Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 51: ... bin trotzdem da -------------------------------   __________________________________________   Zu fragen bin ich da, nicht zu antworten!   Henrik Ibsen  (1828 - 1906), norwegischer Dramatiker   __________________________________________         Ich lag mit vielen meiner Meinungen falsch. Ich erwartete zu wenig von mir und meistens auch von meinen Mitmenschen. Aber wenn ich eine Ansicht vertrat, dann zog ich die Konsequenzen mit durch. Ich beugte mich nicht der Mehrheit, wenn ich anders dachte und zog mich nicht zurück, wenn ich glaubte, kämpfen zu müssen. Ich gab nicht auf, nur weil mich Hindernisse zurückwarfen. Und vor allem strebte ich danach, nichts zu bereuen.   Er erhob sich, strich sein Hemd glatt, funkelte mich an mit seinem eiskalten Blick, öffnete den Mund, als wollte er mich verbal zerstören, aber dann klappte sein Unterkiefer einfach zu. Er fuhr herum, um mich hier so stehen zu lassen. »Seit wann haust du einfach ab?« Eigentlich könnten wir jetzt dort liegen, wie unter dem Apfelbaum, die Blätter zählen, das Gras an den Beinen spüren. »Ich habe keine Zeit für deine infantilen Anfälle.« »Infantile –« »Das bedeutet –« »Ich weiß, was es bedeutet«, geiferte ich und sprang auf. Zumindest hatte ich eine ungefähre Ahnung. Was ich aber ganz genau wusste war, dass er Müll laberte. Und dass es mich trotzdem traf. Und ich es niemals zugeben würde. Meine Finger geballt und die Wut im Bauch, die meine Gedanken vernebelte, stand ich ihm gegenüber und verfluchte jeden Zentimeter, den er mich überragte. Eigentlich könnten wir jetzt dort sitzen, Eis essen, in den Himmel starren. »Ich weiß nicht, was das hier ist«, begann er und es hörte sich an, als biss er seine Zähne aufeinander, um mich nicht anzuschreien. Sein Haar zerwühlt, das Hemd zerknittert, seine Krawatte lag irgendwo auf dem Boden. »Und ich weiß nicht, was du fürn Problem hast«, knurrte ich. Es hätte die beste Zeit meines Lebens sein sollen. Sommerferien, kurz vor dem Abschluss eines Riesenprojekts, auf dem Dach der KC mit Seto Kaiba. Aber ich hatte das Gefühl, dabei zuzusehen, wie alles den Bach runterging. Mit einem Pochen in meinem Kopf, als drückte jemand meine Schläfen zusammen, um meinen Schädel zu zerquetschen. Eigentlich könnten wir jetzt einander Dinge ins Ohr flüstern, die wir morgen wahrscheinlich abstreiten würden, die Haut des anderen spüren, seine Wärme. »Was hat Mokuba zu dir gesagt?«, fragte er mit einer Härte in der Stimme, die jedes Gefühl von Nähe auslöschte. »Warum fragst du ihn das nicht selbst?« Eigentlich könnten wir jetzt dort stehen, Hand in Hand und die Welt vergessen. Seine Augen wechselten von der Farbe des Himmels zu Eis. »Du bekommst dein Gehalt diese Woche«, informierte er mich und er hätte mir auch einfach gleiche eine reinschlagen können. Ich starrte ihn an, wie er mir gegenübertrat, als stünde sein Haar nicht meinetwegen so ab, als hätte er nicht so schwer geatmet, während meine Finger unter sein Hemd wanderten. »Ist das dein Ernst? Glaubst du, damit ist alles gelöst?«, zischte ich. »Ein Teil deiner Probleme wahrscheinlich.« »Vergiss es«, schnaubte ich. »Ich schaff das auch ohne dein Geld.« »Das hat sich vor ein paar Tagen noch anders angehört. « »Lenk nicht ab!« »Danach kann endlich jeder von uns wieder wie gehabt seinen Weg gehen.« »Es geht grade um –« »Worum, Wheeler?