschreiber. »Du hast doch eh deine Termine abgesagt«, bemerkte ich, seinen letzten Kommentar ignorierend und sah auf und sah wie er erstarrte. »Woher –« Ich legte den Stift zurück auf den Schreibtisch. Das Klacken ließ seine Augen von mir zum Stift springen. Dann packte ich seinen Ärmel und sein Blick durchbohrte mich. »Los jetzt oder wovor hast du Angst?« Seine Augen funkelten, in seinem Mundwinkel zuckte eine höhnische Bemerkung, aber er schwieg und noch bevor er sich erhob, wusste ich, ich hatte gewonnen. Ich wusste nur nicht, wie hoch der Preis war.   Als wir gemeinsam das Gebäude verließen, beobachtete uns der Wachmann mit Argwohn. So als wüsste er nicht, ob ich gerade Seto Kaiba entführte. Wahrscheinlich fiel ihm sonst keine Erklärung ein, warum jemand wie Kaiba jemanden wie mich begleiten sollte. Kaiba ignorierte den Mann. Stattdessen tastete sein Blick mein Profil ab. Ich spürte ihn fast körperlich – wie wenn man barfuß über Kieselsteine tapste. »Wir laufen«, sagte ich nur. »Ist nicht weit.« Eine warme Brise strich um meine nackten Beine und die Arme. Menschen mit Eistüten und Sonnenbrillen schlenderten an uns vorbei. Mein Kopf steckte irgendwo in den Wolken, während Kaiba neben mir her schritt. Die Sonne strahlte, das Licht verfing sich in seinem Haar, leuchtete auf seinen Wangen, dem Hals. Er hatte so einen hellen Teint – bestimmt bekam er sofort Sonnenbrand. Bei dem Gedanken, wie er mit roten Wangen und Nase in einer Konferenz saß und die Bürotypen anfunkelte, musste ich grinsen. »Wheeler, wohin –« Er stockte und ich sah auf, meine Arme hinterm Kopf verschränkt, dann bog ich in den Supermarkt. Kaiba betrachtete mich, als hätte ich ihm erzählt, wir würden Hundefutter einkaufen gehen. »Guck nicht so«, meinte ich nur und zog ihn in den kleinen Laden.   Die Tüten voller Baguette, Käse, Trauben, Säfte, Aufstrich, Wurst, Bananen, Erdbeeren und Schokolade trottete Kaiba hinter mir her. »Ich verstehe immer noch nicht, was –« »Bitte sag das nochmal«, unterbrach ich ihn mit einem breiten Grinsen und tänzelte vor ihm her, lief rückwärts, um ihm direkt ins Gesicht schauen zu können, eine Einkaufstüte in der Hand. Er verzog keine Miene. »Was hast du vor, Wheeler?«, fragte er. Natürlich wollte ich ihm nicht sagen, dass mein Plan nur bis hierher ausgereift gewesen war. Ein Picknick. Dafür brauchte man etwas zum Essen, etwas zum Trinken. Fertig. In meinen Gedanken hatten wir uns auf eine Decke gesetzt und unter Bäumen im Schatten auf einer Wiese gelegen. Jetzt standen wir an der Straßenecke, hupende Autos im Stadtverkehr, verschwitzte Menschen auf den Gehwegen. Keine Wiese, keine Bäume, kein Schatten. Nur Hochhäuser, Asphalt und Lärm. »Keine Ahnung. Ich bin nicht so der, der plant«, behauptete ich und blies mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich bekam langsam Kopfschmerzen. Nicht einmal eine Decke hatte ich dabei. Mein Kopfkino platzte. »Chaotisch, unorganisiert und unzuverlässig trifft es besser«, meinte Kaiba mit einem Schnauben und schritt an mir vorbei. Als hätte er einen Plan. »Offen und spontan«, hielt ich dagegen und schloss zu ihm auf. »Das eine schließt das andere nicht aus.