Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 73: … bin falsch abgebogen ----------------------------------   __________________________________________   Was uns hinter der nächsten Ecke erwartet, wissen wir erst, wenn wir abgebogen sind. Haruki Murakami   __________________________________________           Ich wollte nichts. Denn ich wusste, dass alles, was man wollte, etwas kostete. Und ich fürchtete, dass der Preis zu hoch war.   Sein Getue ging mir nicht nahe, redete ich mir ein, aber sein Schnauben zuckte durch meine Adern. »Was versuchst du zu erreichen? Willst du deinen Vater auf den rechten Pfad führen?«, fragte er mit diesem Spott in der Stimme, der an meinen Nerven sägte. »Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage, weil es einfacher war zu fragen als Antworten zu finden. Er steckte seine Hand in die dunkelblaue Stoffhose, die andere hielt den Aktenkoffer, als wollte er ihn jederzeit griffbereit haben für ein spontanes Geschäft. Wie lächerlich war das eigentlich, diese ganze Masche? Dachte er echt, er würde bei mit damit noch Eindruck schinden? »Ich habe die Information erhalten, dass –« »Spionierst du mir etwa nach? Alter, was für eine krasse Scheiße ist das hier?« Ich wandte mich wutentbrannt zu ihm um. Was bildete der sich eigentlich ein? Dass ich immer verfügbar war, wenn es ihm genehm war? »Ich spioniere nicht, Wheeler. Ich lasse spionieren.« »Das hier ist nicht lustig!« Und wenn ich unangenehm war, mittels Roland abgeschoben werden konnte? »Gut. Dann scheinst du ja doch nicht völlig umnachtet zu sein.« Weil er seine Sachen auf seine Weise regeln wollte. »Was willst du hier, Kaiba?« Und ich meine Dinge auf meine Art. »Komm mit«, sagte er nur. Ich blinzelte. »Dein Ernst?« Ich starrte ihn an und drehte mich um meine Achse, nur damit mein Blick wieder bei ihm haften blieb. Ich fuhr mir durch meine Strähnen und lachte. Dann erstarb mein Gelächter und Stille klebte zwischen uns. »Du wolltest keinen Kontakt! Du hast mich abgeschoben! Bis die Sache geklärt ist!« Er atmete tief ein und seufzte irritiert. »Ich habe Zeit gebraucht, um Informationen zu beschaffen und deren Ausmaß zu kontrollieren. Ich dachte, du könntest die Zeit ebenfalls gut nutzen. Ich hätte aber wohl ahnen sollen, dass du dich stattdessen lieber in Selbstmitleid badest.« Seine Worte waren wie ein Hieb in den Magen. »Was für eine Scheiße laberst du?« Ich ballte meine Finger zu Fäusten. »Deine Familie, Wheeler. Das ist deine Privatsache und ich bin von der Annahme ausgegangen, dass du sie als solche behandeln möchtest. Dass du selbstständig genug bist, dich um deine Sachen zu kümmern. Dass du Christian keine Angriffsfläche bieten und nicht alles an die Öffentlichkeit ziehen möchtest.« Ich gaffte ihn an. In welchem Universum sollte man kapieren, was sich Seto Kaiba mit einem Rauswurf aus seiner Villa dachte? Wann er genug von einem hatte und es zwischen seinen Silben versteckte, weil er keinen Bock auf ein Wortgefecht hatte und wann er sich etwas dabei dachte, das über seinen Egozentrismus hinausreichte? »Offensichtlich habe ich mich geirrt. Du rennst lieber davon«, fuhr er gelangweilt fort. »Ich renne nicht davon«, knurrte ich. »Ich lasse aber meinen Vater nicht einfach im Stich, anders als alle anderen.« Er schnaubte. »Weil nur du deinen Vater retten kannst?«, fragte er und nur Kaiba schaffte es mit so einer Frage komplett das Gegenteil auszudrücken. »Wheeler, niemand kann deinen Vater retten außer er selbst.