« »Du kapierst's einfach nicht! Ich will nicht dein Geld! Ich brauch den bekackten Ruhm nicht! Ich will nur –« »Was, Köter? Was war das hier? Da war nur ab und zu die Sehnsucht. Das Gefühl von Nähe, um sich dann doch zu verpassen. Manchmal das Gefühl von Endlosigkeit, bevor wir wieder in die Enge der Realität prallten. Ich wäre in diesem Moment explodiert – hätte mich nicht der Schmerz umgriffen, der mich davon abhielt, auseinanderzufallen. Ein Schmerz, der mir wie Nägel in die Seiten stachen und trotzdem so vage war, dass ich nicht wusste, woher er kam. »Du hast mal zu mir gesagt«, flüsterte ich, »ich hätt‘ Angst davor, nicht anzukommen. Ich glaub‘ du hast Angst davor, schon längst angekommen zu sein, Alter. Du weißt nicht, wohin, wenn nicht höher, schneller, besser. Wenn du dich nicht beweisen kannst. Du kannst das Leben nicht genießen, so wie es ist. Mal stehen zu bleiben und dich umzusehen, was du hast. Nicht immer nur das, was du nicht hast. Und jetzt bist du hier und hast keinen Plan, wie‘s weitergehen soll.« »Woher willst du wissen, was –« »Weil es mir so geht, Geldsack! Aber ich habe keinen Bock mehr darauf wegzurennen, zu hoffen, dass es irgendwann irgendwie besser wird. Ich scheiße drauf. Ich will –« »Oh, bitte. Erspar mir dein –« Ich wollte nicht, dass er ging. Und ich würde ihn nicht gehen lassen. Nicht jetzt. Ich griff nach seinem Ärmel. »Erspar du mir dein – Scheiße«, rief ich und ließ ihn los, als hätte ich mich verbrannt, fuhr herum und griff mir ins Haar, meinen Rücken ihm zugewandt. Mein Blick schweifte über die Silhouette Dominos, die Abendsonne, das Licht, das Rot und Lila an die Bäuche der Wolken malte. Kaiba hinter mir, nur wenige Schritte und so viel mehr entfernt. Da war sie wieder – diese Distanz, die man nicht in Meter messen konnte. »Wenn du das alles hier nicht willst«, brachte ich über meine Lippen und verstummte dann, starrte in den Himmel und fragte mich, ob ich das hier wollte. Woran misst man Glück? Am Einfluss? Vermögen? An den Chancen, die man im Leben bekommen hat? An der Anzahl der Freunde? An der Tiefe der Verbundenheit? »Warum bist du dann hergekommen?« Oder am Gefühl der Unendlichkeit? Wann war es so etwas Dummes wie Zuneigung? Und wann nur die Sehnsucht danach? Als er nichts antwortete, drehte ich mich zu ihm um. Ich glaubte schon, er wäre einfach verschwunden, hätte mich meinen Fragen überlassen ohne eine einzige Antwort. Wenn Kaiba da war, verlor ich mich in seiner Wärme, die nicht einmal die Kühle in seinem Blick erkalten konnte. Aber wenn ich allein war, war ich einfach nur verloren. »Ich weiß es nicht.« Ich wusste, was ich fühlen müsste, sollte, würde. Aber ich fühlte es nicht. Als würde ich mir von außen zusehen. Als versuchte mein Hirn eine Nachricht zu übermitteln, aber bei mir kam nur fehlgeschlagen an. Alles war so falsch, obwohl wir das Richtige taten. Oder? Ich atmete tief durch, begann die Verpackungen zusammen zu räumen – ohne ihn anzusehen. Es würde hier aufhören. All diese Gedanken und Hoffnungen, die ich vor niemandem zugab, manchmal nicht einmal vor mir selbst. Ich würde mich verabschieden und zu Yugi gehen und ich würde mich meiner Zukunft stellen. Ohne Kaiba. Ich würde das alles durchziehen. Alles in dieses Projekt der KC stecken, einfach, weil ein Joey Wheeler nicht aufgab. Normalerweise. Aber das hier würde jetzt enden. Die Kommentare und die Zankereien und dieses ungesunde Dings. Eine Hand lag auf meiner Schulter und ich schreckte zusammen und fuhr herum und sah in diese blauen Augen. »Aber ich bin hier.