Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 78: … bin skrupellos ---------------------------- __________________________________________   [...] Auch Typen die ich einst mal sah, brachten beste Freunde in Gefahr, sie waren skrupellos und dreist, charakterlich total vereist. [...] © Horst Rehmann __________________________________________           Ich verstand keinen Spaß. Wenn Menschen verletzt wurden, die mir nahestanden, tat ich alles, um die Gerechtigkeit für sie wiederherzustellen. Ich griff an, um sie zu verteidigen, denn manchmal gewann man nur ohne Skrupel. Darin waren Kaiba und ich uns erschreckend ähnlich.   Montagmorgen schlenderte ich über den Schulhof, kickte einen Kieselstein vor mich her und wartete. Die Sonne stierte herunter und die Luft trug bereits früh am Morgen die Botschaft der Hitze, die das Gras zu Stroh verbrannte. Ich strich mir meinen Pony zurück und während ich Ausschau hielt, überschwemmte mich eine Gänsehaut, die gar nicht zum staubigen Wetter passen wollte. Die Schule war für mich wie eine viel zu enge Jacke, an der jeder riss und während ich versuchte, damit klarzukommen, dass sie mir nicht passte, verzog sich der Stoff und die Nähte und drückten meinen Brustkorb zusammen wie ein Korsett. Ich atmete tief durch, um die Platzangst zu kontrollieren und zählte. Ich kam bis acht, als Mokuba vor mir auftauchte. »Du bist tatsächlich hier«, begrüßte er mich und ich schnaubte. »Natürlich. Als würde ich mich davor drücken, pf.« Mokuba warf mir einen Blick zu, der mich mit den Schultern zucken ließ. »Ich meine – ab jetzt und so, ich muss die Dinge jetzt echt regeln. Es reicht mir, Sachen aufzuschieben.« »Und was sagt mein Bruder dazu?«, fragte er und ich fuhr zusammen. »Eine Sache nach der anderen«, grummelte ich, klammerte meine Finger um den Schulranzen, durch den die verdammte DuelDisk in meine Nieren drückte und er legte seine Hand auf meine Schulter, als wollte er mir von seiner Unerschütterlichkeit ein paar Gramm abgeben – oder als befürchtete er, ich würde doch abhauen. »Gut, dann diese Sache zuerst«, begann er und zückte sein Smartphone und streckte es mir hin. »Social Media vergisst nie.« Im Vordergrund standen zwei Freundinnen, die scheinbar grölten, Plastikbecher in die Luft reißend, völlig uninteressant. Was meinen Fokus auf sich zog, war der Hintergrund des Fotos. »Aber das ist nicht möglich«, murmelte ich. Jemand hatte ihn im Hintergrund des Fotos getagged. Er stand da an jemanden gelehnt, ihre Blicke ineinander verwoben. Ihre Finger berührten sich. Mein Kiefer klappte auf. »Wir könnten es etwas aufpolieren und dann an alle in der Schule senden«, schlug Mokuba vor. »Ein bisschen die Helligkeit korrigieren und so.« Ich starrte die Person auf dem Bild an. »Das wird ihn heftigst treffen«, flüsterte ich, als wollte ich niemanden spoilern. Mokuba screenshotete das Bild, bearbeitete es in einer App, regelte die Helligkeit hoch, korrigierte die Farbsättigung und legte einen Filter darüber. Es wäre beinahe so etwas wie Kunst gewesen, ginge es nicht um die Person, um die es eben ging. »Was willst du jetzt damit tun?«, fragte Mokuba, während er mir das bearbeitete Foto sendete und ich zögerte. »Ich weiß es nicht«, murrte ich, obwohl ich ihn doch rächen sollte, für mich selbst einstehen und endlich alles herumreißen. Der Schulhof füllte sich, wie Fliegen, die sich um einen Hundehaufen sammelten. Ich verzog meinen Mund. »Und was hast du jetzt vor?