Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 52: Bonuskapitel | … ist kein Spieler --------------------------------------------- __________________________________________ Und wenn ein Spiel total am Abgrund steht, mit Re und Kontra in die Hose geht, dann sagt ein guter Spieler ganz spontan: »Jetzt fängt das Leben doch erst richtig an.« © Horst Rehmann  __________________________________________         Mein Beruf drehte sich um Spiele, aber ich war kein Spieler. Ich war die Jury. Und alle anderen spielten nach meinen Regeln.   »Du hast gesagt, heute. Vor –«, er sah demonstrativ auf die Uhr an der Wand, die ich sonst ignorierte, »eineinhalb Stunden.« Ich wusste nicht mehr, wie oft ich ihn vertröstet hatte. Aber irgendwie wurde es leichter mit jedem Mal, denn ich sagte mir, dass ich es für ihn tat. »Mokuba«, begann ich und massierte meine Nasenwurzel, tippte dann weiter. »Schon gut«, murrte er. »Nächstes Wochenende können wir –« Erst als die Tür zuknallte, sah ich vom Laptop auf.   Alles, was ich erreicht hatte, war für ihn. Zumindest redete ich es mir ein, entschuldigte damit die Stunden, die ich zu lange im Büro saß, die Augenblicke, wenn ich ihn enttäuschte, weil ich keine Zeit für seinen Alltag, seine Witze, seine Wünsche hatte. Alles, wofür ich kämpfte, war für sein Wohlergehen. Er sollte es besser haben als ich. Wenn ich nachts an seinem Zimmer vorbeischritt, innehielt und die Tür öffnete, ihn beim Schlafen beobachtete, dann regte sich dieser Druck in meiner Brust. Fragen, die ich versuchte zu ersticken. War es wirklich für ihn?   Wir aßen zusammen, so oft ich es einrichten konnte. Aber ich sagte häufiger ab, als zu. »Es tut mir leid, aber morgen –« Mokuba protestierte immer leiser und irgendwann zuckte er nur noch mit den Achseln. »Schon klar«, antwortete er. Ich bemerkte erst, dass er nicht mehr im Büro war, als er mir auf meine nächste Frage nicht antwortete und ich aufsah. Alles, woran ich mich festhielt, war er. Seine Möglichkeiten, sein Lachen, sein Glück. Oder das, was ich dafür hielt.   Ich stieg in die Limousine. Mokuba stierte von mir abgewandt aus dem Autofenster. Es war einer dieser Tage, an denen ich mir vornahm, ihm zu versprechen, dass ich es ändern würde. Dass ich Termine verschieben, notfalls canceln würde. Dass er aber verstehen müsste, dass es nicht immer ginge und möglicherweise nicht sofort – aber bestimmt morgen. Als ich den Mund öffnete, ließ Wheeler nicht locker. Er stand vor der Limousine, viel zu laut. »Ich will – eine echte Chance. Nicht in der KC mein ich. Nicht – als Angestellter. Also auch, nicht, dass du mich rausschmeißt. Ich mein«, es war zum Verrücktwerden, dass sein Mund Worte produzierte. Meine Augen brannten, mein Kopf dröhnte. Am liebsten wäre ich ins Bett gefallen und hätte alles ausgeschaltet, wodurch ich erreichbar war. Mokubas Blick wanderte zu Joey, dann zu mir, dann wieder zu Joey. »Ich will essen – also gehen. Mit dir. Kapiert?« Er lehnte sich vor und war mir so nah, dass ich ihn wegstoßen wollte. Er hielt den Atem an. Erstens. Ich tat es nicht, ich ließ ihn. »Also. Was willst du, Kaiba?