Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 54: … bin berühmt ------------------------- __________________________________________   Ich erwachte eines Morgens und fand mich berühmt. Lord George Gordon Noel Byron   __________________________________________           Ich brauchte nur ein bisschen Glück. Ich schaffte alles ohne fremde Hilfe, machte meinen Job in der Firma, überlebte meine Familie, zog die Schule irgendwie durch. Von außen betrachtet war ich ein Glückspilz. Von außen war immer so eine Sache.   Wir lagen im Bett. Die Wände waren hoch und weit und ich zählte Kaibas Atemzüge. Kein Platz für Einsamkeit. Kein Platz für Selbstzweifel im Dunkeln. Ich spürte die Wärme um mich herum, von seiner Haut direkt auf meine. Obwohl wir uns nicht berührten. »Wheeler, schlaf endlich«, flüsterte er plötzlich. »Mach ich doch«, behauptete ich. Ich konnte quasi hören, wie er seine Augen verdrehte. Die Bettdecke raschelte, als mir Kaiba seinen Rücken zudrehte und ich zuckte zusammen, als sein Fuß plötzlich meinen berührte. Aber ich zog ihn nicht weg. Alles konzentrierte sich auf diese eine Berührung. Und ich fragte mich, ob das immer so sein würde mit Kaiba. Dass seine Gegenwart alles andere in den Schatten stellte. Seine Berührung meine Sorgen übertünchte. Ob es auch mit anderen Menschen so sein könnte und ob es anderen möglicherweise auch so erging – mit anderen. Oder ob es etwas Besonderes war. »Hey, Kaiba –«, flüsterte ich. »Schläfst du schon?« Aber vielleicht ging es auch gar nicht darum, etwas Besonderes zu sein. »Ja«, grummelte er und ich schwieg. Vielleicht ging es darum, dass der andere das Besondere sah. Kaiba seufzte. »Was ist?« Ich spürte, wie meine Mundwinkel nach oben kletterten. »Ich wollte nur –« Fragen, ob es dir mit mir auch so ergeht. »Gute Nacht sagen.« »Gute Nacht«, erwiderte er mit einem Schnauben. Aber ich hörte ein schiefes Lächeln.   ***   »– lasse dich hier.« Ich blinzelte, das Licht strahlte durch die Fenster und ich drehte mich um. »Wheeler, ich schwöre, ich werde –« »Joey!«, rief eine zweite Stimme viel zu überschwänglich am Morgen und etwas sprang neben mir ins Bett. »Mokuba, geh unten frühstücken. Ich möchte nicht, dass du ohne –« »Wir könnten alle im Bett frühstücken!«, unterbrach Mokuba ihn eifrig und ich öffnete meine Augen einen Spalt weit. Mokuba saß noch im Schlafanzug und wurschtelte sich gerade unter Kaibas Bettdecke, während sein großer Bruder bereits in Schuluniform dastand und finster schaute. »Es ist kein Wochenende«, entgegnete Kaiba, als würde das dem Vorschlag jede Grundlage entziehen. »Aber Joey ist hier!«, erwiderte Mokuba euphorisch. Ich bezweifelte, dass das ein Argument war, welches Kaiba umstimmen könnte. Aber für einen Moment sah ich uns nebeneinander im Bett mit diesen coolen Tischchen, die man in der Werbung sah und Brötchen und Marmelade und Butter in kleinen Glasschälchen. »Mokuba, geh unten frühstücken. Ich wiederhole es nicht noch einmal.« Natürlich musste Kaiba meine Vision zerstören. Mokuba trottete mit einem letzten Blick hinaus und knallte die Tür zu. Ich wusste nicht, ob er gekränkt oder sauer war. »Mokuba!«, rügte Kaiba durch die geschlossene Tür. Er hingegen war eindeutig genervt. Ich pellte mich aus der Bettdecke, streckte mich, als sähe Kaiba mich nicht so an, als würde er mich jeden Moment aus dem Zimmer kicken und bemerkte, dass ich keine Schuluniform parat hatte. »Wir fahren bei dir vorbei, damit du deine Sachen holen kannst. Und wegen dieses Umwegs bewegst du dich jetzt sofort aus dem Bett –« »Oder?«, forderte ich ihn heraus mit einem Grinsen, das selbst seinem bösen Blick standhielt. »Oder ich entschuldige dich vor der Klasse –« »Wow, wie bitterböse«, witzelte ich. »Mit den Fakt, dass du es nicht rechtzeitig aus meinem Bett geschafft hast.« Kaiba wusste eben immer, wie er mich motivieren konnte.   ***   Sportwagen oder Limousine, Konferenz oder Schule, KC oder Klassenzimmer. Kaiba musste sich jeden Morgen entscheiden, welche Priorität er setzte und mit den Konsequenzen leben. »Du hast aber versprochen, dass wir diesen Freitag –« »Es tut mir leid, Mokuba, aber die Organisation des Turniers ist –« Mokuba drehte sich zum Fenster, starrte hinaus und machte den Eindruck die Erklärungen seines Bruders nicht mehr wahrzunehmen. An uns schossen Bäume und Häuser vorbei und die Chance, die richtigen Prioritäten zu setzen. Wenn man Kaiba aus Zeitungen und öffentlichen Auftritten kannte, dann musste man sich fragen, was in seinem Leben schon schiefgehen konnte. Er war reich, gesund und konnte alles tun und lassen, was er wollte. Mein Blick wanderte von Mokuba, der stur nach draußen starrte, zu Kaiba, der irgendetwas in seine Laptoptastatur hackte. Manche behaupteten, ihm gehöre die Welt. Kaiba sah trotzdem nicht glücklich aus.   