« Wie er dastand, ab und zu auf seine Uhr am Handgelenk linste, als hätte er gleich ein Meeting, das er nicht verpassen durfte. Oder als wäre das hier komplette Zeitverschwendung. Als wäre das hier nicht mein Leben, sondern nur ein weiterer Termin auf seiner To-Do-Liste. Als würde ich nicht versuchen, ein Glas zu kleben, das in Scherben lag. Kaiba half nicht, die Scherben aufzusammeln. Er trat darauf und hinterließ noch kleinere Scherben, ein viel zu komplexes Puzzle. Ich verabscheute es. Wie er glaubte, zu wissen, wovon er sprach, besser zu verstehen, nach welchen Regeln die Welt spielte. Dabei spielte Kaiba nicht nach deren Regeln. Er hatte nur die Möglichkeit sie zu brechen, ohne deren Konsequenzen zu befürchten. Ich verzog meinen Mund. »Und du bist jetzt auf einmal ein Spezialist für Väter, oder was? Ausgerechnet du?« Kaiba erstarrte nie. Er stand über den gewöhnlichen Menschen, die ihn umgaben und ragte aus der durchschnittlichen Gedankenwelt heraus. Er verschwendete seine Zeit nicht mit den Meinungen seiner Mitmenschen. Er hatte immer einen Spruch parat. Und einen Blick, mit dem er allen zu verstehen gab, dass ihre Kommentare ihm nicht würdig waren. Außer in diesem Moment. Er schaute mich an und seine Mimik bröckelte. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich eine unsichtbare Mauer eingetreten hatte, die ich nicht wiederaufbauen konnte. Eine Grenze überschritten, von der ich nicht wieder zurückstraucheln konnte. Er drehte sich auf dem Absatz um und ließ mich stehen. »Kaiba! Warte! Alter, das war nur dummes Gelaber. Ich habe es nicht so gemeint.« Ich sprintete ihm hinterher. Mein Herz hämmerte in meinem Magen, als ich nach seinem Hemd griff und er abrupt stehen blieb. Er schaute mich nicht an, als er mit mir sprach. Seine Stimme zerriss die Hoffnung in mir, er würde meine Worte als dummen, nichtssagenden Kommentar abtun. »Du bist ein miserabler Lügner, Wheeler. Das ist auch einer der Gründe, warum du ein drittklassiger Duellant bist und bleiben wirst.« Ich verzog meinen Mund und schaute ihn aus schmalen Augen an. Kaiba schaffte es immer, den Punkt zu treffen, der verletzte. »Ich bin mir sicher, du kannst mir ganz viele Gründe sagen«, zischte ich, »warum alle anderen im Vergleich zu dir scheiße sind.« »Ein weiterer Grund ist, dass du versuchst dir einzureden, gut genug zu sein, aber in Wirklichkeit glaubst du nicht einmal selbst daran.« Meine Finger ließen den Stoff seines Hemdes los. »Ich war echt ein Idiot. Ich hätte es wissen sollen«, sagte ich und gluckste, obwohl mich nichts daran amüsierte. »Ich habe echt gedacht, da wäre was. Irgendwas Gutes. Zwischen uns. Irgendetwas, das uns verbindet, egal, was für eine Scheiße gelaufen ist oder welche Kacke im Leben schiefläuft.« Er schaute mich an, blickte mir in die Augen und stellte die Frage, die mir das Gefühl gab, nicht mehr atmen zu können. »Hast du daran geglaubt, gut genug für mich zu sein?« Das war Seto Kaiba, der Geschäftsmann, der sich schon in jungen Teenagerjahren in einer Welt der Emotionslosigkeit und der Rücksichtslosigkeit einen Namen gemacht hatte, den niemand je wieder vergessen würde. Und ich hatte ihn zurück hinter seinen Glaskäfig getrieben. Die Frage nahm die Leere in meinem Kopf ein, während ich ihn anstarrte. Ich empfand nichts, nicht einmal Zorn, der mir sonst über dieses graue Gefühl hinweghalf. Ich schaffte nur zu beobachten, wie er sich Schritt für Schritt von mir entfernte und ich fragte mich, ob er je wieder auf mich zukommen würde. Ich drehte mich um, riss mich los von seinem Anblick, der sich doch in mein Gedächtnis gebrannt hatte und machte einen Schritt. Das ist okay, redete ich mir ein. Dann noch einen. Ich habe andere Sorgen. Das ist okay. Und noch einen. Ich bin ... gut … genug … Ich blieb stehen und plötzlich dämmerte mir, dass ich nicht mehr wusste, wohin ich gehen sollte. Warum erkannte man immer erst, wenn es zu spät war, dass man falsch gelaufen war? Man bemerkte erst, dass man sich verirrt hatte, wenn man den Weg zurück nicht mehr fand. »Joey?