« Ich blinzelte und bildete mir dieses ungesagte »Bei dir« ein. Seine Worte sickerten in mein Bewusstsein, wo sie langsam Bedeutung annahmen. Seine Finger strichen über meinen Arm – wie nebenbei – und die Kälte, die sich vorhin noch in seinen Augen festgekrallt hatte, verflog. Stattdessen überwog eine Sanftheit, die er mit Sicherheit verleugnet hätte. Die Frage »Warum?« lag auf meiner Zunge, aber ich schluckte sie herunter. »Idiot«, flüsterte ich und hätte mich an ihn gelehnt – wäre er nicht er und ich nicht ich gewesen.   »Erzähl!«, forderte Tris wie ein quengelndes Kind und zeigte mit seiner Gabel auf mich. Ich verdrehte die Augen. »Gibt nicht viel zu erzählen«, entgegnete ich mit vollem Mund, schlurfte meine Nudeln weiter. »Kaibas Butler hat dich um zwei Uhr nachts nach Hause gefahren – mit Kaiba. Ihr wart verdammte sieben Stunden zusammen und du behauptest, es gäbe nichts zu erzählen?« »Nicht viel«, wiederholte ich mit einem Schulterzucken, warf aber Yugi einen finsteren Blick zu. Woher sollte Tristan sonst davon wissen? Yugi rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Lass ihn«, sagte Thea und ich nickte heftig, »ein Gentleman genießt und schweigt.« Mein Nicken erlahmte, als Tris mir ein anzügliches Grinsen über den Tisch zuwarf und ich ihm die Zunge herausstreckte. Jetzt verdrehte Thea ihre Augen. Yugi hatte sich erbarmt und für uns alle Nudelsuppe gemacht. Mehr wollte an diesem heißen Tag eh nicht hinunter. Also saßen wir im Garten hinter dem Spielladen und ich schlurfte meine Nudeln, während Tristan versuchte etwas aus mir herauszubekommen. Yugi errötete bei manchen Fragen und ich hätte zu gern in seinen Kopf gesehen, als ich gegen zwei Uhr nachts mit Kaibas Limousine vorfuhr. Im Badspiegel hatte mein Haar noch chaotischer gewirkt als sonst, meine Wangen noch immer gerötet und meine Augen gefunkelt. Yugi hatte nichts gesagt, nur leise gesummt und gelächelt. »Habt ihr euch –« Ich hörte nur noch mit einem Ohr zu und zuckte regelmäßig mit einer Schulter. »Seid ihr zusammen?« Ich sah langsam auf, blickte in die Runde und dann in den Himmel. »Null Ahnung«, murmelte ich. Kaibas Worte flogen durch meine Gedanken und ich grinste schief.   Wochenenden gingen viel zu schnell vorüber. Normalerweise waren Freitage okay, Samstage zu kurz und statt Sonntag war es plötzlich Montag. Dieses Wochenende war es umgekehrt. Der Freitag war verwirrend und trotzdem flogen Bienen von innen gegen meinen Magen, wenn ich daran dachte. Der Samstag dehnte sich unter Tristans Fragen und der Sonntag war viel zu lang. Kaiba meldete sich nicht. Natürlich hatte ich auch nicht erwartet, dass er es täte oder darauf gewartet. Ich käme nie auf die Idee, alle halbe Stunde auf mein Handy zu schauen, um zu checken, ob es etwas Neues gab – oder irgendein verdammtes Zeichen, dass nicht alles nur ein virtuelles Spiel war, mit dem jemand richtig Scheiße gedreht hatte. Ich war ja keine Jungfrau in Nöten. Ich wartete nicht. Vor allem nicht auf Kaiba.   Am Montag klebten alle Blicke an mir, in dem Moment, in dem ich die Animation Studios betrat. Oder bildete ich mir das nur ein? Stand auf meiner Stirn: hat mit eurem Boss rumgemacht? Maya begrüßte mich mit einem Grinsen und einer wilden Umarmung. »Der Boss wird ausrasten!«, flüsterte sie in mein Ohr und mein Herz hämmerte. Durch meinen Kopf schossen Gedanken, die ich nicht fassen konnte. Kaiba? Ausrasten? Wieso? »Ich mein natürlich im positiven Sinne. Wir haben es fast geschafft!