Ich war es nicht gewohnt, aus einem fetten Sportwagen auszusteigen, der den Wert meines gesamten Eigentums um mindestens das Tausendfache überstieg. Aber daran hätte ich mich noch gewöhnen können. Was aber überhaupt nicht ging, waren diese verdammten Blicke. Mitschüler, die aufgeregt tuschelten, sobald sie mich erblickten und verstummten, wenn ich in Hörweite war. Lehrer, deren Augenbrauen schneller nach oben schossen, als der Sportwagen von null auf hundert beschleunigen konnte, wenn ich neben Kaiba schlenderte. Ich stellte mir vor, wie sie glotzen würden, würde ich Kaibas Hand halten. Oder ihm so nahekommen, dass keine Zweifel mehr bestünden, wie nahe wir uns schon gekommen waren. Und dann starrte ich auf mein Handy und bemerkte die dreizehn unbeantworteten Anrufe und die fünfundzwanzig Nachrichten. Mutter, stand beim Absender. Ich hätte kotzen können. Mokuba bummelte neben mir her – nicht neben seinem Bruder – und seine Mimik sagte mir mehr, als Worte im Stande gewesen wären. Kaiba schritt mit seinem Aktenkoffer in der Hand und schaute weder nach links noch nach rechts. Wahrscheinlich ätzten ihn die Blicke auch an. Aber vielleicht hatte er sich daran schon längst gewöhnt. »Mokuba«, Kaiba blinzelte auf sein Smartphone, während er seinem kleinen Bruder einen erfolgreichen Schultag wünschte.   Wir schritten den Gang hinunter zum Klassensaal, Schulter an Schulter. Obwohl Kaiba mir keine Aufmerksamkeit gönnte, war ich mir seiner Gegenwart mehr als bewusst. Als brannte sie Löcher in die Luft zwischen uns. Der Gedanke an letzte Nacht erschien mir wie ein verworrener Traum. Manchmal glaubte ich, ihm so nah zu sein. Und dann war er mir plötzlich wieder so fremd. Ob es Mokuba genauso ging? »Weißt du, er ist keiner deiner Angestellten«, sagte ich, ohne Kaiba anzuschauen. Als keine Reaktion kam, blickte ich auf und bemerkte, wie er mich anstarrte, dann seinen Blick abwandte. »Kümmer dich um deine eigene Familie«, ätzte er und stob an mir vorbei ins Klassenzimmer.   ***   »Vielleicht hat er Recht«, murmelte Tris. Auf meinen anklagenden Blick hin, hob er die Hände. »Ich mein doch nur. Ich glaub, du würdest nicht viel anders reagieren, wär’s umgekehrt.« Wir standen auf dem Pausenhof. Am Himmel drängten sich dichte Wolken, aber es regnete nicht. Nicht, dass es die Lehrer interessiert hätte, ob wir hier draußen im Wolkenbruch ersauften. Ich legte meinen Kopf schief und dachte tatsächlich einen Moment über Tristans Kommentar nach. Würde sich Kaiba in meinen Familienkram einmischen – aber hatte er das nicht schon genug? »Ich glaub‘, Kaiba würde es einen Scheiß interessieren, was ich zu sagen würde, wäre es anders herum«, erwiderte ich. »Er macht eh immer, was er sich in den Kopf setzt.« Über Yugis Lippen waberte ein Lächeln. »Eine Sache, in der ihr euch außerordentlich ähnelt«, behauptete er und drückte meinen Arm. Ich starrte ihn ungläubig an. »So ein Unsinn«, erwiderte ich und wollte ausholen, wie sehr totaler Quatsch das war, als Thea zu uns stieß und statt – wie sonst – über Yugi herzufallen, ihren Blick auf mich heftete. Sie hielt mir eine Zeitung hin, was mir nur wieder zeigte, wie wenig sie in unsere Truppe passte. Wäre es wenigstens ein Magazin über Games oder Animes – aber es war eine richtige Zeitung. Ich verdrehte die Augen. »Was zur Hölle soll ich damit? Ist doch –« Ich erstarrte, als ich das Bild erkannte und riss ihr die Zeitung aus der Hand. Meine Augen weiteten sich. Tristan drängelte sich näher, um zu sehen, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Yugi linste halb über meinen Oberarm. Da war ein Bild von mir. Als ich die KC verließ. Darüber stand in fetten Buchstaben: Ausnahmetalent erobert Kaiba Corporation. In meinem Bauch verknoteten sich Gefühle. »Das ist – das ist –«, stammelte ich und sah in die Gesichter meiner Freunde. »Das ist absolut wundervoll. Du kannst stolz auf dich sein, Joey«, erwiderte Thea und sie lächelte. Ich blinzelte und nickte langsam, als begriff ich immer noch nicht, was eigentlich abging. Mein Blick rutschte wieder auf die Schlagzeile. Die Medien rühmten mein Talent. In meinem Bauch platzte der Knoten und ich schwebte.   ***   Es war verdammt einfach, die Schule zu überstehen und dumme Sprüche an mir abprallen zu lassen, wenn die Welt das Talent, das in einem schlummerte, wertschätzte. Es würde immer Menschen geben, die es einem nicht gönnten, Dummschwätzer, die neidisch waren. Aber das berührte mich nicht. Ich flog über ihnen, konnte alles erreichen, wenn ich es wollte. Nicht einmal meine Mutter machte mir das zunichte. Niemand.   »– sein außerordentliches Talent überzeugte auch den Vorstandsvorsitzenden der Kaiba Corporation, Seto Kaiba. Auf Anfrage bestätigte seine Sekretärin Joseph Wheelers immensen Beitrag zur aktuellen Werbekampagne der Firma. Seine –« »Wheeler, wenn du noch einen weiteren Satz dieses Artikels vorliest, werde ich dich aus meinem Haus werfen lassen.« »Warte! Seine erstaunlichen zeichnerischen Fähigkeiten setzte er mit einem Team der KC Animation Studios in – hey, warum erstaunlich?« »Wheeler«, knurrte Kaiba und ich ließ mich noch einen Moment in dem Gefühl treiben, gerechtfertigt bewundert zu werden, bevor ich die Zeitung zur Seite legte. Wir lagen auf Kaibas Couch im Wohnzimmer – das heißt, ich lag halb auf der Couch, meine Beine über seinem Schoß, während er dasaß, als würde ihn jederzeit jemand für eine krumme Haltung bestrafen. Es war Samstag und wie jeden Samstag hatte ich ihn aus der Firma gezerrt. Ich hatte keine Lust, mein gesamtes Wochenende in der Firma zu verbringen. Kaibas genervter Kommentar, ich könnte meine Zeit verbringen, wo ich wollte, vornehmlich weitab seiner Präsenz, prallte an meinem Grinsen ab. »Vielleicht fang ich an, Zeitung zu lesen«, überlegte ich laut und starrte auf den riesigen Fernseher, ohne dem Film zu folgen. Kaiba schnaubte und es klang fast ein wenig verzweifelt.   Es war verdammt einfach, den Alltag zu mögen und Lob einzuheimsen, wenn die Leute nur das Talent, das in einem schlummerte, zu bemerken schienen. Es würde immer Leute geben, die nach Fehlern suchten, Dummschwätzer, die einem den Erfolg streitig machen wollten. Aber das interessierte mich nicht. Ich flog über ihnen, konnte alles erreichen, wenn ich es wollte. Nicht einmal mein Vater machte mir das zunichte. Niemand.   »Seine Kreativität schafft eine neue Intensität bezüglich der Impulsivität der –« »Joey, raffst du eigentlich, was die da schreiben?« Ich senkte die Zeitung ein wenig und sah ihn drüber hinweg an. Tris schaute mich verwirrt an. Wir saßen in meinem Zimmer nach der Schule und warteten darauf, dass das Abendessen fertig wurde. »Natürlich«, erwiderte ich mit einem breiten Grinsen, »sie finden mich verdammt genial.« Thea verdrehte ihre Augen und ich streckte ihr die Zunge raus. »Ich gönne dir deinen Ruhm, Joey. Genieß ihn.« Yugi war einer der seltenen Menschen, der einem alles Schöne der Welt wünschte und es nicht beneidetet, wenn es Realität wurde. Er zwinkerte mir zu und ich fuhr fort, die besten Stellen des Artikels vorzulesen. Tristan seufzte und sprang als erster auf, als Serenity rief, das Essen wäre soweit.   Es war verdammt einfach, Menschen entgegenzukommen und anzuerkennen, wenn die Leute selbst einem Respekt zollten. Es würde immer Personen geben, die nach den Schwächen gruben, Wichtigtuer, die ihre eigene Schwäche durch die Schwäche anderer verschleiern wollten. Ich glaubte, ich wäre darüber hinweg, dass ich alles erreichen könnte, wenn ich es wollte.   Ich ließ die Tür meines Zimmers hinter mir ins Schloss fallen, pfiff, während ich die Treppen hinunterschlenderte. Ich hörte Jacob zögerlich antworten. Ich runzelte die Stirn und verstummte. Das war so untypisch für ihn. Serenity erwiderte etwas, so leise, dass ich es nicht verstand. »Es ist das Beste«, sagte meine Mutter und in mir zuckte etwas zusammen. Ich zögerte einen Moment, doch dann gab ich mir einen Ruck und betrat das Wohnzimmer. »Was zur Hölle machst du hier?«, knurrte ich. »Joey«, ermahnte mich meine Mutter, aber ich wischte es mit einer Handbewegung davon. »Was machen die beiden hier? Bei ihm?«, wollte ich von ihr wissen. Jacob sah mich mit großen Augen an und ich wollte ihn packen und wegbringen, weit weg, wo ihn niemand Schmerzen zufügen könnte oder ihn enttäuschen. »Ich bin ihr Vater«, antwortete mein Erzeuger lahm, doch ich ignorierte ihn. Dabei brannte seine Gegenwart in jedem Nerv, den ich besaß. Als würde er alle Erinnerungen in mir wachrütteln mit körperlicher Gewalt. »Jake, Seri«, wandte sich meine Mutter an meine Geschwister, »lasst uns bitte mal einen Moment.« Serenity machte sich sofort daran, das Wohnzimmer zu verlassen – mit so sicheren Bewegungen, dass ich an ihrer Blindheit zweifelte. Jacob hingegen starrte abwechselnd von mir zu unserer Mutter und ihm. Serenity bemerkte sein Zögern und nahm in an der Hand. Ich lauschte ihren Schritten, den Flur entlang, dann die Treppe hoch. Erst dann senkte ich meinen Blick auf meine Eltern. Ich fühlte mich verraten, obwohl ich nicht den Finger drauflegen konnte, warum. »Du hast mich nicht mehr besucht«, begann mein Vater und er klang müde, aber das war mir egal. Mein Blick wanderte über seinen sauberen Pullover, seine Frisur – er musste beim Friseur gewesen sein. Er hatte Verbände am Hals, die ich sehen konnte, weil der Kragen nicht so weit nach oben reichte. Ob er Schmerzen hatte? Es interessierte mich nicht. Ich wollte niemals in seiner Position enden. Ich schwor mir, nie zu werden wie er. »Deine Mutter und ich haben miteinander gesprochen.