Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 55: … bin keine Familie -------------------------------       __________________________________________   Behandele deine Freunde wie Familie und deine Familie wie deine Freunde. © Michael Slung   __________________________________________       Ich entwickelte keine Spiele und war kein erfolgreicher Unternehmer. Ich verstand trotzdem – oder gerade deswegen – wie man Spaß hatte. So einen Abend mit Freunden zum Beispiel. Anders als Seto Kaiba. Spiele waren für ihn Arbeit, sie waren für ihn Kapitalanlagen, Projekte und Produkte. Vielleicht war er deswegen so ein Spielverderber.   »Du hast es versprochen«, erinnerte Mokuba ihn und ich sah, wie Kaiba kurz innehielt, nur um dann wieder schneller zu tippen. Wir saßen im Wohnzimmer. Kaiba halb hinter seinem Laptop, ich mit Mokuba vor dem Fernseher, die Controller in den Händen. Irgendwo draußen erfanden Journalisten bestimmt irgendwelche Geschichten, was hier drinnen passierte. Aber das interessierte mich nicht. Nicht solange ich in diesem Zimmer war. Hier gab es nur Kaiba und Mokuba und mich. Wie eine Seifenblase. »Joey, du bist doch noch dabei, oder? Das wird richtig cool! Alle zusammen und ein richtig cooler Spielabend!« Mokubas Vorfreude gab mir gar keine andere Möglichkeit als dabei zu sein, also nickte ich und grinste ihn an. Aber dann fiel mein Blick auf Kaiba, der weder nickte noch grinste. Er seufzte. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, aber wie er seine Stirn in Falten legte und Mokubas Blick mied – vielleicht war er genervt, vielleicht arbeitete er zu viel. Vielleicht beides. Bei Kaiba wusste man nie, wann zu viel zu viel war. Er selbst behauptete ja, das gäbe es nicht. Dann schaute er seinen kleinen Bruder an und sagte zu. Einen Augenblick lang war ich mir sicher, er hätte seine Meinung in der Sekunde geändert, aber das behielt ich für mich. Mokuba fischte sein Handy aus der Hosentasche und begann wild herumzutelefonieren. »Hey, ich bin’s, Mokuba! Ja, Yugi, ich wollte nur Bescheid geben, dass –« Mein Blick wanderte zu Kaiba, der schon wieder auf sein Smartphone schaute.   Vielleicht redeten wir uns ein, dass wir Sachen auch noch später regeln konnten, weil wir das wirklich glaubten. Weil wir nicht daran dachten, dass es irgendwann zu spät sein könnte oder dass es vielleicht kein später gab. Wir versanken im Alltag und unseren Verpflichtungen und verloren die wirklich wichtigen Dinge aus den Augen. Und manchmal bemerkten wir nicht einmal, wann das später vorbei war.   Wochenenden waren zum Chillen da, zum Trash-TV schauen und zum Ausschlafen. Zumindest meine Wochenenden. Seto Kaibas Wochenenden unterschieden sich von den restlichen Tagen darin, dass er nicht zur Schule musste und den ganzen Tag in der Firma verbringen konnte. Ich hing auf der Couch und legte ein Magazin weg, welches das nahende Turnier anpries, schaute zu Kaiba, der aus dem Fenster starrte. »Morgen Abend ist Mokubas Spielabend.« Er reagierte nicht. »Er hat die Gang eingeladen, aber eigentlich freut er sich nur auf dich.« Kaiba zeigte mit keiner Regung, ob er mir zuhörte. »Vielleicht fliegt er aber auch nach Vegas und heiratet einen Riesenplüschbär.