Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 74: … bin nicht mutig -----------------------------     __________________________________________   Kein Mut ohne Angst. Heike Ullmann __________________________________________           Ich war es gewohnt, dass ich nicht bekam, was ich wollte. Genauso wie es gängig war, dass man mir nicht zutraute, das zu schaffen, was ich mir vornahm. Nicht jeder konnte werden, was er wollte. Das Gegenteil war eine Lüge, die man Kindern erzählte.   »Das sagst du so leicht«, murmelte ich und stützte meine Stirn auf der Hand ab. Natürlich war es nett zu sagen, dass man alles schaffen konnte, wenn man nur hart genug dafür arbeitete. Aber das war naiv. Jeder hatte seine Grenzen und irgendwann zerbrach man unter dem Gewicht der eigenen Wünsche und Ziele. War es da nicht fairer zuzugeben, wenn man etwas doch nicht erreichen konnte? »Das stimmt. So etwas ist immer leichter gesagt als getan«, sagte Yugi und seufzte. »Aber ist es nicht noch viel härter, sich sein Leben lang zu fragen, ob man nicht doch gekonnt hätte, wenn man nur mutiger gewesen wäre?« »Es geht nicht um Mut«, murmelte ich. »Mh, ja, manchmal geht es darum, sich nicht von der Angst kleinmachen zu lassen.« »Es geht nicht um Mut oder Angst oder so einen Schwachsinn. Es geht um Geld und Zeit«, erwiderte ich genervt. Nur wer solche Privilegien wie Yugi besaß, vergaß die grundlegenden Faktoren. Es ging hier nicht um Emotionen oder abstrakte Begriffe, die sich mit philosophischem Gelaber aufladen ließen.   Es ging um ganz konkrete Sachen. Würde ich studieren wollen, müsste ich mich bis zum Abi durchkämpfen. Vielleicht würde ich das sogar schaffen. Aber danach begannen erst die eigentlichen Probleme. Während eines Studiums verdiente man quasi nichts. Im Gegenteil; es kostete verdammt viel Geld und irgendwo müsste ich wohnen, dazu noch Essen kaufen und verdammt nochmal Lehrbücher und so einen Mist kaufen. Und ich hatte absolut keinen Plan, was nach dem Studium kommen sollte. Wollte ich in die Werbung, ins Marketing und mich dauernd mit so Idioten wie Kaiba herumschlagen? Mich an dämliche Vorgaben halten müssen, ohne wirklich das ausdrücken zu können, was ich wollte? Würde überhaupt jemand mein Zeug, das ich zeichnete, interessieren?   »Aber Geld steht dir doch zu und wie das mit der Zeit abläuft, weiß jetzt eh noch niemand«, warf Yugi ein. »Ich will mir nicht ständig einen Kopf machen müssen wegen Geld und Prüfungen und ob ich alles wie vorgeschrieben packe oder ob sie mich rauskicken oder ob mir dann kein Geld mehr zusteht, weil ich etwas verbockt habe.« Yugi atmete schwer ein, betrachtete seine Karten und rubbelte sich dann durch sein Haar, schaute mich über sein Kartenblatt hinweg an. »Du hast Recht, dass du es schwerer hast, als jemand, den es nicht jucken muss, wie viel Geld er für ein Studium braucht oder dem es egal ist, ob er hundert, zweihundert Euro im Monat mehr oder weniger ausgeben muss«, gab er zu, »und wenn es dir das nicht wert ist, weil du lieber etwas Anderes machen willst, dann ist das auch okay. Aber wenn du es nicht probierst, weil du es dir nicht wert bist, dann sind das alles vor allem Ausreden.« »Das kann auch nur einer sagen, der das scheiß Privileg hat, sich darüber keine Gedanken machen zu müssen«, zischte ich und erhob mich mit brausender Wut im Bauch. »Joey, ich meine das nicht böse.« »Klar, nur verdammt herablassend. Danke, das brauche ich jetzt echt.« Ich schnappte mir meine Jacke, die ich über den Schreibtischstuhl geworfen hatte und wandte mich zur Tür. »Wohin willst du?«, fragte Yugi. »Irgendwohin, wo mir niemand sagt, was für ein kack Feigling ich bin.« »Warte! Joey!«, hörte ich noch, aber ich ließ die Tür hinter mir zuknallen und lief die Treppe hinunter. Hinter mir eilige Schritte und Worte, die ich ausblendete. »Joey, verdammt! Jetzt reagiere doch nicht gleich so über! Du weißt doch, dass –« »Was? Was habe ich jetzt schon wieder nicht gerafft? Wofür bin ich wieder zu blöd? Welche Gründe hast du sonst noch gefunden, warum mein Leben so ein chaotischer Scheißdreck ist? Vielleicht tust du dich am besten mit Kaiba zusammen! Und mit meinen Eltern! Ihr findet bestimmt eine Menge. Viel Spaß!« Yugi schnappte meinen Ärmel und ich schüttelte ihn schnaubend ab, rannte die letzten Stufen herunter und riss die Eingangstür auf. »Joey, bitte, bleib stehen«, rief Yugi und ich lief weiter. Ich würde seinen Blick nicht ertragen. Dieses Mitleid, diese ›Ich-kann-nichts-daran-ändern-aber-du-tust-mir-so-leid‹-Weisheiten. Nein, nicht schon wieder. Ich würde das nicht mehr auf mir sitzen lassen. Ich war nicht zerbrochen, niemand musste mich wieder zusammensetzen. Ich war in Ordnung, auch, wenn das niemand zu begreifen schien.   »Ich weiß, dass du momentan echt viel durchmachst und dass es hart ist mit deinen Eltern und –« Kochende Hitze jagte in meinen Kopf und ließ ihn pochen. Ich war nicht der bemitleidenswerte Sohn zweier unfähiger Menschen. Ich ließ mich nicht mehr in diese Schublade schieben. Nicht einmal von Yugi. Ich wandte mich um und wollte schreien; wollte ihm erklären, wie es war, dieses Gefühl, nichts hinzubekommen, weil um jede Ecke eine größere Scheiße lauerte, weil nichts leichter wurde, sondern alles nur komplizierter. Dass es mich verrückt machte, wenn Menschen mich so anschauten, wie er gerade. Dass diese Wut in mir aufkochte und alles fraß, was ich sonst fühlte. »Du hast doch keine Ahnung davon, wie beschissen es mit Eltern sein kann. Du musst dich mit deinen nicht herumschlagen!« Schon als ich die letzte Silbe ausspuckte, wusste ich, dass ich es das nie wieder zurücknehmen könnte; dass ich etwas zerschlagen hatte, das jetzt wie Glasscherben vor mir auf dem Boden lag und ich versuchte verzweifelt, es zusammenzusetzen, aber es war unmöglich. Yugi starrte mich an.   »Yugi«, sagte ich und wusste nicht weiter. »Du hast wahrscheinlich recht«, erwiderte er und machte einen Schritt zurück. »Ich habe wirklich keine Ahnung, was mit dir los ist.« Er drehte sich um und ich wusste, wir würden nie wieder so sein, wie vorher.   Wäre ich mutig, würde ich nicht durch diese Tür fliehen, um mich nicht dem zu stellen, was ich angerichtet hatte. Ich war ein Feigling. Ohne die Wut im Bauch fühlte ich mich nur noch leer. Ohne einen Blick zurück ließ ich die Tür hinter mir zufallen. Ich lief durch die Stadt, nicht die beleuchteten Viertel, sondern die dämmrigen, dort, wo mich niemand erkennen konnte, niemand ansprach. Nur Blicke. Die Sterne und der Mond über mir färbten die Wände und Pflastersteine silbrig. Ich wollte zurück. Irgendwohin von vor sieben Jahren, als ich Yugi kennenlernte, und bessere Entscheidungen treffen. Vielleicht einen Tag als unbekümmertes Kind leben mit zwei Eltern, die einen in den Arm nahmen und versprachen, dass man genug war, so wie man war. Vielleicht stammte dieser Moment aus einem verblassten Traum und keiner Erinnerung. Vielleicht war ich zu feige, um mir die Wahrheit einzugestehen.   Ich öffnete mein Handy, war dabei Tristans Nummer auszuwählen, aber die Notifications überfluteten den Bildschirm. Ich wollte es ausblenden, löschen, wegschauen, aber ich konnte nicht. Das war virtuell und trotzdem ganz real. Das Video von meinem Vater erschien im Loop. Ein Popsong war als Hintergrundmusik eingefügt, das Video geschnitten, um immer und immer wieder auf die Mimik meines Vaters zu zoomen, seine Worte waren an den Beat angepasst und erschienen grotesk wie ein Lyrics zu der Musik.   ›Ich habe dich gewarnt‹, blitzte auf und ich starrte die Worte an. Es war, als klang die Stimme mit den geschriebenen Worten. Eine anonyme Nummer, aber ich wusste, von wem die Nachricht stammte. ›Du wirst das niemals los.‹ Vielleicht hatte er recht. Ich war gefangen als Sohn meiner Eltern, als Versager in Yugis Freundeskreis, als Möchtegern in Kaibas Erfolg. Der Loop begann von neuem. ›Kaiba wird dich vergessen. Du bist nichts wert.‹ Ohne Kaiba wäre ich nicht hier. Es war seine Schuld. Er hatte mich bis hierhin getrieben. Ohne die Chance, die er mir gegeben hatte, wäre ich nicht so tief gefallen. Und ohne Christian wäre mir das nicht bewusst geworden. Es ging immer wieder um Kaiba. ›Kaiba lässt jeden fallen. Das hat er schon immer so gemacht und du bist keine Ausnahme, Wheeler. Sein Erfolg basiert auf dem Misserfolg anderer. Er hält zu niemandem. Das hat er noch nie.‹       ›Du wirst keinen langen Erfolg haben. Das hat niemand, der für Kaiba arbeitet. Du wirst alles verlieren, Versager.‹ Früher wäre ich losgestürmt und hätte ihm eine verpasst, mehrere, mit einer Gruppe anderer. Aber die Zeit war vorbei. Christian glaubte, er würde mich damit treffen, aber die Stimmen in meinem Kopf waren oft fieser zu mir als er es je sein könnte. Ich wählte die Nummer und stapfte los. »Hey, Tris? Ja, genau. Okay, ich bin gleich da. Danke, Alter.«   Ich war kein Held, auch wenn ich es mir manchmal einredete. Ich war niemand, der voller Mut gegen seine inneren Dämonen kämpfte. Ich stolperte von einem Hinterhalt in den nächsten. Und während ich mein Bestes gab, war das oft nicht gut genug. Ich war ein Feigling, der lieber nicht versuchte zu gewinnen, als es zu wagen, um trotzdem zu verlieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)