«, fragte Mokuba. Ich atmete ein, ließ meinen Blick über das Schulgelände wandern; wie viele Stunden ich hier eingekesselt gewesen war, wie oft ich mir ausgemalt hatte, einfach zu verschwinden und nicht mehr zurückzukehren. Wie eng es hier war. Ich atmete aus. »Ein bisschen Alltag vielleicht, bevor sich alles ändert«, antwortete ich, zog meinen Rucksack über eine Schulter, spürte, dass sich die DuelDisk gegen meine Bewegung lehnte und beobachtete, wie Yugi neben Thea auf uns zuschritt, Tris die Hand hob, als wäre alles wieder, wie es sich gehörte und mein Herz pochte in meinen Beinen. Ich hätte fast so zu tun können, als wäre meine Tour der Gerechtigkeit erfolgreich, wäre nicht in diesem Moment ein weißer Mantel am Schultor aufgeblitzt. Zu fliehen war mein erster Impuls, aber kein Protagonist in einem Videogame würde vor dem Endboss abhauen, also straffte ich meinen Rücken, schulterte meinen Rucksack und stierte in seine Richtung. Meine Knie wurden absolut nicht weich. Meinen Bauch überschwemmten keine eiskalten Wellen. Meine Hände kneteten nicht den Stoff meines Shirts, um irgendetwas zu finden, das mir Halt gab. Er schaute mich an. Nicht an mir vorbei, ließ seinen Blick nicht über mich schweifen, um an mir vorbeizuschreiten, als wäre ich nur ein Schüler von vielen. Er sah mich. »Wheeler«, sagte er statt einer Begrüßung, mein Atem stotterte. In Filmen begann an dieser Stelle ein Themesong und jeder Zuschauende wusste, jetzt käme der Höhepunkt ihrer Begegnung und endlich würde sich alles so fügen, wie es sich doch alle von Anfang an gewünscht hatten, weil er die richtigen Worte fand, um seine Gefühle, seine Fehler, seine Gedanken und Hoffnungen und alles, was zwischen ihnen stand, in wunderschön melodische Silben zu packen. Aber in der Realität spielte keine Hintergrundmusik. Es gab keine Sätze, die ausdrücken konnten, was wir waren. Und ich erstarrte. »Bis später, Mokuba«, sagte er, drückte die Schulter seines Bruders und nickte den anderen kurz zu, als würde er nicht gerade mit jedem Zentimeter, den er an mir vorbeischritt, ein Puzzleteil meines Daseins herauspicken und hinter sich verstreuen. Irgendein total berühmter Schriftsteller hatte sicherlich genau für diese Situation die Worte geschrieben, die diese Szene herumreißen würden. Poetische Erklärungen, dass der Mensch fehlerhaft war in einer fehlgeleiteten Welt, in der Strukturen herrschten, die uns zu Ungerechtigkeiten antrieben und zu Sätzen, die die Menschen verletzten, die wir am meisten beschützen wollten, Menschen, die uns ähnelten und sich gleichermaßen dermaßen von uns unterschieden, dass wir uns gegenseitig beflügelten und gleichzeitig die Flügel stutzten. Dass wir zueinander gehörten, aber uns niemals innehätten, weil wir uns selbst gehörten. Dass wir uns jeden Tag auf die Suche nach der Balance begaben, so dass die Luft uns trug und nicht der Sturm unter sich begrub. Ich fuhr herum, öffnete den Mund, aber in meinem Kopf kläffte lediglich ein Golden Retriever. Meine Finger ballten sich, doch ich schaffte es nur aus der Ferne zu beobachten, wie er sich entfernte. Meter für Meter, Gefühl um Gefühl. »Joey«, flüsterte Yugi und ich wusste nicht, seit wann die Stimme in meinem Kopf, wenn ich glaubte, etwas doch schaffen zu können, nicht mehr die seine war. »Es tut mir leid!