«, presste er zwischen seinen Lippen hervor, während ich ihn stumm anschaute. Wheeler hatte keine außergewöhnlichen Talente. Er brachte sich in Schwierigkeiten und riss alle um ihn mit sich. Zweitens. Ich ließ ihn trotzdem. Ich zog meine Augenbrauen zusammen, erwiderte seinen Blick, suchte etwas und fand es. Die Erkenntnis, wie viel für ihn von diesem Augenblick abhing. Und trotzdem der Wille, alles auf eine Karte zu setzen. »Freitag, 19 Uhr«, fuhr Wheeler fort. »Mir ist egal, ob du eine blöde Firma zu leiten hast. Kapiert? Ich hol dich ab.« Damit warf er die Autotür zu und drehte sich auf den Achsen um. Joey Wheeler war die einzige Person, die sich anmaßte, meine Türen zuzuwerfen – oder aufzureißen. Natürlich ohne anzuklopfen. Ich schnaubte, obwohl er es nicht mehr hören konnte, während Roland losfuhr. Und dann schlug eine Bemerkung bei mir durch, die mich fast zum Lachen gebracht hätte. Wheeler hatte wirklich gesagt, er würde mich abholen. »So ein Schwachsinn«, schnaubte ich und packte meinen Laptop aus der Tasche. »Ich habe keine Zeit für so einen Unsinn wie Freizeit.« »Du könntest aber mal –«, murmelte Mokuba. »Ich muss freitags arbeiten. Daran ändert auch Wheeler nichts.«  Ich sah nur im Augenwinkel, wie Mokuba seine Achseln zuckte und seine Nase wieder gen Fensterscheibe drehte. Meine Ambition war, dass mein kleiner Bruder das Gefühl von Schmerz niemals kennen lernte. Ich starrte die Strähnen seines schwarzen Haares an, die von seinem Hinterkopf abstanden. Es wäre so einfach gewesen, meine Hand auszustrecken, seine Schulter zu berühren und Roland anzuweisen, uns am nächsten Weiher abzusetzen. Wir hätten den Abend dort grillen können und Mokuba hätte mir irgendwelche Fakten erzählt, die ich niemals brauchen würde. Er hätte gelacht und mich angesehen, wie früher. Als könnte nichts etwas zwischen uns bringen. Ich sah zurück auf den Bildschirm und schwieg.   Relativität bedeutet, dass einem eine Woche, in der man Nächte durcharbeitet, vorkommt wie wenige Tage. Und eine Woche, in der man versucht, sein Leben zu ordnen, während Joey Wheeler darin herumpfuscht, wie verdammt viele. Ich saß im Büro und starrte auf meinen virtuellen Kalender. Mit den Fingern der Rechten klopfte ich auf dem Schreibtisch herum, während Roland auf meine Anweisung wartete. Er schwieg, so wie immer, wenn ich ihn nicht direkt nach seiner Meinung befragte. »Sagen Sie Joey Wheeler für Freitagabend ab.« »Natürlich, Herr Kaiba.« Er nickte und wandte sich zum Gehen. »Nein, warten Sie«, ich bereute die Worte schon fast, als ich sie ausgesprochen hatte. »Lassen Sie den Termin stehen. Sagen Sie Herr Le, sein Termin wurde aus organisatorischen Gründen von Freitag auf Montag verschoben.« Roland schaute mich einen Moment länger an als sonst. »Natürlich, Herr Kaiba.« Dann verschwand er aus meinem Büro.   In der KC scheuchte ich Herr Le in der Marketingabteilung umher. Sarah stellte mir die endgültigen Layouts der Plakate vor und aus den Animation Studios bekam ich Updates bezüglich des Fortschritts der Kurzwerbefilme. Er war einfach überall. Seine verdammte Gegenwart eingraviert in jeder verdammten Zeichnung, jeder verdammten Animation, jedem verdammten Plakat. Mokuba kicherte, was mich vom Bildschirm meines Laptops in die Gegenwart holte. »Was ist?«, brachte ich über meine Lippen und es bereitete mir förmlich Kopfschmerzen, denn dieses ungute Gefühl zog in meinem Bauch. »Du fluchst die ganze Zeit leise vor dich her. Wegen Joey?« »Wie kommst du denn da drauf?