« Es klang, als rückte er keinen Zentimeter von seinem Standpunkt, aber für Kaiba war ein Kompromiss so etwas wie ein Friedensangebot. Und ich war mir sicher, dass ich einen Sonnenstich hatte. Ein Kaiba ging keine Kompromisse ein. Kaiba verlangte niemals weniger als das Beste, forderte Perfektion, jagte Zielen nach, die für andere unerreichbar waren. Kompromisse waren ein Eingeständnis von Schwäche. Inakzeptabel. Die Straße breitete sich vor uns aus und einige Leute warfen uns Blicke zu. Sicherlich, weil sie Seto Kaiba – den Seto Kaiba – erkannten. Wie er so neben mir herging, konnte ich nicht anders, als denken, dass die Menschen Recht hatten. Er war etwas Besonderes. Aber nicht wegen seines Geldes oder wegen seines Einflusses oder wegen seines Ruhmes. Von hier stob die Zentrale der KC wie ein warnender Zeigefinger in den Himmel. Sein Name überragte die Stadt, während er neben mir zwei Einkaufstüten aus Plastik trug – wie ein ganz normaler Teenager. »Wann warst du das letzte Mal auf dem Dach?«, fragte ich. Er sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. »Ich meine auf dem der KC? Wusstest du, dass Mokuba öfters dort ist?« Kaiba betrachtete mich, als hätte ich ihm erklärt, dass ich ab und zu mit Mokuba nackt auf den Tischen im Konferenzsaal tanzte. »Was sollte er auf dem Dach der KC machen? Dort ist nichts als der Hubschrauberlandeplatz.« »Du hast echt keine Ahnung, oder?«, erwiderte ich und obwohl ich ihm schon immer so etwas an den Kopf werfen wollte, konnte ich es nicht genießen. Mokuba und Kaiba standen sich so nahe, dass ich gerne glauben wollte, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten. Aber dieser Wunsch versank nach und nach, als Kaiba weiter schwieg. Er sah an mir vorbei, als überlegte er, wie hämisch eine Antwort sein müsste, um mein Genick zu brechen. Aber als er trotzdem nichts sagte, wusste ich, wohin wir mussten.   Der Wachmann schaute uns an, als versuchte ich einzubrechen – während Seto Kaiba dabei zusah. Sein Blick blieb an mir hängen und den Plastiktüten in unseren Händen. Ich grinste den Mann an und er ignorierte mich plötzlich, als hätte er seine Augen an mir verbrannt. Als Kaiba und ich im Außenlift standen, betrachtete ich die Stadt durch das Glas, während ich immer höher stieg. Wie ein Traum, in dem man wusste, dass man träumte und trotzdem nicht aufwachte. Wusste, dass die Zeit begrenzt war und mit dem Morgengrauen, diese Welt zerplatzte. Aber jetzt in diesem Moment war es Wirklichkeit. Kein Spiel, keine Lüge, keine Sorgen. »Das ist lächerlich«, murmelte Kaiba, während er den Code eingab. »Vielleicht. Aber das macht es nicht weniger richtig.« Kaiba verdrehte die Augen, aber drückte die Tür auf und wir schwebten über der Stadt. In meinen Ohren rauschte der Wind, zerzauste mein Haar und ließ seines tanzen. Wir standen da – Schulter an Schulter. Ich ließ die Tüte zu Boden gleiten und breitete die Arme aus, als wollte ich im nächsten Moment losfliegen, berührte ihn wie nebenbei. »Guck mal! Man sieht die ganze Stadt! Das ist so krass!« »Das ist nicht die ganze Stadt«, wandte er ein und ich stieß ihn mit meiner Schulter an. Ich sah, wie sein Mundwinkel zuckte, während der blaue Himmel in seinen blauen Augen reflektierte, über die Häuser tastete, als suchte er etwas. Ich wollte ihn fragen, was – aber vielleicht fürchtete ich mich vor der Antwort und ließ es bleiben, ließ ich mich auf dem Boden nieder, packte Baguette aus, das Obst, den Käse, die Wurst, und breitete es vor mir aus. Da war keine Decke, keine Wiese, nur der Schatten vom Durchgang zur Treppe. Und Kaiba. »Filschtauwasch?« Er riss sich von dem Ausblick los, um auf mich mit hochgezogener Braue herabzusehen. Im wahrsten Sinne. Ich schluckte das Brot und den Käse hinunter. »Ob du auch was willst.