«, schrie ich ihm hinterher und Kaiba verharrte, ohne zurückzublicken. Stattdessen wandten sich mir andere Gesichter zu, manche, die mir vorher noch nie aufgefallen waren in dieser Masse an halbfremden Mimiken. »Manchmal bist du ein Arsch und manchmal ich und dieses Mal war ich es und es tut mir leid. Und ich weiß, das sind nur Wörter und ich bin echt nicht so gut mit Wörtern wie du, weil du ein verdammt eloquenter Arsch bist und ich eher so der Arsch mit Bleistift, aber ich wollte keiner sein und –« Ich verschluckte mich an diesen Silben, die in meinen Gedanken noch Sinn ergaben, aber in dem Augenblick, in dem ich sie über den Schulhof kreischte, nur noch Gebrabbel war. »Und meistens sind wir keine Ärsche, sondern –« Die DuelDisk quetschte sich in meinen Rücken und die Wut, die mich gestern Abend noch in ihren Klauen hatte, verrauchte, als ich ihn über die Köpfe teilanonymer Teenager anstarrte und etwas begriff. »Du hast sie mir gesendet.« Er fuhr sich durchs Haar und endlich schien mein innerliches Chaos äußerlich auf ihn abzufärben. »Kommst du jetzt mit oder soll ich hier noch weiter auf dich warten?«, rief er, eine Hand in der Hosentasche, die andere um den Griff des Aktenkoffers. »Ja«, erwiderte ich, »also nein.« Ich stolperte halb über meine eigenen Füße, nuschelte ein »bis gleich, Leute« und folgte meinem Bauchgefühl, bis ich neben ihm stehen blieb, meine Schulter einen Moment seine berührte und wir gemeinsam ins Schulgebäude traten. »Ich meine«, murmelte ich, »du hast sie mir gesendet.« Er verdrehte die Augen. »Es mag wahrscheinlich wirklich eine unglaublich unverständliche Information für dich sein, aber ich kann deine Gedanken nicht lesen. Andernfalls wäre ich sicherlich schon dem Wahnsinn verfallen.« Mit einer Bewegung ließ ich den Rucksack von meiner Schulter in meine Arme gleiten, riss den Reißverschluss auf und starrte die Dueldisk an, als sähe ich sie zum ersten Mal, entknüllte den Zettel, die Worte stachen in meine Augen, quetschten sich in mein Bewusstsein. ›Diese Dueldisk ist nicht für drittklassige Duellanten geeignet. S. K.‹ »Du willst immer noch, dass ich an dem Turnier mitmache?«, fragte ich statt einer Antwort. »Das ist nicht die Frage.« »Sondern?« Er zwickte sich zwischen seine Augenbrauen, als versuchte er, Kopfschmerzen zu bändigen, dann blieb er mitten im Eingangsbereich stehen, wandte sich zu mir, die Schulglocke ertönte, an uns vorbei drängelten sich Schülermassen, doch wir verharrten unbeweglich. »Was. Willst. Du?«, betonte er jede Silbe. Und irgendwo in meinen Gedanken ploppten Erwiderungen auf diese Frage auf, wie Kieselsteine, die der Fluss wegspülte. Ich versuchte, nach ihnen zu greifen, aber zog nur schlammiges Wasser durch meine Finger. Unsere Mitschüler strömten an mir vorbei und ich spürte, wie ich in dieser Masse unterging. Ich war so lange nur einer von vielen gewesen. Was wollte ich? Nicht, was hatte ich getan? Oder was hatte ich nicht getan? Nicht, wo hatte ich versagt? Nicht, was hatte ich versäumt? Was wollte ich? Kein Blick zurück, sondern direkt in seine Augen. Nicht, wer warst du? Sondern, wer willst du sein? Das Wasser klärte auf und ich sah die unzähligen Steinchen zwischen all den Möglichkeiten glitzern. Nicht, wer denken die anderen, müsstest du werden? Sondern, was willst du? »Ich will meinem Vater helfen, ich will raus hier, nicht raus aus dem Gebäude, ich meine, wirklich irgendwo ganz nach da draußen, in die Welt, etwas sehen, ich will beim Turnier mitmachen, ich will irgendwas mit Kunst studieren und ich will mit dir zusammen sein.