«, wollte ich wissen, ohne es wissen zu wollen. Mokuba war schon immer klug gewesen, manches Mal zu klug für sein eigenes Wohl. Er antwortete nichts, sondern grinste nur. Er wirkte wie ausgewechselt. Die gesamte letzte Woche ignorierte er mich, aber seitdem er heute Mittag in der Firma gewesen war – »Vielleicht wegen deinem Terminkalender.« »Wegen deines Terminkalenders.« Ich sah, wie Mokuba die Augen verdrehte, dann erst begriff ich nicht nur wie, sondern was er gesagt hatte. »Mokuba«, knurrte ich. »Du musst zugeben, dass die Verschlüsselung wie eine Einladung war. Das war echt zu leicht.« Ich wusste, dass Stolz in diesem Kontext kein angemessenes Gefühl war. Also öffnete ich den Mund, um ihm wenigstens eine empört-pädagogisch wertvolle Rüge zu erteilen. Er kam mir zuvor. »Du magst ihn.« Mein Kiefer klappte zu. Ich ignorierte Mokubas Glucksen, aber es trieb das Gefühl, Wheeler bei der nächsten Begegnung verbal in den Boden zu stampfen, nur noch mehr in die Höhe. Es wäre zum Lachen gewesen, hätte ich nicht das Gefühl gehabt, Wheeler erwürgen zu wollen. »Lächerlich«, entgegnete ich, wandte mich wieder meinem Bildschirm zu und begann zu tippen. »Das ist keine Verneinung«, trällerte Mokuba und ich spürte die Kopfschmerzen in meine Schläfen schießen. »Aber mach dir keine Sorgen«, behauptete er, »ich habe gestern mit Joey geredet.« Alarmiert schnellte mein Blick zu ihm. Mokubas Lippen zogen sich zu einem Grinsen. »Was hast du ihm gesagt?«, fragte ich und versuchte völlig desinteressiert zu klingen. Seiner Mimik nach zu urteilen, gelang es mir nur unzureichend. Er pfiff leise vor sich her, zog sein Smartphone aus der Tasche und begann irgendetwas zu tippen. »Mokuba«, knurrte ich. »Du lächelst dabei. Ich mein, wenn du über ihn fluchst.« Ich zog die Augenbrauen hoch. »Unsinn«, erwiderte ich und als ihn mein Blick traf, klappte sein Mund zu. Sein Widerspruch starb auf seinen Lippen, aber dieses Funkeln in den Augen verriet mehr, als Worte. Er zuckte die Schultern, den Blick starr auf das Smartphone und schlenderte Richtung Sitzgruppe, wo er sich auf die Couch fallen ließ. »Mokuba. Was hast du –« Jemand klopfte. »Nicht jetzt«, knurrte ich, aber die Tür öffnete sich trotzdem. Mokuba grinste sein Smartphone an, ich war ihm einen düsteren Blick zu. Sarah betrat mein Büro und runzelte die Stirn. »Huch. Was ist denn bei euch los?« Während ich mit einem nüchternen »Nichts« antwortete, posaunte Mokuba: »Er hat ein Date mit Joey Wheeler.« Meine Mimik versteinerte. »So ein Unsinn. Lediglich ein informelles Treffen, um –« Sarahs Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. Und ich begriff, dass egal, was ich jetzt noch sagen würde, ihr Urteil feststand. Ich atmete tief durch und verfluchte Joey Wheeler. Ohne zu lächeln.   Menschen neigen dazu, sich Urteile zu bilden, ohne alle Fakten zu kennen. Sie geben Ratschläge, obwohl ihnen der Kontext nicht bekannt ist, sie glauben zu wissen, um was es sich handelt. Aber sie lagen falsch. Nicht einmal ich wusste, um was es ging. »Was kann schon passieren?«, hatte Mokuba gesagt und seine Nudeln in den Mund geschaufelt. »Ihr steht seltsam nebeneinander rum oder ihr streitet. Schlimmer wird es schon nicht werden.« Dass in meinen Gedanken noch ganz andere Möglichkeiten herumwirbelten, verkniff ich mir. »Außerdem –«, begann er, wedelte mit der Gabel vor seinem Gesicht, schluckte und grinste. »habe ich einen Plan.