Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 64: ... bin mittendrin ------------------------------ __________________________________________   Wagst schnell mal einen Schritt zur Seite, willst einmal nur du selber sein! Vor dir liegt blühend schöne Weite, du mittendrin, allein. Allein! © Gabi Künzel   __________________________________________           Ich war ein Chaot, ein Schmarotzer und ein asozialer Idiot. »Was zur Hölle machst du hier?«, fragte ich zwischen zusammengekniffenen Lippen. Er lachte leise und hob die Hände. Das waren Rollen, in denen mich jeder kannte – mehr oder weniger. Einer, der nicht wusste, was er wollte. Der, der statt zu reden, zuschlug. Jemand, der nicht lange fackelte, sondern sich mitten ins Geschehen stürzte – ohne Rücksicht auf Verluste. Vor ein paar Jahren wäre ich auf ihn losgegangen. Ich hätte ihn an seinen Haaren aus meinem Zimmer geschleift und aus der Haustür getreten. Wortwörtlich. Eins. »Keine Sorge, ich habe nichts durcheinander gebracht in deiner Fanboy-Sammlung.« Einen Augenblick lang erwog ich die Option nach seinem Spruch auch jetzt, aber ich war nicht dumm. Zwei. »Was willst du?«, fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Christian war kein Typ, der einen nur belästigte, um zu belästigen. Dafür hatte er zu viel auf dem Kasten. Er wäre nicht extra hierhergekommen, nur um mich auf hundertachtzig zu bekommen. »Ich hätte einen Vorschlag«, sagte er, nahm sich eines der Fotos und strich mit seinem Zeigefinger darüber. Mokuba war darauf abgebildet. Nicht älter als sechs Jahre. Wie er sich an einen kleinen Seto Kaiba hängte und lachte. Drei. Am liebsten hätte ich es ihm aus der Hand geschlagen, aber darauf legte er es sicherlich an. Ich würde ihm nicht mehr Karten in die Hand geben, als er ohnehin schon zu haben glaubte. »Willst du, dass ich dir jedes beschissene Wort aus der Nase ziehe oder sagst du jetzt mal endlich, was los ist?«, brach es dann doch aus mir heraus, als er einfach nur schwieg und das Bild betrachtete. »Ich hatte eine Idee, an der du sicherlich interessiert bist«, sagte er ganz ruhig, ohne mich anzusehen. »Statt auf dem armen, kleinen Mokuba herumzuhacken, meine ich.« Vier. Er verstummte und zeichnete mit seinem Finger Mokubas Konturen nach. Diese Geste wirkte viel zu vertraut, als überschritt er hier vor meinen Augen eine Grenze, die er nicht einmal anzusehen hatte. In mir stieg das Gefühl auf, ihn am Kragen zu packen, seinen Blick von diesen Bildern zu reißen und ihm das Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. »Wobei er ja gar nicht so arm ist, nicht?« Fünf. Er lachte über seinen eigenen Scherz. »Aber das ist sicherlich Ansichtssache«, fuhr er nüchtern fort. Ich blieb ruhig. Ich blieb ruhig. Ich blieb ruhig. Ich blieb – »Was soll die Scheiße hier? Willst du jetzt stattdessen auf mir herumhacken oder was? Warum bist du hier?« Christian lachte. »Das wäre zu primitiv. Nein.« Er legte das Bild zurück, schlug ein Bein über das andere und sah mir direkt in die Augen. »Stattdessen knüpfe ich mir den reichen großen Seto Kaiba vor.« Mir blieb die Spucke weg. Bitte was? Der Typ tickte doch nicht ganz richtig. »Du hast keine Chance gegen ihn«, sprach ich laut aus, was mir als erstes durch den Kopf schoss. »Und da kommst du ins Spiel.« »Ja, nee. Ist klar«, spottete ich und runzelte die Stirn, aber er ließ sich kein bisschen verunsichern.   »Ist es dir noch nicht aufgefallen? Du regst dich dermaßen über mich auf, willst Mokuba um jeden Preis vor mir schützen. Aber weißt du, was du dabei übersiehst?« Einen zuverlässigen Weg, um Christian auszuschalten? Auf einem nicht ganz illegalen Weg? »Den größten Bully von allen. Der, der Mokubas Leben wirklich zur Hölle macht. Das bin nicht ich.« Und in diesem Augenblick ahnte ich, warum Christian ausgerechnet hier bei mir war. In meinem Bauch begann es zu rumpeln, in meinen Ohren rauschte das Blut. Er würde es nicht wagen zu sagen. Er würde es nicht wagen zu behaupten. Er hatte doch keine Ahnung. »Sondern der tolle Seto Kaiba. Aber das wusstest du schon, oder?« »Du hast keinen Plan. Was du sagst ist der größte Bullshit«, widersprach ich sofort, aber er lächelte nur. »Dann wirst du sicherlich nichts gegen meinen Vorschlag haben. Eine Wette.« Das hier wurde doch immer bescheuerter. »Findet Seto Kaiba nicht von alleine und direkt von Mokuba bis nächsten Montag heraus, dass Mokuba ernste Probleme an der Schule hat –« »Du meinst, mit dir?