« Und bei der Gelegenheit, auch niemals wie sie. Wunderbar.  Ich schnaubte und wollte einfach gehen, aber zögerte. Was ging es mich an? Doch meine Füße gehorchten mir nicht. Hoffte ich immer noch, es gäbe ein happy end? »Und wir denken beide – also – deine Mutter und ich – es wäre gut, wenn ich Hilfe bekomme.« Seit wann waren die einer Meinung? »Gut, schön«, verkündete ich, lehnte mich zurück und dann sah ich sie beide direkt an, »für dich. Es ist mir egal.« »Joey, ich weiß, es ist viel passiert und –« Würde er sich entschuldigen, würde ich ihm eine reinhauen. Dann würde er sehen, wie viel wert eine Entschuldigung war. »Es ist nicht leicht. Im Gegenteil. Ich habe viele – ich wollte nicht –« Er schaffte es nicht einmal, es auszusprechen. »Aber ich bin dein Vater. Ich werde immer dein Vater –« »Oh, bitte«, unterbrach ich sein Geschwätz, »was willst du hier? Auch die Kindheit meines Bruders ruinieren?« Er schaute mich mit großen Augen an und auf eine irritierende Art und Weise erinnerten sie mich an Jacobs. Würden sie jemanden auch an meine erinnern? »Ich sehe, du hast es gut hier. Ich wollte nur –« Mit jedem seiner Worte pulsierte Wut durch meine Muskeln, zuckten, als wären sie bereit für den ersten Schlag. Ich schmeckte schon den Triumph, die Furcht in seinen Augen, sollte ich auf ihn losgehen. Ohne Hemmungen. Ohne Reue. Aber da war etwas, das mich meine Fäuste in meine Hosentaschen stecken ließ. Als könnten sie so keine Fehler begehen. Und ich wollte nicht so werden. Ich schnaubte und sein Satz schwebte unbeendet in der Luft. Er schaute hilfesuchend zu meiner Mutter. Seit wann konnte er von der Hilfe erwarten? Ohne ein weiteres Wort wandte ich mich um, schnappte mir meine Jacke und verschwand durch die Tür. Sicherlich wäre es ein Fehler. Ich streifte durch die Straßen der Nachbarschaft und eine innere Stimme höhnte, ob es eines meiner neuen Hobbies werden würde. Seit wann ich so ein Feigling geworden war, den Dingen so aus dem Weg zu gehen. Nicht mehr meine Kämpfe kämpfte. Aber vielleicht war das auch eine Art zu kämpfen. Vielleicht sogar eine schwierigere als mit Fäusten. Ich wusste es nicht, aber ich wollte es gerne glauben. Erst als es dämmerte, schlich ich mich zurück ins Haus, in mein Zimmer, das nicht wirklich meines war und zog mir die Decke über den Kopf.   Licht drang durch den Türspalt, jemand huschte hindurch, das Geräusch nackter Füße auf dem Laminat, dann rüttelte jemand an meiner Schulter. »Joey«, flüsterte Jacob, »schläfst du schon?« Statt zu antworten, schlug ich die Bettdecke zurück und Jacob schlüpfte zu mir und wir lauschten der Ruhe eine ganze Weile, obwohl wir hätten schlafen sollen. Am nächsten Tag war Schule. »Er ist dein Papa, stimmt’s?«, fragte er in die Stille. Ich hätte es am liebsten verneint. »Ja.« »Und meiner?« Ich nickte, wusste aber nicht, ob er es mitbekam in der dämmrigen Dunkelheit. »Ja«, wiederholte ich. »Warum hat er dann mich nicht mal besucht? Nicht mal zu meinen Geburtstagen?« Mein Gesicht fuhr zu ihm herum und er erwiderte meinen Blick. Ich hatte mich geirrt. Seine Augen waren ganz anders als die unseres Vaters. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass Jacob das Gefühl haben könnte, etwas verpasst zu haben – niemals in Bezug auf unseren Vater. Dass er ihn womöglich vermisst hatte, sich fragte, ob ihn sein Vater liebte und wenn ja, warum alles so war, wie es war. Und ob die Antwort nein, nicht viel plausibler war. Was machte so eine Antwort mit einem Kinderherz? »Es ist nicht so einfach«, erwiderte ich, weil es die einzige Antwort war, die ich mir zutraute – oder vielleicht auch ihm. »Du hörst dich an wie Mama«, nörgelte er und ich seufzte. Da öffnete sich die Tür erneut und jemand schlich zu uns. »Ich wusste es«, flüsterte Serenity und ich schlug die Bettdecke zurück. Obwohl sie das unmöglich sehen konnte, lächelte sie und kletterte zu uns ins Bett. Aber anders als Jacob, fragte sie nichts.   ***   »Aber ist das nicht ein gutes Zeichen?«, fragte Yugi, als wir im Spielladen standen, den um die späte Stunde niemand mehr aufsuchte. »Dein Vater hat eingesehen, dass er Hilfe braucht und deine Mutter scheint mit ihm einer Meinung zu sein.