« In einem Film liefe Hintergrundmusik, stattdessen lauschte ich dem Rauschen in meinen Ohren, die mit jeder Sekunde, in der er nichts erwiderte, heißer brannten. Irgendein total berühmter Schriftsteller hatte sicherlich genau für diese Situation die Worte geschrieben, die diese Szene herumreißen würden. »Bin ich dir peinlich?« Er presste seine Lippen aufeinander und griff sich ins Haar, als suchte er Halt. Ohne ein Wort wandte er sich ab. Natürlich. Auf manche Fragen brauchte man nichts zu sagen, um sie zu beantworten. »Gut«, murmelte ich und spürte wie mein Herz mir in die Kniekehlen sackte. Obwohl ich wütend sein wollte, denn Wut war besser als dieses Gefühl gerade, füllte Leere meinen Bauch. »Du begreifst es nicht, Wheeler«, murmelte er, fuhr sich durchs Haar, griff mit seinen Fingern hinein, als wäre die ganze Szene zum Haare raufen. »Alles, was du tust, wird beobachtet, dokumentiert und kommentiert. Jeder wird eine Meinung über dich haben. Wenn du in einigen Wochen oder Monaten«, ich machte ein geringschätziges Geräusch und ich glaubte, seine Mundwinkel zuckten, »oder Jahren nichts mehr von mir wissen willst, wirst du trotzdem das Internet voller Bilder von uns haben. Momente, die jedem anderen nur selbst gehören, werden für jeden sichtbar festgehalten. Jeder«, er räusperte sich, »deiner zukünftigen Partner oder Partnerinnen wird es sehen können. Sie werden googlen und Dinge finden, die du lieber für dich behalten würdest oder ihnen selbst erzählen.«  Er seufzte. »Wenn du das hier irgendwann nicht mehr willst, wirst du trotzdem dein Leben lang damit klarkommen müssen. Denn es wird niemals ganz verschwinden.« Ich lachte leise. »Natürlich wird es das nicht.« Dafür hatten wir zu viel zusammen durchgemacht. »Ich hatte echt lange keinen Plan und vielleicht merke ich in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren, dass ich etwas Anderes will«, ich zuckte die Achseln, »aber du hast nicht gefragt, was ich wollen werde, sondern was ich will. Die Frage ist jetzt, was willst du?« Kaiba war ein verdammt eloquenter Mensch. Ihm traute ich zu, einer dieser Schriftsteller zu sein, die genau die rechten Worte für genau diese Situation formulierten. Ein Komponist, der die passende Hintergrundmusik auf seinen wireless Kopfhörern abspielte und eine Alltagsszene in einen Filmmoment verzauberte. Doch er sagte gar nichts. Dann spürte ich, wie seine Fingerkuppen meine berührten, erst wie ein Windhauch, dann wie sein unerschütterlicher Griff. »Wir sind seltsam, oder?«, lachte ich, schaute uns an, wie wir da auf dem leeren Schulflur standen. »Lediglich zwei Ärsche, die spät dran sind«, erwiderte Seto, seine Finger in meine verschlungen. Und genau so kam ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht allein zu spät zum Unterricht. Endlich wusste ich wieder, wer ich sein wollte. Er wird dich verlassen und von dir wird nichts mehr übrig sein, blinkte die anonyme SMS auf, während ich eine Mind-Map erstellte und ich wusste, was ich wollte. Alle um euch herum werden darunter leiden, wenn du ihn nicht zuerst fallen lässt. »Er hat es nicht anders verdient«, tippte ich unter meinem Tisch ins Handy und stellte das Meme online. Du wirst es bereuen, so wie es Mokuba bereut. Ich verstand keinen Spaß. Wenn Menschen verletzt wurden, die mir nahestanden, tat ich alles, um die Gerechtigkeit für sie wiederherzustellen. Ich griff an, um sie zu verteidigen, denn manchmal gewann man nur ohne Skrupel. Nur dann schaffte ich es, endlich der zu werden, der ich sein wollte. Darin waren Kaiba und ich uns erschreckend ähnlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)