«, schreckte mich eine Stimme aus meiner Ziellosigkeit. »Yugi?« Er stand einfach vor mir und sah mich an. »Hat Kaiba dich geschickt? Ich glaub’s einfach nicht!« Mich hat niemand geschickt! Du bist schon seit gut einer Woche nicht mehr in der Schule gewesen. Du antwortest auf keine Nachricht, gehst nicht an dein Handy und deine Mutter weiß auch nicht, wo du dich rumtreibst. Ich habe mir Sorgen gemacht.« »Meine Mutter«, schnaubte ich. »Joey«, begann er, aber ich schüttelte den Kopf. Ich wollte es echt nicht hören. Nicht noch eine Problemstelle. Ich wollte einfach nur ins Bett, mit niemandem reden, in Ruhe gelassen werden von dieser ganzen verfickten Welt. »Du siehst aus, als könntest du eine heiße Schokolade brauchen.« Ich nickte langsam. »Und eine Dusche«, fügte Yugi hinzu. Da konnte ich ihm nicht widersprechen. Ich fühlte mich, als hätte mich Kaiba mit einer Limousine überfahren und Roland danach in einem dunklen Wald zurückgelassen. Wenigstens in einem Stück. Obwohl ich glaubte, Kaiba hätte mit etwas herausgerissen. Vielleicht meinen Magen, denn mir war ziemlich übel. Wortlos schlenderten wir nebeneinander her, warteten an der Bushaltestelle und rumpelten zurück zum Spielladen. Das Gefühl nach Hause zu kommen ummantelte mich wie eine warme Wolldecke. Der Duft von heißer Schokolade erfüllte Yugis Zimmer als ich mit nassen Haaren zurück in den Raum schlurfte. »Wie hast du mich eigentlich gefunden?«, fragte ich und rubbelte mit dem Handtuch durch meine Strähnen. Yugi saß auf einem Kissen vor einem Couchtisch und breitete seine Duel Monster-Karten aus. »Es ist kein Geheimnis, wo du dich die letzte Zeit dauernd aufhältst. Nur, weil deine Mutter es sich nicht eingestehen will, heißt das nicht, dass wir keine Ahnung haben.« »Wer ist wir?« Yugi schenkte mir einen Blick, der Worte überflüssig machte. »Also hat er dich doch –« »Es geht nicht immer um Kaiba, weißt du?« Yugi schlurfte an seiner heißen Schokolade ohne zu blinzeln, während er mich anschaute. »Auch, wenn das schwer für dich zu begreifen ist.« »Was soll das heißen?«, fuhr ich ihn an und bereute es in demselben Moment, aber Yugi zuckte nur mit den Achseln. »Kaiba ist mir völlig egal.« »Du bist ein schlechter Lügner, Joey.« Ich öffnete den Mund, aber Yugi kam mir zuvor. »Und ich meine das als Kompliment. Es gibt doch die meisten Probleme, wenn Menschen lügen. Ich meine nicht die kleinen Notlügen oder die Höflichkeitslügen, wenn wir jemanden nicht verletzen wollen. Ich meine die Lügen, die uns irgendwann das Leben schwer machen, weil wir vergessen, was eigentlich wahr ist. Es braucht vielleicht die meiste Kraft, die Wahrheit zu sagen. Zu uns selbst.« Ich verdrehte die Augen und seufzte, starrte an die Decke, während meine Finger die Tasse umklammerten. Als ob da oben die Karte stünde, wohin mich der Weg führen sollte. »Klingt wie etwas, das dein Großvater sagen würde«, maulte ich und in der Sicherheit, dass mich Yugis Großvater irgendwann in einer fernen Zukunft als Geist verfolgen würde. Yugi grinste nur, legte eine Karte zu einigen anderen, nahm eine weitere weg, sortierte sie in Stapeln, tauschte sie aus. »Du hast noch knapp eine Woche, um dein Leben wieder in den Griff zu bekommen«, erwähnte er wie nebenbei, ohne seine Karten aus den Augen zu lassen. »Wieso? Was ist nächste Woche?« Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Die letzten Tage fühlten sich gleich an. Die Nächte verflossen und die Tage verwehten. Es hatte keine Bedeutung gehabt, was nächste Woche stattfand, denn jede Woche glich sich. »Das Turnier. Es fängt nächsten Samstag an für alle, die sich bereits qualifiziert haben«, erwiderte er und blickte mich an, »außer natürlich, du hast dich dagegen entschieden.« Eine eiskalte Welle, wie Wasser, aber nicht nass, schlug mir in den Bauch. Ich hatte das völlig vergessen. Das Turnier hatte wie ein entferntes Ziel gewirkt, das man am Horizont erahnen konnte, aber wahrscheinlich nie erreichte. Plötzlich war es greifbar. Kaibas Worte stachen in meiner Erinnerung. »Vielleicht ist das echt nicht die beste Idee. Ich glaube, Kaiba wäre nicht sehr begeistert, wenn ich da auftauche.« Yugi hatte Recht. Lügen brachten einen nicht weiter, also versuchte ich das Ganze objektiv zu sehen. Wahrheit Nummer eins: Seto Kaiba war ein arroganter Arsch. Ehrlich. Er würde ausrasten. »Und seit wann hält dich das davon ab?« Wahrheit Nummer zwei: Mich hatte das nie irgendwie beeindruckt. »Glaubst du, ich hätte überhaupt eine Chance?«, flüsterte ich und Yugis Handbewegungen hielten mitten in der Luft inne. Er drehte sein Gesicht zu mir und blickte mich an mit seinen riesigen Augen, als sähe er mich zum ersten Mal. »Wenn du dich auf das Turnier konzentrierst, dann bist du ein ernstzunehmender Konkurrent.« Wahrheit Nummer drei: Ich hatte die Gelegenheit, Kaiba zu beweisen, dass ich mehr als genug war. Dann war da noch meine Mutter. Aber der Weltuntergang kam bekanntlich zuletzt. Alles nach und nach. Ich würde zuerst die Sache mit meinem Vater klären, dann Kaiba in den Arsch treten.   »Kommst du am Montag wieder in die Schule?«, fragte Yugi. »Ich weiß nicht«, murmelte ich. »Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt wieder zurückwill. Ob es Sinn macht. Ich weiß nicht einmal, ob ich das Abi packen kann. Ich glaube nicht einmal, dass ich es brauche.« »Aber du wolltest doch Kunst studieren?« »Das hatte ich doch nur mal so dahingesagt«, nuschelte ich. Vor Jahren, als ich noch keine Ahnung hatte, dass ein Studium gewöhnlich ein Abitur verlangt und was ein verdammtes Abitur eigentlich war. Als ich noch dachte, dass man alles packen konnte, wenn man nur daran glaubte. »Das ist doch eh zu hoch für mich. Dafür braucht man eine Mappe, hast du das gewusst? Man kann sich da nicht einfach für anmelden, man muss vorher schon wie einen Eingangstest bestehen. Und dazu kostet das Ganze viel zu viel und –« »Dafür, dass du es nur mal so dahingesagt hast, bist du gut informiert.« Yugi grinste und rempelte sanft gegen meine Schulter mit seiner. »Ich hatte nur mal etwas darüber gelesen. Eigentlich zufällig.« Ich wollte nichts. Denn ich wusste, dass alles, was man wollte, etwas kostete. Und ich fürchtete, dass der Preis zu hoch war. Eine Zukunft zu verlangen, in der ich frei war, das tun konnte, was mich am meisten bewegte und begeisterte; war das nicht zu viel verlangt? Was würde ich dafür opfern müssen? »Ich glaube an dich.« Yugis Worte lockerten die Stricke um meine Brust. Ich atmete tief ein und aus und ein und aus und beobachtete, wie er weiter seine Karten sortierte, als hätte er mir nicht gerade Worte gesagt, die mein Innerstes zum Schweben brachten. »Und lass dich nicht aufhalten von irgendwelchen Menschen, die dir sagen, dass du es eh nicht kannst.« Das ließ sich leicht sagen, aber was, wenn ich mehr verlor als gewann? Was, wenn ich mich verirrte und falsch abbog und auf dem Weg Leute verletzte, die mich eigentlich begleiten sollten? Was, wenn ich einen anderen Pfad beschritt als sie und wir uns mit jedem Schritt entfernten? »Hör nicht darauf. Nicht einmal, wenn dieser Mensch du selbst bist.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)