« Kaiba schnaubte. »Wheeler, ich höre dir zu, auch, wenn ich mich in solchen Momenten frage, wieso.« Ich grinste, sprang von dem Sofa und schlenderte zum Schreibtisch, wo er seinen Laptop ignorierte. Ich betrachtete ihn eine Weile. Sein Kinn hatte er auf beide Hände gestützt, während er nach draußen schaute. Der Laptop sirrte leise und ging dann in den Ruhemodus. Plötzlich war es still. »Ist alles okay?« Er blinzelte und schaute mich an, als bemerkte erst jetzt, dass ich vor ihm stand. »Ich meine nur, weil du voll abgelenkt bist.« »Ja, alles okay.« Auf Kaibaisch bedeutete das so viel wie, nein, aber solltest du weiterbohren, lasse ich dich aus dem Zimmer werfen. Also seufzte ich, ließ ihn in Ruhe – ausnahmsweise – und zog meinen Rucksack über die Schulter. »Ich bin bei Yugi. Wir sehen uns morgen Abend.« Er antwortete nicht.   »Vielleicht hat er einfach vor dem Turnier viel zu tun«, sagte Yugi und ich schnaubte. »Kaiba hat immer viel zu tun. Er lebt dafür, viel zu tun zu haben. Sollte er irgendwann einmal nicht voll im Stress stehen, fällt er womöglich auseinander und wir müssen ihn ans Stromnetz anschließen, um ihn wiederaufzuladen.« Wir saßen auf der Terrasse, obwohl es noch zu frisch war, um ohne Jacke die Luft draußen zu genießen. Einige lila Blüten durchbrachen das Braun und das Gras wirkte nicht mehr so farblos wie noch vor ein paar Wochen. »Wie geht es eigentlich dir, Joey?« »Gut. Der Ruhm steigt mir nicht in den Kopf, falls du das meinst.« Ich grinste schief und Yugi schüttelte langsam den Kopf, lächelte. »Und mit deiner Familie?« Ich lehnte mich zurück, spürte die Sonne in meinem Gesicht, ehe die Wolken sich davorschoben. »Ja, alles okay.« Ich glaubte mir fast selbst.   Am nächsten Abend schlenderte ich mit Yugi durch den Kaibaschen Vorgarten. Vom Eingang hingen bunte Girlanden, auf denen Figuren aus verschiedenen Videospielen zu sehen waren. Natürlich fehlte auch nicht der Weiße Drache mit Eiskaltem Blick. Mokuba öffnete die Tür, bevor wir klingeln konnten und er quatschte uns zu, ohne einen Atemzug zu nehmen. Tris, Thea und Mokubas engste Schulfreunde begrüßten uns in einem Zimmer, von dem ich bisher gedachte hatte, es könnte nur in meinen Träumen existieren. Chips und Gummibärchen und Schokolade und die neuesten Videospiele und Kartenspiele und – so viele Spiele hatte ich noch nie in einem Raum gesehen. Selbst der Spielladen von Yugis Großvater wirkte dagegen nur wie eine kleine Vorratskammer. Alle möglichen Konsolen und ich hätte schwören können, dass einige Versionen noch nicht auf dem offiziellen Markt waren. Girlanden und Käsespieße und flimmernde Bildschirme. »Hast du das alles selbst gemacht?« Thea stand der Mund offen. »Ich hatte Hilfe«, winkte Mokuba ab. Anders als sein Bruder haftete Bescheidenheit an seinen Worten. »Aber ich habe es organisiert.« Er grinste stolz, dann bröckelte es. »Aber was soll’s. Ist nichts Besonderes.« »So ein Unsinn«, widersprach Thea. »Das ist großartig!« Yugi stimmte zu und Mokubas Freunde waren hin und weg. »In meinem Alter hat Seto schon internationale Meetings organisiert«, murmelte Mokuba und ich warf einen Blick in unsere Runde. Thea trat von einem Fuß auf den anderen. Yugi schwieg und Tris erwiderte meinen Blick beklemmt. In Mokubas Alter hatte Kaiba auch schon einen Schaden, da war ich mir sicher. Aber das behielt ich für mich. »Komm schon, Alter. Das wird genial«, zerrüttete ich die Stille und klatschte in die Hände.     