« Aber ich wartete nicht auf seine Ablehnung, sondern zog an seinem Ärmel, bis er sich endlich hinsetzte – natürlich nicht ohne einen Kommentar über mangelnde Tischmanieren und meine Erwiderung, es gäbe hier keinen Tisch, worauf er behauptete, das hieße nicht, man müsste auch die Manieren vergessen – und drückte ihm unsere Mitbringsel in die Finger. Ich wollte jetzt nicht daran denken, dass das Geld mir durch die Hände rann und dieses Essen vor uns in Anbetracht dessen wie Luxus wirkte. Ich würde nicht verhungern, aber Armut hier begann doch schon bei der Frage, ob man sich den Käse wirklich gönnen sollte – oder die Kinderschokolade. »Warum hast du mich nicht bezahlen lassen?« Ich zuckte mit den Achseln. »Wollte dich halt einladen.« »Wir sitzen auf dem Dach meiner Firma.« »Dachte, das wäre cool – mit dem Ausblick und so. Wenn’s dich stört, warum hast du nichts gesagt?« Er sah mich an, als wäre ich ein kleines Äffchen, das nicht begriff, was er sagte. »Ich habe es nicht nötig, eingeladen zu werden, Wheeler.« Er aß trotzdem von dem Baguette, dem Käse, den Trauben und natürlich der Schokolade. Auch wenn er letzteres abgestritten hätte. »Darum geht’s ja auch nicht.« »Seit wann?«, spöttelte er, als ginge es immer nur darum. »Um was geht es dann?« Ich machte meine eigenen Regeln. Wenn ich etwas tat, dann nicht, um anderen zu gefallen, sondern weil ich es für richtig hielt. »Keine Ahnung«, erwiderte ich ärgerlich. Warum musste ich alles erklären? Warum ich wissen, was hier ablief? Es war einfach richtig so. »Aber ich sitze nicht hier wegen deinem blöden Geld, Geldsack. Wenn du jemanden brauchst, um vor dem seiner Nase mit deinen Scheinen herum zu wedeln, dann such dir jemand anderen.« Es war seltsam. Ich hätte schwören können, dass Kaiba zum ersten Mal an diesem Abend so etwas wie zufrieden wirkte. Zumindest schob er sich einen Riegel Schokolade in den Mund und schwieg.   Wir aßen und lagen da und starrten in den Himmel oder den Horizont entlang, der von hier so weit entfernt wirkte. Mit ein bisschen Phantasie klang das Rauschen des Windes und der Autos unten wie das Meer. »Es ist hier so – mh – so wie mitten im Sturm, wo es windstill ist. Man sieht alles, aber man ist trotzdem sicher – für eine bestimmte Zeit zumindest«, sagte ich in den Himmel und hatte das Gefühl, ich hätte nur meinen Arm auszustrecken brauchen, um mit meiner Fingerspitze die Schäfchenwolken zu berühren. »Nichts weiter als eine Illusion«, erwiderte er nüchtern. »Die Welt gönnt niemandem eine Pause. Das ist kein Spiel, wo man eben mal unterbrechen kann.« Natürlich war Kaiba der Arsch, der meine Träumerei zerschlug – mit jedem Wort, bekam sie Risse. Seine Nähe war wie die Flamme einer Kerze. Verführerisch, zu berühren, das wilde Flackern zu bändigen. Aber man verbrannte sich, wenn man den Finger zu lange hineinhielt. Ich fragte mich, wann ich die Grenze überschritt und alles zusammenbrach. Und trotzdem drehte ich mein Gesicht zu ihm um, betrachtete sein Profil. Er hatte seinen Nacken auf die Arme gebettet, starrte zum Horizont. Die Krawatte gelockert, die Hemdärmel hochgekrempelt und das Jackett lag auf dem Boden neben seinen Beinen. Die Abendsonne besprühte die Dächer mit Rotorange und Kaibas Gesichtszüge mit einem warmen Licht, das der Distanz in seinem Blick entgegenstand. »Wer ist schon die Welt?«, sagte ich leichthin. Mussten wir die Dinge so sehen, wie wir sie kannten? Müsste er für immer dieses unerreichbare Genie, dieser arrogante Arsch bleiben? Und ich der Versager? Ich war zu alt dafür, um ihm zu widersprechen. Denn es stimmte. Aber ich würde für immer zu jung sein, um meine Hoffnungen aufzugeben. »Manchmal reichen schon ein paar Leute, die viel wichtiger sind als die Welt.