«, rief sie und zog mich zu unseren Plätzen. Natürlich. Das Projekt. Ich plumpste auf meinen Stuhl wie ein nasser Sack. »Die Werbevideos sind fast fertig, die Plakate gehen in den Druck und du hast es geschafft, Joey! Deine Zeichnungen waren der Ursprung von all dem. Überall sind sozusagen deine Finger im Spiel. Ich mein, deine Zeichnungen würde ich aus hunderten, ach was, aus tausenden wiedererkennen! Das ist eine riesige Sache! Du wirst schon sehen! Das wird der Knaller! Du wirst bestimmt total berühmt!« Sie hörte gar nicht mehr auf, kibbelte mit ihrem Schreibtischstuhl, als müsste sie ihre Energie loswerden. Das Gefühl blieb, ich stünde mitten auf einer Bühne, Scheinwerfer auf mich gerichtet und alle Blicke, die mich durchdrangen. Viel zu viele blaue Augen. »Joey, alles klar?« Maya sah mich an, plötzlich ganz still und ihr Blick wanderte über mein Gesicht, als suchte sie etwas. Ich zuckte die Achseln, fuhr mir über meinen Hinterkopf. »Jopp. Ich bin nur’n bisschen nervös.« Mayas Blick wurde ganz sanft. Sie stieß mich mit der Schulter von der Seite an und lächelte. »Mach dir keine Sorgen! Seto Kaiba persönlich steht hinter dir!« Manche Bilder würde ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen. Am liebsten hätte ich meine Stirn gegen die nächste Wand geschlagen.   Am Nachmittag rief Mailo zu uns rüber, ich sollte mich oben melden, Kaibas Büro. Ich schlenderte durch die Gänge, Mitarbeiter begrüßten mich und ich erwiderte, dann stand ich vor der dieser Tür und hielt inne, trat von einem Fuß auf den anderen. Es war nur Kaiba. Nur der Geldsack, nur dieser arrogante Arsch. Es hatte sich nichts geändert. Sarah tauchte hinter mir auf, zog die Augenbrauen hoch, als sie mich bemerkte »Ich muss nur –« »Schon in Ordnung, Joey«, sagte sie, klopfte und schob sich mit einem Lächeln an mir vorbei ins Büro. Es war nur Kaiba, Mann! Genau. Kaiba. Wie immer. Nur Kaiba. Ich atmete tief ein und wischte meine Hände an meinen Hosen ab. Schwitzten die immer so? Dann trat ich mit gerecktem Kinn ein.   Kaiba saß hinter dem Schreibtisch, vor der Kulisse der Stadt. Er tippte und sah nicht einmal auf. Sein Haar nicht zerwühlt, das Hemd nicht zerknittert, seine Krawatte straff gebunden. Es hatte sich nichts geändert. Dann schaute er auf und blaue Augen, die mich fixierten. Ein Blick, der über mein Gesicht wanderte. Wie eine Berührung. Er war mir so nah. Ich hätte um den Schreibtisch herumgehen können, um seine Haut auf meiner zu spüren. Eiskalte Wellen spülten durch meinen Bauch. Aber ich blieb hier stehen wie angewurzelt, weil er so weit weg war. Hier könnte ich ihn nie erreichen. »Herr, Wheeler.« Die Stimme riss mich zurück in die Gegenwart. Der Ton, als hätte jemand zu viel Essig in den Salat geschüttet. »Wie ich hörte geht das Projekt gut voran.« Herr Le saß selbstgefällig neben Sarah auf dem Sofa, so dass er den gesamten Raum im Blick hatte, während ich Kaiba den Rücken zudrehen musste, um Le in die Augen zu sehen. Er brauchte das »Trotz Ihnen« nicht auszusprechen, damit ich es hörte. Er nippte an einer Tasse – meine Hoffnung, dass er sich dabei verschluckte und erstickte, aber zumindest sich die Zunge verbrühte, blieb unerfüllt. »Joar«, erwiderte ich. »Kann nicht klagen.« Ich wusste, dass ich das »Trotz Ihnen« nicht aussprechen musste. Sarah lächelte, setzte ihre Tasse nicht ab, obwohl sie mit großen Gesten ihre Worte untermalte. »Oh ja«, stimmte sie ein. »Joey ist ein ausgezeichneter Mitarbeiter. Seine Kreativität! Er beeindruckt Seto ständig auf völlig neuen Wegen.