Mokubas Freunde stürzten sich auf die Videospiele, Yugi blieb bei einigen Karten hängen und ich konnte mich gar nicht entscheiden. Tris nahm mir die Qual der Wahl ab und zog mich zu einer Konsole. »Wo ist eigentlich Kaiba?«, raunte Tris, während ich ihn total abzog und schaute mich an. »Hey, woher soll ich das wissen?« Bevor er antworten konnte, seine Mundwinkel zu einem Grinsen verschoben, verdrehte ich die Augen und winkte ab. »Behalt’s besser für dich«, warnte ich und boxte ihn gegen den Oberarm, dann schaute ich über meine Schulter. »Sag mal, Mokuba, hat Kaiba dir –« Als ich seinen Blick sah, verstummte ich. »Er verspätet sich bestimmt nur«, sprang Thea ein und lächelte ihn an, aber Mokubas Mimik entspannte sich nur oberflächlich. Ich hoffte für Kaiba, dass er sich nur etwas verspätete. Ich hoffte es wirklich. Der Abend verflog zwischen Gesellschafts- und Videospielen (»Du weißt schon, dass das Spiel hier nicht FSK 18 ist?« »Das Wort war Schokobanane, verdammt!«) und den Versuchen, Mokuba von der Abwesenheit seines Bruders abzulenken (»Mokuba, du bist dran!« »Ich war eben schon dran, Joey.« »Egal, Tris kapiert das Spiel eh nicht.«). Ich war mir fast sicher, dass wir es irgendwie geschafft hatten, als jemand die Tür aufschob und Seto Kaiba hindurchtrat. Wir verstummten. Er schaute in die Runde, sein Blick blieb an Mokuba hängen, dann an mir, dann an der Uhr an der Wand. Es war gut halb zwölf durch. »Ihr seid noch hier«, sagte er und öffnete den Mund, um noch mehr zu sagen. Mokuba sprang auf und stürmte aus dem Zimmer. Die Stille, die folgte, wog schwer in meinem Magen. Als hätte ich all die Videospiele verschluckt. Ich räusperte mich, kämpfte mit dem Drang, Kaiba in seine nüchterne Mimik zu schlagen und petzte die Augen zusammen. »Wo zur Hölle warst du die ganze Zeit?«, zischte ich. »Nicht, dass es dich etwas angeht, Wheeler, aber ich hatte wichtige –« Ich riss die Augen auf und stach mit meinem Zeigefinger in seine Brust. »Dein Bruder wartet hier die halbe Nacht auf dich, du Arsch!«, geiferte ich. »Sag das nicht mir, sondern ihm. Verdammter Geldsack!« Er atmete tief aus und als ich ihn ansah, wirklich ansah, bemerkte ich, wie müde er ausschaute. Nein, nicht müde. Es war anders. Wie jemand, der von Gedanken überrollt wurde, sogar dann, wenn er schlief. Alpträume oder das Gefühl, am Morgen immer noch darin gefangen zu sein. Vielleicht interpretierte ich aber zu viel in die roten Äderchen in seinen Augen. »Was ist denn –« Kaibas Blick schweifte über die Anwesenden, dann wandte er sich mit einem Ruck um und verschwand aus dem Zimmer. »Was zur Hölle war denn das?«, fragte Tristan. Dann, wenn ich glaubte, Kaiba zu verstehen, passierte etwas und ich verstand nur, dass ich ihn nicht verstand. Wie eine Seifenblase, kurz vorm Platzen. »Keine Ahnung«, murmelte ich.   