« Ich würde niemals aufhören, davon zu träumen, was sein könnte. Wer wusste schon, wie viel Zeit wir hatten? Aber jetzt waren wir hier. In diesem Moment war die Welt ganz weit weg, doch Kaiba ganz nah. Ich spürte seinen Arm neben meinem, hörte seine Atemzüge und hätte ihn berühren können mit nur einer kleinen Bewegung. Mein Herz trommelte in meiner Brust bei dem Gedanken. Das war das Lied meines Sommers – jeder Herzschlag brummte seinen verdammten Namen, während ich versuchte es zu ignorieren. Wir umkreisten uns wie Satelliten, kamen uns nie zu nahe, aber loslassen konnte ich nicht. Ein Wheeler gab nicht nach. »Warum bist du hier?« Seine Frage jagte eine Gänsehaut meine Arme entlang. »Keine Ahnung.« Kaibas Blick erdolchte mich. »Du bist ein erbärmlicher Lügner, Wheeler«, spöttelte er. »Warum bist du hier?«, erwiderte ich und ballte meine Fäuste. Vielleicht hatten wir uns verrannt. Vielleicht hatte nur keiner von uns gewusst, wo er abbiegen sollte, wann er mit seinem Zug am Ende angekommen war, wo es aufhörte. Vielleicht hatten wir uns verirrt und jetzt wussten wir nicht mehr, wo wir eigentlich hingewollt hatten. »Willst du deiner Mutter beweisen, dass du es bis ganz nach oben schaffst? Bist du deswegen hier?« Kaibas Ton durchdrang eine Härte, die keine Ausflüchte duldete. »Keine Panikattacke, keine Familienscheiße, das hat nichts damit zu tun«, schnappte ich. »Und das weißt du.« Nur Seto Kaiba konnte mich mit nur einem Blick berühren und meine Welt auf ihn verengen. Worauf warteten wir? Warteten wir auf den richtigen Zeitpunkt? Denn der würde nie kommen. Wir saßen hier, das Baguette war leer, die Trauben gegessen, der Käse lag unbeachtet irgendwo zwischen uns. Über uns der Abendhimmel, lila Wolken auf Weinrot. Kaibas Atem und seine Körperwärme, die ich neben mir spürte, seine Gegenwart, die auf meiner Haut tanzte wie Elektrizität. Jeder Blick ein Stromstoß. Ein leichter Schmerz und doch bekam ich nicht genug. Seine Präsenz bezeugte meine Unzulänglichkeiten, meine Stärke, meine Hoffnungen, meine zerplatzten Träume. »Hast du Angst, Wheeler?« Es war wie ein Déjà-Vu. Ich schmeckte seine Nähe. »Hast du?« Wenn ich wüsste, was er dachte, was er sich wünschte, wovor er sich fürchtete. »Wovor sollte ich Angst haben?« Am liebsten hätte ich gelacht, aber es blieb mir im Magen stecken, wo es flatterte. »Dass das hier nicht nur ein Spiel ist?« »Mach dich nicht lächerlich«, erwiderte er. »Ich fürchte mich weder vor dem einen, noch vor dem anderen.« »Beweis es«, forderte ich ihn heraus. Kaiba würde nie zurückstecken, seine Worte zurücknehmen oder zugeben, dass er falsch lag. Und ich wusste, dass wir dieses Spiel schon lange spielten, aber die Regeln verschwammen und das Ziel verrutschte. Seine Finger lagen plötzlich auf meinem Arm. Von dort aus breitete sich die Hitze aus wie eine Welle, die mich mitriss, als ich seinen Atem auf meinen Wangen spürte. Seine Körperwärme verbrannte mich und alles um uns herum verfiel zu Asche. Nur wir erhoben uns. Blitze zwischen meinen Schenkeln. Seine Lippen wanderten über meine. Statt zu versinken, wuchs ich über uns hinaus. Da war keine Furcht, keine Fehler, keine Schwäche. Kein Gedanke an Verlust oder Panik. Kein Bedürfnis nach einer Stütze oder der Antwort auf Fragen. Manchmal musste man sich im Leben fallen lassen, ohne zu sehen, wo der Grund lag. Meine Finger wanderten über sein Hemd, unter sein Hemd, über seine Haut. Sein Atem ging schnell, stoßweise und ich keuchte. Es war unbequem, der Boden viel zu hart, aber es störte mich nicht. »Warum –«, ein Atemstoß, »bist«, ein unverständliches Flüstern, »du«, ein scharfes Lufteinziehen, »hier?