« Sie zwinkerte mir zu und ich spürte, wie sich Hitze auf meinen Wangen ausbreitete. »Also – das – ja – also –«, stammelte ich. Es war warm. Und dann fühlte ich ihn. Er stand vielleicht eine Armlänge von mir weg und ich hätte mich umdrehen können und irgendwie sagen, dass wir reden mussten oder eben nicht, aber dass wir hier nicht einfach so stehen bleiben konnten, nicht nur hier in seinem blöden Büro, sondern überhaupt – aber ich tat es nicht. Weil er Kaiba war, der arrogante Geldsack, ich eben ich. Und wir hier in seiner Welt standen, in der er unerreichbar war. »Wheeler ist eine Bereicherung für das Projekt«, sagte er. Lob, aber sein Ton war so nüchtern, dass sich mein Magen zusammenzog. »Hier sind die aktuellen Werbevideos«, fuhr er fort und platzierte vor Herr Le und Sarah ein Tablet, während er sich ihnen seitlich gegenüber in ein Sofa sinken ließ. Das Video war mir so vertraut wie alle Zeichnungen und Bilder, die auf meinen Mist gewachsen waren. Und ich redete mir ein, dass ich deswegen nicht die Animation anschaute. Es war lächerlich, denn natürlich war er distanziert. »Willst du einen Kaffee?« Hier über allem und jedem und so nah und so weit weg. Es war bekloppt. Und ich hatte etwas mit dem Boss, der sicher früher oder später ausrasten würde – sollte davon irgendetwas an irgendjemand dringen. Aber nicht im positiven Sinne. Ich war bekloppt. »Joey –« Und was sollte das eigentlich heißen, er wäre da? Da im Sinne von anwesend? Im Sinne von nicht weg? Im Sinne von »zum Rummachen bereit«? Mein Magen hüpfte. Und ich wünschte mir, er würde abhauen. Unwahrscheinlich, weil ich in seinem verdammten Büro seiner verdammten milliardenschweren Firma stand. Oder meinte er damit, dass das alles kein Unfall war, bei dem man nicht hinschauen sollte – aber auch nicht wegsehen konnte? Und warum wusste er nicht, was er wollte? War Seto Geldsack Kaiba nicht das Symbol für »Ich-weiß-was-ich-will«, obwohl ich erst sechzehn bin? Herr »Ich-leite-meine-eigene-Firma«, bevor ich volljährig bin, das verdammte Genie, der arrogante Arsch. »Joey, willst du auch einen Kaffee?« Mein Blick schnellte von Kaibas Händen, die gefaltet in seinem Schoß lagen, zu Sarah. Ihre Augen funkelten. Als wüsste sie etwas, das ich nicht wusste, obwohl ich es wissen müsste. »Äh, nein, danke.« Hatte Kaiba ihr etwas gesagt? Verdammte Scheiße. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »Dann setz dich doch bitte. Am besten fasst du kurz zusammen, woran du gerade arbeitest.« Mit wem hatte Kaiba darüber geredet? Mokuba? Sarah? Roland? Redete Seto Kaiba überhaupt mit jemandem über – über was auch immer das war? »Ähm, klar, also – wobei. Ich glaub, das könnte Mailo besser als ich. Vielleicht sollte er –« »Wheeler.« Es war der erste Moment, seit ich das Büro betreten hatte, dass Kaiba meine Gegenwart nicht nur tolerierte. »Gut, also wir – das Team der Animation Studios –« Ich fasste zusammen, was wir bisher gemacht hatten, was noch ausstand und wie der Zeitplan aussah – beziehungsweise letzteres fügte Sarah jeweils hinzu, weil ich natürlich meine Notizen vergessen hatte, was Herrn Le ein herablassendes Lächeln entlockte. Ich hätte ihm am liebsten seine Tasse hineingerammt. Aber ich tat es nicht. Weil ich besser war. Weil ich wusste, dass ihn mein Erfolg viel mehr zusetzte als körperliche Schmerzen. Und weil mir gerade Kaibas volle Aufmerksamkeit galt. Nur das zählte. Sarahs und mein Blick trafen sich, während ich von animierten Drachen und Videos über Freunde berichtete, und in diesem Moment glaubte ich zu wissen, dass sie wusste, dass ich wusste, dass sie etwas wusste. Sie nippte an ihrem Kaffee, aber ich sah ihr Lächeln trotzdem.   »Sie können gehen.