Roland kümmerte sich darum, Mokubas Freunde sicher nach Hause zu bringen. Yugi, Thea und Tris warteten mit mir im Wohnzimmer. Ich starrte auf den Zeiger der Uhr. Am liebsten wollte ich zu Kaiba stürmen und ihn jede Minute seiner Verspätung bereuen lassen, aber Yugis Hand auf meinem Arm hielt mich davon ab. Wir saßen auf der Couch, als hätte uns der Postbote hier vergessen. Und der Empfänger. »Er spricht sich bestimmt mit Mokuba aus. Das ist gut«, versicherte Yugi mir. »Vielleicht sollten wir die beiden jetzt erst einmal in Ruhe lassen.« Vielleicht. Vielleicht sollte ich Kaiba anbrüllen und ihm sagen, was für ein riesen – wahrscheinlich hatte Yugi Recht. Widerstrebend erhob ich mich vom Sofa. »Wir sollten uns ein Taxi nehmen«, schlug Thea vor und griff nach ihrem Handy. »Wir schauen später nach den beiden. Oder du gehst heute Abend nochmal bei ihnen vorbei«, sagte Yugi in meine Richtung. Ich seufzte. Ganz toll. Nach so einem Abend wieder bei meiner Mutter im Haus zu landen. Überall besser als dort. Aber hier zu bleiben war momentan keine wirklich angenehme Alternative. »Ja, lass uns später –« Vielleicht redeten wir uns ein, dass wir Sachen auch noch später regeln konnten, weil wir das wirklich glaubten. Weil wir nicht daran dachten, dass es irgendwann zu spät sein könnte oder dass es vielleicht kein später gab. Wir versanken im Alltag und unseren Verpflichtungen und verloren die wirklich wichtigen Dinge aus den Augen. Und manchmal bemerkten wir nicht einmal, wann das später vorbei war. In dem Moment stand Kaiba in der Tür. Er war leicht außer Atem, auch wenn er das überspielen wollte. Sein Haar stand an der einen Seite unordentlich von seinem Kopf, als wäre er mit seinen Fingern durch die Strähnen gefahren, ohne darüber nachzudenken, was das für seine Frisur bedeutete. »Wir wollten gerade –«, begann Yugi, doch Kaibas Worte durchschnitten seinen Satz. »Er ist nicht hier.« Die Stille im Raum schwoll an, wie ein Luftballon kurz vorm Platzen. Ich starrte Kaiba an, dann Yugi, dann Kaiba. »Wer? Wo?«, fragte Tris irritiert. »Kaiba, beruhig dich«, sagte ich, als mir die Situation langsam dämmerte und mein Blick Kaiba folgte, der hin und her schritt, wie jemand dessen Wut nur durch Bewegung zurückgehalten werden konnte. Aber es war keine Wut. »Ich bin ruhig«, knurrte er. Ich zog meine Augenbrauen hoch und er erwiderte meinen Blick. Ich hielt ihm stand und Kaiba hielt inne. Dann ließ er sich mit einem Geräusch, das einem Seufzen glich, auf das Sofa fallen. Er stützte die Stirn mit einer Hand. »Er ist nicht in seinem Zimmer. Er ist nicht in meinem. Nicht im Büro, in keinem der Spielzimmer, nicht im Musikzimmer, nicht im Sportstudio.« Ich schluckte die Anmerkung, dass ich nicht einmal gewusst hatte, dass es mehrere Spielzimmer gab oder ein Musikzimmer oder ein Sportstudio. »Vielleicht ist er in den Garten, um sich abzuregen«, gab Thea zu bedenken und zuckte nicht einmal zusammen, als Kaibas eisiger Blick sie traf. »Er würde um diese Uhrzeit nicht alleine –« »Er ist enttäuscht und wütend, sicherlich sollten wir es in Betracht ziehen, dass er nach draußen gerannt ist«, unterbrach Thea ihn und ich konnte nicht anders als etwas Ehrfurcht für ihre Kühnheit zu empfinden. Und Ärger auf Kaiba. Der zog sein Smartphone aus der Tasche. »Haben Sie ihn?«, raunte er ohne Begrüßung hinein, hörte zu und legte dann ohne Verabschiedung auf. »Er ist nicht im Garten.