« Ich nickte knapp, aber in meinem Kopf stolperten Gedanken übereinander. »Soll er doch glücklich werden«, brummte ich. »Am besten weit weg.« Dazu sagte Yugi nichts mehr. Als ich an dem Abend mit Bus und Bahn zum Haus meiner Mutter fuhr, hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden. Ich linste über meine Schulter, aber dort war niemand. Meine Schritte beschleunigten sich wie von selbst. Es war nervig, dauernd unter Beobachtung zu stehen. Es gab mir das Gefühl. Jede Schwäche, jeder Fehler würde dokumentiert. Und es war verdammt creepy. Wie schaffte Kaiba das nur? Dann erinnerte ich mich an das sonnige Gemüt des arroganten Eisblocks. Jeder hatte wohl seine eigene Strategie.   ***   »Ich ignorier‘ es einfach«, behauptete ich in der Pause und Tris schoss mir einen zweifelnden Blick zu. »Was soll ich sonst machen? Denen eine reinhauen?« Tristan schien es wirklich einen Augenblick lang in Betracht zu ziehen. Ich saß auf der Banklehne und er stand mir gegenüber, seine Arme überkreuz. Yugi lehnte an meinen Beinen, irgendein Schulbuch aufgeschlagen. »Vergesst das ganz schnell«, mahnte Thea giftig und setzte sich neben uns. »Am besten du sprichst Kaiba nochmals drauf an und redest auch mit deiner Mutter darüber.« In diesen Momenten fragte ich mich, ob Thea mir ab und zu zuhörte. »Immerhin ist sie deine Erziehungsberechtigte«, fuhr sie fort, als sie meinen Blick bemerkte. »Und?«, fragte ich gedehnt. »Sollte das mit den Fotografen erneut auf dem Schulhof passieren, dann sollte sie ein ernstes Wort mit der Schulleitung reden.« Ja, wunderbar. Weil meine Mutter und die Schulleitung meine besten Verbündeten waren. Ich legte missmutig mein Gesicht in meine Hände. »Außerdem solltest du dich mehr auf die Schule konzentrieren«, behauptete sie und schlug ein Schulbuch auf. Sie und Yugi passten auf eine bizarre Art und Weise eben doch zusammen.   Es war kompliziert, so zu tun, als wäre alles normal, wenn der Alltag wankte. Wenn Fotografen hinter Ecken lauerten und irgendwelche Fremden Interviewfragen stellten, während man mit seinen Freunden von der Schule nach Hause ging. Wenigstens folgten sie mir nicht bis in den Bus. Ich hätte nicht gewusst, wie ich es meiner Mutter erkläre. Nicht, dass mir ihre Meinung etwas wert gewesen wäre. Kaiba meinte, ich sollte alles über die KC laufen lassen, keine Antworten geben, sondern an die Pressestelle der Firma verweisen. Wenn er das sagte, hörte es sich so einfach an. Es war kompliziert, Bilder von sich in der Zeitung zu sehen, wenn die Schlagzeilen vom Talent zur Privatsphäre kippten. Es war, als lechzten die Zeitungen nach einer modernen Aschenputtelgeschichte. Zumindest behauptete Thea das.   Die Medien rühmten mein Talent. Und sie kramten in meiner Gegenwart. »Wer ist dieser junge Mann, der den distanzierten Jungunternehmer Seto Kaiba zum Schmelzen bringt?«, las Tristan mit einem breiten Grinsen in der Pause vor und ich stierte ihn düster an. »Sein charismatisches Lächeln scheint verborgen hinter dem Schock seines plötzlichen Ruhms. ›Ich zeichne halt‹, erwidert Joseph Wheeler (16) auf die Frage unserer Reporterin, wie sich die Leser die Arbeit in dem international renommierten Unternehmen vorstellen müssen. Er wirkt wie ein junger Mann, dem eine gewaltige Chance durch rohes Talent –« »Tristan«, knurrte ich und riss ihm den Wisch aus der Hand, irgend so ein Magazin. Die spektakuläre Trennung von – und Stimmen die Gerüchte um – waren noch Themen, auf die eine viel zu große Schrift und schlecht editierte Bilder verwiesen. »Hey, da wird es doch erst spannend!«, erwiderte er mit einem übertriebenen Zwinkern. »Wie ist Kaiba denn auf dein rohes Talent aufmerksam geworden, Joey?« »Ich mach dich gleich aufmerksam auf meine Faust«, brummte ich, aber Tris klopfte mir nur auf den Rücken und lachte. Ich zuckte mit der Schulter. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht hätte ich einfach darüber lachen sollen. Aber es war kompliziert. Kaiba ignorierte solche Artikel grundsätzlich, Mokuba grinste höchstens ab und zu, Thea verdrehte ihre Augen, Tris zog mich damit auf und Yugi drückte meine Schulter, als könnte er mir dadurch von seiner Geduld und Beharrlichkeit abgeben. Ich selbst wusste, wie es war, wenn Menschen glaubten einen zu kennen – obwohl sie einen nur kurz angesehen hatten. Und irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie es richtig war, damit umzugehen, wenn Menschen glaubten einen zu kennen und das in der Öffentlichkeit publizierten.   Die Medien rühmten mein Talent. Und sie kramten in meiner Vergangenheit. »Hey, Wheeler! Stimmt es, dass sein Vater Alkoholiker ist? Dass er dich geschlagen hat?