« »Dann gibst du mir die Information, wie wir den tollen Seto Kaiba kriegen.« Ich blinzelte. »Warum?« Christian lachte. So wie jemand, der seinen eigenen Witz erklären musste. »Du würdest Mokuba eine Menge ersparen.« Ich verdrehte die Augen. »Ich meine, was willst du von Kaiba?« »Ich habe gedacht, das würdest du am besten verstehen.« Christian warf mir einen abwägenden Blick zu. Als maß er etwas in Gedanken. »Weil Seto Kaiba es verdient hat. Er tut so, als wäre er etwas Besseres, aber in Wirklichkeit, ist er ein Arschloch, der nicht einmal auf seinen kleinen Bruder achtet. Ihm gehen Menschen am Arsch vorbei. Seine Mitschüler, seine Mitarbeiter, sogar Mokuba.« »Und du bist der Rächer der Unterdrückten, oder was?«, spöttelte ich. »Warum sollte ich Kaiba nicht einfach sagen, was für eine Scheiße du hier gerade und auch mit Mokuba abziehst?«   »Du bist der einzige, dem er noch vertraut. Wenn du ihn verrätst, was denkst du, würde Mokuba tun?« Dann wäre Mokuba völlig alleine. Wer wusste schon, auf welche abgefahrenen Ideen ein unterschätztes Genie wie Mokuba käme, wenn er sich von allen verraten fühlte? Ich wusste es nicht, aber ich befürchtete, wir würden es alle zu spüren bekommen. Noch hatte ich aber das Gefühl, ich würde Mokuba wieder auf Spur kriegen. Aber dafür musste er mir vertrauen. Christian hatte Recht. Ich saß in der Zwickmühle. »Was bekomme ich, wenn Kaiba das mit Mokuba herausfindet?« »Dein Leben zurück.« »Was zur –« »Du wirst es schon noch kapieren.« Er erhob sich, warf einen letzten Blick auf die ausgebreiteten Bilder und Zeitungsartikel und Ausschnitte auf der Matratze, lächelte mir zu und ich bekam dieses Gefühl, als ätzte Säure meine Lunge weg. »Natürlich bleibt diese nette Unterhaltung unter uns. Andernfalls sehe ich die Wette als von dir verloren an.« Ich beobachtete argwöhnisch, wie er mein Zimmer durchquerte und an mir vorbeischritt. »Christian«, sagte ich und er hielt an der Tür inne ohne zurückzuschauen. »Warum glaubst du überhaupt, dass ich irgendwas wissen könnte, das du gegen Kaiba verwenden kannst?« Er schnaubte und grinste verächtlich. »Die Leute, die einem am nächsten stehen, können uns immer am leichtesten verletzen.«   In der Nacht beobachtete ich die Schatten, die die Straßenlampe an die Zimmerdecke malte. Wenn ich meine Augen schloss, dröhnten die Worte von Christian in meinem Kopf. Wenn ich die Augen öffnete, flüsterte er nur. Ich wusste, ich würde diese Nacht kaum ein Auge zumachen. In meinem Hals stieg das Gefühl hoch, langsam zu ertrinken. Jedes Mal, wenn ich ein Problem gelöst hatte, brach an einer anderen Ecke ein neues hervor. Als stünde ich in einem Boot, das immer mehr Löcher zeigte. Ich watete schon knöcheltief im Wasser. Und obwohl ich das Wasser wie ein Wahnsinniger aus dem Boot schöpfte, lief immer mehr hinein. Jemand öffnete meine Zimmertür einen Spalt breit. »Joey?«, flüsterte eine Stimme. »Schläfst du schon?« »Ja«, erwiderte ich trocken. Serenity gluckste und ich hörte, wie sie gemächlich, aber zielstrebig mein Zimmer durchquerte und sich neben mich auf die Matratze legte. »Dieser Christian ist kein Freund von dir«, flüsterte sie. »Nope«, antwortete ich ebenso leise. »Er ist ein richtig hinterhältiger Typ, der sau viele Probleme macht. Geht auf meine Schule.« Sie summte kurz. »Was für Probleme?« »Also – er – ich meine – das kann ich leider nicht sagen. Es ist –« Ich suchte nach dem richtigen Wort. »Kompliziert«, endete ich lahm. Serenity atmete tief durch. »Wann ist es das nicht?«, fragte sie. »Will er Geld von dir?« »Was? Wie kommst du darauf?« »Naja, ich habe gedacht, dass er vielleicht – weil du doch früher –« Ich atmete tief durch. Am liebsten hätte ich mich darüber aufgeregt, wie sie so etwas von mir denken könnte. Aber sie lag nicht ganz falsch. Es wäre durchaus möglich gewesen. »Nein, er will kein Geld.