« Nachdem Herr Le und Sarah diskutiert und ich nur mit halben Ohr zugehört hatte, setzte sich Kaiba an seinen Schreibtisch. Herr Le war als erster aus dem Büro, schaute dabei extra lange auf seine Smartwatch und wirkte wie ein überbezahlter Mann im Anzug, der glaubte, unersetzbar zu sein. Ich sah ihm nach und bemerkte Sarahs Aufmerksamkeit erst, als sie mit ihrer Hand meine Schulter berührte. »Frag es ihn«, flüsterte sie und ich erstarrte, doch sie lächelte und schritt an mir vorbei. Ich sah ihr nach und wollte nichts lieber, als ihr folgen, aber meine Beine gehorchten nicht. Vielleicht arbeitete ein Teil meines Hirns gegen mich. »Wheeler, du auch.« Ich drehte mich mit einem »Hä?« zu ihm um Er massierte sich die Schläfen. »Ich weiß durch jahrelange Bestätigungen deinerseits, dass deine kognitive Aufnahmefähigkeit zeitlich begrenzt ist, vor allem, wenn dich etwas ablenkt – wie Nahrung, Spielzeuge oder –« »Ich war schon bei durch jahrelange raus«, unterbrach ich ihn und lehnte gegen den Schreibtisch. »Ich könnte wetten, ich hätte dich nach dem ersten ich verloren«, spöttelte er. »Und warum lässt du‘s dann nicht einfach bleiben?«, fragte ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Zorn rammte mir von innen dagegen. Natürlich. Natürlich war er der Seto Kaiba und ich – ich war eben nur ich. Warum konnte ich nicht mit einem Kerl herummachen, der mich nicht so in seinem eigenen Büro ansehen konnte. Mit nur sechzehn! Und mit diesen verdammten Augen! Und diesem – wich er gerade meinem Blick aus? Nur dieser Penner konnte mich so wütend machen, in dem er mich anschaute – und dann nicht mehr. »Wheeler, es –« »Oh, verdammte Scheiße«, rief ich und raufte mir das Haar. »Ich schwöre, wenn du jetzt sagst, dass es ein Fehler war, ich –« Ich wollte mir in die Faust beißen, bis dieser Druck in meinem Kopf verpuffte. Da war es – das Thema, das zwischen uns brodelte. Und vor allem in mir. Diese Wut und der Unglaube, wie lächerlich das alles war. Ich wusste nicht, worauf ich zorniger war: ihn und sein scheiß »Ich bin da« oder mich, dass ich trotzdem hier war. Immer wieder bei ihm. Dass ich wusste, wie alles ausgehen würde – und jetzt trotzdem von seinen Augen auf seine Lippen starrte und versuchte, ihn nicht zu mir zu ziehen. »Ich wollte sagen«, begann er kühl, »dass das alles vorbeigehen wird. Du wirst schnell bemerken, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und dann wirst du erleichtert sein, wenn diese – Sache möglichst, ohne große Wellen zu schlagen, vorübergeht.« Ich starrte ihn an. Das konnte er nicht ernst meinen. Ich war doch kein dreizehnjähriges Mädel, das ihn vorgestern kennen gelernt hatte. Ich war doch nicht so verblendet zu glauben, sein Leben wäre einfach oder sein beschissenes Geld so erstrebenswert. »Hör auf damit. Echt jetzt«, knurrte ich. Er konnte nicht wissen, was ich wann bemerken oder wie und was ich empfinden würde. Ich wusste ja gerade selbst nicht einmal, was ich in diesem Moment fühlte. Zorn? Enttäuschung? Angst? Trauer? Abneigung? Eine Mischung aus allem? »Du hast doch keine Ahnung, wie es ist – wenn man denkt, dass egal, was man tut, es nie gut genug sein wird!«, zischte ich. Ich lag mit vielen meiner Meinungen falsch. In diesem Moment änderte sich etwas in seinem Blick. Als bekäme das Eis Risse. »Absolut. Woher sollte ich das auch wissen. Ich habe in meinem Leben auch noch nie an allen Ecken gleichzeitig gekämpft«, entgegnete Kaiba höhnisch. Ich blinzelte, stierte ihn an. Kaiba konnte nicht wissen, wie es war, wenn man irgendwann der festen Überzeugung war, dass sich alles gegen einen verschwor. Jemand wie ich, aber er? Ich erwartete zu wenig von mir und meistens auch von meinen Mitmenschen. »Wenn alles, was du gekannt hast, mit wenigen Worten und Blicken vernichtet wird«, fuhr er fort, schnaubte und verschränkte die Finger ineinander. »Und keiner gibt dir die Chance, dich zu beweisen.