«, fragte ein Mitschüler und irgendwelche Mädchen hinter ihm kicherten verlegen. Es war nur eine kurze Pause zwischen den Stunden, die man – in Yugis Fall – hauptsächlich damit verbrachte, Bücher ein- und auszupacken, in Tristans Fall mit dem hoffnungslosen Flirten irgendwelcher Tussen und in meinem – Ich drehte mich langsam um. War das nicht dieser Typ? Mein Magen verknotete sich. »Was ist eigentlich dein Problem?«, knurrte ich. Tristan trat neben mich, schaute von dem Mitschüler zu mir und zurück. »Kennst du den?«, murmelte er und ich verneinte. »Verschwinde«, warf ihm Tris am den Kopf, doch der Typ begann nur zu grinsen. »Also ist es wahr? Mann, du hast es echt von der Gosse nach oben geschafft, oder? Ich hab’s in diesem Magazin gelesen. Deine Eltern müssen ja wirklich –« Ich ballte die Hände und machte den ersten Schritt in seine Richtung, um ihm dieses Grinsen von den Wangen zu wischen, als eine Hand meine Schulter griff. »Tris«, begann ich, doch erstarrte mitten im Satz, als nicht seine Stimme hinter mir erklang, drehte halb meinen Kopf. »An deiner Stelle würde ich mich um meine kognitive Limitation bezüglich der Auswahl meiner Quellen sorgen.« Kaiba schaffte es, mit nur einem Blick Menschen verstummen zu lassen. Und mit einem Satz eine Argumentation zu gewinnen. Es war eine kleine Sensation, dabei zu sein – ohne, dass es mir galt. »Deine Aussagen beziehen sich auf Gerüchte und Regenbogenpresse«, fuhr er ungerührt fort, aber ließ ihn nicht aus den Augen. »Sollte ich mitbekommen, dass du weiter Gerüchte streust, wird sich die Rechtsabteilung der Kaiba Corporation näher mit dir befassen. Das gilt für jeden hier.« Sein Blick wanderte über unsere Mitschüler. Keiner wagte, sich zu bewegen. Als fürchteten sie, seinen Ärger durch eine unbedachte Bewegung auf sich zu ziehen. Mit einem Schnaufen zog er an uns allen vorbei.   Die Medien rühmten mein Talent. Und sie kramten in meiner Zukunft. Vielleicht war das das Schlimmste, denn ich hatte keine Ahnung, was ich deswegen fühlen sollte. Es war kurz vor den Herbstferien. Die letzte Woche, dann endete die Anmeldephase. Ich würde meinen Anteil bekommen und hätte nichts mehr mit diesem ganzen Trubel zu tun. Klar, es war cool, die eigenen Bilder auf Bussen zu sehen und Plakaten und in den Social Media und ab und zu einen Artikel über einen selbst in einer angesehenen Zeitung zu lesen. Die Blicke meiner Mutter nervten, aber meine Geschwister wiederholten immer, wie stolz sie auf mich waren. Es war der Rest, der mich nicht schlafen ließ.   Thea versteckte es hinter ihrem Rücken, aber zu spät. Auf den letzten Metern zur Schule riss ich ihr das Magazin aus der Hand und starrte Kaibas Bild auf dem Umschlag an – und meines. Beides offensichtlich aus dem Zusammenhang gerissen und irgendwie nebeneinander geklatscht. Würde ich mir selbst vor ein paar Jahren begegnen, was würde ich denken? Dass wir uns niemals mögen würden? Würde ich glauben, ihn – mich – zu kennen? Solche, wie er. Berühmte Menschen, die dachten, über allen und allem zu stehen. Die keine Ahnung hatten, wie es war übersehen zu werden. Oder sich zu wünschen, man könnte rennen, rennen und niemals aufhören, bis man woanders ankam? Aber wo? Oder war das hier das Ziel? Aber ich wusste trotzdem, dass das nicht alles war. Da war ein ätzendes Gefühl in meinem Magen.   Ich gewöhnte mich an die fetten Wagen, mit denen ich ab und zu zur Schule fuhr und die mich vor der Tür meiner Mutter ablieferten. Ich gewöhnte mich an Kaibas Atem, wenn wir nachts nebeneinanderlagen. Ich gewöhnte mich an seine Wärme, wenn er mich berührte, sobald wir nur zu zweit waren, als wäre es nichts Ungewöhnliches. Ich gewöhnte mich daran, nicht zu hinterfragen, ob das zutraf. Vielleicht traf mich die Frage deswegen, wie ein Pfeil mitten in den Magen.   Kaiba verließ das Auto als erster, sah man von Roland ab, ich folgte ihm. Da stand ich inmitten eines Blitzhagels, der mich blendete. »So viel dazu, beim Hintereingang wird es ruhiger sein«, griente Mokuba, als wäre das alles ein großes Spiel. »Stimmt es?«, rief ein Reporter und drängte zu uns. »Herr Kaiba wünscht, dass Sie seine Privatsphäre respektieren«, ertönte Roland über die Fragen der Journalisten hinweg. Security-Kräfte schirmten uns von ihnen ab. »Herr Wheeler, Herr Wheeler! Verbringen Sie regelmäßig die Nächte in Herr Kaibas Privatsitz?