« Ich fragte nicht nach, woher Kaiba das wusste. Wahrscheinlich Drohnen oder Videoüberwachung. Oder ein Mikrochip, den er Mokuba eingepflanzt hatte. Oder eine Mischung. »Die Sicherheitskräfte der Kaiba Corporation durchsuchen das Haus und das umliegende Gebiet. Er befindet sich wahrscheinlich nicht auf diesem Gelände«, fuhr er fort. Oder Sicherheitskräfte. »Ganz ehrlich. Er will wahrscheinlich nur etwas Ruhe vor dir. Da würde ich mich auch nicht hier verstecken«, brummte ich und ließ mich neben Kaiba auf der Couch nieder. Als die Atmosphäre gegen meine Schläfen drückte, sah ich auf. »Was? Ich meine ja nur, dass er clever ist«, erwiderte ich auf die ganzen Blicke. Den Kommentar, dass das wohl in der Familie lag, schluckte ich. Immerhin war Kaiba an der ganzen Sache irgendwie schuld. »Wahrscheinlich ist er zu Freunden und taucht morgen früh wieder auf.« »Roland hat die engsten Freunde erst nach Hause gebracht und die anderen wurden telefonisch verständigt«, erwiderte Kaiba tonlos. »Oder vielleicht in die KC?«, schlug Tris vor und ich starrte ihn an. »Keine dumme Idee«, erwiderte ich. »Hey, warum hörst du dich so überrascht an?«, ätzte er, ich klopfte ihm mit einem schiefen Grinsen auf die Schulter. »Wäre er dort, hätten mir die Securitykräfte bereits Bescheid gegeben«, widersprach Kaiba. »Also doch eine dumme Idee«, meinte ich und Tris verdrehte die Augen. »Aber das wäre Mokuba klar. Ich an seiner Stelle würde mich nicht dort verstecken, wo man mich erwarten würde.« »Erstaunlich clever«, höhnte Kaiba. Ich öffnete den Mund, aber dann schloss ich ihn wieder. Das war Hohn, aber der verpackte etwas ganz Anderes. »Wir finden ihn«, sagte ich und erhob mich, streckte die Faust in die Höhe und wollte losspazieren, als Kaiba schnaubte. »Er hat sein Handy hiergelassen, ich kann ich nicht einmal orten.« Mir klappte der Mund auf. »Du kannst Leute mit ihren Handys orten?« Er warf mir einen Blick zu und ließ sich nicht einmal zu einer Antwort herab. Also Kaiba konnte – wie in einem schlechten Spionagefilm – Menschen anhand ihrer Handys ausfindig machen. Aber Mokuba war clever. Verdammt. »Vielleicht kann Mokuba dann auch deine Security-Typen überlisten«, überlegte ich laut. »Er könnte sich in das System hacken und alles ausschalten und –« Kaiba sah mich mit dem Welchen-Müll-labert-er-schon-wieder?-Blick an, auch, wenn er es sicherlich anders ausgedrückt hätte. »Wahrscheinlich könnte er das.« Ich blinzelte überrascht. »Aber warum sollte er das tun?«, mischte sich Thea ein. »Er ist sicherlich aufgewühlt und will ein bisschen Ruhe – nicht irgendein Sicherheitssystem seines Bruders knacken. Warum –« Und dann fiel mir etwas ein. Ich riss meine Augen auf. »Außer er will es«, entfuhr es mir und ich presste meine Hände auf die Augen, bis die bunten Pünktchen davor tanzten. Wie wütend war Mokuba? Wie sehr von seinem Bruder enttäuscht? Würde er seine eigene Sicherheit riskieren? »Glaubst du, Mokuba würde der KC ernsthaft schaden wollen?«, fragte ich und legte mein Genick in den Nacken. »Wovon sprichst du?