« Ich überlegte. War das seltsam? Es stand in jeder Zeitung. Meine Zusammenarbeit mit Kaiba bedeutete natürlich auch Cash. Wäre es nicht naheliegend gewesen, dass er das auf seine Liste der Schikanen setzte? »Irgendwie weiß er, wie er einen richtig dranbekommt«, flüsterte ich. Ich hatte das Gefühl, dass er ganz genau die Schwächen anderer Menschen ausnutzte. Ich brauchte Geld nur, um mein Leben finanziell hinzubekommen. Mehr bedeutete es mir nicht. Nein, er nutzte lieber Schwachpunkte, die einen wirklich trafen. Mokuba wiegelte er gegen seinen großen Bruder auf. Mich wollte er gegen Kaiba benutzen. »Irgendwie erinnert er mich an mich«, hauchte ich und wusste gar nicht, woher die Worte gekommen waren. Ich spürte, wie Serenity sich anspannte und schon im Begriff war, mir zu widersprechen. Aber ich ließ es nicht zu. »Ich war so wie er«, sagte ich. »Tris und ich, wir beide. Wir haben Yugi das Leben ganz schön zur Hölle gemacht.« Die Erinnerungen daran taten mir weh. Wenn ich heute daran zurückdachte war es, als hätte mir jemand Gedanken einer fremden Person eingepflanzt. Ich konnte kaum noch nachvollziehen, warum wir es getan hatten, wie wir es gerechtfertigt hatten. »Wir haben ihm die Dinge, die er am liebsten mochte, versaut. Wir haben seine Spiele in der Schule kaputt gemacht, seine Karten zerrissen und seinen Gameboy ins Klo geworfen.« Ich starrte an die Decke. Obwohl ich Serenitys Mimik schemenhaft hätte erkennen können, schaute ich sie nicht an. Ich konnte es nicht. »Auf dem Heimweg haben wir uns über seinen Großvater lustig gemacht und gefragt, ob seine Eltern abgehauen sind, weil sie sich nicht mehr mit so einem Loser wie ihm herumschlagen wollten.« Serenity zog scharf die Luft ein. »Ihr wart richtige Arschlöcher.« So ein Wort aus ihrem Wort brannte besonders. Sie war sonst so nachsichtig und gutmütig. Aber sie hatte Recht. »Ja«, sagte ich nur. »Warum habt ihr es gemacht?« Ich wollte es ihr gerne erklären. Ich wollte es auch mir selbst erklären, aber jeder Versuch schmeckte fade. Wie Ausreden, die man sich zu oft vorgesagt hatte. »Yugi hat gemeint, wir hätten damals selbst Probleme gehabt, mit denen wir einfach nicht klargekommen sind.« Wir schwiegen. Ich hätte gerne gewusst, woran sie dachte, aber ich traute mich nicht zu fragen. Wahrscheinlich fürchtete ich die Antwort. »Vielleicht geht es diesem Christian ja ähnlich?«, sagte sie und es klang wie eine Frage. »Ja«, erwiderte ich lahm. »Wer weiß schon, was in seinem kranken Hirn vor sich geht?« Aber hatte ich nicht einmal so ähnlich gedacht wie er? Seto Kaiba, der größte Arsch von allen. Der, den jeder in den Himmel lobte, weil er so ein Genie war, aber in Wirklichkeit kannte ihn niemand. Es zählten nur seine Erfolge. Wie behandelte er Menschen, denen es nicht gut ging? Die nicht mit ihm mithalten konnten, egal finanziell, vom sozialen Status oder leistungsorientiert? Aber wer war für ihn da, wenn es ihm schlecht ging? Hatte es Seto Kaiba verdient?   Dienstagmorgen fasste ich einen Plan. Mokuba und Kaiba müssten einfach in Ruhe miteinander reden. Zumindest wäre das ein erster Schritt. Mokuba würde seine Vorwürfe loswerden, Kaiba könnte seine Phrasen aussprechen und dann könnte endlich wieder alles zurück zum Alten gehen. Natürlich war ich nicht naiv. Die beiden würden das nicht alleine hinbekommen. Deswegen bräuchten wir da noch etwas Hilfe. Auch daran hatte ich gedacht. Nach der Schule schlenderte ich also durch den Haupteingang der Kaiba Corporation, fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben und klopfte an ihr Büro. Auf Sarahs Schoß lagen verschiedene Skizzen, auf ihrem Schreibtisch lagen Flyer und Magazine. Ihr Computer zeigte meine Vorlagen, verarbeitet mit verschiedenen Hintergründen und Texten. Sie rückte gerade ihre Brille zurecht, schaute zu mir auf und lächelte. »Ich sage es ja, irgendwie zieht es einen immer wieder hierher zurück, nicht?« Ich schnaubte, aber lächelte schief. Ob es Kaiba auch so ging? Zog es ihn deswegen immer wieder in die Kaiba Corporation, weil er versuchte, die Probleme anderer zu lösen? Ich bezweifelte es. Aber jeder hatte seine Gründe. Sarah bedeutete mir, mich zu setzen. »Du weißt ja, warum ich hier bin«, sagte ich. Natürlich hatten weder sie noch ich unser letztes Gespräch vergessen. Es schwang mit, wie ein unsichtbares Instrument im Hintergrund. »Ja«, seufzte sie. »Ich kann die beiden natürlich zu nichts zwingen.« Und ich dachte schon, das wäre es gewesen. »Aber die beiden sollten wirklich einfach mal miteinander reden. Wir finden schon eine Lösung«, fuhr sie fort und ich atmete erleichtert aus. Sie lachte auf. »Hattest du wirklich gedacht, ich würde die beiden oder dich im Stich lassen?