« Etwas in mir gefror. Warum klang es so anrüchig, wenn die das sagten? Mokuba schritt knapp hinter, Kaiba vor mir. Es war als stachen die Journalisten wie Wespen mit ihren Fragen in meine gleichmütige Fassade und nur die Ruhe der beiden ließ mich nicht ausrasten. Wenn Kaiba dieses Schauspiel vortrug, sah es so leicht aus. Ich wollte am liebsten auf meinen Fersen umkehren und diese Reporter so lange schütteln, bis sie ihre Fragen vergaßen. »Bei Fragen wenden Sie sich an die Pressestelle der Kaiba Corporation«, betonte Roland und dann verschwanden wir durch den Eingang und die Wände der Firma verschluckten die Fragen der Journalisten, deren Antworten wir sicherlich morgen in diversen Ausschmückungen würden lesen können. Antworten, die nicht einmal ich kannte.   »Ich hab‘ das Gefühl, ich werde nie wieder ein normales Leben haben«, seufzte ich und schlurfte an einem heißen Kakao, die mir Kaibas Sekretärin gebracht hatte. »Ich dachte, das wäre dein Ziel«, erwiderte Kaiba, während er vor seinen Bildschirmen saß und Mokuba und mich ansonsten kaum beachtete. Wir zockten eine Runde Karten. »Dein so banales Leben hinter dir lassen und allen beweisen, wie großartig du bist.« Ich legte den Kopf zur Seite, sank tiefer in die Couch, von der aus man Domino überblickte – und auch Kaiba an seinem Schreibtisch gut beobachten konnte. Obwohl es aus seinem Mund höhnisch klang, hatte er nicht Unrecht. Oder? War das mein Ziel? »Ruhm und Reichtum bis ans Ende deiner Tage«, spöttelte Kaiba und nippte an seinem Kaffee. »So ein Bullshit«, brummte ich. »Wie oft soll ich’s noch sagen? Ich will nicht deinen bescheuerten Ruhm oder dein Geld oder –« »Ich weiß.« Damit brachte er mich aus dem Konzept. Ich glotzte ihn an und hielt in meinem Zug inne. Mokuba versuchte in mein Blatt zu linsten, ich hielt es bedeckt. »Und genau das ist das Problem«, erklärte Kaiba. »Ich werde niemals ein einfacher Junge von nebenan sein, Joey.« Ich machte den Mund auf, aber er bedeutete mir, die Klappe zu halten und ihn sprechen zu lassen. »Reporter werden sich immer auf Details in meinem Leben stürzen, Menschen werden schadenfroh über vermeintliche Niederlagen berichten, es wird immer wieder Gerüchte geben und ich kann mich nicht davor verstecken. Wir können nicht für immer in diesem Büro bleiben.« Mein Blick senkte sich auf meine Hände und den Kartenstapel vor mir. Ich spürte Mokubas Blick, der abwechselnd auf mir und seinem Bruder ruhte. »Es ist ein schönes Büro«, murmelte ich trotzig. Mokuba schnaufte und Kaiba verdrehte die Augen, aber das Schmunzeln in ihren Winkeln machte seine Mimik sanft. Nicht, dass es sonst jemand bemerken würde. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. »Ja, ja. Schon kapiert«, schnaufte ich, obwohl ich mir gar nicht so sicher war, dass ich es wirklich begriff. Ich hatte nur so eine Ahnung. »Seto«, maulte Mokuba. »Du hast es versprochen!« Kaibas Blick schnellte von seinen Bildschirmen zu uns. »Später«, erwiderte er und Mokuba biss seine Lippen aufeinander, legte seine Karte, sprang auf und rauschte aus dem Büro. Ich starrte ihm nach, dann auf den Tisch. Er hatte gewonnen.   Ich brauchte eine Menge Glück und die Mehrheit der Zeitungsleser hätte bescheinigt, dass ich ein Glückspilz war. Die Medien rühmten mein Talent und Seto Kaiba schuf die Plattform, meine Begabung auszuleben, während er mich gleichzeitig abschirmte vor all den Fragen, die nach und nach auftauchten. Ich dachte eine ganze Weile, dass ich es ohne fremde Hilfe schaffen müsste. Aber wenn man genau hinsah, dann konnte das niemand. Nicht einmal Seto Kaiba. Wenn ich früher solche reichen Kids im Fernsehen sah, dann war ich neidisch. Ich dachte, sie könnten ein Leben ohne Probleme leben. Hätten keine Sorgen und würden die pure Freiheit genießen. Dann traf ich Kaiba. Und Mokuba.   Es war das Wochenende vor Anmeldeschluss. Das Turnier war Thema Nummer Eins in der Schule und in der Presse. Thema Nummer Zwei, wenn es nach Theas Einschätzung gegangen wäre. In der Firma brach euphorischer Stress aus. Und dann knallten Korken. Die Anmeldung übertraf jede Erwartung. Die Kampagne war ein Erfolg, der mir in die Knie rauschte und alles ganz wabbelig machte. Als versuchte ich über Wolken zu spazieren, die wie Trampoline federten. Glückwünsche und Rufe und Lachen drang durch die Animation Studios und selbst Herr Le aus der Marketing-Abteilung wirkte nicht wie Graf Dracula kurz bevor er sich über seine Opfer hermachte. Hände streckten sich mir entgegen und ich schüttelte so viele, dass die Gesichter an mir vorbeizogen, ohne dass ich sie wirklich zur Kenntnis nahm. »Sie zeigten sich letztlich als nicht so unfähig wie die Mehrheit befürchtet hatte«, waren Herr Lees Gratulationsworte. Ob er Recht hatte und es die Mehrheit gewesen war? Ich erinnerte mich kaum, wie es hier anfangs gewesen war. Man gewöhnte sich doch so schnell an den