« Es beruhigte mich kein bisschen. »Du solltest etwas Legeres anziehen, du gehst ja nicht zu einer Konferenz«, hatte Sarah behauptet, während sie mir das Design für Flyer präsentierte. »Außerdem würde es Joey sicher zusagen.« Freitags stand ich vor dem Panoramafenster meines Büros. Ich erahnte in meinem Spiegelbild die dunkelblaue Stoffhose, das hellblaue Hemd und die dunkelblaue Krawatte. »Mir ist völlig gleich, was ihm zusagt«, hatte ich sie unwirsch unterbrochen. »Am besten du schenkst ihm was«, hatte Sarah weiter ihre Ratschläge herumposaunt. »Eine kleine Aufmerksamkeit, um –« »So ein Schwachsinn«, murrte ich, schüttelte die Erinnerung ab und wandte mich um. In meiner Brust kämpften ein Engegefühl gegen den Impuls, Wheeler Hausverbot zu erteilen.   Meine Ideen erstaunten gewöhnlich gestandene Geschäftsmänner, meine Umsetzung von Plänen war beispiellos. Ich war als Wunderkind verschrien, als Genie bekannt. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, starrte Dokumente an mit Plänen, die Millionen wert waren. Aber es bedeutete mir nichts. Nicht, ohne Mokuba. Wenn Geld nicht das Wichtigste im Leben war, was war es dann? Familie? Freunde? Liebe? Ich fuhr mir durchs Haar, blickte auf die Uhr und schwor mir, auf niemanden zu warten. Was war das Wichtigste im Leben? Zurückzuschauen und nicht zu bereuen? Ich schnaubte, tippte auf meinem Laptop herum, löschte die Zeile sofort wieder und starrte zur Tür, nur um meinen Blick wieder loszureißen. Ich bereute so einiges in meinem Leben. Auf die meisten Dinge hatte ich wenig oder keinen Einfluss gehabt, aber manche Sachen hatte ich zu verantworten. Und es war ein naiver Trottel, der all diese Fassaden durchschaute, sich nichts daraus machte und trotz allem in mein Büro trampelte. Es war genau 19 Uhr. »Seit wann klopfst du?«, fragte ich. Wheeler stand da in abgetragenen Shorts und einem verwaschenen Shirt mit dem Aufdruck von Figuren aus diversen Games, die meisten davon lizensiert von der Kaiba Corporation.   Wenn Geld nicht das Wichtigste im Leben war, was war es dann? Wenn das einer wusste, dann Wheeler. Er erwiderte meinen Blick, was nur Wenige in meinem Büro wagten. Er grinste schief, eine Hand in der Hosentasche. Bemerkte er überhaupt, wie fehl am Platze er hier war? In diesem Augenblick stockte ich. Wann war es passiert, dass Wheeler trotzdem derjenige geworden war, der meinen verdammten Tagesablauf ins Chaos stürzte? »Komm schon. Beweg deinen Arsch«, durchbrach er die Stille mit einem Grinsen in der Stimme, »wir erobern die Stadt!« In diesem Moment wusste ich, dass ich diese Runde verloren hatte. Und dass es sich nicht so anfühlte. Ich zog die Augenbrauen hoch, betrachtete seine Faust, die er in die Luft streckte, lehnte mich zurück, und wog ab, in wie viel Unsinn er mich verwickeln würde, wie sehr er meinen Alltag noch über den Haufen werfen würde. Und ob es sich lohnen würde. Mein Beruf drehte sich um Spiele, aber ich war kein Spieler. Ich war die Jury. Ich warf dem Chaoten in meinem Büro einen Blick zu, der gerade meine Kugelschreiber zwischen seinen Fingern balancierte, nahm mir vor innerlich bis zehn zu zählen, kam aber nur bis sieben, ehe er maulte, er hätte Hunger. Und alle anderen spielten nach meinen Regeln. Alle außer mein Bruder. Und Joey Wheeler.   © 2016 Jaelaki Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)