« Natürlich nicht. Aber ich verstand auch, dass jeder Mensch selbst Probleme und Sorgen hatte. Manchmal war es da zu viel, sich noch um die anderer zu kümmern. »Es ist manchmal eben kompliziert«, antwortete ich. Darauf erwiderte sie nichts, sondern schaute zurück zu ihrem Computer, dann zu mir. »Ich habe erst vor wenigen Tagen die Liste der Einladungen zugeschickt bekommen und du glaubst nicht, welchen Namen ich darauf gesehen habe.« Sie lächelte, nahm ihre Brille von der Nase und putzte die Brillengläser, obwohl ich mir sicher war, dass die einwandfrei waren. Dann setzte sie sie wieder auf und musterte mich über den Rand der Einfassung hinweg. »Oh. Ja. Das. Also Kaiba hat gemeint, das wäre kein Problem. Oder so.« Sie hob ihre Augenbraue. »Ja. Ich bin mir sicher, dass das genau seine Worte waren.« Sie schien auf etwas zu warten, aber ich glotzte sie nur an, wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Ich glaube, du verstehst nicht ganz, was das bedeutet«, behauptete sie und ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. »Was meinst du?« Ich hatte dieses mulmige Gefühl, das mich immer in Prüfungen überfiel. »Seto Kaiba hat dich als Ehrengast zu seinem Turnier eingeladen. Offiziell.« Vor lauter Mokuba, Christian, meiner Mutter und all den Dingen, die noch im Alltag dazukamen, hatte ich das verdrängt, übersehen, irgendwie nicht so richtig wahrgenommen. »Das heißt Rampenlicht, Reporter, viel, viel Öffentlichkeit –«, fuhr sie fort, wie nebenbei und ich schluckte. In der jetzigen Situation konnte ich das eigentlich gar nicht gebrauchen. »Was würdest du darauf antworten, wenn dich jemand fragt, warum du als Ehrengast auf dem Turnier bist?« Dass ich Glück hatte. »Weil ich ein toller Duellant bin. Auch wenn Kaiba das anders sieht. Ist mir egal.« Vielleicht würde ich es irgendwann selbst glauben. »Und warum sollte Seto das anders sehen?« Ich zuckte die Schultern. »Weil er das immer so sagt. Ist echt kein Geheimnis, was er da von mir hält. Drittklassiger Duellant und alles.« Sarah legte ihren Finger an den Mund und schien nachdenklich. Sie beobachtete mich, als studierte sie ein seltenes Exemplar aus dem Zoo. »Und wenn er das wirklich so denkt, wie du sagst, warum sollte er dich dann als Ehrengast einladen?« »Ja, also – ähm –« Das war eine berechtigte Frage. Aber die Antworten, die mir einfielen, klangen viel zu abstrus. »Da gibt es doch nur zwei Möglichkeiten«, sagte sie und grinste. Sie hob einen Zeigefinger in die Höhe. »Seto meint es nicht so, wenn er sagt, dass du ein drittklassiger Duellant bist.« Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen. Wenn es eine Sache gab, bei der ich mir sicher war, was Seto Kaiba und mich betraf, dann doch die, was er über mich als Duellanten dachte. Aber Sarah ließ mich nicht zu Wort kommen. »Und das, was er tut wiegt mehr als das, was er sagt.« Sie fügte ihrem Zeigefinger ihren Mittelfinger hinzu. »Oder er ist ein Idiot, der gegen besseres Wissen einen drittklassigen Duellanten zu seinem Turnier einlädt.« Kaiba war die durchdachteste Person, die ich kannte. Er schmiedete Pläne, die ich nicht einmal im Ansatz verstand. Vielleicht hatte er irgendeine geheime Agenda, die ich einfach nicht begriff. Aber eines würde er nie tun: gegen besseres Wissen handeln. »Oh«, machte ich. Langsam ahnte ich, worauf sie hinauswollte. »So viel zu kompliziert, nicht?«, sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich kämpfte also nicht nur damit, wie ich das mit den beiden Kaiba-Brüdern hinbog, sondern auch wie ich eigentlich zu dem Turnier und damit inbegriffen wie Kaiba zu mir stand. Mit einem Seufzen ließ ich mich tiefer in den Stuhl sinken.   Natürlich wäre es leicht gewesen, Kaiba in der Firma abzufangen oder – meine bevorzugte Methode – einfach in sein Büro zu spazieren und einzutreiben, was mir zustand. Normalerweise lief das. Aber die Situation derzeit erforderte eine andere Herangehensweise. Nämlich eine, die Seto Kaiba nicht schon wütend machte, bevor ich auch nur den Mund aufgemacht hatte. Den restlichen Dienstag versuchte ich vergeblich Mokuba zu erreichen. Er antwortete nicht auf SMS oder Messages, hob nicht ab und so stand ich vor der Villa vor verschlossenen Türen. Als es plötzlich anfing vom Himmel zu pissen, wandte ich mich selbst angepisst um und trottete nach Hause.     