Erfolg. Es war beängstigend. Mailo zog mich in eine knappe Umarmung und das Team von den Animation Studios sammelte sich um mich. Ich genoss die Aufmerksamkeit. Hatte ich anfangs nicht bei jedem Schritt befürchtet, ich würde etwas falsch machen? Mein Blick fiel auf Kaiba, der an der Wand lehnte. Er stand abseits seiner Mitarbeiter und trotz seines jüngeren Alters, könnte man seine Führungsposition nicht übersehen. Seine Mimik sprach Bände. Er passte nicht hinein in diese Meute von gelösten und schwatzenden Geschäftsleuten, obwohl er selbst einer davon war. Erst als es allmählich ruhiger um mich wurde, trat Kaiba an mich heran. Er neigte seinen Kopf und flüsterte die Worte in mein Ohr. Sein Atem streifte meine Haut. »Herzlichen Glückwunsch, Wheeler.« Die Zeit stolperte. Um uns herrschte freudiges Chaos, aber wir beide bewegten uns wie in Zeitlupe. Er überreichte mir den Scheck und die Nullen verschwammen vor meinen Augen. Er fing meinen Blick ein, ehe er seinen über die Abteilung schweifen ließ, all die Mitarbeiter, die euphorisch anstießen und nicht einmal vor ihm haltmachten. »Du hast deinen Auftrag hier erfolgreich beendet. Damit werden dir einige Türen offen stehen in Zukunft. Du wirst beispielsweise die Möglichkeit haben, dich mit deinem Fachabitur bei guten Firmen für ein duales Studium zu bewerben.« Ich starrte ihn an und dann ganz langsam spürte ich, wie sich ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitete. Die Zukunft. Es gab so viele Möglichkeiten. Offene Türen. Von außen betrachtet war ich ein Glückspilz. »Was ist –«, begann ich leise, während ich den Scheck zusammenfaltete und in meine Hosentasche steckte, »wenn ich hier bleiben will?« Ich sah auf und er runzelte die Stirn. »Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist«, flüsterte er steif und wandte sich zum Gehen. Einige Mitarbeiter kamen auf mich zu und stießen mit mir an, während ich das Gefühl hatte, mein Lächeln würde aus meinem Gesicht bröckeln. Ich sah ihm nach und spürte, wie mir jemand auf die Schulter klopfte. Ich erwiderte das Lächeln. Von außen war immer so eine Sache.   Ich hatte geglaubt, ich bräuchte nur ein bisschen Glück und eine Chance. Aber irgendwann kapierte ich, dass ein Mensch nie genug vom Glück bekam und mit jeder Chance gierte er nach einer größeren. Und dabei vergaß er, wen er mit jeder weiteren ein Stückchen mehr zurückließ.   Spät am Abend, als nur noch wenige Mitarbeiter um freie Getränke und Fingerfood standen, trottete Mokuba herein. Sein Blick glitt über die Anwesenden, als suchte er jemanden, dann entdeckte er mich, zögerte, schritt auf mich zu. »Mokuba, es ist schon ziemlich spät. Wo warst du denn? Ich hab‘ dich gar nicht –« »Auf dem Dach«, erwiderte er kurzangebunden. Er wich meinem Blick aus, aber ich sah trotzdem die geröteten Ränder. Seine blauen Augen glänzten. »Mokuba, hast du –« Ich unterbrach mich, schaute über meine Schulter und verabschiedete mich kurzerhand, legte meinen Arm um Mokubas Schultern und führte ihn aus den Animation Studios. »Du suchst bestimmt deinen Bruder, der ist jetzt –« »Im Büro«, schnappte er, »wo sonst?« Ich blieb stehen und Mokuba nuschelte eine Entschuldigung, drängte, weiterzugehen, aber ich hielt ihn am Ärmel und er blieb stehen. Er starrte auf seine Schuhe und ich fragte mich, was ich übersehen hatte. Oder ob ich es gesehen hatte, aber nie für wirklich ernst genommen. Ob ich gedacht hatte, es würde schon alles wieder in Ordnung gehen. Bevor ich meine erste Frage formulieren konnte, zog Mokuba mir den Boden weg. »Liebst du ihn?« Ich starrte ihn an, öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder. »Ich meine, meinen Bruder?«, spezifizierte er und trat von einem Bein aufs andere, verknotete seine Finger ineinander. Ich schluckte. Da waren viele Gefühle. Wärme, Anspannung, Erwartung, Vertrauen, auch ein bisschen Neid, der manchmal in meinen Magen biss. Aber vor allem waren da viele Fragen und das Gefühl, ihn zu vermissen, wenn er nicht da war. War das schon Liebe? »Wenn nein, dann solltest du dich schnell aus dem Staub machen«, fuhr er fort und ich glaubte, ein Zittern in den Worten zu hören. »Und wenn ja«, sein Satz verlor sich, dann schaute er auf, fing meinen Blick auf, starrte mich an mit seinen blauen Augen, die die seines Bruders so verdammt ähnlich sahen und so total anders waren. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln, als er sich abwandte. »Dann solltest du gehen, solange du kannst. Solange du noch glücklich bist.« Von außen betrachtet waren wir Glückspilze. Von außen war immer so eine Sache.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)