« »Weißt«, ein scharfes Lufteinziehen, »du«, ein unverständliches Flüstern, »genau«, ein Atemstoß. Und das Gefühl, die Welt unter uns könnte untergehen – ohne uns. Denn ich war ganz oben angekommen.   Wir starrten in den Himmel, wo neben dem letzten Abendlicht der Mond stand. Ab und zu strich mein Finger über sein Handgelenk, wie zufällig, wie nebenbei. Nur, um mich zu versichern, dass er wirklich dort lag. Keine Illusion. Hier auf dem Dach der KC. Und in dem Moment musste ich an Mokubas Geständnis denken. Wenn alles zu schnell und laut oder zu langsam und ruhig wurde. Ich konnte dieses Gefühl so gut nachspüren. Wenn man glaubte, die Welt verschwor sich gegen einen, wenn Menschen, die einem viel bedeuteten, unerreichbar schienen. Hier oben war die Welt winzig und Probleme plötzlich klein. »Verstehst du es jetzt?«, flüsterte ich. »Warum Mokuba hierherkommt, mein ich.« Es war so naheliegend. »Ich hoffe gerade wirklich, dass mein Bruder nicht wegen ähnlicher Tätigkeiten hierherkommt.« Ich verdrehte die Augen. Dass Mokuba kein kleines Kind mehr war und früher oder später mehr als nur herumknutschen würde, schluckte ich für den Moment herunter. »Ich meine –« »Ich weiß. Und nein«, presste Kaiba zwischen seinen Lippen hervor, als bereite es ihm körperliche Schmerzen, das zuzugeben, »ich verstehe es nicht.« Seine Antwort ließ meinen Blick zu ihm schnellen. »Hä?«, machte ich, meine Augenbrauen zuckten nach oben, meine Stirn gerunzelt. »Echt jetzt?« »Welchen großartigen Geistesblitz durfte dein Hundehirn denn erleben?«, fragte er und der Hohn zerrte an meiner Selbstkontrolle. Ich schnaubte, hielt mich aber zurück, ihn anzukeifen. Nicht jetzt, nicht während meine Finger über seine strichen. Die Menschen hatten Recht. Er war besonders – und oft war er besonders arschig. Er manipulierte, spielte Menschen aus und wusste, wo er sie traf, so dass es wehtat. Bei ihm spürte ich diesen Schmerz, der mir alle meine Unzulänglichkeiten bewusstmachte. Während ich neben ihm lag, Domino unter uns, konnte ich fühlen, wie weit voraus er mir war. Wie viel mehr er an Einfluss hatte, Macht, Geld, die Bewunderung der Menschen. Warum ich Angestellter und er Vorstandsvorsitzender war. Angestellte führten aus, taten, wie ihnen gesagt. Aber ich sah auch all meine Stärken und wie weit ich gekommen war. Und wie wenig Angestellter ich hier war. Ich stand schon lange nicht mehr dort unten. »Mokuba hat es mir gesagt.« Und ich wusste, wie ich Kaibas Augen öffnete. Umso näher ich ihm war, umso mehr lebte ich, während ich jeden Moment damit rechnete in den Abgrund zu stürzen. »Warum sollte er das tun?«, fragte er und sein Tonfall war eine einzige Drohung, eine Mahnung, zu überlegen, was ich behauptete. Es hatte mich noch nie davon abgehalten, die Dinge beim Namen zu nennen. Deswegen und wegen hundert anderer Gründe, hätte ich niemals nur ein Angestellter sein können. »Anscheinend warst du nicht da.« »Ich bin immer für Mokuba da«, erwiderte er, zuckte vor meiner Berührung zurück und er brauchte nicht zu brüllen, um seine Worte diese Note zu verleihen. Er stieß mich allein mit seinem Tonfall weg. »Kaiba, du hast auf mich runtergesehen, mich dumm angemacht mit irgendwelchen scheiß Hundekommentaren, aber eins hast du noch nie gemacht«, entgegnete ich und hielt seinem Blick stand, der mich durchbohrte, wie Nadelspitzen, »mich angelogen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)