Am Mittwoch standen entsprechend noch zwei ziemlich wichtige Personen auf meiner gedanklichen Liste. Nämlich die beiden, die das Gespräch führen sollten. In der Hofpause schnappte ich mir Mokuba und nahm ihn zur Seite. Yugi, Tris und Thea quatschten gerade eh über die Berufsinformationsstunde nächste Woche und es hing mir zu den Ohren heraus. »Was hast du gestern gemacht? Ich habe dir hundert Nachrichten geschrieben«, begann ich. »Sechzehn«, erwiderte er trocken. »Und ich habe dir geantwortet.« Ich verdrehte die Augen. »Um zwei Uhr nachts. Was hast du so lange noch gemacht?« Als ich die Worte aus meinem Mund hörte, hätte ich mich am liebsten gleich geboxt. Ich klang fast wie meine Mutter. Joey, wo gehst du hin? Wo warst du? Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht? Hast du schon in der Schule gegessen? Joey, was macht du gerade? Er verengte seine Augen zu Schlitzen. »Warum?«, fragte er. Weil du verdammt nochmal dreizehn bist und um zwei Uhr nachts schon lange schlafen solltest. Weil ich mir Sorgen um dich mache. Weil ich wissen will, was in deinem Leben ansteht. Weil ich für dich da bin. Ich schluckte. Und für einen Augenblick zuckte das Bild meiner Mutter durch meine Gedanken. Dachte sie das auch, wenn ich ihr so antwortete? War das eigentlich gar nicht so kontrollierend gemeint, so einengend, so als würde sie mir nicht vertrauen? Ich schüttelte diese Flut an Fragen ab. Mokuba weiter in die Enge zu treiben, hätte mich jetzt nicht weitergebracht. Also zuckte ich die Schultern. »Hör zu, ich brauche deine Hilfe. Es geht um Mathe und so«, fuhr ich zerknirscht fort und klopfte mir innerlich auf die Schultern. Beim Thema Mathe brauchte ich wirklich kein Schauspieltalent, um Mitleid zu erregen. »Achso.« »Also hilfst du mir?« Er grinste und für einen Augenblick glaubte ich, den kleinen Jungen wieder vor mir zu haben, den ich damals kennen gelernt hatte. »Ja, klar.«   Erst donnerstags schaffte ich eine Audienz bei dem großen, tollen Seto Kaiba zu ergattern. Ich hatte die letzten Tage damit gerungen, wie ich geschickt auf das Thema überleiten konnte, ohne es direkt anzusprechen. Als erstes war es gut, Seto Kaiba zu loben. Bei seinem riesigen Ego sollte man denken, dass das überflüssig war. Aber tatsächlich war Kaiba manchmal eine zarte Blume, wenn es um seine Kreationen ging. »Ich finde es echt toll, wie interaktiv die Vorrunden vom Turnier sind«, sagte ich. Wir saßen im Wohnzimmer und schauten gerade eine Aufnahme eines aufgezeichneten Spiels der Vorrunde. Kaiba ließ seinen Blick immer mal wieder über den Rand seines Laptops zum Fernseher gleiten, während ich statt Hausaufgaben zu machen, die Randspalten meines Blockes mit kleinen Skizzen vollzeichnete. »So diese ganze Virtual Reality und so«, fuhr ich fort. »Echt toll. Ist ja wirklich auch so für die Zukunft und so. Und es macht dir scheinbar Spaß. Ist echt cool, wenn man weiß, was man mal später machen kann.« Schritt eins abgehakt. In dem Moment musterte er mich mit hochgezogenen Brauen. Ich begann den Stoff meiner Hose zu kneten und seinem Blick auszuweichen. »Wer weiß, was du als nächstes erfindest, was die Zukunft voll verändern kann. Irgendetwas total Nützliches«, redete ich immer schneller und bemerkte, wie seine Augenbraue anfing zu zucken. Als nächstes war es wichtig, ihm nicht zu viel Komplimente zu machen, da womöglich sonst sein Kopf vor lauter Ego platzte. Trotzdem musste man die positiven Vibes beibehalten und langsam auf das eigentliche Ziel zusteuern. »Du meinst im Gegensatz zu dem unnützen Zeug, das ich sonst herstelle?« Am liebsten hätte ich seine Stirn gegen die Wand geklatscht. Wie war es verdammt nochmal möglich, dass er etwas Negatives aus meinem Kommentar interpretierte? »Äh – ich habe eher so was wie einen Roboter gemeint, der zum Beispiel Wäsche macht. So in der Zukunft.« »Das nennt man Waschmaschine, Wheeler.« Schritt zwei ziemlich verkackt. »Depp, ich meine einen, der alles so richtig komplett macht. Die Wäsche wäscht und bügelt und zusammenlegt und die einzelnen Socken findet. Vor allem die, die immer verschwinden.« Ich wackelte mit meinen Zehen, über die ich die erstbesten und damit unterschiedlichen Strümpfe gezogen hatte. »Und danach kann der dann Pizza machen oder Lasagne.« »Dafür habe ich Angestellte.« Ich verdrehte die Augen. »Aber ein Roboter wäre viel epischer.