« Er lehnte sich vor, sah mir in die Augen, seine Lippen formten Worte, die erst einige Sekunden später auch mein Hirn verarbeitete. »Bis du sie dir nimmst.« Ich glaubte, ihn zu kennen. »Du meinst – Gozaburo?« Aber es gab so viel, das ich nicht wusste. Kaiba antwortete nicht, starrte stattdessen aus dem Fenster, um die Mundwinkel ein Ausdruck von Härte. Aber das war auch nicht nötig. Jeder kannte die Geschichte. Die offizielle, die, die wochenlang durch die Medien gegangen war. Waisenjunge. Fordert den amtierenden Schachmeister heraus. Erspielt sich seine Adoption. Aber ich wollte nicht die offizielle Story kennen, nicht die Fassade, die für irgendwelche Menschen da draußen errichtet worden war. Ich wollte seine kennen. Ich öffnete den Mund, um ihm genau das zu sagen. Hatte er es je bereut? »Wheeler, du brauchst mich nicht, um dein Leben auf die Reihe zu bekommen«, sprach er und in diesem Moment wirkte er so erschöpft, wie ein Teenager in seiner Position eigentlich immer aussehen müsste. »Ich weiß«, behauptete ich. »Voll im Gegenteil – du machst alles verdammt kompliziert. Ist nur nichts Neues. War so von Anfang an.« »Genau deswegen sollte –« Aber wenn ich eine Ansicht vertrat, dann zog ich die Konsequenzen mit durch. Ich beugte mich nicht der Mehrheit, wenn ich anders dachte und zog mich nicht zurück, wenn ich glaubte, kämpfen zu müssen. »Aber ich bin trotzdem hier«, fiel ich ihm ins Wort. »Und ich bleib nochn bisschen – wenn das okay ist.« Er sagte nicht, dass es das war. Aber er sagte auch nicht, dass es das nicht war. Also blieb ich.   Spätabends standen wir auf dem Dach der KC. Die Dämmerung besprenkelte die Dächer mit Rot und Orange und die Bäuche der Wolken mit Lila. Kaiba stand neben mir, gerade entfernt genug, dass er mich nicht berührte. Aber so nah, dass ich es geradezu spürte. »Sind wir eigentlich – also du und ich – sind wir –« Kaiba unterbrach mich nicht, er half mir nicht, den Satz zu beenden, er beantwortete die ungefragte Frage nicht – nicht einmal mit einem Wort. Er sah mich nur von der Seite her an mit gehobenen Augenbrauen und einem Schmunzeln im Blick. Wir schwebten über der Stadt, ich balancierte vorbei an Abgründen, hin zu seiner Nähe. Ich gab nicht auf, nur weil mich Hindernisse zurückwarfen. Uns konnte niemand etwas anhaben. Hier und jetzt gab es uns und zu unseren Füßen lag Domino und all die kleinen Menschen mit ihren Problemen und Sorgen und ihren Blicken und ihrem Gerede. Sie waren so weit weg und wir waren uns so nah.   Was ich wirklich sein wollte? Glücklich. Und vor allem strebte ich danach, nichts zu bereuen. Aber in diesem Moment wurde mir klar, dass er mir vielleicht nie eine Antwort geben würde. Seine Hand streifte über meinen Rücken, ich sah in die Abendsonne, meine Finger wanderten über sein Handgelenk, er blickte Richtung Mond, der der Sonne gegenüberstand. Seine Finger verhakten sich mit meinen. Seine Lippen streiften meine. In diesem Moment bereute ich nichts. Aber die Frage war, ob das genügte. Oder ob wir es bereuen würden, dass er nicht ging und ich nicht.   Und wie viel Schmerz war ein Augenblick Glück eigentlich wert?       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)