« Ich neigte mein Gesicht und schaute ihn an, wog ab, was realistisch war und was zu drastisch. Wie oft hatte Kaiba Mokuba verletzt? Ihn zurückstecken lassen – hinter der Firma? Wie wichtig behauptete Kaiba, wäre ihm Mokuba und wie oft hat er ihn für die KC vertröstet? Was war schon Familie? Menschen, die glaubten, besser zu wissen, was gut für dich ist? Menschen, die dich zurückließen? Menschen, die dich prägen, ob du sie kennst oder nicht. Die dich begleiten, selbst, wenn sie nicht da sind. Ob positiv oder negativ. Familie war keineswegs perfekt. Aber Mokuba hatte einen Plan gehegt. Oder? »Wir müssen unbedingt zur KC«, drängte ich und sah in die Runde. Oder war es nur ein Hirngespinst? Kaiba sah mich entgeistert an, aber Yugi trat sofort an meine Seite. »Wir helfen. Was können wir tun?«, fragte Yugi. »Geht nach Hause«, antwortete Kaiba Noch bevor die drei protestieren konnten, wiederholte er sich. »Geht nach Hause. Sollte Mokuba bei euch auftauchen, gebt mir sofort Bescheid.« »Ist vielleicht nicht dumm. Ihr haltet zu Hause Stellung und wir –« »Wheeler, du auch.« Er erhob sich. »Was? Nein. Auf keinen Fall!« »Meine Leute kümmern sich um die Situation hier. Ihr steht dabei nur im Weg.« Es klang nach einem Du in meinen Ohren. »Ich gehe nicht.« Kaiba musste sich jeden Morgen entscheiden, welche Priorität er setzte und mit den Konsequenzen leben. »Wheeler, ich wiederhole mich nicht noch einmal. Deine konsequente Inkompetenz –« Aber wer von uns musste das nicht? »Wenn es dir hilft, deine Nerven zu behalten, beschimpf mich, mach mich runter! Ist mir egal. Aber ich werde dich jetzt nicht einfach alleine lassen, kapiert?«, rief ich und dann herrschte Stille. Alle starrten mich an. Wahrscheinlich hätte ich mich auch so angestarrt. Kaiba atmete tief durch, als versuchte er sich so zu beherrschen. Aber es war mir egal. Sollte er ausrasten. Das war unwichtig. Viel wichtiger war jetzt Mokuba. »Warum?«, fragte Kaiba nach einer kleinen Ewigkeit und bewegte kaum seine Lippen, als wäre er eingefroren. Ich öffnete den Mund. Weil er auch für mich da gewesen war? Weil ich mich um Mokuba sorgte? Weil ich Freunde nicht im Stich ließ? Weil es keinen Grund brauchte? Ich seufzte, legte meine Hand auf seine Schulter. Er sah nicht auf. Ich war nicht Familie. An meinen guten Tagen wusste ich nicht einmal, wie es sich anfühlte, eine intakte Familie zu haben. Vielleicht waren wir nicht einmal wirklich Freunde, sondern etwas dazwischen. Etwas, was niemand benannte, weil es vielleicht sonst zerriss. Aber das interessierte mich nicht. Nicht solange ich in diesem Zimmer war. Hier gab es nur uns. Wie eine Seifenblase. Nicht, solange ich bei ihm war. Solange dieses Etwas zwischen uns nicht zerplatzte. »Wir finden ihn, Seto.« Er reckte sein Gesicht und erwiderte meinen Blick, erhob sich von dem Sofa, so dass wir uns gegenüberstanden. Sein Brustkorb bewegte sich schneller als normal, vielleicht war es Zorn, vielleicht das Gefühl, nicht genug atmen zu können. Ich kannte das. Manchmal fühlte es sich gleich an. Als würde man rennen, ohne zu wissen wohin und innerlich explodieren, weil die Welt Kopf stand. Dann ging er los und ließ mich stehen und ich sah ihm nach. »Ich warte nicht auf dich, Wheeler«, sagte er, während er durch die Tür trat und ein schiefes Lächeln sprang auf meine Lippen. Ich folgte ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)