« Jetzt verdrehte er die Augen. Manche Menschen glaubten, wenn man ein Genie war, wäre alles einfacher. Wenn ich Kaiba betrachtete, dann traf das nicht zu. Ich sah ihn von der Seite her an und kritzelte auf meinem Block herum. Kaiba, der stur in seinen Laptop schaute. Drachen, die über seinen Kopf hinwegflogen. Stille. »Was machst du nach der Schule?«, fragte ich wie nebenbei. Kaiba zückte sein Smartphone, um in seinem Kalender nachzusehen. »An welchem Tag?« »Nein, ich meine nach der Schule. So richtig nach der Schule.« Sein Blick glitt vom Handy zu mir. Langsam ließ er es sinken und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Ich werde nebenbei studieren.« Natürlich. Nebenbei. »Vielleicht Jura oder Wirtschaftswissenschaften. Aber vielleicht ist mir das auch zu banal. Möglicherweise studiere ich etwas, einfach nur, weil es mich interessiert.« Aus seinem Mund klang das wie eine Rebellion. Es brachte mich zum Grinsen. Seto Kaiba, der nicht das tun würde, das jeder erwartet? »Zum Beispiel?«, fragte ich. Er schwieg zunächst, so als wollte er die Frage bewusst überhören. Ich piekte ihm in die Seite, die er empört mit seinem Arm verteidigte. »Musik«, antwortete er dann knapp und ich ließ von ihm ab. Er schaute an mir vorbei, so dass er meinen Blick gerade nicht erwiderte. »Musik?«, wiederholte ich. Ich konnte mir Kaiba nicht wirklich dabei vorstellen, wie er statt im Büro zu sitzen am Klavier spielte. Oder wie sah so ein Musikstudium aus? »Ja, Musik. Komm endlich zur Sache. Was willst du?« Ich öffnete den Mund. »Außer einen Roboter, weil du unfähig bist selbstständig zwei gleiche Socken zu finden«, kam er mir zuvor. Ich glaube, es ist Quatsch zu denken, man hätte keine Probleme, wenn man genial und so war. Wenn man Talent hat, dann hat man andere Probleme. Diesen Druck, immer an die Erfolge von gestern anzuknüpfen. Andere zu übertreffen. Sich selbst zu übertreffen. Aber wenn man es schaffte, war es nichts Besonderes, sondern zu erwarten gewesen. Eigentlich konnte man nur tief fallen. »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, murmelte ich. Aber das machte meine Probleme nicht weniger bedeutsam. Wenn man kein Talent hatte, wenn einem immer nur Steine in den Weg gelegt wurden, wenn niemand an einen glaubte. »Ich meine, nach der Schule«, fuhr ich fort. Es war immerhin mein Leben. Natürlich hatte ich Ideen, aber eine waghalsiger als die andere. Ich könnte das Geld aus dem Projekt zur Seite legen und damit die Welt sehen. Aber danach? »Meine Mutter schiebt auch voll Stress deswegen.« Ich könnte eine eigene Firma gründen. Aber wofür? »Und dann ist nächste Woche dieser scheiß Mathetest.« Ich könnte eine Ausbildung machen oder studieren. Aber was? Und könnte ich es wirklich? »Dann lern dafür.« Ich schmollte. Das ließ sich einfach so daherreden. Natürlich. Für Seto Kaiba war ein Mathetest keine Herausforderung. Er verdrehte die Augen. »Möglicherweise wäre es möglich, dass ich bis nächste Woche noch nicht so viele Termine habe, dass es mir unmöglich wäre bei der Vorbereitung unterstützend einzugreifen, sollte das erforderlich sein.« Das war Kaibalisch für ›Ich helfe dir‹. Ich grinste. »Okay, cool. Dann morgen bei mir.« Schritt drei erfolgreich. Innerlich gab ich mir ein Highfive. »Ist das mit dem Roboter jetzt eigentlich echt vom Tisch oder –?« Kaibas Mimik war einfach zu genial, um ihm die Frage zu ersparen. »Wenn du mich dann in Ruhe lässt, könnte ich es mir vielleicht nochmals überlegen«, erwiderte er trocken, klappte seinen Laptop zu und schaute mich abwägend an. »Und jetzt eine weitere Entscheidung von äußerster Bedeutung«, fuhr er fort, atmete tief durch und tippte eine Durchwahl auf seinem Smartphone. Meine Gedanken begannen zu rasen. Ging es um die Kaiba Corporation? Um die Kampagne? Lief etwas schief? Oder das Turnier? Würde er die Einladung doch zurückziehen? War ihm klargeworden, welche Bedeutung dem womöglich beigemessen werden konnte? Ging es um Mokuba? Hatte er etwas herausgefunden? Hatte sich Christian auch an ihn gewandt? Das Gefühl, zu versinken, brach in meinem Innersten auf, wie das Magma im inneren des Vulkans. Er hob die Augenbrauen. »Pizza oder Lasagne?« Ich starrte ihn ungläubig an.   Der Countdown lief. Am Freitag war es von absoluter Bedeutung, den Zeitplan einzuhalten, um voreilige Begegnungen zu vermeiden. Meine Lehrer wären stolz auf mein Organisationstalent gewesen und die Pünktlichkeit, die ich entsprechend an den Tag legte. Ich hätte dafür Extrapunkte verdient. Auf die Minute klingelte Sarah bei uns. Meine Mutter ließ sich keine Irritation anmerken. Sie hieß Sarah herzlich willkommen, brachte uns Softdrinks, Tee und Kaffee sowie Snacks. »Sorry, meine Mutter hat irgendwie das Bedürfnis etwas gutzumachen«, sagte ich, als sie hinter sich endlich die Tür geschlossen hatte und betrachtete die Massen an Flaschen und Tüten, die sich auf meinem Schreibtisch und Beistelltisch stapelten. Sarah lächelte. »Haben wir das nicht alle irgendwie?« Ich schwieg und zuckte die Schultern. Es war seltsam, Sarah auf meiner Bettkannte sitzen und durch einen Manga blättern zu sehen. Sie hingegen quasselte über alles Mögliche, gab ihre Meinung zum Manga kund, erzählte ein wenig von den Vorrunden des Turniers und verstummte dann. Verwirrt blickte ich sie an. »Wenn ich ehrlich bin, dann sehe ich die beiden noch heute so vor meinem inneren Auge«, sagte sie und ich runzelte die Stirn. Sie nahm ein Bild von meinem Boden in die Hände und strich behutsam darüber. Es war eine Kopie einer der Zeitungsartikel, die ich in der Box unter meinem Bett verwahrte. Das Bild musste herausgerutscht sein, als Christian den Inhalt des Kartons auf meiner Matratze ausgeleert hatte. Ich fischte die Box hervor und stellte sie wortlos auf mein Bett. Sarah beugte sich darüber, schaute mich an und ich nickte nur. »Es ist merkwürdig, diese Zeitungsartikel über die beiden zu lesen. Diese Sicht von außen. Es ist fast so, als würde man nur die Hälfte einer Geschichte erzählen.« Ich hatte das Gefühl, langsam zu begreifen, was sie damit meinte. Von außen war es so einfach, Menschen zu verurteilen. Wenn man nicht emotional in einer Situation verstrickt war, war es so simpel, anderen Ratschläge zu erteilen. Jemand klopfte an der Tür und ich fuhr zusammen. Im ersten Moment versuchte ich panisch, alles wieder in die Box zu stopfen und unter meinem Bett verschwinden zu lassen, aber Sarah hielt meinen Arm fest und schaute mich an. Irritiert wollte ich sie abschütteln. Er durfte das hier nicht sehen, weil – Wenn er es herausbekam, dann – Sie lächelte schief und schüttelte sachte den Kopf. »Glaubst du nicht, es wird mal langsam Zeit, dass du ihn direkt fragst?« Ich wollte verneinen. Hier ging es nicht darum, was ich über Kaiba und Mokuba wusste oder wissen wollte. Hier ging es nur um die beiden. »Es geht mich nichts an«, flüsterte ich. Oder? »Dafür investierst du aber ziemlich viel Energie in die Recherche.« Sie warf einen bedeutenden Blick zu der Box und ich kratzte mir verlegen am Hinterkopf. Das hier waren aber nur Informationen, die jeder über Kaiba in Erfahrung bringen konnte. Es war öffentlich zugängliches Archivmaterial. Kaiba persönlich zu fragen war etwas ganz Anderes. Die Sicht von außen nach innen zu wagen. Vielleicht fürchtete ich mich vor dem, was ich entdecken würde. »Er wird dir eh nur das anvertrauen, was er dir anvertrauen möchte«, fuhr sie fort, als könnte sie meine Gedanken lesen. Aber ihm in die Augen zu sehen, während ich ihn nach seiner Kindheit fragte, war so, als würde ich versuchen, seine Weißen Drachen mit eiskaltem Blick vor seiner Nase zu stehlen. »Schätzchen«, seufzte sie. »Du hast dir hier vorgenommen Seto und Mokuba zu versöhnen, ihnen gleichzeitig entgegenzutreten und dabei selbst nicht den Verstand zu verlieren. Du stehst zwischendrin. Und das ist wirklich –« Dumm, vorschnell, undurchdacht. Ich war ein vorlauter Idiot, der versuchte, Probleme anderer zu lösen, nur um von meinen eigenen abgelenkt zu werden. Ich war ein dummer Möchtegern, der es nicht schaffte, sich um seine eigene Zukunft zu kümmern. Ich war – »Mutig.« Ich schluckte. Was wusste ich schon über die beiden? Hatte ich da überhaupt ein Recht, mich einzumischen? Aber war es nicht schon längst zu spät, es nicht zu tun? »Was kann schon schiefgehen?«, durchbrach Sarah meine Gedanken und zwinkerte mir zu. Ich atmete tief durch. Dann öffnete sie die Tür. Kaiba strich seinen Anzug glatt, obwohl der einwandfrei aussah und musterte uns herablassend. Um seinen Mund hing so etwas wie Irritation. Niemand ließ Seto Kaiba vor der Zimmertür warten. »Was machst du hier?«, fragte er Sarah und stellte seinen Aktenkoffer auf den Boden, schloss die Tür hinter sich und sah sich um, als hätte er einen Blackout gehabt. Kaiba in meinem Zimmer, das war wie ein Profiboxer im Nagelstudio. Sarah begrüßte Kaiba, als wäre er wieder ein Junge und nicht der geschäftsleitende Inhaber eines international erfolgreichen Konzerns. Außerhalb der Kaiba Corporation schien sie nicht seine Angestellte zu sein. Sie umarmte ihn, drückte ihn an sich und er ließ es wortlos über sich ergehen. Dann setzte sie sich auf meinen Schreibtischstuhl, schlug ein Bein über das andere und schnappte sich wieder den Manga, ignorierte uns, als bekäme sie nicht mit, wie sich ein Unwetter zusammenbraute. Ich konnte es genau in seinem Gesicht beobachten. Er hob die Augenbrauen, ließ seinen Blick von ihr zu mir wandern und blieb an den Zeitungsartikeln, Kopien und Fotos hängen. »Was ist –« Ich sah, wie sich seine Pupillen weiteten. »Hör zu«, sagte ich rasch und wusste selbst noch nicht, wie ich es erklären sollte, »ich wollte nur –« Was? Wissen, warum du so bist, wie du bist? Verstehen, wie alles so kommen konnte? Ich starrte ihn an und schmeckte die Worte auf der Zunge. Aber nichts, was dieses Gefühl in meinem Bauch wirklich einfing. Kaiba erwiderte meinen Blick. Ich ahnte, wie er innerlich explodierte. Mich mit sich in den Abgrund reißen würde wie eine Lawine. Er würde seinen Aktenkoffer schnappen, zur Tür schreiten, kurz dort stehen bleiben, mich eiskalt über die Schulter ansehen und mit seiner Schar Anwälte drohen. Dann würde er wortlos aus meinem Zimmer und meinem Leben verschwinden. »Würdest du nur halb so viel deiner Zeit in deine Mathematikvorbereitungen investieren, müsste ich jetzt nicht meine Zeit investieren«, sagte er trocken und überflog die Titel der Zeitungsartikel. Ohne zu zögern ließ er sich auf dem Rand meiner Matratze nieder und ich wartete auf einen Ausbruch, der nie kommen sollte. Er schaute mich an und ich blinzelte, wusste nicht, was er erwartete. Dann verdrehte er die Augen, zog Dokumente heraus und blätterte durch die Artikel und Kopien der Box. Bei dem ein oder anderen Bild und Zeitungsbericht zögerte er, verweilte, dann legte er alles zurück. Als das Rascheln verstummte, blieb nur Stille. Ich rutschte unruhig auf der Bettkante hin und her, wusste nicht, wohin ich schauen sollte. Er schnaubte und ich wäre fast umgekippt. »Ich hoffe stark in deinem Interesse, dass du von mir jetzt kein Autogramm möchtest«, durchbrach er das Schweigen. »Hä?«, machte ich und er hob nur eine Braue, sein Blick wanderte von mir zu Sarah und zurück. Erst dann kapierte ich, dass er gerade so etwas wie einen Scherz losgelassen hatte. Die Anspannung bröselte wie alter Verputz von mir ab. »Wann kommt er?«, fragte Kaiba. »Äh, wer?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage und hatte das Gefühl, einen ganzen Teil nonverbaler Kommunikation verpasst zu haben. »Mokuba«, erwiderte er. »Es ist offensichtlich, was ihr hier versucht und obwohl ich euer Engagement wertschätze, bezweifle ich, dass Mokuba lange hierbleiben wird, sobald er die Situation überblickt hat.« Kaiba klang keineswegs so, als wertschätzte er unser Engagement. Seine Mimik glich die einer Person, deren Aktenkoffer gerade von Taubenkot beschmutzt worden war. Natürlich hatte Kaiba längst begriffen, was ich hier versuchte. Aber ich wollte ihm gerade widersprechen, als es wieder an meiner Zimmertür klopfte. Ich machte einen Sprung zur Tür und riss sie auf. Mokuba starrte mir mit großen Augen entgegen. Sein Blick jagte in den Raum hinein, erfasste Sarah und seinen Bruder und sprang zurück zu mir. »Versuch es erst gar nicht«, mahnte ich, als er einen Schritt zurückmachte. Viele glaubten, ich war ein Chaot, ein Schmarotzer, ein asozialer Idiot und vorlauter Schwänzer. Vielleicht war ich das gewesen, vielleicht rutschte ich immer mal wieder zurück in diese Rollen, vielleicht steckten mich Fremde in diese Schubladen. Aber ich war auch ein großer Bruder und Freund. Jemand mit Hoffnungen und Fehlschlägen, Träumen und Ängsten. »Ich werfe dich ohne zu zögern auf den Boden und pinne dich solange da fest, bis du mir zuhörst.« Ich war mir ziemlich sicher, dass diese Methode nicht wirklich pädagogisch wertvoll war, aber das war mir in diesem Moment scheißegal. Ich stand irgendwo zwischen den Erwartungen anderer und meinen eigenen, zwischen Plänen und deren Umsetzung. Ich stand zwischen meiner Vergangenheit und Zukunft. Mokuba sah mich angepisst an. Kaiba schaute immer wieder genervt auf seine Uhr. Sarah wirkte abwesend. Ich stand zwischendrin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)